Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 U 229/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 405/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klagen werden abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt in ihrer Eigenschaft als Rechtsnachfolgerin der Sonderrechts-nachfolgerin des Versicherten die Gewährung höherer Verletztenrente sowie die vollständige Auszahlung bewilligter Verletztenrente sowie als Rechtsnachfolgerin der Witwe des verstorbenen Versicherten die vollständige Auszahlung von Hinterbliebenenleistungen.
Auf den Antrag des Vaters der Klägerin, des Versicherten M. M. (geb. 00.00.0000), stellte die Beklagte mit Bescheid vom 05.07.2000 den Versicherungsfall einer Be-rufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung – BKV (Lärmschwerhörigkeit) fest und lehnte die Gewährung von Verletztenrente ab, weil nach den durchgeführten Ermittlungen lediglich eine Minderung der Erwerbsfä-higkeit von 10 vom Hundert der Vollrente bestand. Der Versicherte legte Widerspruch ein, den die Beklagte durch bestandkräftigen Widerspruchsbescheid vom 23.10.2000 zurückwies. Am 22.09.2008 verstarb der Versicherte M. M. an den Folgen eines Bronchialkarzi-noms mit Pleuramesotheliom und Asbestose. Daraufhin gewährte die Deutsche Rentenversicherung seiner Ehefrau, I. M., große Witwenrente aus der Versicherung des verstorbenen Versicherten. Die Witwe I. M., die mit dem Versicherten bis zu dessen Tod in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hatte, verstarb am 05.08.2009. Mit Bescheid vom 08.04.2010 erkannte die Beklagte in der Person des Versicherten M. M. als Versicherungsfall der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV (Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung – Asbestose) den 08.07.2008 an und gewährte der Klägerin als alleiniger Rechtsnachfolgerin der Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten wegen der hieraus resultierenden Folgen für die Zeit vom 09.07. bis 22.09.2008 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 v.H. Die errechnete Nachzahlung in Höhe von insgesamt 1.519,86 Euro behielt sie bis zur Klärung etwaiger Erstattungsansprüche anderer Leistungsträger vorerst ein.
Mit weiterem Bescheid vom 08.04.2010 gewährte die Beklagte unter Zugrundele-gung eines Stütztatbestandes (Versicherungsfall der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV am 08.07.2008) der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten M. M. wegen der Folgen der BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV für die Zeit vom 08.07. bis 22.09.2008 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 v.H. Mit weiterem Bescheid vom 08.04.2010 bewilligte die Beklagte der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der verstorbenen Witwe des Versicherten für die Zeit vom 22.09.2008 bis 05.08.2009 Witwenrente aus der Versicherung des M. M ... Die Nach-zahlung von insgesamt 4.674,87 Euro behielt sie bis zur Klärung etwaiger Erstat-tungsansprüche anderer Leistungsträger vorläufig ein. Die Klägerin legte am 10.05.2010 Widerspruch gegen sämtliche Bescheide ein und führte aus, der Versicherungsfall der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV sei deutlich früher eingetreten. Dem entsprechend müsse auch der Leistungsfall der BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV vor dem 08.07.2008 liegen. Im Übrigen seien die Verletztenrente und die Witwenrente ohne Einbehaltung von Nachzahlungen vollständig an sie auszuzahlen.
Nachdem die Deutsche Rentenversicherung bei der Beklagten unter dem 28.04.2010 wegen überzahlter Rentenleistungen an die Witwe I. M. einen Erstat-tungsanspruch in Höhe von insgesamt 3.969,37 Euro angemeldet hatte, rechnete die Beklagte mit Bescheid vom 02.06.2010 die Nachzahlung an die Klägerin ab und zahlte ihr einen Restbetrag in Höhe von insgesamt 2.225,36 Euro aus (4.674,87 Euro einbehaltene Nachzahlung aus Witwenrente und 1.519,86 Euro einbehaltene Nachzahlung aus Verletztenrente wegen der Folgen der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV abzüglich Erstattungsforderung in Höhe von 3.969,37 Euro). Die Klägerin legte am 07.07.2010 Widerspruch ein und begehrte die Auszahlung der vollständigen Nachzahlungsbeträge. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.08.2010 wies die Beklagte den Widerspruch ge-gen den Bescheid vom 08.04.2010 (Vorverlagerung des Versicherungsfalls der BK 4104) und vom 02.06.2010 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Anerkennung einer Berufskrankheit setze eine gesicherte Diagnose des entsprechenden Erkrankungsbildes voraus. Das Bronchialkarzinom des verstorbenen Versicherten habe indessen erst am 08.07.2008 diagnostisch gesichert werden können. Was die Nachzahlung anbelange, so habe ein Erstattungsanspruch der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft Bahn-See vorrangig befriedigt werden müssen.
