L 4 KA 100/09

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 11 KA 522/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 100/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 28. Oktober 2009 aufgehoben, soweit es den Bescheid vom 24. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2009 aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung verurteilt hat. Insoweit wird die Klage abgewiesen.

Auf die Anschlussberufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 28. Oktober 2008 sowie der Bescheid der Beklagten vom 4. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2007 abgeändert und die Beklagte verurteilt, den Kläger für die Quartale III/2006 und IV/2006 der Honoraruntergruppe B 2.16 und dort der Fachgruppe VFG-VTG 57 - 69 der Neurologen und Psychiater (Doppelzulassung) zuzuordnen und entsprechend zu honorieren.
Im Übrigen wird die Anschlussberufung zurückgewiesen.

Die Beteiligten tragen ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen selbst, die Gerichtskosten jeweils zur Hälfte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Zuordnung zu einer anderen Honoraruntergruppe des 2006 geltenden Honorarverteilungsvertrags, hilfsweise eine Erhöhung des Regelleistungsvolumens im Rahmen einer Sonderregelung.

Der Kläger ist seit dem 1. Januar 2006 als Facharzt für Neurologie und als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Er hat den Vertragsarztsitz einer Fachärztin für Nervenheilkunde übernommen, welche in der Honoraruntergruppe B 2.16 des seit dem Quartal II/2005 in Hessen geltenden Honorarverteilungsvertrages (HVV 2005) - Fachärzte für Nervenheilkunde, Neurologie und Psychiatrie (Doppelzulassung), VFG-VTG 57-69 – geführt wurde. Der Kläger übt seine ärztliche Tätigkeit in Praxisgemeinschaft mit Dr. Q. aus. Er erbringt sowohl neurologische als auch psychiatrische und psychotherapeutische Leistungen.

Für die Teilnahme an der Honorarverteilung gruppierte die Beklagte den Kläger in die Vergütungsfachgruppe (VFG) 59-01 - Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie mit Leistungsanteil an Richtlinien-Psychotherapie von höchstens 30 % - ein. Das Honorar des Klägers für die Quartale I/06 bis I/07 setzte sie wie folgt fest:

Quartal I/06 II/06 III/06 IV/06 I/07
Honorarbescheid 19.1.2007 3.2.2007 16.3.2007 17.4.2007 17.7.2007
Bruttohonorar PK und EK in EUR 30.860,21 45.641,62 36.882,90 32.858,22 24.400,51
Fallzahl PK und EK 1.413 1.391 1.335 1.065 1.166 RLV Ziffer 6.3 HVV
Fallwert 1.147,7 1.149 1.149,1 1147,3 1.145,3
Fallzahl 1.411 1.384 1.328 1.056 1.162
Durchschnittliche Fallzahl FG im Vergleichsquartal 354 365 349 364 396
Vergütung zu 100% 531 548 524 546 594
Vergütung zu 75 % 177 182 174 182 198
Vergütung zu 0 % 703 654 630 328 370
Praxisbezogenes RLV in Punkten 761.785,9 786.490,5 752.086 783.032,3 850.385,3
Abgerechnetes Honorar in Punkten 1.468.590 1.410.285 1.403.300 1.321.905 1.464.220
Überschreitung 724.804,1 623.794,5 651.214 538.872,7 613.834,7

Nach Erhalt der ersten Quartalsabrechnung I/06 beantragte der Kläger am 8. März 2007 die Umgruppierung in die Honoraruntergruppe HG 2.16 ("Fachärzte für Nervenheilkunde, Neurologie und Psychiatrie (Doppelzulassung"). Die Zuordnung zu der Honorargruppe der Psychiater mit einem Leistungsanteil Richtlinien-Psychotherapie von höchstens 30 % sei fehlerhaft. Er habe in vollem Umfang einen Praxissitz einer Vertragsärztin übernommen, die der Gruppe der Neurologen/Psychiater (Doppelzulassung) zugeordnet gewesen sei. Da ihm seine zwei Facharztberechtigungen ebenfalls eine Doppelzulassung ermöglichten, müsse er ebenso wie seine Praxisvorgängerin eingeordnet werden. Die oberen Punktwerte und die Fallzahlen beider Gruppen divergierten erheblich, weshalb die Eingruppierung durch die Beklagte seine wirtschaftliche Existenz gefährde. Außerdem behandle er etwa zur Hälfte Patienten mit neurologischen Erkrankungen.

Die Beklagte wies mit Bescheid vom 4. April 2007 den Antrag zurück. Der Antrag bezüglich des Quartals I/06 sei unzulässig, da zum Antragszeitpunkt der Honorarbescheid für das Quartal I/06 bereits zugegangen gewesen sei und Anträge nur für die Zukunft Wirkung entfalten könnten. Hinsichtlich der Quartale II/06 bis IV/06 sei festzustellen, dass nach dem HVV bei Ärzten mit Doppelzulassung die Zuordnung zu den einzelnen Honorar(unter)gruppen nach dem Tätigkeitsschwerpunkt der Praxis erfolge. Nach Auskunft der Fachabteilung liege bei dem Kläger der Schwerpunkt im Bereich der Psychiatrie, so dass seine Praxis der Honorar(unter)gruppe B 2.22, VFG 59-01 (Psychiater mit einem PT-Anteil unter 30 %) zugeordnet worden sei und ihm im Rahmen des Regelleistungsvolumens die Fallpunktzahlen der Psychiater und die entsprechenden Punktwerte zuerkannt würden. Der Honorar(unter)gruppe HG 2.16 seien die VFG-VTG 57-00 und VFG-VTG 57-69 zugeordnet. Es handele sich um die Ärzte mit der Fachgebietsbezeichnung "Nervenheilkunde" bzw. mit den Fachgebietsbezeichnungen "Neurologie und Psychiatrie", "Kinderneuropsychiatrie" und "Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie" entsprechend den BAR-Codes 140, 145, 146 und 149 der Bundesärztekammer. Diese Fachgebietsbezeichnungen seien aufgrund von Änderungen in der Weiterbildungsordnung obsolet geworden und könnten zwischenzeitlich nicht mehr erworben werden. Neu niedergelassene Neurologen und Psychiater verfügten somit grundsätzlich nicht mehr über den entsprechenden Facharzttitel, um der HG 2.16 zugeordnet werden zu können.

