L 18 KN 305/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KN 44/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 KN 305/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 475/12 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Rücknahme der NZB
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 06.05.2005 geändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 06.05.2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe einer (großen) Witwenrente.

Die 1939 geborene Klägerin und ihr 1926 geborener und 1994 verstorbener Ehemann lebten als deutsche Volkszugehörige in der früheren Sowjetunion und später in der Republik Kasachstan. Sie haben dort ihr Erwerbsleben verbracht und später Altersrenten bezogen. Die Klägerin siedelte am 22.06.2001 aus Kasachstan nach Deutschland über und wurde hier als Spätaussiedlerin anerkannt. Noch im Juni 2001 beantragte sie bei der (damaligen) Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA; seit 01.10.2005: DRV Bund) Altersrente aus eigener Versicherung und bei der Beklagten Hinterbliebenenrente.

Nachdem die BfA auf Nachfrage mitgeteilt hatte, dass über den Rentenantrag noch nicht entschieden sei ("Antwort zur Anfrage nach § 22 b FRG" vom 07.12.2001), bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem 22.06.2001 große Witwenrente mit einem monatlichen (Netto-)Zahlbetrag von 351,62 EUR. Der Rente lagen 34,3784 Entgeltpunkte (EP) der Klägerin für anrechenbare Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zu Grunde, die die Beklagte auf den gesetzlichen Höchstwert von 25 EP begrenzte. Sie berücksichtigte dabei 11,1112 EP der Rentenversicherung für Arbeiter und Angestellte und 10,4169 EP (= 13,888; 1,3333; vgl. § 22 b Abs. 1 Satz 2 FRG) der knappschaftlichen Rentenversicherung. Weiter enthält die Entscheidung den Hinweis, dass bei Hinzutritt einer weiteren auf FRG-Zeiten beruhenden Rente oder einer solchen Rente des Ehegatten oder Partners sich der Rentenanspruch vermindern könne (Bescheid vom 07.01.2002). Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Kurz darauf bewilligte die BfA der Klägerin - ebenfalls ab dem 22.06.2001 - Altersrente für Frauen mit einem monatlichen (Netto-)Zahlbetrag von 518,61 EUR. Dabei legte sie 22,1239 EP zu Grunde. Zusammen mit den 25,0001 EP nach dem FRG aus der knappschaftlichen Rente betrage die Summe der EP nach dem FRG 47,1240. Da der Höchstwert überschritten werde, sei eine Begrenzung auf insgesamt 25 EP vorzunehmen. Die EP aus der BfA-Rente seien vorrangig zu leisten (Bescheid vom 06.02.2002). Auch dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Nachdem sie von der Rentenbewilligung durch die BfA erfahren hatte, hob die Beklagte den Bescheid vom 07.01.2002 teilweise auf: Da die Klägerin neben der Witwenrente eine Rente aus eigener Versicherung beziehe, seien ab dem 01.04.2002 monatlich nur noch 40,46 EUR zu zahlen. Durch das Hinzutreten der Altersrente der Klägerin sei eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten. Nach dem Gesetz seien für anrechenbare Zeiten nach dem FRG auch für mehrere Renten insgesamt höchstens 25 EP zu Grunde zu legen. EP aus einer Rente mit einem höheren Rentenartfaktor seien vorrangig zu berücksichtigen. Der vom 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) geäußerten Rechtsansicht, die Begrenzung gelte nicht beim Zusammentreffen einer Rente aus eigener Versicherung mit einer Rente wegen Todes, folge sie nicht (Bescheid vom 14.03.2002; der Klägerin am 28.10.2003 zugestellter Widerspruchsbescheid vom 20.10.2003).

