L 10 R 4047/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 3220/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 4047/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Anwendungsbereich der §§ 45 und 48 SGB X unterscheidet sich danach, ob die aufzuhebende Leistungsbewilligung im Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens (vgl. § 39 SGB X) rechtswidrig war - dann § 45 SGB X - oder erst danach - dann § 48 SGB X - rechtswidrig wurde. Die beiden Normen grenzen sich nach den objektiven Verhältnisses im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes, der aufgehoben werden soll, ab. Dabei ist die Verwaltung grundsätzlich verpflichtet, vor Erlass eines Bescheides die Sachlage vollständig abzuklären. Entsprechend sind im Zeitpunkt der Leistungsbewilligung bereits (objektiv) feststehende, die Höhe des Anspruchs betreffende Umstände, auch wenn sie in der Zukunft liegen, zu berücksichtigen. Steht im Zeitpunkt der Leistungsbewilligung also bereits fest (hier: durch einen weiteren Bewilligungsbescheid mit Leistungsbeginn in ca. fünf Monaten), dass künftig - hier: in fünf Monaten - die zu bewilligende Leistung nur in niedrigerer Höhe zusteht, ist eine Leistungsbewilligung in unverminderter Höhe auf Dauer - hier also: auch für die Zeit über fünf Monate hinaus - rechtswidrig und nur nach § 45 SGB X aufhebbar.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die teilweise Aufhebung einer Rentenbewilligung und die Erstattung einer Überzahlung in Höhe von 71.251,27 Euro.

Der am 1932 geborene Kläger ist geschieden. Dem Versicherungskonto seiner geschiedenen Ehefrau wurden im Rahmen des Versorgungsausgleich Rentenanwartschaften in Höhe von damals 880,95 DM bzw. 22,2596 Entgeltpunkte übertragen.

Mit Bescheid vom 03.02.1997 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Altersrente ab dem 01.02.1997. Die Berechnung der Rentenhöhe erfolgte unter Berücksichtigung des vorgenommenen Versorgungsausgleichs. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass eine Prüfung der Härteregelung nach § 5 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) noch erfolgen werde.

Der geschiedenen Ehefrau bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 12.06.1998 ab Dezember 1998 ebenfalls eine Altersrente. Bei der Berechnung der Höhe dieser Altersrente berücksichtigte sie die übertragenen Rentenanwartschaften.

Sodann erging zu Gunsten des Klägers der Rentenbescheid vom 03.07.1998, in dem die Beklagte eine Neuberechnung der Rente ab Februar 1997 und auf Dauer unter Anwendung des § 5 VAHRG vornahm (Nachzahlung für die Zeit von Februar 1997 bis Juli 1998 17.513,72 Euro, ab August 1998 höhere laufende Leistungen). Der Bescheid enthielt folgenden Hinweis: "Es besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns die Einstellung der Unterhaltsleistungen, den Wegfall der Unterhaltsverpflichtung, die Wiederheirat oder eine etwaige Rentenberechtigung des geschiedenen Ehegatten sowie dessen Tod unverzüglich mitzuteilen".

Seit dem 01.12.1998 zahlt die Beklagte die bewilligte Altersrente an die geschiedene Ehefrau aus. Dies war dem Kläger nach seinem eigenen Vorbringen bekannt und er gibt an, dies der Beklagten Anfang 1999 telefonisch mitgeteilt zu haben.

Anfang des Jahres 2010 bemerkte die Beklagte, nachdem in vergleichbaren Fällen eine stichprobenweise Überprüfung Rentenüberzahlungen ergeben hatte, dass auch die Rentenauszahlung an den Kläger nach wie vor unter Anwendung des § 5 VAHRG erfolgte, obwohl mit dem Beginn des Bezugs der Rente durch seine geschiedene Ehefrau die Voraussetzungen hierfür entfallen waren.

Deswegen hörte die Beklagte den Kläger im März 2010 an und nahm für die Zeit ab Mai 2010 eine Neuberechnung der Rente vor. Darüber hinaus hob die Beklagte mit Bescheid vom 28.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2010 den Rentenbescheid vom 03.07.1998 nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X - Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse) rückwirkend zum 01.12.1998 der Höhe nach teilweise auf und forderte die Erstattung der von Dezember 1998 bis Juni 2010 entstandenen Überzahlung in Höhe von 71.251,27 Euro (ab April 2010 ist kein Differenzbetrag mehr ausgewiesen). Zur Begründung führte sie aus, der Kläger hätte erkennen müssen, dass ihm die Rente ab dem 01.12.1998 wegen des Rentenbezuges seiner geschiedenen Ehefrau nicht mehr in der bisherigen Höhe zugestanden habe. Die Hinweise im Bescheid vom 03.07.1998 seien eindeutig gewesen. Da weder ein Fehlverhalten des Rentenversicherungsträgers vorliege, noch der Eintritt von Sozialhilfebedürftigkeit drohe, liege kein atypischer Fall vor. Ermessen sei daher nicht auszuüben.

