S 9 KA 128/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KA 128/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beschluss des Beklagten vom 18.06.2008 wird nach dem Antrag des Klägers aufgehoben, soweit er die Regresse wegen der Verordnung von Immunglobulinen im Umfang von 460.465,44 Euro festgesetzt hat und der Beklagte wird verpflichtet über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Der Beklagte hat die Kosten dieses Verfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Arzneikostenregresse für die Quartale 1/1998 bis 4/2001.

Für den Zeitraum der streitigen Quartale war der Kläger als Facharzt für Innere Medizin mit der Zusatzbezeichnung Infektiologie in N niedergelassen und nahm an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Durch Beschlüsse des Prüfungsausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 21.06.2001, 10.12.2002 und 27.02.2003 wurden in jedem der streitigen Quartale 10 % der Überschreitungssumme von den Arzneikosten zu Gunsten der Primär- und Ersatzkassen regressiert. Dieses geschah grundsätzlich in Anwendung der statistischen Prüfmethode, wobei die jeweiligen Überschreitungen des arztspezifischen Durchschnittswertes der Vergleichsgruppe Anlass für die Regresse waren. Auf den Inhalt der einzelnen Beschlüsse des Prüfungsausschusses wird verwiesen. Der Prüfungsausschuss hat mit seinen Beschlüssen Regresse in Höhe von insgesamt 1.376.890,63 DM bzw. 703.993,00 Euro festgesetzt.

Für das Quartal 4/2001 wurde der eingelegte Widerspruch des Klägers unter gleichzeitiger Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom Prüfungsausschuss durch Beschluss vom 11.11.2003 als verfristet angesehen und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Auf die dagegen eingelegte Beschwerde wurde dieser durch den Beklagten mit Beschluss vom 05.05.2004 nicht stattgegeben. Dagegen wurde fristgerecht Klage vor dem Sozialgericht Dortmund erhoben. In dem Erörterungstermin vor dem Sozialgericht am 31.08.2004 schlossen die Beteiligten zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits S 9 KA 106/04 und des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens S 9 KA 117/04 ER folgenden Vergleich:

1) Der Beklagte gewährt in dem Verfahren S 9 KA 106/04 dem Kläger Wiedereinsetzung und wird unter Aufhebung des Beschlusses vom 05.05.2004 über den Widerspruch des Klägers erneut entscheiden.

2) Die Beteiligten erklären das einstweilige Rechtsschutzverfahren S 9 KA 117/04 ER unter der Maßgabe, dass die bisherigen Realisierungen bestehen bleiben und zukünftige Realisierungen des Regresses unterbleiben, für erledigt. 3) Der Beklagte übernimmt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Verfahren S 9 KA 106/04 und die Gerichtskosten.

4) Der Antragsgegner übernimmt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten für das einstweilige Rechtsschutzverfahren und die Hälfte der Gerichtskosten.

5) Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit (S 9 KA 106/04) und das einstweilige Rechtsschutzverfahren (S 9 KA 117/04 ER) übereinstimmend für erledigt.

Daher gewährte der Beklagte dem Kläger Wiedereinsetzung, so dass der Beklagte erneut über den Widerspruch des Klägers zu entscheiden hatte.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Beteiligten zur Sache insbesondere zur Prüfmethodik und der Frage der Beanstandungen von Arzneimitteln der Immunokine einerseits und der Arzneimittel der Immunglobuline andererseits wird auf die Darstellung im Beschluss des Beklagten vom 18.06.2008 auf den Seiten 6 bis 22 verwiesen.

Durch den Beschluss des Beklagten vom 18.06.2008 wurden die Widersprüche des Klägers gegen die Beschlüsse des Prüfungsausschusses vom 21.06.2001, 10.12.2002 und 27.02.2003 insgesamt zurückgewiesen. Der Kläger wurde verpflichtet, einen Regress in Höhe von 703.993,00 Euro zu Gunsten der gesetzlichen Krankenkassen zu zahlen. Dabei wurde im Tenor des Beschlusses die Verteilung des Regresses auf die nachfolgend genannten Krankenkassen in den Einzelbeträgen benannt. Insofern wird auf Seite 2 des Beschlusses verwiesen.

In der Begründung des Beschlusses teilte der Beklagte auf den Seiten 22 bis 24 mit, dass im Ergebnis die Prüfmethode des statistischen Fallkostenvergleiches nach den Feststellungen des Prüfgremiums wegen der speziellen Ausrichtung der Praxis des Klägers mangels einer vergleichbaren Gruppe von Ärzten im Bereich der Beigeladenen zu 7) nicht geeignet sei. Daher habe das Prüfgremium die Prüfmethode auf die eingeschränkte Einzelfallprüfung umgestellt. Dies deshalb, da die Praxis des Klägers auf Grund des erwiesenermaßen erheblichen Umfanges der Betreuung von HIV- und HCV-Patienten (Hepatitis-C-Virus-Patienten) nicht mit der Fachgruppe der zugelassenen Internisten (1/1998 bis 4/2000) bzw. fachärztlich tätigen Internisten ohne Schwerpunkt (1/2001 bis 4/2001) vergleichbar gewesen sei. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass der Beklagte bei der Auswahl seiner Prüfmethoden weitgehend frei sei und diese grundsätzlich entsprechend den sachlichen Erfordernissen im Einzelfall festlegen könne und dabei nicht an die vom Prüfungsausschuss gewählte Prüfmethode gebunden sei. Dies deshalb, da es sich bei dem Beschwerdeverfahren um ein eigenständiges Verwaltungsverfahren in einer zweiten Verwaltungsinstanz mit umfassender Prüfungs- und Entscheidungskompetenz handele (vgl. Beschluss Seite 25). Auch habe ein statistischer Fallkostenvergleich auf der Grundlage einer Verfeinerung der Vergleichsgruppe der Internisten ausscheiden müssen. Insoweit sei anzumerken, dass sich bundesweit nur vereinzelt Praxen finden ließen, die annähernd in vergleichbarem Umfang HIV- und HCV-Patienten behandeln würden. Auf der Grundlage einer eingeschränkten Einzelfallprüfung habe der Beklagte die Verordnungsweise bei den einzelnen Patienten auf der Grundlage der Behandlungsangaben des Klägers, der Behandlungs- und Verordnungsunterlagen untersucht. Der Beklagte habe somit die Indikationsbeurteilung des Klägers seiner Prüfung zu Grunde gelegt.

Zunächst hat der Beklagte in dem Beschluss vom 18.06.2008 die Prüfung der Verordnung der Immunokine auf den Seiten 27 bis 34 behandelt. Die Verordnung von Immunglobulinen anhand der eingeschränkten Einzelfallprüfung ist dann auf den Seiten 34 bis 49 nachgefolgt. Im Anschluss daran wurden Einzelfallbegründungen zu der Verordnung von Immunglobulinen bei den einzelnen Patienten angefügt. Insoweit wird auf die Ausführungen auf den Seiten 50 bis 61 des Beschlusses verwiesen.

Die Begründungen zur Regressverteilung finden sich unter Punkt 3. auf den Seiten 61 bis 75 des Beschlusses. Dabei habe das Verböserungsverbot beachtet werden müssen, denn es durfte kein höherer als der von dem Prüfungsausschuss festgesetzte Gesamtregress in Höhe von 703.993,00 Euro festgesetzt werden. Daher mussten einige Beträge nach den Einzeldarstellungen in den genannten Seiten gemindert werden. Auf die näheren Ausführungen dazu wird verwiesen. Danach habe für die Prüfquartale der Regress wegen der Verordnung von Immunokine insgesamt 243.527,55 Euro betragen mit einer auf Seite 67 wiedergegebenen Verteilung auf die Krankenkassen.

