S 20 SO 91/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 91/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 02.03.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 verurteilt, der Klägerin 7.865,92 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.03.2011 zu zahlen. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt der Beklagte.

Tatbestand:

Im Streit ist ein Anspruch der Klägerin auf Übernahme unbezahlt gebliebener Kosten in Höhe von 7.865,92 EUR für die stationäre Pflege einer verstorbenen Heimbewohnerin aus übergegangenem Recht.

Die Klägerin betreibt das Alten- und Pflegeheim in Übach-Palenberg. Dort wohnte vom 11.09.2009 bis zu ihrem Tod am 11.03.2011 die am 11.12.1930 geborene Heimbewohnerin G. F. (im Folgenden: Heimbewohnerin). Diese war Witwe und hatte vier Kinder. Sie stand zuletzt seit Juni 2010 unter gerichtlich angeordneter Betreuung und war erheblich pflegebedürftig und schwerbehindert.

Am 16.09.2009 beantragte die von der Heimbewohnerin bevollmächtigte Tochter I.B.) Hilfe zur Pflege in Form der Übernahme der Kosten stationärer Heimpflege, die nach Einsatz von Einkommen und verwertbarem Vermögen ungedeckt blieben. Die Heimbewohnerin erhielt eine Witwen- und eine Altersrente, die – Stand Juli 2009 – 1.026,73 EUR bzw. 261,10 EUR betrugen, darüber hinaus ab 11.09.2009 Pflegegeld aus der Sozialen Pflegeversicherung in Höhe von 1.023,00 EUR pro Monat. Die Heimbewohnerin hatte vormals verschiedene Versicherungs- und Bausparverträge sowie ein Girokonto Nr. 6400659 bei der Sparkasse Aachen. Der Betreuer führte ein Konto Nr. 1226554, ebenfalls bei der Sparkasse Aachen. Die Versicherungsverträge umfassten einen Lebensversicherungsvertrag bei der Debeka; hieraus wurden nach Kündigung am 01.05.2009 auf das Girokonto 6400659, das damals im "Soll" stand, 2.120,03 EUR ausgezahlt. Desweiteren bestanden zwei Lebensversicherungen bei der Hamburg-Mannheimer Versicherung AG, die eine über eine Versicherungssumme von 1.023,00 EUR, die andere über eine Versicherungssumme von 2.000,00 EUR. Die beiden Versicherungen wurden nach Kündigung am 01.10.2010 auf das Betreuerkonto Nr. 1226554 in Höhe von 1.142,60 EUR bzw. 1.092,89 EUR ausgezahlt; die Beträge wurden vom Betreuer zur Begleichung laufender Kosten der Heimbewohnerin eingesetzt. Desweiteren besaß die Heimbewohnerin einen LBS-Bausparvertrag, der am 22.06.2010 aufgelöst wurde; hieraus wurden an die Tochter der Heimbewohnerin 827,23 EUR ausgezahlt, die diese ebenfalls zur Begleichung laufender Kosten der Heimbewohnerin einsetzte. Das Girokonto Nr. 6400659 wies im September 2009 einen Stand von 1.674,73 EUR auf.

Die Heimwohnerin war Eigentümerin eines Grundbesitzes in Alsdorf gewesen, der am 29.07.2005 für 120.000,00 EUR verkauft worden war. Von dem Kauferlös erhielt die Sparkasse Aachen 40.022,46 EUR; der Restbetrag von 79.777,54 EUR wurde am 07.09.2005 auf das Girokonto 6400659 der Heimwohnerin ausgezahlt. In der Folgezeit veranlasste die Heimbewohnerin folgende Auszahlungen/Abhebungen: am 08.09.2005 an die Tochter T.M.) 10.000,00 EUR, am 08.09.2005 an die Tochter I.B. 10.000,00 EUR, am 12.09.2005 an den Sohn W.E. 1.500,00 EUR, am 16.09.2005 an den Sohn H.J.E. 10.000,00 EUR, am 07.10.2005 37.000,00 EUR, am 07.10.2005 500,00 EUR, am 18.10.2005 1.000,00 EUR, am 28.10.2005 500,00 EUR. Die 37.000,00 EUR wurden auf das Sparbuch der Heimbewohnerin Nr. 394839963 bei der Sparkasse Aachen umgebucht. Von diesem Sparbuch erfolgten in der Zeit vom 08.11.2005 bis 29.03.2007 Abhebungen in Höhe von 37.325,00 EUR; die vierzehn Abhebungsbeträge bewegten sich zwischen 425,00 EUR und 17.000,00 EUR; das Sparbuch wurde am 02.09.2009 aufgelöst.

