L 9 R 4918/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 6188/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4918/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 13. September 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Neufeststellung seiner Altersrente für die Zeit vom 01.06.2002 bis zum 03.02.2008.

Der 1935 geborene Kläger bezieht von der Landesversicherungsanstalt Baden (der späteren Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg; im Folgenden: Beklagte) seit dem 01.09.1997 Altersrente. Er wandte sich mit Schreiben vom 04.02.2008 an die Beklagte mit der Bitte, seine Rente neu zu berechnen, da er durch das Fernsehen mitbekommen habe, dass die Beiträge in der Lehrzeit anders zu berechnen seien. Daraufhin überprüfte die Beklagte die Rente auf der Grundlage der Bestimmungen der Verordnungen (VO) EWG Nrn. 1408/71 und 574/72 und berechnete diese neu.

Mit Bescheid vom 13.02.2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit ab dem 01.04.2008 eine laufende Rente in Höhe von 270,31 Euro und für die Zeit ab dem 04.02.2008 eine Nachzahlung von 192,94 Euro. Mit Erläuterungsschreiben vom 06.03.2008 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass die Neuberechnung der Rente unter Berücksichtigung der schweizerischen Versicherungszeiten ab dem Tag der Antragstellung, also ab 04.02.2008, erfolgt sei. Das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (AÜF) sei am 01.06.2002 in Kraft getreten. Die Neuberechnung ab diesem Zeitpunkt sei nur möglich, sofern der Antrag innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des AÜF gestellt worden sei (Art. 94 Abs. 6 VO EWG Nr. 1408/71). Bei einer späteren Antragstellung beginne die (erhöhte) Rente am Tag der Antragstellung (Art. 94 Abs. 7 VO EWG Nr. 1408/71).

Mit dem gegen den Bescheid vom 13.02.2008 erhobenen Widerspruch vom 18.02.2008 begehrte der Kläger die Neuberechnung seiner Rente bereits ab Inkrafttreten der genannten Verordnungen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.11.2008 zurück und führte dazu aus, die Neufeststellung der Altersrente erfolge nur auf Antrag. Nach den Verordnungen EWG Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 bestehe hierüber keine Aufklärungspflicht seitens des Rentenversicherungsträgers. Es gelte der Grundsatz der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen. Danach würden Gesetze mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt als bekannt gelten, ohne Rücksicht darauf, ob der Einzelne davon tatsächlich Kenntnis erlangt habe. Darüber hinaus hätten die (früheren) Rentenversicherungsträger durch Pressemeldungen auf die Möglichkeit der Neuberechnung der Rente hingewiesen. So hätten die frühere Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) und die frühere Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg (LVA) am 29.05.2002 eine gemeinsame Presseerklärung unter dem Titel ?Die Schweiz auf Europakurs? herausgegeben, in der über das AÜF informiert worden sei. Die BfA habe dabei seinerzeit ihren bundesweiten Presseverteiler bedient, die LVA ihren regionalen Verteiler, der unter anderem die Gemeinden im Grenzgebiet zur Schweiz, auch die Stadt Lörrach, umfasst habe. Der Kläger habe erst durch Schreiben vom 04.02.2008 um Überprüfung der Altersrente gebeten. Dies sei zum Anlass genommen worden, entsprechend den genannten Verordnungen die Rente neu zu berechnen. Eine Neufeststellung zu einem früheren Zeitpunkt sei nicht möglich, da das Verwaltungsverfahren erst am 04.02.2008 und damit nach Ablauf von zwei Jahren nach Inkrafttreten des AÜF begonnen habe.

Am 09.12.2008 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte hätte alle Rentenbezieher mit Bezug zur Schweiz informieren müssen und sei im Rahmen ihrer Beratungspflicht verpflichtet gewesen, auch ihn auf die geänderte Gesetzeslage hinzuweisen. Seit Erlass seines Rentenbescheides im Jahr 1997 habe er immer wieder mit unterschiedlichen Begründungen bei der Beklagten um Überprüfung gebeten. Es sei außerdem eine jährliche Rentenanpassung erfolgt, so dass die Beklagte mit seiner Akte befasst gewesen sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 13.09.2010 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, eine generelle Verpflichtung zur Neufeststellung von Bestandsrenten ergebe sich aus den genannten EWG-Verordnungen nicht. Rechtsgrundlage für die Neufeststellung einer Bestandrente wegen Inkrafttreten von EWG-Verordnungsrecht sei nach Art. 94 Abs. 5 VO EWG 1408/71 der dort in Abs. 7 vorgesehene Beginn, also der Tag der Antragstellung. Einem früheren Beginn stehe hier auch § 306 Abs. 1 SGB VI entgegen, wonach die Neufeststellung einer laufenden Rente allein wegen des Inkrafttretens neuer Rechtsvorschriften - hier EWG-Verordnungen - nicht möglich sei.