Hiergegen richtet sich die am 27.09.2010 erhobene Klage.
Die Klägerin führt aus, der Versicherungsfall der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV sei wesentlich vorzuverlegen und Verletztenrente daher für einen deutlich län-geren Zeitraum zu gewähren. Dies führe auch zu einem früheren Leistungsfall betreffend die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen der BK 2301. Im Übrigen sei wegen der Folgen der BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV eine höhere MdE zuzuerkennen und dem entsprechend höhere Verletztenrente zu leisten. Schließlich seien die errechneten Nachzahlungen ohne die einbehaltenen Beträge vollständig an die Klägerin auszuzahlen, weil der in einer Entschädigungsleistung enthaltene Schmerzensgeldanteil einer Erstattung entgegen stehe.
Die Klägerin beantragt zuletzt noch,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08.04.2010 in der Fas-sung des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2010 zu verurteilen, einen frü-heren Versicherungsfall der BK 4104 anzunehmen, sowie ihr als Rechtsnachfolgerin der Sonderrechtsnachfolgerin Frau I. M. wegen der hieraus resultierenden Folgen Verletztenrente zu zahlen sowie die bislang gewährte Verletztenrente ohne Einbehaltung einer Nachzahlung auszuzahlen,
sowie,
die Beklagte unter Abänderung des weiteren Bescheides vom 08.04.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2010 zu verurteilen, ihr als Rechtsnachfolgerin der Sonderrechtsnachfolgerin Frau I. M. Verletztenrente für den verstorbenen Versicherten M. M. wegen der Folgen der BK Nr. 2301 unter Zugrundelegung eines früheren Versicherungsfalles sowie nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mehr als 10 vom Hundert nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen,
sowie,
die Beklagte unter Abänderung des weiteren Bescheides vom 08.04.2010 in der Fassung des weiteren Bescheides vom 02.06.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2010 zu verurteilen, die der Frau I. M. nach dem verstorbenen Versicherten M. M. gewährte Witwenrente an sie als Rechtsnachfolgerin der Witwe ohne Einbehaltung einer Nachzahlung vollständig auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest.
Das Gericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts einen Bericht des Pulmologen des verstorbenen Versicherten, Herrn Dr. Dr. I., vom 05.02.2009 ausge-wertet, der anlässlich des Vorwurfs eines ärztlichen Behandlungsfehlers durch Dr. Dr. I. erstellt worden war. Das Gericht hat weiter ein im Verfahren vor der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler eingeholtes Gutachten des Arztes für Innere Medizin Dr. L. vom 12.09.2009 ausgewertet. Es hat weiter Befundberichte des Radiologen Dr. T. vom 12.01.2011 sowie des Pulmologen Dr. X. vom 18.01.2011 und des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. w. F. vom 17.02.2011 eingeholt und schließlich einen Befundbericht des Facharztes für Innere Medizin Dr. I. vom 21.09.2011 eingeholt.
Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der genannten Unterlagen verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte trotz Abwesenheit der Klägerin nach mündlicher Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sie im Rahmen der Ladung – die sie ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 29.02.2012 (Bl. 144 der Gerichtsakte) auch erhalten hat – auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, §§ 110 Abs. 1 Satz 2, 124 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklagen sind unbegründet. Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat keinen Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV unter Berücksichtigung eines früheren Versicherungsfalles (dazu unter 1.) und auch keinen Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen der BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV unter Berücksichtigung eines früheren Versicherungsfalles sowie nach einer höheren MdE als 10 v.H. (dazu unter 2.) Sie hat schließlich keinen Anspruch auf Auszahlung sämtlicher errechneter Rentennachzahlungen ohne Einbehaltung der von der Beklagten an die DRV Knappschaft-Bahn-See abgeführten Beträge (dazu unter 3.).
