Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AY 4070/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AY 2576/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 17. Mai 2011 hinsichtlich des Zinsausspruchs aufgehoben. Insoweit werden die Klagen abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Kläger Ziffer 1 bis 4 im Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch darum, ob der Beklagte verpflichtet ist, die Nachzahlung der Differenz zwischen sogenannten Analogleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und den Grundleistungen (§ 3 AsylbLG) mit 4 % zu verzinsen.
Die Kläger sind eine aus dem ehemaligen J. stammende Familie. Die Klägerin Ziffer 1 ist Mutter der Kläger Ziffer 2 bis 4. Die Kläger Ziffer 1 bis 3 bezogen u. a. in der Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 30. September 2009 Grundleistungen nach dem AsylbLG, die Klägerin Ziffer 4 bis 31. August 2009.
Am 8. Februar 2010 beantragten die Kläger die rückwirkende Erbringung sogenannter Analogleistungen für die Zeit ab 1. Januar 2006 unter Anrechnung der gewährten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG nebst Zinsen in Höhe von 4 % nach § 44 Abs. 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I). Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 14. Juli 2010 den Klägern Ziffer 1 bis 3 für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Mai 2010 und der Klägerin Ziffer 4 für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum "31. September" 2009 Leistungen nach § 2 AsylbLG, setzte den zusätzlich zu den bisher erbrachten Leistungen nach § 3 AsylbLG zu erbringenden Nachzahlungsbetrag auf 3.000 Euro (je Person 750 Euro) fest und verrechnete diesen Betrag in Höhe von 2.918,04 Euro auf Basis der gegenüber der Klägerin Ziffer 1 verfügten (bestandskräftigen) Aufhebung und Erstattung (Bescheid vom 8. Februar 2008). Den Antrag des Sohnes der Klägerin Ziffer 1 E. M. (E.M.) lehnte er ab, da dieser seit dem 1. Juni 2008 keine Leistungen nach dem AsylbLG und dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) bezogen habe. Auch der Antrag auf nachträgliche Verzinsung blieb ohne Erfolg. Für eine Verzinsung gebe es keine Rechtsgrundlage. Den Widerspruch der Kläger (Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 11. August 2010) wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 2. November 2010).
Dagegen haben die Kläger und E.M. am 16. November 2010 Klage zum Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben. Mit Urteil vom 17. Mai 2011 hat das SG Mannheim den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 14. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. November 2010 verurteilt, den Klägern Ziffer 1 bis 4 für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 30. September 2009 die volle Differenz zwischen den "Analogleistungen" (§ 2 AsylbLG) und den "Grundleistungen" (§ 3 AsylbLG) zu gewähren und den über 2.918,04 Euro hinausgehenden Nachzahlungsbetrag in voller Höhe auszugleichen und mit 4 % zu verzinsen. Die weitergehende Klage und die Klage des E.M. hat es abgewiesen. Hinsichtlich der Verzinsung führt das SG zur Begründung aus, dass der Zinsanspruch auf § 44 SGB I beruhe. Da das AsylbLG "materielles Sozial(hilfe)recht" beinhalte, sei trotz des Umstandes, dass es nicht zum Sozialgesetzbuch rechne, kein sachlicher Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könne, insoweit von einer Verzinsung abzusehen.
Gegen das ihm am 27. Mai 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 21. Juni 2011 zum Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung eingelegt, soweit der Beklagte dazu verurteilt wurde, den Nachzahlungsbetrag mit 4 % zu verzinsen. Zur Begründung seiner Berufung führt er aus, dass kein Anspruch auf Verzinsung des Nachzahlungsbetrages bestehe. Voraussetzung für einen Zinsanspruch der Kläger sei, dass § 44 SGB I auf Leistungsansprüche nach dem AsylbLG anwendbar sei, da § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) keine eigene Verzinsungsregelung enthalte. Eine Verweisungsregelung in Bezug auf § 44 SGB I sei nicht in das AsylbLG aufgenommen worden. Es sei auch sachlich nicht gerechtfertigt, Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG Leistungsberechtigten nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) gleichzustellen. § 2 Abs. 1 AsylbLG erkläre das SGB XII nur entsprechend anwendbar. Zum anderen sei bei Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII den Besonderheiten des AsylbLG Rechnung zu tragen. Während die Leistungen der Sozialhilfe vom Individualitätsgrundsatz ausgingen und ein existenziell gesichertes und sozial integriertes Leben des Leistungsberechtigten auf eigenen Füßen in der Bundesrepublik Deutschland zum Ziel hätten, seien die Bedürfnisse der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG am in aller Regel nur vorübergehenden Aufenthalt auszurichten. Dies könne in Einzelfällen zu einer Schlechterstellung der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG führen, was vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen worden sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 17. Mai 2011 insoweit aufzuheben, als er dazu verurteilt wurde, den Nachzahlungsbetrag mit 4 % zu verzinsen, und die Klagen insoweit abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Zinsanspruch ergebe sich aus § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 44 Abs. 1 SGB I, wobei es unerheblich sei, dass das AsylbLG nicht zum Sozialgesetzbuch zähle und auch keine explizite Verweisung auf § 44 SGB I beinhalte. Denn das AsylbLG beinhalte zumindest auch "materielles Sozial(hilfe)recht".