Am 24.11.2010 erwirkte die durch ihren Betreuer vertretene Heimbewohnerin ein rechtskräftiges Versäumnisurteil gegen ihren Sohn W.E. über 23.125,22 EUR (Landgericht Aachen – 7 O 291/10); Grundlage war ein Darlehensrückforderungsanspruch; die Heimbewohnerin hatte dem Sohn 46.000,00 DM gegeben, von denen nur 771,00 DM getilgt waren; die restlichen 45.229,00 DM sind umgerechnet 23.125,22 EUR. Sodann schloss die Heimbewohnerin am 15.12.2010 durch ihren Betreuer einen gerichtlichen Vergleich mit ihrem Sohn H.J.E., wonach dieser ihr zur Tilgung eines Darlehens 3.000,00 EUR zu zahlen hatte (Amtsgericht Aachen – 24 C 382/10).

Vom Beklagten zum Verbleib des Vermögens angehört, teilte die Heimbewohnerin mit Schreiben ihres Betreuers vom 08.03.2011 mit, von dem Erlös des Grundbesitzverkaufes im Jahres 2004 in Höhe von ca. 79.000,00 EUR seien 31.500,00 EUR an die vier Kinder verschenkt worden, 37.000,00 EUR seien auf das Sparbuch umgebucht worden, sodass seinerzeit auf dem Girokonto nur noch 10.500,00 EUR verblieben seien; das Girokonto habe zum 31.12.2009 mit 89,49 EUR im Soll gestanden. Die Titel gegen die Söhne aus den Darlehensrückforderungen seien nicht durchsetzbar.

Durch Bescheid vom 02.03.2011 lehnte der Beklagte den Antrag auf Übernahme ungedeckter Heimkosten ab mit der Begründung, der Verbleib von ca. 60.000,00 EUR sei ungeklärt; auch bestünden im Übrigen Forderungen gegen die Söhne in Höhe von 28.125,22 EUR.

Dagegen legte der Betreuer der Heimbewohnerin mit Schreiben vom 18.03.2011 Widerspruch ein, der am 21.03.2011 beim Beklagten einging. Er teilte dem Beklagten mit, erst am 22.03.2011 vom Tod der Heimbewohnerin erfahren zu haben.

Am 01.04.2011 legte auch die Klägerin unter Hinweis auf den Anspruchsübergang gemäß § 19 Abs. 6 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 02.03.2011 ein.

Durch Widerspruchsbescheid vom 23.05.2011 wies der Beklagte gegenüber der Klägerin den Widerspruch als unzulässig zurück. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin habe kein Widerspruchsrecht; § 19 Abs. 6 SGB XII regele den gesetzlichen Forderungsübergang "für den Fall, dass bis zum Tod der Leistungsberechtigten keine Entscheidung über den Sozialhilfeantrag" erfolgt sei; nur dann gehe der Anspruch der antragstellenden Person auf den Heimträger, der Leistungen erbracht habe, über. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, da vor dem Tod der Heimbewohnerin über den Sozialhilfeantrag entschieden worden sei.

Dagegen hat die Klägerin am 24.06.2011 Klage erhoben. Sie macht die Zahlung der seit April 2010 unbeglichenen Heimkosten der Heimbewohnerin in Höhe von 7.865,92 EUR aus übergegangenem Recht geltend. Sie ist der Auffassung, der Betreuer der Heimbewohnerin sei im Rahmen der Notgeschäftsführung nach deren Ableben nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet gewesen, den Widerspruch einzulegen, jedenfalls so lange, wie sich kein Erbe für die Betreute legitimiert habe, was zur Zeit des Widerspruchs nicht der Fall gewesen sei. Unabhängig davon sei sie – die Klägerin – aus eigenem übergegangenen Recht zum Widerspruch berechtigt gewesen und habe diesen fristgerecht eingelegt. Die Auffassung, bei einer Entscheidung über den Sozialhilfeantrag vor dem Tode sei ein Forderungsübergang nicht mehr erfolgt und nicht mehr möglich, widerspreche dem Schutzzweck des § 19 Abs. 6 SGB XII und der mit dieser Vorschrift verbundenen Absicht des Gesetzgebers. Dessen Intention sei es, Pflegeeinrichtungen zu schützen und diese in die Lage zu versetzen, pflegebedürftige Menschen aufzunehmen, ohne zunächst prüfen zu müssen, ob bei bestehender Vermögenslosigkeit der Antrag auf Sozialhilfe positiv beschieden werde; dies sei der Pflegeeinrichtung auch nicht zumutbar.

