L 10 SB 89/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 11 SB 716/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 SB 89/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 92/12 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 03.02.2012 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des beim Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) nach dem 9. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) im Rahmen eines Änderungsantrags.

Bei dem am 00.00.1947 geborenen Kläger wurde zuletzt mit Bescheid vom 07.10.1997 ein GdB von 20 für Funktionsbeeinträchtigungen von Seiten des Herzens festgestellt.

Im Oktober 2009 beantragte der Kläger die Feststellung eines höheren GdB. Der Beklagte wertete einen Befundbericht der behandelnden Hausärztin Dr. L vom 10.12.2009 aus und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18.01.2010 ab. Auf den Widerspruch des Klägers holte der Beklagte einen internistischen Befundbericht von Dr. C (22.02.2010) ein und stellte mit Abhilfebescheid vom 25.03.2010 nunmehr ab 01.10.2009 einen GdB von 30 fest. Der Kläger hielt seinen Widerspruch aufrecht und führte Schmerzen in Knie- und Schultergelenken an. Er werde von dem Orthopäden Dr. P behandelt. Der Beklagte zog auch von diesem Arzt einen Befundbericht bei (29.04.2010) und stellte mit weiterem Abhilfebescheid vom 14.06.2010 einen GdB von 40 fest. Die Behinderungen bezeichnete er wie folgt:

1. Koronare Herzkrankheit, Bypassoperation nach Herzinfarkt, Bluthochdruck;

2. Wirbelsäulen-Schulter-Arm-Syndrom bei degenerativen Veränderungen;

3. Diabetes mellitus;

4. Knie-Knorpelschaden, Spreizfußdeformität mit Gangstörung bei Übergewicht;

5. Schulter-Arm-Syndrom.

Sodann wies er den Widerspruch im Übrigen mit Bescheid vom 20.08.2010 zurück.

Der Kläger hat am 06.09.2010 beim Sozialgericht (SG) Münster Klage erhoben und zur Begründung ein Attest von Dr. L vorgelegt, in welchem eine progrediente Einschränkung der Belastbarkeit und der Luftnotsymptomatik, insbesondere wegen der Herzerkrankung, beschrieben wird.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen und sozialmedizinischen Gutachtens von Dr. M (Gutachten vom 04.05.2011), sowie eines chirurgischen Zusatzgutachtens von Dr. C1 (Gutachten vom 08.02.2011). Die Sachverständigen (SV) haben für Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule und für den Diabetes jeweils einen soeben erreichten GdB von 20, für Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten einen GdB von 20, und für die Beeinträchtigungen im Herz-Kreislaufsystem einen GdB von 30 angenommen. Insgesamt sei - so der Hauptgutachter Dr. M - der Gesamt-GdB mit 40 zu bewerten, weil zwischen den einzelnen Behinderungen gewisse gegenseitige und ungünstige Beeinflussungen erkennbar seien.

Das SG hat die Klage nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 03.02.2012 abgewiesen und die Entscheidung im Wesentlichen auf die Ausführungen und Ergebnisse in den Gutachten von Dr. C1 und Dr. M gestützt.

