Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 8 U 72/03
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 1 U 54/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zur Frage der Anerkennung eines Hirntumors als Berufskrankheit nach der Anl. 1 Nr. 2402 BKV
2. Qualifizierende Arbeiten i.S.d. Berichts der Radarkommission setzen voraus, dass tatsächlich Arbeiten an strahlenaussendenden Radargeräten ausgeführt worden sind.
3. Schwierigkeiten bei der Aufklärung der tatsächlichen Verhältnisse können nicht zu einer regelmäßigen Annahme des Beweisnotstandes führen.
2. Qualifizierende Arbeiten i.S.d. Berichts der Radarkommission setzen voraus, dass tatsächlich Arbeiten an strahlenaussendenden Radargeräten ausgeführt worden sind.
3. Schwierigkeiten bei der Aufklärung der tatsächlichen Verhältnisse können nicht zu einer regelmäßigen Annahme des Beweisnotstandes führen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 9. Januar 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. &8195;
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen unter Anerkennung eines Hirntumors des am 2001 verstorbenen Ehemanns der Klägerin im Folgenden: Versicherter) als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2402 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (im Folgenden: BK 2402).
Der am 1941 geborene Versicherte absolvierte vom 1. April 1957 bis zum 28. Februar 1961 eine Ausbildung zum Maschinenschlosser und war anschließend bis zum 30. September 1961 in diesem Beruf tätig. Vom 2. Oktober 1961 bis zum 30. Sep¬tember 1964 war er Zeitsoldat. Ab 1. Ok¬tober 1964 war der Versicherte als ziviler Mitarbeiter bei der Bundeswehr beschäftigt und zwar vom 1. Oktober 1964 bis zum 30. November 1965 als Maschinenschlosser und vom 1. Dezember 1965 bis zum 15. Februar 1968 als Kraftfahrer und Pioniermaschinenführer sowie als Lagerarbeiter. Ab dem 1. März 1971 war der ständige Arbeitsplatz des Versicherten die Radarstellung B , in der ein Radargerät des Typs MPR (Medium Power Radar) im Einsatz war. Der Versicherte war in der Radarstellung vom 1. März 1971 bis zum 31. Oktober 1978 als Klimaanlagenmechaniker und danach bis zum 31. Dezember 1986 als Stromerzeugungsanlagenmechaniker beschäftigt. Seine Aufgaben umfassten das Überwachen, Regeln und Schalten der Stromerzeugungs- und –Vertei¬lungs¬anlagen (Schaltzentrale, Sofortbereitschaftsanlagen, Notstromanlagen). Vom 1. Januar 1987 bis zum 20. März 2001 war der Versicherte als Maschinenmeister/Schichtführer tätig und für die Wartungsarbeiten an den betriebstechnischen Anlagen verantwortlich. Dazu gehörte die Sicherstellung eines rationellen und technisch optimalen Arbeitsablaufs, Materialbeschaffung, Personaleinteilung, Überwachung der Einsatzbereitschaft von Geräten, Maschinen und Werkzeugen, die Überwachung und der Einhaltung von Unfallverhütungsvorschriften und Betriebsschutzvorschriften, die Veranlassung und Leitung der durchzuführenden Wartungsarbeiten, die Instandsetzung und Störungsbeseitigung an allen Anlageteilen, im Besonderen auch an elektronischen, elektrischen, pneumatischen, mechanischen Steuerungs-, Regel- und Schutzeinrichtungen.
Der Versicherte erkrankte Anfang 2000 an einem Hirntumor, an dem er am 2001 verstarb. Ab dem 1. Oktober 2000 erhielt er von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Die Klägerin machte mit Schreiben vom 20. Juli 2001 einen Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen mit der Begründung geltend, der Tod des Versicherten sei infolge einer Berufskrankheit eingetreten, die sich während dessen Tätigkeit im Bereich der Radaranlage B entwickelt habe.
Die Beklagte und holte u. a. den Bericht der Wehrbereichsverwaltung Nord, öffentlich-rechtliche Aufsicht für Arbeitssicherheit und technischen Umweltschutz, vom 15. Ok¬tober 2002 ein. Darin wurde ausgeführt, dass eine Exposition des Versicherten durch ionisierende Strahlung nicht stattgefunden habe, da dieser nicht an Radargeräten gearbeitet habe. Des Weiteren zog die Beklagte die im Zusammenhang mit der tariflichen Eingruppierung des Versicherten erstellten Tätigkeitsdarstellungen vom 18. Juni 1979, 25. August 1983, 8. Februar 1982, 2. Januar 1987, 13. April 1990, 1. Mai 1996 und 1. April 1994 sowie den Arztbrief der Klinik für Neurologie, Fachklinik Flensburg vom 26. März 2001 bei. Danach wurde bei dem Versicherten ein linksfrontales Glioblastom Grad IV diagnostiziert, das am 2001 zum Tode geführt habe.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 9. Januar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2003 die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass es ausweislich der technischen Stellungnahme vom 15. Ok¬tober 2002 ausgeschlossen werden könne, dass der Versicherte während seiner Tätigkeit als Mechaniker des technischen Betriebsdienstes an Klima- und Stromerzeugungsanlagen der Bundeswehr ionisierenden Strahlen ausgesetzt gewesen sei. Die beim Betrieb von Radargeräten auftretende ionisierende Strahlung könne zwar in hohen Dosen Krebserkrankungen verursachen. Der Röntgenstörstrahlung habe aber ausschließlich der Personenkreis der Radartechniker ausgesetzt sein können, weil nur dieser Personenkreis Reparatur- oder Wartungsarbeiten bei geöffneten Geräten in unmittelbarer Nähe der Röhren durchgeführt hätte. Wenn es überhaupt zu einer Einwirkung durch ionisierende Strahlung an Radaranlagen kommen könne, so sei dies nur im Rahmen von Reparatur- oder Wartungsarbeiten möglich gewesen, die in unmittelbarer Nähe der Hochspannungsröhren bei geöffneten Sendeschränken notwendig gewesen seien. Derartige Tätigkeiten hätten aber ausschließlich das Wartungs- und Instandsetzungspersonal ausgeübt, sodass auch nur diese Beschäftigten etwaigen ionisierenden Strahlen ausgesetzt gewesen sein könnten.
Dagegen hat die Klägerin am 1. September 2003 vor dem Sozialgericht Klage erhoben und zur Begründung geltend gemacht, ihr Ehemann sei ab 1970 durchgängig in der Radarstellung B beschäftigt gewesen. Sie halte es für sehr wahrscheinlich, dass der Hirntumor Folge der Strahlenbelastung gewesen sei, der ihr Ehemann während seiner Beschäftigung ausgesetzt gewesen sei.
Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf den Bericht der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 17. November 2004 darauf hingewiesen, dass eine Exposition des Versicherten mit ionisierender Strahlung ausgeschlossen sei, da dieser aufgrund seiner Tätigkeit als Klima- und Stromerzeugungsmechaniker nicht direkt an dem MPR-System gearbeitet habe. Selbst für die unmittelbar an dem System Beschäftigten seien die maximalen Werte für die Ortsdosis sehr gering gewesen. Außerdem hat die Beklagt einen Bericht über die Bewertung der Arbeitsplatzverhältnisse nach den Kriterien der Radarkommission für das Rundsuchradar MPR zur Akte gereicht.