Die Klägerin hat über ein mit den Töchtern der Heimbewohnerin am 01.12.2011 geführtes Gespräch berichtet: danach habe die Heimbewohnerin vor der Heimaufnahme eine Zeitlang bei ihrer Tochter I.B.gelebt; in dieser Zeit habe diese verschiedene Möbelstücke, eine Musikanlage und eine Klimaanlage für den Wohnraum der Heimbewohnerin angeschafft; außerdem hätten deren Söhne W.E. und H.J.E. zwischen November 2005 und März 2007 weitere Barbeträge von ihrer Mutter erhalten. Die Töchter der Heimbewohnerin hätten – so die Klägerin – anlässlich des Gesprächs am 01.12.2011 von einem kleinen "Büchlein" berichtet, in dem ihre Mutter Aufzeichnungen über ihre getätigten Auszahlungen notiert habe, und versprochen, dieses der Klägerin zur Verfügung stellen zu wollen; das sei jedoch nicht geschehen. Desweiteren hat die Klägerin konkrete Bemühungen zur Durchsetzung der Forderungen der Heimbewohnerin gegenüber den Erben dargelegt und nachgewiesen. Der Sohn H.J.E. habe eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben; aus dieser sei ersichtlich, dass Vollstreckungsmöglichkeiten nicht bestehen. Der Sohn W.E. habe mitgeteilt, dass er beim Amtsgericht Aachen eine eidesstattliche Versicherung über seine Vermögenslosigkeit abgegeben habe; er beziehe Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende und beabsichtige, in Kürze eine Privatinsolvenz einzuleiten. Die Angaben seien überprüft und als richtig festgestellt worden. Der Enkel der Tochter I.B., T. B., habe gegenüber der Klägerin erklärt, bereits im Jahre 2010 oder 2011 gegenüber dem Finanzamt Geilenkirchen eine eidesstattliche Versicherung über seine Vermögenslosigkeit abgegeben zu haben; dazu sei er gegenüber dem Finanzamt wegen offener Steuerforderungen in Höhe von ca. 30.000,00 EUR verpflichtet gewesen. S.B. habe weiter erklärt, in den Niederlanden einer nichtselbstständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, woraus er ein pfändungsfreies Einkommen in Höhe von 1.260,00 EUR brutto erziele. Die Klägerin hat zu den Angaben der Erben umfangreiche Unterlagen überreicht und Erklärungen über deren persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 02.03.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 zu verurteilen, ihr 7.865,92 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.03.2011 als Zuschuss, hilfsweise als Darlehen zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, der Betreuer sei zur Einlegung des Widerspruchs für die Heimbewohnerin nicht (mehr) berechtigt gewesen, da das Betreuermandat mit dem Tod des Betreuten erlösche. Die Klägerin sei zur Erhebung des Widerspruchs nicht befugt gewesen, da über den Sozialhilfeantrag bereits vor dem Tod der Heimbewohnerin entschieden worden sei. Die Beklagte stützt sich für ihre Auffassung auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13.07.2010 – B 8 SO 13/09 R. Sie meint, die Erben hätten innerhalb der Widerspruchsfrist selbst Widerspruch erheben können, hätten dies aber nicht getan. § 19 Abs. 6 SGB XII habe allenfalls dann noch Anwendung finden können, wenn die Heimbewohnerin gegen den Ausgangsbescheid Widerspruch eingelegt hätte und damit die Entscheidung bindend geworden wäre; dies sei hier aber nicht der Fall gewesen. In der Sache bleibt der Beklagte auch nach Durchführung der Beweisaufnahme bei seiner Auffassung, der Verbrauch des Vermögens (Erlös aus dem Grundbesitzverkauf) sei nicht hinreichend geklärt. Der Beklagte räumt ein, dass die Klägerin wegen der Heimkosten die Erben der verstorbenen Heimbewohnerin nicht mit Aussicht auf Erfolg in Anspruch nehmen könne. Ein Anspruch der Heimbewohnerin auf Leistungen könne jedoch nur insoweit auf die Klägerin übergegangen sein, als die Heimbewohnerin einen Anspruch tatsächlich gehabt habe. Ob das Geld der Heimbewohnerin im entscheidungserheblichen Zeitraum tatsächlich nicht mehr vorhanden gewesen sei in dem Sinne, dass es von ihr zur Deckung der Heimkosten hätte eingesetzt werden können, sei offen.

Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts, insbesondere zum Verbleib des Vermögens der Heimbewohnerin Beweis erhoben durch Vernehmung der Töchter I.B. und T.M. als Zeuginnen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Anlagen 1 und 2 zur Sitzungsniederschrift vom 19.06.2012 verwiesen. Die Tochter I.B. hat anlässlich ihrer Vernehmung erklärt, nach dem Tod der Mutter beim Aufräumen im Heim ein kleines Heftchen mit Aufzeichnungen gefunden zu haben; sie hat versprochen, dieses Büchlein, wenn sie es finde, unverzüglich dem Gericht zu übersenden. Trotz Nachfrage hat die Zeugin I.B. das Heft mit den Aufzeichnungen jedoch nicht übersandt. Ausweislich eines Telefonvermerks der Verwaltung der Klägerin hat die Zeugin I.B. an diesem Tag bei der Klägerin angerufen und ausgerichtet, dass das Heft mit den Aufzeichnungen nicht mehr aufzufinden sei; sie gehe davon aus, dass sie dieses Heft weggeschmissen habe, da es auch nur auf einer Seite mit fünf bis sechs Zeilen beschrieben gewesen sei; man habe diesem Heft keine Bedeutung zukommen lassen; auch ihre Schwester T.M. habe das Heft nicht.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung der Kammer durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen, die Heimbewohnerin betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sich die Beteiligten übereinstimmend mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz, SGG).

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, da sie rechtswidrig sind. Die Klägerin hat Anspruch auf Übernahme der noch ungedeckten Kosten für die bis zum Tod der Heimbewohnerin erbrachten stationären Pflegeleistungen aus § 19 Abs. 6 SGB XII. Danach stehen der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld, soweit die Leistung der Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tod demjenigen zu, der die Leistung erbracht und die Pflege geleistet hat. Damit regelt die Vorschrift nach der ausdrücklichen Formulierung der Gesetzesbegründung (vgl. Bundestags- Drucksache 13/3904, S. 45 zu Nr. 8b: "Anspruch auf einen Dritten übergehen lässt") einen besonderen Fall der Sonderrechtsnachfolge im Sinne einer cessio legis (BSG, Urteil vom 13.07.2010 – B 8 SO 13/09 R – m.w.N.). § 19 Abs. 6 SGB XII begründet keinen originären eigenen Anspruch im Sinne eines subjektiven Rechts; die in dieser Vorschrift genannten Personen treten bei Vorliegen der dort geregelten Voraussetzungen vielmehr in die Rechtsstellung des verstorbenen Heimbewohners ein (BSG a.a.O.).

Gegen den Ablehnungsbescheid vom 02.03.2011 ist zulässig Widerspruch erhoben worden. Die vom Beklagten vertretene Auffassung, § 19 Abs. 6 SGB XII finde nur Anwendung, wenn der ggf. anspruchsberechtigte Heimbewohner vor der Bescheidung seines Sozialhilfeantrags versterbe, findet weder im Gesetz noch in der Rechtsprechung eine Stütze. Allein der Umstand, dass vor dem Tod der Heimbewohnerin bereits über den Anspruch ablehnend oder nur teilstattgebend oder stattgebend entschieden wurde, steht dem gesetzlichen Anspruchsübergang (cessio legis) des § 19 Abs. 6 SGB XII nicht entgegen. Das ergibt sich auch aus dem zitierten Urteil des BSG vom 13.07.2010; auch in dem dort entschiedenen Fall verstarb die Hilfeempfängerin während des laufenden Widerspruchsverfahrens nach Bescheiderteilung und trat der Pflegedienst in das Verfahren ein. Das Begehren des dortigen Klägers war nur deshalb unbegründet (nicht unzulässig), weil es sich um einen ambulanten Pflegedienst und nicht um eine Pflegeeinrichtung (Heimträger) handelte, für die allein § 19 Abs. 6 GB XII gilt. Dies hat das BSG in dem zitierten Urteil entschieden. Im vorliegenden Fall hatte erst die Heimbewohnerin, vertreten durch ihren Betreuer, unter dem 18.03.2011, und dann – weil sie inzwischen verstorben war – die Klägerin als deren Rechtsnachfolgerin gemäß § 19 Abs. 6 SGB XII selbst mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 31.03.2011, beim Beklagten eingegangen am 01.04.2011, noch innerhalb der Widerspruchsfrist – zulässig – Widerspruch eingelegt.