1. Die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der Sonderrechtsnachfolgerin I. M. hat keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV unter Berücksichtigung eines früheren Versicherungs-falles. Grundlage für diesen Anspruch ist § 56 Abs. 1 Satz 1 und 2 Siebtes Buch Sozialge-setzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) i.V.m. §§ 56 Abs. 1 Nr. 1, 58 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeine Vorschriften (SGB I).
Danach haben Versicherte Anspruch auf eine Rente, deren Erwerbsfähigkeit infol-ge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird die Vollrente geleistet, bei einer MdE wird eine Teilrente geleistet, die in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt wird, der der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII).
Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, § 7 Abs. 1 SGB VII.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 SGB VII solche Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates be-zeichnet hat und die Versicherte infolge einer Tätigkeit erleiden, die Versicherungs-schutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründet. Nur solche Krankheiten, die in Anlage 1 zur BKV (sogenannte Berufskrankheitenliste) im Einzelnen aufgeführt sind, können als Berufskrankheiten anerkannt werden.
Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt voraus, dass der Versicherte im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (BSG, Urteil vom 20.01.1987, 2 RU 27/86 = SozR 2200 § 548 Nr. 84; BSG, Urteil vom 22.08.2000, B 2 U 34/99 R = SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 9 SGB VII, Rdnr. 3; Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung, E § 9 SGB VII Rdnr. 14).
Im vorliegenden Fall ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der verstorbene Versicherte M. M. Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV hatte. Streitig ist lediglich das Datum des Versicherungsfalles BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV. Die Kammer vermag nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszu-machen, dass die Lungenkrebserkrankung des Versicherten vor dem 08.07.2008 aufgetreten ist. Denn in keiner der zahlreichen medizinischen Unterlagen findet sich vor dem 08.07.2008 (Datum der Diagnose eines Bronchialkarzinoms rechts durch die Abteilung Innere Medizin des St.-F.-Krankenhauses H. nach Computertomographie, Bl. 57 des ersten Bandes der Verwaltungsvorgänge zur BK 4104) eine gesicherte Diagnose einer Lungenkrebserkrankung des verstorbenen Versicherten. So hatte namentlich der behandelnde Pulmologe Dr. Dr. I. zuvor keine Diagnose eines Bronchialkarzinoms zu stellen vermocht. Dies ergibt sich aus dessen Stellungnahme vom 05.02.2009 auf den Vorwurf eines ärztlichen Behand-lungsfehlers hin. Noch im Jahr 2006 waren Herz und Lunge unauffällig gewesen, im Oktober 2006 konnte ein Bronchialkarzinom sogar radiologisch ausgeschlossen werden. Erst am 17.06.2008 ergaben sich Hinweise für eine deutliche Funktionsstörung der Lunge des Versicherten. Die daraufhin von Dr. Dr. I. am 26.06.2008 veranlasste Röntgenuntersuchung der Thoraxorgane des Versicherten durch den Radiologen Dr. T. ergab indessen noch keine Hinweise auf ein Brochchialkarzinom. So hatte Dr. T. am 26.06.2008 berichtet: "Keine tumorsuspekte Mediastinalverbreiterung" (Bl. 58 der Gerichtsakte). Der im Rahmen der Untersuchung durch die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Arzt für Innere Medizin Dr. L. hat unter dem 12.09.2009 die Sichtweise von Dr. Dr. I. ausdrücklich bestätigt und erklärt, angesichts der am 09.10.2006 durchgeführten Röntgen-Thorax-Untersuchung des Versicherten hätten sich lediglich Hinweise auf eine Asbestose, nicht aber auf ein Tumorgeschehen ergeben (Seite 6 des Gutachtens vom 12.09.2009). Auch hatte Dr. Dr. I. dem Versicherten eine Wiedervorstellung im Januar 2007 empfohlen, die indessen erst 1,5 Jahre später, am 17.06.2008 erfolgte und in die Röntgenuntersuchung der Thoraxorgane am 17.06.2008 einmündete. Auch die übrigen medizinischen Unterlagen rechtfertigen keine andere Betrach-tungsweise. So hat der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. w. F. im Befundbericht vom 17.02.2011 von einer Progredienz der Luftnot des Versicherten "ab Mitte 2008" be-richtet.