Das Sozialgericht hat das schriftliche Gutachten des Strahlenbiologen Prof. Dr. J vom 24. Juli 2005 und die Stellungnahme des Strahlenbiologen Prof. Dr. K vom 18. April 2005 eingeholt und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Januar 2006 die Beklagte verurteilt, unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide den Tod des Versicherten als Folge einer Berufskrankheit nach der Nr. 2402 der Anlage zur BKV anzuerkennen und der Klägerin die gesetzlichen Leistungen zu gewähren. Zur Begründung heißt es im Wesentlichen: Der Tod des Versicherten sei infolge einer Berufskrankheit nach der Nr. 2402 der Anlage zur BKV eingetreten. Nach den Feststellungen des Gerichts habe die Beklagte die Annahme nicht widerlegt, dass der Versicherte während seiner Tätigkeit in der Radarstellung B ionisierenden Strahlen ausgesetzt gewesen sei. Dies führe dazu, dass die Beklagte zur Leistungsgewährung verpflichtet sei. Zwar obliege es nach dem im Sozialrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast demjenigen, der Leistungen für sich beanspruche, auch die anspruchsbegründenden Tatsachen zu beweisen. Die Folgen der Beweislosigkeit habe somit der Versicherte zu tragen. Hiervon müsse vorliegend jedoch abgewichen werden, da das Gericht sich außerstande sehe, die Frage der genauen Strahlendosis, der der Versicherte während seiner Tätigkeit in der Radarstellung B ausgesetzt gewesen sei, durch eine weitere Beweiserhebung zu klären. Der Klägerin selbst sei es schlicht unmöglich, den Vollbeweis einer Strahlenexposition des Versicherten zu erbringen. Dies würde unter Beachtung des Grundsatzes der objektiven Beweislast im Ergebnis dazu führen, dass eine Realisierung bestehender Ansprüche ausgeschlossen wäre. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme, insbesondere der Stellungnahme von Prof. Dr. K und den gutachterlichen Ausführungen von Prof. Dr. J gehe das Gericht aber nicht nur von der Möglichkeit einer Strahlenexposition, sondern von der Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Belastung des Versicherten aus. Diese Belastung habe auch mit Wahrscheinlichkeit den Hirntumor ursächlich bewirkt. Das Gericht gehe mit Prof. Dr. K davon aus, dass – von wenigen Ausnahmen abgesehen – als qualifizierende Krankheiten aufgrund einer Exposition gegenüber Röntgenstrahlung grundsätzlich alle malignen Tumoren anzusehen seien. Ein Ursachenzusammenhang zwischen der unwiderlegten Belastung des Versicherten und der Tumorerkrankung sei demnach wahrscheinlich.
Gegen dieses am 27. März 2006 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 4. April 2006 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangenen Berufung. Zur Begründung macht die Beklagte im Wesentlichen geltend: Bei dem Versicherten lägen weder die arbeitstechnischen noch die medizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen der BK 2402 BKV vor. Das Sozialgericht sei bei seiner Entscheidung zu Unrecht von der Umkehr der Beweislast ausgegangen. Dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten von Prof. Dr. H könne nicht gefolgt werden. Dazu beziehe sie sich auf die Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin Ka vom 9. Januar 2009.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 9. Januar 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und verweist auf das Gutachten von Prof. Dr. H.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einnahme des Augenscheins der Radaranlage B am 11. November 2010. Außerdem hat der Senat schriftliche Auskünfte der Beschäftigen der Radarstellung B Jörg G , Sönke J , Wolfgang K , Hans Udo Kb , Rüdiger S , Günter O , Werner H , Hartmut U und Uwe K , das schriftliche Gutachten von Prof. Dr. H (Institut für Community Medicine, Abteilung Versorgungsepidemiologie und Community Health Klinikum der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald A.ö.R.) sowie dessen ergänzende Stellungnahme vom 21. Juli 2009 und das schriftliche Gutachten von Dr. rer.nat. Hauke Ba vom 24. November 2011 eingeholt. Mit Beschluss vom 23. April 2012 hat der Senat den von der Klägerin gegen den Sachverständigen Dr. Ba gerichteten Befangenheitsantrag abgelehnt. In der Berufungsverhandlung hat der Senat Prof. Dr. H als medizinischen Sachverständigen gehört. Wegen der Einzelheiten wird auf die vorab eingereichte schriftliche Zusammenfassung verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten. Der Inhalt dieser Unterlagen ist wesentlicher Gegenstand der Berufungsverhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Das Urteil des Sozialgericht war aufzuheben, denn der angefochtene Bescheid vom 9. Januar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2003 ist rechtlich nicht zu beanstanden und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 2402 sind nicht nachgewiesen, so dass die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung dieser Berufskrankheit bzw. deren Entschädigung hat.
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet hat und die ein Versicherter infolge einer dem Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten erleidet. Nach BK 2402 ist eine BK eine Erkrankung durch ionisierende Strahlen.
Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die Verrichtung einer grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und dass die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Gewissheit bedeutet, dass ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch keinen Zweifel hat. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Tatsachen zu begründen ( vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Erg.-Lfg. 5/09, § 8, Rn. 10.1, m.w.N.). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt hingegen die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 2. April 2009, Az. B 2 U 9/08 R, zitiert nach juris).
Nach diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 2402 nicht erfüllt.
Der Versicherte hat eine versicherte Tätigkeit i.S.v. § 2 SGB VII ausgeübt. Der Hirntumor, an dem der Versicherte verstorben ist, kann grundsätzlich auch durch ionisierende Strahlen verursacht werden (vgl. Mehrtens/Brandenburg Die Berufskrankhei-tenverordnung, Lfg. 1/2012, M 2402 S. 17).
Das Vorliegen der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen, d.h. einer berufsbedingten schädigenden Einwirkung ionisierender Strahlen auf den Körper des Versicherten, ist jedoch nicht mit der erforderlichen Gewissheit nachgewiesen.
Schädigende Einwirkungen i.S.d. BK 2402 sind ionisierende Strahlen. Dabei handelt es sich um energiereiche Wellen- bzw. Teilchenstrahlen, die beim Durchgang durch Materie aus dem Atomverband Elektronen abzutrennen vermögen, wodurch die ionisierten Atome oder die im ionisierten Atome enthaltenden Moleküle in einen Zustand veränderter chemischer und dadurch auch biologischer Reaktionsbereitschaft gelangen. Man unterscheidet zwischen Photonenstrahlung (Röntgenstrahlen, Gammastrahlen) und Teilchenstrahlung (Alphastrahlen, Betastrahlen, Protonen, andere beschleunigte Ionen und Neutronen(Mehrtens/Brandenburg, a. a. O., M 2402, S. 1). Die Absorption von Strahlenenergie in einer Zelle oder einem Gewebe des menschlichen Körpers löst eine Kette von physikalischen, chemischen und biologischen Reaktionen aus, an deren Ende ein Gesundheitsschaden bei der bestrahlten Person selbst (somatischer Schaden) auftreten kann. Die Wirkungen sind in der Regel abhängig von der Strahlenart, der Strahlendosis, der Dosisleistung, der Größe des in die Bestrahlung einbezogenen Körpervolumens, der zeitlichen Dosisverteilung, vom Wassergehalt und von der Lösungskonzentration im Gewebe, insbesondere von ihrem Sauerstoffgehalt. Dabei wird zwischen deterministischen (nicht stochastischen) und stochatischen (zufälligen) Strahleneinwirkungen unterschieden. Bei den deterministischen Wirkungen muss eine Schwellendosis überschritten werden, damit der Effekt eintritt. Bei den stochastischen Strahlenwirkungen wird im Strahlenschutz keine Schwellendosis angenommen (Mehrtens-Brandenburg a.a.o., M 2402, S. 10). Die nichtstochastischen Strahlenschäden beruhen auf Zellteilung. Sie treten erst nach Erreichen einer bestimmten Schwellendosis auf. Unterhalb dieser Schwellendosis wirkt die Bildung neuer Zellen in ausreichendem Maße der Zelltötung entgegen. Zu diesen Strahlenschäden gehören u.a. das akute Strahlensyndrom, akute Lokalschäden an der Haut, Linsentrübung und Lungen¬fibrose (Mehrtens/Brandenburg, a. a. O., M 24023). Stochastische Schäden entstehen durch Mutation oder Transformation von Zellen. Die Schäden sind zufällig (stochastisch) in dem Sinne, dass sie nicht zwangsläufig ab einer bestimmten Strahlendosis auftreten. Lediglich die Wahrscheinlichkeit für ihr Auftreten nimmt mit wachsender Dosis zu. Für diese Schäden wird keine Schwellendosis angenommen. Typische stochastische Strahlenschäden sind u.a. die akute myeloische Leukämie sowie die Induktion von Malignomen in strahlenempfindlichen Geweben/Organen. Dazu gehört auch die Erkrankung des Klägers, wobei die Strahlenempfindlichkeit des Hirns im Hinblick auf das Risiko für bösartige Tumoren nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand als mittel eingestuft wird (Schönberge/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheiten, 8. Auflage 2010, S. 1180 ff.; Mehrtens/Brandenburg a.a.O., M 2402 S. 17 u. 24).
