L 1 KR 132/11 KL

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 132/11 KL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 7. Oktober 2011 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der seine Kosten selbst trägt. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist die Rechtmäßigkeit eines aufsichtsrechtlichen Verpflichtungsbescheides.

Die klagende SECURVITA BKK ist eine bundesunmittelbare und für Betriebsfremde geöffnete Betriebskrankenkasse mit Sitz in H ... Sie geht als Betriebskrankenkasse zurück auf die S. Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte mbH (im Folgenden: S. GmbH), die Teil der 1984 von Herrn T.M. – dem Beigeladenen – gegründeten Unternehmensgruppe S. Holding AG ist. Zur S. Holding AG gehören neben der S. GmbH die S. Finanzdienstleistungen GmbH und die S. Versicherungsmakler GmbH. Die S. GmbH, deren Alleingesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Beigeladene war und ist, ist das Satzungs- bzw. Trägerunternehmen der 1996 gegründeten Klägerin, deren Verwaltungsratsvorsitzender der Beigeladene auch war und ist. Mit der S. GmbH schloss die klagende Krankenkasse zahlreiche Verträge; fünf davon sind Streitgegenstand in den Senatsverfahren L 1 KR 47/11 KL bis L 1 KR 51/11 KL.

Die Klägerin mietete im Dezember 2002 – Mietvertrag über ein noch zu erstellendes Bürogebäude; neuer Mietvertrag im Dezember 2004 mit Nachträgen – in H. am L. Flächen von der L1 (im Folgenden: L1 GmbH), in die sie im Februar 2007 einzog. Die Gesamtfläche betrug 12.960 qm. Das Nutzungskonzept sah 8.500 qm Eigennutzungsfläche vor (einschließlich 1.000 qm Reserve), 1.000 qm Büroflächennutzung durch die S. GmbH, 260 qm für die Schanzenbäckerei und 3.200 qm für ein Gesundheitszentrum.

Die L1 GmbH war erst kurz vor diesem Mietvertragsabschluss mit der Klägerin im September 2002 gegründet worden. Ihr Stammkapital in Höhe von je 50.000 EUR wurde zunächst von der S. GmbH und der H1 GmbH gehalten. Alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der L1 GmbH war bis Dezember 2004 der Beigeladene. Die L1 GmbH kaufte nach dem Mietvertragsabschluss mit der Klägerin im November 2004 von der Freien und Hansestadt Hamburg das unbebaute Grundstück L2 zur Bebauung für betriebliche Zwecke der Firma S ...

Die S. GmbH veräußerte nach Abschluss dieses Kaufvertrags mit der Stadt Hamburg im November 2004 ihren Geschäftsanteil an der L1 GmbH für 4.225.000 EUR an die Versicherungskammer B. AG. Zuvor war die S. GmbH von der Klägerin noch mit Krediten unterstützt worden.

Die Klägerin vermietete von ihr nicht genutzte Flächen der von ihr von der L1 GmbH gemieteten Flächen an die S. GmbH zur Nutzung als Firmensitz unter.

Mit Schreiben der Stadt Hamburg vom 20. Dezember 2007 stimmte diese als Verkäuferin des Grundstücks am L. gegenüber der L1 GmbH als Käuferin der "Untervermietung durch die S. an ein Gesundheitszentrum" "zu, sofern es sich bei dem Betreiber um eine 100%ige Tochtergesellschaft der S. handelt". Die Klägerin hatte schon zuvor am 26. Juli 2007 einen Untermietvertrag mit der L3 GmbH (im Folgenden: L3 GmbH) geschlossen. Am 30. Juli 2007 hatte sie als alleinige Gesellschafterin die L3 GmbH als 100%-ige Tochtergesellschaft gegründet, und mit ihr das Ziel verfolgt, ein Gesundheitszentrum zu errichten und zu betreiben (s. das Senatsverfahren L 1 KR 156/11 KL).

Diese Vorgänge mit Blick auf den Kaufvertrag, die Mietverträge und Untermietverträge sowie weitere die Klägerin betreffende Sachverhalte unterzog die Beklagte einer umfangreichen aufsichtsrechtlichen Prüfung. Diese endete im November 2010 und fand ihren Abschluss im "Bericht über die Prüfung der SECURVTA BKK 2010" vom 11. März 2011, zu dem die Klägerin unter dem 20. Februar 2012 Stellung nahm.

Mit aufsichtsrechtlichem Beratungsschreiben nach § 89 Abs. 1 Satz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) vom 4. Februar 2011 an die Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Verwaltungsrats der Klägerin teilte die Beklagte mit, sie habe schwerwiegende Amtspflichtverletzungen seitens des Vorsitzenden des Verwaltungsrates, des Beigeladenen, festgestellt. Diese seien so gravierend, dass sich die Beklagte veranlasst sehe, die Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Verwaltungsrates aufsichtsrechtlich dahingehend zu beraten, die unverzügliche Amtsenthebung des Beigeladenen nach § 59 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 3 Satz 3 SGB IV zu beschließen. Es werde um Unterrichtung über die durchgeführten Maßnahmen bis zum 4. März 2011 gebeten, da beabsichtigt sei, bei Untätigkeit einen diesem Beratungsschreiben inhaltlich entsprechenden Verpflichtungsbescheid zur Umsetzung der Amtsenthebung des Beigeladenen zu erlassen. In dem Schreiben stellte die Beklagte die aus ihrer Sicht bestehenden Amtspflichtverletzungen im Einzelnen dar.

Der Verwaltungsrat der Klägerin folgte der Beratung nicht und beschloss dies am 4. März 2011 einstimmig und ohne Enthaltungen.

Hierauf erließ die Beklagte den Verpflichtungsbescheid vom 8. April 2011, der von der Klägerin mit der Klage L 1 KR 63/11 KL angefochten wurde. Dieser Bescheid und das Klageverfahren erledigten sich der Sache nach durch die Sozialwahlen 2011 und die Neukonstituierung des Verwaltungsrates der Klägerin am 7. Juli 2011.

Der Beigeladene ist auch nach den Sozialwahlen 2011 wieder Verwaltungsratsvorsitzender der Klägerin. Der Verwaltungsrat hat ihn in Kenntnis der gegen ihn erhobenen Vorwürfe erneut in dieses Amt berufen.

Mit neuem aufsichtsrechtlichen Beratungsschreiben vom 20. Juli 2011 an den neuen Verwaltungsrat der Klägerin, vertreten durch seine Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder, teilte die Beklagte mit, sie möge jene über die Amtspflichtverletzungen des wieder zum Verwaltungsratsmitglied gewählten Beigeladenen und den aktuellen Verfahrensstand in Kenntnis setzen sowie aufsichtsrechtlich im Sinne des § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV beraten. Die Beklagte forderte den Verwaltungsrat auf, kurzfristig eine Verwaltungsratssitzung einzuberufen und durch Beschluss nach § 33 Abs. 3 Satz 3 in Verbindung mit § 59 Abs. 3 Satz 1 SGB IV den Beigeladenen seines Amtes zu entheben sowie den Beschluss mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 33 Abs. 3 Satz 3 in Verbindung mit § 59 Abs. 3 Satz 2 SGB IV zu versehen. Hilfsweise werde der Verwaltungsrat aufgefordert, durch Beschluss nach § 33 Abs. 3 Satz 3 in Verbindung mit § 59 Abs. 2 Satz 1 und § 51 Abs. 6 Nr. 6a SGB IV den Beigeladenen von seinem Amt zu entbinden. Es werde bis zum 5. August 2011 Gelegenheit gegeben, die Rechtsverletzung durch die genannten Maßnahmen abzustellen. Sonst sei beabsichtigt, einen diesem Beratungsschreiben entsprechenden Verpflichtungsbescheid zu erlassen. Im Rahmen der genannten Frist bestehe auch die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Der Verwaltungsrat der Klägerin reagierte hierauf nicht.

