L 2 AS 4483/12 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 4910/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 4483/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. September 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin (vgl. §§ 172 Abs. 1 und 173 SGG) ist unbegründet. Die Antragstellerin kann nicht im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners verlangen, ihr Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren, weil ihre Hilfebedürftigkeit nicht hinreichend glaubhaft gemacht ist.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes geht (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. z.B. Beschlüsse Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (vgl. etwa Beschlüsse Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).

Es kann dahinstehen, ob das SG zu Recht den Antrag der Antragstellerin als unzulässig angesehen hat, weil nur eine Untätigkeitsklage in Betracht zu ziehen gewesen wäre bzw. die Rechtskraft der vorhergehenden Entscheidungen entgegenstand. Jedenfalls haben sich die Verhältnisse zwischenzeitlich durch den Umzug der Antragstellerin in das Frauenhaus geändert, was vom Senat zu berücksichtigen ist. Im Übrigen hatte die Antragstellerin bereits am 26.06.2012 einen neuen Antrag beim Antragsgegner gestellt, der ebenfalls wie der Antrag vom 15.05.2012 noch nicht beschieden ist, soweit sich dies den nicht chronologisch geführten Akten des Antragsgegners überhaupt entnehmen lässt.

Vorliegend hat die am 1954 geborene Antragstellerin einen Anordnungsanspruch auf Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld (Alg) II) nicht glaubhaft gemacht. Sie verfügt über Vermögen, das über dem für sie maßgeblichen Freibeträgen aus Grundfreibetrag nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 - 150 EUR je vollendetem Lebensjahr (58 x 150 EUR = 8.700 EUR) - und Freibetrag für notwendige Anschaffungen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB II in Höhe von 750 EUR und damit über dem Gesamtfreibetrag von 9.450 EUR liegt. Dem ist das von der Klägerin nach ihren Angaben zur Alterssicherung angelegte Sparkonto bei der BW-Bank (Kto-Nr. 3070064853) nicht nach § 12 Abs. 2 Satz1 Nr. 3 SGB II als Altersvorsorge hinzuzurechnen, weil es sich um ein Express-Sparkonto handelt, das ein kurzfristiges Zugreifen auf das angelegte Geld möglich macht (Kündigungsfrist 3 Monate; http://www.bw-bank.de/privatkunden /1000009821-de.html), es daher nicht ausdrücklich als Altersvorsorge gefördert wird und damit den Freibetrag, der dem Alter der Klägerin entsprechend nur maximal 9.750 EUR betragen könnte (§ 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1), nicht erhöht.

Zwar liegt der Antragsgegner mit dem von ihm errechneten Vermögen in Höhe von 19.410,98 EUR (Überschreitung 9.960,98 EUR) nach der hier gebotenen summarischen Prüfung wesentlich zu hoch. Irrig rechnet der Antragsgegner nämlich noch den hälftigen Erlös aus dem bereits um den 08.03.2012 zur Auszahlung gelangten Bausparvertrag bei der Badenia (Kto-Nr. 5905087703) in Höhe von 9.176,26 EUR an. Hinsichtlich des Gesamtbetrages in Höhe von 18.352,52 EUR ist es glaubhaft, wenn der Ehemann der Antragstellerin hierzu angibt, dass davon - ausweislich der Abrechnung der Commerzbank vom 20.07.2012 - ein Betrag von 10.564,84 EUR zur Tilgung des Kredits für die Eigentumswohnung in der Tegernseestr. 3 in S. verwandt wurde (Auskunft vom 29.08.2012). Ebenso nachvollziehbar ist es für den Senat, wenn die Antragstellerin und ihr inzwischen getrennt lebender Ehemann den Restbetrag für die Begleichung von Schulden, die sie zur Lebensführung aufgenommen haben, verwandt haben und somit nicht mehr zur Verfügung steht. Dies überzeugt vor dem Hintergrund, dass sowohl damals noch gemeinsam als auch nun getrennt, die Antragstellerin und ihr Ehemann bereits seit Jahren Alg II erfolglos beantragen.