Der Anspruch der Klägerin aus § 19 Abs. 6 SGB XII besteht (nur) in dem Umfang, wie er der verstorbenen Heimbewohnerin zugestanden hätte. Der Übergang des Sozialhilfeleistungsanspruchs auf die Klägerin findet nach dem Wortlaut der Vorschrift nur statt, "soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre". Daraus folgt, dass im Zeitpunkt der Leistungserbringung alle Voraussetzungen des Anspruchs vorgelegen haben müssen (LG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.11.2010 – L 1 SO 8/10; LSG NRW, Urteil vom 15.06.2011 – L 9 SO 646/10).

Der Anspruch der Heimbewohnerin auf Übernahme ungedeckter Heimkosten ergibt sich aus den §§ 61 Abs. 2, 35, 19 SGB XII. Die Heimbewohnerin war erheblich pflegebedürftig und erhielt seit der Heimaufnahme bis zu ihrem Tod von ihrer Pflegekasse Leistungen bei vollstationärer Pflege nach Pflegestufe I. Der Heimbewohnerin standen zur Begleichung der Heimkosten als Einkommen lediglich die Leistung der Pflegekasse sowie die Witwen- und Altersrente zur Verfügung. Nachdem sie ihre Lebensversicherungsverträge bei der Hamburg-Mannheimer-Versicherung AG gekündigt und am 01.10.2010 daraus 2.235,49 EUR erhalten hatte, die ihr gerichtlich bestellter Betreuer zur Begleichung notwendiger Kosten verwandte, war und ist auch kein sozialhilferechtlich einzusetzendes oder verwertbares Vermögen vorhanden, aus dem die durch laufendes Einkommen ungedeckten Heimkosten hätten beglichen werden können. Dies gilt auch in Bezug auf das Vermögen in Höhe von ca. 80.000,00 EUR, das die Heimbewohnerin im Jahre 2005 aus dem Verkauf von Grundbesitz erlangt hatte, und die zu ihrem Vermögen zu rechnenden titulierten Forderungen gegen ihre Söhne W.E. und H.J.E. in Höhe von 26.125,22 EUR.

Die Darlegungs- und materielle Beweislast hinsichtlich des Vorliegens der Leistungsvoraussetzungen – hier: der Bedürftigkeit – trifft den Hilfesuchenden; verbleiben Unklarheiten oder Zweifel, hat dies zur Folge, dass der Träger der Sozialhilfe zur Ablehnung der Leistung berechtigt ist (BVerwG, Beschluss vom 22.07.2009 – 5 B 45/09 – unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BVerwG). Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt dienen allerdings der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt. Diese Pflicht besteht unabhängig von den Gründen der Hilfebedürftigkeit. Hieraus folgt, dass bei der Prüfung der Voraussetzung eines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums, soweit es um die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit geht, nur auf die gegenwärtige Lage abgestellt werden darf. Umstände der Vergangenheit bedürfen nur insoweit herangezogen werden, als sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des Hilfesuchenden ermöglichen. Aus diesen Gründen dürfen existenzsichernde Leistungen nicht aufgrund bloßer Mutmaßungen verweigert werden, insbesondere wenn sich diese auf vergangene Umstände stützen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05).

