L 3 AL 223/10

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 2 AL 406/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 223/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Rechtserhebliche Kenntnis im Sinne von § 103 Abs 1 SGB X besteht, wenn der erstattungspflichtige Leistungsträger aufgrund der ihm mitgeteilten Tatsachen rechtlich in der Lage ist, dem Leistungsanspruch des (vermeintlich) Sozialleistungsberechtigten die Erfüllungswirkung des § 107 Abs 1 SGB X entgegenzuhalten, sodass der erstattungspflichtige Leistungsträger die Leistung gegenüber dem Leistungsberechtigten verweigern und anstelle dessen den Erstattungsanspruch des erstattungsberechtigten Trägers befriedigen kann.

Ein Fall der fehlenden Kenntnis liegt nicht vor, wenn ein Leistungsträger trotz (positiver) Kenntnis von Leistungen eines anderen Leistungsträgers aufgrund fehlerhaften Verwaltungshandelns einen
Erstattungsanspruch gegenüber diesem anderen Leistungsträger nicht geltend gemacht hat.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 28. September 2010 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch im Berufungsverfahren zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung und Erstattung von Übergangsgeld für die Zeit vom 6. März 2006 bis zum 5. Juni 2008 in Höhe von 13.060,18 EUR.

Der 1977 geborene Kläger bezog von der Beklagten zuletzt ab 27. August 2005 Arbeits-losengeld. Auf seinen Antrag hin wurden ihm mit Bescheiden vom 24. März 2006, 9. Juni 2006 und 15. Mai 2007 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß § 97 ff. des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) i. V. m. § 33 und §§ 44 ff. des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX), hier in Form von Übergangsgeld für die vom 6. Juni 2006 bis 5. Juni 2008 währende Maßnahme im Berufsbildungsbereich der Werkstatt für Behinderte der Provitas Schneeberg, bewilligt.

Auf Grund eines gerichtlichen Vergleiches vom 7. März 2008 gewährte die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland (im Folgenden: Beigeladene) dem Kläger unter Annahme eines Leistungsfalles vom 28. Februar 2005 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, beginnend ab dem 1. September 2005 bis zum 31. Dezember 2009. Mit Schreiben der Beklagten vom 13. Mai 2008 wurde gegenüber der Beigeladenen ein Er-stattungsanspruch aus der Rentenzahlung geltend gemacht. Mit weiterem Schreiben vom 9. Juni 2008 teilte die Beklagte der Beigeladenen mit, dass die Bewilligungsentscheidung über die Gewährung von Übergangsgeld an den Kläger für die Zeit vom 6. März 2006 bis zum 5. Juni 2008 teilweise gemäß § 48 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) i. V. m. § 330 Abs. 3 SGB III aufgehoben und nach der Zuerkennung der Rente wegen voller Erwerbsminderung ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X in Höhe von 14.817,90 EUR geltend gemacht werde. Darüber hinaus bestünde gemäß § 335 Abs. 2 SGB III ein Anspruch auf Erstattung von Krankenversicherungsbeiträgen in Höhe von 3.613,00 EUR und von Pflegeversicherungsbeiträgen in Höhe von 455,93 EUR.

Am 13. Juni 2008 teilte die Beigeladene mit, dass für die Zeit vom 6. März 2006 bis 5. Juni 2008 kein Rentenzahlbetrag zur Verfügung stünde. In dieser Zeit übersteige das gezahlte Übergangsgeld den Rentenzahlbetrag. Der Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung ruhe für diesen Zeitraum. Eine Erstattung des Übergangsgeldes sei daher nicht möglich.

Im Antwortschreiben vom 23. Juni 2008 beharrte die Beklagte auf ihrem Erstattungsanspruch gemäß § 103 SGB X. Die vom Rentenversicherungsträger vorgenommene Aufrechnung des Übergangsgeldes auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 116 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) gelte lediglich für die Übergangsgeldzahlung des Rentenversicherungsträgers als Rehabilitationsträger und nicht für die Übergangsgeldzahlung der Bundesagentur für Arbeit als Rehabilitationsträger. Zugleich wurde mit weiterem Schreiben vom 23. Juni 2008 der Erstattungsanspruch für die Zeit vom 6. März 2006 bis 5. Juni 2008 gemäß § 103 SGB X auf 14.817,90 EUR sowie die Krankenversicherungsbeiträge gemäß § 335 Abs. 2 SGB III auf 3.613,00 EUR und die Pflegeversicherungsbeiträge auf 455,93 EUR beziffert. Daraufhin schloss sich die Beigeladene der Rechtsansicht zur rechtlichen Natur des Übergangsgeldes an.

