L 1 KR 48/11 KL

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 48/11 KL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine aufsichtsrechtlich relevante Rechtsverletzung liegt nicht vor, wenn zum Zeitpunkt des Handelns des Versicherungsträgers diesem eine eindeutige Rechtslage nicht entgegen stand. Spätere Rechtsentwicklungen wirken auf diesen Zeitpunkt grundsätzlich nicht zurück.

2. Die Rechtsfrage, ob gesetzliche Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts anzusehen sind, war erst durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11. Juni 2009 eindeutig geklärt.
Der Bescheid der Beklagten vom 14. März 2011 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist die Rechtmäßigkeit eines aufsichtsrechtlichen Verpflichtungsbescheides.

Die klagende SECURVITA BKK ist eine bundesunmittelbare und für Betriebsfremde geöffnete Betriebskrankenkasse mit Sitz in H ... Sie geht als Betriebskrankenkasse zurück auf die S. Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte mbH (im Folgenden: S. GmbH), die Teil der 1984 von Herrn T.M. gegründeten Unternehmensgruppe S. Holding AG ist. Die S. GmbH, deren Alleingesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer T.M. war und ist, ist das Satzungs- bzw. Trägerunternehmen der 1996 gegründeten Klägerin, deren Verwaltungsratsvorsitzender T.M. auch war und ist. Mit der S. GmbH schloss die Klägerin eine Reihe von Verträge; fünf davon sind Streitgegenstand in den Senatsverfahren L 1 KR 47/11 KL bis L 1 KR 51/11 KL.

Im Jahr 1994 meldete T.M. das Zeichen "S.", im Jahr 1997 die S. GmbH die – graphisch veränderte – Marke "S." und im Jahr 2002 die S. GmbH die – erneut graphisch veränderte – Marke "S." beim Deutschen Patentamt an und wurden Zeichen und Marken jeweils eingetragen. Mit Schreiben vom 17. Dezember 1996 erklärte T.M. als Geschäftsführer der S. GmbH und der S. Versicherungsmakler GmbH gegenüber der Beklagten, dass die Klägerin – vereinigte SECURVITA BKK – auf Dauer und unwiderruflich das Recht zur Nutzung des Namens "S." erhalte. Im Jahr 2003 meldete die S. GmbH die Marke "H1" an und wurde diese eingetragen.

Die Klägerin schloss am 28. Juni 2004 mit der S. GmbH eine Vereinbarung über System-Dienstleistungen für das Bonusprogramm H1 (im Folgenden: Vertrag "H1").

Der Vertrag enthält keine Regelungen über seine Laufzeit und keine Regelungen über seine Beendigung. Er weist zahlreiche Positionen mit auch teilnehmerabhängigen Preisen für Einzelleistungen auf, so dass sich aus ihm ein fester geschuldeter Preis nicht entnehmen lässt. Nach Angaben der Klägerin wandte sie im Jahr 2010 einen Betrag in Höhe von 397.585,88 EUR und im Jahr 2011 in Höhe von 430.562,77 EUR für die Durchführung dieses Vertrags auf; für das Jahr 2012 seien 490.000 EUR geplant.

Das Bonusprogramm selbst war bereits vor dem hier relevanten vergaberechtlichen Streit von der Beklagten überprüft worden. Danach sei das Programm inhaltlich nicht zu kritisieren. Auch die Verfahrensweise der Klägerin, kein eigenes Bonusprogramm zu gestalten, sondern eines einzukaufen, könne zunächst nicht kritisiert werden. Für fraglich hielt die Beklagte im August 2010 jedoch, ob der Vertrag "H1" vergaberechtlich in Ordnung sei und trat in eine entsprechende Prüfung ein.

Diese Prüfung endete mit der Feststellung einer Rechtsverletzung durch Verstoß gegen das Vergaberecht und mündete in die Einleitung aufsichtsrechtlicher Maßnahmen nach § 89 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) hinsichtlich der fünf in den Senatsverfahren L 1 KR 47/11 KL bis L 1 KR 51/11 KL streitbefangenen Verträge mit dem Ziel, die Behebung der Rechtsverletzung durch umgehende Beendigung der unter Verstoß gegen das Vergaberecht zustande gekommenen Verträge zu erreichen.

Mit aufsichtsrechtlichem Beratungsschreiben der Beklagten nach § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV vom 16. November 2010 wies diese die Klägerin darauf hin, dass sie bei der Auftragsvergabe den vergaberechtlichen Bestimmungen nicht Rechnung getragen und damit das Recht verletzt habe. Die Beklagte forderte die Klägerin auf, den rechtswidrigen Zustand durch umgehende Beendigung des Vertrags zu beseitigen und die Bekanntmachung über den vergebenen Auftrag unverzüglich nachzuholen sowie die Beklagte über alle künftigen Verträge mit der S. GmbH vor Vertragsabschluss zu informieren. Die Klägerin erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 3. Dezember 2010.

Mit Antwortschreiben vom 3. Dezember 2010 nahm die Klägerin – zu diesem Beratungsschreiben und zu den in den weiteren vier parallel gelagerten Aufsichtsprüfungen – Stellung. Sie zeigte sich zunächst verwundert, dass der Vertrag zum wiederholten Male zum Gegenstand einer aufsichtsrechtlichen Beratung gemacht werde, obwohl anlässlich früherer Prüfungen nach § 274 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) die Angelegenheit von der Beklagten als erledigt angesehen worden sei. Sodann vertrat sie die Auffassung, eine Ausschreibungspflicht habe weder nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) noch nach der Verordnung über das Haushaltswesen in der Sozialversicherung (SVHV) bestanden. Es sei die Rechtslage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zugrunde zu legen. Zur Klarheit, dass gesetzliche Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB aufzufassen seien, habe aber erst das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11. Juni 2009 geführt. Zudem habe im Zeitpunkt der Vergabe der von den Vertragsparteien geschätzte Auftragswert den für eine Ausschreibungspflicht maßgeblichen Schwellenwert nicht überschritten. Auf die Anpassung und Entwicklung des Vertrages in den Folgejahren komme es insoweit nicht an. Einer Ausschreibungspflicht nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SVHV stünden schon markenrechtliche Gründe entgegen, nach denen die Klägerin sich bei der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen an die Vorgabe halten müsse, das Recht an der Marke S. nicht an Dritte zur Nutzung oder Verwendung zu übertragen. Der S. GmbH komme insoweit ein Alleinstellungsmerkmal zu. Schließlich wäre – bei Unterstellung eines Verstoßes gegen Vergaberecht – die von der Beklagten geforderte umgehende Beendigung des geschlossenen Vertrags unverhältnismäßig. Denn diese würde eine Vertragsverletzung darstellen und zu Schadenersatzansprüchen der S. GmbH führen. Dies müsse in die Wahl eines verhältnismäßigen Aufsichtsmittels einbezogen werden. Bei Annahme eines Rechtsverstoßes käme allenfalls in Betracht, von einer Vertragsverlängerung zum nächstmöglichen Zeitpunkt abzusehen.

Eine nachfolgend von der Beklagten erbetene ergänzende Stellungnahme nebst Unterlagen zur Frage des im Zeitpunkt der Auftragsvergabe geschätzten Auftragswertes legte die Klägerin nicht vor.

