L 9 SO 391/12 B ER; L 9 SO 392/12 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 205/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 391/12 B ER; L 9 SO 392/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
In einem auf die Gewährung höherer Sozialhilfeleistungen zur Deckung des Unterkunftsbedarfs gerichteten einstweiligen Anordnungsverfahren ist auch bei anhängiger Räumungsklage ein Anordnungsgrund regelmäßig nur dann gegeben, wenn der geltend gemachte Anspruch auf Übernahme der Mietrückstände in vollem Umfang glaubhaft gemacht werden kann.
Die Beschwerden des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 06.09.2012 werden zurückgewiesen. Kosten sind in den Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die zulässigen Beschwerden des Antragstellers vom 08.10.2012 gegen den am 11.09.2012 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts (SG) Gelsenkirchen vom 06.09.2012 sind nicht begründet.

1. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt, denn der im Beschwerdeverfahren allein weiterverfolgte Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Mietrückstände des Antragstellers in Höhe von 1.004,- Euro darlehensweise zu übernehmen, ist unbegründet. Es fehlt in dem für das Beschwerverfahren maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats schon deshalb an einen Anordnungsgrund, weil der Antragsteller aktuell nicht mehr von Wohnungslosigkeit bedroht ist.

In dem die Räumungsklage seines Vermieters betreffenden Verfahren vor dem Amtsgericht I hat sich der Antragsteller am 22.10.2012 mit seinem Vermieter dahingehend verglichen, dass sich der Antragsteller zwar zur Räumung seiner Wohnung bis zum 31.12.2012 verpflichtet hat, der Vermieter jedoch auf seinen Räumungsanspruch verzichtet, wenn der Antragsteller sämtliche titulierten rückständigen Mietforderungen einschließlich der in der Vergangenheit im Zusammenhang mit diversen Zwangsvollstreckungen angefallenen Kosten bis zum 30.11.2012 begleicht. Hierzu war bzw. ist der Antragsteller nunmehr auch ohne die begehrte darlehensweise Übernahme von Mietschulden durch die Antragsgegnerin finanziell in der Lage, denn die Deutsche Rentenversicherung Westfalen hat die im Bescheid vom 09.08.2012 festgestellte Rentennachzahlung am 17.10.2012 abgerechnet und die Rentennachzahlung abzüglich der Erstattungsansprüche in Höhe von 13.386,16 Euro auf das Konto des Antragstellers überwiesen. Der Antragsteller kann deshalb auch unter Berücksichtigung weiterer Mietrückstände aus den amtgerichtlichen Verfahren 18 C 7/12 und 18 C 40/12 (nach den Angaben des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin insgesamt 1.233,24 Euro) und der angefallenen Zwangsvollstreckungskosten ohne die begehrten Leistungen der Antragsgegnerin den Verlust seiner Wohnung offensichtlich aus eigener Kraft abwenden. Einer einstweiligen Anordnung bedarf es schon deshalb nicht mehr.

2. Das SG hat im Ergebnis auch den Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das erstinstanzliche einstweilige Anordnungsverfahren zu Recht wegen fehlender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung gemäß § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) abgelehnt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist insoweit zwar der Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs nach Eingang aller für die Bedürftigkeitsprüfung notwendigen Unterlagen am 31.08.2012. Es fehlte aber bereits zu diesem Zeitpunkt - ungeachtet der damals noch nicht überwiesenen Rentennachzahlung - an dem nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO erforderlichen Anordnungsgrund. In jedem Fall war zu diesem Zeitpunkt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes derart unwahrscheinlich, dass allenfalls ganz entfernte Erfolgsaussichten bestanden, die die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht rechtfertigen (vgl. insoweit BVerfGE 81, 347 (357)).

