Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 7 U 73/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 161/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 30. Mai 2011 und die Bescheide der Beklagten vom 4. August (gemeint: Oktober) 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2010 aufgehoben. Die Beklagte trägt die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird auf 12.684,42 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen Beitragsänderungsbescheide, mit denen Nachtragsbeiträge für die Jahre 2005 und 2006 erhoben worden sind.
Der 1956 geborene Kläger ist Inhaber der Firma J-, die aufgrund eines Wechsels der Rechtsform von einer GbR zur Einzelfirma zum 01. Januar 2005 als Gewerbe angemeldet worden war. Mit Veranlagungsbescheid in der Fassung des Bescheides vom 09. Dezember 2005 erfolgte die Zuordnung zu den Gewerbezweigen Erd- und Straßenbau, Errichten von Bauwerken des Hoch- und Tiefbaus – gesondert veranlagtes Hilfsunternehmen – und einem Büroteil des Un-ternehmens. Beschäftigt waren ausweislich einer Meldung vom 12. April 2005 vier kaufmännische und 16 gewerbliche Angestellte/Poliere.
Mit Datum vom 21. April 2006 erließ die Beklagte einen Beitragsbescheid für 2005 und mit Datum vom 20. April 2007 einen für das Jahr 2006. Beigefügt waren u. a. ein Kontoauszug, der eine Forderung in Höhe von 9.668,10 Euro aufwies und ein Beitragsvorschussbescheid für 2007/2008. Der Kläger teilte daraufhin mit, dass sein Unternehmen aufgrund von Forderungsausfällen durch Insolvenzen in Höhe von 185.000 Euro die Tätigkeit einstellen müsse; das Unternehmen werde von ihm bestmöglich abgewickelt. Mit Schreiben vom 18. Juni 2007 teilte die Beklagte mit, dass das Beitragskonto des Klägers auch nach Anpassung entsprechend sei-nen Angaben noch einen Saldo von 8.572,50 Euro zu seinen Lasten aufweise. Dem Antrag des Klägers auf Erlass könne nicht zugestimmt werden, da das Unternehmen weiterhin mit Gewinnerzielungsabsichten fortgeführt werde und es nicht ersichtlich sei, dass die ausstehende Forde-rung eine akute Existenzgefährdung herbeiführen solle, "da dies die einzige Forderung unsererseits für das Jahr 2007" sei. Mit Schreiben vom 09. Juli 2007 teilte der Kläger daraufhin mit, seine Tätigkeit als Bauunternehmer eingestellt und bis auf einen Polier allen Auszubildenden gekündigt zu haben. Er biete der Beklagten eine Quote von 50 Prozent an.
Die Beklagte übersandte dem Kläger daraufhin eine Vergleichsvereinbarung vom 02. August 2007 mit folgendem Inhalt:
"Ihr Beitragskonto weist zum 02. August 2007 einen Gesamtrückstand in Höhe von 8.351,99 Euro auf.
Bei einer Zahlung von 4.394,89 Euro erklärt sich die Berufsgenossen-schaft der Bauwirtschaft mit einem Verzicht auf die Restforderung in Höhe von 3.957,10 Euro im Rahmen eines Vergleiches einverstanden".
Der Vergleich wurde von beiden Beteiligten unterzeichnet. Mit Schreiben vom 10. August 2007 teilte die Beklagte mit, dass das Beitragskonto des Klägers nunmehr ausgeglichen sei.
Am 25. Mai und 21. Juli 2009 führte die Beklagte beim Kläger für die Jahre 2005 bis 2008 eine Betriebsprüfung durch. Im Prüfungsbericht ist u. a. ausgeführt, dass der Kläger neben dem Errichten von Bauwerken des Hoch- und Tiefbaus im Bereich der Gefahrtarifstelle 100 auch
Arbeiten in den Bereichen Erd- und Straßenbau, Kabelbau, Kanal- und Leitungsbau und Abbruch, Entsorgung und Sprengungen durchführe; für die Eintragung eines Nebenunternehmens fehlten jedoch Angaben hinsichtlich der im jeweiligen Unternehmensteil regelmäßig eingesetzten Mitarbeiter, der in dem Unternehmensteil geleisteten Arbeitsstunden und der hier angefallenen Arbeitsentgelte. Für 2005 habe eine Umveranlagung vom Erd- und Straßenbau zu den Bau-werken des Hoch- und Tiefbaus in Höhe von 443.508,- Euro und für 2006 in Höhe von 45.026 Euro zu erfolgen, weiter habe eine Umveranlagung vom Büroteil zu den Bauwerken des Hoch- und Tiefbaus für 2005 in Höhe von 44.332,98 Euro zu erfolgen, da zum Büroteil nicht auf Baustellen eingesetztes technisches Personal gehöre, dass, wenn auch nur gelegentlich, den Gefahren der Baustelle ausgesetzt werde.