Eine Berücksichtigung ab dem 01.06.2002 sei auch nicht auf Grund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs möglich. Nach § 13 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) habe die Beklagte die Bevölkerung über ihre sozialrechtlichen Rechte und Pflichten zu informieren. Damit seien aber gerade nicht einzelfallbezogene, sondern allgemeine Informationen, z.B. durch Broschüren oder Pressemitteilungen, gemeint. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte derartige Verpflichtungen verletzt habe. Vielmehr sei diese ihrer Hinweispflicht durch die angeführten Pressemitteilungen (vom 29.05.2002: "Die Schweiz auf Europakurs?) nachgekommen. Sie habe auch über die Antragsfrist von zwei Jahren für die Neufeststellung informiert. Aber selbst wenn eine entsprechende Pflichtverletzung vorläge, könne der Kläger daraus keinen Herstellungsanspruch herleiten, denn die Pflicht zur Aufklärung begründe kein Recht des Einzelnen (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 21.06.1990 - 12 RK 27/88 - BSGE 67,90 = SozR 3-1200 § 13 Nr. 1; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg - L 17 RA 26/03 -). Im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei zudem in entsprechender Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X eine Ausschlussfrist von vier Jahren zu berücksichtigen (Kater in Kasseler Kommentar, SGB VI, § 115 Rdnr. 24).

Schließlich habe die Beklagte auch nicht die Hinweispflicht aus § 115 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) verletzt. Eine Hinweisplicht bestehe für den Rentenversicherungsträger vor allem, wenn ansonsten die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch erfüllt wären. Dem Rentenversicherungsträger müsse ohne einzelfallbezogene Sachaufklärung erkennbar sein, dass ein abgrenzbarer Kreis von Berechtigten die Anspruchsvoraussetzungen für eine Leistung erfülle, die von solchen Personen i.d.R. in Anspruch genommen werde, und dass die Berechtigten den Rentenantrag aus Unwissenheit nicht stellten (vgl. näher Kater in Kasseler Kommentar, SGB VI, § 115 Rdnr. 24). Die Hinweispflicht sei insbesondere dann verletzt, wenn der Rentenversicherungsträger den Versicherten aufgrund eines konkreten Anlasses während eines laufenden Verwaltungsverfahrens nicht auf eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit hingewiesen habe, die jeder verständige Versicherte mutmaßlich genutzt hätte. Nach § 115 Abs. 6 SGB VI bestehe eine Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers, auf die Antragstellung hinzuweisen, sobald es ihm möglich sei zu erkennen, dass bei typischen Sachverhalten die Angehörigen einer abgrenzbaren Gruppe von Versicherten durch die Rentenantragstellung i.d.R höhere Leistungen in nicht unerheblichen Umfang erhielten (BSG SozR 3-2600 § 115 Nr. 2). Als geeigneter Fall sei von der Rechtsprechung beispielsweise das Erreichen der Regelaltersgrenze gesehen worden (BSGE 79, 168). Vorliegend habe die Beklagte ohne weitere Ermittlungen aber nicht erkennen können, ob und ggf. in welcher Höhe eine höhere Leistung für den Kläger in Betracht kommen könnte. Aus dem Versicherungskonto des Klägers sei dies so nicht ersichtlich. Vielmehr sei eine Vergleichsberechnung erforderlich. Hierfür habe es der Einholung eines aktuellen Versicherungsverlaufs des schweizerischen Versicherungsträgers bedurft. Der Vorgang des Klägers habe der Sachbearbeitung der Beklagten erstmalig durch das Schreiben vom 04.02.2008 vorgelegen.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 04.10.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 20.10.2010 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Nach seiner Auffassung ist er im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so stellen, als wenn er den Antrag innerhalb der Zwei-Jahres-Frist gestellt hätte. Angesichts der vom Kläger gestellten Anträge wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, ihn im Wege der Spontanberatung auf das Inkrafttreten des AÜF und die daraus folgende Notwendigkeit, die Überprüfung der Rente zu beantragen, hinzuweisen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 13. September 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 13. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2008 zu verurteilen, die Altersrente des Klägers bereits mit Wirkung ab dem 01. Juni 2002 nach den Bestimmung der Verordnung (VO) EWG Nr. 1408/71 und 574/72 neu zu berechnen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten der Beklagten, des SG (S 8 R 6188/08) sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neuberechnung seiner Altersrente (bereits) ab dem 01.06.2002.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die Neuberechnung der Rente ab 04.02.2008 bzw. die unterbliebene Neuberechnung für die Zeit davor dargelegt und ausgeführt, warum der Kläger keinen Anspruch auf höhere Rente ab einem früheren Zeitpunkt hat. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren uneingeschränkt an.