Deswegen hat der Kläger am 09.09.2010 beim Sozialgericht Heilbronn Klage erhoben. Zur Begründung hat er wie schon im Anhörungsverfahren (Bl. 51 VA) geltend gemacht, er habe schon am 03.02.1999 bei der Beklagten angerufen. Ihm sei die Antwort gegeben worden, die Rentenzahlung bleibe so, bis vom zuständigen Amt anders entschieden werde. Der Kläger hat hierzu eine handschriftliche Notiz, die u.a. eine Durchwahlnummer der Beklagten, die namentliche Nennung eines Gesprächspartners, das Datum, eine Uhrzeitangabe und den Text ?Rentenzahlung bleibt so, bis vom zuständigen Amt anders entschieden wird und ist somit rechtens. Änderung könne erst erfolgen, wenn entsprechendes Amt auf meine Rente reagiert (zukommt).? enthält, vorgelegt. Wegen des genauen Inhalts und Erscheinungsbilds dieser Notiz wird auf Bl. 53 VA Bezug genommen. Der Kläger hat weiter vorgetragen, er habe elf Jahre keine Reaktion erhalten, so dass er von der Rechtmäßigkeit der Rentenbewilligung habe ausgehen dürfen und sich ein Vertrauenstatbestand ergeben habe. Zudem habe es die Beklagte bei unterlassener Schadenbegrenzung versäumt, Ermessen auszuüben. Ihm sei zur Kenntnis gekommen, dass ?Versorgungsausgleichfälle? in den Akten der Beklagten einen Vermerk erhalten würden.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.08.2012 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 28.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2010 bei Klageabweisung im Übrigen insoweit aufgehoben, als die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 03.07.1998 für den Zeitraum vom 01.12.1998 bis 30.06.2010 teilweise aufgehoben hatte. Zum 01.12.1998 sei im Hinblick auf die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die beim Erlass des Bewilligungsbescheides vom 03.07.1998 vorlagen, eine wesentliche Änderung eingetreten. Mit Beginn des Rentenbezugs der geschiedenen Ehefrau seien die Voraussetzungen des Bezuges einer ungekürzten Rente nach § 5 VAHRG entfallen. Dies hätte dem Kläger, dem der Rentenbezug der geschiedenen Ehefrau nach eigenem Vorbringen bekannt gewesen sei, klar sein müssen. Sollte er die Rechtswidrigkeit nicht erkannt haben, wäre angesichts der Hinweise der Beklagten zumindest von grober Fahrlässigkeit auszugehen. Zu Unrecht sei die Beklagte jedoch vom Nichtvorliegen eines atypischen Falles ausgegangen und habe deswegen zu Unrecht kein Ermessen ausgeübt. Die Atypik ergebe sich aus dem zeitlichen Ablauf der Rentengewährung. Die Beklagte habe dem Kläger, ohne dass er dies beantragt hätte, erst nachdem der geschiedenen Ehefrau bereits eine Rente bewilligt worden sei mit Bescheid vom 03.07.1998 die bereits bewilligte Regelaltersrente neu berechnet. Die bereits erfolgte Bewilligung der Rente zu Gunsten der Ehefrau hätte die Beklagte bei der Neuberechnung ohne weiteres berücksichtigen können und müssen. Unabhängig davon hat das Sozialgericht die Angaben des Klägers, er habe zeitnah telefonisch mitgeteilt, dass seine geschiedene Ehefrau eine Rente beziehe, für glaubhaft erachtet. Die Nichtbearbeitung dieser Mitteilung könne nur im Sinne eines groben Verschuldens der Beklagten gewertet werden.