Durch Verpflichtungsbescheid vom 7. Oktober 2011, gerichtet an den Verwaltungsrat der der Klägerin – unter Aufzählung seiner Mitglieder mit dem Zusatz "Persönlich/Vertraulich" –, verfügte die Beklagte unter Berufung auf § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV:

"Der Verwaltungsrat der SECURVITA BKK wird verpflichtet,

I. 1. kurzfristig das Mitglied des Verwaltungsrats T.M. durch Beschluss des Verwaltungsrates seines Amtes zu entheben sowie 2. diesen Beschluss mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung zu versehen,

II. hilfsweise Herrn M. durch Beschluss seines Amtes zu entbinden.

III. Die sofortige Vollziehung dieses Bescheides wird angeordnet."

Die Beklagte vertrat die Auffassung, sie habe im Rahmen ihrer vorangegangenen Prüfungen bei der Klägerin schwerwiegende Amtspflichtverletzungen seitens des Vorsitzenden des Verwaltungsrates, des Beigeladenen, festgestellt. Es bestünden keine Zweifel, dass die Voraussetzungen des § 59 Abs. 3 Satz 1 SGB IV erfüllt seien. Danach habe – über die Verweisungsnorm des § 33 Abs. 3 Satz 3 SGB IV – ein Verwaltungsrat einer gesetzlichen Krankenkasse ein Mitglied des Verwaltungsrates seines Amtes zu entheben, wenn dieses in grober Weise gegen seine Amtspflichten verstoßen habe. Dies gelte auch für Amtspflichtverletzungen, die sich in früheren Amtsperioden zugetragen hätten. Bei Vorliegen von solch schwerwiegenden wie der nachfolgend dargestellten Amtspflichtverletzungen stehe dem Verwaltungsrat nach § 59 Abs. 3 Satz 1 SGB IV hinsichtlich der Amtsenthebung kein Entscheidungsspielraum zu. Sie begründeten eine unmittelbare Verpflichtung, einen entsprechenden Beschluss zu fassen. Entsprechend sei der Verwaltungsrat mit Schreiben vom 20. Juli 2011 aufsichtsrechtlich beraten worden, den rechtswidrigen Zustand durch Beschluss nach § 59 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 3 Satz 3 SGB IV zu beenden.

Der Beigeladene habe die ihm anvertrauten Belange der Klägerin nicht angemessen vertreten und damit dem Versicherungsträger erheblichen Schaden zugefügt. Seine schwerwiegenden Amtspflichtverletzungen machten die unverzügliche Beendigung seiner Mitgliedschaft im Verwaltungsrat erforderlich. Er habe als alleiniger Geschäftsführer der L1 GmbH sowie als Geschäftsführer der S. GmbH als Gesellschafterin der L1 GmbH im November 2004 das Grundstück L. von der Stadt Hamburg im Rahmen der Wirtschaftsförderung erworben und dabei den Eindruck erweckt, die Klägerin sei in eine S. Unternehmensgruppe (Holding AG) eingebunden und damit der Wirtschaftsförderung zugänglich. Die Einbeziehung der Klägerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts in eine Unternehmensgruppe sei jedoch unzutreffend und dies hätte von dem auf allen Seiten –L1 GmbH, S. GmbH und Klägerin – persönlich beteiligten Beigeladenen gegenüber der Stadt Hamburg klargestellt werden müssen. Hierzu sei er als Verwaltungsratsvorsitzender der Klägerin verpflichtet gewesen. Selbst wenn er den bei der Stadt Hamburg entstandenen Eindruck nicht vorsätzlich begründet habe, hätte er diesem unverzüglich entgegen treten müssen, um das Ansehen der Klägerin zu schützen. In der Nichtaufklärung dieses Irrtums liege eine schwerwiegende Amtspflichtverletzung gegenüber der Klägerin, die über eine nach dem Kaufvertrag der S. GmbH zugedachte Wirtschaftsförderung nach Mitteilung der Stadt Hamburg in den Genuss eines besonders günstigen Mietzinses hätte kommen sollen. Hinzu komme, dass die nach der Erwartung der Stadt Hamburg überwiegende Nutzung der Flächen als Verwaltungsgebäude durch die Klägerin von vornherein nicht habe erfüllt werden können. Der Beigeladene habe über den tatsächlichen Flächenbedarf der Klägerin informiert sein müssen und hätte die Stadt Hamburg informieren müssen, dass ihre Erwartungen an eine überwiegende Nutzung durch die Klägerin unbegründet seien. Die hierin liegende Amtspflichtverletzung als Verwaltungsratsvorsitzender wiege umso schwerer, als die L1 GmbH und damit der Beigeladene in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer über die fälschliche Einbeziehung der Klägerin in eine Holding AG und die Täuschung über die tatsächlich benötigte Fläche nach Auskunft der Stadt Hamburg in den Genuss eines besonders günstigen Verkaufspreises gekommen sei, während die Klägerin auf 20 Jahre mit immensen Mietverpflichtungen für Flächen belastet sei, die sie nicht benötige. Hiermit werde dem Ansehen der Klägerin sowie ihrem Vermögen erheblicher Schaden zugefügt. Der Schaden könne auch nicht durch eine rechtlich unzulässige Untervermietung der völlig überdimensioniert angemieteten Flächen abgewendet werden. Eine schwerwiegende Amtspflichtverletzung liege auch darin, dass die übrigen Mitglieder des Verwaltungsrates über die Tatsache, dass die Klägerin sich im Rahmen eines 20jährigen Mietvertrags zu einem nach Feststellungen der Beklagten überhöhten Mietzins verpflichtet und damit nach Auskunft der Stadt Hamburg einen vorteilhaften Kaufpreis für die L1 GmbH gesichert habe, nicht informiert worden seien. Über die Grundlagen und Bedingungen des Kaufvertrags sei der Beigeladene als Geschäftsführer der L1 GmbH informiert gewesen, habe sie jedoch nicht an die Mitglieder des Verwaltungsrates weitergegeben. Nur mit einer umfassenden Kenntnis aller mit dem Kaufvertrag verbundenen Verpflichtungen und Vergünstigungen, wie die Pflicht zur Einräumung eines besonders günstigen Mietzinses, hätte der Verwaltungsrat eine sachgerechte Entscheidung treffen und seine Pflicht zur Überwachung des Vorstands angemessen wahrnehmen können. Dies wiege umso schwerer, als der Beigeladene als Gesellschafter der L1 GmbH unmittelbar Begünstigter der die Klägerin belastenden Inhalte des Kaufvertrags gewesen sei. Er habe für den Verkauf der Anteile der S. GmbH an der L1 GmbH in Höhe von 50.000 EUR insgesamt 4,225 Millionen EUR erhalten und es habe sich hierbei die Einbeziehung der Klägerin in ein für sie unwirtschaftliches Projekt der S. GmbH finanziell ausgewirkt. Der Beigeladene habe bei der Abwicklung dieser Transaktionen die wirtschaftlichen Interessen der Klägerin denen der L1 GmbH untergeordnet und dabei die Unkenntnis der übrigen Mitglieder des Verwaltungsrates nicht nur in Kauf genommen, sondern für seine finanziellen Interessen ausgenutzt.

