L 9 U 1775/12 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 14 U 1064/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 1775/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 02. April 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer/Kläger begehrt die Übernahme der Kosten für das bei Professor Dr. Hö. eingeholte Gutachten und für dessen Anhörung in der mündlichen Verhandlung auf die Staatskasse.

Mit Bescheid vom 7.8.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.3.2009 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil eine Berufskrankheit (BK) Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) nicht anzuerkennen sei. Ein Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKV bestehe ebenfalls nicht. Zur Begründung führte sie aus, lediglich für die Zeit der Tätigkeit des Klägers von 1971 bis 1976 könne eine gefährdungsrelevante Lärmeinwirkung von 85 dB(A) und mehr nachgewiesen werden. Für die Zeit seiner beruflichen Tätigkeit bei der Firma A. AG, N., könne jedoch keine regelmäßige gefährdungsrelevante Lärmeinwirkung von mindestens 85 dB(A) und mehr, wie sie für die mögliche Entstehung einer lärmbedingten Hörstörung nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung vorauszusetzen wäre, nachgewiesen werden.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Mannheim mit Verfügung vom 21.9.2009 darauf hingewiesen, dass nicht ersichtlich sei, dass der Kläger dauerhaft an adäquat lärmexponierten Arbeitsplätzen gearbeitet habe, was insbesondere für die letzten Arbeitsjahre gelte. Es bestehe deswegen kein Anlass, auf Staatskosten ein ärztliches Gutachten einzuholen. Es bestehe jedoch nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Recht, eine Begutachtung auf eigenes Kostenrisiko zu beantragen.

Der Kläger hat beanstandet, die vom Arbeitgeber und von der Beklagten vorgelegten Unterlagen zur Lärmexposition enthielten unrichtige Angaben. Diese dürfe das Gericht nicht ungeprüft zu Grunde legen. Vorrangig sei die an den jeweiligen Arbeitsplätzen vorhandene Lärmexposition abzuklären.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG hat das SG Professor Dr. Hö. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt, wobei es den Sachverständigen gebeten hat, mitzuteilen (Frage 6), ob sich eine andere Bewertung ergeben würde, wenn man die Angaben des Klägers zur Lärmexposition unterstellen würde.

Professor Dr. Hö. hat im Gutachten vom 14.6.2010 ausgeführt, beim Kläger liege eine hochtonbetonte Innenohrschwerhörigkeit vor. Die Befunde zeigten typische Lärmkurven mit Innenohrhochtonhörverlust und einem Maximum bei 4-6 kHz. Aus der Erinnerung habe der Kläger einen Tinnitus bei 4 kHz beschrieben. Der Innenohrhochtonverlust mit Tinnitus sei auf Lärm zurückzuführen und als BK 2301 anzusehen. Nach den Tabellen von Röser von 1973 und 1980 errechne sich eine Normalhörigkeit beidseits. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) liege unter 10 %. Da es sich um eine Normalhörigkeit beidseits handle, ergebe sich auch unter Zugrundelegung der klägerischen Angaben keine andere Bewertung.

Nach Einwendungen der Beklagten, die zwischenzeitlich eingetretene Hörstörung könne nach den Kausalitätsgrundsätzen im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung nicht auf eine gefährdende Tätigkeit zurückgeführt werden, da die gefährdende Tätigkeit bereits am 31.3.1976 aufgegeben worden sei, hat das SG von Amts wegen ein HNO-ärztliches Gutachten eingeholt.

Professor Dr. Dr. Ste., der vom HNO-Arzt Dr. Ho. alte Tonaudiogramme vom 25.1.1989 und 9.1.1992 angefordert hat, hat im Gutachten vom 10.12.2010 ausgeführt, der Kläger habe 2007/2008 eine Hörstörung beidseits bemerkt und leide seit 2007 unter rezidivierenden Ohrgeräuschen, die zum Untersuchungszeitpunkt nicht vorhanden gewesen seien. Somit bestehe kein permanentes Ohrgeräusch. Ein Zusammenhang mit einer fraglichen Lärmschwerhörigkeit sei nicht plausibel. Die Angaben des Ohrgeräusches aus der Erinnerung habe keine versicherungsrechtliche Relevanz und könne die MdE nicht beeinflussen. Die beim Kläger 2007 aufgetretene Gehörschädigung könne nicht lärmbedingt sein, da die berufliche Lärmeinwirkung zu diesem Zeitpunkt unter 85 dB(A) gelegen habe. Damit eine Schwerhörigkeit als BK anerkannt werden könne, müsse sich die Schwerhörigkeit während der Lärmarbeit entwickelt haben. Die Tonaudiogramme von 1989 und 1992 zeigten nicht das typische Bild einer Lärmschwerhörigkeit; es fehle eine umschriebene Hochtourensenke bei 4 kHz. Die Ergebnisse der überschwelligen Tests sprächen weitgehend für eine cochleäre Schwerhörigkeit beidseits, ebenso wie die weiteren Ergebnisse (OAE und BERA). Bei Auswertung der Hörprüfungen errechne sich aus den Sprachaudiogrammen ein normales Hörvermögen beidseits, welches zu einer MdE unter 10 v.H. führe.

Bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 8.3.2012 hat Professor Dr. Hö. eingeräumt, die von Professor Dr. Dr. Ste. angeforderten Tonaudiogramme von 1989 und 1992 zeigten keine lärmtypischen Veränderungen. Auf der Basis dieses Erstbefundes müsse er der gutachterlichen Beurteilung von Dr. Ste. folgen. Wenn seit 1976 keine Lärmexposition über 85 dB(A) vorgelegen habe, könne sich auch eine Lärmschwerhörigkeit seit 2008 nicht mehr entwickelt haben; auch der Tinnitus sei nicht lärmtypisch.

Mit Urteil vom 8.3.2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK 2301 lägen nicht vor. Dessen ungeachtet leide der Kläger nicht an einer Lärmschwerhörigkeit, da er nicht schwerhörig sei. Selbst wenn der vorliegende Innenohrhochtonhörverlust als "Krankheit" anzusehen sei, fehle es an der haftungsbegründenden Kausalität.

Die hiergegen erhobene Berufung hat der 6. Senat des Landessozialgerichts (LSG) mit Urteil vom 22.11.2012 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, zur Überzeugung des Senats fehle es bereits an den arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2301. Nach den beiden erstinstanzlich eingeholten Gutachten liege bei einem annähernd symmetrischen cochleären Innenohrhörverlust im Hochtonbereich ein normales Hörvermögen vor. Professor Dr. Dr. Ste. habe in Auswertung der Tonaudiogramme vom 25.1.1989 und 9.1.1992 auch für den Senat überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass diese bei Fehlen der typischen Hochtonsenke bei 4 kHz gerade nicht das Bild einer Lärmschwerhörigkeit zeigten. Dieser Argumentation habe sich auch der Sachverständige Professor Dr. Hö. angeschlossen, dem zunächst das Tonaudiogramm von 1989 nicht vorgelegen habe.

Mit Beschluss vom 2.4.2012 hat das SG den Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten des Sachverständigengutachtens sowie der Anhörung von Professor Dr. Hö. im Termin zur mündlichen Verhandlung auf die Staatskasse abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Übernahme der Kosten für die Begutachtung durch Professor Dr. Hö. sei nicht sachgerecht. Der Sachverständige habe im Termin zur mündlichen Verhandlung die Unrichtigkeit seiner Feststellungen selbst einräumen müssen. Das Gutachten von Professor Dr. Dr. Ste., das gemäß § 106 SGG eingeholt worden sei, habe letztlich nur die Unrichtigkeit des Sachverständigengutachtens von Professor Dr. Hö. bestätigt.

Gegen den am 5.4.2012 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 17.4.2012 Beschwerde eingelegt und vorgetragen, die Gründe des Beschlusses vermögen die Entscheidung des SG nicht zu tragen. Professor Dr. Dr. Ste. sei deshalb zu einem anderen Ergebnis als Professor Dr. Hö. gekommen, weil er von einem anderen Sachverhalt ausgegangen sei. Dies hänge auch mit den unterschiedlichen Beweisfragen im Gutachtensauftrag zusammen. Das SG habe es unterlassen, die arbeitstechnischen Voraussetzungen weiter aufzuklären. Anstelle dessen habe es Professor Dr. Hö. gebeten, alternativ die Ausführungen des Klägers (Beweisfrage 6) zu unterstellen, während diese Frage Professor Dr. Dr. Ste. nicht gestellt worden sei. Deswegen habe dieser den von der Beklagten behaupteten unrichtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt. Hinzu komme, dass Professor Dr. Dr. Ste. seinem Gutachten weitere neue wesentliche Erkenntnisse, nämlich das von ihm angeforderte Tonaudiogrammen von 1992, zu Grunde gelegt habe. Eine fehlerhafte medizinische Beurteilung durch den Sachverständige Professor Dr. Hö. aufgrund des ihm vorliegenden Sachverhalts nach Aktenlage sei somit nicht festgestellt worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Kosten des gemäß § 109 SGG bei Professor Dr. Hö. eingeholten Gutachtens vom 14. Juni 2010 sowie die Kosten für dessen Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 08. März 2012 auf die Staatskasse zu übernehmen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 SGG form- und fristgemäß eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet, da das SG zu Recht entschieden hat, dass die Kosten für das bei Professor Dr. Hö. eingeholte Gutachten sowie die Kosten für dessen Anhörung in der mündlichen Verhandlung nicht auf die Staatskasse zu übernehmen sind.

Gemäß § 109 Abs. 1 S. 2 SGG kann die von einem Versicherten oder Versorgungsberechtigten beantragte gutachterliche Anhörung eines bestimmten Arztes davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt. Angesichts dieser gesetzlichen Regelung steht es im Ermessen des Gerichts, ob und in welchem Umfang es die Kosten dem Antragsteller endgültig auferlegt. Ein vom SG ausgeübtes Ermessen ist im Rahmen des Beschwerdeverfahrens durch den Senat voll überprüfbar, da die Befugnis zur Ausübung des Ermessens in der Sache durch das Rechtsmittel der Beschwerde in vollem Umfang auf das Beschwerdegericht übergegangen ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.10.2008 – L 6 SB 4170/08 KO-B- in Juris).