Der Beklagte hat mit Abhilfebescheid vom 6. Juli 2011 in Umsetzung des Urteils des SG einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 15.472,93 Euro bewilligt und den nach dem angefochtenen Urteil zu leistenden Zinsbetrag mit 2.346,71 Euro beziffert.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt (Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 28. Dezember 2011; Schreiben des Beklagten vom 2. Januar 2012).
Hinsichtlich der weiteren Einzelhalten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die Verwaltungsakten des Beklagten (Bände VI bis VII) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufungsbeschränkungen des § 144 Abs. 1 SGG nicht eingreifen. Bei überschlägiger Berechnung (vgl. hierzu Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-4300 § 64 Nr. 1 (Rdnr. 13)) ist davon auszugehen, dass zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungseinlegung der Wert des Beschwerdegegenstandes mehr als 750,00 EUR betragen hat (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Der Beklagte hat den streitigen Zinsbetrag mit über 2.000,00 EUR beziffert.
Der Beklagte ist passiv legitimiert und wird wie aus dem Rubrum ersichtlich vertreten. Dies folgt aus §§ 1 Nr. 2, 2 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 4 des Flüchtlingsaufnahmegesetzes Baden-Württemberg i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Landesverwaltungsgesetzes Baden-Württemberg (vgl. auch BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8 AY 11/07 R - (juris)).
Die Berufung hat Erfolg. Das SG hat den Beklagten zu Unrecht zur Verzinsung des "Nachzahlungsbetrages" verurteilt. Bezüglich des Zinsbegehrens sind die Klagen abzuweisen.
Streitgegenstand im Berufungsverfahren ist allein noch das von den Klägern gestellte Begehren auf Verzinsung der von ihnen im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X jeweils erlangten, sich aus der Differenz zwischen den erbrachten Grundleistungen (§ 3 AsylbLG) und den nachträglich zu erbringenden Analogleistungen (§ 2 AsylbLG) ergebenden "Nachzahlungsbeträge". Nicht mehr umstritten unter den Beteiligten ist dagegen die Höhe der von den Klägern beanspruchten Analogleistungen, nachdem der Beklagte das Urteil des SG Mannheim vom 17. Mai 2011 insoweit nicht angefochten und in dieser Hinsicht dem Urteilsausspruch durch "Abhilfebescheid" vom 6. Juli 2011 Rechnung getragen hat. Nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist ferner die vom Beklagten verfügte Aufrechnung, nachdem die Kläger das Urteil des SG Mannheim hingenommen haben; dies gilt auch für E.M., der das seine Klage abweisende Urteil nicht angegriffen hat. Allerdings bedarf die Urteilsformel (§ 136 Abs. 1 Nr. 4 SGG) hinsichtlich des Zinsausspruchs der Klarstellung; denn im Tenor des angefochtenen Urteils ist insoweit nur ausgesprochen, dass der über 2.918,04 Euro hinausgehende Nachzahlungsbetrag mit 4 % zu verzinsen sei. Hierbei ist zum Einen außer Acht gelassen, dass es sich bei den Ansprüchen nach dem AsylbLG um Individualansprüche jedes einzelnen Leistungsberechtigten handelt (vgl. hierzu Senatsurteil vom 8. Dezember 2011 - L 7 AY 3353/09 - (juris) (m.w.N.)); zum Anderen fehlt es an einer ausdrücklichen Festlegung des Verzinsungsbeginns hinsichtlich der nachträglich zu erbringenden Leistungen. Die Urteilsformel ist freilich unter Heranziehung von Tenor, Tatbestand und Entscheidungsgründen auslegungsfähig (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 - B 9b SO 5/05 R - (juris; Rdnr. 14)). Mit dem Zinsausspruch hat das SG Mannheim ersichtlich gemeint, dass die Zinsen nicht erst ab dem Antrag auf Neubescheidung, sondern bereits ab Erlass der ursprünglichen, sinngemäß Analogleistungen ablehnenden Verwaltungsakte zu zahlen seien; dies hatten die Kläger bereits mit ihren Anträgen vom 8. Februar 2010, aber auch in der Klagebegründung vom 15. November 2010 so begehrt. Hiervon geht im Übrigen auch der Beklagte, der den Gesamtbetrag der Zinsen auf 2.346,71 Euro errechnet hat, aus. Klarzustellen ist in dieser Beziehung jedoch, was auch in den klägerischen Sachanträgen nur unvollkommen zum Ausdruck kommt, dass die Verzinsung der nachträglich zu erbringenden Leistungen sich mit Blick auf den Einzelanspruch jedes Klägers gesondert zu vollziehen hätte. Die Kläger vermögen mit ihrem Zinsbegehren indessen nicht durchzudringen.
Die auf Verzinsung der Nachzahlung gerichteten Klageanträge sind zulässig. Es fehlt vorliegend nicht an der Durchführung eines Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren, weil der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 14. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2010 ausdrücklich ablehnend über die Frage der Verzinsung entschieden hat (vgl. zur Frage der Zulässigkeit eines mit einem Klageantrag auf Erlass eines Grundurteils nach § 130 SGG verbundenen Zinsantrages: BSG, Urteil vom 16. Dezember 1997 - 4 RA 56/96 - (juris); Wagner in jurisPK, 2. Auflage 2011, § 44 Rdnr. 41).