Hiergegen legte der Kläger am 3. Mai 2007 Widerspruch ein. Die Eingruppierung werde seiner Zulassung für beide Fachrichtungen nicht gerecht. Praktisch erhalte er für die neurologischen Patienten keine Bezahlung. § 6 Abs. 2 des HVV, der als Auffangklausel vorsehe, dass die Zuordnung von Gemeinschaftspraxen und entsprechend für Ärzte bzw. Psychotherapeuten mit einer Doppelzulassung zu den einzelnen Honorar(unter)gruppen nach dem Tätigkeitsschwerpunkt der Praxis erfolge, sei nicht einschlägig, weil für Nervenärzte, Neurologen und Psychiater (Doppelzulassung) mit der Honoraruntergruppe B 2.16 eine eigenständige Honoraruntergruppe existiere. Es sei unschädlich, dass in der Honoraruntergruppe lediglich Psychiater und nicht "Psychiatrie und Psychotherapie" aufgenommen worden sei. Auch nach neuem Weiterbildungsrecht könnten die Fachgebietsbezeichnungen Neurologie sowie Psychiatrie und Psychotherapie erworben werden. Die Notwendigkeit der von ihm begehrten Eingruppierung folge nicht nur aus dem Honorarverteilungsvertrag, sondern letztlich auch aus dem Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit. Die Eingruppierung führe nicht nur zu einem niedrigeren Punktwert, sondern vor allem zu einer der neurologischen Tätigkeit nicht gerecht werdenden Fallzahlbegrenzung. Ein Arzt mit Doppelzulassung habe das Recht, in beiden Fachgebieten gleichmäßig oder jeweils in einem von ihm gewählten Umfang tätig zu werden. Er verwies auf das Beispiel seines in Praxisgemeinschaft tätigen Kollegen Dr. Q., der als doppelt zugelassener Neurologe und Psychiater in B 2.16 eingruppiert sei und hierdurch (im Quartal I/07) bei ganz ähnlicher Patientenklientel und -Anzahl ein mehr als doppelt so hohes Honorar erzielt habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. November 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Für den Honorarbereich B sähen die Vorgaben des HW folgende relevante Gruppierungen vor:
B 2.16: Nervenärzte (VFG 57), Neurologen und Psychiater (Doppelzulassung - VFG 57- 69)
B 2.22: Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie mit Leistungsanteil an Richtlinien- PT im Vorjahresquartal von höchstens 30 % (VFG 59-01)
B 2.23: Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie mit Leistungsanteil an Richtlinien- PT im Vorjahresquartal von mehr als 30 % (VFG 59-02) Gemäß den Bestimmungen des HW erfolge bei Ärzten mit Doppelzulassung die Zuordnung zu den einzelnen Honorar(unter)gruppen nach dem Tätigkeitsschwerpunkt der Praxis, weshalb der Kläger der VFG 59-01 zugeordnet worden sei. In der Honorar(unter)gruppe B 2.16 seien lediglich die nach altem Recht zugelassenen Neurologen und Psychiater in Doppelzulassung eingruppiert; in dieser Honorargruppe seien prinzipiell nur noch Abgänge zu verzeichnen. Der Praxiskollege des Klägers, Herr Dr. Q., sei bereits vor Inkrafttreten der neuen Weiterbildungsordnung im Jahr 2005 niedergelassen gewesen.

Dagegen hat der Kläger am 7. Dezember 2007 Klage zum Sozialgericht Marburg erhoben (S 11 KA 522/07).

Schon vorher hatte der Kläger mit Schreiben vom 31. März 2007 die Erhöhung der arztgruppenspezifischen Fallzahlen bzw. der Fallzahlobergrenzen aufgrund seiner Doppelzulassung beantragt. Mit Bescheid vom 24. September 2008 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Sonderregelung im Rahmen der fallzahlabhängigen Quotierung nach Ziffer 5.2 HVV, des Regelleistungsvolumens nach Ziffer 6.3 HVV, im Rahmen der 5 %-Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV und auf individuelle Härteregelung für die Quartale I/06 bis I/07 ab. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf die Ausführungen im Verfahren auf Umgruppierung. Durch die fallzahlabhängige Quotierung nach Ziffer 5.2 HVV sei der Kläger, der den Status einer "jungen Praxis" habe, nicht beschwert; alle in den Quartalen I/06 bis I/07 abgerechneten Fälle flössen mit 100 % in die Berechnung der Gesamthonorarforderung ein. Bei der Berechnung des Regelleistungsvolumens erhalte der Kläger entsprechend seiner Zuordnung zur VFG 59- 01 folgende Fallpunktzahlen (getrennt nach Primär- und Ersatzkassen) zugewiesen:

Primärkassen Ersatzkassen
Altersgruppe 0 – 5 6- 59 60+ 0 – 5 6 – 59 60+
Fallpunktzahl 1.084 1.069 1.114 1.185 1.153 1.264