Durch Verpflichtungsbescheid vom 14. März 2011 verfügte die Beklagte unter Berufung auf § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV:

"1. Die SECURVITA BKK wird verpflichtet, den Vertrag zwischen der SECURVITA BKK und der S. Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte mbH vom 28. Juni 2004 über Systemdienstleistungen für das Bonusprogramm "H1" umgehend, spätestens zum 1. August 2011, zu beenden. 2. Die SECURVITA BKK wird verpflichtet, die Mitteilung über den vergebenen Auftrag gegenüber dem Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften umgehend nachzuholen."

Die Beklagte vertrat die Auffassung, es liege ein Rechtsverstoß vor, der ein aufsichtsrechtliches Einschreiten nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV zur Folge habe. Zunächst stehe dem Verpflichtungsbescheid nicht der Einwand entgegen, dass bereits aufsichtsrechtliche Prüfungen nach § 274 SGB V stattgefunden hätten. Denn die Prüfungen nach § 88 SGB IV und § 274 SGB V hätten zum einen unterschiedliche Zielrichtungen. Zum anderen sei der Vertrag noch nicht einmal Gegenstand einer Prüfung nach § 274 SGB V gewesen. Sodann sei der Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts eröffnet. Die Klägerin sei öffentliche Auftraggeberin nach § 98 Nr. 2 GWB. Sie sei eine Körperschaft des öffentlichen Rechts nach § 4 Abs. 1 SGB V, die zu dem besonderen Zweck gegründet worden sei, Aufgaben im Zusammenhang mit der Gesundheit der Bevölkerung zu erfüllen, die im Allgemeininteresse lägen und nichtgewerblicher Art seien. Zudem erfolge eine überwiegende Finanzierung durch den Staat. Die vom Europäischen Gerichtshof im Urteil vom 11. Juni 2009 für die Eigenschaft eines öffentlichen Auftraggebers genannten Kriterien seien somit erfüllt. Dieses Urteil entfalte keine konstitutive, sondern rein deklaratorische Wirkung. Mit dieser Entscheidung sei lediglich klargestellt, dass gesetzliche Krankenkassen seit jeher als öffentliche Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB zu qualifizieren seien. Eine Änderung der Rechtslage im Vergleich zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses habe sich insoweit nie ergeben. Bei dem Vertrag zwischen der Klägerin und der S. GmbH hinsichtlich der Systemdienstleistungen für das Bonusprogramm "H1" handele es sich auch um einen entgeltlichen Vertrag im Sinne von § 99 Abs. 1 GWB. Schon in Anbetracht der monatlichen Zahlungsvolumina überschreite der Netto-Auftragswert des als unbefristet einzustufenden Vertrages den zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe maßgeblichen EG-Schwellenwert von 200.000 EUR deutlich. Unterlagen, die zu einer anderen Schlussfolgerung bezüglich des Auftragswertes führen könnten, habe die Klägerin trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Die Leistungen hätten in einem förmlichen Vergabeverfahren entsprechend dem Kartellvergaberecht vergeben werden müssen. Dies sei nicht geschehen. Ebenso wenig sei eine Mitteilung über den vergebenen Auftrag an das Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften erfolgt. Die Klägerin habe zudem gegen ihre Dokumentationspflicht verstoßen. Denn es sei ein Vermerk zu fertigen gewesen, der die einzelnen Stufen des Verfahrens, die Maßnahmen, die Feststellung sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen enthält. Diese Dokumentation stelle das Kernelement einer jeden Auftragsvergabe dar. Der öffentliche Auftraggeber habe dabei ggf. auch darzulegen, dass die Voraussetzungen für eine Direktvergabe erfüllt seien. Dies ergebe sich im Übrigen auch aus den Vergabegrundsätzen der Beschaffungsrichtlinie der Klägerin vom 2. Juli 2002. Allein schon wegen der nicht erfolgten Dokumentation sei das Vergabeverfahren fehlerbehaftet. Die nachträgliche Begründung der Klägerin hinsichtlich der Direktvergabe sei darüber hinaus haltlos. Ein Alleinstellungsmerkmal der S. GmbH im vergaberechtlichen Sinne aufgrund eines Ausschließlichkeitsrechtes sei nicht erkennbar. Denn ein solches Recht müsse zwingend die Vergabe an ein bestimmtes Unternehmen erfordern. Dies sei hier nicht der Fall. Für Bonusprogramme wie im Programm "H1" gebe es einen Markt. Auch erfolge der hier relevante Internetauftritt ohnehin nicht unter dem Markennamen "S.", sondern unter der eingetragenen Marke "H1" der S. GmbH, und sei somit nach außen kein Bezug zum Markennamen "S." vorhanden.

Komme ein Versicherungsträger der vorhergehenden Beratung nach § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV über die Behebung einer Rechtsverletzung innerhalb einer angemessenen Frist nicht nach, könne ihn die Aufsichtsbehörde nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV verpflichten, die Rechtsverletzung zu beheben. Von einem aufsichtsrechtlichen Einschreiten könne hier auch unter Berücksichtigung des Opportunitätsgrundsatzes nicht abgesehen werden. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bleibe gewahrt. Die Auftragsvergabe sei nicht gemeinschaftsrechtskonform gewesen und dieser Rechtsverstoß dauere an. Erst mit der Beendigung des Vertrags, zu der die Klägerin durch diesen Bescheid verpflichtet werde, werde der rechtswidrige Zustand beseitigt. Durch den Verpflichtungsbescheid werde unter Beachtung des Gebots der Geeignetheit der angestrebte Erfolg gefördert. Der Bescheid sei zugleich erforderlich und angemessen. Die Beseitigung der Rechtsverletzung lasse sich nicht durch ein milderes Mittel erreichen. Die öffentlichen Belange seien in erheblichem Maße verletzt und das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes gehe dem Interesse der Vertragsparteien am Fortleben des Vertrags vor. Denn zum einen sei die Klägerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts verpflichtet, sich innerhalb des rechtlich vorgegebenen Rahmens zu halten. Zum anderen könne die Fortdauer eines in vergaberechtswidriger Weise zustande gekommenen Vertrags dem Vertrauen in das System der gesetzlichen Sozialversicherung einen erheblichen Schaden zufügen. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Vorsitzende des Verwaltungsrates der Klägerin zugleich Gesellschafter-Geschäftsführer des begünstigten Unternehmens sei. Wegen des Verstoßes gegen die Grundprinzipien der öffentlichen Auftragsvergabe sowie der hier gegebenen Interessenkollision des T.M. infolge seiner Doppelfunktion sei ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden zulasten der Klägerin nicht auszuschließen. Es sei nicht ersichtlich, dass der S. GmbH bei einer Beendigung des Vertrags – spätestens zum 1. August 2011 – Schadenersatzansprüche gegenüber der Klägerin zustünden. Nötig sei die umgehende Beendigung des unbefristeten Vertrags. Mit der Einräumung einer Übergangsfrist bis zum 1. August 2011 werde den Belangen der Klägerin insoweit Rechnung getragen, als sie hierdurch die Möglichkeit erhalte, ein förmliches Vergabeverfahren durchzuführen. Zugleich könne sie ihren Versicherten unterbrechungsfrei ein Bonusprogramm gewährleisten. Mit der durch den Bescheid auch verfügten Verpflichtung zur Nachholung der Mitteilung über den vergebenen Auftrag an das Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften erfülle die Klägerin lediglich ihre damals ohnehin bestehende rechtliche Verpflichtung.

