L 11 KR 5173/12 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 16 KR 5135/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 5173/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 07.12.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung einer stationären Leistung zur medizinischen Rehabilitation.

Der 1924 geborene Antragsteller erkrankte 2005 an einem Prostata-Karzinom und wurde deswegen mehrfach operiert. Onkologische Nachsorgen erfolgten 2005 und 2006 in den W.-Z.-Kliniken, Parksanatorium A ... 2008 wurde der Antragsteller wegen einer Spinalkanalstenose operiert (Dekompression in Höhe LWK 3/4 und 4/5) und absolvierte anschließend eine Rehabilitationsmaßnahme in den W.-Z.-Kliniken. Im Mai 2012 wurden dem Antragsteller operativ die Hoden entfernt. Eine Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 80 ist festgestellt.

Am 10.11.2011 verordnete der Hausarzt des Antragstellers, Dr J., Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Der Antragsteller legte mit seinem Antrag auf Gewährung der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme zusätzlich ein Attest von Dr J. und eine Bescheinigung des Urologen Dr S. vom 08.11.2011 vor, der eine erneute stationäre Reha-Maßnahme empfahl. Im Rahmen einer Direktberatung sah Dr D. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) keine medizinische Begründung für die Erforderlichkeit einer stationären Maßnahme; ambulante Heilmittel wie Gehtraining und Sturzprophylaxe seien ausreichend. Mit Bescheid vom 05.12.2011 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab.

Im Widerspruchsverfahren ließ die Antragsgegnerin ein Gutachten durch Dr F. vom MDK erstellen, welcher ausführte, beim Antragsteller liege eine ausgeprägte Gangstörung vor, die ua auf eine Polyneuropathie der Beine bei unbehandeltem Diabetes mellitus zurückgeführt worden sei. Außerdem sei eine Mitverursachung der Schwindel- und Gleichgewichtssymptomatik durch ein ausgeprägtes HWS-Syndrom gegeben. Eine orthopädische Mitbehandlung habe in den letzten zwölf Monaten nicht stattgefunden, weshalb die therapeutischen Möglichkeiten nicht ausgeschöpft worden seien. Erforderlich sei auch eine adäquate Behandlung des Diabetes mellitus. Aufgrund der Harninkontinenz solle Beckenbodengymnastik intensiv durchgeführt werden. Durch eine stationäre Maßnahme könne keine zusätzliche nachhaltige Besserung erwartet werden; in Bezug auf das urologische Leiden bestehe keine Reha-Bedürftigkeit. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2012 wies die Antragsgegnerin sodann den Widerspruch zurück und verwies auf die vorrangige Inanspruchnahme ambulanter Maßnahmen.

Bereits am 18.09.2012 hat der Antragsteller Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben (S 16 KR 5134/12) und zugleich Antrag auf Gewährung einer stationären Reha-Maßnahme im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gestellt wegen dringender gesundheitlicher Probleme (anhaltende Stressinkontinenz). Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Antragsteller am 08.11.2012 ebenfalls Klage erhoben (S 16 KR 6090/12).

Das SG hat die behandelnden Ärzte Dr J. und den Urologen K. schriftlich als sachverständige Zeugen befragt und sodann mit Beschluss vom 07.12.2012 den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es gestützt auf § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Wesentlichen ausgeführt, es könne zwar im derzeitigen Verfahrensstadium nicht abschließend beurteilt werden, ob dem Antragsteller ein Anspruch auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation zustehe, da die Frage, ob dem betagten Antragsteller zumutbare ambulante Maßnahmen zur Behandlung der Erkrankungen zur Verfügung stünden, von den behandelnden Ärzten und dem MDK unterschiedlich beurteilt würden. Es sei jedoch eine Eilbedürftigkeit der Rehabilitationsleistung nicht glaubhaft gemacht. Die gesundheitlichen Beschwerden des Antragstellers bestünden seit geraumer Zeit, eine akute Verschlechterung sei nicht ersichtlich. Auch wenn urologischerseits eine Verschlechterungstendenz gesehen werde, sei nicht anzunehmen, dass durch ein weiteres Zuwarten ein Rehabilitationserfolg nachhaltig gefährdet würde. Eine fachärztlich internistische Behandlung der Zuckerkrankheit und eine psychoonkologische Betreuung seien auch ambulant erhältlich. Die strittige Maßnahme könne nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens ggf nachgeholt werden.