Unter Punkt 3. b) wurde die Verteilung des Regresses wegen der Verordnung von Immunglobulinen auf den Seiten 68 bis 75 dargestellt, wobei die Doppelerfassungen heraus gerechnet wurden und weiterhin die Verordnungen von Immunglobulinen bei Versicherten der Beigeladenen zu 6), die bereits Gegenstand des Verfahrens auf Feststellung eines sonstigen Schadens gewesen waren, als unbeachtliche Kosten herausgenommen.

Unter Beachtung des Verböserungsverbots wurde der Gesamtbetrag der maximal möglichen Regresse wegen der Verordnung von Immunglobulinen auf den Betrag von 460.465,44 Euro berechnet.

Zu dem unter Punkt 4. mitgeteilten Ergebnis wies der Beklagte im Beschluss auf Seite 76 darauf hin, dass der Apothekenrabatt und die Verordnungsblattgebühr bereits bei den Regressfestsetzungen durch den Prüfungsausschuss berücksichtigt worden seien.

Gegen den am 11.11.2008 zugestellten Beschluss zur Wirtschaftlichkeitsprüfung betreffend Verordnungsweise Arznei für die Quartale 1/1998 bis 4/2001 hat der Kläger am 08.12.2008 rechtzeitig Klage erhoben. Zur Begründung der Klage trägt der Kläger umfassend vor, wobei hier nur die wesentlichen Gesichtspunkte im Tatbestand wieder gegeben werden.

Der Kläger ist der Ansicht, dass der Bescheid bereits formell rechtswidrig ist, da gegen das Recht auf Gehör gemäß § 24 SGB X verstoßen worden sei, indem der Beklagte seine Entscheidung auf medizinische Ausführungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen gestützt habe, die ihm erst in der Sitzung vom 18.06.2008 zur Verfügung gestellt worden seien. Daher habe er sich nicht zu den entscheidungserheblichen Tatsachen äußern können.

Wenn der Beklagte im Rahmen seines Beurteilungsspielraums hinsichtlich der Prüfmethode die eingeschränkte Einzelfallprüfung gewählt habe, so sei für diese Prüfmethode die Beurteilung einzelner Fälle auf Basis der Behandlungsunterlagen des Klägers entscheidend. Bei der Beurteilung der Einzelfälle sei der Beklagte allein den Ausführungen von Frau Dr. H (siehe Seite 50 ff. des Bescheides) gefolgt, die entscheidungserheblich seien, da davon ausgegangen werden müsse, dass die medizinische Einschätzung auch auf alle anderen Fälle, in denen Immunglobuline verordnet worden seien, zuträfe. Ihm sei jedoch nicht Gelegenheit gegeben worden zu der von Frau Dr. H abgegebenen Stellungnahme in medizinischer Hinsicht selbst Stellung zu beziehen, obwohl hierzu eine dringende Notwendigkeit bestanden habe, da einige medizinische Ausführungen nachweislich medizinisch falsch oder nicht nachvollziehbar seien. Insbesondere stünden die Aussagen von Frau Dr. H im Widerspruch zu der herrschenden Meinung in der Medizin. Außerdem sei auf die Begutachtung zu den einzelnen Fällen zu verweisen, die zum Teil unlogisch seien und zudem auch aus haftungsrechtlicher Sicht äußerst bedenklich seien: Polyvalente Immunglobuline seien zur Behandlung einer Immunthrombozytopenie (ITP), die auch im Rahmen der HIV-Infektion auftreten könne, ausdrücklich bei Blutungsneigung/-gefahr zugelassen.

Dem Beklagten hätten die Stellungnahmen der Frau Dr. H unstreitig vor dem Sitzungstermin vorgelegen. Obwohl die Prozessbevollmächtigte des Klägers noch im Mai 2005 um Akteneinsicht gebeten und auch in Telefonaten immer wieder zum Ausdruck gebracht hätte, dass um die Übersendung sämtlicher Informationen gebeten werde, die für die Streitsache entscheidend seien, seien ihm die Stellungnahmen der Frau Dr. H vorenthalten worden. Bezeichnend sei in diesem Zusammenhang, dass die Stellungnahmen zum Zeitpunkt der Sitzung beinahe ein Jahr alt gewesen wären.

Da es also nach Art und Inhalt des angefochtenen Verwaltungsaktes um eine eingeschränkte Einzelfallprüfung gehe, für die die Beurteilung der von ihm behandelten Einzelfälle von entscheidender Bedeutung sei, stelle die Nichtübersendung der medizinischen Stellungnahmen der Beigeladenen zu den von ihm im Einzelnen dargelegten Fällen einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dar, insbesondere dann, wenn der Beklagte seinen Bescheid mit exakt dieser Stellungnahme begründet habe.

Darüber hinaus seien einzelne Unterlagen, die der Beklagte seinem Bescheid beigefügt habe, nicht in der Verwaltungsakte enthalten gewesen bzw. dem Kläger oder seiner Prozessbevollmächtigten nicht zur Verfügung gestellt worden.

Der Bescheid sei auch in materiell-rechtlicher Hinsicht fehlerhaft.

Zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verordnungsverhaltens habe der Beklagte eine repräsentative Einzelfallprüfung durchgeführt. Hinsichtlich der gewählten Prüfmethode müssen die anhand der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze eingehalten werden. Zwar habe das Bundessozialgericht neben der strengen Einzelfallprüfung auch eine repräsentative (oder eingeschränkte) Einzelfallprüfung zugelassen, jedoch sei im Unterschied zur strengen Einzelfallprüfung, bei der sich die Begründung der Unwirtschaftlichkeit auf jeden einzelnen Behandlungsfall des geprüften Quartals erstrecken müsse, bei dieser repräsentativen Einzelfallprüfung nur eine repräsentative Auswahl der Verordnungsfälle zu untersuchen. Sodann würden die Ergebnisse dieser Prüfung, insbesondere der so ermittelte unwirtschaftliche Behandlungsaufwand auf die Gesamtheit der Fälle hochgerechnet. In der bisher verfügbaren Rechtsprechung sei diese Prüfmethode nur auf die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise unter bestimmten Voraussetzungen, nicht aber im Hinblick auf die Verordnungsweise abgesegnet worden. Danach sei es erforderlich, dass pro Quartal und Kassenbereich mindestens 20 % der abgerechneten Fälle – mindestens jedoch 100 Behandlungsfälle – zu überprüfen seien, bevor eine mathematisch statistisch verwertbare Aussage über die gleichgelagerte Verhaltensweise des Arztes zu erhalten sei. Es müsse dabei sichergestellt werden, dass die so zu prüfenden Einzelfälle nach generellen Kriterien ermittelt worden seien. Dabei unterscheide das Bundessozialgericht zwischen der repräsentativen Einzelfallprüfung als Prüfungsgrundmethode und der ergänzenden Prüfmethode. Werde die repräsentative Einzelfallprüfung als alleinige Prüfmethode durchgeführt, gölten die strengeren oben genannten Regeln, die nicht in gleichem Maße Anwendung fänden, wenn die repräsentative Einzelfallprüfung ergänzend durchgeführt werde. Es seien zwar 16 Patienten der AOK in den Quartalen 1/98 bis 4/01 einer Einzelfallprüfung unterzogen worden. Dabei seien allerdings im Hinblick auf die Fallzahl des Klägers im Quartal 1/98 nur 3 % der Fälle beleuchtet worden wie ebenfalls auch nur 3 % in den Quartalen 2/98 und 3/98 und in 4/98 aufgerundet 4 %. Auch im Hinblick auf das Verordnungsvolumen sei die durchgeführte Untersuchung nicht repräsentativ, da in 1998 nur 11 % der Verordnungskosten, in 2000 ungefähr 13 % und in 2001 ca. 12 % des Gesamtverordnungsvolumens untersucht worden sei. Damit seien die mathematisch-statistischen Kriterien, die an eine eingeschränkte Einzelfallprüfung geknüpft werden, nicht erfolgt. Aber auch die weitere Voraussetzung des generellen Auswahlkriteriums läge nicht vor. Der Beklagte habe zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise geprüft, ob die Verordnung von Immunokinen und von Immunglobulinen nach den Vorgaben des SGB V zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich zulässig gewesen wären im geprüften Verordnungszeitraum. Hierfür sei es auf die zu Grunde liegende Diagnose angekommen. Da der Beklagte bei 15 der insgesamt 16 im Einzelfall geprüften Patienten die Verordnungen von Immunglobulinen für unzulässig gehalten habe, sei dieses Ergebnis auf die übrigen von den Krankenkassen gemeldeten Fälle übertragen worden. Die Verordnung von Immunokinen werde ohne Einzelfallbetrachtung grundsätzlich als unzulässig angesehen, weshalb sämtliche Immunokine-Verordnungen regressiert worden seien.

