L 10 R 3970/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 4229/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3970/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 18.08.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung streitig.

Die am 1956 geborene, aus K. stammende Klägerin erlernte keinen Beruf. Nach ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland war sie von 1993 bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit im Oktober 2004 als Küchenhilfe beschäftigt. Im Mai 2008 nahm sie im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung wieder eine Tätigkeit als Küchenhilfe auf.

Im Januar/Februar 2005 wurde die Klägerin wegen einer chronisch rezidivierenden Lumboischialgie rechts bei Spinalstenose L3/4 und L4/5 und einer chronisch rezidivierenden Cervikobrachialgie in der Reha-Klinik Ü. stationär behandelt. Nach zunehmenden Schmerzen erfolgte im Februar 2006 eine Dekompressionsoperation, an die sich eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der R. Bad R. anschloss. Im Hinblick auf die dadurch gebesserte Schmerzsituation erachteten die behandelnden Ärzte die Klägerin für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig leistungsfähig, bei Vermeidung von Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 15 kg vor dem Körper bzw. 10 kg mit ausgestreckten Armen, Zwangshaltungen, Bücken, fixiertem Sitzen und Stoß- und Erschütterungsbelastungen auch in der bisherigen Tätigkeit als Küchenhilfe. Eine weitere stationäre Rehabilitationsmaßnahme führte die Klägerin im Juli/August 2007 in der R. Bad K. durch (Diagnosen: persistierende Lumboischialgie rechts bei Zustand nach Dekompression L 3 bis L 5 beidseits, Übergewicht, arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie). Die behandelnden Ärzte erachteten eine Tätigkeit als Küchenhilfe lediglich noch drei bis unter sechs Stunden täglich für zumutbar, sahen für leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Heben von Lasten über 5 kg und ohne Zwangshaltungen jedoch ein vollschichtiges Leistungsvermögen.

Den von der Klägerin sodann im Oktober 2007 gestellten Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08.11.2007 und Widerspruchsbescheid vom 22.02.2008 ab. Hierbei stützte sie sich auf das Gutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. B. , der die Leistungsfähigkeit der Klägerin zwar durch eine Minderbelastbarkeit auf Grund des rezidivierenden LWS-Syndroms eingeschränkt sah, jedoch leichte überwiegend im Sitzen ausgeübte Tätigkeiten bei Berücksichtigung weiterer qualitativer Einschränkungen (ohne häufiges Bücken, langes Stehen, knieende und hockende Tätigkeiten, ohne Zwangshaltungen der Wirbelsäule, ohne Besteigen von Gerüsten und Leitern, ohne Schichtarbeit) vollschichtig für möglich erachtete. Die Belastbarkeit in der Tätigkeit als Küchenhilfe sah er reduziert auf drei bis unter sechs Stunden täglich.

Im März 2009 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Der seitens der Beklagten nunmehr mit einer Begutachtung beauftragte Internist Dr. S. führte aus, zu den persistierenden Lumbalgien und Dorsalgien (ohne radikuläre Symptomatik) sei eine Polyneuropathie beider Beine hinzugetreten, wodurch im Gesundheitszustand der Klägerin eine Verschlechterung eingetreten sei. Diese wirke sich allerdings unmittelbar nicht weiter nachteilig auf das Leistungsvermögen aus. Entsprechendes gelte für die diagnostizierte arterielle Hypertonie sowie die beginnende Kniegelenksarthrose links. Auch er bejahte ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten ohne langes Verharren bzw. taktgebundene Tätigkeiten im Stehen oder Sitzen sowie Tätigkeiten im Bücken oder Hocken. Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 28.07.2009 und Widerspruchsbescheid vom 03.11.2009 ab.

Am 27.11.2009 hat die Klägerin dagegen beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, auch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes keine drei Stunden täglich mehr verrichten zu können.