Mit ihrer dagegen am 26.11.2003 erhobenen Klage hat die Klägerin Witwenrente ohne eine Begrenzung der EP nach dem FRG begehrt und sich zur Begründung auf die Rechtsprechung des BSG gestützt, nach der § 22 b FRG (in der zur Zeit der Antragstellung bzw. Klageerhebung geltenden Fassung, im Folgenden: a.F.) aufgrund der besonderen Funktion der Hinterbliebenenrente bei einem Zusammentreffen mit einer Rente aus eigener Versicherung nicht anwendbar sei. Soweit der Gesetzgeber (später) § 22 b FRG durch das Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz - RVNG vom 21.07.2004) dahingehend geändert habe, dass die Begrenzung ausdrücklich auch für ein solches Zusammentreffen gelte (im Folgenden: § 22 b FRG n.F.), sei diese Neuregelung auf ihren Fall nicht anwendbar. Die zuvor bereits bestandskräftig bewilligte Witwenrente sei dem Grunde nach in ihr Vermögen übergegangen und unterliege damit dem Schutz von Art 14 Grundgesetz (GG).

Die Beklagte hat die Kürzung der Witwenrente weiter für richtig gehalten. Sie habe bereits im Bescheid vom 07.01.2002 darauf hingewiesen, dass sich der Witwenrentenanspruch bei Hinzutreten weiterer auf FRG-Zeiten beruhender eigener Renten vermindern könne. Die Rechtslage habe sich durch das RVNG nicht geändert. Der Gesetzgeber habe die Neufassung selbst als klarstellend bezeichnet. Überdies sei die Neufassung rückwirkend zum 07.05.1996 in Kraft getreten und gelte deshalb auch für die Klägerin.

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.03.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2003 verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente unter Berücksichtigung von insgesamt maximal 40 Entgeltpunkten für beide Rentenleistungen bis einschließlich 31.07.2004 zu gewähren und im Übrigen die Klage abgewiesen: Die Neufassung des § 22 b FRG könne erst ab dem 01.08.2004 Wirksamkeit beanspruchen. Nach der Rechtsprechung des BSG sei § 22 b Abs. 1 FRG a.F. nicht zu entnehmen gewesen, dass ein Berechtigter auch bei gleichzeitigen Ansprüchen auf eigene Altersrente und Hinterbliebenenrente nur insgesamt 25 Entgeltpunkte nach dem FRG in Anspruch nehmen könne. Bei § 22 b FRG n.F. handele es sich nicht um eine authentische Interpretation, sondern um eine Änderung der zuvor geltenden Rechtslage (Urteil vom 06.05.2005, der Klägerin am 07.06., der Beklagten am 09.06.2005 zugestellt).

Die Beklagte hat gegen dieses Urteil am 01.07.2005 Berufung eingelegt und sich durch die während des Berufungsverfahrens ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 21.07.2010, Az. 1 BvR 2530/05) in ihrer Auffassung bestätigt gesehen, dass der Klägerin ab dem 01.04.2002 nur noch der von ihr zuerkannte restliche monatliche Zahlbetrag der Witwenrente zustehe. Das BVerfG habe entschieden, dass eine echte Rückwirkung zulässig sei und bei allen am 07.05.1996 noch nicht auf Grund einer bindenden Entscheidung geleisteten Witwenrenten eine Korrektur nach §§ 44 ff. SGB X erfolgen könne. Allein der Umstand, dass die BfA nicht zeitnah entschieden habe, dürfe nicht dazu führen, dass die Klägerin Witwenrente ohne die in § 22 b Abs. 1 FRG vorgesehene Beschränkung erhalte. Fälle, in denen neben dem Anspruch auf Witwenrente zunächst noch kein Anspruch auf eigene Rente bestanden habe, seien nicht selten.