Eine eingeschränkte Einzelfallprüfung in der von dem Beklagten durchgeführten Art und Weise berge Fehlerquellen, die sich für ihn eklatant auswirkten. Eine generalisierende Aussage, dass die Verordnung der Immunglobuline Cytoglobin, Cytotect, Intraglobin, Octagam und Polyglobin bei erwachsenen HIV-Patienten ein unzulässiger Off-Label-Use sei, sei rechtlich und medizinisch nicht haltbar. Diese These habe aber die Basis der eingeschränkten Einzelfallprüfung im vorliegenden Fall gebildet. Der Beklagte habe seine aufgestellte These sogar selber widerlegt, indem er im Falle des X (AOK) die Verordnung von Cytotect für indiziert und damit für zulässig gehalten habe. Eine Hochrechnung sei weiterhin deshalb falsch, da Fälle einbezogen worden seien, bei denen eine Einzelfallprüfung durchaus möglich gewesen wäre; bei diesen hätte sich im Falle einer Einzelfallprüfung eine Verordnungsfähigkeit ergeben. Auf die besonderen Sachlagen wie der Krankheit Aids bei Kindern, den angeborenen Immunmangelsyndromen und der Cytomegalievirusinfektion sei hinzuweisen. Weiterhin bedürften die Fälle der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (ITP) wie auch die Einzelfälle der chronisch inflammatorisch demyelisierenden Polyneuropathie der besonderen Betrachtung. Diese Betrachtungsüberlegungen seien nicht erfolgt, so dass erhebliche Begründungsdefizite vorlägen. Auch sei die Nachvollziehbarkeit der Regresse im Bereich der Immunglobuline nicht gegeben. Denn für die Schadensersatzansprüche im Bereich der Immunglobuline seien von den Beigeladenen lediglich Excel-Listen, jedoch nicht Rezeptkopien vorgelegt worden. Um einen Regress zu Gunsten der DAK z.B. aussprechen zu können, wäre es dringend erforderlich gewesen, zumindest die Patientennamen zu kennen, für die Immunglobuline verordnet worden seien.

Im Anschluss an die Sitzung der 9. Kammer am 16.03.2010 wurde dem Kläger Gelegenheit gegeben noch einmal Stellung zu nehmen zu den Fällen, die der Überprüfung von Frau Dr. H unterlagen.

Weiterhin habe der Beklagte sich nicht mit dem im Laufe der Zeit geänderten Text der Arztneimittelzulassungen beschäftigt und dazu die Fachinformationen herangezogen, sondern sei ohne weitere Überprüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Verordnungen nicht vom Zulassungstext umfasst seien und somit die Prüfung eines Off-Label-Use zu erfolgen habe. Somit sei nicht hinreichend sichergestellt worden, dass die Fälle erfasst worden seien, in denen bei den getätigten Verordnungen von Immunglobulinen im Zeitraum von 1998 bis 2001 eine zulässige Verordnung vorgelegen habe.

Im laufenden Verfahren habe der Kläger mit Schriftsatz vom 10.06.2010 zu den Stellungnahmen in den Schreiben des MDK vom 04.05.2007 und 02.07.2007, zu denen er nicht angehört worden war, im Einzelnen und umfassend Stellung genommen. Auf den Inhalt des Schriftsatzes werde verwiesen.

Zur Vervollständigung seines Vortrags hat der Kläger mit dem Schriftsatz vom 11.10.2010 zwei Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen zur Frage der Gabe von Immunglobulinen bei Aids und bei Polyneuropathie im Rahmen einer HIV-Erkrankung überreicht. Da diese Gutachten bereits in das Verwaltungsverfahren eingeführt worden seien, sei auf eine Übersendung an die Beigeladenen verzichtet worden. Im Gutachten des MDK WL aus März 1999 sei die Frage beleuchtet worden, ob Immunglobuline bei HIV infizierten Versicherten mit Immunthrombozytopenie bzw. schwerer Polyneuropathie das Mittel der Wahl seien. Weiter sei gefragt worden, ob es kostengünstigere, alternative Therapiemöglichkeiten gäbe. Der Gutachter, Herr Dr. S, sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Therapie mit intravenösen Immunglobulinen anhand der gefundenen Literaturstellen, insbesondere beim HIV assoziierten akuten Guillain-Barré-Syndrom, sinnvoll sei. Das gleiche gelte auch für die chronisch-entzündliche demyelisierende Polyneuropathie (CIPD). Im Jahr 2003 sei durch den MDK Niedersachsen ein Gutachten zum Einsatz von Immunglobulinen bei Aids erstellt worden. Dabei sei der Gutachter Herr Dr. I zu dem Ergebnis gekommen, dass der Einsatz von Immunglobulinen bei Erwachsenen mit Aids keinen zulässigen Off-Label-Use darstelle. Allerdings sei auf Seite 13 ausgeführt worden, dass der HIV assoziierte Thrombozytopenie in die zugelassene Indikation der idiopathischen Thrombozytopenie (ITP) nicht eingeschlossen sei, dass aber in der Literatur pathophysiologische Mechanismen und therapeutische Möglichkeiten beschrieben worden seien, die sonst bei der klassischen ITP zum Einsatz kämen. In diesem Zusammenhang werde aus einer Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts zitiert, wonach sich auch bei der HIV assoziierten Thrombozytopenie ein Therapieansatz mit Immunglobulinen ableiten lasse, sofern andere Therapieformen nicht zur Verfügung stünden.

Diese Literatur habe der Beklagte bei der Beurteilung der ausgewählten Einzelfälle außer Betracht gelassen. Obwohl er bei den einzelnen Fällen die Diagnose "HIV assoziierte Thrombozytopenie" oder "CIPD" gestellt habe, sei nichts über den Einsatz von Immunglobulinen bei diesen Diagnosen ausgeführt worden, sondern lediglich im Anschluss an die Ausführungen von Frau Dr. H die Diagnose angezweifelt worden.

In einem weiteren Sitzungstermin der 9. Kammer am 26.10.2010 haben die Beteiligten die Diskussion um die beherrschenden Probleme weiter geführt und vertieft. Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Nach einer weiteren rechtlichen Überprüfung seitens des Gerichts mit dem Ergebnis der Rechtmäßigkeit der Regresse wegen der verordneten Immunokine wurde im Termin am 24.01.2012 ein Vergleich zur teilweisen Erledigung des Rechtsstreits geschlossen. In diesem Vergleich hat der Kläger die Regresse wegen der Immunokine als rechtmäßig anerkannt. Dabei wurde vereinbart, dass die Frage der Realisierung der Regresse in den folgenden Punkten einer gesonderten Behandlung zugeführt werden muss. Dazu wird auf die Punkte 2., 3. und 4. sowie 5. des gerichtlichen Vergleichs verwiesen.