a) Ein Anordnungsgrund ist nur dann im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht, wenn es überwiegend wahrscheinlich ist, dass es dem Antragsteller bei Abwägung aller betroffenen Interessen unzumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dies ist dann der Fall, wenn die Hauptsacheentscheidung zu spät käme und dem Antragsteller deshalb schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären (vgl. insoweit auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, juris Rn. 24). Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sowie der übrigen für das Recht der Sozialhilfe und das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des LSG NRW liegen diese Voraussetzungen in einem auf die Gewährung von Leistungen für die Unterkunft gerichteten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (erst) dann vor, wenn eine Räumungsklage anhängig ist und der Antragsteller konkret von Wohnungslosigkeit bedroht ist. Denn nach Erhebung der Räumungsklage kann der Mieter gem. § 569 Abs. 3 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) noch binnen zwei Monaten durch vollständige Zahlung der Rückstände die Kündigung des Vermieters unwirksam machen (vgl. insoweit zuletzt den Beschluss des Senats vom 20.09.2012 - L 9 SO 333/12 B ER -, juris Rn. 2 m.w.N.).

Auch in einem solchen Fall, wie er hier in Anbetracht der bereits bei Eingang des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erhobenen Räumungsklage vorlag, besteht aber regelmäßig nur dann ein Anordnungsgrund, wenn unter Berücksichtigung der gebotenen abschließenden, nicht nur summarischen Prüfung (vgl. insoweit BVerfG, a.a.O., Rn. 25) ein Anspruch auf Übernahme sämtlicher Mietrückstände besteht oder überwiegend wahrscheinlich ist, d.h. der geltend gemachte Anordnungsanspruch in vollem Umfang gegeben ist oder glaubhaft gemacht werden kann. Kann der Antragsteller den geltend gemachten Anordnungsanspruch nur teilweise glaubhaft machen, mit der Folge, dass die zuständige Behörde nur zur Übernahme eines Teils der Mietrückstände verurteilt werden könnte, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung in der Regel von vornherein nicht geeignet, den geltend gemachten schweren Nachteil des Verlustes der Wohnung zu verhindern, denn § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB verlangt die vollständige Befriedigung des Vermieters. In diesem Fall ist dem Antragsteller das Abwarten der Hauptsache nicht unzumutbar, denn er hat dann allenfalls Anspruch auf weitere finanzielle Mittel, die den Verlust der Wohnung nicht verhindern können, und von denen er deshalb aktuell nicht mehr profitieren könnte als nach Entscheidung in der Hauptsache. Etwas anderes gilt dann, wenn der Antragsteller über zusätzliche eigene Mittel verfügt und mit diesen Mitteln und den hinter dem Begehren zurückbleibenden Leistungen für die Unterkunft aus den Mitteln der Sozialhilfe oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende zusammen die Mietrückstände vollständig begleichen kann.

b) Nach diesen Grundsätzen hatte der Antragsteller im Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs am 31.08.2012 weder einen Anordnungsgrund glaubhaft gemach, noch war eine solche Glaubhaftmachung im Fortgang des Verfahrens hinreichend wahrscheinlich, wie es § 114 Satz 1 ZPO verlangt. Es war auch unter Berücksichtigung des Gebots einer abschließenden Prüfung ausgeschlossen bzw. gänzlich unwahrscheinlich, dass der geltend gemachte Anspruch auf Übernahme der in der Räumungsklage streitgegenständlichen Mietrückstände in Höhe von 1.004,- Euro in vollem Umfang bestand oder bestehen konnte. Der Antragsteller, der in der Vergangenheit stets maximal die hinter den tatsächlichen Mietkosten zurückbleibenden Leistungen der Antragsgegnerin an seinen Vermieter weitergeleitet hat, verfügte vor Zufluss der Rentennachzahlung am 17.10.2012 und damit während des gesamten erstinstanzlichen Verfahrens auch offensichtlich nicht über zusätzliche eigene Mittel, die er ergänzend zu etwaigen Teilleistungen der Antragsgegnerin zur Tilgung der Mietrückstände hätte verwenden können.

aa) Der ausdrücklich geltend gemachte prozessuale Anspruch konnte bereits von vornherein nicht in vollem Umfang bestehen.