Ergänzend ist (lediglich) auszuführen, dass der Kläger auch nach der Überzeugung des Senats keinen Anspruch auf Neufestsetzung seiner Rente für die Zeit vor dem 04.02.2008 hat. Ein solcher Anspruch ergibt sich namentlich nicht in Anwendung der Bestimmungen des AÜF vom 21.06.1999 (BGBl. II 2001, 810 ff.), das am 02.09.2001 vom Bundestag als Gesetz beschlossen worden (BGBl. II 2001, 810) und am 01.06.2002 in Kraft getreten ist (BGBl. II 2002 S. 1692).

Art. 8 dieses Abkommens sieht die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit gemäß dem Anhang II vor. Nach dessen Art. 1 kommen die Vertragsparteien überein, im Bereich der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit untereinander die in Abschnitt A dieses Anhangs genannten Rechtsakte der Europäischen Union in der durch diesen Abschnitt geänderten Fassung oder gleichwertige Vorschriften anzuerkennen. Zu diesen Rechtsakten gehört die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern i. d. F. der Bekanntmachung vom 30.01.1997 (ABl. EG Nr. L 28 vom 30.01.1997, S. 4 (im Folgenden: VO Nr. 1408/71), zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 592/2008 vom 17.06.2008 (ABl. EG Nr. L 177 vom 04.07.2008, S. 1). Diese sieht in Kap. 3 (Alter und Tod (Renten)) in Art. 45 die wechselseitige Berücksichtigung der Versicherungs- oder Wohnzeiten vor, die nach Rechtsvorschriften jedes anderen Mitgliedstaats zurückgelegt worden sind. Allerdings begrenzt Art. 94 VO (EWG) Nr. 1408/71 die nachträgliche Berücksichtigung von Versicherungszeiten in anderen Mitgliedstaaten in zeitlicher Hinsicht. Nach dessen Abs. 5 können die Ansprüche von Personen, deren Rente vor dem 01.10.1972 oder vor Anwendung dieser Verordnung im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats oder in einem Teil davon festgestellt worden ist, auf Antrag der betreffenden Person unter Berücksichtigung dieser Verordnung neu festgestellt werden. Wird der Antrag (nach Abs. 5) aber nach Ablauf von zwei Jahren nach dem 01.10.1972 oder nach Beginn der Anwendung dieser Verordnung im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats gestellt, so werden nicht ausgeschlossene oder verjährte Ansprüche - vorbehaltlich etwaigerer günstigerer Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats - (erst) vom Tag der Antragstellung an erworben (Art. 94 Abs. 7). Hiernach kann der Kläger, der den Antrag nicht innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des AÜF (01.06.2002) gestellt hat, die Neufestsetzung seiner Rente unter Gewährung höherer Leistungen erst ab dem Zeitpunkt der Antragstellung - die hier zu Recht in seinem Schreiben an die Beklagte vom 04.02.2008 gesehen wurde -, nicht für die Zeit davor verlangen.

Der Kläger ist auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe er rechtzeitig zum Inkrafttreten des europäischen Gemeinschaftsrechts im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz die Neufestsetzung seiner Rente beantragt. Das von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des sozialrechtlichen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger (oder ein für diesen handelnder Dritter) die ihm aufgrund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten gegenüber erwachsenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (vgl. z.B. BSG, SozR 3-1200 § 14 Nr. 12 m.w.N.; SozR 3-3200 § 86a Nr. 2; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.04.2011 ? L 3 R 748/10 -, Rdnr. 21 (juris)). Demnach kommt es insbesondere auf das Vorliegen folgender Voraussetzungen an: Die verletzte Pflicht muss dem Träger gerade gegenüber dem Versicherten obliegen, die zugrunde liegende Norm letzterem also ein entsprechendes subjektives Recht eingeräumt haben. Die objektiv rechtswidrige Pflichtverletzung muss zumindest gleichwertig (neben anderen Bedingungen) einen Nachteil des Versicherten bewirkt haben. Schließlich muss die verletzte Pflicht darauf gerichtet gewesen sein, den Betroffenen gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren (sog. Schutzzweckzusammenhang).