Die Klägerin hat sich der Berufung mit am 29.11.2005 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz angeschlossen und über die erstinstanzliche Verurteilung der Beklagten hinaus ungekürzte Witwenrente auf Dauer begehrt. Die bindende Bewilligung könne weder nach § 45 noch nach § 48 SGB X aufgehoben werden. Allein der Bezug einer Rente aus eigener Versicherung sei kein Grund, die Witwenrente zu kürzen. § 22 b FRG n.F. entfalte nach der Rechtsprechung des BVerfG keine Rückwirkung, wenn bereits bestandskräftig über den Antrag auf Witwenrente entschieden worden sei. Der Hinweis im Bescheid vom 07.01.2002, dass bei einem Hinzutreten weiterer Renten nach dem FRG eine Beschränkung auf 25 EP erfolgen werde, sei unbeachtlich, weil keine Umstände hinzugetreten seien. Darüber hinaus habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass bei ihr und ihrem Ehemann zumindest bis 1956 Zeiten nach § 250 SGB VI vorliegen, die keine Fremdrentenzeiten seien. Dies führe dazu, dass die Anrechnung der EP für diese Zeiten zu unterbleiben habe. Sie und ihr Ehemann hätten ihre Leistungen nicht im Herkunftsgebiet, sondern während der Verschleppung auf Grund nationalsozialistischen bzw. kommunistischen Unrechts außerhalb der Bundesrepublik Deutschland erbracht. Daher seien ihre Leistungen der Solidargemeinschaft der deutschen Rentenversicherten zuzurechnen. Eine andere Handhabung diskriminiere sie gegenüber Personen mit gleicher Versicherungsbiographie, die in der ehemaligen DDR gelebt hätten. Offenbar sei in den vom BVerfG entschiedenen Fällen die Problematik der Vertreibung und Verschleppung nicht thematisiert worden. Im Übrigen verstoße die rückwirkende Anwendung des § 22 b FRG n.F. auch gegen europäisches Recht.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten und der DRV Bund Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben, § 124 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung der Beklagten ist begründet, die Anschlussberufung der Klägerin ist unbegründet. Die (Anfechtungs-)Klage ist in vollem Umfang unbegründet und deshalb abzuweisen.

Das SG hat die angefochtenen Bescheide zu Unrecht für den Zeitraum bis zum 31.07.2004 aufgehoben. Der Bescheid vom 14.03.2002 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2003, § 95 SGG) ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht. Die Beklagte hat den Bescheid vom 07.01.2002 zu Recht für die Zeit ab dem 01.04.2002 (teilweise) aufgehoben und das monatliche Recht auf Rente - den Rentenzahlbetrag - auf EUR 40,46 reduziert. Das SG hätte selbst auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung den angefochtenen Bescheid nicht (teilweise) aufheben dürfen, weil es an Recht und Gesetz gebunden ist, Art 20 Abs. 3 GG. Im Zeitpunkt seiner Entscheidung war Art 15 Abs. 3 RVNG bereits (seit dem 26.07.2004) in Kraft. Diese Vorschrift ordnet das Inkrafttreten von Art 9 Nr. 2 RVNG, der die Neufassung des § 22 b FRG regelt, rückwirkend zum 07.05.1996 an. Das SG hätte wegen seiner Bindung an formell-materielle Gesetze diese Vorschrift anwenden müssen oder - falls es Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit hatte - das Verfahren aussetzen und dem BVerfG vorlegen müssen, Art 100 Abs. 1 Satz 1 GG. Eine eigene Verwerfungskompetenz stand ihm dagegen nicht zu.