Das mit den Klagen verfolgte Zinsbegehren ist jedoch unbegründet, denn es fehlt an einer Rechtsgrundlage, auf die die Verzinsung gestützt werden könnte (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 2012 - L 7 AY 726/11 - (juris); (Revision anhängig unter B 7 AY 8/12 R)).
Die vordergründig zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob § 44 SGB I auf (Nach-)Zahlungsansprüche nach dem AsylbLG Anwendung finde, muss der Senat im Sinne der Auffassung des Beklagten beantworten: Nach § 44 Abs. 1 SGB I sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Systematisch ist die Norm im Dritten Abschnitt des SGB I "Gemeinsame Vorschriften für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuches" verortet.
Das AsylbLG gehört nicht zu den "Sozialleistungsbereichen", die vom SGB I erfasst werden (vgl. Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage, Vorbemerkung AsylbLG, Rdnr. 19; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Auflage, Einleitung zum AsylbLG, Rdnr. 4; Birk in LPK-SGB XII, 9. Auflage, Vorbemerkung zum AsylbLG, Rdnr. 6). § 44 SGB I kann weder direkt noch analog auf Leistungen nach dem AsylbLG angewendet werden.
Das AsylbLG stellt ein besonderes Sicherungssystem und eine eigenständige abschließende Regelung zur Sicherung des Lebensunterhaltes sowie zur Aufnahme und Durchführung von Arbeitsgelegenheiten für einen eng begrenzten Personenkreis von Ausländern dar (vgl. Frerichs in: jurisPK-SGB XII, Stand: 20. August 2012, § 1 AsylbLG Rdnr. 22; Hohm, a.a.O., Rdnr. 1). § 1 AsylbLG bestimmt in diesem Zusammenhang den Kreis der Leistungsberechtigten und damit den persönlichen Anwendungsbereich des AsylbLG. Trotz der Nähe zum Fürsorgerecht und damit insbesondere zum SGB XII (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11- (juris), Rdnrn. 114, 129) hat der Gesetzgeber eine klare Abgrenzung zum Sozialhilferecht getroffen. Asylbewerber und ihnen gleichgestellte Ausländer erhalten keine Sozialhilfe und haben darauf auch keinen Anspruch (§ 23 Abs. 2 SGB XII, § 9 Abs. 1 AsylbLG). Das AsylbLG ist - anders als das SGB XII - nicht (besonderer) Teil des Sozialgesetzbuches (vgl. BSG, Urteil vom 9. Juni 2011, SozR 4-1300 § 44 Nr. 22 Rdnr. 21 und Senatsurteil vom 8. Dezember 2011 - L 7 AY 3353/09 - (juris)). Deswegen können die allgemeinen Bestimmungen des SGB I auch nicht direkt auf Leistungen nach dem AsylbLG angewendet werden. Das SGB I definiert - als gesetzliche Fiktion - die besonderen Teile des Sozialgesetzbuches in § 68. Dabei ist das AsylbLG nicht erfasst. Auch in der Übersicht über die einzelnen vom Regelungsumfang des Gesetzes erfassten Sozialleistungen und zuständigen Leistungsträger im Zweiten Titel des SGB I (§§ 18 bis 29) fehlt es an einer Erwähnung des AsylbLG. § 68 SGB I ist seit dem Inkrafttreten des AsylbLG vom 30. Juni 1993 (BGBl I, S. 1074) am 1. November 1993 mehrfach geändert worden (vgl. z. B. zuletzt die Änderungen durch Gesetze vom 5. Dezember 2006 (BGBl I, S. 2748) und 8. Dezember 2010 (BGBl I, S. 1864)). Bei der Gesetzesauslegung muss der Senat nach alledem nach Wortlaut, Systematik und Entwicklung der zugrunde liegenden gesetzlichen Vorschriften davon ausgehen, dass der Gesetzgeber nicht nur keine Anwendung der allgemeinen Bestimmungen des SGB I geregelt hat, sondern gerade auch keine solche Regelung treffen wollte.
Daher ist auch eine analoge Anwendung des § 44 SGB I auf Leistungen nach dem AsylbLG nicht möglich. Eine Regelungslücke, die durch eine Analogie geschlossen werden könnte, existiert nicht. Vielmehr ist auch aus den durch den Gesetzgeber in das AsylbLG aufgenommenen Verweisungen auf SGB I- und SGB X-Vorschriften zu entnehmen, dass eine (analoge) Anwendung von § 44 SGB I ausgeschlossen ist. So wurde durch das 1. Änderungsgesetz zum AsylbLG vom 26. Mai 1997 (BGBl I, S. 1130) mit Wirkung vom 1. Juni 1997 in § 7 Abs. 4 AsylbLG eine entsprechende Anwendung der §§ 60 bis 67 SGB I ausdrücklich angeordnet. Mit dem selben Gesetz erfolgte in § 9 Abs. 3 AsylbLG die Erweiterung der entsprechenden Anwendung von Normen des SGB X (vorher nur §§ 102 bis 114, nun auch §§ 44 bis 50 SGB X). Dieser gesetzgeberischen Initiative ist klar zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine (entsprechende) Anwendung von Normen des SGB I (und des SGB X) für ausdrücklich regelungsbedürftig hält. Da eine Regelung der entsprechenden Anwendung des § 44 SGB I trotz Gestaltungsmöglichkeit des Gesetzgebers unterblieb, fehlt es mithin an einer Regelungslücke. Eine analoge Anwendung von § 44 SGB I würde damit die Wortlautgrenze sprengen und die gesetzgeberische Konzeption außer Acht lassen (vgl. auch BSG, Urteil vom 17. Juni 2008, SozR 4-3520 § 9 Nr. 1).