Wohl aufgrund eines Verwaltungsversehens teilte die Beklagte der Beigeladenen auf deren Erstattungsmitteilung vom 21. August 2008 im Schreiben vom 2. September 2008 mit, dass ein Erstattungsanspruch nicht geltend gemacht werde, woraufhin am 5. September 2008 der bisher einbehaltene Nachzahlungsbetrag in Höhe von 13.060,18 EUR an den Kläger ausgezahlt wurde.

Am 13. November 2008 wurde der Kläger zur beabsichtigten Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 6. März 2006 bis zum 5. Juni 2008 in Höhe von 13.060,18 EUR von der Beklagten angehört. Hierzu nahm dieser am 24. November 2008 durch seine Mutter Stellung und trug im Wesentlichen vor, dass eine Überprüfung der Nachzahlung der Rente durch die Rentenversicherung erfolgt sei und er außerdem auf Grund seiner Erkrankung derzeit nicht in der Lage sei, geschäftliche Interessen wahrzunehmen.

Am 7. Januar 2009 erließ die Beklagte einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. Am 21. August 2008 sei rückwirkend eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 6. März 2006 bis 5. Juni 2008 bewilligt worden und zwischenzeitlich die Auszahlung der Rente in Höhe von 13.060,18 EUR erfolgt. Übergangsgeld sei vom 6. März 2006 bis 5. Juni 2008 in Höhe von 14.836,16 EUR gezahlt worden. Damit habe er doppelte Leistungen erhalten. Die Rente werde gemäß § 52 SGB IX auf das Übergangsgeld angerechnet. Da der tägliche Rentenbetrag geringer sei als das tägliche Übergangsgeld, stünde zu einem geringen Umfang Übergangsgeld weiterhin zu. In Höhe von 13.060,18 EUR sei es jedoch zu Unrecht gezahlt und daher gemäß § 50 SGB X zu erstatten.

Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 2009 zurückgewiesen. Durch die Rentennachzahlung am 5. September 2008 sei es zu einer Änderung in den Verhältnissen des Klägers gekommen. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X i. V. m. § 330 SGB III sei daher die ursprüngliche Bewilligung von Übergangsgeld aufzuheben gewesen. Der Kläger hätte erkennen müssen, dass er in der Zeit vom 6. März 2006 bis 5. Juni 2008 nicht gleichzeitig Übergangsgeld und Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehen könne. Der Erstattungsanspruch ergebe sich aus § 50 SGB X.

Auf die hiergegen am 11. Juni 2008 erhobene Klage hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 7. Januar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 2009 aufgehoben. Die Beklagte habe keine Ermächtigungsgrundlage für die teilweise Aufhebung und Erstattung des an den Kläger gewährten Übergangsgeldes. § 48 SGB X i. V. m. § 50 SGB X greife nicht. Diese Vorschriften seien dann nicht anwendbar, wenn der Beklagten gegenüber einem anderen Leistungsträger einen Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff. SGB X zustünde, da die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X die Anwendbarkeit der §§ 45 ff. SGB X ausschließe.

Gegen das am 8. Oktober 2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 1. November 2010 Berufung eingelegt. Das Sozialgericht habe der Klage zu Unrecht stattgegeben. Das Rückforderungsrecht der Beklagten sei nicht durch einen Erstattungsanspruch im Sinne der §§ 103 ff. SGB X ausgeschlossen. Der Kläger habe auf Grund eines fehlerhaften Verwaltungshandelns Doppelleistungen erhalten. Ausgleichsansprüche gemäß §§ 103 ff. SGB X sollten einen eigentlich zuständigen erstattungsverpflichteten Leistungsträger nicht treffen, wenn er in Unkenntnis der Möglichkeit geleistet hat, sich auf die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X zu berufen. Zu beachten sei, dass eine nochmalige Prüfung des Sachverhaltes die Beigeladene zur Feststellung eines Nachzahlungsbetrages geführt hat. Auf Grund dessen habe diese bereits am 21. August 2008 bei der Geschäftsstelle der Beklagten in A ... eine Erstattungsanfrage getätigt, dort jedoch eine Fehlmeldung erhalten, so dass die zunächst einbehaltene Nachzahlung am 5. September 2008 an den Kläger ausgezahlt worden war. Der Versicherungsträger sei daher nach eigenem Kenntnisstand nicht mehr berechtigt gewesen, die Nachzahlung zurückzuhalten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 28. September 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat mit Beschluss vom 7. Juni 2011 die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland zum vorliegenden Rechtsstreit beigeladen. Diese hat im Verfahren keinen Antrag gestellt, jedoch mit Schriftsatz vom 21. August 2012 die Meinung vertreten, dass sie mit befreiender Wirkung an den Kläger gezahlt habe, so dass die Beklagte gegenüber der Beigeladenen einen Erstattungsanspruch nicht mehr geltend machen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht mit Urteil vom 28. September 2010 den Bescheid der Beklagten vom 7. Januar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 2009 aufgehoben, da diese rechtswidrig waren und den Kläger in seinen Rechten verletzten (vgl. § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Eine Rechtsgrundlage für die Entscheidung der Beklagten ergibt sich insbesondere nicht aus den §§ 45 ff. SGB X.

