L 5 KR 200/12 B

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 26 KR 30/12
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 200/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Versorgung eines 2 1/2 Jahre alten Kindes mit einem Gitterbett bei nächtlichen Unruhezuständen.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 16. Oktober 2012 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt. &8195;

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm das Kinderpflegebett Olaf 135 oder ein entsprechendes vergleichbares Bett zur Verfügung zu stellen.

Im Januar 2012 erhielt die Antragsgegnerin eine Verordnung des Kinderarztes T. vom 28. November 2011 über die Versorgung des bei ihr versicherten und am 13. Januar 2010 geborenen Antragstellers mit einem Kinder-Pflegebett wegen des Verdachtes auf Cornelia-de-Lange-Syndrom. Beigefügt war ein Kostenvoranschlag des M.-Center, R., über das Kinder-Pflegebett Olaf 135 einschließlich diverser ergänzender Artikel zu einem Betrag von 5.086,53 EUR. Nach Einholung einer Stellungnahme des MDK lehnte die Antragsgegnerin eine Versorgung ab, weil es sich bei der beantragten Lagerungshilfe um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele. Unter dem 25. Januar 2012 legte der Antragsteller eine erneute Verordnung des Arztes T. vor. Gegen die erneute Ablehnung der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 21. Februar 2012 legte der Antragsteller Widerspruch ein. Zur Begründung gab der Kinderarzt T. an, bei dem Antragsteller bestünden seit der Geburt erhebliche Durchschlaf- und Schlafprobleme mit nächtlichen Unruhezuständen. Wegen einer unzureichenden Bettgeländerhöhe bestehe die Gefahr, dass er aus dem Bett falle und sich erhebliche Verletzungen zuziehen könne. Außerdem bereite die nächtliche Pflege zunehmend Probleme. Unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK vom 29. März 2012 (Dr. Ta.) lehnte die Antragsgegnerin die beantragte Versorgung nochmals ab, weil eine solche sozialmedizinisch nicht darstellbar sei. Der Antragsteller legte Bilder des begehrten Pflegebettes vor und ergänzte seine Begründung dahin, typisches Merkmal des Syndroms seien erhebliche Durchschlaf- und Schlafprobleme mit nächtlichen Unruhezuständen. Die hydraulische Verstellbarkeit der Liegefläche nach oben ermögliche eine Versorgung, ohne dass die Pflegeperson Rückenschäden davontrage. Wegen der Schreianfälle hätten sich die Nachbarn schon beschwert. Aus dem Kinderbett klettere der Antragsteller heraus. Bei Verwendung des beantragten Kinder-Pflegebettes seien sich die Eltern ganz sicher, dass das Kind weder sich noch andere Personen gefährde. In vergleichbaren Fällen seien entsprechende Kinder-Pflegebetten bewilligt worden. Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2012 zurück.

Hiergegen hat der Antragsteller Klage beim Sozialgericht Schleswig erhoben sowie am 27. Juli 2012 eine entsprechende einstweilige Anordnung beantragt. Darin wiederholt er seinen bisherigen Vortrag. Insbesondere in der Nacht neige der Antragsteller zu erheblichen Unruhezuständen. Er schreie, schlage um sich und versuche aus dem Bett zu klettern. Die zwischenzeitliche Bettung in einem Laufgitter sei keine dauerhafte Lösung und es sei ihm auch schon mittlerweile gelungen, dieses Laufgitter durch Klettern zu verlassen. Dabei sei es zu Stürzen gekommen. Mitnichten gehe es um eine Bettlägerigkeit oder erleichterte Pflege, sondern mehr oder minder um die Möglichkeit, das Kind insbesondere nachts oder zu sonstigen Ruhezeiten in einem Bett lagern zu können, ohne dass es dies ohne fremde Hilfe verlassen könne. Wegen der Verletzungsgefahr sei eine schnelle Entscheidung erforderlich. Das Kind sei beim Herausklettern im September auf das Gesicht gefallen und habe sich an der Nase verletzt, sodass es zu einem starken Nasenbluten gekommen sei. Die zwischenzeitlich eingesetzte Pflegekraft halte ein Pflegebett für dringend erforderlich. Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, dass weder Anordnungsgrund noch Anordnungsanspruch gegeben seien. Vom MDK sind 2 weitere Pflegegutachten vorgelegt worden, das vom 13. Januar 2012 mit der Empfehlung Pflegestufe I und das vom 3. September 2012 mit der Empfehlung Pflegestufe II. In Letzterem heißt es ergänzend, dass aus gutachterlicher Sicht ein Kinder-Pflegebett sinnvoll erscheine.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten der Allgemeinärztin Dr. S. eingeholt. Durch dieses sieht sich der Antragsteller bestätigt. Die Antragsgegnerin lehnt weiterhin eine Versorgung ab. Eine drohende Behinderung des Kindes könne durch andere Maßnahmen erreicht werden (Kinderbett ohne Gitterstäbe, Entfernung gefährlicher Gegenstände im Zimmer). Das beantragte Kinderbett diene weder der Krankenbehandlung oder einem Behindertenausgleich, noch helfe es einer drohenden Behinderung vorzubeugen.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 16. Oktober 2012 den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Das beantragte Bett diene nicht der Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraumes, sondern mindere diesen im Gegenteil. Das möge aus gefahrpräventiven Gründen sinnvoll sein, vielleicht sogar geboten. Die Gefahrenabwehr allein zähle jedoch nicht zu den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Vor diesem Hintergrund könne offenbleiben, ob das Kinderbett wirklich alternativlos sei oder ob es möglich wäre, die Gefahren für den Antragsteller durch Veränderung des unmittelbaren Wohnumfeldes zu verringern. Daran ändere auch nichts, dass das begehrte Kinderbett in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen worden sei. So falle der Antragsteller nicht unter den vom Hersteller des Bettes angesprochenen Personenkreis, weil nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht sei, inwieweit er der pflegerischen und therapeutischen Behandlung gerade in diesem Bett bedürfe. Ein Anspruch nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX scheide ebenfalls aus, weil nicht ersichtlich sei, dass ein anderer Rehabilitationsträger den geltend gemachten Bedarf decken müsste.