Nach Anhörung mit Schreiben vom 30. September 2009 erließ die Beklagte unter dem 04. August (gemeint: Oktober) 2009 die streitgegenständlichen Beitragsänderungsbescheide für 2005 und 2006 über Gesamtbeiträge in Höhe von 40.718,42 Euro und 14.088,41 Euro. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, mit dem er ausführte, fehlerhaft in den Bereich des Hoch- und Tiefbaus eingeordnet worden zu sein, zum anderen verwies er auf die geschlossene Ver-gleichsvereinbarung, danach seien Nachforderungen nicht mehr möglich. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2010 zurück. Sie führte aus, dass mit den Bescheiden vom 04. August 2009 ein Nachtragsbeitrag für die Jahre 2005 und 2006 in Gesamthöhe von 12.684,42 Euro festgestellt worden sei. Die nochmalige Überprüfung der Sach- und Rechtslage habe keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass diese Bescheide nicht rechtmäßig seien. Nach den Feststellungen des Betriebsprüfers habe das Unternehmen überwiegend Arbeiten der Gefahrtarifstelle 100 (Errichten von Bauwerken des Hoch- und Tiefbaus) ausgeführt. Die Voraussetzungen für die Einrichtung von Nebenunternehmen für die darüber hinaus durchgeführten Arbeiten in den Bereichen des Erd- und Straßenbaus, Kabelbaus, Kanal- und Leitungsbaus und Abbruch, Entsorgung und Sprengung seien nicht gegeben. Die
Vergleichsvereinbarung habe lediglich den konkret bezifferten Rückstand in Höhe von 3.957,10 Euro betroffen und könne nicht auf Nachbeiträge bezogen werden.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Cottbus mit Urteil vom 30. Mai 2011 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass eine Vergleichsvereinbarung keine Sperrfunktion hinsichtlich einer Geschäftsprüfung und auch nicht hinsichtlich von Nachforderungen
erfasse. Abgesehen davon seien die Beitragsänderungsbescheide jeweils hinreichend bestimmt, der Nachbeitrag errechne sich durch Subtraktion der ursprünglich festgesetzten Beiträge von den durch die streitgegenständlichen Beiträge mit dem Nachbeitrag festgesetzten Beiträge. Im Übrigen wurde auf den "ausführlichen Prüfbericht des Betriebsprüfers" verwiesen.
Gegen dieses ihm am 15. August 2011 zugegangene Urteil richtet sich die am 29. Juni 2011 eingelegte Berufung des Klägers. Der Kläger trägt zur Begründung vor, dass die Auslegung der Vergleichsvereinbarung auch unter Berücksichtigung der übrigen zwischen den Beteiligten geführten Korrespondenz die Tilgung und den Erlass sämtlicher Verbindlichkeiten des Klägers aus den Veranlagungsjahren 2005 und 2006 zum Gegenstand gehabt habe, so dass eine Nachforderung daher nicht mehr möglich sei. Abgesehen davon fehle es den Bescheiden auch an der hinreichenden Bestimmtheit. Er könne den Bescheiden nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, wie sich der Zahlungsbetrag von 12.684,42 Euro zusammensetze; es könne nicht ihm überlassen bleiben, Berechnungen anzustellen, um eine vermeintliche Differenz zu erfolgten Zahlungen zu ermitteln.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 30. Mai 2011 und die Be-scheide vom 04. August (gemeint: Oktober) 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf das Urteil des Sozialgerichts Cottbus und den Inhalt der beigefügten Verwaltungsvorgänge.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Das erstinstanzliche Urteil und die Beitragsänderungsbescheide der Beklagten vom 04. August (gemeint: Oktober) 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2010 für die Jahre 2005 und 2006 sind rechtswidrig, verletzen den Kläger in seinen Rechten und waren daher aufzuheben. Der Kläger hat keine Beitragsnachzahlung in Höhe von 12.684,42 Euro für die Jahre 2005 und 2006 zu leisten.