Diese Fallpunktzahlen seien mit der Fallzahl der Praxis zu multiplizieren. Hierbei sei das Regelleistungsvolumen für jeden über 150 % der durchschnittlichen Fallzahl der maßgeblichen Honorar(unter)gruppe im vergleichbaren Vorjahresquartal hinausgehenden Fall um 25 % zu mindern. Im Übrigen gelte eine Fallzahlobergrenze von 200 % der durchschnittlichen Fallzahl der maßgeblichen Honorar(unter)gruppe im vergleichbaren Vorjahresquartal. Von der so vorgegebenen Abstaffelung der Fallzahlen im Rahmen des Regelleistungsvolumens könne die KV nur unter Sicherstellungsaspekten abweichen, die hier nicht gegeben seien. Auf den Widerspruch des Klägers vom 8. Oktober 2008 half die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. März 2009 dem Widerspruch insoweit ab, als im Rahmen des Regelleistungsvolumens die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe für das Quartal I/06 um 441 Fälle, für das Quartal II/06 um 461 Fälle und für das Quartal III/06 um 459 Fälle erhöht wurde, da der Kläger in diesen drei Quartalen auf Grund eines krankheitsbedingten Ausfalls von Dr. Q. einen beträchtlichen Anteil von dessen Patienten mitversorgt hatte. Im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück. Da in den Quartalen IV/06 und I/07 Dr. Q. wieder vollumfänglich tätig gewesen sei, könne die Sonderregelung auf diese Quartale nicht mehr erstreckt werden. - Infolge der Abhilfe hat die Beklagte dem Kläger folgende Nachvergütungen gezahlt: 3.443,87 EUR (I/06), 7.909,61 EUR (II/06), 6.495,90 EUR (III/06) und 2.682,38 EUR (I/07), wobei die Nachvergütung für I/07 die Folge der veränderten Abrechnung für das Quartal I/06 als Basisquartal ist.

Dagegen hat der Kläger ebenfalls Klage erhoben (S 11 KA 252/09). Das Sozialgericht hat beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. Oktober 2009 hat der Kläger seine Klage auf Gewährung einer Sonderregelung für die Quartale l/06 bis III/06 zurückgenommen und eine Sonderregelung nur noch hilfsweise und nur für die Quartale IV/06 und I/07 geltend gemacht.

Der Kläger hat an der Auffassung festgehalten, aufgrund seiner Doppelzulassung sei er der Honorar(unter)gruppe 2.16 zuzuordnen. Aus dem HVV ergebe sich nicht, dass lediglich doppelt zugelassene Ärzte nach alter Weiterbildungsordnung unter diese Gruppe fallen sollten. Der BAR-Code 149, der nach den Ausführungen der Beklagten im Bescheid vom 4. April 2007 zur Eingruppierung in die VFG 57-69 führe, betreffe die Fachgebietsbezeichnung "Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie". Exakt über diese Facharztbezeichnungen verfüge er. Im Übrigen könnten auch nach neuem Weiterbildungsrecht die Fachgebietsbezeichnungen Neurologie sowie Psychiatrie und Psychotherapie erworben werden. Die Beklagte habe seine erhebliche neurologische Tätigkeit, die nahezu die Hälfte seines Leistungsvolumens ausmache, bei der Eingruppierung in eine Honoraruntergruppe zu berücksichtigen. Zumindest im Rahmen einer Sonderregelung sei ihm eine höhere Fallzahl zu gewähren. Wenn die Beklagte in Ziffer 6.3 HW die Eingruppierung anhand des Tätigkeitsschwerpunktes vornehme, entspreche dies nicht den Vorgaben des Bewertungsausschusses. Seine Benachteiligung ergebe sich aus der gravierenden Divergenz der durchschnittlichen Fallzahlen der Psychiater, die beispielsweise im Quartal 4/06 413 Fälle betragen habe, und der durchschnittlichen Fallzahl der doppelt zugelassenen Neurologen und Psychiater mit 774 Fällen.

Die Beklagte hat erwidert, der Wortlaut und die Systematik der Honorargruppen schlössen die Umgruppierung des Klägers in die Gruppe der Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie aus. Der Kläger verfüge über zwei Zulassungen (Facharzt für Neurologie und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) und nicht über eine echte Doppelzulassung nach altem Weiterbildungsrecht als Neurologe und Psychiater im Sinne der VFG 57-69. Dem Kläger seien die BAR-Codes 142 für die Facharztzulassung als Neurologe und 147 für die Dacharztzulassung als Psychiater und Psychotherapeut zugewiesen; diese BAR-Codes erschienen nicht in der Auflistung der VFG 57-69. Die Regelung der Ziffer 6.2 HVV, die ausdrücklich auf Ärzte mit zwei Zulassungen abstelle, sei überflüssig, wenn man der Argumentation des Klägers folge. Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger nicht gehindert werde, Leistungen des EBM aus beiden Gebieten seiner Zulassung zu erbringen und abzurechnen. Schließlich sei es dem Kläger unbenommen, seinen Anteil an neurologischen Leistungen zu erhöhen und dann in die Honorargruppe der Neurologen zu wechseln. Darüber hinaus entstehe ein nicht zumutbarer Verwaltungsaufwand, wenn Leistungen differenziert und verschiedenen Fachgruppentöpfen zugewiesen werden müssten. Schließlich gäbe es in Hessen ca. 400 Ärzte mit mindestens zwei Zulassungen.

Das Sozialgericht hat die Beklagte um Gegenüberstellung der streitgegenständlichen Honorargruppen im Hinblick auf Fallzahlen und Honorarentwicklung gebeten. Die Beklagte hat dazu eine Übersicht eingereicht, aus der sich folgendes ergibt:

Honoraruntergruppe B 2.16 (Nervenärzte, Neurologen und Psychiater – DZ) B 2.22 (Psychiater mit Richtlinien-PT unter 30 %)
Quartal II/06 Ø Honorar je Arzt 33.330,24 EUR 20.088,40 EUR Ø Beh.fälle je Arzt 754 387 Fallwert 45,05 EUR 51,86 EUR Anzahl Ärzte 220 68
Quartal III/06 Ø Honorar je Arzt 31.617,27 EUR 19.336,17 EUR Ø Beh.fälle je Arzt 737 409 Fallwert 42,90 EUR 47,29 EUR Anzahl Ärzte 216 62
Quartal IV/06 Ø Honorar je Arzt 35.916,46 EUR 21.122,04 EUR Ø Beh.fälle je Arzt 774 413 Fallwert 46,39 EUR 51,09 EUR Anzahl Ärzte 211 63