Gegen den ihr am 29.08.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 25.09.2012 Berufung eingelegt. Die Beklagte trägt vor, ein atypischer Fall sei nicht gegeben. In der Rechtsprechung sei wiederholt entschieden worden, dass keine Verpflichtung zu einer Datenverknüpfung, einem Datenaustausch oder -abgleich bestehe (s. die von der Beklagten vorgelegte Rechtsprechungsübersicht Bl. 27 ff. LSG-Akte). Der Umstand, dass zwischenzeitlich nach Prüfung durch das Revisionsamt die Programmierung so verfeinert worden sei, dass in ähnlich gelagerten Fällen Benachrichtigungen erzeugt werden, befreie den Versicherten nicht von seiner Mitteilungspflicht. Eine positive Kenntnis vom Rentenbezug der geschiedenen Ehefrau der Stelle, die dem Kläger Rente gewährt habe, sei vorliegend nicht nachgewiesen. Alleine der Kläger habe pflichtwidrig gehandelt. Der vorgelegte Telefonvermerk belege nicht die Mitteilung des Rentenbezuges. Die Antwort ergebe keinen Sinn. Der Kläger sei sich der Unrechtmäßigkeit seiner Rente voll bewusst gewesen. und habe diese in vollem Bewusstsein der Unrechtmäßigkeit über einen Zeitraum von rund zwölf Jahren in Empfang genommen und dadurch die Versichertengemeinschaft in einem erheblichen Umfang geschädigt. Selbst wenn ein atypischer Fall vorläge, wäre somit ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null gegeben.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 20.08.2012 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen des weiteren Vorbringens und weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 28.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2010 allerdings nur in Bezug auf den Zeitraum vom 01.12.1998 bis 30.06.2010, für den die Beklagte eine der Höhe nach teilweise rückwirkende Aufhebung der bestandskräftigen Rentenbewilligung vom 03.07.1998 vornahm und die Erstattung einer Überzahlung in Höhe von 71.251,27 Euro geltend machte. Im Übrigen, also für die Zeit ab 01.07.2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Insoweit ist der Gerichtsbescheid rechtskräftig geworden. Lediglich am Rande ist darauf hinzuweisen, dass die zunächst im März 2010 erfolgte Neuberechnung der Rente ab Mai 2010 durch den streitigen Bescheid vom 28.05.2010 in vollem Umfang ersetzt wurde. Denn dieser Bescheid betrifft den gensamten Zeitraum ab 01.12.1998, mithin auch die Zeit ab Mai 2010.

Im Ergebnis zutreffend hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide wegen der ausdrücklich nicht vorgenommenen Ausübung von Ermessen aufgehoben. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und der Beklagten ist hier als Rechtsgrundlage für die vor allem rückwirkende Korrektur der Rentenbewilligung vom 03.07.1998 allerdings nicht § 48 SGB X sondern § 45 SGB X (Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes) heranzuziehen. Es muss daher nicht entschieden werden, ob vorliegend im Rahmen des § 48 SGB X von einem sog. atypischen Fall auszugehen und deswegen ausnahmsweise Ermessen auszuüben war. Vielmehr setzt § 45 SGB X hier zwingend - also auch im Regelfall - die Ausübung von Ermessen voraus. Da die Beklagte kein Ermessen ausübte und auch nicht von einer sog. Ermessensreduzierung auf Null auszugehen ist, ist die Berufung der Beklagten, gegen den die angefochtenen Bescheide aufhebenden Gerichtsbescheid zurückzuweisen.

Der Anwen¬dungsbereich der §§ 45 und 48 SGB X unterscheidet sich danach, ob die aufzuhebende Leistungsbe¬willigung im Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens (vgl. § 39 SGB X) rechtswidrig war - dann § 45 SGB X - oder erst danach - dann § 48 SGB X - rechtswidrig wurde. Die beiden Normen grenzen sich nach den objektiven Verhältnisses im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes, der aufgehoben werden soll, ab. Dabei ist die Verwaltung grundsätzlich verpflichtet, vor Erlass eines Bescheides die Sachlage vollständig abzuklären (BSG, Urteil vom 21.06.2011, B 4 AS 22/10 R in juris; BSG, Urteil vom 28.06.1999, 4 RA 57/89 in SozR 3-1300 § 32 Nr. 2: sog. Verbot vorzeitigen Verfahrensabschlusses). Gerade die Anerkennung eines Rentenanspruchs bezweckt, eine geschützte, unmittelbar, d.h. ohne weitere Sachaufklärung einklagbare Rechtsposition festzustellen, auf deren Bestand der Rentner vertrauen und deswegen sich auf Dauer in seiner Lebensführung einrichten darf (BSG, Urteil vom 28.06.1990, 4 RA 57/89 a.a.O.). Entsprechend sind im Zeitpunkt der Leistungsbewilligung bereits (objektiv) feststehende, die Höhe des Anspruchs betreffende Umstände, auch wenn sie in der Zukunft liegen, zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 02.06.2004, B 7 AL 58/03 R in SozR 4-4100 § 115 Nr. 1; zur Abgrenzung bei unklarer Sachlage in der Zukunft vgl. BSG, Urteil vom 25.06.1998, B 7 AL 2/98 R in SozR 3-4100 § 242 v Nr. 1; bei aufeinander aufbauenden Bescheiden und zeitlich rückwirkender Aufhebung s. BSG, Urteil vom 29.05.2008, B 11a/7a AL 74/06 R in SozR 4-1300 § 45 Nr.7: einheitlich § 45 SGB X).