Im Einzelnen: Mit dem Abschluss des Mietvertrags im Dezember 2004 habe die Klägerin auf 20 Jahre Räume gemietet, deren Umfang den derzeitigen Bedarf um mehr als das Doppelte übersteige und denen keine entsprechenden Einnahmen gegenüber ständen, die auch deshalb nicht erzielt werden könnten, weil dem zum einen die Beschränkungen aus der Wirtschaftsförderung entgegenstünden und zum anderen die Betätigung als Vermieter nach § 30 SGB IV nicht zu den originären Aufgaben eines Versicherungsträgers gehöre. Es bestehe eine Untervermietung zugunsten der S. GmbH, doch bleibe die Belastung im Wesentlichen bei der Klägerin. Dies hätte durch eine ausreichende Überwachung des Vorstands durch den Verwaltungsrat abgewendet werden können. Die in der unterlassenen Überwachung liegende Pflichtverletzung betreffe den gesamten damaligen Verwaltungsrat, insbesondere aber den Beigeladenen als Vorsitzenden, der als Geschäftsführer der L1 GmbH und S. GmbH umfassend informiert gewesen sei. Ihm sei daher nicht nur der Vorwurf der unzureichenden Unterrichtung zu machen, er habe vielmehr wider besseres Wissen zulasten der Klägerin gehandelt, indem er die Unterzeichnung des nachteiligen Mietvertrags durch den Vorstand der Klägerin nicht abgewendet habe. Darüber hinaus enthalte der Mietvertrag zahlreiche weitere die Klägerin benachteiligende Regelungen und der Beigeladene als Vorsitzender des Verwaltungsrates habe es unterlassen, trotz seines Detailwissens den Abschluss des für die Klägerin nachteiligen Vertrags zu verhindern. Auch der Untermietvertrag der Klägerin mit der S. GmbH beinhalte zahlreiche die Klägerin benachteiligende Regelungen. Der Beigeladene sei an dem Vertragsschluss in seiner Doppelfunktion als Vorsitzender des Verwaltungsrates der Klägerin (Hauptmieterin) und als Geschäftsführer der S. GmbH (Untermieterin) beteiligt gewesen und habe es dabei versäumt, die wirtschaftlichen Interessen der Klägerin wahrzunehmen und statt dessen denen der S. GmbH Vorrang eingeräumt. Hierin liege eine gravierende Verletzung der ihm obliegenden Amtspflicht. Bis Ende des Jahres 2003 seien zudem von der Klägerin knapp 3 Millionen EUR als sogenannte Geldanlage rechtswidrig an die S. GmbH ausgezahlt worden. Diese Gelder seien erst nach einer Intervention der Beklagten von der Klägerin zurückgefordert und von der S. GmbH zurückgezahlt worden. Der Beigeladene, dem bekannt gewesen sei, dass die Klägerin zur Zeit der Zahlungen selbst habe Kredite aufnehmen müssen, habe den Verwaltungsrat über diese Geldanlagen nicht vorab informiert. Hierzu sei er aber verpflichtet gewesen. Er habe als Geschäftsführer der S. GmbH von den Zahlungen gewusst und hätte durch rechtzeitige Information der übrigen Verwaltungsratsmitglieder sowohl die Rechtsverletzung als auch die Vermögensgefährdung für die Klägerin vermeiden können. Er habe diese Pflicht durch sein Unterlassen der Information der übrigen Verwaltungsratsmitglieder in besonders grober Weise verletzt. Darüber hinaus habe er seine Pflicht zur Überwachung des Vorstands verletzt, indem er die bevorstehende Rechtsverletzung trotz Kenntnis des Sachverhalts nicht rechtzeitig abgewendet habe. Vielmehr habe er mit dem damaligen Vorstand Dr. Erich Huber unter Umgehung der übrigen Verwaltungsratsmitglieder dahin zusammen gewirkt, dass die Klägerin der S. GmbH rechtswidrig Mittel zur Verfügung stelle, um dieser als Mitgesellschafterin der L1 GmbH den Erwerb eines Grundstücks zu ermöglichen, das die Klägerin dann wiederum anmiete, um den Kauf gegenüber der Stadt Hamburg abzusichern.

Angesichts der Schwere der erhobenen Vorwürfe und der anstehenden Entscheidungen bestehe eine besondere Eilbedürftigkeit, durch geeignete Maßnahmen die organisatorische Leistungsfähigkeit und das Ansehen der Klägerin mit einem geeigneten Verwaltungsrat alsbald wiederherzustellen. Geeignete Maßnahme könne nach § 59 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB IV nur die unverzügliche Amtsenthebung des Beigeladenen unter Anordnung der sofortigen Vollziehung des Beschlusses sein. Denn eine Interessenabwägung könne nur zugunsten des Versicherungsträgers ausfallen. Der Beigeladene halte sein Vorgehen im Zusammenhang mit Kaufvertrag, Mietvertrag und Darlehensvergabe weiterhin für rechtmäßig und es bestehe daher die Gefahr weiterer Amtspflichtverletzungen. Es bestünden auch erhebliche Bedenken, dass es mit ihm als wiedergewähltem Verwaltungsratsvorsitzenden, der die Entscheidungsstrukturen der Klägerin maßgeblich bestimme und davon profitiere, möglich sei, dass der Verwaltungsrat den Vorstand kontrolliere und sich in die wesentlichen Entscheidungen der Klägerin einbringe. Demgegenüber stehe das Interesse des Beigeladenen an einem Verbleib im Verwaltungsrat der Klägerin. Da es sich hierbei um eine ehrenamtliche Tätigkeit handele, sei seine berufliche oder wirtschaftliche Existenz bei einem Ausscheiden aus dem Verwaltungsrat nicht betroffen. Er verliere lediglich seine Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidungen der Klägerin, was im Hinblick auf die dargestellten Amtspflichtverletzungen und Interessenkollisionen aber nicht schutzwürdig sei.

Soweit der Verwaltungsrat der Aufforderung zur Amtsenthebung des Beigeladenen aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht nachkomme, sei er jedenfalls nach § 59 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 3 Satz 3 SGB IV verpflichtet, den Beigeladenen als Mitglied des Verwaltungsrates von seinem Amt zu entbinden, da die Voraussetzungen der Wählbarkeit seiner Person nicht vorlägen. Er sei nach § 51 Abs. 6 Nr. 6a 2. Fall SGB IV nicht wählbar, weil seine zentrale Rolle in der von ihm beherrschten S. Unternehmensgruppe unvereinbar sei mit der Verpflichtung eines Verwaltungsratsmitglieds, jederzeit die Belange des Versicherungsträgers zu fördern. Mehrere Gesellschaften der Unternehmensgruppe erbrächten Dienstleistungen gegenüber der Klägerin. Es handele sich dabei um Tätigkeiten im Rahmen der mit dem Versicherungsträger abgeschlossenen Verträge im Sinne von § 51 Abs. 6 Nr. 6a 2. Fall SGB IV. Zwar folge allein aus einer Stellung als Gesellschafter dieser Gesellschaften noch keine persönliche Tätigkeit des Beigeladenen im Rahmen dieser Verträge. Diese ergebe sich jedoch aus seiner Stellung als Geschäftsführer und damit für diese Gesellschaften handelndes Organ. Zwar handele er insoweit nicht freiberuflich, doch sei dies für § 51 Abs. 6 Nr. 6a 2. Fall SGB IV auch nicht zwingend erforderlich, da ein Fall der Interessenkollision nicht nur bei freiberuflicher sondern auch bei gewerblicher Tätigkeit möglich sei. Angesichts der dargestellten Sachverhalte stehe fest, dass der Beigeladene regelmäßig im Rahmen mehrerer mit Gesellschaften der S. Unternehmensgruppe abgeschlossenen Verträge für den Versicherungsträger tätig sei und aufgrund der damit verbundenen Interessenkollisionen nicht geeignet sei, die Interessen der Klägerin angemessen wahrzunehmen. Es zeige sich in allen – im Bescheid im Einzelnen dargestellten – Fällen, dass die Risiken und Belastungen einseitig auf die Klägerin verlagert und deren Interessen nicht angemessen vertreten worden seien. Selbst wenn der Beigeladene auf Seiten der Klägerin nicht unmittelbar an Vertragsschlüssen beteiligt sei, so habe er doch über seine Aufgabe der Kontrolle und Überwachung des Vorstands erhebliche Möglichkeiten der Einflussnahme. Diese habe er in allen Fällen nicht zum Wohle der Klägerin ausgeübt. Vielmehr habe sich jeweils die mit der Wahrnehmung der Doppelfunktion als Geschäftsführer und Vorsitzender des Verwaltungsrates verbundene Interessenkollision in eindrücklicher Weise realisiert und es begründe dies neben einem finanziellen Nachteil für die Klägerin auch einen Ansehensverlust.

Der Verwaltungsrat der Klägerin beschloss in seiner Sitzung am 18. Oktober 2011, der Verpflichtungsanordnung der Beklagten keine Folge zu leisten und gegen deren Bescheid Klage zu erheben sowie gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung um Eilrechtsschutz nachzusuchen.