Mit Urteil vom 28. Oktober 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, soweit der Kläger die Eingruppierung in die Honorar(unter)gruppe B 2.16 begehrt hat. Der Bewertungsausschuss habe u. a. mit dem Beschluss in seiner 93. Sitzung am 29. Oktober 2004 zur Festlegung von Regelleistungsvolumen durch die Kassenärztlichen Vereinigungen bestimmt, dass für die in Anlage 1 genannten Arztgruppen im Honorarverteilungsvertrag Regelleistungsvolumina zu vereinbaren seien. In Anlage 1 seien sowohl die Fachärzte für Nervenheilkunde, Fachärzte für Neurologie, als auch die Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie mit Leistungsanteil an Richtlinien-PT im Vorjahresquartal von höchstens 30 % aufgeführt. Der Bewertungsausschuss lasse davon abweichend Differenzierungen oder Zusammenfassungen durch den Honorarverteilungsvertrag (HW) ausdrücklich zu. Hiernach habe die Beklagte die Honorargruppe B 2.16 einrichten dürfen. Die Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erläutert, dass es sich bei den Fachärzten für Neurologie und Psychiatrie um Fachärzte handele, die heute in dieser Form nicht mehr ausgebildet würden. Das Bestreben der Beklagten, für die bisher nach der alten Weiterbildungsordnung ausgebildeten Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie durch die separate Eingruppierung eine gewisse Honorarsicherheit herzustellen, sei rechtlich nicht zu beanstanden. Auch das Argument, dass die Einordnung dieser speziellen Fachärzte in eine der vom Bewertungsausschuss vorgegebenen Honorargruppen Probleme bereitet hätte, überzeuge. Darüber hinaus ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Honorargruppe B 2.16, dass hier nur die Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie mit Doppelzulassung gemeint sein könnten, was jedoch schon terminologisch, aber auch inhaltlich nicht gleichbedeutend sei mit einem Facharzt für Neurologie und Facharzt für Psychiatrie. Auch die Bundesärztekammer qualifiziere nach verschiedenen Facharztbezeichnungen entsprechend den in der Vergangenheit entwickelten unterschiedlichen Ausbildungsgängen zwischen Fachärzten für Nervenheilkunde, Fachärzten für Nervenheilkunde (Neurologie und Psychiatrie), Fachärzten für Neurologie und Psychiatrie (Nervenarzt), Fachärzten für Neurologie, Fachärzten für Psychiatrie und Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie. Dem Kläger sei zuzugeben, dass er durch seinen doppelten Facharzttitel sogar höher qualifiziert sei als ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie aus der Kombinationsausbildung. Gleichwohl rechtfertige dies vor dem Hintergrund obiger Erwägungen jedoch nicht seine Einordnung in die Honorargruppe B 2.16. Dagegen hat das Sozialgericht den Bescheid vom 24. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 2009 im Hinblick auf die Quartale IV/06 und I/07 aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet. Dem Kläger sei für diese Quartale eine Sonderregelung im Rahmen des Regelleistungsvolumens zu gewähren. Der Bewertungsausschuss habe in seinem Beschluss unter Nr. 3.3.1.2. ausdrücklich festlegt, dass sich für einen Vertragsarzt, der seine Tätigkeit unter mehreren Gebietsoder Schwerpunktbezeichnungen ausübe, die Fallzahlobergrenze gemäß 3.3.1 nach dem Versorgungsauftrag, mit dem er zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sei, ergebe. Der Kläger habe aufgrund seiner Zulassung als Facharzt für Neurologie und als Facharzt für Psychiatrie und Psychiatrie einen Versorgungsauftrag für beide Fachgebiete. Hiervon zu unterscheiden sei der Tätigkeitsschwerpunkt der Praxis des Klägers, den die Beklagte im HW der Eingruppierung zugrunde lege. Entgegen der Auffassung der Beklagten könnten die beiden Bestimmungen nicht getrennt voneinander gesehen werden. Mit der Aufnahme des Tätigkeitsschwerpunktes als Eingruppierungskriterium weiche die Beklagte in rechtswidriger Weise von den Vorgaben des Bewertungsausschusses ab. Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Honorarverteilungsgerechtigkeit müsse für Ärzte mit zwei Zulassungen gewährleistet werden, dass sie ein Honorar erhielten, das ihrem Versorgungsauftrag unabhängig vom Tätigkeitsschwerpunkt gerecht werde. Ein Arzt mit zwei Zulassungen habe auch unter dem Schutz von Art. 12 Abs. 1 GG einen Anspruch darauf, entsprechend dieser Zulassungen entlohnt zu werden. Die Beklagte werde bei der Neubescheidung zu berücksichtigen haben, wie sich der Versorgungsauftrag des Klägers in seiner Praxis konkret auspräge.

Gegen das am 30. November 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29. Dezember 2009 Berufung eingelegt.