Der Kläger beantragt,

den Beschluss des Beklagten vom 18.06.2008 insoweit aufzuheben, als für den Bereich der Immunglobuline in den streitigen Quartalen ein Regress in Höhe von insgesamt 460.465,44 Euro festgesetzt worden ist und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die nur noch teilweise aufrecht erhaltene Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass die Verordnungsregresse zu den Immunglobulinen rechtmäßig seien. Die Ausführungen des Klägers zeigten, dass er die wesentlichen Bedingungen für zulässige und wirtschaftliche Arzneimittelverordnungen nicht zur Kenntnis genommen habe. Im Übrigen stünden die Ausführungen im Widerspruch zu den Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 05.05.2010. Mit diesen Entscheidungen habe das BSG festgestellt, dass Immunglobuline selbst bei so schwerwiegenden Erkrankungen wie einem metastasierenden Karzinom der Eileiter oder einem embryonalen Hodenkarzinom mit Lungenmetastasierung nicht außerhalb ihrer Zulassungsindikation eingesetzt werden dürften. Die Kläger hätten zur Rechtfertigung ihrer Verordnungsweise auf bei den Patienten vorliegende Antikörpermangelsyndrome abgestellt. Dazu werde auf die Entscheidungsgründe der beiden genannten Urteile hingewiesen. Dabei habe das BSG u.a. ausgeführt, dass ein Arzt im Hinblick auf einen Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Patienten beitrage, wenn mögliche Untersuchungen, die eine Diagnose oder das Ausmaß einer Erkrankung abstützen könnten, nicht durchgeführt oder veranlasst worden seien. Dieser Umstand gehe dann zu Lasten des Arztes. Es gehe auch zu Lasten des Arztes, wenn erhebliche Zweifel daran bestünden, ob das von ihm so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichend spezifische Erkrankung sei, die abgegrenzt vom Hauptleiden behandelt werden könne und müsse. So habe das BSG auch darauf hingewiesen, dass das LSG einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könnte, nicht habe feststellen können.

Nach den Entscheidungen des BSG reiche es als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden könnten, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschrieben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten hätten.

Abschließend wies der Kläger darauf hin, dass in einem weiteren Streitverfahren vor dem Sozialgericht Dortmund unter dem Az.: S 40 KR 184/09 ein Versicherter gegen seine Krankenkasse auf Übernahme der Kosten für Immunglobuline klage. Zu den im Schriftsatz vom 16.03.2011 aufgeworfenen Fragen 1. bis 15. habe das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines wissenschaftlich begründeten, fachinternistisch gastoenterologischen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. med. H2, Zentrum für Innere Medizin, Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsklinik F. Im Ergebnis folge dieses Gutachten der medizinischen Vorgehensweise mit dem Ergebnis, dass eine analoge Indikation gegeben sei, die die Gabe von Immunglobulinen, hier Octagam, gerechtfertigt hätte. Auf die weiteren Einzelheiten der beigezogenen Unterlagen wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des Verwaltungsvorgangs des Beklagten und auf den Inhalt der Streitakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Soweit die zulässige Klage aufrechterhalten worden ist, ist diese auch begründet. Der Kläger ist durch den angefochtenen Beschluss des Beklagten vom 18.06.2008 insoweit beschwert in seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil der Regress für den Bereich der Immunglobuline in den streitigen Quartalen mit einer Gesamthöhe von 460.465,44 Euro nicht in Übereinstimmung mit der formellen und materiellen Rechtslage festgesetzt worden ist und der Beklagte daher verpflichtet werden musste, über den Widerspruch des Klägers unter der Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beschluss findet seine Rechtsgrundlage in § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 (BGBl. I S. 2266). Danach kann die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch die arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen u.a. nach Durchschnittswerten erfolgen. Die Auswahl unter den verschiedenen Prüfmethoden liegt grundsätzlich im Ermessen der Prüfgremien. Dabei ist nach der zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Rechtslage davon auszugehen, dass die Prüfung nach Durchschnittswerten wegen ihres hohen Erkenntnisgewinns bei verhältnismäßig geringem Verwaltungsaufwand die Regelprüfmethode darstellt (vgl. nur BSG 06.05.2009 - B 6 KA 17/08 R). Bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten werden Abrechnungs- bzw. Verordnungswerte des Arztes mit denjenigen der Fachgruppe, der der Arzt angehört, verglichen. Der Gesetzgeber hat damit die zur Legitimation einer statistischen Vergleichsprüfung unerlässliche Annahme gebilligt, dass die Gesamtheit aller Ärzte - im Durchschnitt gesehen - wirtschaftlich behandelt und verordnet, jedenfalls das Maß des Notwendigen und Zweckmäßigen nicht unterschreitet und dass deshalb der durchschnittliche Behandlungs- und Versorgungsaufwand einer Arztgruppe grundsätzlich ein geeigneter Maßstab für die Wirtschaftlichkeitsprüfung eines Angehörigen dieser Arztgruppe ist (s. BSG 16.07.2008, SozR 4-2500 § 106 Nr. 19, st. Rspr.). Ergibt die Prüfung, dass der Behandlungs- oder Verordnungsaufwand des geprüften Arztes in offensichtlichem Missverhältnis zum durchschnittlichen Aufwand der Vergleichsgruppe steht, diesen nämlich in einem Ausmaß überschreitet, das sich nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur wie Praxisbesonderheiten und/oder sog. kompensierende Einsparungen erklären lässt, so ist die Folgerung der Unwirtschaftlichkeit gerechtfertigt (BSG 16.07.2008, SozR 4-2500 § 106 Nr. 19; BSG 06.05.2009 - B 6 KA 17/08 R -). Dabei obliegt die Darlegungs- und Feststellungslast für besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände wie Praxisbesonderheiten und kompensierende Einsparungen dem Arzt, um den aus dem offensichtlichen Missverhältnis erwachsenen Anscheinsbeweis der Unwirtschaftlichkeit zu entkräften (BSG 16.07.2008, SozR 4-2500 § 106 Nr. 19; BSG 06.05.2009 - B 6 KA 17/08 R -). Bei den erforderlichen Bewertungen als fachlich-medizinisch und wirtschaftlich vertretbar oder nicht mehr vertretbar haben die Prüfgremien einen Beurteilungsspielraum, so dass deren Einschätzungen von den Gerichten nur in begrenztem Umfang überprüft und ggf. beanstandet werden können (vgl. hierzu BSG 02.11.2005, SozR 4-2500 § 106 Nr. 11; BSG 06.05.2009 - B 6 KA 17/08 R -). Die Kontrolle der Gerichte beschränkt sich hierbei auf die Prüfung, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtiger und vollständig ermittelter Sachverhalt zu Grunde liegt, ob die Verwaltung die durch die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs ermittelten Grenzen eingehalten und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, dass die Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist. Damit beschränkt sich die Überprüfung von Beschlüssen des Beklagten letztlich auf deren Vertretbarkeit (vgl. nur BSG 15.11.1995, SozR 3-2500 § 106 Nr. 31). In Anwendung dieser Grundsätze ist der angefochtene Beschluss nicht aufrecht zu erhalten.