Auch wenn danach das Vorliegen einer Schwellendosis nicht erforderlich ist, setzt die Anerkennung der BK 2402 eine erhebliche Strahlenbelastung voraus. Denn nach § 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII kommt eine Berufskrankheit nur in Betracht bei besonderen Einwirkungen, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.
Dieser Nachweis ist jedoch nicht erbracht. Messungen sind am Arbeitsplatz des Versicherten nicht erfolgt. Die tatsächlichen Arbeitsbedingungen lassen sich nicht mehr rekonstruieren, da ein entsprechender Tätigkeitsbereich nicht mehr existiert. Somit lässt sich nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachweisen, dass der Versicherte während seiner Tätigkeit in der Radarstellung B einer erheblichen Einwirkung ionisierender Strahlen ausgesetzt war.
Eine für die Klägerin günstigere Beurteilung würde sich auch nicht ergeben, wenn der Senat sich bei seiner Entscheidung auf den Bericht der Radarkommission vom 2. Juli 2003 stützen würde. Dieser Bericht gründet darauf, dass auf Anregung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages die Radarkommission als Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee eingesetzt worden ist, um die früheren Arbeitsplatzverhältnisse aufzuklären, eine Expertise zu Belastungswerten abzugeben, neue wissenschaftliche Erkenntnisse aufzubereiten, den gegenwärtigen wissenschaftlichen Sachstand festzustellen und die versorgungsmedizinischen Aspekte von Strahlenschäden zu untersuchen (BdR S. 1).
Vorliegend kann dahinstehen, ob der Bericht der Radarkommission überhaupt rechtliche Relevanz hat und ggf. in welcher Art (vgl. hierzu LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 13.02.2008, L 5 VS 11/05: antizipiertes Sachverständigengutachten bzw. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.07.2008, L 6 VS 2599/06 Rn. 32: Beweiserleichterung), da der Versicherte die Voraussetzungen der von der Radarkommission vorgesehenen Beweiserleichterungen nicht erfüllt.
Nach dem Bericht der Radarkommission(S. 135/136) sollten Personen, die – wie der Versicherte - im Zeitraum bis 1975 (sog. Phase 1, Bericht S. 130) an anderen Radargeräten als am SGR-103 tätig gewesen sind, anerkannt werden, sofern
1. sie an einem malignen Tumor mit Ausnahme der Chronisch Lymphatischen Leukämie erkrankt sind (sog. qualifizierende Erkrankung), 2. der Tumor ärztlich bestätigt und pathologisch-histologisch befundet ist, 3. der Tumor, wenn es sich um einen soliden Tumor handelt, frühestens 5 Jahre nach Exposition aufgetreten ist bzw. Leukämie oder ein Knochensarkom frühestens 2 Jahre nach Exposition aufgetreten sind, 4. sie Arbeiten als Techniker/Mechaniker oder Bediener (Operator) an Radaranlagen ausgeübt haben (sog. qualifzierende Arbeiten), 5. die Tumorlokalisation mit der maximalen Betriebsspannung der Radargeräte übereinstimmt und 6. der Bundeswehr kein anderweitiger Ausschluss einer relevanten Strahlung möglich ist.
Diese Voraussetzungen sind beim Versicherten nicht erfüllt. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Versicherte qualifizierende Arbeiten im Sinne des Radarberichtes ausgeführt hat. Um von qualifizierenden Arbeiten auszugehen, genügt nicht jede Tätigkeit in der Nähe von Radargeräten. Das LSG Nordrhein-Westfalen hat in seinem Urteil vom 1. Februar 2011 - L 6 VS 3/06 – (zitiert nach juris) zutreffend dargelegt, dass erforderlich ist, dass im Rahmen der Tätigkeit tatsächlich Arbeiten an strahlenaussendenden Radargeräten ausgeführt worden sind. Dass vom Bericht der Radarkommission nur Personen erfasst werden sollen, die konkret an Radargeräten gearbeitet haben, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der vorgeschlagenen Anerkennungskriterien, wonach "Personen, die an anderen Radargeräten[als dem SGR-103] tätig gewesen sind", anerkannt werden sollten (Bericht S. 135). Dass dies Radargeräte sein müssen, an denen eine Exposition mit Röntgenstörstrahlen in Betracht kommt, zeigt auch die Formulierung im Kommissionsbericht, dass das Vorbringen der Antragsteller für die Annahme von Expositionsdauern "an einzelnen Störstrahlern" zugrunde gelegt werden sollte (Bericht S. 44). Im Übrigen ergibt sich eine solche Eingrenzung notwendig aus der Aufgabensetzung und dem Ziel des Kommissionsberichts. Dieser hat ausdrücklich die "beim Betrieb, der Wartung und Reparatur von Radargeräten" auftretenden Expositionen untersucht. Es sollte eine Expositionsrekonstruktion der Röntgenstörstrahlung bei der Bundeswehr erfolgen (Bericht S. III). Dabei wird in dem Bericht davon ausgegangen, dass die Reichweite von Röntgenstrahlung verhältnismäßig gering ist, so dass Gefährdungen für das Personal nur in unmittelbarer Nähe der Sender, z.B. bei Einstellungs- und Reparaturarbeiten entstehen konnten (Bericht S. 1). Bei der Beschreibung der Tätigkeitsprofile hat die Kommission ausgeführt, dass nachvollziehbar berichtet wurde, bei Reparatur- und Einstellarbeiten eines Radargerätes hätten auch Mechaniker anderer Radargeräte und auf dem Gerät arbeitende Operatoren Unterstützung leisten müssen. Dies sei regelmäßig für Geräte der HAWK-Batterie, des Radargerätes AN/CPN-4 sowie beim Waffensystem NIKE erfolgt (Bericht S. 44). Nach Auffassung der Kommission sollte für die Annahme von Expositionsdauern an einzelnen Störstrahlern das Vorbringen der Antragsteller im Einzelnen zugrunde gelegt werden. Vor diesem Hintergrund sind Operatoren in die Beschlussempfehlung aufgenommen worden, wobei auch nach Auffassung der Kommission hier jeweils die konkreten Tätigkeiten an einzelnen Störstrahlern zu überprüfen waren (vgl. Bericht S. 44). Die Geltung der Beweiserleichterungen nur für solche Operatoren, die in relevantem Umfang an Störstrahlern gearbeitet haben, wird auch durch die späteren Klarstellungen der Radarkommission in ihren "Antworten auf den vom BMVg vorgelegten Katalog "Fragen/Auslegungen zum Bericht der Radarkommission" (Schreiben BMVg vom 18.07.2003)" bekräftigt. Dort wird auf die Frage, für welchen Expositionszeitraum die Kommission entsprechend der Strahlenempfindlichkeit der einzelnen Organe eine Verursachungswahrscheinlichkeit für gegeben ansehe, unter Antworten zu II. 4. ausgeführt, dass die Kommission bei ihren Empfehlungen davon ausgegangen sei, dass es sich grundsätzlich (aufgrund der spezifischen Ausbildung) um längere Tätigkeiten und nicht nur um gelegentliche Tätigkeiten im Gesamtumfang weniger Tage handeln müsse. Die Kommission selbst ist nach ihren Antworten zu I. 1. und 2. der o.g. Fragen allein zu den Waffensystemen HAWK, NIKE und AN/CPN-4 davon ausgegangen, dass Operatoren einer relevanten Exposition ausgesetzt sein konnten (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, a. a.O.). Dem schließt sich der Senat an.