§ 44 SGB I kann - anders als die Kläger meinen - auch nicht über § 44 Abs. 4 SGB X Anwendung finden. Denn diese - nur aufgrund ausdrücklicher Verweisung in § 9 Abs. 3 AsylbLG überhaupt entsprechend anwendbare - Bestimmung formuliert zwar einen Anspruch auf eine rückwirkende Gewährung von Sozialleistungen, enthält aber keine Regelung für eine Verzinsung und auch keinen Verweis auf eine Verzinsungsbestimmung. Auch aus dem Umstand, dass § 9 Abs. 3 AsylbLG auch auf die Verzinsungsbestimmung des § 50 Abs. 2a SGB X verweist, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Die dort geregelten Verzinsung zu Gunsten der Behörde stellt eine spezielle Folgeregelung zu § 47 Abs. 2 SGB X dar (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 74. Ergänzungslieferung 2012, § 50 SGB X, Rdnr. 40) und erfasst lediglich Leistungen, die im Rahmen der Förderung von Einrichtungen und Betrieben zu erstatten sind. Ansonsten - insbesondere bei Leistungen an Versicherte - bleibt es bei der Nichtverzinslichkeit (vgl. Steinwedel, a.a.O.). Eine Analogiefähigkeit der Norm, noch dazu in Umkehrung des Verhältnisses zwischen Behörde und Bürger, ist daher nicht einmal ansatzweise zu erkennen.
Zur Ausführung des AsylbLG ist - mangels Einordnung dieses Gesetzes in das formelle Sozialrecht - nicht das SGB X, sondern das Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes Baden-Württemberg anzuwenden (vgl. Senatsurteil vom 8. Dezember 2011, a.a.O.; Wahrendorf, a.a.O.). Dieses Gesetz sieht jedoch eine Verzinsung von Leistungen zugunsten des Leistungsempfängers an keiner Stelle vor.
Die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu Verzugs- oder Prozesszinsen (§§ 288, 291 BGB) sind für den hier strittigen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG nicht entsprechend anwendbar (ebenso vgl. SG Aachen, Urteil vom 29. Januar 2008 - S 20 AY 2/07 - und SG Gelsenkirchen, Urteil vom 29. Mai 2006 - S 2 AY 20/05 ( jeweils juris)). Angesichts der für Sozialleistungsansprüche grundsätzlich Geltung beanspruchenden Verzinsungsbestimmung des § 44 SGB I und der durch Auslegung gewonnenen Erkenntnis, dass der Gesetzgeber diese Bestimmung nicht auf Leistungen nach dem AsylbLG erstrecken will, bedürfte es zur Anwendung der §§ 288, 291 BGB einer ausdrücklichen Verweisung, an der es vorliegend fehlt. Wenn schon eine Analogie zur sozialrechtlichen Spezialnorm des § 44 SGB I nicht gerechtfertigt erscheint, gilt dies umso mehr für eine Analogie zu den Verzinsungsbestimmungen des BGB. Ob eine Anwendung der §§ 288, 291 BGB zudem eine nicht gerechtfertigte Besserstellung der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG gegenüber anderen Sozialleistungsempfängern darstellen würde, wie das SG Gelsenkirchen (a.a.O.) meint, kann offen bleiben. Das BSG schließt die Anwendung der §§ 288, 291 BGB - abgesehen vom Leistungserbringungsrecht (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 10. Aufl. 2012, § 94 Rdnr. 5a) - im Übrigen regelmäßig aus (grundlegend Urteil vom 23. Juli 1992 - 7 RAr 98/90 - SozR 3-7610 § 291 Nr. 1; Urteil vom 27. August 2011 - B 4 AS 1/10 R - SozR 4-4200 § 16 Nr. 9; vgl. auch Gutzler in Beck`scher Online Kommentar Sozialrecht, Stand 1. September 2012, § 44 SGB I Rdnr. 7).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Kostengrundentscheidung des SG spiegelt auch unter Berücksichtigung der Klagabweisung hinsichtlich der Zinsen ungefähr das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen wider, so dass es bei dieser Entscheidung verbleiben kann. Die Kläger Ziffer 1 bis 4 und Berufungsbeklagten tragen ihre außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren selbst.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die Frage der Verzinsung von Ansprüchen nach dem AsylbLG dürfte eine Vielzahl von Fällen betreffen und ist höchstrichterlich bisher nicht entschieden.