Das SG hat den Arzt für Orthopädie Dr. S. , die Fachärztin für Neurologie Dr. S. und den Internisten Dr. S. schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Dr. S. hat von der durch die degenerativen LWS-Veränderungen bedingten chronischen Schmerzsymptomatik, einer mittelgradigen Gonarthrose im Kniegelenk links, einer Schmerzsymptomatik im Bereich der Schulter sowie einer Polyneuropathie unklarer Genese berichtet, wodurch die Belastbarkeit der Klägerin bei Arbeiten in Zwangshaltung und im Rahmen knieender Tätigkeiten massivst eingeschränkt sei. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin im Beruf als Küchenhilfe und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hat er auf weniger als drei Stunden täglich eingeschätzt. Dr. S. hat von einer durch eine Polyneuropathie bedingten leichten Gangunsicherheit mit Gleichgewichtsstörungen sowie einem Restless-Legs-Syndrom berichtet und im Hinblick auf die ausgeprägten degenerativen LWS-Veränderungen längeres Stehen sowie das Heben schwerer Lasten nicht mehr für möglich erachtet. Die Tätigkeit als Küchenhilfe sowie leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes hat sie noch vier bis weniger als sechs Stunden täglich für möglich gehalten. Dr. S. hat über das bekannte LWS-Syndrom und die Polyneuropathie sowie eine leichtgradige Gonarthrose links berichtet, was mit der Tätigkeit als Küchenhilfe nicht vereinbar sei. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne längeres Stehen, häufiges Bücken, häufiges Heben schwerer Lasten sowie Schicht- und Akkordarbeit hat er drei bis unter sechs Stunden täglich für möglich erachtet. Die im Übrigen bestehenden Gesundheitsstörungen (Reizmagen, Refluxösophagitis Grad 1, multiple Schmerzmittelunverträglichkeiten, arterielle Hypertonie, leichte Hypercholesterinämie) wirkten sich bei einer beruflichen Tätigkeit nicht wesentlich nachteilig aus. Das SG hat sodann das Gutachten des Orthopäden Dr. H. auf Grund Untersuchung der Klägerin vom 18.06.2010 eingeholt. Der Sachverständige hat ein Lumbalsyndrom bei erheblichen degenerativen Veränderungen mit Osteochondrosen aller lumbalen Segmente sowie Spondylarthrosen der mittleren und unteren LWS mit schmerzhaftem Bewegungsdefizit (ohne Anhaltspunkte für Nervenwurzelreiz- oder -ausfallserscheinungen) und eine lateral und beginnend retropatellar betonte Gonarthrose des linken Kniegelenks (ohne Reizzustand) diagnostiziert und leichte, überwiegend sitzende Tätigkeiten zumindest sechs Stunden täglich für zumutbar erachtet, wobei die Klägerin die Möglichkeit eines Positionswechsels zum Stehen und Umhergehen (Bewegungspausen ca. einmal stündlich) haben sollte. Zu vermeiden seien im Übrigen andauerndes Stehen und Steigen auf Leitern oder Treppen, Arbeiten in ständig vornüber geneigter oder einseitig statisch ungünstiger Körperhaltung, Arbeiten in der Hocke sowie unter Kälte-, Nässe- oder Zuglufteinwirkung. Bei Tätigkeiten im Sitzen solle auf einen ergonomischen, sog. bandscheibengerechten Arbeitsplatz geachtet werden. Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das SG ferner das nervenärztliche Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. B. eingeholt, der die Klägerin auf Grund der diagnostizierten Erkrankungen (Spinalkanalstenosen L 3/4 sowie L 4/5, Zustand nach Spinalkanaldekompression, chronifiziertes Schmerzsyndrom der LWS bei fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen, Gonarthrose linkes Kniegelenk, distal symmetrische, rein sensible Polyneuropathie der Beine unklarer Genese, arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie, Somatisierungsstörung, chronifizierte Dysthymie) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr für einsetzbar erachtet hat. Zu den dagegen für die Beklagte erhobenen Einwendungen der Fachärztin für Chirurgie Dr. L. hat sich der Sachverständige ergänzend geäußert.

Mit Urteil vom 18.08.2011 hat das SG die Klage gestützt auf das Gutachten des Dr. H. mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin könne leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit zum Positionswechsel unter Berücksichtigung der von Dr. H. dargelegten qualitativen Einschränkungen zumindest sechs Stunden täglich verrichten und sei daher nicht erwerbsgemindert. Die Leistungseinschätzung des Prof. Dr. B. hat es nicht für überzeugend erachtet, da der Sachverständige diese auf die subjektive Beschwerdeschilderung der Klägerin, nicht aber auf die von ihm objektiv erhobenen psychischen Befunde gestützt habe.