Gegen diesen Verpflichtungsbescheid hat die Klägerin am 12. April 2011 Klage erhoben und sodann zunächst vorgetragen, die Verpflichtung, den Vertrag umgehend, spätestens bis zum 1. August 2011, zu beenden, sei mittlerweile auf etwas Unmögliches gerichtet, da sie dieser Verpflichtung schon wegen Zeitablaufs nicht mehr nachkommen könne. Es spreche viel dafür, dass sich das Verfahren zwischenzeitlich erledigt habe. Von ihr könne nur etwas verlangt werden, zu dem sie auch in der Lage sei. Da die im Tenor des Bescheides seinem Wortlaut nach eindeutig festgelegte Frist aber verstrichen sei, gehe die Verpflichtung ins Leere.

Unabhängig hiervon sei der Verpflichtungsbescheid rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Zwar habe es mit Blick auf den Vertrag "H1" keine Prüfung durch die Beklagte nach § 274 SGB V gegeben. Dennoch sei der Umstand, dass früher geschlossene vergleichbare Verträge (Vertrag "S.L"; Streitgegenstand im Senatsverfahren L 1 KR 49/11 KL) von der Beklagten unbeanstandet geblieben seien, rechtlich bedeutsam. Es handele sich um vergleichbare Sachverhalte. Die Klägerin habe deshalb davon ausgehen können, dass es für alle diese Verträge, also auch für den Vertrag "H1", keine Ausschreibungspflicht gegeben habe. Eine Pflicht zur öffentlichen Ausschreibung nach den Vorschriften des GWB habe aber auch nicht bestanden. Die Auffassung der Beklagten, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11. Juni 2009 habe eine rein deklaratorische Wirkung entfaltet, sei nicht nachvollziehbar. Die Rechtsprechung – so das Bayerische Oberste Landesgericht am 24. Mai 2004 – habe sich vielmehr bis in das Jahr 2004 hinein, also noch zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags "H1", auf den Standpunkt gestellt, Krankenkassen seien keine öffentlichen Auftraggeber im Sinne des GWB. Für die Klägerin habe daher kein Anlass für die Annahme bestanden, sie sei öffentliche Auftraggeberin im Sinne des GWB. Ihr könne nicht zum Vorwurf gemacht werden, sie habe sich zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses an die einschlägige obergerichtliche Rechtsprechung gehalten. Unabhängig davon handele es sich bei dem Vertrag um die Erbringung satzungsgemäßer Versicherungsleistungen im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SVHV. Bei solchen Leistungen sei eine Ausschreibung nicht erforderlich. Dem Vertrag "H1" liege § 16 der Satzung der Klägerin zugrunde, der einen Rechtsanspruch der Versicherten und eine entsprechende Verpflichtung der Klägerin begründe. Das hierdurch geförderte gesundheitsbewusste Verhalten sei als Bestandteil des Leistungskatalogs und eine Versicherungsleistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Soweit die Beklagte ihren Bescheid auch auf das Unterlassen eines Vergabevermerks gestützt habe, sei dies nicht nachvollziehbar. Denn ein Vergabevermerk setze zwangsläufig ein durchgeführtes Vergabeverfahren voraus, ein solches habe aber nicht stattgefunden. Zudem sei ein Vergabevermerk auch entbehrlich gewesen, weil die Leistung schon nicht hätte ausgeschrieben werden müssen.

Außerdem sei die Aufsichtsmaßnahme unverhältnismäßig. Die Klägerin würde schadenersatzpflichtig. Denn ausweislich des Vertrags gelte dieser ab 1. Juli 2004 auf unbestimmte Zeit. Kündigungsregelungen enthalte er nicht. Die Klägerin sei daher unverändert an den Vertrag gebunden. Dessen einseitige Beendigung stelle eine Vertragsverletzung dar, die zu Schadenersatzansprüchen der anderen Vertragspartei führe. Und selbst wenn seinerzeit eine Ausschreibungspflicht bestanden haben sollte, wäre mit dem Fehlen einer öffentlichen Ausschreibung vor rund sieben Jahren keine Verletzung öffentlicher Belange verbunden gewesen. Der Vertrag und dessen Konditionen entsprächen einer sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung. Anhaltspunkte für den von der Beklagten behaupteten erheblichen wirtschaftlichen Schaden zulasten der Klägerin seien nicht zu erkennen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 14. März 2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat im Wesentlichen erwidert, entgegen der Auffassung der Klägerin habe sich der Verpflichtungsbescheid nicht erledigt. Eine Erledigung des Verpflichtungsbescheides könne nicht dadurch bewirkt werden, dass der angeordneten Verpflichtung nicht fristgemäß nachgekommen werde. Der Verpflichtungsbescheid sei auch verhältnismäßig und die Beklagte habe ihre Rechtsaufsicht maßvoll ausgeübt. In keinem Fall habe sie die Vergaberechtskonformität des Zustandekommens der Verträge zwischen der Klägerin und der S. GmbH bis zum Jahr 2010 in irgendeiner Weise geprüft oder gegenüber der Klägerin bestätigt oder einen entsprechenden Anschein erweckt. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin habe nicht entstehen können. Die Beklagte habe die Klägerin mit dem Verpflichtungsbescheid auch weder überrumpelt noch eine unangemessene Verpflichtung ausgesprochen. Vielmehr habe sie die Klägerin in einem gestuften Verfahren durch Schreiben vom 16. November 2010 zunächst aufsichtsrechtlich beraten. Am 7. Dezember 2010 habe sodann eine Besprechung stattgefunden, in der auch die vergaberechtliche Thematik angerissen worden sei. Einem weiteren Dialog habe sich die Klägerin verweigert. Schließlich habe die Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 14. März 2011 zur Beendigung des Vertrags bis spätestens 1. August 2011 verpflichtet.