Die Rechtswidrigkeit des Beschlusses vom 18.06.2008 ist in den folgenden Punkten festzustellen: 1. Zwar war der Beklagte bei der Auswahl der Prüfmethode im Rahmen seines Beurteilungsspielraums frei und nicht an die ausgewählte Prüfmethode des Prüfungsausschusses gebunden und konnte sich insoweit zu der richtigen Festlegung entscheiden, dass die Prüfmethode des statistischen Fallkostenvergleichs vorliegend nach den Feststellungen des Prüfgremiums wegen der speziellen Ausrichtung der Praxis des Klägers mangels einer vergleichbaren Gruppe von Ärzten im Bereich der KVWL nicht geeignet ist (vgl. Seite 24). Der Beurteilungsspielraum ist dem Prüfgremium bei der Wahl der im Einzelfall geeigneten Prüfmethode durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eingeräumt (vgl. Engelhard in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB V, Berlin 2011, § 106 SGB V (Bearbeitungsstand: 3/12) Rn. 553 a mit zahlreichen Nachweisen aus BSG-Rechtsprechung). Dieser Beurteilungsspielraum gilt auch für die Bewertung der Zulässigkeit einer Prüfmethode (vgl. Engelhard, a.a.O.). Dieses gilt sowohl für die von den Krankenkassen beantragte Überprüfung der Wirtschaftlichkeit nach dem statistischen Fallkostenvergleich für die Quartale 1/1998 bis 4/2000 wie auch für die von Amts wegen durchgeführte Wirtschaftlichkeitsprüfung für die Quartale 1/2001 bis 4/2001 nach der Methodik des statistischen Fallkostenvergleichs.

Richtigerweise hat der Beklagte daher die Prüfmethode auf die eingeschränkte Einzelfallprüfung umgestellt. Unter Differenzierung der strengen und der eingeschränkten Einzelfallprüfung (vgl. Engelhard, a.a.O., § 106 SGB V Rn. 134 bis 135 einerseits und Rn. 136 bis 139 andererseits) begründete der Beklagte dies damit, dass die Praxis des Klägers auf Grund des erwiesenermaßen erheblichen Umfanges der Betreuung von HIV- und HCV-Patienten (Hepatitis-C-Virus-Patienten) nicht mit der Fachgruppe der zugelassenen Internisten für die Quartale 1/1998 bis 4/2000 bzw. fachärztlich tätigen Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung für die Quartale 1/2001 bis 4/2001 vergleichbar sei.

Unter Betonung, dass es sich bei dem Beschwerdeverfahren um ein eigenständiges Verwaltungsverfahren in einer zweiten Verwaltungsinstanz mit umfassender Prüfungs- und Entscheidungskompetenz (Zum Charakter eines eigenständigen und umfassenden Verwaltungsverfahrens in einer zweiten Verwaltungsinstanz vgl. Engelhard, a.a.O., § 106 SGB V Rn. 595 m.w.N.) handele, wäre hier die statistische Prüfmethode mangels einer hinreichenden Homogenität der Vergleichsgruppe auszuschließen gewesen. Dies bedingt insbesondere die Tatsache, dass der Kläger über eine Sonderbedarfszulassung zur Versorgung HIV-infizierter und/oder drogenabhängiger Patienten verfügt hatte. Diese Sonderbedarfszulassung sei für die ersten zwei Quartale des Jahres 2000 zur Durchführung von Leistungen gegenüber Patienten mit schweren viralen Infektionskrankheiten wie z.B. Hepatitis A, B oder C oder Infektionen aus der Familie der Herpes-Viren und vergleichbare Krankheitsbilder erweitert worden. Zu Unrecht habe der Prüfungsausschuss diese Tatsachen ignoriert.

Auch ein statistischer Fallkostenvergleich auf der Grundlage einer Verfeinerung der vergleichsgruppe der Internisten hätte im vorliegenden Verfahren ausscheiden müssen. Dies bereits deshalb, da eine hinreichend große Gruppe von Praxen, die eine Übereinstimmung in den wesentlichen und typischen Praxismerkmalen aufzuweisen hätten, nicht zu ermitteln gewesen wäre. Insoweit sei anzumerken, dass sich bundesweit nur vereinzelt Praxen finden ließen, die annähernd in vergleichbarem Umfang HIV- und HCV-Patienten behandeln würden. Für den Bereich der KVWL lasse sich keine weitere Praxis feststellen, die in ähnlichem Maße die vorgenannten Krankheitsbilder behandele.

Aus den vorgenannten Gründen habe daher nach Überzeugung des Prüfgremiums die Überprüfung der Arznei-Verordnungsweise des Klägers auf der Grundlage einer eingeschränkten Einzelfallprüfung zu erfolgen. Der Beklagte habe die Verordnungsweise bei den einzelnen Patienten auf der Grundlage der Behandlungsangaben des Beschwerdeführers, der Behandlungs- und Verordnungsunterlagen untersucht. Somit sei die Indikationsstellung des Klägers seiner Prüfung zu Grunde gelegt worden. Der Beklagte habe im Einzelnen die Verordnungen nach den Kriterien der Verordnung von Immunokinen und der Verordnung von Immunglobulinen untergliedert. Dabei interessierten hier nur noch die Ausführungen zu den Verordnungen von Immunglobulinen wegen des im Termin geschlossenen Teilvergleichs.

Als Ergebnis zur Auswahl der Prüfmethodik ist hier festzuhalten, dass der Beklagte diese durchaus auf die eingeschränkte Einzelfallprüfung umstellen konnte.

2. Mit dieser Umstellung sind aber auch weitere verfahrensrechtliche und rechtsstaatliche Anforderungen verbunden, die den Kläger in die Lage versetzen mussten, seine Rechte entsprechend zu wahren und mit seinen Darstellungen auf die Entscheidung des Prüfgremiums Einfluss nehmen zu können. Dies entspricht dem Inhalt des rechtsstaatlich garantierten rechtlichen Gehörs und hat seinen Niederschlag in § 24 SGB X gefunden. Insbesondere ist vor einem Regress wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise dem betroffenen Arzt stets Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, da dieser als Schadenersatzanspruch in dessen Rechte eingreift (vgl. Hess, Kass. Komm., § 106 SGB V – Bearbeitungsstand: Okt. 2011 – Rz 100). Hierzu muss das Gericht der Darstellung des Klägers nach sachlicher Überprüfung folgen, denn der Kläger hat nicht ausreichend Einblick nehmen können in die vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen dargelegten Umstände der Einzelfälle, von denen nicht auszuschließen ist, dass sie unmittelbar oder mittelbar in die Bewertung mit eingeflossen sind. Somit wäre wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 24 SGB X sowieso eine Neubescheidung in den noch streitig gebliebenen Punkten notwendig gewesen, denn eine Heilung dieses Verfahrensfehlers kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X).