Dass der Versicherte am Radargerät gearbeitet hat, lässt sich nicht nachweisen. Aus der Auskunft der Wehrbereichsverwaltung Nord, öffentlich-rechtliche Aufsicht für Arbeitssicherheit und technischen Umweltschutz, vom 15. Ok¬tober 2002 geht hervor, dass der Versicherte nicht an Radargeräten gearbeitet hat. Auch in den beigezogen Tätigkeitsdarstellungen vom 18. Juni 1979, 25. August 1983, 8. Februar 1982, 2. Januar 1987, 13. April 1990, 1. Mai 1996 und 1. April 1994 finden sich keine Hinweise auf Arbeiten am Radargerät. Beschrieben wird lediglich, dass der Versicherte in der Radarstellung vom 1. März 1971 bis zum 31. Oktober 1978 als Klimaanlagenmechaniker und danach bis zum 31. Dezember 1986 als Stromerzeugungsanlagenmechaniker beschäftigt war und seine Aufgaben das Überwachen, Regeln und Schalten der Stromerzeugungs- und –Verteilungs¬anlagen (Schaltzentrale, Sofortbereitschaftsanlagen, Notstromanlagen)umfasste. Vom 1. Januar 1987 bis zum 20. März 2001 war der Versicherte als Maschinenmeister/Schichtführer tätig und für die Wartungsarbeiten an den betriebstechnischen Anlagen verantwortlich. Dazu gehörte die Sicherstellung eines rationellen und technisch optimalen Arbeitsablauf, Materialbeschaffung, Personaleinteilung, Überwachung der Einsatzbereitschaft von Geräten, Maschinen und Werkzeugen, die Überwachung und die Einhaltung von Unfallverhütungsvorschriften und Betriebsschutzvorschriften, die Veranlassung und Leitung der durchzuführenden Wartungsarbeiten, die Instandsetzung und Störungsbeseitigung an allen Anlageteilen, im Besonderen auch an elektronischen, elektrischen, pneumatischen, mechanischen Steuerungs-, Regel- und Schutzeinrichtungen. Ebenso lässt sich aus den vom Senat eingeholten schriftlichen Auskünften der ehemaligen Beschäftigten der Radarstellung B eine Tätigkeit am Radargerät nicht herleiten. Die Frage des Senats, ob der Versicherte im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit an Radaranlagen gearbeitet habe, haben die Zeugen Jörg G , Sönke J , Wolfgang K , Hans Udo K , Rüdiger S , Günter O , Werner H und Uwe Kb ausdrücklich verneint. Die vom Senat durchgeführte Inaugenscheinnahme der Radaranlage B hat zu keinen weiteren Erkenntnissen geführt. Durch die Begehung konnte sich der Senat zwar einen Eindruck über die heutigen örtlichen Verhältnisse machen. Hinweise auf eine Tätigkeit des Versicherten am Radargerät ergaben sich jedoch nicht. Ebenso ist Dr. Ba in seiner Stellungnahme zu der Einschätzung gelangt, dass der Versicherte nicht an Radaranlagen gearbeitet hat. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den Ausführungen von Prof. Dr. H. Dieser hält zwar eine Strahlenbelastung des Versicherten für wahrscheinlich. Wie bereits ausgeführt, setzt die Anerkennung der BK 2402 jedoch voraus, dass die schädliche Einwirkung mit Gewissheit bewiesen ist. Davon geht aber auch Prof. H nicht aus. In seinem Gutachten vom 24. August 2008 hat er vielmehr ausgeführt, dass eine berufliche Belastung außerordentlich wahrscheinlich erscheine. Darüber hinaus hat er in der Berufungsverhandlung erklärt, dass er über die Höhe der Strahlenbelastung keine konkreten Angaben machen könne. Auch kann Prof. H – unabhängig davon, dass dies eine rechtlich zu beurteilende Frage wäre - nicht darin gefolgt werden, dass der Versicherte eine qualifizierende Tätigkeit im Sinne des Radarberichtes ausgeübt hat. Diese kann – wie bereits oben ausgeführt - nur bei Tätigkeiten am Radar angenommen werden. Ausreichend ist nicht eine Tätigkeit in der Nähe von Radaranlagen. Dass der Versicherte am Radar gearbeitet hat, nimmt aber auch Prof. Dr. H nicht an. So heißt es in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. Mai 2005, dass nach Aktenlage davon auszugehen sei, dass der Versicherte in unmittelbarer räumlicher Nähe von Positionen gearbeitet habe, an denen Radartechnier/-mechaniker arbeiten würden. Er wäre somit wie das "Unterstützungspersonal" von Radartechnikern/- me¬chanikern einzustufen.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liegt trotz der erheblichen Schwierigkeiten, die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit und die schädigenden Einwirkungen nachzuweisen, kein Beweisnotstand vor. Zwar können Eigentümlichkeiten eines Sachverhalts in besonders gelagerten Einzelfällen Anlass sein, an den Beweis verminderte Anforderungen zu stellen (BSGE 19, 52, 56 = SozR Nr. 62 zu § 542 aF RVO; 24, 25, 28 f = SozR Nr. 75 zu § 128 SGG). Das bedeutet, dass der Unfallversicherungsträger oder das Gericht schon aufgrund weniger tatsächlicher Anhaltspunkte von einem bestimmten Geschehensablauf überzeugt sein können (BSG Urteil vom 12. Juni 1990 - 2 RU 58/89 =, zitiert nach juris). Einen solchen Ausnahmefall hat die Rechtsprechung bei einer unfallbedingten Erinnerungslücke des Verletzten (BSG Urteil vom 12. Juni 1990 - aaO -) oder beim Tod eines Seemanns auf See aus unklarer Ursache ohne Obduktionsmöglichkeit (BSGE 19, 52, 56 = SozR Nr. 62 zu § 542 aF RVO) anerkannt. Von diesen Ausnahmefällen abgesehen sind nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung typische Beweisschwierigkeiten, die sich aus den Besonderheiten des Einzelfalles ergeben, ohnehin im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Allgemeingültige Grundsätze zur Beweiserleichterung für den Fall des Beweisnotstandes würden dagegen dem in § 128 Abs 1 Satz 1 SGG verankerten Grundsatz der freien Beweiswürdigung widersprechen (BSG Beschluss vom 18. Juli 1990 - 2 BU 37/90 – zitiert nach juris). Schwierigkeiten bei der Aufklärung viele Jahre zurückliegender Sachverhalte gerade im Hinblick auf Einzelheiten von Arbeitsvorgängen treten generell auf und können nicht zu einer regelmäßigen Annahme des Beweisnotstandes führen (vgl. BSG, Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 25/03 R –, zitiert nach juris). Ein solcher Ausnahmefall, der eine weitere Beweiserleichterung erforderlich machen würde, liegt hier nicht vor.
Danach trägt die Klägerin als diejenige, die ein Recht für sich beansprucht, die materielle Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen dieses Rechts (vgl BSG, Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R -; BSG, Urteil vom 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R , zitiert nach juris).
Der Senat musste auch nicht dem Hilfsantrag der Klägerin folgen. Unabhängig davon, ob der Antrag auf persönliche Vernehmung der Zeugen den Anforderungen eines ordnungsgemäßen Beweisantrags genügt, sind die beantragten weiteren Ermittlungen nicht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts geeignet. Die die vom Senat befragten Zeugen haben sich in ihren schriftlichen Auskünften bereits glaubhaft zu der Tätigkeit des Versicherten geäußert. Es ist nicht ersichtlich und auch nicht von der Klägerin vorgetragen, aus welchen Gründen diese Auskünfte unrichtig sein sollten. Dass die Zeugen weitere für die Aufklärung des Sachverhalts entscheidungserhebliche Angaben machen könnten, hat die Klägerin nicht geltend gemacht; dies ist für den Senat auch nicht erkennbar. Eine Zeugenvernehmung im Termin ist somit nicht erforderlich.