Im Übrigen (Zeitraum ab 01.08.2004) hat das SG zu Recht angenommen, dass die Beklagte berechtigt war, den Bescheid vom 07.01.2002 teilweise aufzuheben und den Wert des Rechts auf Rente auf einen Zahlbetrag von - zunächst - EUR 40,46 neu festzustellen, und deshalb die Klage insoweit zutreffend abgewiesen. Dieses Recht bestand darüber hinaus auch für den vorangehenden Zeitraum vom 01.04.2002 bis zum 31.07.2004 und beruht auf der von der Beklagten richtig angewendeten Eingriffsnorm des § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), die unter den dort geregelten Voraussetzungen den Eingriff in eine bestandskräftig festgestellte Rechtsposition erlaubt.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 14.03.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2003, durch den die Beklagte den Wert des Rechts auf große Witwenrente auf 40,46 EUR (Nettozahlbetrag) statt zuvor 351,62 EUR neu festgestellt hat. Der Bescheid ist hinreichend bestimmt, weil sich die beabsichtigte Regelungswirkung aus den darin enthaltenen Verfügungen (noch) mit der nötigen Klarheit entnehmen lässt. Es kann dahinstehen, ob der Bescheid wegen eines Begründungsmangels formell rechtswidrig ist, weil er weder Erläuterungen zu den einzelnen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 SGB X enthält, noch die Berechnungsgrundlagen für die ab dem 01.04.2002 ausgewiesene monatliche Zahlung von 40,46 EUR enthält, § 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X. Denn die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 40 SGB X nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustanden gekommen ist, wenn - wie hier - offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat, § 42 Satz 1 SGB X. Die zunächst rechtswidrig unterblieben Anhörung (§ 24 SGB X) hat die Beklagte wie auch die weitere Begründung im Widerspruchsverfahren mit ihrem Schreiben vom 09.11.2002 wirksam nachgeholt, §§ 41 Abs. 2, 42 SGB X.

Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen vor. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 48 Abs. 1 SGB X ist also ein (hier: begünstigender) Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der nicht schon bei seinem Erlass rechtswidrig war (dann könnte er nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X zurückgenommen werden), sondern durch den späteren Eintritt einer wesentlichen Änderung rechtswidrig geworden ist. Danach durfte die Beklagte, nachdem die damalige BfA der Klägerin bestandskräftig eine Altersrente aus eigenem Recht unter Berücksichtigung von FRG-Zeiten bewilligt hatte, spätestens aber nach Inkrafttreten des RVNG den Witwenrentenbescheid ändern und den Wert des Rechts auf Witwenrente neu feststellen.

Die maßgebliche Änderung ist nach Erlass des Bescheides vom 07.01.2002 eingetreten. Der Bescheid vom 07.01.2002 war im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe rechtmäßig. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das BSG hat in einem Fall, in dem die (dortige) Beklagte Altersrente unter dem Vorbehalt geleistet hatte, dass bestimmte Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, ohne diese selbst (durch Nachfragen bei anderen Versicherungsträgern) zu ermitteln, entschieden, dass der Bewilligungsbescheid im Sinne des § 45 Abs. 1 SGB X als von Anfang an rechtswidrig anzusehen sei, weil er als endgültiger Verwaltungsakt nicht hätte erlassen werden und die in ihm enthalten Vorbehalte nicht hätten beigefügt werden dürfen (Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses); die Altersrente habe rechtmäßig nur als Vorschuss nach § 42 SGB I geleistet werden dürfen; ein eine Rente endgültig bewilligender Bescheid dürfe nur ergehen - müsse dann aber auch immer unverzüglich erlassen werden, worauf der Versicherte einen gerichtlich (§ 88 SGG) durchsetzbaren Rechtsanspruch habe -, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt sei und die Rentenhöhe feststehe (BSG, Urteil vom 28.06.1990, Aktenzeichen (Az.) 4 RA 57/89; s auch Urteil vom 16.11.1995 Az. 4 RLw 5/90). Das trifft auf den vorliegenden Sachverhalt nicht zu, da bei der Bekanntgabe des Bescheids vom 07.01.2002 sämtliche Voraussetzungen für den darin geregelten Anspruch auf Witwenrente vorlagen. Die Klägerin hatte wegen dieser Entscheidungsreife einen einklagbaren Anspruch auf Entscheidung über den Antrag (vgl. § 88 SGG). Ohne Belang für die Entscheidungsreife ist, dass die Beklagte im Dezember 2001 von der BfA die Mitteilung erhalten hatte, über den Antrag der Klägerin auf Altersrente aus eigenem Recht sei noch nicht entschieden. Ob und in welcher Höhe das Recht auf eigene Altersrente über § 22 b FRG Einfluss auf die Höhe der Witwenrente hatte, war für die Beklagte nicht absehbar. Vor diesem Hintergrund war sie weder verpflichtet noch berechtigt, zu Lasten der Klägerin (die ohne jegliche Rentenleistungen geblieben wäre) den Abschluss des Verwaltungsverfahrens eines anderen Sozialleistungsträgers abzuwarten oder gar den Rentenanspruch gegen diesen Träger selbst inzidenter zu ermitteln und zu berücksichtigen. Diese Rechtslage wirkt sich im Zweifel zugunsten der Versicherten aus, die - zunächst - u.U. eine höhere Leistung erhalten und diese dann (wie die Klägerin hier für die Zeit bis zum 31.03.2002) auch behalten dürfen. Dem Leistungsträger obliegt - als Nebenpflicht - allenfalls, durch entsprechende Hinweise im Bewilligungsbescheid auf die Konsequenzen von hinzutretenden Ansprüchen auf die bewilligte Leistung hinzuweisen und damit schutzwürdiges Vertrauen auf eine dauernde Bewilligung zu verhindern. Dem hat die Beklagte durch den Hinweis hinreichend Rechnung getragen, dass sich die Höhe der Witwenrente möglicherweise durch das Hinzutreten einer weiteren auf FRG-Zeiten beruhenden Rente verringern kann.