Dem Kläger ist für die Zeit vom 6. März 2006 bis 5. Juni 2008 Übergangsgeld als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 97 ff. SGB III (in der bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung) i. V. m. § 33 und §§ 44 ff. SGB IX bewilligt worden. Die Bemessung des Übergangsgeldes ist nach § 48 Satz 1 Nr. 1 SGB IX erfolgt.

Zutreffend hat die Beklagte im Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vertreten, dass die am 21. August 2008 rückwirkend für den Zeitraum vom 6. März 2006 bis 5. Juni 2008 gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 52 SGB IX auf das Übergangsgeld angerechnet wird. Danach wird gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 5 SGB IX auf das Übergangsgeld angerechnet eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die aus demselben Anlass wie die Leistung zur Teilhabe erbracht wird, wenn durch Anrechnung eine unbillige Doppelleistung vermieden wird.

Beanstandungsfrei haben die Beklagte und die Beigeladene festgestellt, dass das gezahlte Übergangsgeld nicht gemäß § 116 Abs. 3 SGB VI zur Erfüllung des Rentenanspruchs führt, da Übergangsgeld im Sinne dieser Regelung nur das Übergangsgeld bei medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen des Rentenversicherungsträgers meint.

Die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs ergeben sich auch nicht aus § 125 Abs. 3 Satz 2 SGB III i. V. m. § 142 Abs. 2 Satz 2 SGB III (jeweils in den bis zum 31. März 2012 geltenden Fassungen), da diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Kläger hat weder Arbeitslosengeld im Sinne von §§ 117 ff. SGB III noch nach § 125 SGB III bezogen, weshalb die zitierten Erstattungsvorschriften nicht einschlägig sind.

Als Erstattungsanspruch gegenüber dem Kläger kommen daher allenfalls die §§ 45 ff. SGB X in Betracht. Diese sind jedoch vorliegend nicht anzuwenden, da die Beklagte, wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, gegenüber der Beigeladenen einen Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X hat. § 103 Abs. 1 SGB X bestimmt: "Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat."

In § 103 Abs. 1 SGB X wird somit der Erstattungsanspruch eines Leistungsträgers nomiert, dessen originäre Leistungsverpflichtung nachträglich (teilweise) entfallen ist. Dabei dürfen Sozialleistungen – anders als in § 104 Abs. 1 SGB X – nicht in einem bloßen Vorrang- bzw. Nachrangverhältnis zueinander stehen; vielmehr müssen sich beide Ansprüche grundsätzlich derart ausschließen, dass der Rechtsgrund der Leistung durch das Hinzutreten der anderen Leistung entfällt (so BSG, Urteil vom 24. Mai 2012 – B 9 V 2/11 R – SozR 4-3520 § 7 Nr. 1 Rdnr. 17 = JURIS-Dokument Rdnr. 17). Dies ist bei einer Fallkonstellation wie der vorliegenden, wo durch § 52 Abs. 1 Nr. 5 SGB X durch Anrechnung ausdrücklich eine Doppelleistung verhindert werden soll, zweifelsohne der Fall.

Weitergehend kommt es zu einer Erstattungsverpflichtung nur dann, wenn der verpflichtete Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

Rechtserhebliche Kenntnis im Sinne von § 103 Abs 1 SGB X (und § 104 Abs 1 SGB X) besteht, wenn der erstattungspflichtige Leistungsträger aufgrund der ihm mitgeteilten Tatsachen rechtlich in der Lage ist, dem Leistungsanspruch des (vermeintlich) Sozialleistungsberechtigten die Erfüllungswirkung des § 107 Abs 1 SGB X entgegenzuhalten, sodass der erstattungspflichtige Leistungsträger die Leistung gegenüber dem Leistungsberechtigten verweigern und anstelle dessen den Erstattungsanspruch des erstattungsberechtigten Trägers befriedigen kann. Das folgt aus Regelungszweck und -systematik in Einklang mit den Gesetzesmaterialien, ohne dass der Gesetzeswortlaut entgegensteht (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 – B 1 KR 21/09 RBSGE 106, 206 ff. [Rdnr. 23] = SozR 4-1300 § 103 Nr. 3 Rdnr. 23 = JURIS-Dokument Rdnr. 23).