Aus diesen Gründen hat die Berufung der Beklagten Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Es besteht kein Grund, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen unter Anerkennung eines Hirntumors des am 2001 verstorbenen Ehemanns der Klägerin im Folgenden: Versicherter) als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2402 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (im Folgenden: BK 2402).
Der am 1941 geborene Versicherte absolvierte vom 1. April 1957 bis zum 28. Februar 1961 eine Ausbildung zum Maschinenschlosser und war anschließend bis zum 30. September 1961 in diesem Beruf tätig. Vom 2. Oktober 1961 bis zum 30. Sep¬tember 1964 war er Zeitsoldat. Ab 1. Ok¬tober 1964 war der Versicherte als ziviler Mitarbeiter bei der Bundeswehr beschäftigt und zwar vom 1. Oktober 1964 bis zum 30. November 1965 als Maschinenschlosser und vom 1. Dezember 1965 bis zum 15. Februar 1968 als Kraftfahrer und Pioniermaschinenführer sowie als Lagerarbeiter. Ab dem 1. März 1971 war der ständige Arbeitsplatz des Versicherten die Radarstellung B , in der ein Radargerät des Typs MPR (Medium Power Radar) im Einsatz war. Der Versicherte war in der Radarstellung vom 1. März 1971 bis zum 31. Oktober 1978 als Klimaanlagenmechaniker und danach bis zum 31. Dezember 1986 als Stromerzeugungsanlagenmechaniker beschäftigt. Seine Aufgaben umfassten das Überwachen, Regeln und Schalten der Stromerzeugungs- und –Vertei¬lungs¬anlagen (Schaltzentrale, Sofortbereitschaftsanlagen, Notstromanlagen). Vom 1. Januar 1987 bis zum 20. März 2001 war der Versicherte als Maschinenmeister/Schichtführer tätig und für die Wartungsarbeiten an den betriebstechnischen Anlagen verantwortlich. Dazu gehörte die Sicherstellung eines rationellen und technisch optimalen Arbeitsablaufs, Materialbeschaffung, Personaleinteilung, Überwachung der Einsatzbereitschaft von Geräten, Maschinen und Werkzeugen, die Überwachung und der Einhaltung von Unfallverhütungsvorschriften und Betriebsschutzvorschriften, die Veranlassung und Leitung der durchzuführenden Wartungsarbeiten, die Instandsetzung und Störungsbeseitigung an allen Anlageteilen, im Besonderen auch an elektronischen, elektrischen, pneumatischen, mechanischen Steuerungs-, Regel- und Schutzeinrichtungen.
Der Versicherte erkrankte Anfang 2000 an einem Hirntumor, an dem er am 2001 verstarb. Ab dem 1. Oktober 2000 erhielt er von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Die Klägerin machte mit Schreiben vom 20. Juli 2001 einen Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen mit der Begründung geltend, der Tod des Versicherten sei infolge einer Berufskrankheit eingetreten, die sich während dessen Tätigkeit im Bereich der Radaranlage B entwickelt habe.
Die Beklagte und holte u. a. den Bericht der Wehrbereichsverwaltung Nord, öffentlich-rechtliche Aufsicht für Arbeitssicherheit und technischen Umweltschutz, vom 15. Ok¬tober 2002 ein. Darin wurde ausgeführt, dass eine Exposition des Versicherten durch ionisierende Strahlung nicht stattgefunden habe, da dieser nicht an Radargeräten gearbeitet habe. Des Weiteren zog die Beklagte die im Zusammenhang mit der tariflichen Eingruppierung des Versicherten erstellten Tätigkeitsdarstellungen vom 18. Juni 1979, 25. August 1983, 8. Februar 1982, 2. Januar 1987, 13. April 1990, 1. Mai 1996 und 1. April 1994 sowie den Arztbrief der Klinik für Neurologie, Fachklinik Flensburg vom 26. März 2001 bei. Danach wurde bei dem Versicherten ein linksfrontales Glioblastom Grad IV diagnostiziert, das am 2001 zum Tode geführt habe.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 9. Januar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2003 die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass es ausweislich der technischen Stellungnahme vom 15. Ok¬tober 2002 ausgeschlossen werden könne, dass der Versicherte während seiner Tätigkeit als Mechaniker des technischen Betriebsdienstes an Klima- und Stromerzeugungsanlagen der Bundeswehr ionisierenden Strahlen ausgesetzt gewesen sei. Die beim Betrieb von Radargeräten auftretende ionisierende Strahlung könne zwar in hohen Dosen Krebserkrankungen verursachen. Der Röntgenstörstrahlung habe aber ausschließlich der Personenkreis der Radartechniker ausgesetzt sein können, weil nur dieser Personenkreis Reparatur- oder Wartungsarbeiten bei geöffneten Geräten in unmittelbarer Nähe der Röhren durchgeführt hätte. Wenn es überhaupt zu einer Einwirkung durch ionisierende Strahlung an Radaranlagen kommen könne, so sei dies nur im Rahmen von Reparatur- oder Wartungsarbeiten möglich gewesen, die in unmittelbarer Nähe der Hochspannungsröhren bei geöffneten Sendeschränken notwendig gewesen seien. Derartige Tätigkeiten hätten aber ausschließlich das Wartungs- und Instandsetzungspersonal ausgeübt, sodass auch nur diese Beschäftigten etwaigen ionisierenden Strahlen ausgesetzt gewesen sein könnten.
Dagegen hat die Klägerin am 1. September 2003 vor dem Sozialgericht Klage erhoben und zur Begründung geltend gemacht, ihr Ehemann sei ab 1970 durchgängig in der Radarstellung B beschäftigt gewesen. Sie halte es für sehr wahrscheinlich, dass der Hirntumor Folge der Strahlenbelastung gewesen sei, der ihr Ehemann während seiner Beschäftigung ausgesetzt gewesen sei.
Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf den Bericht der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 17. November 2004 darauf hingewiesen, dass eine Exposition des Versicherten mit ionisierender Strahlung ausgeschlossen sei, da dieser aufgrund seiner Tätigkeit als Klima- und Stromerzeugungsmechaniker nicht direkt an dem MPR-System gearbeitet habe. Selbst für die unmittelbar an dem System Beschäftigten seien die maximalen Werte für die Ortsdosis sehr gering gewesen. Außerdem hat die Beklagt einen Bericht über die Bewertung der Arbeitsplatzverhältnisse nach den Kriterien der Radarkommission für das Rundsuchradar MPR zur Akte gereicht.