Bei seiner Ermessensentscheidung berücksichtigt der Senat, ob das Gutachten die Sachaufklärung wesentlich gefördert hat. Dies bejaht der Senat insbesondere dann, wenn das Gutachten die Aufklärung des Sachverhalts objektiv förderte, auch dadurch, dass es durch Aufdeckung weiterer entscheidungsrelevanter Tatsachen weitere Beweiserhebungen von Amts wegen erforderlich machte. Dabei kann aber nicht in jedem neuen Gesichtspunkt ein Beitrag zur Sachaufklärung gesehen werden. Es muss sich vielmehr, gemessen am Prozessziel und angesichts des Verfahrensgangs, um einen wesentlichen Beitrag gehandelt haben. Nicht jedes positive Gutachten, dass weitere Ermittlungen nach sich zieht, führt also zu einer Übernahme der Kosten auf die Staatskasse. Insbesondere dann, wenn die weiteren Ermittlungen die Schlussfolgerungen des Gutachtens widerlegen, sieht der Senat eine Kostenübernahme nicht für gerechtfertigt an (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.6.2012, – L 9 R 1744/12 B).

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien sind die Kosten für das bei Professor Dr. Hö. eingeholte Gutachten und die Kosten für dessen Anhörung in der mündlichen Verhandlung nicht auf die Staatskasse zu übernehmen. Zunächst hat das Gutachten von Professor Dr. Hö. nicht zu einem Prozesserfolg des Klägers beigetragen. Vielmehr sind Klage und Berufung erfolglos geblieben. Darüber hinaus hat Professor Dr. Hö. – wenn auch nach Beiziehung weiterer ärztlicher Unterlagen, nämlich der Tonaudiogramme von 1989 und 1992 – seine Beurteilung in der mündlichen Verhandlung vom 8.3.2012 nicht mehr aufrechterhalten können.

Das Gutachten von Professor Dr. Hö. hat auch nicht insoweit die Sachaufklärung wesentlich gefördert, als es weitere Beweiserhebungen erforderlich gemacht hat. Vielmehr hat es eher zu Irritationen und weiteren Kosten geführt, da er zum Ergebnis gekommen ist, dass typische Lärmkurven mit Innenohrhochtonverlust und ein Maximum bei 4-6 kHz vorliegen und – aus der Erinnerung – beim Kläger ein Tinnitus bei 4 kHz besteht, weswegen eine BK 2301 – bei Normalhörigkeit – zu bejahen ist. Das Gutachten von Professor Dr. Dr. Ste. war nicht deswegen notwendig, weil weitere Beweiserhebungen aufgrund des Gutachtens von Professor Dr. Hö. erforderlich waren, sondern um die Darlegungen im Gutachten von Professor Dr. Hö. zu überprüfen.

Eine wesentliche Förderung der Sachaufklärung kann jedenfalls nicht darin gesehen werden, dass Professor Dr. Hö. – ohne Kenntnis der Tonaudiogramme von 1989 und 1992, auf dessen Existenz und Erforderlichkeit der Beiziehung der Kläger hätte hinweisen können – zunächst zum Ergebnis gelangt ist, dass die Hochtoninnenohrschwerhörigkeit und der Tinnitus auf die berufliche Tätigkeit des Klägers zurückzuführen sind, da er diese Einschätzung revidieren musste. Außerdem hat er sich in seinem Gutachten auch nicht damit auseinandergesetzt, dass der Lärmpegel, dem der Kläger nach den Feststellungen der Beklagten seit 1976 ausgesetzt gewesen ist, nicht geeignet war, im Jahr 2007/2008 eine Lärmschwerhörigkeit zu verursachen. Darüber hinaus hat er in der mündlichen Verhandlung auch einräumen müssen, dass die Wahrscheinlichkeit gering sei, dass ein Ohrgeräusch, das nicht dauerhaft vorhanden ist, lärmbedingt ist.

Die Einholung des Gutachtens bei Professor Dr. Hö. war auch nicht anstelle einer an sich notwendigen Sachaufklärung von Amts wegen erforderlich, zumal sowohl das SG als auch das LSG schon das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen als nicht nachgewiesen ansahen und dies im Einzelnen ausgeführt haben, weswegen ein technisches Sachverständigengutachten nicht einzuholen war.

Da das Gutachten von Professor Dr. Hö. und seine Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem SG weder zu einem Prozesserfolg des Klägers beigetragen noch zu einer wesentlichen weiteren Sachaufklärung im Sinne des Prozesszieles des Klägers geführt haben, hat das SG zu Recht eine Übernahme der Kosten des Gutachtens und der Anhörung auf die Staatskasse abgelehnt.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung von § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Beschwerde erfolglos geblieben ist.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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