In der Sache könne sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass sie keinen Anlass gehabt habe, von ihrer Eigenschaft als öffentliche Auftraggeberin im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB auszugehen. Gesetzliche Krankenkassen erfüllten seit jeher die Tatbestandsmerkmale des § 98 Nr. 2 GWB und ihre Eigenschaft als öffentliche Auftraggeber sei nicht erst durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 11. Juni 2009 begründet worden. Schon zur Zeit der Auftragsvergabe seien Krankenkassen in den maßgeblichen Vergabekoordinierungsrichtlinien unter den öffentlichen Auftraggebern aufgelistet gewesen. Auch habe es der von der Klägerin angeführten Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts bis ins Jahr 2004 als auch darüber hinaus entgegengesetzte Entscheidungen gegeben. Die Klägerin könne sich daher nicht darauf berufen, dass nach einer herrschenden Meinung in der Rechtsprechung für gesetzliche Krankenkassen die Eigenschaft als öffentliche Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB zu verneinen gewesen sei. Zudem habe sie bereits im Jahr 2002 die Umsetzung einer Empfehlung des Prüfdienstes Krankenversicherung der Beklagten zugesagt, ihre Beschaffungsrichtlinien mit Blick auf die Bestimmungen des Kartellvergaberechts zu überarbeiten. Dazu passe nicht, dass sie davon ausgegangen sein wolle, nicht öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB zu sein. Auch der fehlende Vergabevermerk stelle einen Rechtsverstoß dar. Gerade weil die Klägerin die Leistung nach ihrer Auffassung nicht habe ausschreiben müssen, komme dem Vergabevermerk eine besondere Bedeutung zu. Es gehörten zu einer ordnungsgemäßen Dokumentation insbesondere die Schätzung des Auftragswertes sowie die Begründung für die Wahl des Vergabeverfahrens. Beide Erfordernisse seien nicht erfüllt. Eine Beendigung des Vertrags sei auch nicht mit Blick auf eventuelle Schadenersatzansprüche der S. GmbH unzumutbar. Aus Sicht der Beklagten seien Schadenersatzansprüche nicht erkennbar. Auch auf unbestimmte Zeit abgeschlossene Dauerschuldverhältnisse könnten durch Kündigung mit Wirkung für die Zukunft beendet werden. Es sei nicht verständlich, wie sich die Klägerin bei Wahrnehmung ihrer Kündigungsrechte schadenersatzpflichtig machen solle. Zudem komme auch ein Auflösungsvertrag in Betracht. Schließlich sei es unzutreffend, dass die im Vertrag "H1" vereinbarten Konditionen einer sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung entsprächen und deshalb keine öffentlichen Belange verletzt seien. Zunächst liege mangels eingeholter Vergleichsangebote der Verdacht nahe, dass die vereinbarten Konditionen für die Klägerin unwirtschaftlich seien. Sodann ziele das Vergaberecht nicht nur auf günstige Konditionen für den öffentlichen Auftraggeber, vielmehr diene es auch dem Schutz konkurrierender Mitbieter und der Verhinderung unlauterer Machenschaften. Entsprechende Gefahren lägen bei einem auftragnehmenden Unternehmen, dessen vertretungsberechtigter Geschäftsführer zugleich Vorsitzender des Verwaltungsrats des Auftraggebers sei, besonders nahe. Die Klägerin habe daher durch die Nichtanwendung des Vergaberechts die öffentlichen Belange in besonderer Weise verletzt.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Akte der Beklagten sowie der ausweislich der Sitzungsniederschrift beigezogenen Akten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage vor dem Landessozialgericht ist statthaft und form- und fristgerecht erhoben. Es handelt sich um eine Aufsichtsangelegenheit (§ 29 Abs. 2 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG); das Landessozialgericht ist erstinstanzlich zuständig. Die Anfechtung des Verpflichtungsbescheides ist als Aufsichtsklage nach § 54 Abs. 3 SGG zulässig. Danach kann eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, dass die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite. Dies ist hier der Fall, denn die Klägerin bestreitet die Rechtmäßigkeit des Verpflichtungsbescheides. Der vorherigen Durchführung eines Vorverfahrens bedurfte es nicht (§ 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGG).

Die Aufsichtsklage ist auch begründet.

Zwar ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht bereits eine Erledigung des Verpflichtungsbescheides durch Zeitablauf eingetreten. Dem Bescheid ist bei sachgerechter Auslegung von Verfügungssatz und Begründung nach wie vor die Anordnung zu entnehmen, den streitbefangenen Vertrag umgehend zu beenden. Ersichtlich hängt diese Verpflichtung in ihrem Bestand nicht von der im Verfügungssatz des Bescheides auch formulierten Frist für ihre Erfüllung ab. Es ist auch nicht etwa unbestimmt, was nach Ablauf der Frist von der Klägerin verlangt wird: Sie soll den Vertrag schlicht umgehend beenden.

Rechtsgrundlage des Verpflichtungsbescheides ist § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. § 89 Abs. 1 SGB IV, der die Aufsichtsmittel regelt, sieht ein gestuftes Verfahren vor. Satz 1 regelt die aufsichtsrechtliche Beratung: Wird durch das Handeln oder Unterlassen eines Versicherungsträgers das Recht verletzt, soll die Aufsichtsbehörde zunächst beratend darauf hinwirken, dass der Versicherungsträger die Rechtsverletzung behebt. Satz 2 regelt hieran anschließend die aufsichtsrechtliche Verpflichtung: Kommt der Versicherungsträger dem innerhalb angemessener Frist nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde den Versicherungsträger verpflichten, die Rechtsverletzung zu beheben. Satz 3 bis 5 regeln die Durchsetzung der Verpflichtung im Wege des Verwaltungszwangs.

Eine vorherige Beratung im Sinne des § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat hier stattgefunden. Die Beratung muss sich an das Organ des Versicherungsträgers richten, welches die angenommene Rechtsverletzung zu verantworten hat (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 40). Dieses ist hier zu Recht der Vorstand, weil dieser die Krankenkasse verwaltet und sie gerichtlich und außergerichtlich vertritt (§ 35a Abs. 1 Satz 1 SGB IV).

Die Beratung erfordert eine Darlegung der dem Versicherungsträger möglichen Maßnahmen, mit welchen er in rechtlich zulässiger Weise die nach Meinung der Aufsichtsbehörde vorliegende Rechtsverletzung beheben kann (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 43). Aus ihrer Verpflichtung zu kooperativem Verhalten gegenüber dem Versicherungsträger als Selbstverwaltungskörperschaft folgt, dass die Aufsichtsbehörde im Zusammenwirken mit dem Versicherungsträger und nicht gegen ihn nach einer sachgerechten und dem Gesetz entsprechenden Lösung etwaiger Rechtskonflikte suchen muss (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 47). Allerdings besteht angesichts der grundsätzlichen Beschränkung auf eine Rechtsaufsicht keine Verpflichtung der Aufsichtsbehörde zu einer fachlich versierten Beratung (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 48).

Hier hat sich die Beratung durch die Beklagte auf nur eine Maßnahme beschränkt. Doch ist dies an dieser Stelle nicht zu beanstanden; denn wenn die Beklagte den Rechtsverstoß im Vertragsschluss unter Verstoß gegen das Vergaberecht sieht, ist die Beendigung des Vertrags das im Beratungsverfahren anzukündigende Aufsichtsmittel der Wahl zur Beendigung eines angenommenen nach wie vor vergaberechtswidrigen Zustands.

Der im aufsichtsrechtlichen Beratungsschreiben der Beklagten vom 16. November 2010 ausgesprochenen Aufforderung, den im Schreiben dargestellten und nach Meinung der Beklagten rechtswidrigen Zustand durch umgehende Beendigung des Vertrags zu beseitigen, kam die Klägerin nicht nach. Zwar lässt sich durchaus zweifeln, ob ihr die Beklagte hierfür eine angemessene Frist gesetzt hatte, innerhalb der die Klägerin der Aufforderung nicht nachkam. Doch verband die Beklagte die Aufforderung zur umgehenden Beendigung des Vertrags damit, sie sehe der Mitteilung des Veranlassten bis zum 3. Dezember 2010 entgegen. Und die Klägerin machte mit ihrem Antwortschreiben vom 3. Dezember 2010 deutlich, dass sie der Aufforderung nicht nachkommen werde. Eines weitergehenden Schutzes durch eine angemessene Fristbestimmung schon im Beratungsverfahren bedurfte sie danach nicht, zumal die Beklagte den an die Beratung anschließenden Verpflichtungsbescheid erst am 14. März 2011 erließ.

Der Verpflichtungsbescheid nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV setzt eine Rechtsverletzung durch ein Handeln oder Unterlassen der Klägerin voraus. Der Begriff des Rechts zielt hier auf die Beachtung von Gesetz und sonstigem Recht, das für die Versicherungsträger maßgebend ist (§ 87 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Eine Rechtsverletzung liegt dann vor, wenn der Versicherungsträger gegen zwingende Vorschriften in für ihn maßgeblichen Gesetzen oder sonstigem Recht verstoßen hat, diese also falsch angewandt oder nicht beachtet hat (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 17).