Sie meint, ein Verfahrensmangel des SG liege darin, dass es die Beiladung der Verbände der Krankenkassen als Vertragspartner des HVV unterlassen habe. Im Hinblick auf die Quartale II/06 und I/07 sei festzustellen, dass die Honorarbescheide für diese Quartale bestandskräftig geworden seien. Im Übrigen gehe das SG zu Unrecht von der Rechtswidrigkeit von Ziffer 6.2 HVV aus. Nach dem Beschluss des Bewertungsausschusses ergebe sich für einen Vertragsarzt, der seine Tätigkeit unter mehreren Gebiets- oder Schwerpunktbezeichnungen ausübe, die Fallzahlobergrenze nach dem Versorgungsauftrag, mit dem er zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sei. Hieran habe sie – die Beklagte - sich gehalten, indem sie den Kläger in die Honoraruntergruppe B 2.22 HVV eingruppiert habe, denn der Schwerpunkt seiner Praxis liege in der Psychiatrie und Psychologie. Das SG lasse unberücksichtigt, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen nach dem Beschluss des Bewertungsausschusses berechtigt seien, im HVV weitere Differenzierungen oder Zusammenfassungen der einzelnen Arztgruppen, die in Anlage I genannt seien, zu vereinbaren. Von dieser Differenzierungsmöglichkeit habe der HVV Gebrauch gemacht, indem der Tätigkeitsschwerpunkt des Arztes bzw. Psychotherapeuten als weiteres Differenzierungsmerkmal aufgenommen worden sei, um Honorar(unter)gruppen zu bilden. Eine differenzierte Zuordnung der Abrechnung zu unterschiedlichen Honorargruppen, welche die Konsequenz des Urteils wäre, sehe der Beschluss des Bewertungsausschusses schlicht nicht vor. Die Regelung in Ziffer 6.2 HVV stehe auch im Einklang mit den Allgemeinen Bestimmungen des EBM, denn danach könne die Abrechnungsfähigkeit von Leistungen z.B. beim Ordinationskomplex zulässigerweise an den Schwerpunkt der Tätigkeit geknüpft werden. Auch die Vergabe der Arztabrechnungsnummer werde bei ihr an den Schwerpunkt der Tätigkeit des Vertragsarztes bzw. Psychotherapeuten geknüpft. Der KV könne nicht zugemutet werden, für sämtliche Ärzte mit zwei Zulassungen jeweils eine gesonderte Honoraruntergruppe zu bilden. Durch die Einstufung des Klägers in die Honoraruntergruppe B 2.22 werde es ihm auch nicht verwehrt, Leistungen aus anderen Kapiteln des EBM abzurechnen, für die er die Zulassung besitze und soweit die Präambel des jeweiligen Kapitels dem nicht entgegenstehe. Daher liege auch eine Verletzung von Art. 12 GG nicht vor. Aus diesen Gründen könne dem Kläger auch keine Sonderregelung gewährt werden, weil die Zuweisung zu einer Honorar(unter)gruppe nach dem Schwerpunkt der Tätigkeit ausreichend sei und dem Versorgungsauftrag gerecht werde.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 28. Oktober 2009 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, und im Wege der Anschlussberufung, das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 28. Oktober 2009 abzuändern, den Bescheid der Beklagten vom 4. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn ab dem Quartal II/2006 der Honoraruntergruppe B 2.16 und dort der Fachgruppe VFG-VTG 57-69 der Neurologen und Psychiater (Doppelzulassung) zuzuordnen und entsprechend zu honorieren.

Die Beklagte beantragt ferner,
die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das Urteil, soweit es der Klage stattgegeben hat. Die Zuordnung zu einer rein psychiatrischen Honoraruntergruppe benachteilige ihn erheblich, da die Fallzahlen hier wegen der gesprächs- und zeitintensiven Behandlungen im Vergleich zu der Fachgruppe der doppelt zugelassenen Neurologen und Psychiater erheblich niedriger seien. Unzutreffend sei die Behauptung der Beklagten, der Beschluss des Bewertungsausschusses erlaube es, bei Ärzten mit Doppelzulassung allgemein eine Beurteilung nach Tätigkeitsschwerpunkten vorzunehmen. Die Befugnis, Arztgruppentöpfe auszudifferenzieren, beinhalte keinesfalls die Möglichkeit, einen unstreitig vorhandenen Versorgungsauftrag eines Arztes bei der Bemessung des Regelleistungsvolumens vollständig zu ignorieren. Die Eingruppierung versage ihm die Möglichkeit, neurologische Leistungen zu einer adäquaten Vergütung zu erbringen, obwohl er aufgrund seiner Doppelzulassung das Recht habe, in beiden Fachgebieten gleichmäßig oder in dem von ihm gewählten Umfang tätig zu werden. Die Beklagte ignoriere auch den besonderen Versorgungsbedarf, der daraus entstanden sei, dass er 2006 die Praxis der Frau Dr. WQ. übernommen habe, die ebenfalls Leistungen in beiden Bereichen erbracht und deren Patientenstamm er übernommen habe. Bei ihr seien aber 100 % der Fallzahlen im Rahmen des Regelleistungsvolumens anerkannt worden. Im Wege der Anschlussberufung beantragt er die Umgruppierung in die VFG-VTF 57-69. Es sei nach wie vor nicht einsichtig, weshalb die Fachgebietsbezeichnung "Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie" in der VFG-VTG 57-69 nicht seiner Qualifikation entspreche. Der Hinweis auf eine Doppelzulassung in der Anmerkung zur Honorar(unter)gruppe 2.16 beziehe sich offensichtlich auf einen doppelten Versorgungsauftrag, über den er verfüge. Zu beachten sei, dass die "große Facharztausbildung", die er durchlaufen habe, eine höhere Qualifikation aufweise als die des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie nach der alten Weiterbildungsordnung. Es sei nicht einleuchtend, dass der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie nach altem Weiterbildungsrecht, der genau denselben Versorgungsauftrag wie er als Facharzt für Neurologie und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie habe, im Rahmen der Honorierung besser behandelt werde. Im Übrigen habe offensichtlich auch die Beklagte nach Intervention des Landesverbandes Deutscher Nervenärzte zwischenzeitlich die Problematik erkannt, denn ab dem Quartal IV/2010 würden doppelt zugelassene Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie und Psychotherapie bei der Ermittlung der Regelleistungsvolumina wieder der Honorargruppe der Nervenärzte/Neurologen und Psychiater in Doppelzulassung zugeordnet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in der Sache entscheiden, ohne die Verbände der Krankenkassen beizuladen, denn diese sind an dem Streit über die Wirksamkeit von honorarverteilungsrechtlichen Regelungen nicht in der Weise beteiligt, dass eine Entscheidung auch ihnen gegenüber notwendig nur einheitlich ergehen kann (Urteil des Senats vom 4. November 2009, L 4 KA 31/07, Juris).