Das Sozialgericht hat das schriftliche Gutachten des Strahlenbiologen Prof. Dr. J vom 24. Juli 2005 und die Stellungnahme des Strahlenbiologen Prof. Dr. K vom 18. April 2005 eingeholt und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Januar 2006 die Beklagte verurteilt, unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide den Tod des Versicherten als Folge einer Berufskrankheit nach der Nr. 2402 der Anlage zur BKV anzuerkennen und der Klägerin die gesetzlichen Leistungen zu gewähren. Zur Begründung heißt es im Wesentlichen: Der Tod des Versicherten sei infolge einer Berufskrankheit nach der Nr. 2402 der Anlage zur BKV eingetreten. Nach den Feststellungen des Gerichts habe die Beklagte die Annahme nicht widerlegt, dass der Versicherte während seiner Tätigkeit in der Radarstellung B ionisierenden Strahlen ausgesetzt gewesen sei. Dies führe dazu, dass die Beklagte zur Leistungsgewährung verpflichtet sei. Zwar obliege es nach dem im Sozialrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast demjenigen, der Leistungen für sich beanspruche, auch die anspruchsbegründenden Tatsachen zu beweisen. Die Folgen der Beweislosigkeit habe somit der Versicherte zu tragen. Hiervon müsse vorliegend jedoch abgewichen werden, da das Gericht sich außerstande sehe, die Frage der genauen Strahlendosis, der der Versicherte während seiner Tätigkeit in der Radarstellung B ausgesetzt gewesen sei, durch eine weitere Beweiserhebung zu klären. Der Klägerin selbst sei es schlicht unmöglich, den Vollbeweis einer Strahlenexposition des Versicherten zu erbringen. Dies würde unter Beachtung des Grundsatzes der objektiven Beweislast im Ergebnis dazu führen, dass eine Realisierung bestehender Ansprüche ausgeschlossen wäre. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme, insbesondere der Stellungnahme von Prof. Dr. K und den gutachterlichen Ausführungen von Prof. Dr. J gehe das Gericht aber nicht nur von der Möglichkeit einer Strahlenexposition, sondern von der Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Belastung des Versicherten aus. Diese Belastung habe auch mit Wahrscheinlichkeit den Hirntumor ursächlich bewirkt. Das Gericht gehe mit Prof. Dr. K davon aus, dass – von wenigen Ausnahmen abgesehen – als qualifizierende Krankheiten aufgrund einer Exposition gegenüber Röntgenstrahlung grundsätzlich alle malignen Tumoren anzusehen seien. Ein Ursachenzusammenhang zwischen der unwiderlegten Belastung des Versicherten und der Tumorerkrankung sei demnach wahrscheinlich.
Gegen dieses am 27. März 2006 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 4. April 2006 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangenen Berufung. Zur Begründung macht die Beklagte im Wesentlichen geltend: Bei dem Versicherten lägen weder die arbeitstechnischen noch die medizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen der BK 2402 BKV vor. Das Sozialgericht sei bei seiner Entscheidung zu Unrecht von der Umkehr der Beweislast ausgegangen. Dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten von Prof. Dr. H könne nicht gefolgt werden. Dazu beziehe sie sich auf die Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin Ka vom 9. Januar 2009.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 9. Januar 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und verweist auf das Gutachten von Prof. Dr. H.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einnahme des Augenscheins der Radaranlage B am 11. November 2010. Außerdem hat der Senat schriftliche Auskünfte der Beschäftigen der Radarstellung B Jörg G , Sönke J , Wolfgang K , Hans Udo Kb , Rüdiger S , Günter O , Werner H , Hartmut U und Uwe K , das schriftliche Gutachten von Prof. Dr. H (Institut für Community Medicine, Abteilung Versorgungsepidemiologie und Community Health Klinikum der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald A.ö.R.) sowie dessen ergänzende Stellungnahme vom 21. Juli 2009 und das schriftliche Gutachten von Dr. rer.nat. Hauke Ba vom 24. November 2011 eingeholt. Mit Beschluss vom 23. April 2012 hat der Senat den von der Klägerin gegen den Sachverständigen Dr. Ba gerichteten Befangenheitsantrag abgelehnt. In der Berufungsverhandlung hat der Senat Prof. Dr. H als medizinischen Sachverständigen gehört. Wegen der Einzelheiten wird auf die vorab eingereichte schriftliche Zusammenfassung verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten. Der Inhalt dieser Unterlagen ist wesentlicher Gegenstand der Berufungsverhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Das Urteil des Sozialgericht war aufzuheben, denn der angefochtene Bescheid vom 9. Januar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2003 ist rechtlich nicht zu beanstanden und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 2402 sind nicht nachgewiesen, so dass die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung dieser Berufskrankheit bzw. deren Entschädigung hat.
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet hat und die ein Versicherter infolge einer dem Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten erleidet. Nach BK 2402 ist eine BK eine Erkrankung durch ionisierende Strahlen.
Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die Verrichtung einer grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und dass die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Gewissheit bedeutet, dass ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch keinen Zweifel hat. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Tatsachen zu begründen ( vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Erg.-Lfg. 5/09, § 8, Rn. 10.1, m.w.N.). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt hingegen die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 2. April 2009, Az. B 2 U 9/08 R, zitiert nach juris).
Nach diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 2402 nicht erfüllt.
Der Versicherte hat eine versicherte Tätigkeit i.S.v. § 2 SGB VII ausgeübt. Der Hirntumor, an dem der Versicherte verstorben ist, kann grundsätzlich auch durch ionisierende Strahlen verursacht werden (vgl. Mehrtens/Brandenburg Die Berufskrankhei-tenverordnung, Lfg. 1/2012, M 2402 S. 17).
Das Vorliegen der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen, d.h. einer berufsbedingten schädigenden Einwirkung ionisierender Strahlen auf den Körper des Versicherten, ist jedoch nicht mit der erforderlichen Gewissheit nachgewiesen.
Schädigende Einwirkungen i.S.d. BK 2402 sind ionisierende Strahlen. Dabei handelt es sich um energiereiche Wellen- bzw. Teilchenstrahlen, die beim Durchgang durch Materie aus dem Atomverband Elektronen abzutrennen vermögen, wodurch die ionisierten Atome oder die im ionisierten Atome enthaltenden Moleküle in einen Zustand veränderter chemischer und dadurch auch biologischer Reaktionsbereitschaft gelangen. Man unterscheidet zwischen Photonenstrahlung (Röntgenstrahlen, Gammastrahlen) und Teilchenstrahlung (Alphastrahlen, Betastrahlen, Protonen, andere beschleunigte Ionen und Neutronen(Mehrtens/Brandenburg, a. a. O., M 2402, S. 1). Die Absorption von Strahlenenergie in einer Zelle oder einem Gewebe des menschlichen Körpers löst eine Kette von physikalischen, chemischen und biologischen Reaktionen aus, an deren Ende ein Gesundheitsschaden bei der bestrahlten Person selbst (somatischer Schaden) auftreten kann. Die Wirkungen sind in der Regel abhängig von der Strahlenart, der Strahlendosis, der Dosisleistung, der Größe des in die Bestrahlung einbezogenen Körpervolumens, der zeitlichen Dosisverteilung, vom Wassergehalt und von der Lösungskonzentration im Gewebe, insbesondere von ihrem Sauerstoffgehalt. Dabei wird zwischen deterministischen (nicht stochastischen) und stochatischen (zufälligen) Strahleneinwirkungen unterschieden. Bei den deterministischen Wirkungen muss eine Schwellendosis überschritten werden, damit der Effekt eintritt. Bei den stochastischen Strahlenwirkungen wird im Strahlenschutz keine Schwellendosis angenommen (Mehrtens-Brandenburg a.a.o., M 2402, S. 10). Die nichtstochastischen Strahlenschäden beruhen auf Zellteilung. Sie treten erst nach Erreichen einer bestimmten Schwellendosis auf. Unterhalb dieser Schwellendosis wirkt die Bildung neuer Zellen in ausreichendem Maße der Zelltötung entgegen. Zu diesen Strahlenschäden gehören u.a. das akute Strahlensyndrom, akute Lokalschäden an der Haut, Linsentrübung und Lungen¬fibrose (Mehrtens/Brandenburg, a. a. O., M 24023). Stochastische Schäden entstehen durch Mutation oder Transformation von Zellen. Die Schäden sind zufällig (stochastisch) in dem Sinne, dass sie nicht zwangsläufig ab einer bestimmten Strahlendosis auftreten. Lediglich die Wahrscheinlichkeit für ihr Auftreten nimmt mit wachsender Dosis zu. Für diese Schäden wird keine Schwellendosis angenommen. Typische stochastische Strahlenschäden sind u.a. die akute myeloische Leukämie sowie die Induktion von Malignomen in strahlenempfindlichen Geweben/Organen. Dazu gehört auch die Erkrankung des Klägers, wobei die Strahlenempfindlichkeit des Hirns im Hinblick auf das Risiko für bösartige Tumoren nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand als mittel eingestuft wird (Schönberge/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheiten, 8. Auflage 2010, S. 1180 ff.; Mehrtens/Brandenburg a.a.O., M 2402 S. 17 u. 24).