Außergerichtliche Kosten der Kläger Ziffer 1 bis 4 im Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch darum, ob der Beklagte verpflichtet ist, die Nachzahlung der Differenz zwischen sogenannten Analogleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und den Grundleistungen (§ 3 AsylbLG) mit 4 % zu verzinsen.
Die Kläger sind eine aus dem ehemaligen J. stammende Familie. Die Klägerin Ziffer 1 ist Mutter der Kläger Ziffer 2 bis 4. Die Kläger Ziffer 1 bis 3 bezogen u. a. in der Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 30. September 2009 Grundleistungen nach dem AsylbLG, die Klägerin Ziffer 4 bis 31. August 2009.
Am 8. Februar 2010 beantragten die Kläger die rückwirkende Erbringung sogenannter Analogleistungen für die Zeit ab 1. Januar 2006 unter Anrechnung der gewährten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG nebst Zinsen in Höhe von 4 % nach § 44 Abs. 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I). Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 14. Juli 2010 den Klägern Ziffer 1 bis 3 für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Mai 2010 und der Klägerin Ziffer 4 für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum "31. September" 2009 Leistungen nach § 2 AsylbLG, setzte den zusätzlich zu den bisher erbrachten Leistungen nach § 3 AsylbLG zu erbringenden Nachzahlungsbetrag auf 3.000 Euro (je Person 750 Euro) fest und verrechnete diesen Betrag in Höhe von 2.918,04 Euro auf Basis der gegenüber der Klägerin Ziffer 1 verfügten (bestandskräftigen) Aufhebung und Erstattung (Bescheid vom 8. Februar 2008). Den Antrag des Sohnes der Klägerin Ziffer 1 E. M. (E.M.) lehnte er ab, da dieser seit dem 1. Juni 2008 keine Leistungen nach dem AsylbLG und dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) bezogen habe. Auch der Antrag auf nachträgliche Verzinsung blieb ohne Erfolg. Für eine Verzinsung gebe es keine Rechtsgrundlage. Den Widerspruch der Kläger (Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 11. August 2010) wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 2. November 2010).
Dagegen haben die Kläger und E.M. am 16. November 2010 Klage zum Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben. Mit Urteil vom 17. Mai 2011 hat das SG Mannheim den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 14. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. November 2010 verurteilt, den Klägern Ziffer 1 bis 4 für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 30. September 2009 die volle Differenz zwischen den "Analogleistungen" (§ 2 AsylbLG) und den "Grundleistungen" (§ 3 AsylbLG) zu gewähren und den über 2.918,04 Euro hinausgehenden Nachzahlungsbetrag in voller Höhe auszugleichen und mit 4 % zu verzinsen. Die weitergehende Klage und die Klage des E.M. hat es abgewiesen. Hinsichtlich der Verzinsung führt das SG zur Begründung aus, dass der Zinsanspruch auf § 44 SGB I beruhe. Da das AsylbLG "materielles Sozial(hilfe)recht" beinhalte, sei trotz des Umstandes, dass es nicht zum Sozialgesetzbuch rechne, kein sachlicher Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könne, insoweit von einer Verzinsung abzusehen.
Gegen das ihm am 27. Mai 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 21. Juni 2011 zum Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung eingelegt, soweit der Beklagte dazu verurteilt wurde, den Nachzahlungsbetrag mit 4 % zu verzinsen. Zur Begründung seiner Berufung führt er aus, dass kein Anspruch auf Verzinsung des Nachzahlungsbetrages bestehe. Voraussetzung für einen Zinsanspruch der Kläger sei, dass § 44 SGB I auf Leistungsansprüche nach dem AsylbLG anwendbar sei, da § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) keine eigene Verzinsungsregelung enthalte. Eine Verweisungsregelung in Bezug auf § 44 SGB I sei nicht in das AsylbLG aufgenommen worden. Es sei auch sachlich nicht gerechtfertigt, Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG Leistungsberechtigten nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) gleichzustellen. § 2 Abs. 1 AsylbLG erkläre das SGB XII nur entsprechend anwendbar. Zum anderen sei bei Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII den Besonderheiten des AsylbLG Rechnung zu tragen. Während die Leistungen der Sozialhilfe vom Individualitätsgrundsatz ausgingen und ein existenziell gesichertes und sozial integriertes Leben des Leistungsberechtigten auf eigenen Füßen in der Bundesrepublik Deutschland zum Ziel hätten, seien die Bedürfnisse der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG am in aller Regel nur vorübergehenden Aufenthalt auszurichten. Dies könne in Einzelfällen zu einer Schlechterstellung der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG führen, was vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen worden sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 17. Mai 2011 insoweit aufzuheben, als er dazu verurteilt wurde, den Nachzahlungsbetrag mit 4 % zu verzinsen, und die Klagen insoweit abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Zinsanspruch ergebe sich aus § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 44 Abs. 1 SGB I, wobei es unerheblich sei, dass das AsylbLG nicht zum Sozialgesetzbuch zähle und auch keine explizite Verweisung auf § 44 SGB I beinhalte. Denn das AsylbLG beinhalte zumindest auch "materielles Sozial(hilfe)recht".