Ausgehend von dem Antrag und den sonstigen Ausführungen des vor dem SG anwaltlich vertretenen Antragstellers ist und war Gegenstand des einstweiligen Anordnungsverfahrens allein die Übernahme von Schulden gemäß § 36 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Nur hierauf bezogen sich auch der Antrag des Antragstellers bei der Antragsgegnerin und deren ablehnender Bescheid vom 07.08.2012. Bei der Übernahme von Schulden handelt es sich um einen selbstständigen Streitgegenstand, der von der Bewilligung höherer Leistungen für Unterkunft und Heizung zu unterscheiden ist (vgl. BSG, Urt. v. 17.06.2010 - B 14 AS 58/09 R -, juris Rn. 12, 14).

Die sowohl im vorliegenden Verfahren als auch in dem Räumungsklageverfahren streitgegenständlichen Mietrückstände in Höhe von 1.004,- Euro stellen jedoch lediglich zu einem Teil Schulden im Sinne von § 36 Abs. 1 SGB XII dar.

Die Abgrenzung von Schulden für eine Unterkunft von den übrigen Kosten der Unterkunft und Heizung ist unabhängig von der zivilrechtlichen Einordnung zu treffen. Ausgehend von dem Zweck der Leistungen nach dem SGB XII ist danach zu unterscheiden, ob es sich um einen tatsächlich eingetretenen und bisher noch nicht von dem Sozialhilfeträger gedeckten Bedarf handelt oder nicht. Schulden liegen daher zum einen vor, wenn und soweit es sich um Verpflichtungen aus dem Mietverhältnis handelt, die bereits vor Eintritt der Bedürftigkeit begründet worden sind, und der Hilfebedürftige seinen fälligen Verpflichtungen aus dem Mietverhältnis in Zeiträumen nicht nachkommt, in denen er keine Sozialhilfeleistungen bezogen hat. Zum anderen können Schulden im sozialhilferechtlichen Sinne dadurch entstehen, dass der Leistungsempfänger die bewilligten Leistungen für die Unterkunft nicht zweckentsprechend verwendet und keine bzw. hinter den Sozialhilfeleistungen zurückbleibende Zahlungen an seinen Vermieter erbringt. Soweit Mietrückstände demgegenüber daraus resultieren, dass der Sozialhilfeträger Leistungen für die Unterkunft in einem Umfang erbringt, der hinter den tatsächlichen Kosten für die Unterkunft zurückbleibt, scheidet § 36 Abs. 1 SGB XII als Anspruchsgrundlage aus. Der Hilfebedürftige muss insoweit vielmehr einen Anspruch auf höhere Leistungen nach § 35 Abs. 1 und 2 SGB XII geltend machen und die entsprechenden Bewilligungsbescheide angreifen (vgl. zum Ganzen BSG, Urt. v. 17.06.2010 - B 14 AS 58/09 R -, juris Rn. 17 ff.; Urt. v. 24.11.2011 - B 14 AS 121/10 R - juris Rn. 15).