Am 05.09.2011 hat die Klägerin dagegen beim SG Berufung zum Landessozialgericht (LSG) eingelegt und unter Hinweis auf die von den behandelnden Ärzten und dem Sachverständigen Prof. Dr. B. getroffene Leistungsbeurteilung geltend gemacht, auch leichte Tätigkeiten nicht mehr vollschichtig verrichten zu können. Soweit der Sachverständige Dr. H. zahlreiche Anforderungen an einen konkreten Arbeitsplatz gestellt habe, resultierten daraus so vielfältige Einschränkungen, so dass ihr der Arbeitsmarkt verschlossen sei. Mit der Einschränkung, wonach sie stündlich eine Bewegungspause benötige, habe er sich im Übrigen dem Erfordernis einer betriebsunüblichen Pause genähert. Im Übrigen habe das SG aber auch ihre psychischen Erkrankungen nicht hinreichend berücksichtigt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 18.08.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.11.2009 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung ab 16.03.2009 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig und hat sozialmedizinische Stellungnahmen der Fachärztin für Chirurgie Dr. L. vorgelegt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheidet, ist zulässig; die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 28.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin ist im Sinne der maßgeblichen Rechtsvorschriften weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weshalb ihr weder Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung zusteht.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs (§§ 43, 240 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs - SGB VI) im Einzelnen dargelegt und mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass die Klägerin trotz der bei ihr bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt, weil sie bei Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen (ohne andauerndes Stehen und Steigen auf Leitern oder Treppen, ohne Arbeiten in ständig vornüber geneigter oder einseitig statisch ungünstiger Körperhaltung, ohne Arbeiten in der Hocke sowie unter Kälte-, Nässe- oder Zuglufteinwirkung) leichte, überwiegend im Sitzen auszuübende Tätigkeiten mit der Möglichkeit eines Positionswechsels zumindest noch sechs Stunden täglich verrichten kann, mit diesem Leistungsvermögen weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vorliegt und teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit schon deshalb ausscheidet, weil es sich bei der von der Klägerin zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Küchenhilfe um eine ungelernte Tätigkeit handelt, wodurch sie keinen Berufsschutz genießt und auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verwiesen werden kann. Der Senat teilt insbesondere die auf das Gutachten des Dr. H. gestützte Leistungsbeurteilung des SG, die ausgehend von den im Vordergrund der Beeinträchtigungen der Klägerin stehenden degenerativen Veränderungen im Bereich der LWS und einem daraus resultierenden chronischen Schmerzsyndrom ohne weiteres nachvollzogen werden kann, während die von Prof. Dr. B. abgegebene Leistungsbeurteilung nicht schlüssig nachvollziehbar ist und damit nicht überzeugt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung.

In Bezug auf die Leistungseinschätzung des Prof. Dr. B. , wonach die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr einsetzbar sei, weist der Senat angesichts des Berufungsvorbringens der Klägerin ergänzend darauf hin, dass die vom Sachverständigen vertretene Auffassung schon deshalb nicht überzeugen kann, weil sie nicht auf einer nachvollziehbaren Begründung beruht. So hat der Sachverständige seine Schlussfolgerung im Wesentlichen damit begründet, dass bei der Klägerin eine Multimorbidität vorliege, aus der zahlreiche Funktionsbeeinträchtigungen bzw. Funktionsdefizite resultierten. Die aus den entsprechenden Erkrankungen seines Erachtens konkret resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen hat der Sachverständige jedoch nicht dargelegt. Soweit er in diesem Zusammenhang ?eine sehr wesentliche Einschränkung ihrer sogenannten Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit?, ?chronische Schmerzzustände erheblichen Ausmaßes?, ?chronische Bewegungseinschränkungen?, ?chronische sensible Defizite?, ?hypertone Blutdruckschwankungen?, ?rezidivierend auftretende Bauchbeschwerden bedingt durch psychosomatische Einflüsse? sowie ?chronisch-depressive Zustände wechselnden Ausmaßes? aufgeführt hat, hat er lediglich Auffälligkeiten dargelegt, jedoch keine konkrete Einschränkung körperlicher oder seelischer Funktionen. Angesichts dessen kann auch nicht nachvollzogen werden, welche konkreten Funktionen körperlicher oder seelischer Art der Sachverständige bei der Klägerin eingeschränkt sieht und in welchem Ausmaß diese beeinträchtigt sind. Erst nach Darlegung dessen ist eine schlüssige Beurteilung möglich, ob und inwieweit Funktionsbeeinträchtigungen der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit entgegenstehen.

Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass der Sachverständige Prof. Dr. B. ?mit Empathie die Patienten angeht? und diese nicht heimlich zur Feststellung eines abweichenden Verhaltens beobachtet, stellt sich dies nicht als ein für die Überzeugungskraft seines Gutachtens sprechender Gesichtspunkt dar. Insoweit verkennt die Klägerin, dass es gerade Aufgabe des gerichtlichen Sachverständigen ist, den in der Untersuchungssituation auftretenden Widersprüchen, wie beispielsweise ein mit dem Verhalten nicht in Einklang stehendes Beschwerdevorbringen, nachzugehen und dieses im Rahmen des Gutachtens zu würdigen. Dieser Verpflichtung ist der Sachverständige Prof. Dr. B. aber nicht nachgekommen. So hat er im Rahmen des psychiatrischen Befundes beispielsweise Aggravationstendenzen und im Sozialkontakt eine durch Klagsamkeit geprägte Untersuchungssituation beschrieben, ohne diese Gesichtspunkte im Rahmen der Leistungsbeurteilung erkennbar zu berücksichtigen und zu bewerten. Soweit er in Bezug auf die angegebenen deutlichen Aggravationstendenzen ausgeführt hat, dies dürfe nicht dazu verleiten, das Ausmaß des Leidens zu verkennen, weil Menschen mit einer nur einfachen kognitiven Strukturierung in gutachtlichen Situationen fast ausnahmslos dazu tendierten, ihre Beschwerden zu verdeutlichen, weil sie ansonsten glauben, hinsichtlich ihrer Ansprüche aus der gutachterlichen Sicht nicht genügend gewürdigt zu werden, mag dies zwar eine Erklärung für das entsprechende Verhalten der Klägerin sein. Dies entbindet den Sachverständigen jedoch nicht davon, das entsprechende Vorbringen einer kritischen Würdigung zu unterziehen, und die geschilderten Beeinträchtigungen beispielsweise unter Heranziehung der Tagesstruktur oder Beobachtung des Verhaltens in vermeintlich unbeobachteten Situationen auf ihre Schlüssigkeit hin zu prüfen. Keinesfalls ist es gerechtfertigt das Beschwerdevorbringen trotz der erkennbaren Aggravationstendenzen, zumal wenn diese sogar deutlich hervortreten, der gutachterlichen Beurteilung der Leistungsfähigkeit zugrundezulegen. Den dargelegten Erfordernissen trägt das Gutachten des Prof. Dr. B. aber gerade nicht Rechnung.

Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, das SG habe ihre Erkrankungen von psychiatrischer Seite nicht hinreichend berücksichtigt, ist darauf hinzuweisen, dass mit der von dem Sachverständigen Prof. Dr. B. diagnostizierten Somatisierungsstörung und der chronifizierten Dysthymie keine schwerwiegenden und damit rentenrelevanten Erkrankungen vorliegen. Hierauf hat Dr. L. in ihrer Stellungnahme für die Beklagte ausführlich und zutreffend hingewiesen. Schließlich sucht die Klägerin die Fachärztin für Neurologie S. lediglich hinsichtlich der neurologischen Gesundheitsstörungen auf. Eine fachärztliche Behandlung der von Prof. Dr. B. diagnostizierten psychischen Störungen erfolgt somit nicht. Auch dies hat Dr. L. zutreffend dargelegt.