3. Die Prüfmethodik der eingeschränkten Einzelfallprüfung setzt andere Kenntnisse als diejenigen zur statistischen Fallkostenprüfung voraus. Wenn die eingeschränkte Einzelfallprüfung – als Fortentwicklung der strengen Einzelfallprüfung – ebenfalls nur durch sachverständige Ärzte durchgeführt werden kann, wird bei der Prüfung der Behandlungsweise oder Verordnungsweise die Indikationsbeurteilung des geprüften Arztes zu Grunde gelegt. Damit handelt es sich dem Grundsatz nach mehr um eine Schlüssigkeitsprüfung innerhalb der Behandlungsweise oder Verordnungsweise des Arztes als um eine "echte" Einzelfallprüfung (vgl. Engelhard, a.a.O., § 106 SGB V Rn. 136 m.w.N.). Die eingeschränkte Einzelfallprüfung ist als Prüfungsart zulässig, wenn aussagekräftigere Beweismittel und –methoden nicht (mehr) zur Verfügung stehen. Das Ergebnis einer eingeschränkten Einzelfallprüfung ist in seiner Aussagefähigkeit natürlich begrenzt, weil der Prüfung die Angaben des zu prüfenden Arztes zu Grunde gelegt werden. Insbesondere kann damit nicht direkt der Nachweis der Wirtschaftlichkeit geführt werden. Allerdings können die Ergebnisse geeignete Grundlagen einer wertenden Entscheidung der Prüfgremien sein, dass die Behandlungsweise oder Verordnungsweise eines Vertragsarztes unwirtschaftlich ist (vgl. Engelhard, a.a.O., § 106 SGB V Rn. 137 m.w.N.). Von daher erlaubt die eingeschränkte Einzelfallprüfung unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Hochrechnung, wobei die Prüfgremien darzulegen und nachzuweisen haben, dass in diesem Ausnahmefall die eingeschränkte Einzelfallprüfung geeignet ist und die Voraussetzungen für eine Hochrechnung auf die gesamten Behandlungsfälle bzw. Verordnungsfälle des Abrechnungsquartals gegeben waren (vgl. dazu BSG, Urteil vom 08.04.1992, 6 RKa 27/90, USK 92 154, BSG, Urteil vom 23.02.2005, B 6 KA 72/03 R, in SozR 4-2500, § 106 SGB V Nr. 8). Dabei dürfen die Voraussetzungen der Rechtsprechung, dass eine repräsentative Einzelfallprüfung mit anschließender Hochrechnung nur angewandt werden darf, wenn und soweit besonderer Umstände die Regelprüfmethode der statistischen Vergleichsprüfung nach Durchschnittswerten keine beweistauglichen Ergebnisse liefert, hier bejaht werden.

In weiterer Fortentwicklung seiner Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht (vgl. Urteil vom 27.06.2007, B 6 KA 44/06 R in SozR 4-2500, § 106 SGB V Nr. 17) entschieden, dass die Prüfmethode der eingeschränkten Einzelfallprüfung gewählt werden kann, um die Wirtschaftlichkeit des Verordnungsumfangs in einzelnen Behandlungsfällen zu überprüfen. So kann bei der eingeschränkten Einzelfallprüfung das Ergebnis der Unwirtschaftlichkeit, zu dem das Prüfgremium auf Grund der von ihm durchgeführten eingeschränkten Einzelfallprüfung gelangt ist, nicht zu beanstanden sein, wenn diese bei der Unwirtschaftlichkeit der Verordnung darin begründet liegt, dass der Verordnungsumfang unter keinen Umständen näher medizinisch zu rechtfertigen war. Dabei hatte das Prüfgremium den zulässigen und vorstellbaren Maximalverbrauch zu errechnen, diesen wegen der jeweiligen Packungsgrößen aufzurunden und damit das tatsächliche Verordnungsverhalten des Arztes gegenüber zu stellen. Dies führte nach Abzugsbeträgen für den Apothekenrabatt und die Patientenzuzahlungen zu dem konkreten ermittelten Regressbetrag.

Eine derartige Anwendung der Prüfmethodik der eingeschränkten Einzelfallprüfung lässt sich dem Beschluss auf den Seiten 34 bis 61 nicht entnehmen. Vielmehr wird global die rechtliche Zulässigkeit der Verordnung von Immunglobulinen überprüft und diese als nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst als unzulässig gewertet. Darüber hinaus sei die Verordnung von Immunglobulinen nach den getroffenen Feststellungen außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung und auch nicht als zulässiger Off-Label-Use anzusehen. Damit wird aber schon im Ansatz die Prüfmethodik der eingeschränkten Einzelfallprüfung mit anschließender Hochrechnung (Zur eingeschränkten Einzelfallprüfung beim sogenannten Arzneiregress, insbesondere in Fällen des Off-Label-Uses vgl. Engelhard, a.a.O., § 106 SGB V Rn. 139 m.w.N.) verlassen, sondern es wird generell dargestellt, dass der Kläger Immunglobuline nicht hätte verordnen dürfen und somit wird letztendlich ein Regress wegen unzulässiger Verordnung von Arzneimitteln begründet. Diese Vorgehensweise hätte im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung gewählt werden können und dies hätte bei der Methodikauswahl klargelegt und dargestellt werden müssen, wobei auch Kombinationen von verschiedenen Prüfmethoden durchaus denkbar gewesen wären. Jedoch hat sich das Prüfgremium im ersten Teil seines Beschlusses ganz eindeutig zu der Prüfmethodik der eingeschränkten Einzelfallprüfung entschieden und war dann an diese Entscheidung bei der weiteren Anwendung der Prüfmethodik auch gebunden. Dieses ist gründlich missachtet worden.

Daher kann die Kammer die Ausführungen des Beschlusses auf den Seiten 34 bis 37 nicht als rechtlich zutreffend anerkennen. Weiterhin muss aber auch die Anwendung und die Prüfung der Verordnung von Immunglobulinen bei erwachsenen HIV-Patienten im Hinblick auf die Frage der Zulässigkeit eines Off-Label-Uses weitaus differenzierter gesehen werden als im Beschluss dargestellt. Hier kann es nicht bei den Einzelfällen mit zusätzlicher Lebensbedrohung ausreichen, dass die Wirksamkeit von Immunglobulinen bei Aids nicht durch adäquate Studien belegt ist. Damit werden die Inhalte des Nikolaus-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 (BVerfG, Beschl.v. 06.12.2005 – 1 BvR 347/98NZS 2006, 84 – 88) verfehlt. Der angefochtene Beschluss beachtet insbesondere bei den Ausführungen auf Seite 40 ff. nicht die Weiterentwicklung des zulassungsüberschreitenden Einsatzes, denn die Rechtsprechung ist nicht beim Stande von 2002 stehen geblieben. Weiterhin ist zu bemerken, dass das Prüfgremium selbst im Jahre 2005 ausweislich der Überprüfung der Bescheide aus dem Jahr 2005 noch die Auffassung vertreten hatte, dass die Verordnung von Immunglobulinen bei HIV-infizierten Patienten mit sekundären Antikörpermangelzuständen nicht zu beanstanden sei, da die Immunglobuline innerhalb der durch die Zulassung festgelegten Anwendungsgebiete verordnet worden seien (vgl. Seite 43 des Beschlusses). Ob und inwieweit dabei rechtliche Fehler unterlaufen sind, kann bei der hier dargestellten Kritik an der Umsetzung der Prüfmethodik letztendlich dahingestellt bleiben. Falsch ist die Darstellung auf Seite 44 des Beschlusses, dass auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 (sog. Nikolaus-Beschluss) an dem Grundsatz festzuhalten sei, dass im Arzneimittelbereich die arzneimittelrechtliche Zulassung die Mindestvoraussetzung für eine Kostentragung durch die GKV ist. So sehr dieser Grundsatz auch weiterhin zu überzeugen vermag, so sehr sind doch die Ausnahmen und die Ausnahmetatbestände um die es insbesondere hier in diesem Falle des Klägers geht zu beachten. Daher ist auch die Schlussfolgerung auf Seite 45 unten des Beschlusses rechtlich nicht zutreffend, denn die vom Bundesverfassungsgericht gefundenen Ergebnisse sollen nach Auffassung des Prüfgremiums nicht auf den Arzneimittelbereich übertragen werden. Es bliebe daher im Arzneimittelbereich am Grundsatz des Vorrangs der Zulassung für eine Leistungspflicht der GKV. Hiermit liegt das Prüfgremium falsch wegen der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, aber insbesondere auch wegen der Ausführungen des Bundessozialgerichts in den dem Nikolaus-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nachfolgenden Entscheidungen zur Umsetzung des Nikolaus-Beschlusses (vgl. Padé, Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei Lebensgefahr und tödlich verlaufenden Krankheiten – Umsetzung des "Nikolaus"-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – NZS 2007, 352 – 358). Insoweit kann die Kammer die gegebenen Begründungen der Arzneimittelverordnungen zur Regressierung der Immunglobuline nicht anerkennen.