Ein rechtswidriger Bewilligungsbescheid darf als begünstigender Verwaltungsakt gemäß § 45 Abs. 1 SGB X nur unter weiteren Einschränkungen ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zu-kunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Dabei stellt das Gesetz - soweit hier von Interesse - vor allem auf das Vorliegen von Vertrauensschutz ab (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X).

Bei ursprünglich rechtmäßigen Bewilligungsbescheiden sieht § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X bei ei-ner wesentlichen Änderung der Verhältnisse grundsätzlich eine Aufhebung des Verwaltungsak-tes mit Wirkung für die Zukunft vor. Nach Satz 2 der Regelung soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit (Nr. 2) der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift getroffenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, oder (Nr. 4) der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende An¬spruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Erste und gemeinsame Voraussetzung beider Rechtsvorschriften ist, dass dem Betroffenen für den Zeitraum, für den die teilweise Aufhebung erfolgte, der Leistungsanspruch nicht in der bewilligten Höhe zustand. Dies ist hier zwischen den Beteiligten im Grunde unstreitig und wird auch vom Senat bejaht. Mit dem Beginn der Altersrentenzahlung an die geschiedene Ehefrau des Klägers entfielen die Voraussetzungen des § 5 VAHRG (gültig bis 31.08.2009, vorliegend nach § 49 des am 01.09.2009 in Kraft getretenen Versorgungsausgleichsgesetzes weiter anzuwenden). Nach dieser Regelung war die Versorgung des aus dem Versorgungsausgleich Verpflichteten nur solange nicht - wie im Bescheid vom 03.07.1998 vorgenommen - zu kürzen, wie der Berechtigte aus dem Versorgungsausgleich keine Rente erhalten kann und er gegen den Verpflichteten einen Anspruch auf Unterhalt hat oder nur deshalb nicht hat, weil der Verpflichtete zur Unterhaltsleistung wegen der auf dem Versorgungsausgleich beruhenden Kürzung seiner Versorgung außerstande ist. Mit dem Rentenbezug der geschiedenen Ehefrau ab dem 01.12.1998 wäre daher die Rente des Klägers entsprechend dem durchgeführten Versorgungsausgleich (Übertragung von 22,2596 Entgeltpunkten) zu kürzen gewesen.

Dieser Sachverhalt stand im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 03.07.1998 auf Grund der schon am 12.06.1998 zugunsten der geschiedenen Ehefrau von der Beklagten verfügten Rentenbewilligung ab Dezember 1998 bereits fest. Es war schon bestandkräftig entschieden, dass die geschiedene Ehefrau ab 01.12.1998 nicht nur eine Rente ?erhalten kann? (§ 5 VAHRG), sondern auch wird. Der Bescheid vom 03.07.1998 war, soweit dem Kläger über den 30.11.1998 hinaus eine ?ungekürzte Rente? bewilligt wurde, daher schon zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig. Eine Korrektur ist damit nur über § 45 SGB X möglich. Die faktisch erst im Dezember 1998 aufgenommene Rentenauszahlung an die geschiedene Ehefrau stellt sich nur noch als Ausfluss der bereits im Juni 1998 erfolgten Bewilligung und damit nicht als eine erst nach Erlass des Bescheids vom Juli 1998 eingetretene wesentliche Änderung dar.