Der ausdrücklich geltend gemachte Anspruch auf Schuldenübernahme bestand daher in einem Umfang von 546,- Euro von vornherein nicht, denn insoweit lagen keine Schulden im Sinne von § 36 Abs. 1 SGB XII vor. Ausgehend von der Aufstellung des Vermieters in der Räumungsklageschrift vom 17.07.2012 stellen vielmehr nur die Rückstände aus September 2011 in Höhe von 100,- Euro, aus November 2011 in Höhe von 50,- Euro und aus Juli 2012 in Höhe von 308,- Euro Schulden im sozialhilferechtlichen Sinne dar, denn diese Rückstände resultieren daraus, dass der Antragsteller die bewilligten Leistungen der Antragsgegnerin, die bis einschließlich Oktober 2011 in Höhe der tatsächlichen Unterkunftskosten von 386,- Euro Bruttokaltmiete (Nettokaltmiete zuzüglich Betriebskostenvorauszahlung) und ab November 2011 in Höhe von 308,- Euro an den Antragsteller gezahlt wurden, nicht an seinen Vermieter weiter geleitet hat. Soweit der Kläger demgegenüber in der Zeit von November 2011 bis Juli 2012 einen um 78,- Euro hinter der vereinbarten Bruttokaltmiete zurückbleibenden Betrag an seinen Vermieter gezahlt hat, resultieren diese Rückstände (insgesamt 546,- Euro) allein daraus, dass die Antragsgegnerin nicht die tatsächlichen Unterkunftskosten übernommen, sondern lediglich Leistungen in Höhe von 308,- Euro erbracht hat. Insoweit handelt es sich allenfalls um einen nach § 35 Abs. 1 und 2 SGB XII zu deckenden Bedarf, nicht aber um Schulden im Sinne von § 36 Abs. 1 SGB XII.

bb) Ein Anspruch auf vollständige Übernahme der in der Räumungsklage anhängigen Mietrückstände von 1.004,- Euro wäre auch dann von Anfang an völlig unwahrscheinlich gewesen, wenn man in Anwendung des Meistbegünstigungsgrundsatzes davon ausginge, dass der Antragsteller mit dem vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch die einstweilige Gewährung höherer Leistungen für die Unterkunft nach § 35 Abs. 1 SGB XII in einem Umfang von 546,- Euro begehrt. Denn es ist ausgeschlossen bzw. gänzlich unwahrscheinlich, dass der Antragsteller nach § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII Anspruch auf Leistungen in Höhe seiner tatsächlichen Aufwendungen hat, weil diese Aufwendungen nicht angemessen sind. Deshalb wäre im Übrigen auch die Übernahme der nach den vorstehenden Ausführungen in Höhe von 458,- Euro bestehenden Schulden im sozialhilferechtlichen Sinne, wie das SG insoweit zutreffend dargelegt hat, nicht im Sinne von § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gerechtfertigt.

Übersteigen die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, sind sie gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII insoweit als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 27 Abs. 2 SGB XII zu berücksichtigen sind, anzuerkennen. Dies gilt allerdings nur so lange, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (§ 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII).

Dass der Antragsteller nach diesen Vorgaben einen Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten hat, war zu keinem Zeitpunkt hinreichend wahrscheinlich.

(1) Die vom Antragsteller geschuldet Bruttokaltmiete von 386,- Euro monatlich (306,- Euro Nettokaltmiete + 80,- Betriebskostenvorauszahlung ohne Heizkosten) übersteigt offensichtlich den angemessene Umfang.

(a) Zur Festlegung der abstrakt angemessenen Leistungen für die Unterkunft ist zunächst die angemessene Wohnungsgröße und der maßgebliche örtliche Vergleichsraum zu ermitteln. Angemessen ist eine Wohnung weiter nur dann, wenn sie nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entspricht und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist, wobei es genügt, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, angemessen ist (st. Rspr. des BSG zum insoweit entsprechenden Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende, vgl. zusammenfassend zuletzt BSG, Urt. v. 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R -, juris Rn. 14 m.w.N.). Der in das Produkt einzubeziehende Faktor ?Standard? wird dabei durch einen Mietpreis pro qm (Netto)Kaltmiete abgebildet. Dieser ist aufgrund eines sogenannten ?schlüssigen Konzeptes?, das den in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Anforderungen genügen muss, zu ermitteln. Der Grundsicherung- bzw. der Sozialhilfeträger hat dabei einen einfachen, im unteren Marktsegment liegenden Standard zugrunde zu legen; die Wohnung muss hinsichtlich ihrer Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügen. Der Referenzmietpreis pro qm muss dabei so gewählt werden, dass es dem Hilfebedürftigen möglich ist, im konkreten Vergleichsraum eine "angemessene" Wohnung anzumieten. Grundlage für die Bestimmung der angemessenen Referenzmiete im Rahmen eines schlüssigen Konzeptes können dabei auch einfache und qualifizierte Mietspiegel sein (zum Ganzen grundlegend BSG, Urt. v. 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R -, juris Rn. 25, 27 ff.).