Daher kann das Ergebnis (vgl. Seite 46 des Beschlusses), dass auch auf der Grundlage des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 die durch den Kläger veranlasste Verordnung von Immunglobulin bei erwachsenen HIV-Patienten zu Lasten der GKV nicht zu rechtfertigen ist, im Rahmen der Prüfmethode der eingeschränkten Einzelfallprüfung nicht überzeugen. Wenn sich das Prüfgremium in den folgenden Ausführungen mit der gerade schon angesprochenen Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Krankenversicherungsbereich auseinander setzt und dort hinsichtlich der Entscheidung vom 04.04.2006 (B 1 KR 7/05 R) konzidieren musste, dass die Rechtsprechung zum Off-Label-Use gegenüber der Entscheidung vom 19.03.2002 dahingehend geändert worden ist, dass nunmehr die Nutzen-Risiko-Analyse zu Gunsten des Klägers ausfallen müsste, kann das Prüfgremium auch dem nicht folgen. Allerdings wird auf Seite 47 unten eingeräumt, dass die vom Bundesverfassungsgericht zum Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden mit Beschluss vom 06.12.2005 entwickelten Grundsätze nach dem Urteil des BSG vom 04.04.2006 sinngemäß auch im Bereich der Arzneimittelversorgung gelten. Trotz dieser Feststellung wurden die Ausführungen auf den Seiten davor nicht korrigiert oder nicht in ihrer klaren ergebnisbezogenen Aussage korrigiert, sondern weiter aufrecht erhalten. Somit weist der Beschluss mehrere Widersprüche auf, die auch durch die weiteren Ausführungen im Beschluss auf Seite 48 ff. nicht aufgelöst werden. Vielmehr wird wieder auf generelle Kriterien abgestellt wie auf dasjenige, das für die Behandlung der Infektionskrankheiten als Folgeerkrankung der HIV-Erkrankung nach Ansicht des Prüfgremiums an der Feststellung der Voraussetzungen der mangelnden Behandlungsalternative fehlt. Dabei hat die Diskussion in den vergangenen Jahren klar gezeigt, dass auch dann, wenn die Verordnung von Immunglobulinen bei den vorliegenden Behandlungsfällen auf die Behandlung der sekundären Immunmangelsyndrome abzielte, nicht mit aller Klarheit ausgeführt werden konnte, dass für die Behandlung dieser Begleitstörungen bei der insgesamt gegebenen Komplexität des Behandlungsfalles schuldmedizinische Behandlungsalternativen zur Verfügung gestanden haben. Somit wird nur generell festgestellt, dass das Prüfgremium zu der Überzeugung gelangt ist, dass sich auch auf der Grundlage des Urteils des BSG vom 04.04.2006 im vorliegenden Verfahren eine Zulässigkeit der Verordnung von Immunglobulin bei erwachsenen HIV-Patienten nicht begründen lasse.

4. Für die Einzelfallbegründungen auf Seite 50 bis Seite 61 des Beschlusses muss bei allem Verständnis für die Schwierigkeit und Komplexität der Wirtschaftlichkeitsprüfung in diesem Bereich mit Nachdruck unterstrichen werden, dass zunächst bei der eingeschränkten Einzelfallprüfung von der Diagnosestellung des behandelnden Arztes auszugehen ist und demgemäß zu bewerten ist, ob die Verordnung der Arzneimittel auf diese genannten Erkrankungen und Diagnosen abzielten und ggfls. auch zu einer Besserung geführt haben. Die Ansätze dieser Einzelfallprüfung wurden jedoch wiederum mit der generellen Problematik des Einsatzes von Immunglobulinen vermischt, wobei auch konkret der Gegenbeweis nicht angetreten worden ist, ob die benannten üblichen Therapien in Abhängigkeit vom Schweregrad mit der Gabe von ggfls. Antibiotika, Antidiarrhoika, Elektrolytausgleich etc. zu gleichen Ergebnissen geführt hätten. Die allgemeine Aussage, dass die von dem Kläger gewählte Arzneimitteltherapie mit Immunglobulinen nicht dem allgemein anerkannten Stand entsprochen hätte, kann bei der Prüfmethode der eingeschränkten Einzelfallprüfung nicht ausreichen, sondern wäre allenfalls bei der Prüfmethode zur Feststellung von Unwirtschaftlichkeiten wegen der Verwendung von unzulässigen Arzneimitteln zur Anwendung gelangt. Auch dabei hätte nach den verschiedenen Stufen die Zulassungsebene genau ausgelotet werden müssen und ggfls. eine genaue Überprüfung im Bereich des Off-Label-Uses stattfinden müssen (Zum Prüfungsumfang im Einzelfall vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010 – B 6 KA 6/09 R – SozR 4-2500 § 106 Nr. 27 Rn. 37 ff.).

Ebenfalls ist die Behandlung der Einzelfälle mit der besonderen Sachlage einer Kombination einer HIV-Infektion mit Schwerstinfektionen und hinzutretenden schweren psychiatrischen Störungen im Sinne eines Borderline-Syndroms nicht überzeugend. Vielmehr sind die Verordnungen des Klägers mit der Gabe von Intraglobin-F bzw. Polyglobin-Verordnung mit schwersten kutanen HSV-1-Infektionen nicht wiederlegt worden. In anderen Einzelfällen ist man zwar der Symptomatik nachgegangen, hat aber keine strenge Einzelfallprüfung mit dem Ergebnis der medizinisch nicht nachweisbaren Notwendigkeit durchgeführt und in der Begründung dargelegt.

Weiterhin zeigt der auf Seite 53 bis Seite 55 unten behandelte Einzelfall des Patienten I die Schwierigkeit und Komplexität der von dem Kläger zu betreuenden Einzelfälle. Es stellt sich hier die Frage, ob Fälle dieser Art überhaupt der Wirtschaftlichkeitsprüfung mit der hier gewählten Methodik unterzogen werden können, zumal die Entwicklung über die Jahre hin sehr viele unterschiedliche Symptome aufgewiesen hat und unterschiedliche Entwicklungen. Somit können die gesamten Behandlungs- und Verordnungsansätze des Klägers nicht damit widerlegt werden, dass am Ende der Behandlungen, die von 1996 bis 2005 andauerten, die Universitätsklinik N – eine atypische Mykobakteriose des Kleinhirns (neben der Lungenbeteiligung) – wenn auch letztlich nicht gesichert – als Arbeitshypothese für die Behandlung zu Grunde gelegt hat und diese Therapie auch erfolgreich war. Ob insofern die Indikation für die Verordnung von Immunglobulin und ein Guillain-Barré-Syndrom anhand der vorliegenden Unterlagen nicht nachvollzogen werden konnte, kann nicht unmittelbar das Ergebnis einer Unwirtschaftlichkeit der Vorgehensweise des Klägers begründen.

Die Kammer weist darauf hin, dass sie sich nicht generell bei der ihr obliegenden Verpflichtung zur Objektivität den Behandlungs- und Verordnungsansätzen des Klägers anschließt, jedoch muss bei der eingeschränkten Einzelfallprüfung im Schwerpunkt zunächst auf die medizinische Stimmigkeit innerhalb der Verordnungstherapie des Klägers eingegangen werden. Insbesondere können die Verordnungsansätze nicht an der Komplexität des Einzelfalles vorbeigehen, denn es handelt sich zumeist in der Basis um eine HIV-Infektion, wobei sie als weitere Diagnosen Polytoxikomanie mit Subsitutionsbehandlung von Methadon, chronisch obstruktive Bronchitis, insulinpflichtiger Diabetes mellitus, Herzklappenfehler sowie Zustand nach Hepatitis B und C finden. Hierbei kann nicht allein auf die Feststellung abgestellt werden, dass die Gabe von Immunglobulinen nicht zum Standardrepertoire bei der Behandlung von Fieber unklarer Genese gehört, sondern die Komplexität des Gesamtfalles muss weiter im Blick behalten werden.