Auch wenn danach das Vorliegen einer Schwellendosis nicht erforderlich ist, setzt die Anerkennung der BK 2402 eine erhebliche Strahlenbelastung voraus. Denn nach § 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII kommt eine Berufskrankheit nur in Betracht bei besonderen Einwirkungen, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.
Dieser Nachweis ist jedoch nicht erbracht. Messungen sind am Arbeitsplatz des Versicherten nicht erfolgt. Die tatsächlichen Arbeitsbedingungen lassen sich nicht mehr rekonstruieren, da ein entsprechender Tätigkeitsbereich nicht mehr existiert. Somit lässt sich nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachweisen, dass der Versicherte während seiner Tätigkeit in der Radarstellung B einer erheblichen Einwirkung ionisierender Strahlen ausgesetzt war.
Eine für die Klägerin günstigere Beurteilung würde sich auch nicht ergeben, wenn der Senat sich bei seiner Entscheidung auf den Bericht der Radarkommission vom 2. Juli 2003 stützen würde. Dieser Bericht gründet darauf, dass auf Anregung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages die Radarkommission als Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee eingesetzt worden ist, um die früheren Arbeitsplatzverhältnisse aufzuklären, eine Expertise zu Belastungswerten abzugeben, neue wissenschaftliche Erkenntnisse aufzubereiten, den gegenwärtigen wissenschaftlichen Sachstand festzustellen und die versorgungsmedizinischen Aspekte von Strahlenschäden zu untersuchen (BdR S. 1).
Vorliegend kann dahinstehen, ob der Bericht der Radarkommission überhaupt rechtliche Relevanz hat und ggf. in welcher Art (vgl. hierzu LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 13.02.2008, L 5 VS 11/05: antizipiertes Sachverständigengutachten bzw. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.07.2008, L 6 VS 2599/06 Rn. 32: Beweiserleichterung), da der Versicherte die Voraussetzungen der von der Radarkommission vorgesehenen Beweiserleichterungen nicht erfüllt.
Nach dem Bericht der Radarkommission(S. 135/136) sollten Personen, die – wie der Versicherte - im Zeitraum bis 1975 (sog. Phase 1, Bericht S. 130) an anderen Radargeräten als am SGR-103 tätig gewesen sind, anerkannt werden, sofern
1. sie an einem malignen Tumor mit Ausnahme der Chronisch Lymphatischen Leukämie erkrankt sind (sog. qualifizierende Erkrankung), 2. der Tumor ärztlich bestätigt und pathologisch-histologisch befundet ist, 3. der Tumor, wenn es sich um einen soliden Tumor handelt, frühestens 5 Jahre nach Exposition aufgetreten ist bzw. Leukämie oder ein Knochensarkom frühestens 2 Jahre nach Exposition aufgetreten sind, 4. sie Arbeiten als Techniker/Mechaniker oder Bediener (Operator) an Radaranlagen ausgeübt haben (sog. qualifzierende Arbeiten), 5. die Tumorlokalisation mit der maximalen Betriebsspannung der Radargeräte übereinstimmt und 6. der Bundeswehr kein anderweitiger Ausschluss einer relevanten Strahlung möglich ist.
Diese Voraussetzungen sind beim Versicherten nicht erfüllt. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Versicherte qualifizierende Arbeiten im Sinne des Radarberichtes ausgeführt hat. Um von qualifizierenden Arbeiten auszugehen, genügt nicht jede Tätigkeit in der Nähe von Radargeräten. Das LSG Nordrhein-Westfalen hat in seinem Urteil vom 1. Februar 2011 - L 6 VS 3/06 – (zitiert nach juris) zutreffend dargelegt, dass erforderlich ist, dass im Rahmen der Tätigkeit tatsächlich Arbeiten an strahlenaussendenden Radargeräten ausgeführt worden sind. Dass vom Bericht der Radarkommission nur Personen erfasst werden sollen, die konkret an Radargeräten gearbeitet haben, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der vorgeschlagenen Anerkennungskriterien, wonach "Personen, die an anderen Radargeräten[als dem SGR-103] tätig gewesen sind", anerkannt werden sollten (Bericht S. 135). Dass dies Radargeräte sein müssen, an denen eine Exposition mit Röntgenstörstrahlen in Betracht kommt, zeigt auch die Formulierung im Kommissionsbericht, dass das Vorbringen der Antragsteller für die Annahme von Expositionsdauern "an einzelnen Störstrahlern" zugrunde gelegt werden sollte (Bericht S. 44). Im Übrigen ergibt sich eine solche Eingrenzung notwendig aus der Aufgabensetzung und dem Ziel des Kommissionsberichts. Dieser hat ausdrücklich die "beim Betrieb, der Wartung und Reparatur von Radargeräten" auftretenden Expositionen untersucht. Es sollte eine Expositionsrekonstruktion der Röntgenstörstrahlung bei der Bundeswehr erfolgen (Bericht S. III). Dabei wird in dem Bericht davon ausgegangen, dass die Reichweite von Röntgenstrahlung verhältnismäßig gering ist, so dass Gefährdungen für das Personal nur in unmittelbarer Nähe der Sender, z.B. bei Einstellungs- und Reparaturarbeiten entstehen konnten (Bericht S. 1). Bei der Beschreibung der Tätigkeitsprofile hat die Kommission ausgeführt, dass nachvollziehbar berichtet wurde, bei Reparatur- und Einstellarbeiten eines Radargerätes hätten auch Mechaniker anderer Radargeräte und auf dem Gerät arbeitende Operatoren Unterstützung leisten müssen. Dies sei regelmäßig für Geräte der HAWK-Batterie, des Radargerätes AN/CPN-4 sowie beim Waffensystem NIKE erfolgt (Bericht S. 44). Nach Auffassung der Kommission sollte für die Annahme von Expositionsdauern an einzelnen Störstrahlern das Vorbringen der Antragsteller im Einzelnen zugrunde gelegt werden. Vor diesem Hintergrund sind Operatoren in die Beschlussempfehlung aufgenommen worden, wobei auch nach Auffassung der Kommission hier jeweils die konkreten Tätigkeiten an einzelnen Störstrahlern zu überprüfen waren (vgl. Bericht S. 44). Die Geltung der Beweiserleichterungen nur für solche Operatoren, die in relevantem Umfang an Störstrahlern gearbeitet haben, wird auch durch die späteren Klarstellungen der Radarkommission in ihren "Antworten auf den vom BMVg vorgelegten Katalog "Fragen/Auslegungen zum Bericht der Radarkommission" (Schreiben BMVg vom 18.07.2003)" bekräftigt. Dort wird auf die Frage, für welchen Expositionszeitraum die Kommission entsprechend der Strahlenempfindlichkeit der einzelnen Organe eine Verursachungswahrscheinlichkeit für gegeben ansehe, unter Antworten zu II. 4. ausgeführt, dass die Kommission bei ihren Empfehlungen davon ausgegangen sei, dass es sich grundsätzlich (aufgrund der spezifischen Ausbildung) um längere Tätigkeiten und nicht nur um gelegentliche Tätigkeiten im Gesamtumfang weniger Tage handeln müsse. Die Kommission selbst ist nach ihren Antworten zu I. 1. und 2. der o.g. Fragen allein zu den Waffensystemen HAWK, NIKE und AN/CPN-4 davon ausgegangen, dass Operatoren einer relevanten Exposition ausgesetzt sein konnten (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, a. a.O.). Dem schließt sich der Senat an.