Der Beklagte hat mit Abhilfebescheid vom 6. Juli 2011 in Umsetzung des Urteils des SG einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 15.472,93 Euro bewilligt und den nach dem angefochtenen Urteil zu leistenden Zinsbetrag mit 2.346,71 Euro beziffert.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt (Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 28. Dezember 2011; Schreiben des Beklagten vom 2. Januar 2012).
Hinsichtlich der weiteren Einzelhalten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die Verwaltungsakten des Beklagten (Bände VI bis VII) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufungsbeschränkungen des § 144 Abs. 1 SGG nicht eingreifen. Bei überschlägiger Berechnung (vgl. hierzu Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-4300 § 64 Nr. 1 (Rdnr. 13)) ist davon auszugehen, dass zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungseinlegung der Wert des Beschwerdegegenstandes mehr als 750,00 EUR betragen hat (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Der Beklagte hat den streitigen Zinsbetrag mit über 2.000,00 EUR beziffert.
Der Beklagte ist passiv legitimiert und wird wie aus dem Rubrum ersichtlich vertreten. Dies folgt aus §§ 1 Nr. 2, 2 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 4 des Flüchtlingsaufnahmegesetzes Baden-Württemberg i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Landesverwaltungsgesetzes Baden-Württemberg (vgl. auch BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8 AY 11/07 R - (juris)).
Die Berufung hat Erfolg. Das SG hat den Beklagten zu Unrecht zur Verzinsung des "Nachzahlungsbetrages" verurteilt. Bezüglich des Zinsbegehrens sind die Klagen abzuweisen.
Streitgegenstand im Berufungsverfahren ist allein noch das von den Klägern gestellte Begehren auf Verzinsung der von ihnen im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X jeweils erlangten, sich aus der Differenz zwischen den erbrachten Grundleistungen (§ 3 AsylbLG) und den nachträglich zu erbringenden Analogleistungen (§ 2 AsylbLG) ergebenden "Nachzahlungsbeträge". Nicht mehr umstritten unter den Beteiligten ist dagegen die Höhe der von den Klägern beanspruchten Analogleistungen, nachdem der Beklagte das Urteil des SG Mannheim vom 17. Mai 2011 insoweit nicht angefochten und in dieser Hinsicht dem Urteilsausspruch durch "Abhilfebescheid" vom 6. Juli 2011 Rechnung getragen hat. Nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist ferner die vom Beklagten verfügte Aufrechnung, nachdem die Kläger das Urteil des SG Mannheim hingenommen haben; dies gilt auch für E.M., der das seine Klage abweisende Urteil nicht angegriffen hat. Allerdings bedarf die Urteilsformel (§ 136 Abs. 1 Nr. 4 SGG) hinsichtlich des Zinsausspruchs der Klarstellung; denn im Tenor des angefochtenen Urteils ist insoweit nur ausgesprochen, dass der über 2.918,04 Euro hinausgehende Nachzahlungsbetrag mit 4 % zu verzinsen sei. Hierbei ist zum Einen außer Acht gelassen, dass es sich bei den Ansprüchen nach dem AsylbLG um Individualansprüche jedes einzelnen Leistungsberechtigten handelt (vgl. hierzu Senatsurteil vom 8. Dezember 2011 - L 7 AY 3353/09 - (juris) (m.w.N.)); zum Anderen fehlt es an einer ausdrücklichen Festlegung des Verzinsungsbeginns hinsichtlich der nachträglich zu erbringenden Leistungen. Die Urteilsformel ist freilich unter Heranziehung von Tenor, Tatbestand und Entscheidungsgründen auslegungsfähig (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 - B 9b SO 5/05 R - (juris; Rdnr. 14)). Mit dem Zinsausspruch hat das SG Mannheim ersichtlich gemeint, dass die Zinsen nicht erst ab dem Antrag auf Neubescheidung, sondern bereits ab Erlass der ursprünglichen, sinngemäß Analogleistungen ablehnenden Verwaltungsakte zu zahlen seien; dies hatten die Kläger bereits mit ihren Anträgen vom 8. Februar 2010, aber auch in der Klagebegründung vom 15. November 2010 so begehrt. Hiervon geht im Übrigen auch der Beklagte, der den Gesamtbetrag der Zinsen auf 2.346,71 Euro errechnet hat, aus. Klarzustellen ist in dieser Beziehung jedoch, was auch in den klägerischen Sachanträgen nur unvollkommen zum Ausdruck kommt, dass die Verzinsung der nachträglich zu erbringenden Leistungen sich mit Blick auf den Einzelanspruch jedes Klägers gesondert zu vollziehen hätte. Die Kläger vermögen mit ihrem Zinsbegehren indessen nicht durchzudringen.
Die auf Verzinsung der Nachzahlung gerichteten Klageanträge sind zulässig. Es fehlt vorliegend nicht an der Durchführung eines Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren, weil der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 14. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2010 ausdrücklich ablehnend über die Frage der Verzinsung entschieden hat (vgl. zur Frage der Zulässigkeit eines mit einem Klageantrag auf Erlass eines Grundurteils nach § 130 SGG verbundenen Zinsantrages: BSG, Urteil vom 16. Dezember 1997 - 4 RA 56/96 - (juris); Wagner in jurisPK, 2. Auflage 2011, § 44 Rdnr. 41).