Der Kläger hat gegen den ihm am 10.02.2012 zugestellten Gerichtsbescheid am 02.03.2012 Berufung eingelegt. Seiner Meinung nach ist die Gesamt-GdB-Bildung mit 40 nicht haltbar. Die mit einem Einzel-GdB von 20 bewerteten Behinderungen auf orthopädischem Gebiet beträfen das gesamte Achsenskelett und würden sich erschwerend ungünstig beeinflussen. Die Behinderungen aufgrund des Herzleidens sowie des Diabetes seien völlig unabhängig von den orthopädischen Beschwerden zu sehen. Stünden die Auswirkungen von drei Gesundheitsstörungen, die einen GdB von 30 und zweimal 20 bedingen, unabhängig nebeneinander, so sei nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) ein Gesamt-GdB 50 gerechtfertigt (so Urteile des LSG NRW vom 28.06.2007, L 7 SB 152/04 und vom 31.03.2009, L 6 SB 110/08). Bestätigt werde diese Ansicht durch die Ausführungen von Benz in dessen Aufsatz: "Der Grad der Behinderung (GdB) im Schwerbehindertenrecht bei Mehrfachbehinderungen", in: SGb 2011, S 625 ff). So führe Benz völlig zu Recht aus: "Bestehen verschiedene Behinderungen unabhängig voneinander, müssen sie bei der Bildung des Gesamt-GdB ungekürzt berücksichtigt werden". Auch Winkler in Müller-Wenner/Winkler, SGB IX, Teil 2, Schwerbehindertenrecht, § 69 Rn 47 schreibe: "Das Nebeneinander von mehreren Beeinträchtigungen verschiedener Funktionssysteme bedeutet, dass mehr als ein Bereich im Ablauf des täglichen Lebens funktionell betroffen ist, so dass in der Regel jede hinzukommende Beeinträchtigung den Gesamtzustand verschlechtert".

Der Kläger beantragt,

1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 03.02.2012 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 18.01.2010, 25.03.2010 in der Gestalt des Bescheides vom 14.06.2010 sowie des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2010 zu verurteilen, bei ihm einen GdB von mindestens 50 festzustellen.

2. hilfsweise Beweis darüber zu erheben, dass die beim Kläger vorliegenden Behinderungen ein Ausmaß aufweisen, welches mit einem Einzel-GdB von 50 vergleichbar ist und im Rahmen dieses Vergleiches eine Unterteilung der vorliegenden Einzel-GdB-Werte in schwache, mittlere und/oder starke Werte keinen zulässigen Vergleichsmaßstab im Sinne - Versorgungsmedizinische Verordnung - VersMedV - darstellt durch Einholung einer Auskunft beim Verordnungsgeber.

3. hilfsweise weiteren Beweis darüber zu erheben, welche konkreten sozialmedizinischen Erfahrungen im Sinne von A 3 b der VersMedV erforderlich sind, um Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu deren in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind, durch Nachfrage beim Verordnungsgeber bzw. Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

4. und weiter hilfsweise Beweis darüber zu erheben, dass die Sachverständigen Dr. C1 und Dr. M nicht die erforderliche sozialmedizinische Erfahrung gemäß (A 3 b) der gemeinsamen Grundsätze der VersMedV aufweisen, um Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind, durch Einholung einer Auskunft der Sachverständigen zu den bei ihnen vorhandenen sozialmedizinischen Erfahrungen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den Gerichtsbescheid für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der Schwerbehinderung. Der GdB ist mit 40 angemessen bewertet.

Der Anspruch des Klägers auf Zuerkennung eines höheren GdB bestimmt sich nach § 48 Abs 1 des 10. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X). Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt aufzuheben. Seit dem Bescheid vom 07.10.1997 haben sich die Gesundheitsstörungen und die damit einhergehenden Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers wesentlich verschlechtert, so dass eine Erhöhung des GdB von 20 auf 40 ab dem Antrag auf Höherstufung von Oktober 2009 gerechtfertigt ist. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Schwerbehinderung mit einem GdB 50 liegen indes nicht vor.

Rechtsgrundlage für die Feststellung eines GdB ist § 69 Abs 1 iVm Abs 3 SGB IX. Nach § 69 Abs 1 S 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs 1 S 4 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 69 Abs 1 S 5 SGB IX gelten die Maßstäbe des § 30 Abs 1 BVG sowie der aufgrund des § 30 Abs 17 BVG (seit dem 01.07.2011 § 30 Ans 16 BVG) erlassenen Rechtsverordnung (Versorgungsmedizinische Grundsätze, Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung - Anl VersMedV -) entsprechend. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, wird der GdB gemäß § 69 Abs 3 S 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

Zur Feststellung des GdB sind in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen Zuständen und den sich hieraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. In einem zweiten Schritt sind diese den in der Anl VersMedV genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Aus den hiernach festzustellenden Einzel-GdB ist in einem dritten Schritt, in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB (Teil A Nr 3 c) Anl VersMedV), in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen ein Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder bedingungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle feste Grade angegeben sind (Teil A Nr 3 b) Anl VersMedV). Dabei ist die Bemessung des GdB grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (st Rspr des Bundessozialgerichts - BSG -, vgl ua Urteil vom 02.12.2010, B 9 SB 3/09 R, in: Juris, Rn 16 mwN).