Durch die in den Verwaltungsakten des Beklagten befindlichen Kontounterlagen ist belegt, dass, nachdem aus dem Erlös des Grundbesitzverkaufs von 120.000,00 EUR zunächst 40.022,46 EUR an die Sparkasse Aachen zu zahlen waren, im September 2005 der Restbetrag von 79.777,54 EUR an die Heimbewohnerin ausgezahlt worden ist. Hiervon hatte diese im September und Oktober 2005 an ihre Kinder insgesamt 31.500,00 EUR verschenkt. Weitere 37.000,00 EUR wurden auf das Sparbuch Nr. 394839963 bei der Sparkasse Aachen umgebucht. Den Rest von ca. 11.000,00 EUR verbrauchte die Heimbewohnerin im Laufe der vier Jahre bis zur ihrer Heimaufnahme zu ihrem Lebensunterhalt.

Dem Beklagten ist zuzugeben, dass insbesondere der Verbleib der 37.000,00 EUR und der Zweck des Verbrauchs dieses Sparbuchvermögens zu Beginn des Verfahrens unklar waren. Soweit ausweislich der von der Sparkasse Aachen vorgelegten Übersicht in der Zeit von Februar 2006 bis Februar 2007 zwölf Beträge von 425,00 EUR bis 2.000,00 EUR abgehoben wurden, lassen sich diese noch mit Ausgaben für Möbel und Hobby der Heimbewohnerin erklären. Ihre Tochter, die Zeugin I.B., hat vor Gericht ausgesagt, dass die Mutter bereits seit 2004/2005 mit ihr im gemeinsamen Haushalt lebte und 2006/2007 zusammen mit ihrer Familie nochmals umgezogen ist. In der neuen Wohnung habe die Mutter ein eigenes Schlafzimmer und ein separates Wohnzimmer gehabt. Dafür habe sie sich noch viele Möbel und Einrichtungsgegenstände gekauft, z.B. ein Bett, einen Schrank, einen kleinen Wohnzimmerschrank, eine kleine Couchgarnitur und ein Sideboard. Im Übrigen – so die Zeugin I.B. – habe die Mutter damals viele Freunde und ein teures Hobby gehabt. Sie habe Karten und Kerzen gebastelt und dafür laufend Material gekauft; die gebastelten Sachen habe sie verschenkt. Diese Angaben, auch wenn die Zeugin die Ausgaben nicht mehr belegen konnte, sind glaubhaft und nachvollziehbar.

Die weiteren beiden Großbeträge von 17.000,00 EUR, abgehoben am 08.11.2005, und 7.000,00 EUR, abgehoben am 29.03.2007, lassen sich nicht ohne weiteres mit den zuvor beschriebenen Ausgaben für Möbel und Hobby vereinbaren. Allerdings hatte die Klägerin ihrem Sohn H.J.E. ein Darlehen über 5.000,00 EUR gezahlt, das sie im Juli 2010 zurückforderte und über das sie sich mit dem Sohn vor dem Amtsgericht Aachen auf die Rückzahlung von 3.000,00 EUR verglich. Das 5.000,00-EUR-Darlehen kann also – was plausibel erscheint – aus den am 29.03.2007 abgehobenen 7.000,00 EUR stammen. Was mit den am 08.11.2005 abgehobenen 17.000,00 EUR geschehen ist, konnte nicht mehr aufgeklärt werden. Die beiden Töchter I.B. und T.M. wussten darüber nichts. Das von der Zeugin I.B. einmal erwähnte kleine Büchlein mit Aufzeichnungen der Mutter ist nicht mehr vorhanden. Die Zeugin hat ihm nach ihren unwiderlegbaren Angaben keine Bedeutung beigemessen und es weggeschmissen. Aufgrund der weiteren Aussagen der Zeuginnen steht jedoch zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Heimbewohnerin bei ihrer Heimaufnahme und bis zu ihrem Tod kein Barvermögen mehr hatte, das sie für die Heimkosten hätte einsetzen können. Der Beklagte hat recht, wenn er zuletzt im Schriftsatz vom 04.09.2012 ausführt: "Weder das Gericht noch der Beklagte müssen Betrachtungen anstellen, was sonst mit dem Geld geschehen sein mag." Das Gericht sieht nun jedoch alle zumutbaren Erkenntnismöglichkeiten als ausgeschöpft an. Aufgrund des Ergebnisses der Ermittlungen mutmaßt es nicht mehr, sondern ist davon überzeugt, dass einsetzbares, verwertbares Vermögen im entscheidungserheblichem Zeitraum nicht vorhanden war und auf unabsehbare Zeit auch nicht vorhanden ist.