Nach diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vorliegend nicht erfüllt. Insbesondere hat die Beklagte ihre gegenüber dem Kläger bestehenden Aufklärungs- und Beratungspflichten nicht verletzt.

Die Verletzung eines Anspruchs auf Aufklärung nach § 13 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) scheidet aus. Eine unterlassene oder ungenügende allgemeine Aufklärung nach § 13 SGB I über die Möglichkeit der Neufestsetzung der Rente durch die Beklagte kann einen Herstellungsanspruch nicht begründen (BSG, Urteil vom 21.06.1999, BSGE 67, 90). Denn aus der allgemeinen Aufklärungspflicht der Verwaltung erwächst dem einzelnen grundsätzlich kein im Klageweg verfolgbarer Anspruch auf Erfüllung der Aufklärungspflicht und damit im Falle einer unterlassenen bzw. ungenügenden Aufklärung auch kein Anspruch auf Herstellung des Zustandes, der bei gehöriger Aufklärung bestanden hätte (BSG, Urteil vom 21.06.1990 - 12 RK 27/88 -). Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des § 13 SGB I (" ... die Bevölkerung ... aufzuklären ...") als auch der Verbindlichkeit gesetzlicher Fristvorschriften, die bei Bejahung eines Herstellungsanspruchs bei unterlassener bzw. ungenügender Aufklärung solange in der Schwebe bliebe, bis die Frage durch die Gerichte endgültig geklärt wäre. Ließe sich eine Fristversäumung durch einen auf Aufklärungsmängel gestützten Herstellungsanspruch überwinden, wäre dies im Übrigen kaum vereinbar mit Regelungen wie der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die gerade für den Fall einer Fristversäumung getroffen wurden und eine Wiedereröffnung versäumter Fristen nur unter bestimmten Voraussetzungen vorsehen. Abgesehen davon würde das Prinzip der formellen Publizität von Gesetzen, dessen Strenge durch § 13 SGB I zwar gemildert ist, das aber auch für den Bereich des Sozialrechts bisher nicht grundsätzlich aufgegeben worden ist, hier praktisch weitgehend durch das - eine tatsächliche Kenntnis der Gesetze erfordernde - Prinzip der materiellen Publizität ersetzt, wenn ein Herstellungsanspruch auch bei unterlassener Aufklärung bejaht würde (vgl. BSG, a.a.O. und Urteil vom 09.02.1993 - 12 RK 28/92 -). Der Kläger hat auch keinen Anspruch aus § 14 SGB I darauf, so gestellt zu werden, als hätte er die Neufestsetzung der Rente vor dem 04.02.2008 beantragt. Nach dieser Vorschrift hat jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach dem SGB I und - anders als im Rahmen des § 13 SGB I - auch ein subjektives Recht auf Erfüllung der Beratungspflichten (s. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.05.2002 - L 8 LW 1/02 - (juris)). Die Beklagte hat zur Überzeugung des Senats keine gegenüber dem Kläger bestehende Beratungspflicht verletzt. Denn dieser hatte sich nicht zeitnah zum Inkrafttreten des AÜF an die Beklagte gewandt mit der Bitte um Beratung wegen der in der Schweiz absolvierten Versicherungszeiten.

Allerdings besteht auch ohne ein konkretes Beratungsbegehren des Versicherten ein Anspruch auf Beratung im Sinne des § 14 SGB I, wenn sich im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens ein konkreter Anlass ergibt, den Versicherten spontan auf klar zutage liegende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen (vgl. BSG SozR 3-1200 § 14 Nr. 22 m.w.N.). Indessen folgt speziell bei Gesetzesänderungen aus der Beratungspflicht grundsätzlich keine Verpflichtung für den Versicherungsträger, in Bezug auf alle Versicherten zu prüfen, ob sie davon betroffen sein könnten, und diese ohne konkreten Anlass zu informieren. Etwas anderes mag gelten, wenn die gesetzlichen Änderungen mit schwerwiegenden Folgen, wie drohendem Totalverlust eines Anspruchs, verbunden sind (vgl. BSG SozR 3-1200 § 14 Nr. 12; SozR 3-2600 § 115 Nr. 1) bzw. das vom Gesetzgeber mit der Rechtsänderung verfolgte Anliegen anders nicht oder nur sehr unvollkommen, insbesondere der soziale Schutz, gewährleistet werden könnte (BSG SozR 3-1200 § 14 Nr. 12).