Zunächst einmal konnte das Vorliegen der Voraussetzungen für eine rückwirkende Veranlagung zu einer höheren Gefahrklasse nicht festgestellt werden. Nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) ist eine rückwirkende Veranlagung mit Wirkung für die Vergangenheit nur möglich, wenn der Unternehmer seinen Mitteilungspflichten nicht oder nicht rechtzeitig nachgekommen ist oder wenn die Angaben in wesentlicher Hinsicht unrichtig oder unvollständig waren, soweit die Veranlagung zu einer zu niedrigen Gefahrklasse geführt hat oder eine zu niedrige Gefahrklasse beibehalten worden ist. Es ist weder den Ausführungen der Beklagten im genannten Prüfbericht noch den Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden noch der Verwaltungsakte im Übrigen zu entnehmen, welche konkreten Angaben der Kläger in wesentlicher Hinsicht unrichtig oder unvollständig gemacht haben soll. Der sich auf eine Seite beschränkende und keineswegs "ausführliche" Prüfbericht erhält nur das Ergebnis der Feststellungen des Betriebsprüfers und beschränkt sich auf die Angabe der Summen, die in anderen Gefahrtarifen zu veranlagen seien; er enthält jedoch keine nachvollziehbare Begründung. Insgesamt ist, wie vom Kläger zu Recht gerügt, nicht nachvollziehbar, wie sich die mit den angefochtenen Bescheiden geforderte
Nachtragssumme zusammensetzt und auf welchen Feststellungen diese basiert. Ausgeführt ist, dass die Umveranlagung zum Hoch- und Tiefbau deshalb erfolgt sei, weil nicht angegeben worden sei, welche Mitarbeiter in welchem Umfang in den Bereichen der anderen Gefahrtarifstellen tätig gewesen seien. Der Kläger hatte hierzu in der Vergangenheit gegenüber der Beklagten jedoch durchaus Angaben gemacht, die seitens der Beklagten hinsichtlich ihres Umfangs jedenfalls aktenkundig zeitnah nicht moniert worden waren, wie beispielsweise dem Vermerk auf Blatt 25 der Verwaltungsakte zu entnehmen ist; ebenso erfolgten Meldungen am 10. Januar 2006 für die Zeit ab November 2005 und am 12. Mai 2006 für die Zeit ab Januar 2006. Weshalb diese Angaben dann doch nicht ausreichen sollten, ist den Ausführungen der Beklagten nicht zu ent-nehmen.
Abgesehen davon stand auch die Vergleichsvereinbarung der Beteiligten vom 02. August 2007 der Erhebung von Nachtragsbeiträgen für die Jahre 2005 und 2006 entgegen. Der Inhalt des Vergleichs ist nach den gleichen Regeln zu bestimmen wie sie bei der Auslegung eines jeden anderen Vertrages Anwendung finden, nämlich nach den §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Nach § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist gemäß § 133 BGB ausgehend vom objektiven Wortlaut der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklä-rung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung hatte und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (vgl. etwa BSG, Urteil vom 11. Dezember 2008, Az. B 9 VS 1/08 R, m. w. N.). Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine Vergleichsvereinbarung eine Sperrfunktion auch hinsichtlich des Ergebnisses einer Betriebsprüfung bewirkt, kann entgegen der erstinstanzli-chen Auffassung dabei nicht pauschal, sondern nur für jeden Einzelfall gesondert beurteilt werden.