Der Bescheid vom 07.01.2002 ist durch die nachträgliche wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, nämlich durch die Bewilligung der Altersrente unter Berücksichtigung eigener FRG-Zeiten durch die BfA am 06.02.2002, spätestens aber durch das Inkrafttreten des RVNG und damit die neue Fassung des § 22 b FRG am 26.07.2004, rechtswidrig geworden. Die Feststellung einer wesentlichen Änderung erfordert einen Vergleich zwischen den Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses der bindend gewordenen Entscheidung und dem Zustand im Zeitpunkt der Neufeststellung (vgl. Wiesner in: Von Wulffen. SGB X. Kommentar. 6. Aufl. 2008, § 48 Rdnr. 7 m.w.N.). Bei Erlass des Witwenrente gewährenden Bescheides bezog die Klägerin noch keine Altersrente aus eigener Versicherung, so dass die in § 22 b FRG vorgesehene Begrenzung von EP aus nach dem FRG anrechenbaren Zeiten (zunächst) nur für ihre Witwenrente in Betracht kam. Dies hat sich mit dem Erlass des Bescheides vom 06.02.2002 oder spätestens mit Inkrafttreten des RVNG am 26.07.2004 geändert, weil die BfA der Klägerin Altersrente für Frauen unter Berücksichtigung von nach dem FRG anrechenbaren EP zuerkannt hat.

Diese Änderung war trotz der Gesamtbegrenzung auf 25 EP bereits im Bescheid vom 07.01.2002 für die Höhe des streitigen Anspruchs wesentlich, weil § 22 b Abs. 1 Satz 3 FRG (a.F. und n.F.) anordnet, dass bei der Anwendung von Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift EP aus der Rente mit einem höheren Rentenartfaktor vorrangig zu berücksichtigen sind (und damit die Lastenverteilung unter mehreren Rentenversicherungsträgern regelt). Der Rentenartfaktor einer Rente wegen Alters ist aber regelmäßig höher als derjenige einer (dauerhaften) Rente wegen Todes, §§ 67, 82 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Der Senat geht dabei davon aus, dass Art. 9 Nr. 2 RVNG eine die schon bis dahin geltende Rechtslage klarstellende Regelung enthält (so schon zum Paradigmenwechsel im FRG statt vieler: LSG NRW, Urt. v. 26.02.2004, Az. L 2 KN 42/03; das BVerfG hat diese Frage offen gelassen: BVerfG, Beschluss vom 21.07.2010, Az. 1 BvL 2530, neigt aber wohl auch zu der hier vertretenen Auffassung, vgl. ebenda Rdnr. 74). Versteht man § 22 b Abs. 1 FRG in der seit dem 26.07.2004 geltenden Fassung lediglich als Klarstellung einer bereits zuvor bestehenden Rechtslage, gab es auch zuvor (nach § 22 b Abs. 1 FRG a.F.) schon eine Begrenzung der nach dem FRG anrechenbaren EP auf 25, wenn eine Rente aus eigener Versicherung mit einer Rente wegen Todes zusammentraf. Dann ist vorliegend aus den bereits genannten Gründen durch den Bescheid der BfA vom 06.02.2002 eine wesentliche Änderung eingetreten. Für die Feststellung einer wesentlichen Änderung ist jedoch letztlich ohne Belang, ob man § 22 b FRG i.d.F. des Art. 9 Nr. 2 RVNG als Klarstellung oder als rückwirkende Neuregelung begreift. Denn auch das Inkrafttreten der Neuregelung während des laufenden Klageverfahrens ist eine rechtserhebliche wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse.