Das mit den Klagen verfolgte Zinsbegehren ist jedoch unbegründet, denn es fehlt an einer Rechtsgrundlage, auf die die Verzinsung gestützt werden könnte (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 2012 - L 7 AY 726/11 - (juris); (Revision anhängig unter B 7 AY 8/12 R)).
Die vordergründig zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob § 44 SGB I auf (Nach-)Zahlungsansprüche nach dem AsylbLG Anwendung finde, muss der Senat im Sinne der Auffassung des Beklagten beantworten: Nach § 44 Abs. 1 SGB I sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Systematisch ist die Norm im Dritten Abschnitt des SGB I "Gemeinsame Vorschriften für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuches" verortet.
Das AsylbLG gehört nicht zu den "Sozialleistungsbereichen", die vom SGB I erfasst werden (vgl. Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage, Vorbemerkung AsylbLG, Rdnr. 19; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Auflage, Einleitung zum AsylbLG, Rdnr. 4; Birk in LPK-SGB XII, 9. Auflage, Vorbemerkung zum AsylbLG, Rdnr. 6). § 44 SGB I kann weder direkt noch analog auf Leistungen nach dem AsylbLG angewendet werden.
Das AsylbLG stellt ein besonderes Sicherungssystem und eine eigenständige abschließende Regelung zur Sicherung des Lebensunterhaltes sowie zur Aufnahme und Durchführung von Arbeitsgelegenheiten für einen eng begrenzten Personenkreis von Ausländern dar (vgl. Frerichs in: jurisPK-SGB XII, Stand: 20. August 2012, § 1 AsylbLG Rdnr. 22; Hohm, a.a.O., Rdnr. 1). § 1 AsylbLG bestimmt in diesem Zusammenhang den Kreis der Leistungsberechtigten und damit den persönlichen Anwendungsbereich des AsylbLG. Trotz der Nähe zum Fürsorgerecht und damit insbesondere zum SGB XII (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11- (juris), Rdnrn. 114, 129) hat der Gesetzgeber eine klare Abgrenzung zum Sozialhilferecht getroffen. Asylbewerber und ihnen gleichgestellte Ausländer erhalten keine Sozialhilfe und haben darauf auch keinen Anspruch (§ 23 Abs. 2 SGB XII, § 9 Abs. 1 AsylbLG). Das AsylbLG ist - anders als das SGB XII - nicht (besonderer) Teil des Sozialgesetzbuches (vgl. BSG, Urteil vom 9. Juni 2011, SozR 4-1300 § 44 Nr. 22 Rdnr. 21 und Senatsurteil vom 8. Dezember 2011 - L 7 AY 3353/09 - (juris)). Deswegen können die allgemeinen Bestimmungen des SGB I auch nicht direkt auf Leistungen nach dem AsylbLG angewendet werden. Das SGB I definiert - als gesetzliche Fiktion - die besonderen Teile des Sozialgesetzbuches in § 68. Dabei ist das AsylbLG nicht erfasst. Auch in der Übersicht über die einzelnen vom Regelungsumfang des Gesetzes erfassten Sozialleistungen und zuständigen Leistungsträger im Zweiten Titel des SGB I (§§ 18 bis 29) fehlt es an einer Erwähnung des AsylbLG. § 68 SGB I ist seit dem Inkrafttreten des AsylbLG vom 30. Juni 1993 (BGBl I, S. 1074) am 1. November 1993 mehrfach geändert worden (vgl. z. B. zuletzt die Änderungen durch Gesetze vom 5. Dezember 2006 (BGBl I, S. 2748) und 8. Dezember 2010 (BGBl I, S. 1864)). Bei der Gesetzesauslegung muss der Senat nach alledem nach Wortlaut, Systematik und Entwicklung der zugrunde liegenden gesetzlichen Vorschriften davon ausgehen, dass der Gesetzgeber nicht nur keine Anwendung der allgemeinen Bestimmungen des SGB I geregelt hat, sondern gerade auch keine solche Regelung treffen wollte.
Daher ist auch eine analoge Anwendung des § 44 SGB I auf Leistungen nach dem AsylbLG nicht möglich. Eine Regelungslücke, die durch eine Analogie geschlossen werden könnte, existiert nicht. Vielmehr ist auch aus den durch den Gesetzgeber in das AsylbLG aufgenommenen Verweisungen auf SGB I- und SGB X-Vorschriften zu entnehmen, dass eine (analoge) Anwendung von § 44 SGB I ausgeschlossen ist. So wurde durch das 1. Änderungsgesetz zum AsylbLG vom 26. Mai 1997 (BGBl I, S. 1130) mit Wirkung vom 1. Juni 1997 in § 7 Abs. 4 AsylbLG eine entsprechende Anwendung der §§ 60 bis 67 SGB I ausdrücklich angeordnet. Mit dem selben Gesetz erfolgte in § 9 Abs. 3 AsylbLG die Erweiterung der entsprechenden Anwendung von Normen des SGB X (vorher nur §§ 102 bis 114, nun auch §§ 44 bis 50 SGB X). Dieser gesetzgeberischen Initiative ist klar zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine (entsprechende) Anwendung von Normen des SGB I (und des SGB X) für ausdrücklich regelungsbedürftig hält. Da eine Regelung der entsprechenden Anwendung des § 44 SGB I trotz Gestaltungsmöglichkeit des Gesetzgebers unterblieb, fehlt es mithin an einer Regelungslücke. Eine analoge Anwendung von § 44 SGB I würde damit die Wortlautgrenze sprengen und die gesetzgeberische Konzeption außer Acht lassen (vgl. auch BSG, Urteil vom 17. Juni 2008, SozR 4-3520 § 9 Nr. 1).