Zur besseren Nachvollziehbarkeit dieser Sichtweise sei hier zunächst unterstellt, dass die Stelle der Beklagten, die den Bescheid vom Juli 1998 erließ, Kenntnis von der Rentenbewilligung zugunsten der geschiedenen Ehefrau im Juni 1998 gehabt hätte. Für den Senat bestehen keine Zweifel, dass in diesem Fall zugunsten des Klägers im Juli 1998 nur für die wenigen Monate bis November 1998 eine ungekürzte Rente und ab Dezember eine gekürzte Rente bewilligt worden wäre. Die (berechtigten) Interessen beider Beteiligten hätten der dauerhaften Bewilligung einer ungekürzten Rente klar entgegen gestanden. Die Beklagte hätte dem Kläger sicher nicht sehenden Auges unter Inkaufnahme eines immer bestehenden ?Rückabwicklungsrisikos? eine Rechtsposition eingeräumt, die ihm ab Dezember 1998 nicht mehr zustand. Der Kläger wiederum, der hier möglicherweise von der Rentenbewilligung zugunsten seiner geschiedenen Ehefrau noch nichts wusste, hatte ein berechtigtes Interesse auf Feststellung einer Rechtsposition, auf deren Bestand er vertrauen und sich auf Dauer in seiner Lebensführung einrichten darf (BSG, Urteil vom 28.06.1990, 4 RA 57/89 a.a.O.). Dieses Interesse umfasste auch die Kenntnis, dass die Leistung alsbald nur noch in einem deutlich geringerem Umfang ausgezahlt wird. Diesen Gesichtspunkten hätte die Beklagte durch eine nach Zeitabschnitten gestufte Bewilligung Rechnung tragen müssen. Somit liegt auf der Hand, dass eine dauerhafte ?ungekürzte? Rentenbewilligung in dieser Konstellation die Zeit ab 01.12.1998 betreffend bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids rechtswidrig gewesen wäre.

Nichts anderes gilt, wenn, wie hier der Fall, nicht unterstellt werden kann, dass die Stelle, die die Rente des Klägers im Juli 1998 bewilligte, Kenntnis von der zuvor im Juni 1998 zugunsten der geschiedenen Ehefrau bewilligten Rente hatte oder hätte haben müssen. Maßgeblich für die Abgrenzung von §§ 45 und 48 SGB X sind - wie bereits ausgeführt - allein die objektiven Umstände. Das bedeutet, dass es auf die tatsächliche Kenntnis oder ein Kennenmüssen der Verfahrensbeteiligten von maßgeblichen Umständen - hier der Rentenbewilligung zugunsten der Ehefrau - nicht ankommt. Damit ist der Anwendungsbereich von § 48 SGB X schon allein deswegen ausgeschlossen, weil der Verwaltungsakt vom 03.07.1998 nach den objektiven Umständen zum Zeitpunkt seines Erlasses so nicht hätte ergehen dürfen.

Ob und inwieweit dem Kläger nach den Maßstäben des § 45 SGB X Vertrauensschutz zuzubilligen ist, kann der Senat hier dahingestellt lassen. Da § 45 SGB X - wie bereits ausgeführt - für den Regelfall die Ausübung von Ermessen voraussetzt, sind die angefochtenen Bescheide allein schon wegen dem von der Beklagten ausdrücklich nicht ausgeübten Ermessen rechtswidrig und daher zu Recht vom Sozialgericht (teilweise) aufgehoben worden.

Ein Fall der Ermessenreduzierung auf Null liegt nicht vor. Dies könnte nur angenommen werden, wenn unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände bei der Ausübung des Ermessens nur eine Entscheidungsmöglichkeit, d.h. hier die teilweise Rücknahme des Bescheids vom 03.07.1998 in voller Höhe der entstanden Überzahlung, verblieben wäre. Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Dagegen sprechen verschiedene Gesichtspunkte. Zunächst ist die Beklagte bei Erlass des Bescheids vom 03.07.1998 ihrer Verpflichtung zur vollständigen Sachverhaltsaufklärung (s.o.) nicht nachgekommen. Sie hätte, wie auch vom Sozialgericht angenommen, die Rentenbewilligung zugunsten der geschiedenen Ehefrau im Rahmen der ohnehin vorzunehmenden Prüfung ohne weiteres ermitteln können. Es ging hier nicht darum, ob die Beklagte (im Anwendungsbereich des hier nicht einschlägigen § 48 SGB X) verpflichtet ist, ohne konkreten Anlass eine laufende Rentenleistung auf ihre fortbestehende Richtigkeit hin zu überprüfen, was in den von der Beklagten genannten gerichtlichen Entscheidungen mit guten Argumenten verneint wird. Desweiteren hält der Senat, wie schon das Sozialgericht, die Angaben des Klägers, er habe zeitnah telefonisch mitgeteilt, dass seine geschiedene Ehefrau eine Rente beziehe, für glaubhaft. Die Nichtbearbeitung dieses Hinweises stellt ein erhebliches Mitverschulden der Beklagten dar. Deswegen und auch unter Berücksichtigung der zeitlichen und finanziellen Dimension der eingetretenen Überzahlung, die nach dem Vorbringen der Beklagten auf Grund einer verfeinerten Programmierung heute nicht mehr so eintreten könnte, ist hier nicht nur eine einzige richtige Ermessensentscheidung vorgegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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