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg, soweit sie sich gegen ihre Verurteilung wendet, über den Anspruch des Klägers auf eine Sonderregelung für die Quartale IV/06 und I/07 neu zu entscheiden; der Bescheid vom 24. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2009 ist rechtmäßig. Eine Sonderregelung zum Regelleistungsvolumen ist nicht erforderlich, weil der Kläger gemäß seinem ursprünglichen Antrag der Honoraruntergruppe B 2.16, Neurologen und Psychiater (Doppelzulassung) (VFG 57-69), zuzuordnen ist. Insoweit erweist sich seine Anschlussberufung gegen das die Klage insoweit abweisende Urteil des SG als begründet, allerdings nur für die Quartale III/06 und IV/06. Denn hinsichtlich der weiteren noch streitbefangenen Quartale II/06 und I/07 hat der Kläger nach dem insoweit unbestrittenen Vortrag der Beklagten die Honorarbescheide für diese Quartale bestandskräftig werden lassen. Damit fehlt es aber am Rechtsschutzbedürfnis für die Klage, da der Kläger für diese Quartale kein höheres Honorar mehr erreichen kann.

Nach der Vereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und den Verbänden der Krankenkassen zur Honorarverteilung für die Quartale 2/2005 bis 4/2005, bekannt gemacht als Anlage 2 zum Landesrundschreiben/Bekanntmachung vom 10. November 2005 (HVV), sind nach Ziffer 6.3 praxisindividuelle Regelleistungsvolumen zu bilden, sofern eine Praxis den dort genannten Honorar(unter)gruppen angehört. Die Honorarverteilungsverträge vom 22. Juli 2006 haben die Fortgeltung dieser Regelungen in den hier streitgegenständlichen Quartalen bis I/2007 angeordnet.

Der Kläger ist Facharzt für Neurologie und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und damit nach Ziffer 6.1 HVV in eine der Honorargruppen aus dem Honorarbereich B - Fachärztliche Versorgungsebene - einzuordnen. Die Beklagte hat den Kläger der Honoraruntergruppe B 2.22 - Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie mit Leistungsanteil an Richtlinien-PT im Vorjahresquartal von höchstens 30 % (VFG 59-01) - zugeordnet. Das ist rechtswidrig.

Der Kläger ist der Honoraruntergruppe B 2.16: Nervenärzte (VFG 57), Neurologen und Psychiater (Doppelzulassung - VFG 57-69) zuzuordnen.

Die Notwendigkeit dieser Zuordnung ergibt sich aus dem Wortlaut der Honoraruntergruppe B 2.16 in Abgrenzung zu der Honoraruntergruppe B 2.22. Während letztere Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie betrifft, fallen unter die Honoraruntergruppe B 2.16: Nervenärzte, Neurologen und Psychiater (Doppelzulassung). Bei einer Auslegung nach dem natürlichen Wortsinn unterfällt der Bezeichnung "Neurologe und Psychiater" jeder Arzt, der die Facharztausbildung in beiden Gebieten abgeschlossen hat und zur Erbringung von neurologischen und psychiatrischen Leistungen berechtigt ist. Das ist bei dem Kläger der Fall. Er hat den Vertragsarztsitz einer Neurologin und Psychiaterin übernommen und verfügt als Facharzt für Neurologie und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie über eine Doppelzulassung als Neurologe und Psychiater. Er ist berechtigt, Leistungen sowohl aus dem Kapitel 16 EBM (Neurologische Leistungen) als auch aus dem Kapitel 21 EBM (Psychiatrische und Psychotherapeutische Leistungen) zu erbringen.

Die Argumentation der Beklagten, bei der Honoraruntergruppe B 2.16 handele es sich um eine reine Bestandsgruppe von Arztgruppen, die immer schon in einem separaten Topf erfasst worden seien und mit den Arztbezeichnungen "Nervenärzte, Neurologen und Psychiater" werde an Fachgebietsbezeichnungen angeknüpft, die nach neuem Weiterbildungsrecht nicht mehr erworben werden könnten, überzeugt nicht. Soweit die Beklagte dazu im Bescheid vom 4. April 2007 ausführt, den Vergütungsfachgruppen (VFG) 57-00 und 57-69 in der Honoraruntergruppe B 2.16 seien bestimmte BAR-Codes zugeordnet, die wiederum auf Vorgaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) beruhten und Fachgebiete kennzeichneten, die aufgrund von Änderungen in den Weiterbildungsordnungen nicht mehr erworben werden könnten, ist festzustellen, dass ein derartiger Verweis auf bestimmte BAR-Codes der KBV im Honorarverteilungsvertrag nicht enthalten ist und sich aus dem gesamten HVV kein Hinweis ergibt, dass für die Bestimmung des Fachgruppenzugehörigkeit auf derartige außervertragliche Umstände abzustellen ist.

Auch historische und systematische Zusammenhänge belegen nicht, dass die Honoraruntergruppe B 2.16 ausschließlich Nervenärzten, Neurologen und Psychiatern nach Maßgabe eines - von der Beklagten nicht näher spezifizierten - früheren Weiterbildungsrechts vorbehalten ist. Bei der Bezeichnung Nervenarzt handelt es sich um eine Gebietsbezeichnung für einen Facharzt, die in der Musterweiterbildungsordnung (M-WBO) der Bundesärztekammer 1992 aufgeführt war. Für die Erlangung dieser Gebietsbezeichnung war eine insgesamt 6jährige Weiterbildungszeit vorgeschrieben, davon 3 Jahre Neurologie und 3 Jahre Psychiatrie und Psychotherapie. Ferner konnten nach der M-WBO 1992 der Facharzt für Neurologie und der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie erworben werden. Die Weiterbildungsordnung (WBO) 1995 der Landesärztekammer Hessen hat diese Vorgaben allerdings nicht in allen Teilen übernommen. Nach § 6 Abs. 1 WBO 1995 wurden als Facharztbezeichnungen u. a. festgelegt: Facharzt für Neurologie oder Neurologe; Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder Psychiater und Psychotherapeut. Darüber hinaus bestimmte § 6 Abs. 2 WBO 1995, dass die Bezeichnung als Nervenarzt führen durfte, wie die Anerkennungen als Facharzt für Neurologie und als Facharzt für Psychiatrie oder die Anerkennungen als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie erworben hatte. In der nunmehr geltenden Weiterbildungsordnung für Ärztinnen und Ärzte in Hessen vom 15. August 2005 (HÄBl. Sonderheft 10/2005, 1 ff.) wird der Nervenarzt dagegen nicht mehr erwähnt. Facharztbezeichnungen nach der WBO 2005 sind der Facharzt für Neurologie, der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