Ein konkreter Anlass dafür, den Kläger im zeitlichen Kontext zum Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens individuell auf die Möglichkeit der Neufestsetzung seiner Rente ab 01.06.2002 hinzuweisen, bestand für die Beklagte zur Überzeugung des Senats nicht. Soweit ersichtlich hat die Beklagte erstmals mit dem Schreiben vom 04.02.2008 von dem Wunsch des Klägers nach einer Neufestsetzung seiner (deutschen) Altersrente mit Blick auf Versicherungszeiten außerhalb des Bundesgebiets Kenntnis erlangt. Es ist auch nicht erkennbar, dass für die Sachbearbeitung der Beklagten in zeitlicher Nähe zum Inkrafttreten des AÜF am 01.06.2002, jedenfalls aber vor dem 04.02.2008, Veranlassung bestanden hatte, den Kläger in Bezug auf seinen Versicherungsverlauf bzw. die im Ausland erfolgten Versicherungszeiten zu beraten. Eine Pflicht der Beklagten zur Spontanberatung bestand daher ebenso wenig wie eine Beratungspflicht ohne konkreten Anlass (s. zur Spontanberatungspflicht bei zeitnaher Rentenantragstellung durch den Versicherten aber SG Karlsruhe, Urteil vom 25.07.2011 - S 16 R 1794/10 - (juris)).

Eine Beratungspflicht der Beklagten - quasi von Amts wegen - lässt sich vorliegend auch nicht unter dem Gesichtspunkt begründen, dass es sich bei der Möglichkeit der Rentenneufestsetzung um eine klar zu Tage liegende Gestaltungsmöglichkeit handelte, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängt und von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt worden wäre (vgl. BSG SozR 1200 § 14 Nr.24, SozR 3-2200 § 14 Nrn. 5, 6 und 12, jeweils m.w.N.). Hiervon ist vorliegend schon deswegen nicht auszugehen, weil der Kläger bereits seit dem Jahr 1997 eine Altersrente bezieht und der Vorgang - wie ausgeführt - nicht im Zusammenhang mit einer Renten- oder einer sonstigen Antragstellung bei der Sachbearbeitung der Beklagten vorlag. Zwar hatte sich der Kläger im Jahr 1998 an die Beklagte gewandt mit der Bitte, seine Antragsunterlagen für eine schweizerische Altersrente an den dortigen zuständigen Versicherungsträger weiterzuleiten, worauf dieser am 14.04.1999 von der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (AHV-IV) eine Meldung des schweizerischen Versicherungsverlaufs mit einem Rentenbeginn 01.05.1999 (Rentenhöhe 705,- FR) übersandt worden war. Zu diesem Zeitpunkt war das AÜF aber noch nicht einmal abgeschlossen und erst Recht nicht ratifiziert bzw. in Kraft getreten. Zudem war es - auch nach Abschluss des Abkommens (21.06.1999) bzw. dessen Ratifizierung - für die Beklagte nicht ohne Weiteres ersichtlich, ob und in welcher Höhe sich unter Einbeziehung der schweizerischen Versicherungszeiten möglicherweise (insgesamt) eine höhere Rentenleistung für den Kläger ergeben würde. Dies hätte einer Vergleichsberechnung und in diesem Zusammenhang der Einholung eines aktuellen Versicherungsverlaufs des schweizerischen Rentenversicherungsträgers bedurft, wozu die Beklagte ohne konkreten, hier nicht erkennbaren Anlass nicht verpflichtet war. Unter diesen Umständen scheidet auch die Verletzung der Hinweispflicht aus § 115 Abs. 6 SGB VI aus. Vielmehr genügte die Beklagte - auch gegenüber dem Kläger - ihrer Beratungs- und Informationspflicht durch die erfolgte Öffentlichkeitsinformation in Gestalt der genannten Pressemitteilungen.

Nach alledem ist der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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