Diese Rechtsverletzung liegt nicht in der vertraglichen Regelung über die Durchführung des Bonusprogramms der Klägerin durch die S. GmbH ohne Vergabeverfahren nach dem GWB. Eine Rechtsverletzung setzte voraus, dass die konkrete Vergabe zunächst überhaupt dem Vergaberecht unterlag. Schon das lag im Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 28. Juni 2004 keineswegs auf der Hand.

Die Anwendung des Vergaberechts nach dem GWB auf gesetzliche Krankenkassen war vielmehr zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend geklärt. Den persönlichen Anwendungsbereich regelt § 98 GWB. Einschlägig war § 98 Nr. 2 GWB, denn in Nr. 1 waren Gebietskörperschaften sowie deren Sondervermögen, in Nr. 3 Verbände, deren Mitglieder unter Nr. 1 oder 2 fallen und in Nr. 4 bis 6 bestimmte natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts erfasst. In der vom 1. Januar 1999 bis 12. Juli 2005 geltenden Fassung regelte § 98 Nr. 2 GWB, dass öffentliche Auftraggeber sind "andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, wenn Stellen, die unter Nummer 1 oder 3 fallen, sie einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt haben. Das gleiche gilt dann, wenn die Stelle, die einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt oder die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs bestimmt hat, unter Satz 1 fällt". Während weithin übereinstimmend angenommen worden war, dass gesetzliche Krankenkassen juristische Personen des öffentlichen Rechts sind, die im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllen, bestand im vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt und auch noch danach in Rechtsprechung und Literatur Streit über die Frage der staatlichen Beherrschung in Form der überwiegenden Finanzierung, Aufsicht oder Ernennung der Leitungs-, Aufsichts- oder Verwaltungsgremien.

Die Frage der Anwendbarkeit des nationalen Vergaberechts (§§ 97 bis 101 GWB) auf den Abschluss von leistungserbringenden Verträgen im Sozialrecht gehörte ohnehin zu den umstrittensten Fragen im Grenzbereich von Sozial- und Wettbewerbsrecht (so Kunze/Kreikebohm, NZS 2003, 5, 7). Fraglich war insbesondere, ob Krankenkassen angesichts des relativ geringen Staatseinflusses öffentliche Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB sind (vgl. zur kontroversen Diskussion Becker/Kingreen, in: dies., SGB V, 1. Aufl. 2008, § 69 Rn. 45; 2. Aufl. 2010, § 69 Rn. 46; 3. Aufl. 2012, § 69 Rn. 53). Auch der Gesetzgeber schwankte in seinen Antworten, wie die wechselvolle Geschichte des § 69 SGB V belegt (zu dessen Änderungen insbesondere durch das GKV-OrgWG vom 15. Dezember 2008 und das AMNOG vom 22. Dezember 2010 vgl. Hess, in: Kasseler Kommentar, § 69 SGB V Rn. 10a ff.).

Noch im Jahr 2004 hatte der Vergabesenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts in seinem vielbeachteten Beschluss vom 24. Mai 2004 (Verg 6/04, NZS 2005, 26) in einem Eilverfahren entschieden, die AOK Bayern sei keine öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB. Denn sie werde als juristische Person nicht durch eine Stelle, welche unter § 98 Nr. 1 GWB oder § 98 Nr. 3 GWB falle, durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanziert. Die Finanzierung erfolge vielmehr durch Beiträge der Solidargemeinschaft und sonstige Einnahmen. Es übten auch keine Stellen, die unter § 98 Nr. 1 GWB oder § 98 Nr. 3 GWB fallen, die Aufsicht über die Leitung der AOK aus. Zwar unterstehe sie staatlicher Aufsicht, doch erstrecke sich diese auf die Beachtung von Recht und Gesetz. Die bloße Rechtsaufsicht sei jedoch keine Aufsicht im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB, denn durch sie könne kein Einfluss auf die Zweckmäßigkeit unternehmerischer und wirtschaftlicher Entscheidungen genommen werden. Staatliche Stellen hätten auch nicht mehr als die Hälfte der Mitglieder eines der zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt. Anderes folge auch nicht aus europarechtlichen Regelungen, die keine konstitutive Zuordnung der gesetzlichen Krankenkassen zu den auf das Vergaberecht verpflichteten öffentlichen Auftraggebern enthielten.

Diese Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat Widerspruch gefunden (Wollenschläger, NZBau 2005, 655; Byok/Jansen, NVwZ 2005, 53; Gabriel, NZS 2007, 344, 345 ff.). Diese Entscheidung und die in ihr vertretene Rechtsmeinung ist aber ein Faktum, das für die Auffassung der Klägerin streitet, es sei keineswegs unumstritten gewesen, dass gesetzliche Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 GWB anzusehen seien. Das Bayerische Oberste Landesgericht nahm zudem durchaus auf gegenteilige Rechtsprechung Bezug (insbesondere 1. Vergabekammer des Bundes 5.9.2001 – VK 1-23/01, juris), wies aber darauf hin, soweit in dieser teilweise die Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber angesehen worden seien, sei das Problem der bloßen Rechtsaufsicht nicht angesprochen worden. Auch in der die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts besprechenden Literatur ist anerkannt worden, dass eine rechtskräftige und damit verbindliche obergerichtliche Hauptsacheentscheidung über die Auftraggebereigenschaft gesetzlicher Krankenkassen noch nicht vorliege (Byok/Jansen, NVwZ 2005, 53, 56) und Klarheit erst die weitere Rechtsentwicklung bringen werde (Gaßner/Braun, NZS 2005, 28, 31). Und noch 2007 ist in der einschlägigen kartell- und vergaberechtlichen Literatur formuliert worden, dass strittig sei, ob Krankenkassen überhaupt öffentliche Auftraggeber bilden könnten (Frenz, NZS 2007, 233, 235; erst 2010 hielt dieser diese Frage europarechtlich für geklärt in Frenz, NVwZ 2010, 609, 611).