Dass der Versicherte am Radargerät gearbeitet hat, lässt sich nicht nachweisen. Aus der Auskunft der Wehrbereichsverwaltung Nord, öffentlich-rechtliche Aufsicht für Arbeitssicherheit und technischen Umweltschutz, vom 15. Ok¬tober 2002 geht hervor, dass der Versicherte nicht an Radargeräten gearbeitet hat. Auch in den beigezogen Tätigkeitsdarstellungen vom 18. Juni 1979, 25. August 1983, 8. Februar 1982, 2. Januar 1987, 13. April 1990, 1. Mai 1996 und 1. April 1994 finden sich keine Hinweise auf Arbeiten am Radargerät. Beschrieben wird lediglich, dass der Versicherte in der Radarstellung vom 1. März 1971 bis zum 31. Oktober 1978 als Klimaanlagenmechaniker und danach bis zum 31. Dezember 1986 als Stromerzeugungsanlagenmechaniker beschäftigt war und seine Aufgaben das Überwachen, Regeln und Schalten der Stromerzeugungs- und –Verteilungs¬anlagen (Schaltzentrale, Sofortbereitschaftsanlagen, Notstromanlagen)umfasste. Vom 1. Januar 1987 bis zum 20. März 2001 war der Versicherte als Maschinenmeister/Schichtführer tätig und für die Wartungsarbeiten an den betriebstechnischen Anlagen verantwortlich. Dazu gehörte die Sicherstellung eines rationellen und technisch optimalen Arbeitsablauf, Materialbeschaffung, Personaleinteilung, Überwachung der Einsatzbereitschaft von Geräten, Maschinen und Werkzeugen, die Überwachung und die Einhaltung von Unfallverhütungsvorschriften und Betriebsschutzvorschriften, die Veranlassung und Leitung der durchzuführenden Wartungsarbeiten, die Instandsetzung und Störungsbeseitigung an allen Anlageteilen, im Besonderen auch an elektronischen, elektrischen, pneumatischen, mechanischen Steuerungs-, Regel- und Schutzeinrichtungen. Ebenso lässt sich aus den vom Senat eingeholten schriftlichen Auskünften der ehemaligen Beschäftigten der Radarstellung B eine Tätigkeit am Radargerät nicht herleiten. Die Frage des Senats, ob der Versicherte im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit an Radaranlagen gearbeitet habe, haben die Zeugen Jörg G , Sönke J , Wolfgang K , Hans Udo K , Rüdiger S , Günter O , Werner H und Uwe Kb ausdrücklich verneint. Die vom Senat durchgeführte Inaugenscheinnahme der Radaranlage B hat zu keinen weiteren Erkenntnissen geführt. Durch die Begehung konnte sich der Senat zwar einen Eindruck über die heutigen örtlichen Verhältnisse machen. Hinweise auf eine Tätigkeit des Versicherten am Radargerät ergaben sich jedoch nicht. Ebenso ist Dr. Ba in seiner Stellungnahme zu der Einschätzung gelangt, dass der Versicherte nicht an Radaranlagen gearbeitet hat. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den Ausführungen von Prof. Dr. H. Dieser hält zwar eine Strahlenbelastung des Versicherten für wahrscheinlich. Wie bereits ausgeführt, setzt die Anerkennung der BK 2402 jedoch voraus, dass die schädliche Einwirkung mit Gewissheit bewiesen ist. Davon geht aber auch Prof. H nicht aus. In seinem Gutachten vom 24. August 2008 hat er vielmehr ausgeführt, dass eine berufliche Belastung außerordentlich wahrscheinlich erscheine. Darüber hinaus hat er in der Berufungsverhandlung erklärt, dass er über die Höhe der Strahlenbelastung keine konkreten Angaben machen könne. Auch kann Prof. H – unabhängig davon, dass dies eine rechtlich zu beurteilende Frage wäre - nicht darin gefolgt werden, dass der Versicherte eine qualifizierende Tätigkeit im Sinne des Radarberichtes ausgeübt hat. Diese kann – wie bereits oben ausgeführt - nur bei Tätigkeiten am Radar angenommen werden. Ausreichend ist nicht eine Tätigkeit in der Nähe von Radaranlagen. Dass der Versicherte am Radar gearbeitet hat, nimmt aber auch Prof. Dr. H nicht an. So heißt es in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. Mai 2005, dass nach Aktenlage davon auszugehen sei, dass der Versicherte in unmittelbarer räumlicher Nähe von Positionen gearbeitet habe, an denen Radartechnier/-mechaniker arbeiten würden. Er wäre somit wie das "Unterstützungspersonal" von Radartechnikern/- me¬chanikern einzustufen.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liegt trotz der erheblichen Schwierigkeiten, die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit und die schädigenden Einwirkungen nachzuweisen, kein Beweisnotstand vor. Zwar können Eigentümlichkeiten eines Sachverhalts in besonders gelagerten Einzelfällen Anlass sein, an den Beweis verminderte Anforderungen zu stellen (BSGE 19, 52, 56 = SozR Nr. 62 zu § 542 aF RVO; 24, 25, 28 f = SozR Nr. 75 zu § 128 SGG). Das bedeutet, dass der Unfallversicherungsträger oder das Gericht schon aufgrund weniger tatsächlicher Anhaltspunkte von einem bestimmten Geschehensablauf überzeugt sein können (BSG Urteil vom 12. Juni 1990 - 2 RU 58/89 =, zitiert nach juris). Einen solchen Ausnahmefall hat die Rechtsprechung bei einer unfallbedingten Erinnerungslücke des Verletzten (BSG Urteil vom 12. Juni 1990 - aaO -) oder beim Tod eines Seemanns auf See aus unklarer Ursache ohne Obduktionsmöglichkeit (BSGE 19, 52, 56 = SozR Nr. 62 zu § 542 aF RVO) anerkannt. Von diesen Ausnahmefällen abgesehen sind nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung typische Beweisschwierigkeiten, die sich aus den Besonderheiten des Einzelfalles ergeben, ohnehin im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Allgemeingültige Grundsätze zur Beweiserleichterung für den Fall des Beweisnotstandes würden dagegen dem in § 128 Abs 1 Satz 1 SGG verankerten Grundsatz der freien Beweiswürdigung widersprechen (BSG Beschluss vom 18. Juli 1990 - 2 BU 37/90 – zitiert nach juris). Schwierigkeiten bei der Aufklärung viele Jahre zurückliegender Sachverhalte gerade im Hinblick auf Einzelheiten von Arbeitsvorgängen treten generell auf und können nicht zu einer regelmäßigen Annahme des Beweisnotstandes führen (vgl. BSG, Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 25/03 R –, zitiert nach juris). Ein solcher Ausnahmefall, der eine weitere Beweiserleichterung erforderlich machen würde, liegt hier nicht vor.
Danach trägt die Klägerin als diejenige, die ein Recht für sich beansprucht, die materielle Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen dieses Rechts (vgl BSG, Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R -; BSG, Urteil vom 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R , zitiert nach juris).
Der Senat musste auch nicht dem Hilfsantrag der Klägerin folgen. Unabhängig davon, ob der Antrag auf persönliche Vernehmung der Zeugen den Anforderungen eines ordnungsgemäßen Beweisantrags genügt, sind die beantragten weiteren Ermittlungen nicht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts geeignet. Die die vom Senat befragten Zeugen haben sich in ihren schriftlichen Auskünften bereits glaubhaft zu der Tätigkeit des Versicherten geäußert. Es ist nicht ersichtlich und auch nicht von der Klägerin vorgetragen, aus welchen Gründen diese Auskünfte unrichtig sein sollten. Dass die Zeugen weitere für die Aufklärung des Sachverhalts entscheidungserhebliche Angaben machen könnten, hat die Klägerin nicht geltend gemacht; dies ist für den Senat auch nicht erkennbar. Eine Zeugenvernehmung im Termin ist somit nicht erforderlich.
Aus diesen Gründen hat die Berufung der Beklagten Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Es besteht kein Grund, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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