Fehlt es an einem schlüssigen Konzept des zuständigen Leistungsträgers, hat das Sozialgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht die verfügbaren lokalen Erkenntnisquellen auszuschöpfen und ggf. mit sachverständiger Hilfe den ortsüblichen, im unteren Marktsegment liegenden Referenzmietzins pro qm zu ermitteln. Erst wenn Mietspiegel und weitere Erkenntnismöglichkeiten und -mittel nicht vorhanden sind, Sachverständigengutachten nicht mehr eingeholt werden können und deshalb mangels hinreichender Datengrundlage die Entwicklung eines schlüssigen Konzeptes für den maßgeblichen Vergleichsraum und den streitgegenständlichen Zeitraum ausscheidet, kann als Angemessenheitsobergrenze auf die Tabellenwerte des § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) bzw. des § 8 WoGG in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (WoGG a.F.), dann aber zuzüglich eines Zuschlags von 10%, zurückgegriffen werden, wobei dieser Wert dann die angemessenen kalten Betriebskosten umfasst (vgl. zum Ganzen BSG, Urt. v. 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R -, juris Rn. 16 ff. m.w.N.).

Soweit kein Rückgriff auf die Tabellenwerte des WoGG erfolgt oder erfolgen darf, sind die abstrakt angemessenen kalten Betriebskosten anhand von Betriebskostenübersichten in das Produkt mit einzubeziehen, wobei möglichst auf örtliche Übersichten zurückzugreifen ist (vgl. BSG, Urt. v. 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R -, juris Rn. 33 f.).

Steht die abstrakt angemessene Miete nach diesen Grundsätzen fest, ist dann - falls insofern vom Hilfebedürftigen Einwände vorgebracht werden - zu prüfen, ob in dem örtlichen Vergleichsraum eine solche abstrakt angemessene Wohnung auch tatsächlich hätte angemietet werden können. Dies wird jedenfalls dann vermutet, wenn ein qualifizierter Mietspiegel, der in einem wissenschaftlich gesicherten Verfahren aufgestellt wurde, der Bestimmung des angemessenen Quadratmeterpreises für die Kaltmiete zugrunde liegt und entweder der Durchschnittswert dieses Mietspiegels angewandt wird oder dem Mietspiegel Aussagen zur Häufigkeit von Wohnungen mit dem angemessenen Quadratmeterpreis entnommen werden können (vgl. BSG, Urt. v. 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R -, juris Rn. 30). Bei Rückgriff auf die Tabellenwerte des WoGG sind demgegenüber weitere Feststellungen insoweit notwendig (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R -, juris Rn. 21).

(b) Nach diesen Grundsätzen sind die tatsächlichen Unterkunftskosten des Klägers offensichtlich unangemessen. Dabei kann der Senat im Hinblick auf die Ausführungen zu a) im vorliegenden Verfahren dahinstehen lassen, ob die von der Antragsgegnerin bewilligten Leistungen für Unterkunft ausreichend sind und wie hoch die im Sinne von § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII angemessenen Kosten der Unterkunft unter Berücksichtigung der Vorgaben des BSG tatsächlich sind. Es kann deshalb ebenfalls dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Gebots einer abschließenden Prüfung, das die Ausschöpfung der aus fachrichterlicher Sicht zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts gebotenen Ermittlungsmaßnahmen von Amts wegen verlangt, in einem die Leistungen für Unterkunft betreffenden einstweiligen Anordnungsverfahren der Rückgriff auf die Tabellenwerte des WoGG zulässig ist. In jedem Fall steht es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass die tatsächlichen Aufwendungen des Antragstellers das Maß des Angemessenen übersteigen.