Hieraus ergibt sich zwar, dass der in der Honoraruntergruppe 2.16 HVV 2005 genannte "Nervenarzt" jedenfalls nach hessischem Weiterbildungsrecht seit 2005 nicht mehr erworben werden kann. Hingegen findet sich weder in der M-WBO 1992 der Bundesärztekammer noch in der WBO 1995 der Landesärztekammer Hessen eine Arztbezeichnung "Neurologe und Psychiater" als Anknüpfungspunkt für die Behauptung der Beklagten, die Honorargruppe B 2.16 nehme auf vergangene Fachgebietsbezeichnungen Bezug, die heute nicht mehr erworben werden könnten. Mithin lässt sich die Arztbezeichnung "Neurologe und Psychiater" nicht historisch zweifelsfrei auf eine ausschließlich früher verwandte, mittlerweile obsolet gewordene Fachgebietsbezeichnung zurückführen.

Ebenso wenig ist zu erkennen, dass die Honorargruppe B 2.16 historisch an Arztgruppentöpfe der vor 2005 geltenden Honorarverteilungsmaßstäbe anknüpft, denen hinsichtlich der Nervenärzte, Neurologen und Psychiater erkennbar ein bestimmtes Begriffsverständnis zugrunde lag. So bestimmten die Grundsätze der Honorarverteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen vom 11. Juni 2003 - gültig ab 1. Juli 2003 - hinsichtlich der Zuordnung der Ärzte zu Honorar(unter)gruppen in Anlage 1 zu Leitziffer 702:

Honoraruntergruppe B 2.7.1: Nervenärzte, Neurologen (VFG 57-68), Psychiater (VFG 59) Honoraruntergruppe B 2.22: Ärzte für Psychotherapeutische Medizin, psychotherapeutisch tätige Ärzte, Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sowie psychologische Ausbildungsinstitute

Nervenärzte, Fachärzte für Neurologie und Fachärzte für Psychiatrie waren also in einer Honorargruppe zusammengefasst. Ein spezieller Zusammenhang mit der Honoraruntergruppe B 2.16 HVV 2005 ist nicht erkennbar.

Schließlich spricht auch der Klammerzusatz "Doppelzulassung" in der HG 2.16 nicht für die Auffassung der Beklagten. Wenn sie ausführt, die "Doppelzulassung" als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sei eine andere als die "doppelte Zulassung" als Facharzt für Neurologie und Facharzt für Psychiatrie, erschließt sich dies dem Senat nicht. Der Begriff der Zulassung entstammt nicht dem Weiterbildungsrecht, welches nach erfolgreicher Prüfung die Anerkennung einer entsprechenden Facharzt-, Gebiets- oder Schwerpunktkompetenz vorsieht (§ 11 WBO 2005), sondern dem Vertragsarztrecht und bringt die Zulassung des Arztes zur vertragsärztlichen Versorgung entsprechend dem ihm erteilten Versorgungsauftrag zum Ausdruck. In diesem Zusammenhang steht der Begriff "Doppelzulassung" für Ärzte, die ihre Facharztausbildung in mehreren Fachgebieten absolviert haben und mit beiden Fachgebieten zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind (vgl. BSG, Urteil vom 20. Januar 1999, B 6 KA 78/97 R, SozR 3-2500 § 87 Nr. 20). Dazu gehören auch Ärzte mit verschiedenen Gebietsbezeichnungen im Bereich der Nervenheilkunde (vgl. BSG, Beschluss vom 24. September 2003, B 6 KA 52/03 B, für eine "als Nervenärztin und Psychiaterin (Doppelzulassung) zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Klägerin" - Juris Rdnr. 1). Auch ein Nervenarzt im Sinne von § 6 Abs. 2 WBO 1995 ist demgemäß ein Facharzt mit einer Doppelzulassung, da seine Versorgungsberechtigung sich sowohl auf das Fachgebiet Neurologie als auch auf das Fachgebiet Psychiatrie bezieht. Auch die Beklagte verwendet den Begriff der Doppelzulassung, worauf der Kläger zu Recht hinweist, an anderer Stelle in diesem Sinne, nämlich in Ziffer 6.2 letzter Satz HVV 2005. Dort wird für die Zuordnung von Ärzten und Psychotherapeuten mit einer "Doppelzulassung" zu einer Honoraruntergruppe auf den Schwerpunkt der Praxis abgestellt.

Im Übrigen führt die Methodik der Beklagten zu einer willkürlichen Unterscheidung bei der Honorargruppenzuordnung je nachdem, unter welcher Weiterbildungsordnung ein Arzt seine Gebietsbezeichnung erworben hat. Ein "Nervenarzt" nach altem Weiterbildungsrecht, der sich erfolgreich auf einen entsprechenden Vertragsarztsitz bewirbt, wäre nach Lesart der Beklagten in die Honoraruntergruppe B 2.16 einzugruppieren. Hingegen werden Fachärzte wie der Kläger, die über die Facharztanerkennung sowohl in der Neurologie als auch in der Psychiatrie verfügen, aber ihre Weiterbildung nach neuem Weiterbildungsrecht abgeschlossen haben, bei der Zulassung für denselben Vertragsarztsitz nach Rechtsauffassung der Beklagten der Honoraruntergruppe B 2.22 HVV 2005 zugewiesen mit den entsprechenden Einkommensverlusten, obwohl ihre fachliche Qualifikation, worauf bereits das Sozialgericht hingewiesen hat, im Vergleich zu dem früheren Nervenarzt höher ist.