Das Erbe der Heimbewohnerin lässt sich zur Begleichung der bis zum Tod ungedeckt gebliebenen Heimkosten nicht einsetzen. Als Erbe kamen die vier Kinder und zwei Enkel in Betracht. Die beiden Töchter und ein Enkel haben die Erbschaft ausgeschlagen. Soweit die Heimbewohnerin ihren Söhnen Darlehen in Höhe von insgesamt 28.125,22 EUR gewährt hatte und hinsichtlich der Rückzahlungsansprüche Titel über 26.125,22 EUR erwirkt hat, sind diese in die Erbmasse eingeflossen. Auch dieses Vermögen war jedoch weder in der Vergangenheit zu Lebezeiten der Heimbewohnerin noch ist es aktuell und in absehbarer Zeit verwertbar. Denn beide Söhne, dies ergibt sich aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen, waren und sind wirtschaftlich nicht in der Lage, die titulierten Forderungen zu erfüllen. Der Sohn W.E. hat glaubhaft gegenüber der Klägerin erklärt, Leistungen der Grundsicherungen für Arbeitssuchende zu beziehen und beim Amtsgericht Aachen eine eidesstattliche Versicherung über seine Vermögenslosigkeit abgegeben zu haben. Der andere Sohn H.J.E. und der Enkel S.B. haben ebenfalls "Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" abgegeben, die die Klägerin im Verfahren vorgelegt hat. Auch daraus wird deutlich, dass es auf nicht absehbare Zeit nicht erfolgversprechend ist, die Erben in Anspruch zu nehmen. Dies sieht inzwischen auch der Beklagte so. Nach alledem steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass weder zu Lebzeiten der Heimbewohnerin noch nach deren Tod aus dem Erbe verwertbares Vermögen vorhanden war und ist, das zur Deckung der unbezahlt gebliebenen Heimkosten eingesetzt werden konnte und kann.

Da somit auch die Voraussetzungen des § 91 SGB XII für einen (nur) darlehensweisen Sozialhilfeanspruch der Heimbewohnerin nicht erfüllt sind, hat der Beklagte die von der Klägerin nachgewiesenen (und vom Beklagten nicht bestrittenen) ungedeckt gebliebenen Kosten für die stationäre Pflege der Heimbewohnerin in Höhe von 7.865,92 EUR als Zuschuss aus Sozialhilfemitteln zu übernehmen.

Der Zinsanspruch folgt aus dem Gesichtspunkt des Verzugs gem. §§ 286 Abs. 1 und 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB. Ebenso wie Krankenhausträger, Apotheker, Krankenpflegeunternehmen und andere Leistungserbringer im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Pflegeeinrichtung zur Finanzierung des laufenden Geschäftsbetriebs auf die zügige Begleichung ihrer Rechnungen angewiesen. Es gibt keinen sachlichen Grund, bei Vergütungsansprüchen gegen die Sozialhilfeträger von der Zahlung von Prozesszinsen abzusehen (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.11.2010 – L 1 SO 8/10 – m.w.N.). Im Dreiecksverhältnis zwischen einem sozialhilfeberechtigten Heimbewohner, einem Sozialhilfeträger und einem Pflegeheim erbringt der Sozialhilfeträger die ihm gegenüber dem Heimbewohner obliegende Leistung nicht als Geld-, sondern als Sachleistung (vgl. dazu ausführlich: BSG, Urteil vom 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R). Allerdings besitzt die Einrichtung vor der Kostenübernahme durch Bewilligungsbescheid des Sozialhilfeträgers gegen diesen keinen Vergütungsanspruch, weshalb vor dem Erlass eines Bewilligungsbescheides auch kein Zinsanspruch entstehen kann (LSG Rheinland-Pfalz, a.a.O.). Zahlt der Sozialhilfeträger trotz Bewilligung der Kosten auch auf eine Mahnung der Einrichtung nicht an den Heimträger, gerät er in Verzug. Ebenso gerät der Sozialhilfeträger – ohne Mahnung – in Verzug, wenn er die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Dies war mit dem Erlass des Ablehnungsbescheides vom 02.03.2011 der Fall. Dementsprechend kann die Klägerin – wie beantragt – ab dem 03.03.2011 Verzugszinsen beanspruchen. Die Höhe der Zinsen (5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz) folgt aus § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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