Die führende Gesundheitsstörung, von der bei der Bildung des Gesamt-GdB auszugehen ist, besteht bei dem Kläger im Funktionssystem Herz-Kreislauf. Der Kläger leidet nach den Feststellungen des SV Dr. M an einer koronaren Dreigefäßerkrankung bei Zustand nach Vorderwandinfarkt und Bypassoperation 1997 sowie einem Hypertonus. Nach Ziffer B 9 Anl VersMedV sind Krankheiten des Herzens wie folgt zu beurteilen: Bei einer koronaren Herzkrankheit ist im Wesentlichen auf die vorliegende Einschränkung der Herzleistung abzustellen. Bei einer Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung beträgt der GdB 20 bis 40 (Teil B Nr 9.1.1 Anl VersMedV). Zudem leidet der Kläger an einer Hypertonie. Eine solche bemisst sich nach Teil B Nr 9.3 Anl VersMedV nach der Organbeteiligung sowie der Höhe des diastolischen Blutdrucks. Bei einem solchen von mehrfach über 100 mm Hg trotz Behandlung ist ein GdB von 20 bis 40 angemessen. Bei dem Kläger lag eine mäßiggradig ausgeprägte hypertone Kreislauflage mit einem Messwert von 165/95 mm Hg beim SV Dr. M vor. Eine in der genannten Ziffer der Anl VersMedV beschriebene Organbeteiligung ist noch nicht gegeben. Damit ist die Bewertung mit einem GdB 30 für das Funktionssystem Herz-Kreislauf gerechtfertigt.

Weiterhin leidet der Kläger leidet an einem Diabetes mellitus, der nach den anamnestischen Angaben des Klägers beim SV ua mit dem Medikament Galvus behandelt wird. Hierdurch kann unter Umständen eine Hypoglykämie hervorrufen werden, so der SV. Entsprechend bewertet dieser unter Berücksichtigung der Vorgaben in Teil B Nr 15.1 Anl VersMedV den Diabetes mit einem GdB 20. Bislang ist eine Hypoglykämie beim Kläger jedoch noch nicht aufgetreten. Eine medikamentöse Behandlung des Diabetes wird in den Befundberichten des Hausarztes Dr. L vom 10.12.2009 und vom 20.10.2010 zudem nicht beschrieben, so dass die theoretische Möglichkeit, dass durch das Medikament Galvus Hypoglykämien hervorrufen werden können, nicht im Vordergrund der Beurteilung stehen kann. Maßgebliche Einschnitte in der Lebensführung, außer der Einhaltung einer gewissen diätetischen Ernährungsweise, sind zudem auch nicht vorgetragen und werden nicht vom SV beschrieben. Eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung, die den GdB 20 rechtfertigt, vermag der Senat allein wegen der Hypoglykämiemöglichkeit aufgrund der medikamentösen Behandlung nicht zu erkennen. Der SV Dr. M bezeichnet den GdB 20 dementsprechend als schwach, womit er das nur leichte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung verdeutlicht.