2. Läßt sich der Versicherungsfall der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV indessen nicht mit der erforderlichen Sicherheit vor dem 08.07.2008 feststellen, so liegt auch der Leistungsfall wegen der Folgen der BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV nicht vor diesem Datum. Einer höheren MdE in Bezug auf die Folgen der BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV stehen nach Auffassung der Kammer formelle Hindernisse entgegen. Denn die MdE von 10 v.H. war mit bestandskräftigem Dauerverwaltungsakt vom 05.07.2000 festgestellt worden, so dass erst dieser Bescheid hätte beseitigt werden müssen, um eine höhere MdE feststellen zu können. Zu einer solchen Beseitigung indessen sieht sich die Kammer angesichts der Bindungswirkung dieses Bescheides (§ 77 SGG) außer Stande. Dass die Beklagte mit Bescheid vom 08.04.2010 einen Leistungsfall wegen der Folgen der BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV festgestellt hat, vermag hieran nichts zu ändern. Denn die mit Bescheid vom 05.07.2000 getroffene Festsetzung der MdE von 10 v.H. ist nicht geändert worden.
3. Die Klägerin hat schließlich keinen Anspruch auf Auszahlung der vollständigen von der Beklagten errechneten Rentennachzahlungen. Diese zunächst bestehenden Ansprüche sind nämlich wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) in Höhe des von der DRV bezifferten Erstattungsanspruchs in Höhe von 3.969,37 Euro erloschen.
Die Voraussetzungen des § 107 Abs. 1 SGB X liegen vor. Die DRV hatte gegen die Beklagte einen Erstattungsanspruch aus § 103 Abs. 1 SGB X. Denn sie hat an die Witwe I. M. ungekürzte Witwenrente aus der Versicherung des Versicherten M. M. erbracht, obwohl diese Leistung wegen der rückwirkend zuerkannten Lebzeiten- und Hinterbliebenenleistungen der Beklagten nach § 93 Abs. 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) zu kürzen war. Wegen der Höhe des Erstattungsanspruchs verweist die Kammer auf die Berech-nung der DRV vom 28.04.2010, der sie sich nach eigener Prüfung anschließt und gegen die die Klägerin substantiierte Einwendungen nicht vorzubringen vermocht hat. Soweit die Klägerin ausführt, aufgrund der in einer Verletztenrente enthaltenen Schmerzensgeldanteile komme eine Erstattung an die DRV nicht in Betracht und damit sinngemäß verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vorschrift des § 93 SGB VI hegt, so verweist das Gericht darauf, dass sich das Bundesverfassungsge-richt bereits mit der Vorschrift des § 93 SGB VI und dem darin zum Ausdruck kom-menden Ausschluss des Schmerzensgeldes in der gesetzlichen Un-fallversicherung auseinandergesetzt und diesen für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten hat (siehe etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.02.1995 – 1 BvR 753/94 = juris, mit weiteren Nachweisen).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Voraussetzungen des § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG liegen vor, weil § 183 Satz 2 SGG nicht eingreift. Denn die Klägerin hat nicht als Rechtsnachfolgerin "das [gerichtliche] Verfahren aufgenommen", sondern dieses von vornherein als Rechtsnachfolgerin betrieben.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Da sich die Bedeutung der Sache für die Klägerin wegen der Unsicherheit des Datums des Versicherungsfalles der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV kaum abschätzen lässt und allein die einbehaltene Nachzahlung 3.969,37 Euro ausmacht, hat die Kammer auf den Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG zurückgegriffen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt in ihrer Eigenschaft als Rechtsnachfolgerin der Sonderrechts-nachfolgerin des Versicherten die Gewährung höherer Verletztenrente sowie die vollständige Auszahlung bewilligter Verletztenrente sowie als Rechtsnachfolgerin der Witwe des verstorbenen Versicherten die vollständige Auszahlung von Hinterbliebenenleistungen.