Gegen den Verpflichtungsbescheid vom 7. Oktober 2011 hat die Klägerin am 7. November 2011 Klage erhoben und unter anderem vorgetragen, es bestünden schon durchgreifende Zweifel, ob die Beklagte den Verpflichtungsbescheid ordnungsgemäß zugestellt habe. Die Klägerin sei in ihrer Eigenschaft als Sozialversicherungsträger Körperschaft des öffentlichen Rechts, also eine juristische Person. Nach § 6 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes sei die Zustellung eines Verwaltungsakts bei einer juristischen Person an deren gesetzlichen Vertreter zwingend vorgeschrieben. Dies sei bei der Klägerin der Vorstand. Die Beklagte habe jedoch an den Verwaltungsrat sowie dessen Mitglieder zugestellt. Sei der Verpflichtungsbescheid nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, entfalte er auch keine Wirkung. Hinzuweisen sei vorab zudem auf den Umstand, dass der Beigeladene in der konstituierenden Sitzung des Verwaltungsrates am 7. Juli 2011 für eine neue Amtsperiode zum Vorsitzenden gewählt worden sei. Nur auf diesen Status könne sich der Verpflichtungsbescheid beziehen. Die Gründe, die die Beklagte für ihren Bescheid angeführt habe, lägen aber in früheren Amtsperioden. Es gehe daher um die Beantwortung der Frage, ob ein unterstelltes Fehlverhalten des Verwaltungsratsvorsitzenden in früheren Amtsperioden ihn für eine künftige Wahlperiode unwählbar mache. Die schlichte Behauptung, die Pflichtverletzungen dauerten fort, genüge nicht. Demgegenüber dokumentiere sich das fortdauernde Vertrauen des Verwaltungsrates in seinen Vorsitzenden in dessen Wiederwahl. Es sei auch der Auffassung der Beklagten entgegen zu treten, die Tätigkeiten des Beigeladenen für die S. Unternehmensgruppe seien unvereinbar mit der Verpflichtung eines Verwaltungsratsmitglieds. Weshalb allein die zwischen Gesellschaften der Unternehmensgruppe und der Klägerin geschlossenen Verträge mit diesen Verpflichtungen in Widerspruch stehen sollten, trage die Beklagte nicht vor. Abgesehen davon wäre der Beigeladene nur dann nicht wählbar, wenn er eine freiberufliche Tätigkeit ausüben würde. Denn das Merkmal der Freiberuflichkeit beanspruche Geltung für beide Alternativen des § 51 Abs. 6 Nr. 6a SGB IV.

Die Klägerin hat sodann – aus ihrer Sicht als Hilfsvortrag – eine weitere Stellungnahme vorgelegt, die sich auf die im Verpflichtungsbescheid dem Beigeladenen im Einzelnen zur Last gelegten Vorgänge bezieht. Danach sei der Kaufvertrag zwischen der L1 GmbH und der Stadt Hamburg ohne den von der Beklagten behaupteten irreführenden Eindruck einer Einbeziehung der Klägerin in eine privatrechtlich organisierte Unternehmensgruppe zustande gekommen. Es habe den von der Beklagten behaupteten Irrtum bei der Stadt Hamburg zu keinem Zeitpunkt gegeben. Auch hätte für die Wirtschaftsförderung nicht die Notwendigkeit bestanden, diesen hervorzurufen. Denn einer wie auch immer gearteten Verbindung zwischen dem Nutzer, der Klägerin, und dem Investor, der L1 GmbH, habe es hierfür nicht bedurft. Die Stadt Hamburg habe auch immer zwischen Nutzer und Investor aufgrund der ihr gegebenen Informationen unterscheiden können. Ohne sachlichen Anhaltspunkt sei auch die Behauptung der Beklagten, es sei der Eindruck erweckt oder gar die Aussage getroffen worden, die Klägerin gehöre zur S. Holding AG. Mitgeteilt worden sei vielmehr lediglich der zutreffende und für den Grundstückserwerb unerhebliche Umstand, dass die S. GmbH das Trägerunternehmen der Klägerin sei. Gefolgt werden könne der Beklagten auch nicht schon in ihrem Grundansatz: Sie habe keine aufsichtsrechtlichen Befugnisse mit Blick auf den von der L1 GmbH geschlossenen Kaufvertrag, an dem der Beigeladene nicht als Verwaltungsratsvorsitzender der Klägerin, sondern als Privatperson beteiligt gewesen sei. Soweit im Verpflichtungsbescheid erwähnt werde, dass die Vorgabe der überwiegenden Nutzung der Flächen als Verwaltungsgebäude der Klägerin nicht habe erfüllt werden können, habe die Klägerin schon auf den entsprechenden Vorwurf im Bericht der Beklagten über die Prüfung der Klägerin im Jahr 2010 in ihrer Stellungnahme reagiert und festgestellt, dass die von der Beklagten in Ansatz gebrachten Berechnungsgrundsätze nicht geeignet seien, um die vor mehr als sieben Jahren stattgefundenen Überlegungen und Prognosen angemessen darzustellen. Falsch sei auch die Behauptung der Beklagten, der Stadt Hamburg sei eine Nutzung als Gesundheitszentrum nicht bekannt gewesen und es sei eine solche auch nicht möglich gewesen. Der Stadt Hamburg sei vielmehr zu jedem Zeitpunkt klar gewesen, dass die Klägerin das anzumietende Gebäude sowohl als Büro als auch für ein Gesundheitszentrum habe nutzen wollen. Vorgabe der Stadt Hamburg sei lediglich gewesen, dass die L1 GmbH von den insgesamt etwa 18.000 qm mindestens ca. 12.000 qm an die Klägerin vermieten müsse. Die Beklagte nehme an, eine Täuschung der Stadt Hamburg habe zu einem besonders günstigen Kaufpreis für die L1 GmbH geführt, die Klägerin sei dadurch aber mit immensen Mietverpflichtungen belastet worden. Doch sei das Grundstück zum Verkehrswert verkauft worden und die Beklagte kenne den Preis gar nicht. Zu keinem Zeitpunkt sei zudem entgegen der Behauptung der Beklagten Grundlage des Kaufvertrags gewesen, dass die S. Holding AG Nutzer bzw. Mieter des Gebäudes werde solle. Insgesamt sei deshalb festzustellen, dass im Zusammenhang mit dem Kaufvertrag zwischen der L1 GmbH und der Stadt Hamburg im Jahr 2004 keinerlei Vorwürfe gegenüber dem Beigeladenen als Verwaltungsratsvorsitzenden der Klägerin erhoben werden könnten.

Auch die im Zusammenhang mit dem Mietvertrag 2004 gegenüber dem Beigeladenen erhobenen Vorwürfe ließen sich nicht rechtfertigen. Sie beträfen zum einen die mangelhafte Überwachung des Vorstands. Doch der Mietvertrag 2004 habe dem Verwaltungsrat auf seiner Sitzung am 3. März 2004 in der nahezu vollständig mit dem Vermieter verhandelten Entwurfsfassung vorgelegen und es sei dem Vorstand aufgetragen worden, den Mietvertrag im Rahmen der geschilderten Eckdaten endzuverhandeln und zu unterzeichnen. Dies sei am 18. November 2004 geschehen. Von einer mangelhaften Unterrichtung und Überwachung durch den Verwaltungsrat könne daher keine Rede sein. Auch der Vorwurf, der Mietvertrag enthalte für die Klägerin aufsichtsrechtlich zu beanstandende nachteilige Regelungen lasse sich nicht aufrechterhalten. Auch soweit sich die Beklagte auf die Geldanlage von rund 3 Millionen EUR stütze, ergäben sich daraus keine die Amtsenthebung des Beigeladenen rechtfertigenden Umstände. Zunächst habe sich der ganze Vorgang durch Rückzahlung viele Jahre vor Erlass des Verpflichtungsbescheids erledigt. Der Vorgang sei im Übrigen im Verwaltungsrat ausführlich behandelt worden. Insgesamt sei festzuhalten, dass es Gründe, die die Amtsenthebung des Beigeladenen rechtfertigen könnten, auch dann nicht gebe, wenn es überhaupt auf die Vorgänge aus der früheren Amtsperiode des Beigeladenen als Verwaltungsratsvorsitzenden ankäme.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 7. Oktober 2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat im Wesentlichen erwidert, entgegen der Auffassung der Klägerin greife nicht bereits die Rüge nicht ordnungsgemäßer Zustellung durch. Zwar sei im Regelfall der Vorstand der gesetzliche Vertreter einer Krankenkasse. Vorliegend aber bestehe die Besonderheit, dass zur Behebung der Rechtsverletzung die Verpflichtung ausgesprochen worden sei, den Vorsitzenden des Verwaltungsrates der Klägerin – den Beigeladenen – seines Amtes zu entheben. Die Zuständigkeit hierfür liege nach § 33 Abs. 3 Satz 3 SGB IV in Verbindung mit § 59 Abs. 3 Satz 1 SGB IV ausschließlich beim Verwaltungsrat. Da eine Regelung zur gesetzlichen Vertretung des Verwaltungsrates fehle, sei eine ordnungsgemäße Zustellung diesem gegenüber dadurch zu bewirken, dass an dessen sämtliche Mitglieder zugestellt werde. Dies sei geschehen.