§ 44 SGB I kann - anders als die Kläger meinen - auch nicht über § 44 Abs. 4 SGB X Anwendung finden. Denn diese - nur aufgrund ausdrücklicher Verweisung in § 9 Abs. 3 AsylbLG überhaupt entsprechend anwendbare - Bestimmung formuliert zwar einen Anspruch auf eine rückwirkende Gewährung von Sozialleistungen, enthält aber keine Regelung für eine Verzinsung und auch keinen Verweis auf eine Verzinsungsbestimmung. Auch aus dem Umstand, dass § 9 Abs. 3 AsylbLG auch auf die Verzinsungsbestimmung des § 50 Abs. 2a SGB X verweist, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Die dort geregelten Verzinsung zu Gunsten der Behörde stellt eine spezielle Folgeregelung zu § 47 Abs. 2 SGB X dar (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 74. Ergänzungslieferung 2012, § 50 SGB X, Rdnr. 40) und erfasst lediglich Leistungen, die im Rahmen der Förderung von Einrichtungen und Betrieben zu erstatten sind. Ansonsten - insbesondere bei Leistungen an Versicherte - bleibt es bei der Nichtverzinslichkeit (vgl. Steinwedel, a.a.O.). Eine Analogiefähigkeit der Norm, noch dazu in Umkehrung des Verhältnisses zwischen Behörde und Bürger, ist daher nicht einmal ansatzweise zu erkennen.
Zur Ausführung des AsylbLG ist - mangels Einordnung dieses Gesetzes in das formelle Sozialrecht - nicht das SGB X, sondern das Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes Baden-Württemberg anzuwenden (vgl. Senatsurteil vom 8. Dezember 2011, a.a.O.; Wahrendorf, a.a.O.). Dieses Gesetz sieht jedoch eine Verzinsung von Leistungen zugunsten des Leistungsempfängers an keiner Stelle vor.
Die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu Verzugs- oder Prozesszinsen (§§ 288, 291 BGB) sind für den hier strittigen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG nicht entsprechend anwendbar (ebenso vgl. SG Aachen, Urteil vom 29. Januar 2008 - S 20 AY 2/07 - und SG Gelsenkirchen, Urteil vom 29. Mai 2006 - S 2 AY 20/05 ( jeweils juris)). Angesichts der für Sozialleistungsansprüche grundsätzlich Geltung beanspruchenden Verzinsungsbestimmung des § 44 SGB I und der durch Auslegung gewonnenen Erkenntnis, dass der Gesetzgeber diese Bestimmung nicht auf Leistungen nach dem AsylbLG erstrecken will, bedürfte es zur Anwendung der §§ 288, 291 BGB einer ausdrücklichen Verweisung, an der es vorliegend fehlt. Wenn schon eine Analogie zur sozialrechtlichen Spezialnorm des § 44 SGB I nicht gerechtfertigt erscheint, gilt dies umso mehr für eine Analogie zu den Verzinsungsbestimmungen des BGB. Ob eine Anwendung der §§ 288, 291 BGB zudem eine nicht gerechtfertigte Besserstellung der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG gegenüber anderen Sozialleistungsempfängern darstellen würde, wie das SG Gelsenkirchen (a.a.O.) meint, kann offen bleiben. Das BSG schließt die Anwendung der §§ 288, 291 BGB - abgesehen vom Leistungserbringungsrecht (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 10. Aufl. 2012, § 94 Rdnr. 5a) - im Übrigen regelmäßig aus (grundlegend Urteil vom 23. Juli 1992 - 7 RAr 98/90 - SozR 3-7610 § 291 Nr. 1; Urteil vom 27. August 2011 - B 4 AS 1/10 R - SozR 4-4200 § 16 Nr. 9; vgl. auch Gutzler in Beck`scher Online Kommentar Sozialrecht, Stand 1. September 2012, § 44 SGB I Rdnr. 7).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Kostengrundentscheidung des SG spiegelt auch unter Berücksichtigung der Klagabweisung hinsichtlich der Zinsen ungefähr das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen wider, so dass es bei dieser Entscheidung verbleiben kann. Die Kläger Ziffer 1 bis 4 und Berufungsbeklagten tragen ihre außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren selbst.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die Frage der Verzinsung von Ansprüchen nach dem AsylbLG dürfte eine Vielzahl von Fällen betreffen und ist höchstrichterlich bisher nicht entschieden.
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