Auf den Antrag des Vaters der Klägerin, des Versicherten M. M. (geb. 00.00.0000), stellte die Beklagte mit Bescheid vom 05.07.2000 den Versicherungsfall einer Be-rufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung – BKV (Lärmschwerhörigkeit) fest und lehnte die Gewährung von Verletztenrente ab, weil nach den durchgeführten Ermittlungen lediglich eine Minderung der Erwerbsfä-higkeit von 10 vom Hundert der Vollrente bestand. Der Versicherte legte Widerspruch ein, den die Beklagte durch bestandkräftigen Widerspruchsbescheid vom 23.10.2000 zurückwies. Am 22.09.2008 verstarb der Versicherte M. M. an den Folgen eines Bronchialkarzi-noms mit Pleuramesotheliom und Asbestose. Daraufhin gewährte die Deutsche Rentenversicherung seiner Ehefrau, I. M., große Witwenrente aus der Versicherung des verstorbenen Versicherten. Die Witwe I. M., die mit dem Versicherten bis zu dessen Tod in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hatte, verstarb am 05.08.2009. Mit Bescheid vom 08.04.2010 erkannte die Beklagte in der Person des Versicherten M. M. als Versicherungsfall der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV (Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung – Asbestose) den 08.07.2008 an und gewährte der Klägerin als alleiniger Rechtsnachfolgerin der Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten wegen der hieraus resultierenden Folgen für die Zeit vom 09.07. bis 22.09.2008 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 v.H. Die errechnete Nachzahlung in Höhe von insgesamt 1.519,86 Euro behielt sie bis zur Klärung etwaiger Erstattungsansprüche anderer Leistungsträger vorerst ein.
Mit weiterem Bescheid vom 08.04.2010 gewährte die Beklagte unter Zugrundele-gung eines Stütztatbestandes (Versicherungsfall der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV am 08.07.2008) der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten M. M. wegen der Folgen der BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV für die Zeit vom 08.07. bis 22.09.2008 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 v.H. Mit weiterem Bescheid vom 08.04.2010 bewilligte die Beklagte der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der verstorbenen Witwe des Versicherten für die Zeit vom 22.09.2008 bis 05.08.2009 Witwenrente aus der Versicherung des M. M ... Die Nach-zahlung von insgesamt 4.674,87 Euro behielt sie bis zur Klärung etwaiger Erstat-tungsansprüche anderer Leistungsträger vorläufig ein. Die Klägerin legte am 10.05.2010 Widerspruch gegen sämtliche Bescheide ein und führte aus, der Versicherungsfall der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV sei deutlich früher eingetreten. Dem entsprechend müsse auch der Leistungsfall der BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV vor dem 08.07.2008 liegen. Im Übrigen seien die Verletztenrente und die Witwenrente ohne Einbehaltung von Nachzahlungen vollständig an sie auszuzahlen.
Nachdem die Deutsche Rentenversicherung bei der Beklagten unter dem 28.04.2010 wegen überzahlter Rentenleistungen an die Witwe I. M. einen Erstat-tungsanspruch in Höhe von insgesamt 3.969,37 Euro angemeldet hatte, rechnete die Beklagte mit Bescheid vom 02.06.2010 die Nachzahlung an die Klägerin ab und zahlte ihr einen Restbetrag in Höhe von insgesamt 2.225,36 Euro aus (4.674,87 Euro einbehaltene Nachzahlung aus Witwenrente und 1.519,86 Euro einbehaltene Nachzahlung aus Verletztenrente wegen der Folgen der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV abzüglich Erstattungsforderung in Höhe von 3.969,37 Euro). Die Klägerin legte am 07.07.2010 Widerspruch ein und begehrte die Auszahlung der vollständigen Nachzahlungsbeträge. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.08.2010 wies die Beklagte den Widerspruch ge-gen den Bescheid vom 08.04.2010 (Vorverlagerung des Versicherungsfalls der BK 4104) und vom 02.06.2010 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Anerkennung einer Berufskrankheit setze eine gesicherte Diagnose des entsprechenden Erkrankungsbildes voraus. Das Bronchialkarzinom des verstorbenen Versicherten habe indessen erst am 08.07.2008 diagnostisch gesichert werden können. Was die Nachzahlung anbelange, so habe ein Erstattungsanspruch der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft Bahn-See vorrangig befriedigt werden müssen.