Gegen den ihm am 18. Oktober 2012 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, eingegangen beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht am 2. November 2012, zusammen mit dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Ergänzend führt er zur Begründung aus, es bestehe nunmehr die Pflegestufe II und es liege nach wie vor eine erhebliche Selbstgefährdung vor. Das im Streit stehende Kinderbett sei kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, weil es speziell zur Behandlung kranker oder behinderter Personen hergestellt und verbreitet werde. Es sei das Grundbedürfnis "Liegen" betroffen, da der Antragsteller wegen seiner Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage sei, ruhig zu schlafen. Zudem diene das Pflegebett auch überwiegend der Erleichterung der Pflege. Die zwingende Notwendigkeit für ein Bettgitter sei mit dem gerichtlichen Gutachten bestätigt worden. Die Antragsgegnerin sieht sich durch den angefochtenen Beschluss bestätigt. Das beantragte Bett diene im Wesentlichen dem Interesse der pflegenden Eltern daran, den Antragsteller darin für geraume Zeit tagsüber und in der Nacht unbeaufsichtigt lassen zu können. Dieses Interesse sei zwar verständlich und nachvollziehbar, könne aber nicht zu einer Versorgung mit einem Hilfsmittel führen.

&8195; II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig aber unbegründet.

Zutreffend hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss die Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG benannt. Danach sind Voraussetzung ein Anordnungsgrund im Sinne der besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung und ein Anordnungsanspruch im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs. Darüber hinaus ergibt sich bereits aus dem Begriff "einstweilige" Anordnung, dass die Entscheidung in einem solchen Verfahren die Hauptsache grundsätzlich nicht vorwegnehmen darf (z. B. Beschluss des Senats vom 28. März 2011 – L 5 KR 60/11 B ER –; Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG-Kommentar zu § 86b Rz. 31). Hier fehlt es nach der im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich gebotenen summarischen Prüfung bereits an einem Anordnungsanspruch. Insoweit verweist der Senat zunächst auf die überzeugenden Gründe des sozialgerichtlichen Beschlusses (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG), in dem sowohl die möglichen Anspruchsgrundlagen genannt werden, als auch ihre Anwendung auf den Fall des Antragstellers mit zutreffenden Gründen verneint wird. Im Hinblick auf das Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren weist der Senat noch ergänzend auf Folgendes hin:

Zunächst vermag der Senat nicht zu erkennen, dass das hier beantragte Bett Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der Krankenkassen (§ 139 SGB V) gefunden hat. So werden in der Gruppennummer 19.01 zwar behindertengerechte Betten aufgeführt, die Beschreibung beschränkt sich jedoch auf Betten mit verstellbarer Liegefläche. Eine Vergitterung zur Verhinderung des Verlassens des Bettes, worauf es in dem Verfahren insbesondere ankommt, ist in der Beschreibung nicht aufgenommen. Allerdings stellt das Hilfsmittelverzeichnis lediglich eine unverbindliche Auslegungshilfe dar, nicht jedoch hat es die Aufgabe, abschließend als Positivliste darüber zu befinden, welche Hilfsmittel der Versicherte im Rahmen der Krankenbehandlung beanspruchen kann.