Der von der Beklagten praktizierten Auslegung steht schließlich entgegen, dass sie mit der Berufsausübungsfreiheit des Klägers nicht vereinbar ist. Nach der Rechtsprechung des BSG ist die Entscheidung eines nach dem maßgeblichen landesrechtlichen Weiterbildungsrecht für zwei Fachgebiete zugelassenen Vertragsarztes, wie er seine Tätigkeit ausrichtet, Teil seiner durch Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit. Vergütungsbeschränkende Regelungen, die in diese Entscheidung und die davon geprägte Struktur der vertragsärztlichen Praxis eingreifen, bedürfen einer hinreichenden normativen Grundlage. Eine solche enthielten z. B. die Allgemeinen Bestimmungen des EBM-Ä in Zusammenhang mit der Berechnung der Praxisbudgets, wonach bei einer Doppelzulassung auf den arithmetischen Mittelwert der entsprechenden arztgruppenbezogenen Fallpunktzahlen abgestellt wurde (BSG, Urteil vom 20. Januar 1999, B 6 KA 78/97 R, SozR 3-2500 § 87 Nr. 20; Beschluss vom 24. September 2003, B 6 KA 52/03 B, Juris), wobei derartige Regelungen allerdings ihrerseits Ausnahmeregelungen für atypische Fallgestaltungen und Härtefälle vorsehen mussten (BSG a.a.O.). Solange das geltende Zulassungsrecht es gestattet, dass ein Arzt für mehrere Fachgebiete zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen wird, muss ihm auch die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit auf allen Fachgebieten, für die er zugelassen ist, ermöglicht werden. Das schließt im Falle des EBM-Ä mit Aufgliederung der Leistungstatbestände nach Fachgebieten ein, dass der Arzt bei seiner Abrechnung die fachgebietlichen Leistungstatbestände in Ansatz bringen kann. Eine Regelung, welche den Arzt mit Doppelzulassung zwingt, immer den Ordinationskomplex aus einem einzigen Fachgebiet abzurechnen, ist daher rechtswidrig (BSG, Urteil vom 11. Mai 2011, B 6 KA 2/10 R, zitiert nach Terminbericht Nr. 23/11 vom 12. Mai 2011).

Mit diesen Rechtsgrundsätzen setzt sich die Beklagte in Widerspruch, indem sie den Kläger, der den Vertragsarztsitz einer Neurologin und Psychiaterin übernommen hat und als Facharzt für Neurologie und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie über die Berechtigung verfügt, Leistungen aus beiden Fachgebieten abzurechnen, der Honorar(unter)gruppe B 2.22 zuweist. Denn diese Gruppe umfasst Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie mit Leistungsanteil an Richtlinien-PT im Vorjahresquartal von höchstens 30 %. Das hindert den Kläger zwar formal nicht daran, neurologische Leistungen zu erbringen, führt aber aufgrund der niedrigen durchschnittlichen Fallzahlen der Ärzte dieser Fachgruppe, welche bei der Berechnung des Regelleistungsvolumens zugrunde gelegt werden, zu dem bei dem Kläger zu beobachtenden Effekt, dass in einer sowohl neurologisch als auch psychiatrisch behandelnden Praxis die damit typischerweise verbundene höhere Fallzahl nicht mehr vergütet wird. Denn die durchschnittliche Fallzahl ist bei Psychiatern/Psychotherapeuten mit ihren persönlichen, zeitintensiven Gesprächsleistungen naturgemäß niedriger als bei den Neurologen, bei denen in erheblichem Umfang auch delegierbare apparativ-technische Leistungen anfallen. Das wird durch die von der Beklagten vorgelegten Übersicht bestätigt, wonach die durchschnittliche Fallzahl in der Honorar(unter)gruppe B 2.16 im streitgegenständlichen Zeitraum über 700 Fälle betrug, während es in der Honorar(unter)gruppe B 2.22 lediglich rund 400 Fälle waren.

Für ihre Praxis kann sich die Beklagte nicht auf den Beschluss des Bewertungsausschusses vom 29. Oktober 2004 (Deutsches Ärzteblatt 2004, 101(46), A-3129) berufen. Nach Ziffer 3.3.1.2 des Beschlusses ergibt sich für Vertragsärzte, die ihre Tätigkeit unter mehreren Gebiets- oder Schwerpunktbezeichnungen ausüben, die Fallzahlobergrenze gemäß 3.3.1 nach dem Versorgungsauftrag, mit dem er zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist. Diese Regelung klärt nicht, wie mit Ärzten umzugehen ist, die - wie der Kläger - eine Doppelzulassung haben. Insoweit verbleibt Raum für ergänzende Regelungen.

Im Ergebnis ist deshalb die Honoraruntergruppe B 2.16, soweit sie "Neurologen und Psychiater (Doppelzulassung)" erwähnt, für Ärzte mit einer doppelten Facharztbezeichnung und einem entsprechenden Versorgungsauftrag als unmittelbar einschlägige Honorargruppe anzusehen, so dass der Rückgriff der Beklagten auf Ziffer 6.2 letzter Satz HVV 2005 ausscheidet; denn die dort vorgesehene Zuordnung von Ärzten und Psychotherapeuten mit einer Doppelzulassung nach dem Tätigkeitsschwerpunkt der Praxis greift nicht im Fall einer ausdrücklichen Zuordnung durch den HVV selbst.

Damit scheidet die Gewährung einer Sonderregelung zum Regelleistungsvolumen im Wege einer Einzelfallentscheidung allerdings aus, weshalb das Urteil des Sozialgerichts insoweit aufzuheben und die Klage gegen die diesbezüglichen Bescheide der Beklagten abzuweisen ist. Denn dem Begehren des Klägers auf Berücksichtigung seiner Praxisstruktur mit neurologischen und psychiatrischen Behandlungsfällen und der dadurch bedingten Fallzahl wird durch die Eingruppierung in die Honoraruntergruppe B 2.16 in vollem Umfang Rechnung getragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision lagen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfrage bei der Auslegung des HVV 2005, welcher zudem durch nachfolgende Honorarverteilungsverträge abgelöst worden ist.
Rechtskraft
Aus
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