Dennoch errechnet auch der Senat einen den Freibetrag von 9.450 EUR überschreitenden Betrag für die Antragstellerin von 784,72 EUR, der einer Leistungsgewährung entgegensteht. Die Antragstellerin verfügt über das Express-Sparkonto bei der BW-Bank, das sie zum 15.03.2013 nun endlich gekündigt hat und auf das sie schon längst hätte Zugriff haben können, wenn sie gewollt hätte, in Höhe von aktuell 5.636,66 EUR. Zudem sind frühere Kontostände in Höhe von 6,17 EUR (Volksbank) und 91,89 EUR (IngDiBa) bekannt und nicht bestritten. Hinzu kommt als weiterer wesentlicher Posten, dass die Antragstellerin noch über einen Anspruch auf Zahlung des Restkaufpreises für die Eigentumswohnung in Höhe von 4.500 EUR verfügen dürfte. Die Antragstellerin und ihr Ehemann haben die gemeinsame Wohnung in der Tegernseestr. 3 an ihre Tochter N. G. durch notariellen Kaufvertrag vom 28.03.2012 zum Preis von 72.000 EUR verkauft. Auf Grund der Bewilligung vom 15.06.2012 wurde eine Grundschuld über 66.000 EUR in Abteilung III des Grundbuchs von H., Blatt Nr. 3958 eingetragen. Hierzu passend ging am 18.07.2012 ein Betrag von 62.966,66 EUR auf dem Darlehenskonto für die Finanzierung der Wohnung der Antragstellerin und ihres Ehemanns bei der Commerzbank ein, das die noch bestehende Darlehenssumme von 64.409,28 EUR reduzierte, so dass sich zuzüglich von Verzugszinsen in Höhe von 196,88 EUR am 20.07.2012 noch eine Restforderung der Commerzbank in Höhe von 1.639,50 EUR ergab. Dass der Kaufpreis inzwischen vollständig gezahlt und die Auflassung erklärt wäre, hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Nach den vorgelegten Unterlagen hat die Tochter der Antragstellerin daher auf die vereinbarten 72.000 EUR erst 62.966,66 EUR gezahlt, so dass sich eine Restforderung von ca. 9000 EUR für die Eltern, anteilig für die Antragstellerin in Höhe von 4.500 EUR ergibt. Dieser Anspruch dürfte sich auch unschwer realisieren lassen, nachdem die Tochter Nancy ausweislich des Notarvertrags vom 28.03.2012 nicht mehr in den USA, sondern wieder in Deutschland lebt. Damit errechnet sich ein Vermögen der Antragstellerin in Höhe von 10.234,72 EUR, sodass sich abzüglich des Freibetrags von 9.450 EUR ein Betrag von 784,72 EUR an verwertbarem Vermögen errechnet.

Auch etwaige inzwischen eingegangene weitere Verbindlichkeiten durch Ausleihen von Geld bei ihrem Sohn Tommy oder Freunden sind nicht vermögensmindernd zu berücksichtigen. Das Gesetz geht diesbezüglich nicht von einer saldierenden Betrachtungsweise - also von Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva - aus. Solange ein Gegenstand nicht aus dem Vermögen abgeflossen ist, muss er dem Aktivvermögen zugerechnet werden, auch wenn insoweit Vollstreckungsmaßnahmen Dritter drohen (Geiger in LPK-SGB II, 4. Aufl., § 12, Rn. 76 m.w.N.).

Weitere Vermögenswerte könnten dem Vermögen der Klägerin in Bezug auf das verkaufte Wohneigentum anzurechnen sein. Hinsichtlich der Veräußerung der Eigentumswohnung an die Tochter N. fällt ein Missverhältnis zwischen dem Anschaffungswert im Jahre 2004 in Höhe von 100.000 EUR und dem Veräußerungswert am 28.03.2012 in Höhe von 72.000 EUR auf. Da es sich um die Veräußerung an eine nahe Angehörige handelte, die Immobilienpreise in Stuttgart in den letzten Jahren nicht gefallen, sondern stark angestiegen sind, liegt die Vermutung nahe, dass es sich nicht um einen reinen Kaufvertrag, sondern um eine gemischte Schenkung gehandelt haben könnte (vgl. hierzu OLG Bamberg, Urteil vom 24.09.2001 - 4 U 3/01, juris Rn. 24 m.w.N.), die im Falle der Bedürftigkeit einen entsprechenden Rückforderungsanspruch auslösen könnte. Weiteres Indiz hierfür ist, dass die vereinbarte Kaufsumme in etwa der Höhe der damals auf der Wohnung noch lastenden Verbindlichkeiten in Höhe von 74.717,33 inklusive Vorfälligkeitsentschädigung entspricht. Dies wird ggf. in einem sich anschließenden Hauptsacheverfahren zu klären sein, in dem dann der Verkehrswert der Wohnung zum Verkaufszeitpunkt zu ermitteln und anhand der Differenz zum Kaufpreis eine entsprechende Beurteilung vorzunehmen sein wird. Entsprechende Ermittlungen würden den Rahmen eines Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz sprengen.

Auch wird genauer zu beleuchten sein, was hinter der Übertragung eines Betrages von 43.736,43 EUR von dem gemeinsamen Konto der Antragstellerin und ihres Ehemannes bei der Mercedes Bank (Kto-Nr. 6622810007) auf die Tochter Nancy am 03.01.2012 steht. Wenn es sich bei den Geldzuflüssen auf dem Konto mit dem Verwendungszweck "N. G. N. ZSOZSOJA" tatsächlich um Gelder der Tochter gehandelt haben sollte, lassen sich jedenfalls bei summarischer Prüfung und überschlägiger Betrachtung der Kontobewegungen Geldbeträge von über 40.000 EUR belegen, die dann nicht als Vermögenswert der Antragstellerin anteilig zuzurechnen sein dürften.

Zusammenfassend ist jedenfalls derzeit noch kein Anordnungsanspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Erwerbsfähige glaubhaft gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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