Die Kammer kann auch nicht der Zusammenfassung des Prüfgremiums auf Seite 60 und Seite 62 folgen, dass der Beklagte unter Berücksichtigung der eingereichten Stellungnahmen zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Verordnung von Immunglobulinen zu Lasten der GKV nicht zu rechtfertigen ist. Weiterhin ist nicht nachvollziehbar, ob die mit Schreiben der Verfahrensbevollmächtigten vom 03.06.2008 noch ergänzten Darstellungen zu den einzelnen Behandlungsfällen wirklich nicht zu neuen Erkenntnissen hätten führen und somit eine andere Beurteilung hätten rechtfertigen können. Denn bei der Gesamtbeurteilung fällt auf, dass insbesondere immer wieder darauf abgestellt wird, dass die Verordnung von Immunglobulinen in allen diesen Fällen entweder für den Beklagten nicht nachvollziehbar gewesen ist oder nicht dem allgemein anerkannten Stand entsprochen hatte. Somit kann auch die am Abschluss erfolgte Zusammenfassung mit dem Hinweis auf die Behandlungsfälle im Ergebnis und in der Frage der Begründungsnotwendigkeit nicht überzeugen.

5. Vor der Würdigung der auf den Seiten 61 bis 75 behandelten Regressverteilung innerhalb der beteiligten Krankenkassen der gesetzlichen Krankenversicherung ist zu bemerken, dass durch den Beschluss des Beklagten vom 18.06.2008 sämtliche Widersprüche des Klägers gegen die Beschlüsse des Prüfungsausschusses zurückgewiesen worden sind und zunächst der Gesamtbetrag des Regresses in Höhe von 703.993,00 Euro bestätigt worden ist. Hinsichtlich der jetzt nur noch streitigen Regressbeträge wegen der Verordnung von Immunglobulinen wird auf die Darstellung zu der maximalen Regressierung wegen des "Verböserungsverbots" auf Seite 71 des Beschlusses hingewiesen und somit ist insgesamt der Betrag von 460.465,44 Euro ermittelt worden. Zur Vervollständigung der Darstellung verweist die Kammer auf die auf den Seiten 72 bis 75 erfolgten Darstellungen zu den einzelnen Regressmeldungen, den einzelnen Regressierungen und den Verteilungsmechanismen. Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass bei einzelnen Patienten die Hyperimmunglobulinbehandlung (Cytotect) gegen CMV nicht regressiert worden ist bzw. nach Korrektur der Doppelerfassung zurückgeführt worden ist. Insbesondere standen in den Quartalen 4/2000, 1/2001 und 2/2001 keine Beiträge für die Regressierung wegen der Verordnung von Immunglobulinen zur Verfügung. Diese Umstände werden bei der weiteren möglichen Neubescheidung weiterhin zu berücksichtigen sein und bilden den Rahmen.

Jedoch kann sich die Kammer nicht des Eindrucks erwehren, dass der Beklagte versucht hat die in der ersten Verwaltungsinstanz gefundenen Ergebnisse und damit auch den Umfang der Regresse in dem Beschluss vom 18.06.2008 zu halten. Bei allem Verständnis für diese Vorgehensweise können die Auswahl der Prüfmethode und die damit verbundenen methodischen Anwendungsfehler nicht übersehen werden, sondern mussten zur Verpflichtung zur Neubescheidung führen. Auch wenn die Prüfung heute über insgesamt alle Krankenkassenbereiche (also Primär- und Ersatzkassen) erstreckt wird, so muss die Anzahl der einer Hochrechnung zu Grunde gelegten Verordnungen so repräsentativ sein, dass eine Maßstabsbildung rechtlich zulässig erscheint (vgl. Engelhard, a.a.O., § 106 SGB V Rn. 141, 142 m.w.N.)

Bei seiner Prüfungsweise hat das Prüfgremium die Vorgaben der eingeschränkten Einzelfallprüfung mit anschließender Hochrechnung und abschlagsweisen Regressfestsetzungen im Regelfall im Umfang von 25 % wegen der mit dieser Methode einhergehenden Unsicherheiten bei der Bemessung des Kürzungsbetrages (Sicherheitsabschlag von 25 % des danach als unwirtschaftlich ermittelten Gesamtbetrages (vgl. Engelhard, a.a.O., § 106 SGB V Rn. 147 m.w.N.) nicht befolgt, sondern ist in der Prüfmethodik sachlich umgeschwenkt auf eine Darstellung zur Unzulässigkeit der Verordnung von Immunglobulinen, die die Darlegungs- und Beweislastgrundsätze durcheinander gebracht hat. Wenn grundsätzlich von der Unzulässigkeit der Verordnung von Immunglobulinen auszugehen ist und dies in der Prüfmethodik der Wirtschaftlichkeitsprüfung wegen Unzulässigkeit der Arzneimittelverordnung festgestellt wird, liegt die Darlegungs- und Beweislast, dass dieses Ergebnis nicht zutreffend ist, bei dem verordnenden Kläger. Dagegen lag hier die Darstellungslast im Rahmen der eingeschränkten Einzelfallprüfung bei dem Prüfgremium, das zunächst die Diagnosestellung des Arztes voraussetzend dessen medizinische Verordnungsweise zu überprüfen hatte und demgemäß zu einem Zwischenergebnis kommen musste. Dieses Zwischenergebnis war allerdings schon vorweg genommen durch die generelle Darstellung, dass mit den Zulassungsrahmen die abschließenden Indikationen für die Medikamente z.B. Intraglobin F und Octagam (wie auf Seite 35 des Beschlusses) abschließend festgestellt waren. Damit lag vermeintlich nach Auffassung des Beklagten und das zeigt sich auch in der Darstellung des Beschlusses die Last der Widerlegung auf der Klägerseite. Dieses ist bei der eingeschränkten Einzelfallprüfung nicht zulässig.

Wegen der Eigenheiten der eingeschränkten Einzelfallprüfung mit entsprechender Hochrechnung der Unwirtschaftlichkeit in der Bewertung und entsprechender Regressfestsetzung unter Anwendung eines Sicherheitsabschlags von 25 % hätte dies bei der Festlegung der Regresshöhe dargestellt werden müssen. Dieses ist aber unterblieben. Insofern liegt ein weiterer Rechtsfehler vor, weil allein die Beachtung des Verböserungsverbots nicht auf diese gedanklichen Überprüfungswege eingeht.

6. Weiterhin kann die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass die Ausführungen zu dem Ergebnis auf Seite 76 rechtlich zutreffend sind, denn aus den Beschlüssen des Prüfungsausschusses kann nicht zwingend geschlossen werden, dass der Apothekenrabatt und die Verordnungsblattgebühr (vgl. grundsätzlich dazu Clemens in JurisPK-SGB V, 2008, § 106 SGB V Rdnr. 89 – 93 m.w.N.) wirklich rechnerisch berücksichtigt worden und in Abzug gebracht worden sind. Auch dieses bedarf der weiteren Nachprüfung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1 VwGO, 162 Abs. 1 VwGO in entsprechender Anwendung, wobei die Entscheidung zu den Gerichtskosten aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 162 Abs. 1 VwGO und den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) folgt.
Rechtskraft
Aus
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