Zweck der gesetzlichen Regelung der Erstattungsansprüche der Leistungsträger ist es, eine einfache, sachgerechte Regelung der Erstattungsansprüche und ihres Verhältnisses untereinander zu treffen, wenn anstelle des letztlich verpflichteten Leistungsträgers ein anderer Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat. Zugleich sollen Doppelleistungen vermieden werden. In der Sache geht es um eigenständige Ausgleichsansprüche zwischen Leistungsträgern untereinander, die komplizierte Rückabwicklungen unter Einbeziehung der Leistungsberechtigten vermeiden (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2010, a. a. O., Rdnr. 24, m. w. N.).

Ein derartiger Fall der fehlenden Kenntnis des Rentenversicherungsträgers von den Leistungen der Bundesagentur liegt jedoch nicht vor, sodass die Erstattungsregelungen der §§ 45 ff. SGB X nicht anzuwenden sind, sondern die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X eintritt. Dies gilt auch, obwohl die Beklagte, aufgrund fehlerhaften Verwaltungshandelns, einen Erstattungsanspruch an die Beigeladene mit ihrem Schreiben vom 2. September 2008 nicht geltend gemacht hat. Die (positive) Kenntnis von den Leistungen der Beklagten an den Kläger ist allein schon durch den Schriftwechsel zwischen Beklagter und Beigeladener vor dem Verzicht auf den Erstattungsanspruch belegt. Die Beigeladene hat bereits vor ihrer Anfrage an die Bundesagentur, ob ein Erstattungsanspruch geltend gemacht wird, Kenntnis von der Leistung des Übergangsgeldes an den Kläger gehabt. § 103 SGB X stellt nach seinem Wortlaut nur auf die Kenntnis der Leistung schlechthin und nicht auf Leistungshöhe und sonstige weitere Umstände ab (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. Juli 2009 – L 1 KR 415/08 – JURIS-Dokument Rdnr. 28 ff.).

Die Erfüllungsfiktion tritt dabei mit der (rechtlichen) Entstehung des Erstattungsanspruchs, sogar unabhängig davon ein, ob ein Erstattungsanspruch geltend gemacht worden ist oder werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 6. März 2000 – B 11 AL 243/99 B – JURIS-Dokument Rdnr. 9). Selbst der Erlass des Erstattungsanspruchs berührt die Erfüllungsfiktion nicht (Roller, in: von Wulffen, SGB X [7. Aufl., 2010], § 107 Rdnr. 5). § 107 SGB X soll Doppelzahlungen an den Sozialleistungsberechtigen vermeiden und die Aufhebung der nachrangigen Leistung nebst Rückforderung entbehrlich machen; der Ausgleich soll unter den Sozialleistungsträgern stattfinden, ohne dass der Sozialleistungsberechtigte behelligt wird (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 1997 – 8 RKn 29/95SozR 3-1300 § 107 Nr. 10 = JURIS-Dokument Rdnr. 18; BSG, Urteil vom 6. März 2000, a. a. O., m. w. N.). Es besteht daher kein Wahlrecht des erstattungsberechtigten Trägers, auf einen Erstattungsanspruch und damit auf die Erfüllungsfiktion zu verzichten und sich statt dessen nach den §§ 45, 48, 50 SGB X an den Sozialleistungsberechtigten zu halten (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 1997 – 8 RKn 29/95SozR 3-1300 § 107 Nr. 10 = JURIS-Dokument Rdnr. 19, m. w. N.; BSG, Urteil vom 6. März 2000, a. a. O.). Die zitierten Erstattungsregelungen nach §§ 142, 125 SGB III sowie die §§ 45 ff. SGB X beschränken sich damit auf den Fall der fehlenden Kenntnis (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. März 2012 – L 1 AL 90/11 – JURIS-Dokument Rdnr. 24) des Rentenversicherungsträgers von der Leistung der Bundesagentur.

Da jedoch die Fallkonstellation der fehlenden Kenntnis im Sinne von § 103 SGB X nicht vorlag, sind die Erstattungsvorschriften des § 45 ff. SGB X schon allein deshalb nicht anwendbar.

Der Kläger konnte sich daher zu Recht auf die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X berufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.

Dr. Scheer Höhl Atanassov
Rechtskraft
Aus
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