Hiergegen richtet sich die am 27.09.2010 erhobene Klage.
Die Klägerin führt aus, der Versicherungsfall der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV sei wesentlich vorzuverlegen und Verletztenrente daher für einen deutlich län-geren Zeitraum zu gewähren. Dies führe auch zu einem früheren Leistungsfall betreffend die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen der BK 2301. Im Übrigen sei wegen der Folgen der BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV eine höhere MdE zuzuerkennen und dem entsprechend höhere Verletztenrente zu leisten. Schließlich seien die errechneten Nachzahlungen ohne die einbehaltenen Beträge vollständig an die Klägerin auszuzahlen, weil der in einer Entschädigungsleistung enthaltene Schmerzensgeldanteil einer Erstattung entgegen stehe.
Die Klägerin beantragt zuletzt noch,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08.04.2010 in der Fas-sung des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2010 zu verurteilen, einen frü-heren Versicherungsfall der BK 4104 anzunehmen, sowie ihr als Rechtsnachfolgerin der Sonderrechtsnachfolgerin Frau I. M. wegen der hieraus resultierenden Folgen Verletztenrente zu zahlen sowie die bislang gewährte Verletztenrente ohne Einbehaltung einer Nachzahlung auszuzahlen,
sowie,
die Beklagte unter Abänderung des weiteren Bescheides vom 08.04.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2010 zu verurteilen, ihr als Rechtsnachfolgerin der Sonderrechtsnachfolgerin Frau I. M. Verletztenrente für den verstorbenen Versicherten M. M. wegen der Folgen der BK Nr. 2301 unter Zugrundelegung eines früheren Versicherungsfalles sowie nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mehr als 10 vom Hundert nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen,
sowie,
die Beklagte unter Abänderung des weiteren Bescheides vom 08.04.2010 in der Fassung des weiteren Bescheides vom 02.06.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2010 zu verurteilen, die der Frau I. M. nach dem verstorbenen Versicherten M. M. gewährte Witwenrente an sie als Rechtsnachfolgerin der Witwe ohne Einbehaltung einer Nachzahlung vollständig auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest.
Das Gericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts einen Bericht des Pulmologen des verstorbenen Versicherten, Herrn Dr. Dr. I., vom 05.02.2009 ausge-wertet, der anlässlich des Vorwurfs eines ärztlichen Behandlungsfehlers durch Dr. Dr. I. erstellt worden war. Das Gericht hat weiter ein im Verfahren vor der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler eingeholtes Gutachten des Arztes für Innere Medizin Dr. L. vom 12.09.2009 ausgewertet. Es hat weiter Befundberichte des Radiologen Dr. T. vom 12.01.2011 sowie des Pulmologen Dr. X. vom 18.01.2011 und des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. w. F. vom 17.02.2011 eingeholt und schließlich einen Befundbericht des Facharztes für Innere Medizin Dr. I. vom 21.09.2011 eingeholt.
Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der genannten Unterlagen verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte trotz Abwesenheit der Klägerin nach mündlicher Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sie im Rahmen der Ladung – die sie ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 29.02.2012 (Bl. 144 der Gerichtsakte) auch erhalten hat – auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, §§ 110 Abs. 1 Satz 2, 124 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklagen sind unbegründet. Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat keinen Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV unter Berücksichtigung eines früheren Versicherungsfalles (dazu unter 1.) und auch keinen Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen der BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV unter Berücksichtigung eines früheren Versicherungsfalles sowie nach einer höheren MdE als 10 v.H. (dazu unter 2.) Sie hat schließlich keinen Anspruch auf Auszahlung sämtlicher errechneter Rentennachzahlungen ohne Einbehaltung der von der Beklagten an die DRV Knappschaft-Bahn-See abgeführten Beträge (dazu unter 3.).