Die danach vorzunehmende Auslegung ergibt, dass mit dem Vergleich sämtliche Beitragsforderungen der Jahre 2005 und 2006 abgegolten sein sollten. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Vereinbarung, in der als Grundlage des Vergleiches ein "Gesamtrückstand" des Beitragskontos des Klägers zum 02. August 2007 festgehalten ist. Irgendwelche Vorbehalte im Hinblick auf Betriebsprüfungen oder Nachforderungen sind hier nicht formuliert. Ausgehend hiervon konnte die folgende Vereinbarung über die noch zu zahlende Restforderung aus Sicht eines objektiven Empfängers ausschließlich dahin verstanden werden, dass diese das gesamte Beitragskonto zum Stichtag 02. August 2007 betraf. Allein diese Auslegung wurde dem der Beklagten aus der vorangegangenen Korrespondenz ohne weiteres erkennbaren Begehren des Klägers gerecht. Der Kläger hatte wiederholt ausgeführt, aufgrund von Zahlungsausständen zahlungsunfähig zu sein und eine Insolvenz zu erwägen. Die Entscheidung seitens des Klägers, hier überhaupt Zahlungen zu leisten, stand ersichtlich in Abhängigkeit davon, mit welchen Forderungen er insgesamt zu rechnen hatte. Weiter durfte der Kläger auf den Bestand der ursprünglichen Beitragsbescheide vertrauen. Grundsätzlich wird zwar der wirkliche Wille eines beitragserhebenden Versicherungsträgers aus Sicht eines verständigen Empfängers immer nur dahin gehen, sich hinsichtlich einer auf einer rechtmäßigen Grundlage erhobenen Summe zu vergleichen, womit etwaige Nachforderungen z. B. aufgrund von unvollständigen Angaben nicht erfasst wären. Vorliegend hat die Betriebsprüfung jedoch keine Unregelmäßigkeiten hin-sichtlich der vom Kläger gemeldeten Arbeitsentgelte aufgedeckt - die vom Kläger gemeldeten Zahlen waren offensichtlich korrekt -, vielmehr führte die Betriebsprüfung lediglich zur Umveranlagung einzelner Lohnsummen zu anderen Gefahrtarifstellen, weil es (wohl – der Begründung ist dies nicht nachvollziehbar zu entnehmen) an Angaben gefehlt hatte, welche die Beklagte ohne weiteres bereits vor Erlass der ursprünglichen Beitragsbescheide hätte einfordern können. Eine Abwägung des Wortlauts der eindeutig und vorbehaltlos formulierten Ver-gleichsvereinbarung mit diesen Gesamtumständen ergibt daher, dass im vorliegenden Fall hier sehr wohl aufgrund der Vergleichsvereinbarung eine Sperrwirkung im Hinblick auf die konkrete Nachforderung der Beklagten bestand.
Das erstinstanzliche Urteil war auch hinsichtlich des Streitwertes abzuändern. Woraus ein Streitwert von 38.732,88 Euro folgen sollte, lässt sich weder der Begründung im Urteil ent-nehmen noch aufgrund des in den Bescheiden enthaltenen Zahlenwerks ermitteln. Da es im vorliegenden Verfahren um die Summe von 12.684,42 Euro geht, war dieser Betrag nach § 197 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. den §§ 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) als Streitwert festzusetzen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197 a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG lagen nicht vor.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen Beitragsänderungsbescheide, mit denen Nachtragsbeiträge für die Jahre 2005 und 2006 erhoben worden sind.
Der 1956 geborene Kläger ist Inhaber der Firma J-, die aufgrund eines Wechsels der Rechtsform von einer GbR zur Einzelfirma zum 01. Januar 2005 als Gewerbe angemeldet worden war. Mit Veranlagungsbescheid in der Fassung des Bescheides vom 09. Dezember 2005 erfolgte die Zuordnung zu den Gewerbezweigen Erd- und Straßenbau, Errichten von Bauwerken des Hoch- und Tiefbaus – gesondert veranlagtes Hilfsunternehmen – und einem Büroteil des Un-ternehmens. Beschäftigt waren ausweislich einer Meldung vom 12. April 2005 vier kaufmännische und 16 gewerbliche Angestellte/Poliere.
Mit Datum vom 21. April 2006 erließ die Beklagte einen Beitragsbescheid für 2005 und mit Datum vom 20. April 2007 einen für das Jahr 2006. Beigefügt waren u. a. ein Kontoauszug, der eine Forderung in Höhe von 9.668,10 Euro aufwies und ein Beitragsvorschussbescheid für 2007/2008. Der Kläger teilte daraufhin mit, dass sein Unternehmen aufgrund von Forderungsausfällen durch Insolvenzen in Höhe von 185.000 Euro die Tätigkeit einstellen müsse; das Unternehmen werde von ihm bestmöglich abgewickelt. Mit Schreiben vom 18. Juni 2007 teilte die Beklagte mit, dass das Beitragskonto des Klägers auch nach Anpassung entsprechend sei-nen Angaben noch einen Saldo von 8.572,50 Euro zu seinen Lasten aufweise. Dem Antrag des Klägers auf Erlass könne nicht zugestimmt werden, da das Unternehmen weiterhin mit Gewinnerzielungsabsichten fortgeführt werde und es nicht ersichtlich sei, dass die ausstehende Forde-rung eine akute Existenzgefährdung herbeiführen solle, "da dies die einzige Forderung unsererseits für das Jahr 2007" sei. Mit Schreiben vom 09. Juli 2007 teilte der Kläger daraufhin mit, seine Tätigkeit als Bauunternehmer eingestellt und bis auf einen Polier allen Auszubildenden gekündigt zu haben. Er biete der Beklagten eine Quote von 50 Prozent an.