In der Sache hat sie ausgeführt, es könnten auch Amtspflichtverletzungen aus vorherigen Amtsperioden eine Amtsenthebung rechtfertigen. Der derzeit amtierende Verwaltungsrat der Klägerin sei demnach angehalten, Amtspflichtverletzungen auch aus früheren Amtsperioden einzubeziehen, zumal wenn die daraus zum Nachteil der Klägerin resultierenden Folgen bis heute andauerten. Nach Ansicht der Klägerin würde der Beginn einer neuen Amtsperiode jede noch so schwere Amtspflichtverletzung bereinigen, was jedoch mit Blick auf das System der gesetzlichen Krankenversicherung und dessen grundsätzliche Bedeutung keinesfalls im Sinne des Gesetzgebers gewesen sein könne. Hinzu komme, dass die beanstandeten Amtspflichtverletzungen in Gestalt der geschlossenen Verträge nach wie vor bestünden und damit auch tatsächlich nach wie vor für die Klägerin und ihre Versicherten nachteilige Wirkung entfalteten. Zu Unrecht auch sei die Klägerin der Auffassung, dass die von der Beklagten hilfsweise angeordnete Amtsentbindung des Beigeladenen wegen dessen fehlender Wählbarkeit rechtswidrig sei. Dieser sei vielmehr nach § 51 Abs. 6 Nr. 6a 2. Fall SGB IV aufgrund seiner Stellung als alleiniger Gesellschafter der verschiedenen im Rahmen der mit der Klägerin abgeschlossenen Verträge involvierten Gesellschaften nicht für den Verwaltungsrat wählbar gewesen. Dem Merkmal der Freiberuflichkeit sei entgegen der Ansicht der Klägerin hierbei keine entscheidende Bedeutung beizumessen. Ausschlaggebend sei der hinter der Vorschrift stehende Rechtsgedanke, Interessenkollisionen zu vermeiden und die Unabhängigkeit zu sichern. Interessenkollisionen träten auch bei gewerblichen Tätigkeiten auf.

Der Beigeladene hat sich nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

In dem zu diesem Klageverfahren gegen den Bescheid der Beklagten vom 7. Oktober 2011 parallelen einstweiligen Rechtsschutzverfahren L 1 KR 134/11 KL ER hat der Senat durch Beschluss vom 24. November 2011 die Anordnung der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verpflichtungsbescheides aufgehoben, weil das besondere Vollziehungsinteresse in dem Bescheid vom 7. Oktober 2011 nicht hinreichend begründet worden war.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Akte der Beklagten sowie der ausweislich der Sitzungsniederschrift beigezogenen Akten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage vor dem Landessozialgericht ist statthaft und form- und fristgerecht erhoben. Es handelt sich um eine Aufsichtsangelegenheit (§ 29 Abs. 2 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG); das Landessozialgericht ist erstinstanzlich zuständig. Die Anfechtung des Verpflichtungsbescheides ist als Aufsichtsklage nach § 54 Abs. 3 SGG zulässig. Danach kann eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, dass die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite. Dies ist hier der Fall, denn die Klägerin bestreitet die Rechtmäßigkeit des Verpflichtungsbescheides. Der vorherigen Durchführung eines Vorverfahrens bedurfte es nicht (§ 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGG).

Die Aufsichtsklage ist auch begründet.

Zwar stehen entgegen der Auffassung der Klägerin der inhaltlichen Prüfung des Bescheides nicht bereits Wirksamkeitshindernisse entgegen. Denn der von der Klägerin gerügte Zustellungsmangel liegt nicht vor. Es ist zum einen in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei einem Vorgehen von Vorständen gegen ihre Krankenkasse die Kasse durch den Verwaltungsrat vertreten wird (BSG 14.2.2007 – B 1 A 3/06 R, SozR 4-2400 § 35a Nr. 1; LSG Baden-Württemberg 19.3.2007 – L 1 A 2763/06, juris; jeweils unter Hinweis auf § 33 Abs. 3 in Verbindung mit § 33 Abs. 2 SGB IV; s. auch § 197 Abs. 1 Nr. 4 SGB IV); ein direkter Zugriff der Beklagten auf den Verwaltungsrat ist mithin nicht schon von vornherein rechtlich ausgeschlossen, sondern es kann in bestimmten Konstellationen vielmehr auch dieser für die Krankenkasse handeln und in Anspruch genommen werden. Eine solche Konstellation liegt auch hier vor, weil eine durch aufsichtsrechtliche Verpflichtungsanordnung verlangte Amtsenthebungs- bzw. Amtsentbindungsentscheidung im Streit ist, die allein vom Verwaltungsrat getroffen und vom Vorstand nicht bewirkt werden kann. Zum anderen verdeutlicht § 33 Abs. Abs. 3 Satz 3 SGB IV, dass dem Verwaltungsrat eigene Aufgaben obliegen, die auszuführen zudem – wie hier die Beschlüsse über Amtsenthebung bzw. Amtsentbindung – nicht der Vorstand als gesetzlicher Vertreter für die Krankenkasse verpflichtet werden kann. Es geht vorliegend vielmehr um ein ureigenes Geschäft des Verwaltungsrates; es kann deshalb auch unmittelbar diesem gegenüber die Verpflichtung ausgesprochen und der Verpflichtungsbescheid ihm zugestellt werden. Davon abzugrenzen ist, dass im anschließenden gerichtlichen Verfahren, in dem wie vorliegend um die Rechtmäßigkeit der aufsichtsrechtlichen Verpflichtungsanordnung gestritten wird, klagende Beteiligte die Krankenkasse ist und sie insoweit wieder durch ihren Vorstand vertreten wird.

Der Verpflichtungsbescheid kann nicht auf § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV gestützt werden. § 89 Abs. 1 SGB IV, der die Aufsichtsmittel regelt, sieht ein gestuftes Verfahren vor. Satz 1 regelt die aufsichtsrechtliche Beratung: Wird durch das Handeln oder Unterlassen eines Versicherungsträgers das Recht verletzt, soll die Aufsichtsbehörde zunächst beratend darauf hinwirken, dass der Versicherungsträger die Rechtsverletzung behebt. Satz 2 regelt hieran anschließend die aufsichtsrechtliche Verpflichtung: Kommt der Versicherungsträger dem innerhalb angemessener Frist nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde den Versicherungsträger verpflichten, die Rechtsverletzung zu beheben. Satz 3 bis 5 regeln die Durchsetzung der Verpflichtung im Wege des Verwaltungszwangs.

Eine vorherige Beratung im Sinne des § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat hier stattgefunden. Die Beratung muss sich an das Organ des Versicherungsträgers richten, welches die angenommene Rechtsverletzung zu verantworten hat (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 40). Dieses ist hier ausnahmsweise zu Recht nicht der Vorstand (§ 35a Abs. 1 Satz 1 SGB IV), sondern der Verwaltungsrat, weil es um Amtspflichtverletzungen eines seines Mitglieder geht und nur der Verwaltungsrat die geforderte Amtsenthebungs- bzw. Amtsentbindungsentscheidung treffen kann.

Die Beratung erfordert eine Darlegung der dem Versicherungsträger möglichen Maßnahmen, mit welchen er in rechtlich zulässiger Weise die nach Meinung der Aufsichtsbehörde vorliegende Rechtsverletzung beheben kann (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 43).

Hier hat sich die Beratung durch die Beklagte auf nur ein Maßnahmenpaket – Verpflichtung zur Amtsenthebung mit sofortiger Vollziehung, hilfsweise zur Amtsentbindung – beschränkt. Doch ist dies an dieser Stelle nicht zu beanstanden; denn wenn die Beklagte den Rechtsverstoß darin sieht, dass der Beigeladene trotz der ihm von ihr vorgeworfenen Amtspflichtverletzungen nach wie vor Verwaltungsratsvorsitzender der Klägerin ist, ist die Verpflichtung des Verwaltungsrates zur Amtsenthebung bzw. Amtsentbindung das im Beratungsverfahren anzukündigende Aufsichtsmittel der Wahl zur Beendigung eines angenommenen rechtswidrigen Zustands.