Gegen diesen Befund hilft der Hinweis der Beklagten zur Begründung ihrer Auffassung, die Anwendung des Vergaberechts auf Krankenkassen sei immer klar gewesen, auf europarechtliche Regelungen nicht weiter. Denn die Voraussetzungen des § 98 Nr. 2 GWB sind zwar im Lichte des Europarechts auszulegen, dessen Umsetzung sie dienen. Doch folgte auch hieraus nicht für den hier streitbefangenen Vertrag im Jahr 2004 die fraglose Anwendung des Vergaberechts. Denn zwar waren Krankenkassen zunächst durch die Baukoordinierungsrichtlinie (Anhang I zu Art. 1 lit. b der RL 93/37/EWG vom 14. Juni 1993) sowie später durch die Vergabekoordinierungsrichtlinie (Anhang III zu Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 der RL 2004/18/EG vom 31. März 2004) den juristischen Personen des öffentlichen Rechts zugeordnet, auf die diese Richtlinien Anwendung finden. Doch galt diese Zuordnung jeweils nicht konstitutiv, sondern nur, wenn im Einzelfall alle qualifizierenden Voraussetzungen des § 98 Nr. 2 GWB tatsächlich erfüllt sind (vgl. Marx, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, Beck’scher VOB-Kommentar, 2002, § 98 GWB Rn. 8; Wollenschläger, NZBau 2004, 655, 656; Byok/Jansen, NVwZ 2005, 53, 54; Dreher, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 98 Rn. 143; Klöck, NZS 2008, 178, 179). Über diese aber bestand im Jahr 2004 auch in Ansehung der europarechtlichen Regelungen, die eine explizite konstitutive Zuordnung der gesetzlichen Krankenkassen zu den vergaberechtlich Verpflichteten eben nicht enthielten, Streit und lag zudem eine Klärung dieser Frage durch den EuGH noch nicht vor. Auch dieser hat zudem deutlich gemacht, dass allein die Nennung einer bestimmten Einrichtung in dem Verzeichnis der RL 2004/18/EG nicht genügt, vielmehr zu prüfen ist, ob diese Nennung eine zutreffende Anwendung der in der Richtlinie festgelegten materiellen Kriterien erkennen lässt (so EuGH 11.6.2009 – C 300/07, EuGHE 2009, I-4779); diese Kriterien sind in § 98 Nr. 2 GWB übernommen. Nur auf diese offene Rechtslage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses kommt es im vorliegenden Zusammenhang an und nicht darauf, ob die Klägerin nicht auch schon im Jahr 2004 alles hätte anders sehen und ein Vergabeverfahren durchführen können.

Durch Beschluss erst vom 23. Mai 2007 legte der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf dem Europäischen Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren Fragen zur Auslegung der RL 2004/18/EG und hier zur Anwendbarkeit des Vergaberechts auf Verträge deutscher gesetzlicher Krankenkassen vor (VII-Verg 50/06, NZBau 2007, 525). In den Gründen ist ausgeführt: "In Literatur und Rechtsprechung ist umstritten, ob gesetzliche Krankenkassen trotz ihrer Benennung in Anhang III der Richtlinie unter III. Kategorie 1.1 als ‚Einrichtung des öffentlichen Rechts‘ im Sinne der Richtlinie bzw. als ‚öffentlicher Auftraggeber‘ im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB anzusehen sind." Diese Vorlage macht mit ihren Belegen zur "kontroversen Diskussion in Deutschland" deutlich, dass im Zeitpunkt des Beschlusses im Jahr 2007 eben noch nicht unumstritten, sondern vielmehr klärungsbedürftig war, ob gesetzliche Krankenkassen bei Anwendung des europäischen Vergaberechts als öffentliche Auftraggeber anzusehen sind. Dies unterstreicht auch eine Besprechung dieses Vorlagebeschlusses, in der davon die Rede ist, dass "derzeit" die Anwendbarkeit des europäischen bzw. nationalen Vergaberechts auf den Bereich des selektiven Kontrahierens der gesetzlichen Krankenkassen von den nationalen Gerichten höchst unterschiedlich bewertet werde, weshalb die Auslegung des Begriffs "öffentlicher Auftraggeber" durch den Europäischen Gerichtshof in Bezug auf die Besonderheiten der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland mit Spannung zu erwarten sei (Becker, jurisPR-SozR 7/2008 Anm. 1). An anderer Stelle ist davon die Rede, dass das dritte Tatbestandsmerkmal des § 98 Nr. 2 GWB, die hinreichende Staatsnähe, kontrovers diskutiert werde und das Oberlandesgericht Düsseldorf aus diesem Grunde diese Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt habe (Goodarzi/Schmid, NZS 2008, 518, 521).

Der Europäische Gerichtshof antwortete auf die Vorlage durch Urteil vom 11. Juni 2009 (C-300/07, EuGHE 2009, I-4779), dass Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c erster Fall der RL 2004/18/EG dahin auszulegen ist, "dass eine überwiegende Finanzierung durch den Staat vorliegt, wenn die Tätigkeiten der gesetzlichen Krankenkassen hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge finanziert werden, die nach öffentlich-rechtlichen Regeln, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, auferlegt, berechnet und erhoben werden. Derartige Krankenkassen sind für die Anwendung der Vorschriften dieser Richtlinie als Einrichtungen des öffentlichen Rechts und damit als öffentliche Auftraggeber anzusehen." Eine Finanzierung eines öffentlichen Krankenversicherungssystems, die durch einen staatlichen Akt eingeführt worden sei, in der Praxis durch die Träger der öffentlichen Gewalt garantiert werde und durch eine öffentlich-rechtlichen Vorschriften unterliegende Art der Erhebung der sich hierauf beziehenden Beiträge sichergestellt werde, erfülle daher die Voraussetzung der überwiegenden Finanzierung durch den Staat für die Anwendung der Gemeinschaftsrechtsvorschriften auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge.

In Besprechungen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist davon die Rede, mit seiner Antwort auf die zuvor sehr umstrittene Frage, ob der Einfluss der Staats auf die Krankenkassen groß genug sei, um deren Auftraggebereigenschaft zu begründen, gelange eine seit Jahren intensiv geführte Debatte zu einem allerdings nur vorläufigen Abschluss (Kingreen, NJW 2009, 2417, 2418). Es sei lange umstritten und kontrovers diskutiert worden, ob der Einfluss des Staats groß genug sei, um das Merkmal der überwiegenden staatlichen Finanzierung in Bezug auf gesetzliche Krankenkassen zu bejahen; diesen Streit habe der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 11. Juni 2009 nunmehr beigelegt (Baumeister/Struß, NZS 2010, 247, 248).

Zwar hat sich somit durch die Rechtsprechungsentwicklung nach und nach verdeutlicht, dass das Vergaberecht auch auf gesetzliche Krankenkassen Anwendung findet. Ihren Abschluss gefunden hat diese Rechtsentwicklung aber erst durch den Europäischen Gerichtshof im Jahr 2009. Eine von der Klägerin als maßgebendes Recht zu beachtende höchstrichterliche Rechtsprechung, die die Rechtsfrage der Anwendung des Vergaberechts auf Krankenkassen in eindeutiger Weise beantwortet (vgl. zu diesem Maßstab BSG 22.3.2005 – B 1 A 1/03 R, SozR 4-2400 § 89 Nr. 3), lag erst mit dieser Entscheidung vor (auch Brandts/Wirth/Held, Haushaltsrecht der Sozialversicherung, § 22 SVHV Rn. 32, sehen die Entscheidung des BayObLG aus 2004 erst mit der Entscheidung des EuGH aus 2009 überholt).