Der Kläger leidet nach den Feststellungen des Dr. C1 zudem unter Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule bei angedeuteter Seitneigungsfehlhaltung mit umbildenden Veränderungen und einem Lendenwirbelsäulensyndrom. Hierdurch wird seine Mobilität beeinträchtigt. Diese Teilhabebeeinträchtigung beurteilt der SV nach den Vorgaben von Teil B Nr 18.9 Anl VersMedV mit einem GdB 20. Gleichmaßen bewertet er die beginnende Kniearthrose rechts mit Muskelminderung im Oberschenkelbereich und Senk-/Spreizfuß beidseits (Teil B Nr 18.14 Anl VersMedV). Die degenerativen Schultergelenkveränderungen sind nach Vorschlag des SV nach Teil B Nr 18.13 Anl VersMedV mit einem GdB von 10 zu bewerten. Der Senat schließt sich der Beurteilung der auf orthopädischem Gebiet liegenden Teilhabebeeinträchtigungen an.

Zutreffend hat der SV Dr. M den Gesamt-GdB mit 40 beurteilt. Der Senat folgt dessen Einschätzung, zumal er, wie im Übrigen auch Dr. C1, über ausreichende sozialmedizinische Erfahrungen verfügt, die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zu beurteilen. Die Qualität der SV ist gerichtsbekannt, sonst hätte das SG diese Ärzte nicht im Rahmen des § 106 SGG bestellt. Sie sind auch dem Senat als sachkundig bekannt. Der Kläger hat zudem weder vor, noch nach der Begutachtung Einwände gegen die Benennung dieser Ärzte zu SV erhoben, oder Zweifel an deren Sachkompetenz geäußert, sondern dies erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren getan.

Ausgehend von dem Einzel-GdB von 30 für das Funktionssystem Herz-Kreislauf erhöhen die mit einem GdB von 20 beurteilten Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten den Gesamt-GdB auf 40. Hingegen wirken sich die mit dem Diabetes einhergehenden Beeinträchtigungen, die der Senat nach dem Vorschlag des Dr. M zu Gunsten des Klägers mit einem GdB 20 bewertet, ebensowenig den GdB anhebend aus, wie die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule, die gleichfalls einen GdB von 20 bedingen. Die Beeinträchtigungen von Seiten der oberen Extremitäten sind mit dem GdB von nur 10 nicht zu berücksichtigen (Teil A Nr 3 d) ee) Satz 1 Anl VersMedV). In Ihrer Gesamtschau überschneiden sich die wechselseitigen Funktionsstörungen in einem gewissen Maße, weil durch die Herzerkrankung mit dem Bluthochdruck das Aktivitätsniveau des Klägers generell gemindert ist. Auch die Beschwerden des Klägers durch die Erkrankungen von Seiten der Lendenwirbelsäule und des rechten Beins haben Einfluss auf die Mobilität, die Beweglichkeit und Kraft. Zudem wirkt sich in allen Funktionsbereichen das bestehende Übergewicht des Klägers aus. Die Beeinträchtigung durch den Diabetes, die der SV so gerade mit 20 bewertet, fallen als leichte Beeinträchtigungen nicht GdB-anhebend ins Gewicht, auch wenn sie sich in ihrer Gesamtschau, wie alle Funktionsstörungen, verschlechternd auswirken; dies jedoch nicht in dem Ausmaß, dass sie mit einem ein GdB von insgesamt 50 zu beurteilen sind.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Gesamtschau, wie die Klägerseite sie unter Hinweis auf die Ausführungen von Benz sieht. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich, wie vorstehend beurteilt, aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen, nicht - wie der Kläger meint - aus einer zahlenmäßigen Beurteilung der Einzel-GdB-Werte. Er ist insbesondere nicht nach starren Beweisregeln festzustellen. Vielmehr gilt der seit jeher von der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung aufgestellte Grundsatz, dass bei der Feststellung des Gesamt-GdB weder mathematische Formeln noch feste Rechenregeln angewandt werden dürfen (so schon BSG, Urteil vom 07.11.1979, 9 RVs 12/78 in Juris sowie Urteil des LSG NRW vom 29.06.2012, L 13 SB 127/11). Eine andere Gewichtung folgt auch nicht aus der vom Kläger angeführten Rechtsprechung der mit dem Schwerbehindertenrecht nicht mehr befassten Senate 6 und 7 dieses Hauses (Urteile des LSG NRW vom 28.06.2007, L 7 SB 152/04 und vom 31.03.2009, L 6 SB 110/08). Auch in den bezeichneten Entscheidungen wird der Gesamt-GdB einzelfallbezogen nach der Teilhabebeeinträchtigung in den verschiedenen Lebensbereichen beurteilt und dargelegt, dass GdB-Werte von 20 geeignet sind, das Ausmaß der Gesamt-Beeinträchtigung zu steigern. Ob dies im jeweils konkreten Fall gerechtfertigt ist, hängt auch nach Ansicht dieser Senate vom Verhältnis der einzelnen, nebeneinander bestehenden Gesundheitsstörungen ab (so auch Urteil des LSG NRW vom 29.6.2012, L 13 SB 127/11). Keinesfalls ist der Entscheidung des 6. Senats vom 31.03.2009 der Grundsatz zu entnehmen, dass aus Werten von 30 und zweimal 20 immer ein Gesamt-GdB von 50 zu bilden ist. Dass der 6. Senat dies nicht gemeint hat, ergibt sich aus dessen späterer Entscheidung vom 26.04.1010 (L 6 SB 187/09 in Juris). So heißt es in dem Orientierungssatz zu der Entscheidung: "Nach Anl 1 Teil A Nr 3 d) ee) der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) ist es bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Diese Regelung ist so auszulegen, dass Leiden, die mit einem GdB von "gerade eben" 20, also einem "schwachen" GdB von 20 bewertet werden, grundsätzlich nicht in die Bildung des Gesamt-GdB einfließen".