Die Beklagte übersandte dem Kläger daraufhin eine Vergleichsvereinbarung vom 02. August 2007 mit folgendem Inhalt:
"Ihr Beitragskonto weist zum 02. August 2007 einen Gesamtrückstand in Höhe von 8.351,99 Euro auf.
Bei einer Zahlung von 4.394,89 Euro erklärt sich die Berufsgenossen-schaft der Bauwirtschaft mit einem Verzicht auf die Restforderung in Höhe von 3.957,10 Euro im Rahmen eines Vergleiches einverstanden".
Der Vergleich wurde von beiden Beteiligten unterzeichnet. Mit Schreiben vom 10. August 2007 teilte die Beklagte mit, dass das Beitragskonto des Klägers nunmehr ausgeglichen sei.
Am 25. Mai und 21. Juli 2009 führte die Beklagte beim Kläger für die Jahre 2005 bis 2008 eine Betriebsprüfung durch. Im Prüfungsbericht ist u. a. ausgeführt, dass der Kläger neben dem Errichten von Bauwerken des Hoch- und Tiefbaus im Bereich der Gefahrtarifstelle 100 auch
Arbeiten in den Bereichen Erd- und Straßenbau, Kabelbau, Kanal- und Leitungsbau und Abbruch, Entsorgung und Sprengungen durchführe; für die Eintragung eines Nebenunternehmens fehlten jedoch Angaben hinsichtlich der im jeweiligen Unternehmensteil regelmäßig eingesetzten Mitarbeiter, der in dem Unternehmensteil geleisteten Arbeitsstunden und der hier angefallenen Arbeitsentgelte. Für 2005 habe eine Umveranlagung vom Erd- und Straßenbau zu den Bau-werken des Hoch- und Tiefbaus in Höhe von 443.508,- Euro und für 2006 in Höhe von 45.026 Euro zu erfolgen, weiter habe eine Umveranlagung vom Büroteil zu den Bauwerken des Hoch- und Tiefbaus für 2005 in Höhe von 44.332,98 Euro zu erfolgen, da zum Büroteil nicht auf Baustellen eingesetztes technisches Personal gehöre, dass, wenn auch nur gelegentlich, den Gefahren der Baustelle ausgesetzt werde.
Nach Anhörung mit Schreiben vom 30. September 2009 erließ die Beklagte unter dem 04. August (gemeint: Oktober) 2009 die streitgegenständlichen Beitragsänderungsbescheide für 2005 und 2006 über Gesamtbeiträge in Höhe von 40.718,42 Euro und 14.088,41 Euro. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, mit dem er ausführte, fehlerhaft in den Bereich des Hoch- und Tiefbaus eingeordnet worden zu sein, zum anderen verwies er auf die geschlossene Ver-gleichsvereinbarung, danach seien Nachforderungen nicht mehr möglich. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2010 zurück. Sie führte aus, dass mit den Bescheiden vom 04. August 2009 ein Nachtragsbeitrag für die Jahre 2005 und 2006 in Gesamthöhe von 12.684,42 Euro festgestellt worden sei. Die nochmalige Überprüfung der Sach- und Rechtslage habe keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass diese Bescheide nicht rechtmäßig seien. Nach den Feststellungen des Betriebsprüfers habe das Unternehmen überwiegend Arbeiten der Gefahrtarifstelle 100 (Errichten von Bauwerken des Hoch- und Tiefbaus) ausgeführt. Die Voraussetzungen für die Einrichtung von Nebenunternehmen für die darüber hinaus durchgeführten Arbeiten in den Bereichen des Erd- und Straßenbaus, Kabelbaus, Kanal- und Leitungsbaus und Abbruch, Entsorgung und Sprengung seien nicht gegeben. Die
Vergleichsvereinbarung habe lediglich den konkret bezifferten Rückstand in Höhe von 3.957,10 Euro betroffen und könne nicht auf Nachbeiträge bezogen werden.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Cottbus mit Urteil vom 30. Mai 2011 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass eine Vergleichsvereinbarung keine Sperrfunktion hinsichtlich einer Geschäftsprüfung und auch nicht hinsichtlich von Nachforderungen
erfasse. Abgesehen davon seien die Beitragsänderungsbescheide jeweils hinreichend bestimmt, der Nachbeitrag errechne sich durch Subtraktion der ursprünglich festgesetzten Beiträge von den durch die streitgegenständlichen Beiträge mit dem Nachbeitrag festgesetzten Beiträge. Im Übrigen wurde auf den "ausführlichen Prüfbericht des Betriebsprüfers" verwiesen.