Dies hat Folgen für die Frage, ob eine Rechtsverletzung vorliegt. Soweit es um den Abschluss des hier streitbefangenen Vertrags im Jahr 2004 als abgeschlossenen Vorgang in der Vergangenheit geht, kommt eine Aufsichtsmaßnahme schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin bei Vertragsschluss nur das seinerzeit geltende Recht bzw. das, was sie vertretbar für dieses halten durfte, zugrunde zu legen hatte. Es fehlt somit schon an einer Rechtsverletzung (vgl. Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 58). Denn diese liegt nicht vor, wenn die Aufsichtsbehörde zwar eine andere Rechtsauffassung vertritt, die Rechtsanwendung durch den Versicherungsträger jedoch zumindest vertretbar ist, denn § 89 SGB IV setzt voraus, dass die Rechtsverletzung positiv feststeht. Trotz der wie gezeigt im Zeitpunkt des Vertragsschlusses keineswegs als geklärt anzusehenden rechtlichen Ausgangslage zur Anwendbarkeit des Vergaberechts auf Krankenkassen hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid jedoch die Verpflichtung der Klägerin zur Behebung der von ihr angenommenen Rechtsverletzung durch umgehende Beendigung des Vertrags verfügt. Unter dem Blickwinkel der Selbstverwaltung ist es einer Aufsichtsbehörde aber verwehrt, ihre Rechtsauffassung an die Stelle derjenigen der beaufsichtigten Körperschaft zu setzen, sofern Rechtsfragen zum Anlass einer Beanstandung genommen werden, die bislang weder das Gesetz noch die Rechtsprechung in eindeutiger Weise beantwortet haben. Ein rechtmäßiges aufsichtsbehördliches Einschreiten erfordert daher, dass die Aufsichtsbehörde zu Recht davon ausgehen durfte, dass die Körperschaft mit ihrem Handeln Rechtsverstöße begangen hat. Insoweit steht der Aufsichtsbehörde kein Einschätzungsspielraum zu (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 20).

Doch gilt der streitbefangene Vertrag noch und wird durchgeführt. Insoweit liegt ein abgeschlossener Vorgang in der Vergangenheit nicht vor. Auch zielt die aufsichtsrechtliche Verpflichtung nicht auf eine Umgestaltung der Vergangenheit, sondern auf eine Änderung für die Zukunft. Zu fragen ist aber, ob die schlichte Weitergeltung eines Vertrags einen Vergaberechtsverstoß zu begründen vermag, der in seinem Abschluss nicht zu sehen ist, weil sich die Nichtanwendung des Vergaberechts im Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Bereich des rechtlich noch Vertretbaren bewegt. Ob spätere Rechtsänderungen, die ein ursprünglich rechtmäßiges Verwaltungshandeln des Versicherungsträgers rechtswidrig werden lassen, eine Rechtsverletzung begründen, die zu einem aufsichtsbehördlichen Einschreiten berechtigt, ist eine von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang offen gelassene Frage (vgl. Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 58 f.). Allenfalls insoweit aber, mit Blick auf die Weitergeltung des Vertrags nach Klärung der vergaberechtlichen Rechtslage, ließe sich hier überhaupt eine Rechtsverletzung annehmen, die den Weg zur weiteren Prüfung der Rechtmäßigkeit des Verpflichtungsbescheides ebnet. Denn dieser ist nicht schon dann rechtmäßig, wenn die Auftragsvergabe rechtswidrig war oder das Festhalten am Vertrag rechtswidrig ist. Weitere Rechtmäßigkeitsanforderungen kommen vielmehr hinzu.

Da es sich bei der aufsichtsrechtlichen Verpflichtung zur Behebung einer Rechtsverletzung, lägen deren tatbestandliche Voraussetzungen vor, um eine Ermessensentscheidung handelt, müssen sowohl das Entschließungsermessen als auch das Auswahlermessen durch die Beklagte rechtmäßig ausgeübt worden sein (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 61 f.). Spätestens hier kämen nicht nur die rechtlichen Zweifel an der Anwendbarkeit des Vergaberechts im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zum Austrag. Denn die Aufsichtsbehörde ist bei zweifelhaften oder schon länger zurückliegenden Rechtsverstößen nicht unbedingt zum Einschreiten verpflichtet (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 87 Rn. 32, § 89 Rn. 64). Jedenfalls an der Voraussetzung der Ermessensgerechtigkeit und an dem von ihr insbesondere mit umfassten Erfordernis der Verhältnismäßigkeit scheitert auch die an die Weitergeltung des Vertrags anknüpfende Verpflichtungsanordnung der Beklagten.

Die Aufsichtsbehörde hat bei der Wahrnehmung ihrer Befugnisse den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 87 Rn. 35). Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist unter anderem die Zurückhaltung bei ungeklärten Fragen (vgl. Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 87 Rn. 36). In engem Zusammenhang hiermit steht der aus dem Selbstverwaltungsrecht (§ 29 SGB IV) abgeleitete Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht gegenüber Selbstverwaltungskörperschaften, der es gebietet, der beaufsichtigten Behörde einen gewissen Bewertungsspielraum zu belassen, sofern sich ihr Handeln oder Unterlassen im Bereich des rechtlich noch Vertretbaren bewegt. Bei unterschiedlichen Auffassungen zwischen Versicherungsträger und Aufsichtsbehörde ist im Zweifel zugunsten des Versicherungsträgers zu entscheiden (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 87 Rn. 41, § 89 Rn. 21, 25).

Gemessen hieran ist der Verpflichtungsbescheid unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft. Er verletzt das Gebot aufsichtsrechtlicher Zurückhaltung. Zum einen war nicht nur die Rechtslage zur Anwendung des Vergaberechts im Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Jahr 2004 nicht in der Weise eindeutig und geklärt, wie es nach Meinung der Beklagten nach deren Ausführungen im Verpflichtungsbescheid der Fall gewesen sein soll. Es ist zum anderen auch offen, ob die spätere Klärung der Rechtslage überhaupt zum aufsichtsbehördlichen Einschreiten berechtigt. Zudem lag im Zeitpunkt des Verpflichtungsbescheides der Vertragsschluss bereits fast sieben Jahre zurück, was die Aufforderung zur umgehenden Beendigung des Vertrags auch nicht angemessener macht. Hinzu kommt, dass die Beklagte ungeachtet seiner Entstehungsbedingungen inhaltliche Bedenken gegen den Vertrag, die eine Rechtsverletzung durch den Vertrag selbst und eine hieran anschließende aufsichtsrechtliche Verpflichtung zur umgehenden Vertragsbeendigung zu begründen vermöchten, nicht formuliert hat.

In dieser Situation ist es nicht die Aufgabe der Aufsichtsbehörde, mittels des Aufsichtsrechts in unabgeschlossene Angelegenheiten einzugreifen. Vielmehr obliegt es dem Gesetzgeber, sich der nachträglichen Durchsetzung des Vergaberechts bei Altverträgen anzunehmen. Dass er sich der Aufgabe, das Vergaberecht durch Regelungen über die Unwirksamkeit von Verträgen durchzusetzen, durchaus annimmt, illustriert § 101b GWB, der in Umsetzung europarechtlicher Vorgaben unter näheren – hier nicht vorliegenden – Voraussetzungen den Grundsatz der Bestandskraft von Verträgen durchbricht (dazu Braun, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2011, § 101b GWB Rn. 3, 4 ff.). Diese Rechtsentwicklung aber fand erst Ende 2007 mit der Rechtsmittelrichtlinie (RL 2007/66/EG vom 11. Dezember 2007) und dem seit 24. April 2009 geltenden § 101b GWB ihren Abschluss. Auch im Bereich des SGB V ist erst spät mit der Regelung von Unwirksamkeitsfolgen auf Verstöße gegen das Vergaberecht reagiert worden. Art. 12b Nr. 5 des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2192) hat dem § 130a Abs. 8 SGB V mit Wirkung vom 26. Oktober 2012 die Regelung angefügt, dass Rabattverträge für Arzneimittel zwischen gesetzlichen Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmern, die unter Verstoß gegen das Vergaberecht abgeschlossen wurden, sechs Monate nach Inkrafttreten dieses Gesetzes enden und so mit Ablauf des 30. April 2013 unwirksam werden. Die Begründung des Gesetzgebers hebt insoweit maßgeblich auf Spezifika der Rabattverträge ab (BT-Drucks. 17/10156, S. 95 f. – zu Art. 12b – neu – Nr. 5), die sich auf die hier streitbefangene Direktvergabe aus dem Jahr 2004 nicht übertragen lassen.