Ausgehend von der seit dem 01.01.2010 in Nordrhein-Westfalen geltenden angemessene Wohnungsgröße für einen Ein-Personen-Haushalt von 50 qm (dazu im Einzelnen BSG, Urt. v. 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R -, juris Rn. 17 ff.), wäre die vom Antragsteller geschuldete Nettokaltmiete von 306,- Euro als Produkt aus angemessener Wohnfläche und angemessenem Standard nur dann abstrakt angemessen, wenn der im Gebiet der Antragsgegnerin, bei dem es sich um einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich handelt und das deshalb den räumlichen Vergleichmaßstab bildet (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 24 m.w.N.), ortübliche Mietzins im unteren Marktsegment 6,12 Euro pro qm (306,- Euro dividiert durch 50 qm) betragen würde. Dies ist ausgeschlossen. Der aktuelle Mietspiegel I (Stand: 01.01.2011), bei dem es sich um einen qualifizierten Mietspiegel im Sinne von § 558d BGB handelt und der nach der Rechtsprechung des BSG zur Bestimmung der abstrakt angemessenen Referenzmiete herangezogen werden kann, weist für nicht preisgebundene Wohnungen mit einer Größe von 40 bis unter 60 qm in normaler Wohnlage mit Heizung, Bad/WC und Isolierverglasung, die im Zeitraum vor 1948 bis 2009 errichtet wurden, Mietrichtwerte von 4,50 Euro bis 5,90 Euro aus. Ein Mietpreis von 6,12 Euro entspricht deshalb offensichtlich nicht dem in I üblichen Mietzins für eine Wohnung, die hinsichtlich ihrer Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt.

Auch unter Berücksichtigung abstrakt angemessener Betriebskosten ist es offensichtlich, dass die vom Antragsteller zu zahlende Bruttokaltmiete von 386,- Euro unangemessen ist. Greift man mangels in I vorhandener örtlicher Übersichten auf die Werte des Betriebskostenspiegels des Deutschen Mieterbundes Nordrhein-Westfalen e.V. für Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2011 zurück, ergeben sich ohne Heizung und Warmwasser, für die gemäß §§ 30 Abs. 7, 35 Abs. 4 SGB XII gesonderte Leistungen erbracht werden, Kosten in Höhe von 1,94 Euro pro qm. Abstrakt angemessen wären danach 97,- Euro (50 qm x 1,94 Euro pro qm). Dieser Wert übersteigt zwar die vom Antragsteller tatsächlich geschuldete Betriebskostenvorauszahlung von 80,- Euro. Dennoch übersteigt die gesamte Bruttokaltmiete das Maß des Angemessenen offensichtlich deutlich.

Unter Berücksichtigung abstrakt angemessener Betriebskosten von 97,- Euro dürfte für die Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten des Antragstellers die abstrakt angemessene Nettokaltmiete maximal 289,- Euro (386,- Euro - 97,- Euro) betragen, was wiederum voraussetzen würde, dass der abstrakt angemessene Mietzins pro qm in I bei 5,78 Euro (289,- Euro dividiert durch 50 qm) liegt. Es ist jedoch offensichtlich oder jedenfalls überwiegend wahrscheinlich, dass der marktübliche Mietzins pro qm für eine nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügende Wohnung in I diesen Betrag deutlich unterschreitet. Der Betrag von 5,78 Euro entspricht ungefähr dem Mietrichtwert nach dem Mietspiegel I für die jüngste von sieben Baualtersklassen, d.h. für nicht preisgebundene Wohnungen mit einer Größe von 40 bis unter 60 qm in normaler Wohnlage mit Heizung, Bad/WC und Isolierverglasung, die zwischen 2001 und 2009 bezugsfertig wurden (5,80 Euro pro qm). Berücksichtigt man nun, dass es nach der Rechtsprechung des BSG zulässig ist, einen aufgrund eines qualifizierten Mietspiegels nach Baualtersklassen entsprechend der relativen Häufigkeit gewichteten Mittelwert als angemessene Referenzmiete zugrunde zu legen (vgl. hierzu zuletzt BSG, Urt. v. 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R -, juris Rn. 33 m.w.N.) und dass der Mietrichtwert für nicht modernisierte Wohnungen, die bis 1978 errichtet wurden, deutlich unter 5,- Euro liegt, drängt es sich auf, dass der in I im unteren Marktsegment übliche Mietzins deutlich unter 5,80 Euro liegen muss.