Hiergegen hat der Antragsteller am 12.12.2012 beim SG Beschwerde eingelegt und zur Begründung auf die bisherigen Ausführungen Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat den Antrag auf Gewährung einer stationären Rehabilitation im gerichtlichen Eilverfahren zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 86b Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 der Vorschrift vorliegt, eine einstweilig Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 ZPO).

Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl BVerfG 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237). Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung genügt allerdings in den Fällen, in denen es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht den grundrechtlich geschützten Interessen des Antragstellers. Die Gerichte haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen (vgl BVerfG 29.07.2003, 2 BvR 311/03, BVerfGK 1, 292; 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S 1236). Drohen im Einzelfall ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf sich das Gericht nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist in einem solchen Fall anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl BVerfG 12.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237). Zu solchen existenziellen Leistungen gehört die hier begehrte stationäre Rehabilitationsmaßnahme nicht. Der Antragsteller kann bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zumutbar auf ambulante Leistungen verwiesen werden. Aus dem Vortrag des Antragstellers und den aktenkundigen medizinischen Unterlagen ergibt sich nicht, dass zur Abwendung einer schweren und unzumutbaren gesundheitlichen Beeinträchtigung eine stationäre Rehabilitation erforderlich ist.

Nach der somit ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage liegen die Voraussetzungen der begehrten einstweiligen Anordnung nicht vor. Es fehlt bereits ein Anordnungsanspruch.

Nach § 40 Abs 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) kann die Krankenkasse stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in einer Rehabilitationseinrichtung erbringen, sofern eine Leistung nach Abs 1 nicht ausreicht. Wie sich aus diesem Verweis auf § 40 Abs 1 SGB V sowie der dortigen Bezugnahme auf § 11 Abs 2 SGB V ergibt, setzt der geltend gemacht Anspruch tatbestandlich ua voraus, dass die begehrte Maßnahme aus medizinischen Gründen erforderlich ist, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Ferner ist notwendig, dass die vorgenannten Ziele nicht bereits durch eine ambulante Rehabilitation erreicht werden können, die ihrerseits nur dann erbracht werden darf, wenn eine ambulante Krankenbehandlung nicht ausreicht.

Die Notwendigkeit einer stationären Rehabilitationsmaßnahme ergibt sich nach derzeitigem Sachstand nicht. Den aktenkundigen ärztlichen Unterlagen kann nicht entnommen werden, dass ambulante Maßnahmen zur Behandlung der Gangstörungen und der Schwindel- und Gleichgewichtssymptomatik nicht ausreichen und gerade die stationäre Erbringung erforderlich ist. Insbesondere erfolgt derzeit keine adäquate Behandlung des Diabetes mellitus, auch eine regelmäßige orthopädische Behandlung liegt nach den von Dr J. dem SG übersandten Arztbriefen nicht vor. Im Übrigen hat Dr J., der eine stationäre Reha stark befürwortet, auf die entsprechende Beweisfrage des SG geantwortet, dass auch eine ambulante Behandlung am Wohnort ausreichend sei. Der Antragsteller selbst stellt im Rahmen seines Antrags auf gerichtlichen Eilrechtsschutz die bestehende Harninkontinenz II/III Grades in den Vordergrund. Insoweit hat Dr F. vom MDK schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass hier eine intensive Beckenbodengymnastik erforderlich ist, eine stationäre Maßnahme darüber hinaus aber keine zusätzliche nachhaltige Besserung erwarten lässt. Entsprechende Übungen kann der Antragsteller zu Hause durchführen. Ein krankengymnastisches Übungsprogramm zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur wurde während der Reha-Maßnahmen im Parksanatorium A. bereits erarbeitet, wie sich etwa dem Entlassungsbericht vom 07.02.2007 entnehmen lässt. Nach alledem steht derzeit zunächst noch die ambulante Behandlung der Erkrankungen des Antragstellers im Vordergrund. Unabhängig von der hier vorgenommenen vorläufigen Einschätzung bleibt die genaue Prüfung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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