Soweit die Klägerin sich auf die Einschätzungen der behandelnden Ärzte Dr. S. , Dr. S. und Dr. S. stützt, lassen sich auch die Leistungsbeurteilungen dieser Ärzte jeweils nicht schlüssig nachvollziehen. So hat Dr. S. ausgeführt, die Klägerin sei durch die beschriebenen Gesundheitsstörungen bei Arbeiten in Zwangshaltung sowie im Rahmen einer knieenden Tätigkeit massivst eingeschränkt und hat dann geschlussfolgert, dass die Klägerin weder in dem Beruf als Küchenhilfe noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt drei Stunden täglich arbeiten könne. Eine derart gravierende Leistungseinschränkung selbst für leichte berufliche Tätigkeiten lässt sich aus der beschriebenen Minderbelastbarkeit jedoch nicht ableiten. Denn es ist nicht ersichtlich, weshalb auch für Tätigkeiten, die diesen Einschränkungen (ohne Zwangshaltungen, nicht knieend) gerade Rechnung tragen, ein aufgehobenes Leistungsvermögen bestehen soll. Soweit Dr. S. als Folge der ausgeprägten degenerativen LWS-Veränderungen langes Stehen sowie das Heben schwerer Lasten nicht mehr für möglich erachtet und aus der Polyneuropathie eine leichte Gangsicherheit hergeleitet hat, ist dies zwar schlüssig und ohne weiteres nachvollziehbar. Entsprechendes gilt für die Einschätzung, dass der Klägerin Tätigkeiten einer Küchenhilfe - hierbei handelt es sich um eher schwere Tätigkeiten - nicht mehr zugemutet werden können. Allerdings ist nicht verständlich, dass Dr. S. die quantitative Einschränkung, die sie für eine Tätigkeit als Küchenhilfe annimmt, gleichermaßen auch für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sieht. Denn leichte Tätigkeiten, mithin solche, die gerade nicht mit schwerem Heben verbunden sind, stellen sich als weit weniger körperlich belastend dar und können daher nicht ohne weiteres einer Tätigkeit einer Küchenhilfe gleichgestellt werden. Dr. S. hat demgegenüber zwar nachvollziehbar begründet, dass die Klägerin für Tätigkeiten als Küchenhilfe nicht mehr belastbar ist und bei Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen leichte Arbeiten möglich seien. Soweit er solche leichten Tätigkeiten dann allerdings lediglich noch in einem zeitlichen Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich für zumutbar erachtet hat, ist nicht erkennbar, welche Gründe für ihn maßgeblich sind, der Klägerin zwar Tätigkeiten von weniger als sechs Stunden noch zuzumuten, nicht aber solche im Umfang von sechs Stunden.

Soweit die Klägerin im Übrigen vorbringt, ihr als unqualifizierter Arbeitnehmerin im fortgeschrittenen Alter werde kein Arbeitgeber einen ergonomischen bandscheibengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung stellen, lässt sich auch hieraus der geltend gemachte Rentenanspruch nicht herleiten. Denn für die Frage, ob ein Versicherter erwerbsgemindert ist, ist gemäß § 43 Abs. 3 2. Halbsatz SGB VI die jeweilige Arbeitsmarktlage gerade nicht zu berücksichtigen.

Letztlich sieht der Senat im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin, Dr. H. gehe mit dem Erfordernis eines Haltungswechsels ca. einmal pro Stunde von der Notwendigkeit unüblicher Pausen aus, keine Notwendigkeit den Sachverständigen diesbezüglich ergänzend zu befragen. Denn mit der so beschriebenen Einschränkung hat Dr. H. ersichtlich lediglich deutlich gemacht, dass das überwiegende Sitzen durch einen regelmäßigen Haltungswechsel unterbrochen sein soll. Die Einlegung einer Arbeitspause zur Durchführung dieses Haltungswechsels hat er jedoch nicht gefordert. Vielmehr hat er lediglich eine Tätigkeit beschrieben, die Haltungswechsel ermöglicht, wie dies bei zahlreichen Tätigkeiten, die nicht unter Akkord- oder Fließbandbedingungen ausgeführt werden, der Fall ist.

Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist in einer Fallgestaltung, bei der der Versicherte - wie vorliegend die Klägerin - noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung von qualitativen Einschränkungen sechs Stunden täglich ausüben kann, regelmäßig nicht erforderlich (BSG, Urteil vom 14.09.1995, 5 RJ 50/94 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 50, auch zum Nachfolgenden). Denn nach der Rechtsprechung des BSG steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist. Nur ausnahmsweise ist für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten wie die Klägerin mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes sind bestimmte Fälle anerkannt (z.B. Einarmigkeit, vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.), zu denen der vorliegende Fall aber nicht gehört. Vielmehr braucht eine Verweisungstätigkeit erst benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG, a.a.O.; Urteil vom 27.04.1982, 1 RJ 132/80 in SozR 2200 § 1246 Nr. 90). Denn ein Teil dieser Einschränkungen stimmt bereits mit den Tätigkeitsmerkmalen einer körperlich leichten Arbeit überein; dies gilt insbesondere für die geminderte Fähigkeiten, Lasten zu bewältigen und die geringe Belastbarkeit der Wirbelsäule (BSG, SozR 3 a.a.O.) mit den hierauf beruhenden Einschränkungen. Nicht anders liegt der Fall der Klägerin. Auch bei ihr wird den qualitativen Einschränkungen im Wesentlichen bereits dadurch Rechnung getragen, dass ihr nur noch leichte Arbeiten zugemutet werden.

Die Berufung der Klägerin kann nach alledem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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