Der im aufsichtsrechtlichen Beratungsschreiben der Beklagten vom 20. Juli 2011 ausgesprochenen Aufforderung, kurzfristig eine Verwaltungsratssitzung einzuberufen und durch Beschluss den Beigeladenen seines Amtes zu entheben, hilfsweise ihn von seinem Amt zu entbinden, kam der Verwaltungsrat der Klägerin nicht nach. Die Beklagte hatte dem Verwaltungsrat hierfür trotz ihrer Kürze auch eine noch angemessene Frist gesetzt, innerhalb der dieser der Aufforderung nicht nachkam. Denn es handelte sich bereits um den zweiten Anlauf eines Amtsenthebungsverfahrens, der nur durch die zwischenzeitlichen Sozialwahlen nötig geworden war, und es waren die wechselseitigen unterschiedlichen Standpunkte der Beteiligten hinlänglich bekannt. Entsprechend reagierte der Verwaltungsrat auf die Beratung auch nicht und erließ die Beklagte – erst – unter dem 7. Oktober 2011 den angefochtenen Bescheid.

Der Verpflichtungsbescheid nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV setzt eine Rechtsverletzung durch ein Handeln oder Unterlassen der Klägerin voraus. Der Begriff des Rechts zielt hier auf die Beachtung von Gesetz und sonstigem Recht, das für die Versicherungsträger maßgebend ist (§ 87 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Eine Rechtsverletzung liegt dann vor, wenn der Versicherungsträger gegen zwingende Vorschriften in für ihn maßgeblichen Gesetzen oder sonstigem Recht verstoßen hat, diese also falsch angewandt oder nicht beachtet hat (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 17).

Als Rechtsverletzung kommen hier zum einen die dem Beigeladenen von der Beklagten vorgeworfenen Amtspflichtverletzungen in Betracht, zum anderen die (erneute) Wahl des Beigeladenen zum Verwaltungsratsvorsitzenden in Kenntnis dieser Vorwürfe durch den Verwaltungsrat der Klägerin und die Unterlassung des Verwaltungsrates, den Beigeladenen seines Amtes zu entheben bzw. ihn von seinem Amt zu entbinden. Diese von der Beklagten angenommenen Rechtsverletzungen stehen in einem engen Zusammenhang: Die dem Beigeladenen von der Beklagten vorgeworfenen Amtspflichtverletzungen bildeten den Anlass des aufsichtsrechtlichen Verfahrens und stehen als Begründung hinter der von der Beklagten am Ende dieses Verfahrens ausgesprochenen Verpflichtung des Verwaltungsrates der Klägerin, den trotz Kenntnis der erhobenen Vorwürfe zum Verwaltungsratsvorsitzenden gewählten Beigeladenen seines Amtes zu entheben bzw. ihn von diesem Amt zu entbinden. Die dem Beigeladenen vorgeworfenen Amtspflichtverletzungen sind nach Auffassung der Beklagten Rechtsverletzungen im Sinne des Aufsichtsrechts. Die Rechtsverletzungen, die der Verwaltungsrat der Klägerin nach dem Verpflichtungsbescheid beheben soll, bestehen aber nicht unmittelbar in diesen dem Beigeladenen vorgeworfenen Amtspflichtverletzungen, sondern darin, dass der Verwaltungsrat den Beigeladenen trotz der gegen ihn erhobenen Vorwürfe zunächst (erneut) zu seinem Vorsitzenden gewählt und es sodann unterlassen hat, ihn seines Amtes zu entheben oder ihn von seinem Amt zu entbinden. Beide Aspekte, die vorgeworfenen Amtspflichtverletzungen des Beigeladenen und die Rechtsverletzungen des Verwaltungsrates, die zu beheben der angefochtene Bescheid den Verwaltungsrat der Klägerin verpflichtet, finden ihren Zusammenhang darin, dass eine Rechtmäßigkeit der streitbefangenen Verpflichtungsanordnung voraussetzt, dass die Voraussetzungen einer Amtsenthebung bzw. Amtsentbindung des Beigeladenen vorliegen und zudem, dass eine Rechtspflicht des Verwaltungsrates der Klägerin zur Amtsenthebung bzw. Amtsentbindung des Beigeladenen besteht.

Diese Fokussierung auf eine Rechtsverletzung des Verwaltungsrates, die zu beheben der Verwaltungsrat durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten verpflichtet wird, bestimmt auch den Blickwinkel und Maßstab der gerichtlichen Überprüfung des Bescheides: Das vorliegende Aufsichtsklageverfahren ist keine Art von Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen den Beigeladenen, in ihm ist auch nicht die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses über seine Amtsenthebung bzw. Amtsentbindung zu prüfen, sondern zu prüfen ist die Rechtmäßigkeit einer von der Beklagten verfügten aufsichtsrechtlichen Verpflichtung des Verwaltungsrates der Klägerin, den Beigeladenen seines Amtes zu entheben bzw. ihn von seinem Amt zu entbinden. Für diese gerichtliche Prüfung kommt es nicht allein darauf an, was dem Beigeladenen zu Recht vorgeworfen werden kann, sondern maßgeblich auch darauf, ob es für den an den Verwaltungsrat der Klägerin gerichteten Verpflichtungsbescheid der Beklagten eine Ermächtigungsgrundlage gibt und ob deren Voraussetzungen vorliegen.

Dabei ist für die Rechtmäßigkeit des aufsichtsrechtlichen Verpflichtungsbescheides jedenfalls Voraussetzung, dass die durch den Verwaltungsrat unterlassene Amtsenthebung bzw. Amtsentbindung des Beigeladenen rechtswidrig ist, weil eine Rechtspflicht zu seiner Amtsenthebung bzw. Amtsentbindung besteht. Hieran aber fehlt es und es ist der streitbefangene Verpflichtungsbescheid schon deshalb rechtswidrig und aufzuheben.

Zunächst zur Pflicht des Verwaltungsrates zur "unehrenhaften" Amtsenthebung (so I. Palsherm, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 59 Rn. 10, 25): Ihre Voraussetzungen ergeben sich aus § 33 Abs. 3 Satz 3 in Verbindung mit § 59 Abs. 3 und 4 SGB IV. Nach § 33 Abs. 3 Satz 3 SGB IV obliegen dem Verwaltungsrat als Selbstverwaltungsorgan unter anderem auch die Aufgaben des Vorstandes nach dem Zweiten Titel des SGB IV. In diesem enthalten ist auch die Regelung des § 59 SGB IV über den Verlust der Mitgliedschaft in einem Selbstverwaltungsorgan. Danach gilt: Verstößt der Vorsitzende des Verwaltungsrates in grober Weise gegen seine Amtspflichten, hat der Verwaltungsrat den Vorsitzenden durch Beschluss seines Amtes zu entheben (§ 59 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 4 SGB IV). Der Verwaltungsrat kann die sofortige Vollziehung des Beschlusses anordnen (§ 59 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 4 SGB IV).

Die Regelung zur Amtsenthebung zielt auf die Bewahrung der ehrenamtlich geführten Selbstverwaltung vor groben Amtspflichtverstößen und damit auf den Bestand des Vertrauens der Mitglieder in die Integrität der sie repräsentierenden Funktionsträger (vgl. I. Palsherm, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 59 Rn. 12). Was Amtspflichten sind, bestimmt sich nach dem gesetzlichen Auftrag der Klägerin als gesetzlicher Krankenkasse und nach der Rechtsstellung des Beigeladenen als Verwaltungsratsmitglied. Amtspflicht ist es danach vor allem, die sich aus dem gesetzlichen Auftrag ergebenden Belange der Klägerin im Zusammenwirken mit den übrigen Verwaltungsratsmitgliedern zu verwirklichen (vgl. I. Palsherm, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 59 Rn. 25).