Gegen dieses ihm am 15. August 2011 zugegangene Urteil richtet sich die am 29. Juni 2011 eingelegte Berufung des Klägers. Der Kläger trägt zur Begründung vor, dass die Auslegung der Vergleichsvereinbarung auch unter Berücksichtigung der übrigen zwischen den Beteiligten geführten Korrespondenz die Tilgung und den Erlass sämtlicher Verbindlichkeiten des Klägers aus den Veranlagungsjahren 2005 und 2006 zum Gegenstand gehabt habe, so dass eine Nachforderung daher nicht mehr möglich sei. Abgesehen davon fehle es den Bescheiden auch an der hinreichenden Bestimmtheit. Er könne den Bescheiden nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, wie sich der Zahlungsbetrag von 12.684,42 Euro zusammensetze; es könne nicht ihm überlassen bleiben, Berechnungen anzustellen, um eine vermeintliche Differenz zu erfolgten Zahlungen zu ermitteln.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 30. Mai 2011 und die Be-scheide vom 04. August (gemeint: Oktober) 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf das Urteil des Sozialgerichts Cottbus und den Inhalt der beigefügten Verwaltungsvorgänge.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Das erstinstanzliche Urteil und die Beitragsänderungsbescheide der Beklagten vom 04. August (gemeint: Oktober) 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2010 für die Jahre 2005 und 2006 sind rechtswidrig, verletzen den Kläger in seinen Rechten und waren daher aufzuheben. Der Kläger hat keine Beitragsnachzahlung in Höhe von 12.684,42 Euro für die Jahre 2005 und 2006 zu leisten.
Zunächst einmal konnte das Vorliegen der Voraussetzungen für eine rückwirkende Veranlagung zu einer höheren Gefahrklasse nicht festgestellt werden. Nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) ist eine rückwirkende Veranlagung mit Wirkung für die Vergangenheit nur möglich, wenn der Unternehmer seinen Mitteilungspflichten nicht oder nicht rechtzeitig nachgekommen ist oder wenn die Angaben in wesentlicher Hinsicht unrichtig oder unvollständig waren, soweit die Veranlagung zu einer zu niedrigen Gefahrklasse geführt hat oder eine zu niedrige Gefahrklasse beibehalten worden ist. Es ist weder den Ausführungen der Beklagten im genannten Prüfbericht noch den Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden noch der Verwaltungsakte im Übrigen zu entnehmen, welche konkreten Angaben der Kläger in wesentlicher Hinsicht unrichtig oder unvollständig gemacht haben soll. Der sich auf eine Seite beschränkende und keineswegs "ausführliche" Prüfbericht erhält nur das Ergebnis der Feststellungen des Betriebsprüfers und beschränkt sich auf die Angabe der Summen, die in anderen Gefahrtarifen zu veranlagen seien; er enthält jedoch keine nachvollziehbare Begründung. Insgesamt ist, wie vom Kläger zu Recht gerügt, nicht nachvollziehbar, wie sich die mit den angefochtenen Bescheiden geforderte
Nachtragssumme zusammensetzt und auf welchen Feststellungen diese basiert. Ausgeführt ist, dass die Umveranlagung zum Hoch- und Tiefbau deshalb erfolgt sei, weil nicht angegeben worden sei, welche Mitarbeiter in welchem Umfang in den Bereichen der anderen Gefahrtarifstellen tätig gewesen seien. Der Kläger hatte hierzu in der Vergangenheit gegenüber der Beklagten jedoch durchaus Angaben gemacht, die seitens der Beklagten hinsichtlich ihres Umfangs jedenfalls aktenkundig zeitnah nicht moniert worden waren, wie beispielsweise dem Vermerk auf Blatt 25 der Verwaltungsakte zu entnehmen ist; ebenso erfolgten Meldungen am 10. Januar 2006 für die Zeit ab November 2005 und am 12. Mai 2006 für die Zeit ab Januar 2006. Weshalb diese Angaben dann doch nicht ausreichen sollten, ist den Ausführungen der Beklagten nicht zu ent-nehmen.