Nicht nachzuvollziehen vermag der Senat die Betroffenheit eines Grundbedürfnisses mit dem Liegen bzw. Schlafen, wovon der Antragsteller ausgeht. Zunächst einmal nimmt das beantragte Gitterbett weder Einfluss auf das Liegen des Antragstellers noch auf seinen Schlaf. Darüber hinaus zählt nach dem Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts (vom 14. Februar 2008 – L 1 P 17/07 –) der unbeeinträchtigte und ungefährdete Schlaf nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens (dort bezog sich das Verfahren auf die Versorgung mit einem Therapiebett mit Plexiglas sowie Kantenpolsterung). In diesem Zusammenhang verweist das zitierte Landessozialgericht auf die ständige Rechtsprechung des BSG, nach der zu den allgemeinen Grundbedürfnissen das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie die Schaffung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums zähle. Auf die genannten Grundbedürfnisse bezieht sich das streitgegenständliche Hilfsmittel erkennbar nicht.

Darüber hinaus hat der beschließende Senat in seinem Urteil vom 12. Mai 2011 (L 5 KR 44/10) entschieden, dass die Gefahrenabwehr nicht dem Ausgleich eines Grundbedürfnisses zuzuordnen ist und, unter Hinweis auf den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 24. April 2008 (B 1 KR 24/07 B), Gegenstände, die allein den Zweck der Unfallverhütung dienen, nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung zu bezahlen sind.

Darüber hinaus hat der Senat ebenso wie das Sozialgericht erhebliche Bedenken an der Erforderlichkeit des beantragten Pflegebettes in dem Sinne, dass keine finanziell günstigere Versorgungsmöglichkeit mit gleichem Erfolg besteht. So bestimmt § 12 Abs. 1 SGB V ausdrücklich, dass Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht übersteigen dürfen. Im Falle des Antragstellers erscheint es durchaus möglich, durch finanziell günstigere Maßnahmen, die weit unter dem Aufwand für das beantragte Bett von über 5.000,00 EUR liegen, einen Sturz des Antragstellers aus dem Bett zu verhindern.

Auch medizinisch scheint die Erkrankung des Antragstellers und die Nachhaltigkeit der damit vorliegenden Symptome nicht eindeutig geklärt zu sein. So weist die Sachverständige in ihrem Gutachten darauf hin, dass Schlafstörungen nicht explizit zu dem Cornelia-de-Lange-Syndrom passen. Entgegen des Vortrags des Antragstellers und des behandelnden Kinderarztes bestand die Schlafproblematik offensichtlich auch nicht von Anfang an. So heißt es in dem Pflegegutachten vom 27. September 2011 noch, dass der Antragsteller in der Nacht durchschlafe und im Bericht des Sa. Sb. vom 29. November 2011 wird von seit ca. drei Monaten bestehenden Ein- und Durchschlafstörungen berichtet. Es erscheint daher nicht ausgeschlossen, dass es sich um eine zeitlich begrenzte Entwicklungsphase handelt. Dies wäre, kommt es im Hauptsacheverfahren darauf an, medizinisch gegebenenfalls noch abzuklären.

Der Versorgungsanspruch kann auch nicht aus der Behauptung des Antragstellers abgeleitet werden, die Antragsgegnerin habe andere Versicherte mit dem beantragten Pflegebett versorgt. Unabhängig davon, ob es sich um gleichgelagerte Fälle handelt, kann aus einer ggf. rechtswidrigen Versorgung anderer Versicherter kein eigener Versorgungsanspruch hergeleitet werden ("keine Gleichbehandlung im Unrecht").

Besteht mithin kein Anordnungsanspruch, so bedarf es auch keiner Entscheidung darüber, ob der Antrag auf uneingeschränkte Versorgung mit dem beantragten Pflegebett jedenfalls teilweise deshalb abgelehnt werden muss, weil für die Versorgung mit Gegenständen, die anteilig auch allgemeine Gebrauchsgegenstände erfassen (so genannte Gegenstände mit Doppelcharakter), ein Eigenanteil (für ein Bett) anzurechnen ist.

Wegen des Fehlen eines Anordnungsanspruchs für die begehrte Versorgung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes fehlt es auch an der Erfolgsaussicht als Voraussetzung der für das Beschwerdeverfahren beantragten Gewährung von Prozesskostenhilfe (§ 73a SGG i. V. m. § 114 ZPO). Aus diesem Grund ist Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nicht zu bewilligen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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