Gegen diese Amtspflichten muss der Beigeladene verstoßen haben. Das Wort "verstößt" spricht zunächst im Rahmen einer rein semantischen Auslegung dafür, es müsse und dürfe allein um gegenwärtige Amtspflichtverletzungen gehen. Doch griffe dies angesichts des erkennbaren gesetzlichen Regelungsziels sicher zu kurz. Im Ergebnis einer teleologischen Auslegung ist es deshalb hinsichtlich des zeitlichen Anknüpfungspunktes für den Vorwurf der Amtspflichtverletzungen nicht von vornherein ausgeschlossen, vergangene Amtspflichtverletzungen, auch solche aus früheren Amtsperioden, zum Anlass für eine Amtsenthebung nehmen zu können (offen gelassen durch LSG Sachsen-Anhalt 5.1.2005 – L 4 B 49/04 KR ER, NZS 2006, 35). Denn schwerwiegende und noch nachwirkende Amtspflichtverletzungen dürfen sich nach dem Sinn und Zweck der Regelungen über die Amtsenthebung nicht nur dadurch, dass sie in einer schon abgelaufenen Amtsperiode begangen worden sind, als unbeachtlich erweisen – erst recht, wenn sie zunächst nicht bekannt geworden sind.

Doch sind mit dieser Aufweitung des Verständnisses des Wortes "verstößt" zugleich auch Einschränkungen zu formulieren, um eine uferlose, mit dem Wortlaut der Norm nicht mehr zu vereinbarende Ausweitung der Normauslegung zu verhindern. Hierfür ist eine noch hinreichende zeitliche Nähe der vorgeworfenen Amtspflichtverletzungen zur gegenwärtigen Amtsperiode zu fordern, um den zeitlichen Rückgriff nicht zu sehr auszudehnen. Auch müssen die schwerwiegenden und noch nachwirkenden Amtspflichtverletzungen feststehen oder doch ihr Vorliegen zumindest so überwiegend wahrscheinlich sein, dass dies die Härte einer "unehrenhaften" Amtsenthebung zu rechtfertigen vermag.

Doch beide einschränkenden Bedingungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die von der Beklagten dem Beigeladenen vorgeworfenen Amtspflichtverletzungen – maßgeblich die mangelnde Information der Verwaltungsratsmitglieder über den Inhalt des im Jahr 2004 geschlossenen Kaufvertrags der L1 GmbH mit der Stadt Hamburg, die mangelnde Information der Verwaltungsratsmitglieder und die mangelnde Überwachung des Vorstands im Zusammenhang mit dem im Jahr 2004 geschlossenen Mietvertrag zwischen der L1 GmbH und der Klägerin, dem im Zusammenhang damit geschlossenen Untermietvertrag der Klägerin mit der S. GmbH und mit den Finanzierungsleistungen der Klägerin im Jahr 2003 gegenüber der S. GmbH – knüpfen allesamt an Ereignisse in den Jahren 2002 bis 2004 an. Sie nehmen auf die Abläufe beim Kauf des Grundstücks am L. und bei der Vermietung von Gebäudeflächen an die Klägerin Bezug. Diese Ereignisse waren bei Erlass des angefochtenen Verpflichtungsbescheides nicht nur bereits länger her. Jeweils auch geht es mit ihnen um so kaum wiederholbare Geschehnisse. Zudem ist es keineswegs nur zwischen der Beklagten und dem Beigeladenen umstritten, ob die ihm vorgeworfenen Amtspflichtverletzungen überhaupt vorliegen. Auch der gegenwärtige, im letzten Jahr neu gewählte und konstituierte Verwaltungsrat der Klägerin ist den seitens der Beklagten erhobenen Vorwürfen entgegen getreten und hat den Beigeladenen in Kenntnis dieser Vorwürfe wieder zu seinem Vorsitzenden gewählt. Er hat es in Kenntnis der von der Beklagten im Beratungsschreiben und im Verpflichtungsbescheid breit dargelegten aus ihrer Sicht vorliegenden schweren Amtspflichtverletzungen des Beigeladenen abgelehnt, der von der Beklagten ausgesprochenen Beratung und Verpflichtung zur Amtsenthebung des Beigeladenen nachzukommen. Die Klägerin, vertreten der Regel folgend wieder durch den Vorstand, streitet im vorliegenden Aufsichtsklageverfahren ebenfalls für ihren Verwaltungsratsvorsitzenden. Und eine tatsächliche Klärung der seitens der Beklagten gegen den Beigeladenen erhobenen Vorwürfe im noch laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren steht noch aus.

Rechtliche Zweifel treten im Übrigen hinzu. Denn mit "seine Amtspflichten" ist in § 59 Abs. 3 Satz 1 SGB IV auf die Amtspflichten hier des Beigeladenen als Mitglied und Vorsitzenden des Verwaltungsrates Bezug genommen. Alleiniger Anknüpfungspunkt für den Vorwurf von Amtspflichtverletzungen kann also nur der Beigeladene in seiner Rolle und Rechtsstellung als Verwaltungsratsvorsitzender und nicht in allen seinen tatsächlichen und rechtlichen Lebensrollen sein. Als Gesellschafter und Geschäftsführer privatrechtlicher Gesellschaften treffen ihn keine Amtspflichten als Mitglied eines Selbstverwaltungsorgans der gesetzlichen Krankenversicherung. Es ist deshalb zweifelhaft, ob – wovon die Beklagte ausgeht – der Beigeladene sozialrechtlich überhaupt verpflichtet sein konnte, Informationen im Verwaltungsrat weiterzugeben, über die er nicht als Mitglied des Verwaltungsrates der Klägerin verfügte, sondern nur in seiner Rolle als Geschäftsführer der L1 GmbH und der S. GmbH. Ebenso zweifelhaft ist, ob er aufgrund seines Wissens als Geschäftsführer der L1 GmbH verpflichtet war, den Abschluss des Mietvertrags durch den Vorstand der Klägerin zu verhindern, und ob er als Verwaltungsratsvorsitzender der Klägerin deren Vorstand davon abhalten musste, für die Klägerin mit der S. GmbH Verträge zu schließen.

Die offensichtlichen Interessenkollisionen, die hiermit in erster Linie angesprochen sind, zu vermeiden, kann rechtssicher kaum über das Rechtsinstitut der "unehrenhaften" Amtsenthebung wegen Amtspflichtverletzungen gelingen. Hierfür sind vielmehr präventiv wirkende, spezifische Inkompatibilitätsregelungen das geeignete Mittel (dazu sogleich). Zwar wird sich eine allgemein gehaltene Amtspflicht zu "getreuer Geschäftsführung" für Organmitglieder öffentlich-rechtlicher Selbstverwaltungskörperschaften formulieren lassen, die einschließt, die Wahrung eigener Interessen nicht den Belangen des Versicherungsträgers bewusst überzuordnen und vielmehr in dessen wohlverstandenem Interesse zu handeln (vgl. BSG 29.6.1979 – 8b RK 4/79, SozR 5310 § 6 Nr. 2; BSG 22.11.1979 – 8b RK 3/79, juris). Doch ist diese Pflicht bei Weitem nicht so klar bestimmt, dass bereits aus ihr vorliegend fraglos die eine Amtsenthebung fordernde Verletzung von Amtspflichten durch den Beigeladenen festzustellen ist.

Aufgrund dieser tatsächlichen und rechtlichen Ausgangslage waren die Verwaltungsratsmitglieder der Klägerin nicht verpflichtet, ihren Vorsitzenden seines Amtes zu entheben. Auch die abstrakt zutreffenden Hinweise der Beklagten auf den präventiven Charakter einer Amtsenthebung (künftigen Schaden abwenden, Ansehen wiederherstellen etc.; vgl. auch BSG 28.1.1998 – B 6 KA 71/96 B, juris), rechtfertigen vorliegend die Verpflichtung zu einer Amtsenthebung des Beigeladenen nicht. Es ist schon nicht hinreichend ersichtlich, vor welchen konkreten künftigen groben und schuldhaften Pflichtverletzungen die Klägerin hierdurch bewahrt werden soll. Und auch hier dürfte eine Prävention durch die Anwendung von Inkompatibilitätsregeln näher liegen.