Ebenso ist es aufgrund des Mietspiegel I offensichtlich, dass dem Antragsteller die Anmietung einer Wohnung mit einer Bruttokaltmiete von weniger als 386,- Euro tatsächlich möglich war.

Vor diesem Hintergrund waren weitere Ermittlungen für die Feststellung, dass unter Berücksichtigung der Ausführungen zu a) ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht ist oder gemacht werden kann, entbehrlich. In jedem Fall war nicht zu erwarten, dass eine weitergehende Auswertung des dem Mietspiegel I zugrunde liegenden Datenmaterials dazu führen würde, dass die tatsächlichen Unterkunftskosten des Antragstellers als angemessen zu bewerten sein würden. Es fehlte deshalb insoweit auch an hinreichenden Erfolgsaussichten im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO.

(2) Die tatsächlichen Unterkunftskosten sind und waren auch nicht trotz ihrer Unangemessenheit nach § 35 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB XII zu übernehmen. Die Regelhöchstfrist von sechs Monaten ist durch die Gewährung von Leistungen in Höhe der tatsächlichen Kosten bis einschließlich Oktober 2011 vollständig ausgeschöpft worden. Warum es dem Antragsteller auch danach nicht möglich oder nicht zuzumuten gewesen sein soll, die Unterkunftskosten zu senken, ist nicht ansatzweise ersichtlich. Soweit er die ?Rechtswidrigkeit des Senkungsverfahrens? rügt und damit wohl sinngemäß geltend macht, die Antragsgegnerin habe ihn über die Höhe des angemessenen Mietzinses unzutreffend informiert, verkennt er, dass § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII ebenso wie § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II keine über eine Aufklärungs- und Warnfunktion hinausgehenden Anforderungen stellt und es deshalb grundsätzlich genügt, wenn der zuständige Leistungsträger den Leistungsempfänger über die aus seiner Sicht angemessenen Unterkunftskosten sowie über die aus seiner Sicht bestehende Rechtslage hinreichend informiert. Der Streit darüber, ob die vom Leistungsträger vorgenommene Einschätzung über die Angemessenheit der Unterkunftskosten zutreffend ist, ist grundsätzlich bei der Frage zu klären, welche Aufwendungen im Sinne von § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII abstrakt angemessen sind. Insoweit gilt nichts anderes als im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (vgl. vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R -, juris Rn. 19 m.w.N.).

II.

Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Beschwerdeverfahren ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung nach den vorstehenden Ausführungen zu keinen Zeitpunkt hinreichende Aussicht auf Erfolg bot (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO). Soweit sich der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch auf die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch das SG bezog, ist dieser Antrag im Übrigen schon deshalb abzulehnen, weil die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Prozesskostenhilfeverfahren selbst nicht in Betracht kommt.

III.

Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde die Ablehnung seines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das SG angegriffen hat, folgt die Kostenentscheidung aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Soweit sich seine Beschwerde gegen die Ablehnung seines Antrages auf Prozesskostenhilfe richtet, werden Kosten im Beschwerdeverfahren nicht erstattet (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

IV.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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