1. Die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der Sonderrechtsnachfolgerin I. M. hat keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV unter Berücksichtigung eines früheren Versicherungs-falles. Grundlage für diesen Anspruch ist § 56 Abs. 1 Satz 1 und 2 Siebtes Buch Sozialge-setzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) i.V.m. §§ 56 Abs. 1 Nr. 1, 58 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeine Vorschriften (SGB I).
Danach haben Versicherte Anspruch auf eine Rente, deren Erwerbsfähigkeit infol-ge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird die Vollrente geleistet, bei einer MdE wird eine Teilrente geleistet, die in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt wird, der der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII).
Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, § 7 Abs. 1 SGB VII.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 SGB VII solche Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates be-zeichnet hat und die Versicherte infolge einer Tätigkeit erleiden, die Versicherungs-schutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründet. Nur solche Krankheiten, die in Anlage 1 zur BKV (sogenannte Berufskrankheitenliste) im Einzelnen aufgeführt sind, können als Berufskrankheiten anerkannt werden.
Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt voraus, dass der Versicherte im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (BSG, Urteil vom 20.01.1987, 2 RU 27/86 = SozR 2200 § 548 Nr. 84; BSG, Urteil vom 22.08.2000, B 2 U 34/99 R = SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 9 SGB VII, Rdnr. 3; Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung, E § 9 SGB VII Rdnr. 14).
Im vorliegenden Fall ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der verstorbene Versicherte M. M. Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV hatte. Streitig ist lediglich das Datum des Versicherungsfalles BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV. Die Kammer vermag nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszu-machen, dass die Lungenkrebserkrankung des Versicherten vor dem 08.07.2008 aufgetreten ist. Denn in keiner der zahlreichen medizinischen Unterlagen findet sich vor dem 08.07.2008 (Datum der Diagnose eines Bronchialkarzinoms rechts durch die Abteilung Innere Medizin des St.-F.-Krankenhauses H. nach Computertomographie, Bl. 57 des ersten Bandes der Verwaltungsvorgänge zur BK 4104) eine gesicherte Diagnose einer Lungenkrebserkrankung des verstorbenen Versicherten. So hatte namentlich der behandelnde Pulmologe Dr. Dr. I. zuvor keine Diagnose eines Bronchialkarzinoms zu stellen vermocht. Dies ergibt sich aus dessen Stellungnahme vom 05.02.2009 auf den Vorwurf eines ärztlichen Behand-lungsfehlers hin. Noch im Jahr 2006 waren Herz und Lunge unauffällig gewesen, im Oktober 2006 konnte ein Bronchialkarzinom sogar radiologisch ausgeschlossen werden. Erst am 17.06.2008 ergaben sich Hinweise für eine deutliche Funktionsstörung der Lunge des Versicherten. Die daraufhin von Dr. Dr. I. am 26.06.2008 veranlasste Röntgenuntersuchung der Thoraxorgane des Versicherten durch den Radiologen Dr. T. ergab indessen noch keine Hinweise auf ein Brochchialkarzinom. So hatte Dr. T. am 26.06.2008 berichtet: "Keine tumorsuspekte Mediastinalverbreiterung" (Bl. 58 der Gerichtsakte). Der im Rahmen der Untersuchung durch die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Arzt für Innere Medizin Dr. L. hat unter dem 12.09.2009 die Sichtweise von Dr. Dr. I. ausdrücklich bestätigt und erklärt, angesichts der am 09.10.2006 durchgeführten Röntgen-Thorax-Untersuchung des Versicherten hätten sich lediglich Hinweise auf eine Asbestose, nicht aber auf ein Tumorgeschehen ergeben (Seite 6 des Gutachtens vom 12.09.2009). Auch hatte Dr. Dr. I. dem Versicherten eine Wiedervorstellung im Januar 2007 empfohlen, die indessen erst 1,5 Jahre später, am 17.06.2008 erfolgte und in die Röntgenuntersuchung der Thoraxorgane am 17.06.2008 einmündete. Auch die übrigen medizinischen Unterlagen rechtfertigen keine andere Betrach-tungsweise. So hat der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. w. F. im Befundbericht vom 17.02.2011 von einer Progredienz der Luftnot des Versicherten "ab Mitte 2008" be-richtet.