Soweit der Kläger meint, dass die Unterteilung der Einzel-GdB-Werte in schwache, mittlere und/oder starke Werte keinen zulässigen Vergleichsmaßstab iS der Anl VersMedV darstellen würde, so misst der Senat diesem Gesichtspunkt keine Bedeutung für die Bildung des Gesamt-GdB bei. Die Feststellung des GdB erfolgt in 10er-Schritten. Es haben sich, wie der vorstehende Orientierungssatz zur Entscheidung des 6. Senats und auch die Feststellungen der SV Dr. M und Dr. C1 verdeutlichen, im Sprachgebrauch zunehmend Begriffe wie "gerade mal 20/soeben erreicht, schwacher/mittlerer/starker 20iger, glatter 20iger/im oberen Bereich" gebildet und in der Argumentation in gewissem Maße auch verselbstständigt. Derartige, von den 10er-Schritten abweichende Regelungen sieht die Anl VersMedV nicht vor. Dafür bedarf es keiner Klärung durch den Verordnungsgeber. Zwischenstufen kennen weder die früheren Anhaltspunkte noch finden sie sich in der VersMedV. Der Senat vermag nicht nachzuvollziehen, warum der Kläger sich an festen GdB-Werten orientieren will. GdB-Werte sind keine Rechnungsposten. Es kommt hierauf nicht an, sondern allein auf die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen, wie sie sich wechselseitig auswirken und welches Gewicht sie haben. Mit den angeführten scheinbar relativierten Begriffen wird das Ausmaß der konkreten Funktionseinschränkungen beschrieben und gewichtet. Die Begriffe sind ein Synonym für die jeweiligen Beeinträchtigungen in den betroffenen Funktionsbereichen, die sich in den verschiedenen Lebensbereichen, auch wenn sie mit dem GdB 20 bewertet werden, mal mehr, mal weniger auswirken. Das wird mit der Konkretisierung des GdB verdeutlicht. Nicht der GdB 20 ist schwach, sondern die diesen GdB bildenden Funktionseinschränkungen sind so gering, dass es "vielfach" so die Anl 1 Teil A Nr. 3 d) ee) der Anl VersMedV "nicht gerechtfertigt ist, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen". Auch das BSG hat den Begriff der "signifikanten Teilhabebeeinträchtigung" beim Diabetes gebildet, der sogar in der Anl VersMedV Niederschlag gefunden hat.