Ist danach die angefochtene aufsichtsrechtliche Verpflichtung des Verwaltungsrates zum Beschluss der Amtsenthebung des Beigeladenen schon nicht zu rechtfertigen, kommt es auf die Rechtmäßigkeit der auch ausgesprochenen Verpflichtung des Verwaltungsrates, die sofortige Vollziehung des Beschlusses anzuordnen, nicht mehr an.

Sodann zur Pflicht des Verwaltungsrates zur "ehrenhaften" Amtsentbindung (so I. Palsherm, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 59 Rn. 10): Ihre Voraussetzungen ergeben sich aus § 33 Abs. 3 Satz 3 in Verbindung mit § 59 Abs. 2 und 4 SGB IV. Nach § 33 Abs. 3 Satz 3 SGB IV obliegen dem Verwaltungsrat als Selbstverwaltungsorgan unter anderem auch die Aufgaben des Vorstandes nach dem Zweiten Titel des SGB IV. In diesem enthalten ist auch die Regelung des § 59 SGB IV über den Verlust der Mitgliedschaft in einem Selbstverwaltungsorgan. Danach gilt: Der Verwaltungsrat hat den Vorsitzenden des Verwaltungsrates durch Beschluss von seinem Amt zu entbinden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt oder wenn die Voraussetzungen der Wählbarkeit nicht vorgelegen haben oder nachträglich weggefallen sind (§ 59 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 4 SGB IV).

Ein wichtiger Grund in diesem Sinne liegt hier nicht vor. Die Regelung zielt hiermit insbesondere auf die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Selbstverwaltungsorgane (vgl. I. Palsherm, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 59 Rn. 12). Unter dem "wichtigen Grund" sind in der Person des Mitglieds wurzelnde Ursachen zu verstehen, die eine Fortführung des Amtes für das Mitglied und/oder das Selbstverwaltungsorgan unzumutbar machen (vgl. I. Palsherm, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 59 Rn. 19). Als Beispiele werden eine schwere Erkrankung – auch eines nahen Angehörigen – oder eine durch berufliche Veränderungen bedingte Überlastung bei Fortführung des Amtes, auch der Wegzug ins Ausland oder der bevorstehende Haftantritt genannt (bei I. Palsherm, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 59 Rn. 19). Um all solche oder auch nur wertungsmäßig vergleichbare wichtigen Gründe, die eine weitere Amtsführung unzumutbar oder unmöglich machen und auf die deshalb mit einer Amtsentbindung reagiert werden können soll, geht es vorliegend in der Person des Beigeladenen ersichtlich nicht und kommt deshalb auch keine Verpflichtung des Verwaltungsrates in Betracht, den Beigeladenen aus wichtigem Grund von seinem Amt zu entbinden.

Als Anknüpfungspunkt für eine Amtsentbindung bleiben danach allein noch die Voraussetzungen der Wählbarkeit. Mit diesen zielt die Regelung auf die Wahrung der "Selbst"verwaltung (so I. Palsherm, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 59 Rn. 12). Die Voraussetzungen der Wählbarkeit des Beigeladenen aber haben im Zeitpunkt seiner Wahl vorgelegen und sie sind auch nicht nachträglich weggefallen.

Wählbar ist nach § 51 Abs. 6 Nr. 6a SGB IV nicht, wer regelmäßig für den Versicherungsträger oder im Rahmen eines mit ihm abgeschlossenen Vertrags freiberuflich tätig ist. Regelmäßigkeit liegt vor, wenn es sich um eine in bestimmten Zeitabständen wiederkehrende Tätigkeit für den Versicherungsträger oder im Rahmen eines mit ihm abgeschlossenen Vertrags handelt (vgl. K. Palsherm, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 51 Rn. 53). Die 1. Alternative erfasst unmittelbare Tätigkeiten für den Versicherungsträger; die 2. Alternative erfordert keine Tätigkeit "für" den Versicherungsträger, sondern lässt auch die Tätigkeit im Rahmen eines Vertrags mit dem Versicherungsträger genügen. Hierdurch sollten auch Vertragsärzte erfasst werden, die nicht "für" die Krankenkassen, aber im Rahmen von ihrer Kassenärztlichen Vereinigung mit den Krankenkassen abgeschlossener Verträge tätig werden (vgl. zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift BSG 15.11.1973 – 3 RK 63/72, SozR Nr. 1 zu § 17 SVwG). Es kann hier letztlich dahin stehen, welcher der beiden Alternativen des § 51 Abs. 6 Nr. 6a SGB IV man insoweit die Tätigkeit des Beigeladenen als Geschäftsführer der S. GmbH zuordnet, denn diese Gesellschaft wird sowohl regelmäßig unmittelbar für die Klägerin als auch im Rahmen einer Reihe mit der Klägerin abgeschlossener Verträge tätig.

Es liegt aber das von dieser Wählbarkeitsregelung, die der Sache nach eine Inkompatibilitätsregelung ist, geforderte Merkmal der Freiberuflichkeit der Tätigkeit des Beigeladenen nicht vor. Auch dieses Merkmal bezieht sich aufgrund seiner systematischen Stellung im Gesetz auf beide Alternativen des § 51 Abs. 6 Nr. 6a SGB IV (so auch K. Palsherm, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 51 Rn. 53, mit einem Nachweis zur Gegenauffassung; ganz deutlich aber mit Hinweis auf die Entstehungsgeschichte BSG 15.11.1973 – 3 RK 63/72, SozR Nr. 1 zu § 17 SVwG). Denn das Merkmal der freiberuflichen Tätigkeit für den Versicherungsträger grenzt den Ausschluss von der Wählbarkeit nach der Nr. 6a von dem nach § 51 Abs. 6 Nr. 5a SGB IV ab, der auf die Beschäftigung bei dem Versicherungsträger abstellt. Die regelmäßige Tätigkeit für den Versicherungsträger oder im Rahmen mit ihm abgeschlossener Verträge im Sinne des § 51 Abs. 6 Nr. 6a SGB IV ist also nicht die Beschäftigung beim Versicherungsträger, sondern sie meint eine selbständige Tätigkeit (vgl. K. Palsherm, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 51 Rn. 49), die zudem freiberuflich zu sein hat. Erfasst wird deshalb zum Beispiel zwar die Tätigkeit der freiberuflichen Vertragsärzte, nicht aber zum Beispiel die Tätigkeit der Apotheker, weil diese ihren Beruf als Gewerbe ausüben (so BSG 15.11.1973 – 3 RK 63/72, SozR Nr. 1 zu § 17 SVwG).

Auch der Beigeladene aber ist als Geschäftsführer der S. GmbH zwar selbständig, aber nicht freiberuflich tätig, denn er übt insoweit ein Gewerbe aus. Er ist deshalb trotz seiner gewerblichen Tätigkeit für die Klägerin wählbar gewesen und er ist es noch. Es scheitert deshalb auch eine Verpflichtung des Verwaltungsrates zur Amtsentbindung des Beigeladenen wegen dessen fehlender Wählbarkeit.

Zwar lässt sich mit der Beklagten fragen, warum nach § 51 Abs. 6 Nr. 6a SGB IV nur die Tätigkeit als Freiberufler und nicht auch die gewerbliche Tätigkeit für den Versicherungsträger die Wählbarkeit ausschließen soll. Zu akzeptieren aber ist, dass dies nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Inhalt der gesetzlichen Regelung ist. Den Regelungsgedanken der Inkompatibilität dementgegen im Rahmen einer an einem objektiven Zweck des Gesetzes orientierten teleologischen Auslegung auch auf gewerbliche Tätigkeiten zu erstrecken – und die so ausgelegte Regelung sodann zum Anknüpfungspunkt für eine Verpflichtung zur Amtsentbindung zu nehmen –, wie es die Beklagte vertreten hat, geht zu weit. Das Merkmal der freiberuflichen Tätigkeit so zu interpretieren, dass es auch die gewerbliche Tätigkeit umfasst, lässt sich mit dem Wortlaut und dem durch ihn transportierten Wortsinn des Rechtsbegriffs der Freiberuflichkeit nicht mehr vereinbaren. Hier gegebenenfalls Abhilfe zu schaffen, ist dem Gesetzgeber zu überlassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen ist nicht veranlasst, weil dieser keinen Antrag gestellt hat (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO). Die Befreiung der Beklagten von der Tragung von Gerichtskosten folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes.

Die Revision war zulassen.
Rechtskraft
Aus
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