2. Läßt sich der Versicherungsfall der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV indessen nicht mit der erforderlichen Sicherheit vor dem 08.07.2008 feststellen, so liegt auch der Leistungsfall wegen der Folgen der BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV nicht vor diesem Datum. Einer höheren MdE in Bezug auf die Folgen der BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV stehen nach Auffassung der Kammer formelle Hindernisse entgegen. Denn die MdE von 10 v.H. war mit bestandskräftigem Dauerverwaltungsakt vom 05.07.2000 festgestellt worden, so dass erst dieser Bescheid hätte beseitigt werden müssen, um eine höhere MdE feststellen zu können. Zu einer solchen Beseitigung indessen sieht sich die Kammer angesichts der Bindungswirkung dieses Bescheides (§ 77 SGG) außer Stande. Dass die Beklagte mit Bescheid vom 08.04.2010 einen Leistungsfall wegen der Folgen der BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV festgestellt hat, vermag hieran nichts zu ändern. Denn die mit Bescheid vom 05.07.2000 getroffene Festsetzung der MdE von 10 v.H. ist nicht geändert worden.
3. Die Klägerin hat schließlich keinen Anspruch auf Auszahlung der vollständigen von der Beklagten errechneten Rentennachzahlungen. Diese zunächst bestehenden Ansprüche sind nämlich wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) in Höhe des von der DRV bezifferten Erstattungsanspruchs in Höhe von 3.969,37 Euro erloschen.
Die Voraussetzungen des § 107 Abs. 1 SGB X liegen vor. Die DRV hatte gegen die Beklagte einen Erstattungsanspruch aus § 103 Abs. 1 SGB X. Denn sie hat an die Witwe I. M. ungekürzte Witwenrente aus der Versicherung des Versicherten M. M. erbracht, obwohl diese Leistung wegen der rückwirkend zuerkannten Lebzeiten- und Hinterbliebenenleistungen der Beklagten nach § 93 Abs. 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) zu kürzen war. Wegen der Höhe des Erstattungsanspruchs verweist die Kammer auf die Berech-nung der DRV vom 28.04.2010, der sie sich nach eigener Prüfung anschließt und gegen die die Klägerin substantiierte Einwendungen nicht vorzubringen vermocht hat. Soweit die Klägerin ausführt, aufgrund der in einer Verletztenrente enthaltenen Schmerzensgeldanteile komme eine Erstattung an die DRV nicht in Betracht und damit sinngemäß verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vorschrift des § 93 SGB VI hegt, so verweist das Gericht darauf, dass sich das Bundesverfassungsge-richt bereits mit der Vorschrift des § 93 SGB VI und dem darin zum Ausdruck kom-menden Ausschluss des Schmerzensgeldes in der gesetzlichen Un-fallversicherung auseinandergesetzt und diesen für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten hat (siehe etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.02.1995 – 1 BvR 753/94 = juris, mit weiteren Nachweisen).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Voraussetzungen des § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG liegen vor, weil § 183 Satz 2 SGG nicht eingreift. Denn die Klägerin hat nicht als Rechtsnachfolgerin "das [gerichtliche] Verfahren aufgenommen", sondern dieses von vornherein als Rechtsnachfolgerin betrieben.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Da sich die Bedeutung der Sache für die Klägerin wegen der Unsicherheit des Datums des Versicherungsfalles der BK nach Nr. 4104 der Anlage zur BKV kaum abschätzen lässt und allein die einbehaltene Nachzahlung 3.969,37 Euro ausmacht, hat die Kammer auf den Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG zurückgegriffen.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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