Dieses Eingreifen des Gesetzgebers zeigt zugleich, dass es im Übrigen bei geschlossenen Verträgen sein Bewenden haben soll. Das gilt auch für den vorliegend streitbefangenen Vertrag. Es überschreitet das Aufsichtsrecht der Beklagten, einen von einer Krankenkasse geschlossenen Vertrag nach Vertragsschluss als vergaberechtswidrig geworden anzusehen, die Rechtsverletzung in dessen Aufrechterhaltung zu sehen und hierauf mit der Verpflichtung zur Vertragsbeendigung für die Zukunft zu reagieren.

Soweit der Bescheid der Beklagten seinen eigentlichen Anlass ohnehin weniger in der Durchsetzung des Vergaberechts als in der besonderen – und durchaus auch unguten – Gemengelage hat, die das Verhältnis zwischen der Klägerin und der S. GmbH prägt und die in den verschiedenen Rollen des T.M. ihren Ausdruck findet, rechtfertigt auch diese Gesamtschau nicht den hier angefochtenen einzelnen Verpflichtungsbescheid.

Eine andere Bewertung ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht daraus, dass die Klägerin sich unter dem 2. Juli 2002 eine Beschaffungsrichtlinie gegeben hat. Denn sie knüpft nicht an das Vergaberecht nach GWB bzw. Europarecht an und anerkennt so dessen Geltung, sondern sie knüpft an die haushaltsrechtliche Ausschreibung nach der SVHV an und erfüllt die dortige Vorgabe des § 22 Abs. 2 SVHV. Unzutreffend ist zudem der Vortrag der Beklagten, die Klägerin habe auf eine Empfehlung des Prüfdienstes der Beklagten im Jahr 2002 zugesagt, ihre Beschaffungsrichtlinien mit Blick auf die Bestimmungen des Kartellvergaberechts zu überarbeiten. Empfohlen und zugesagt worden war eine Überarbeitung mit Blick auf die Verdingungsordnung für Leistungen / Allgemeine Bestimmungen über die Vergabe von Leistungen (VOL/A), auf deren Anwendung aber schon § 22 Abs. 2 SVHV hinweist, ohne damit die Geltung von Kartellvergaberecht zu implizieren. Empfohlen worden war vom Prüfdienst auch eine Ergänzung der Beschaffungsrichtlinien dahin, bei einem geschätzten Auftragswert von 200.000 EUR bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen ein EU-weites Ausschreibungsverfahren durchzuführen; die näheren Einzelheiten des Verfahrens seien in §§ 97 ff. GWB sowie im Abschnitt 2 der VOL/A geregelt. Die Klägerin erklärte auch insoweit, sie werde die Beschaffungsrichtlinien entsprechend den Empfehlungen überarbeiten. Eine grundsätzliche Anerkennung, öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB zu sein, ist darin nicht zu erkennen, ging es doch nur um einzelne Empfehlungen in Anlehnung an das Vergaberecht.

Offen kann bleiben, ob für die Klägerin eine Pflicht zur Dokumentation, dass und warum kein Vergabeverfahren durchgeführt worden ist, bestanden hat. Denn allein ein Verstoß gegen eine Dokumentationspflicht rechtfertigte ohnehin nicht die aufsichtsrechtlich verfügte Verpflichtung zur Vertragsbeendigung. Dies wäre offenkundig unverhältnismäßig.

Unverhältnismäßig und rechtswidrig ist nach dem Vorstehenden auch die im angefochtenen Bescheid noch verfügte Pflicht zur umgehenden Nachholung der Mitteilung über den vergebenen Auftrag an das Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften. Denn wenn schon keineswegs gewiss war und ist, ob der Vertragsschluss im Jahr 2004 dem Vergaberecht unterlag und ihm eine förmliche Ausschreibung hätte vorausgehen müssen, kommt auch eine entsprechende nachholende Mitteilung nicht in Betracht, die ihre Grundlage allein im Vergaberecht hat.

Zu erwägen ist noch, ob der Verpflichtungsbescheid deshalb rechtmäßig ist, weil die Klägerin zwar nicht gegen das Vergaberecht verstoßen hat bzw. eine hierauf gestützte aufsichtsrechtliche Verpflichtung ermessenfehlerhaft ist, sie aber gegen die haushaltsrechtliche Ausschreibungspflicht verstoßen hat und die aufsichtsrechtliche Verpflichtung hierauf gestützt werden könnte (was die Beklagte nicht getan hat).

Eine haushaltsrechtliche Ausschreibungspflicht findet sich in § 22 Abs. 1 SVHV. Sie lehnt sich an § 55 der Bundeshaushaltsordnung (BHO) an. Sie findet Anwendung auch bei Verträgen oberhalb der Vergabeschwelle (vgl. Pache, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 2011, § 55 BHO Rn. 105 ff.; a. A. Brandts/Wirth/Held, Haushaltsrecht der Sozialversicherung, § 22 SVHV Rn. 19).

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SVHV muss (zuvor: soll, geändert durch 1. SVHV-ÄndV vom 30. Oktober 2000) dem Abschluss von Verträgen über Lieferungen und Leistungen mit Ausnahme der Verträge, die der Erbringung gesetzlicher oder satzungsmäßiger Versicherungsleistungen dienen, eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen. Hiervon kann nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SVHV abgesehen werden, sofern die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände dies rechtfertigen. Diese haushaltsrechtliche Ausschreibungspflicht findet danach insbesondere auf Lieferungen und Leistungen Anwendung, die für den Verwaltungsapparat der gesetzlichen Krankenkassen erforderlich sind. Hierzu zählen Beschaffungsvorgänge hinsichtlich Büroausstattung, EDV, Bau- und Sanierungsaufträge hinsichtlich der Verwaltungsgebäude sowie sonstige im Zusammenhang mit der Verwaltung erforderlich werdende Beschaffungsvorgänge (Boldt, NJW 2005, 3757). Die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände lassen eine Ausnahme annehmen, wenn die Eigenart des auszuschreibenden Leistungsgegenstandes keine Ausschreibung zuließe (Kunze/Kreikebohm, NZS 2003, 5, 11).

Hiernach bestand vorliegend keine haushaltsrechtliche Ausschreibungspflicht. Denn das Bonusprogramm nach § 65a SGB V und § 16 der Satzung der Klägerin dient der Erbringung gesetzlicher oder satzungsmäßiger Versicherungsleistungen und es hat der Gesetzgeber für diese eine eigene Ausschreibungspflicht – wie in § 73b Abs. 4 Satz 5, § 73c Abs. 3 Satz 3 oder § 127 Abs. 1 SGB V – nicht geregelt (vgl. Brandt/Wirth/Held, Haushaltsrecht der Sozialversicherung, § 22 SVHV Rn. 6). Auch ist das Abwickeln eines krankenversicherungsrechtlichen Bonusprogramms seiner Eigenart nach doch weit vom Leitbild eines verwaltungsbezogenen Beschaffungsvorgangs entfernt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung. Die Befreiung der Beklagten von der Tragung von Gerichtskosten folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes.

Die Revision war zulassen.
Rechtskraft
Aus
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