Ginge man davon aus, dass der Gesetzgeber - entgegen seiner ausdrücklich erklärten Absicht (BTDrucks 15/2149, S. 31 f; vgl. dazu BVerfG. AaO, Rdnr. 73) - originär eine rückwirkende Neuregelung geschaffen hat, und folgte damit der früher vom 4., 8., und 13. Senat des BSG (beispielhaft: Urteile vom 30.08.2001, Az. B 4 RA 118/00 R, vom 21.06.2005, Az. B 8 KN 1/05 R und vom 29.08.2006, Az. B 13 RJ 47/04 R, B 13 RJ 8/05 R und B 13 R 7/06 R) vertretenen Ansicht, dass das alte Recht noch keine (Gesamt-)Begrenzung auf 25 EP beim Zusammentreffen einer Rente aus eigener Versicherung mit einer Rente wegen Todes vorsah, so wäre allein durch den Bescheid vom 06.02.2002 keine wesentliche Änderung eingetreten. Diese wäre dann jedoch spätestens durch die am 26.07.2004 in Kraft getretene Neuregelung eingetreten, die im laufenden Verfahren auch in verfahrensrechtlich zulässiger Weise bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide zu berücksichtigen wäre.

Der Anwendung des § 22 b FRG n.F. bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide stünden in diesem Fall keine verfahrensrechtlichen Grundsätze entgegen. Denn selbst bei reinen Anfechtungsklagen - wie hier - ist nach der letzten Verwaltungsentscheidung, aber vor der gerichtlichen Entscheidung ergangenes neues Recht zu beachten, wenn das Gesetz - wie hier - Geltung für in der Vergangenheit abgeschlossene Tatbestände beansprucht (stRspr, vgl. BSG, Urteile vom 28.03.1958, Az. 6 RKa 1/57 und vom 24.11.1993, 6 RKa 70/91; BVerwG, Urteil vom 11.07.2011, Az. 8 C 12/10). Soweit die Auffassung vertreten wird, dass bei Anfechtungsklagen stets nur auf die Rechtslage im Augenblick der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen ist und spätere Änderungen nicht berücksichtigt werden dürfen(BSGE 85, 98 = NZS 2000, 254; BVerwGE 35, 249 = NJW 1970, 1858), betrifft das überdies nie Fälle, in denen ein materielles Gesetz sich rückwirkende Geltung beimisst.