Abgesehen davon stand auch die Vergleichsvereinbarung der Beteiligten vom 02. August 2007 der Erhebung von Nachtragsbeiträgen für die Jahre 2005 und 2006 entgegen. Der Inhalt des Vergleichs ist nach den gleichen Regeln zu bestimmen wie sie bei der Auslegung eines jeden anderen Vertrages Anwendung finden, nämlich nach den §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Nach § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist gemäß § 133 BGB ausgehend vom objektiven Wortlaut der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklä-rung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung hatte und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (vgl. etwa BSG, Urteil vom 11. Dezember 2008, Az. B 9 VS 1/08 R, m. w. N.). Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine Vergleichsvereinbarung eine Sperrfunktion auch hinsichtlich des Ergebnisses einer Betriebsprüfung bewirkt, kann entgegen der erstinstanzli-chen Auffassung dabei nicht pauschal, sondern nur für jeden Einzelfall gesondert beurteilt werden.
Die danach vorzunehmende Auslegung ergibt, dass mit dem Vergleich sämtliche Beitragsforderungen der Jahre 2005 und 2006 abgegolten sein sollten. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Vereinbarung, in der als Grundlage des Vergleiches ein "Gesamtrückstand" des Beitragskontos des Klägers zum 02. August 2007 festgehalten ist. Irgendwelche Vorbehalte im Hinblick auf Betriebsprüfungen oder Nachforderungen sind hier nicht formuliert. Ausgehend hiervon konnte die folgende Vereinbarung über die noch zu zahlende Restforderung aus Sicht eines objektiven Empfängers ausschließlich dahin verstanden werden, dass diese das gesamte Beitragskonto zum Stichtag 02. August 2007 betraf. Allein diese Auslegung wurde dem der Beklagten aus der vorangegangenen Korrespondenz ohne weiteres erkennbaren Begehren des Klägers gerecht. Der Kläger hatte wiederholt ausgeführt, aufgrund von Zahlungsausständen zahlungsunfähig zu sein und eine Insolvenz zu erwägen. Die Entscheidung seitens des Klägers, hier überhaupt Zahlungen zu leisten, stand ersichtlich in Abhängigkeit davon, mit welchen Forderungen er insgesamt zu rechnen hatte. Weiter durfte der Kläger auf den Bestand der ursprünglichen Beitragsbescheide vertrauen. Grundsätzlich wird zwar der wirkliche Wille eines beitragserhebenden Versicherungsträgers aus Sicht eines verständigen Empfängers immer nur dahin gehen, sich hinsichtlich einer auf einer rechtmäßigen Grundlage erhobenen Summe zu vergleichen, womit etwaige Nachforderungen z. B. aufgrund von unvollständigen Angaben nicht erfasst wären. Vorliegend hat die Betriebsprüfung jedoch keine Unregelmäßigkeiten hin-sichtlich der vom Kläger gemeldeten Arbeitsentgelte aufgedeckt - die vom Kläger gemeldeten Zahlen waren offensichtlich korrekt -, vielmehr führte die Betriebsprüfung lediglich zur Umveranlagung einzelner Lohnsummen zu anderen Gefahrtarifstellen, weil es (wohl – der Begründung ist dies nicht nachvollziehbar zu entnehmen) an Angaben gefehlt hatte, welche die Beklagte ohne weiteres bereits vor Erlass der ursprünglichen Beitragsbescheide hätte einfordern können. Eine Abwägung des Wortlauts der eindeutig und vorbehaltlos formulierten Ver-gleichsvereinbarung mit diesen Gesamtumständen ergibt daher, dass im vorliegenden Fall hier sehr wohl aufgrund der Vergleichsvereinbarung eine Sperrwirkung im Hinblick auf die konkrete Nachforderung der Beklagten bestand.
Das erstinstanzliche Urteil war auch hinsichtlich des Streitwertes abzuändern. Woraus ein Streitwert von 38.732,88 Euro folgen sollte, lässt sich weder der Begründung im Urteil ent-nehmen noch aufgrund des in den Bescheiden enthaltenen Zahlenwerks ermitteln. Da es im vorliegenden Verfahren um die Summe von 12.684,42 Euro geht, war dieser Betrag nach § 197 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. den §§ 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) als Streitwert festzusetzen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197 a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG lagen nicht vor.
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