Die hiernach gebotene Einzelfallbetrachtung lässt bei dem Kläger die Feststellung der Schwerbehinderung nicht zu. Dies gilt insbesondere auch deshalb nicht, weil sich das Gesamtausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers insgesamt nicht mit Gesundheitsschäden vergleichen lässt, für die in der Anl VersMedV feste GdB-Wert von 50 angegeben sind (Teil A Nr 3 b). Dieser Vergleich ist immer anzustellen. Das wird auch vom 13. Senat dieses Hauses so gesehen (Urteil vom 29.06.2012, L 13 SB 127/11). Auch wenn der Kläger erheblich eingeschränkt ist, so sind die verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen doch nicht so gravierend, wie sie mit Gesundheitsschäden verbunden sind, zu denen in der Tabelle ein GdB 50 angegeben wird. Das hat der SV Dr. M überzeugend dargelegt. Der Kläger ist nicht so beeinträchtigt, wie ein behinderter Mensch mit einer Wirbelsäulenerkrankung mit einem Einzel-GdB von 50, der die Versteifung großer Teile der Wirbelsäule voraussetzt. Eine Herzerkrankung, die mit einem GdB von 50 bewertet wird, verursacht eine Leistungseinschränkung bereits bei alltäglicher leichter Belastung, was hier insgesamt unter Berücksichtigung aller Funktionsstörungen gerade nicht der Fall ist. In dieser Beurteilung schließt sich der Senat den Darlegungen der SVen an.

Eine weitere Beweiserhebung hält der Senat nicht für erforderlich. Der Sachverhält ist im Tatsächlichen geklärt. Das sieht der Kläger wohl auch so. Soweit dieser entsprechend den Hilfsanträgen zu 2 bis 4 Aufklärungsbedarf sieht, besteht dazu keine Veranlassung. Der Beweisantrag zu 2) ist nicht verständlich und in sich widersprüchlich, wird hier doch nach dem Ausmaß der Behinderung gefragt. Es werden Funktionsbehinderungen verglichen, nicht GdB-Werte. Wie vorstehend ausgeführt, beurteilt der Senat allein das Ausmaß der Behinderungen, er vergleicht keine GdB-Werte. Dem Gericht ist auch nicht bekannt, dass dies in der Sozialgerichtsbarkeit irgendwo praktiziert würde. Im Übrigen bezieht sich der Beweisantrag zu 2 allein auf die Entscheidung von Rechtsfragen, nämlich die Bildung des Gesamt-GdB, die dem Gericht und gerade nicht den Ärzten, dem Verordnungsgeber oder dem "Ärztlichen Sachverständigenbeirat" obliegt. Die Bemessung des GdB ist Aufgabe des Tatrichters im Einzelfall; der Sachverständigenbeirat kann hierzu keine Aufklärung geben (vgl BSG, Urteil vom 02.12.2010 aaO, Rn 14 und 16). Der Senat hat keine Zweifel, wie die Anl VersMedV auszulegen ist. Deshalb erübrigt es sich auch, den Verordnungsgeber um eine Stellungnahme zu ersuchen. Gleiches gilt auch für den Antrag zu 3, der sich auf die Auslegung des Begriffs "sozialmedizinische Erfahrung" bezieht. Zu dem Antrag zu 4 hat der Senat vorstehend bereits ausgeführt, dass die SVen die erforderliche Sachkompetenz besitzen. Der Kläger hat zu keiner Zeit Zweifel an der Sachkompetenz der Ärzte angeführt; er hat diese Zweifel allenfalls konkludent durch den Beweisantrag zu 4 formuliert. Der Senat hat diese Zweifel jedenfalls nicht. Der Beweisantrag wäre im Übrigen auch verspätet. Er hätte rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen, damit die Sachverständigen geladen bzw schriftlich befragt und eine Vertagung hätte vermieden werden können (vgl Urteil des LSG NRW vom 29.06.2012, L 13 SB 127/11 mwN).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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