Das BVerfG hat mit Gesetzeskraft (vgl. § 31 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz) festgestellt, dass § 22 b FRG n.F. rückwirkend zum 07.05.1996 wirksam in Kraft getreten ist (BGBl. I 2010, 1358). Zwar hat das BVerfG eine verfassungsrechtliche Bewertung solcher Sachverhalte, bei denen bereits eine Hinterbliebenenrente ohne die Begrenzung auf 25 EP bestandskräftig gewährt wurde, ausdrücklich ausgenommen (BVerfG. AaO, Rdnr. 60). Entgegen ihrer Rechtsmeinung unterfällt die Klägerin diesem Personenkreis jedoch nicht. Denn die Beklagte hatte die mit Bescheid vom 07.01.2002 anerkannte Witwenrente bereits auf 25 EP begrenzt. Auf Seite 2 der Anlage 6 des Bescheids vom 07.01.2002 legt sie dar, dass die ermittelten 34,3784 EP für anrechenbare Zeiten nach dem FRG den Höchstwert übersteigen und auf 25 EP zu begrenzen sind. Daher ist der Klägerin im Sinne des BVerfG "nie bestandskräftig eine Hinterbliebenenrente ohne Begrenzung auf 25 EP" gewährt worden, sondern im Gegenteil bestandskräftig eine Witwenrente mit einer solchen Begrenzung, die überdies mit dem Hinweis versehen war, dass bei Hinzutritt einer weiteren auf FRG-Zeiten beruhenden Rente [ ] sich der Rentenanspruch vermindern könne. Die Klägerin kann sich deshalb auf Vertrauensschutz nicht berufen.

Die weiteren Einwendungen der Klägerin führen zu keinem für sie günstigen Ergebnis: Soweit sie während des Berufungsverfahrens geltend gemacht hat, bei ihrem Ehemann und ihr seien Vorkriegszeiten und die während der Verschleppung zurückgelegten Zwangsarbeiten bis zumindest 1956 nach § 250 SGB VI anzuerkennen mit der Folge, dass die Anrechnung der EP für diese Zeiten zu unterbleiben habe, ist darauf hinzuweisen, dass der Rentenberechnung nur Zeiten nach dem FRG zugrundeliegen. EP aus der Bewertung von Ersatzzeiten wären damit ebenfalls anrechenbare Zeiten nach dem FRG, weil außer FRG-Zeiten keine sonstigen Beitragszeiten vorliegen (BSG, Urteil vom 20.07.2011, Az. B 13 R 40/10 R).

Auch gegen Grundrechte verstößt die von der Beklagten angeordnete Rentenkürzung nicht. Eine Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 GG im Verhältnis zu Personen, die ihr Erwerbsleben in der ehemaligen DDR zurückgelegt haben, liegt nicht vor (BVerfG. AaO, Rdnr. 87 m.w ...N; s auch: BVerfG, Beschluss vom 13.06.2006, Az. 1 BvL 9/00, 1 BvL 11/00, 1 BvL 12/00, 1 BvL 5/01 und 1 BvL 10/04). Allein nach dem FRG begründete Rentenanwartschaften oder -ansprüche fallen auch nicht unter den Eigentumsschutz des Art 14 Abs. 1 S 1 GG, da sie ausschließlich auf Beitrags- und Beschäftigungszeiten außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland beruhen (BVerfG, Beschluss vom 21.07.2010, Az 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/0 und 1 BvR 2530/05). Sowohl bei der Hinterbliebenenrente als auch bei der Rente aus eigenem Recht sind (ausweislich der in den Verwaltungsakten befindlichen Versicherungsverläufe) aber ausschließlich Zeiten nach dem FRG zu Grunde gelegt worden.

Soweit die Klägerin schließlich meint, es liege ein Verstoß "sowohl gegen Europarecht als auch gegen die ERMK" vor, versäumt sie es, ihre Ansicht substantiiert zu begründen. Das BSG (BSG, Urteil vom 20.07.2011, Az. B 13 R 49/10 R) hat dazu in einem ähnlich gelagerten Fall ausgeführt:

"Grundvoraussetzung für die erst seit 1.12.2009 in Kraft getretene (und ihre Rückwirkung nicht ausdrücklich anordnende) Grundrechtscharta (GRCh) (Amtsblatt EU Nr. C 83 vom 30.03.2010) wäre im Übrigen, dass ihr Anwendungsbereich eröffnet ist. Das ist nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh für die Mitgliedstaaten "ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union" der Fall, nicht aber, wenn sie ausschließlich im Rahmen ihrer nationalen Kompetenzen agieren (vgl. Jarass, Komm zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 51 RdNr. 10). Die Gewährung von Renten für Aussiedler, die aus der Sowjetunion nach Deutschland gekommen sind, berührt die Durchführung des Rechts der Union nicht, denn das FRG ist nicht in Umsetzung von Unionsrecht ergangen und wird auch sonst nicht durch unionsrechtliche Vorschriften determiniert. Auch der von der Klägerin (pauschal) gerügte Verstoß gegen Art 1 des Protokolls Nr. 1 (Schutz des Eigentums) zur EMRK (BGBl. II 1956, 1880, BGBl. II 2002, 1072) ist nicht ansatzweise ersichtlich (zu Rang und Reichweite der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle innerhalb der deutschen Rechtsordnung s zuletzt BVerfG vom 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08 u.a. - Juris RdNr. 86 ff m.w.N., wonach die EMRK und ihre Zusatzprotokolle im Rang eines Bundesgesetzes und damit unter dem GG stehen, jedoch auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR bei der Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des GG heranzuziehen sind). Denn nur soweit Sozialleistungsansprüche im nationalen Recht bereits begründet worden sind, fallen sie in den Anwendungsbereich von Art 1 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK (vgl. z.B. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vom 25.09.2007 - SozR 4-6021 Art 1 Nr. 1 RdNr. 126, 131 f; stRspr; s auch Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Zusatzprotokoll EMRK Art 1 RdNr. 14 f m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Denn zum einen unterfällt nach der Rechtsprechung des BVerfG selbst der Anspruch eines ausschließlich in der deutschen Rentenversicherung Versicherten auf Versorgung seiner Hinterbliebenen nicht unter den Eigentumsschutz des Art 14 Abs. 1 GG (BVerfGE 97, 271 = SozR 3-2940 § 58 Nr. 1), und zum anderen hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 21.07.2010 (aaO) - wie oben unter 3. ausgeführt - mit Gesetzeskraft entschieden, dass die rückwirkende Inkraftsetzung des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. zum 07.05.1996 verfassungsgemäß war. Aus Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK ergeben sich hier aber keine Anforderungen, die weiter reichen als diejenigen, die nach dem GG an eine Rückwirkung zu stellen sind. Insoweit hat die Klägerin nie einen Anspruch auf Zahlung einer Witwenrente erworben; aber nur unter dieser Voraussetzung läge überhaupt eine "berechtigte Erwartung" auf ein - vermeintliches - Eigentumsrecht i.S. von Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK vor (vgl. EGMR vom 25.09.2007 aaO RdNr. 126)."

Diesen treffenden Ausführungen schließt sich der Senat uneingeschränkt an.

Der Bescheid vom 14.03.2002 ist auch hinsichtlich des Wertes der ab dem 01.04.2002 zu zahlenden monatlichen Rente (brutto 43,69 EUR, netto 40,46 EUR) zutreffend. Die Differenz zwischen den von der BfA zu Grunde gelegten 22,1239 EP zu dem Höchstbetrag von 25 EP beträgt 2,8761 EP; ( ) = 11,5044% von der bisherigen Bruttorente i. H. v. 379,72 EUR sind (auf die zweite Kommastelle gerundet) 43,69 EUR.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Selbst wenn die Beklagte die Klage zunächst veranlasst hätte, weil die angefochtenen Bescheide erst mit der Rechtsänderung am 26.07.2004 rechtmäßig geworden sind, sähe der Senat keine Veranlassung für eine teilweise Kostentragung der Beklagten, weil die Klägerin durchgehend höhere große Witwenrente auf Dauer begehrt hat, und der vorangehende Zeitraum (01.04.2002 - 25.07.2004) dabei nicht wesentlich ins Gewicht fällt.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil alle für die Entscheidung erheblichen Rechtsfragen entweder aus dem Gesetz zu beantworten oder höchstrichterlich geklärt sind. Maßgeblich für die Entscheidung sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls.
Rechtskraft
Aus
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