L 8 R 690/12 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 37 R 889/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 690/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 3.8.2012 geändert. Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1.6.2012 anzuordnen, soweit Nachforderungen für die Zeit vor dem 1.1.2007 geltend gemacht werden, wird abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens. Der Streitwert wird sowohl für das Antragsverfahren als auch das Beschwerdeverfahren auf 2.329,46 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin, ein in der Rechtsform der GmbH betriebenes Personal- und Dienstleistungsunternehmen, begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1.6.2012, mit dem diese Sozialversicherungsbeiträge für von der Antragstellerin an andere Unternehmen überlassene Arbeitnehmer auf Basis des sog. Equal-Pay-Lohnes für den Zeitraum vom 1.12.2005 bis 31.12.2009 in Höhe von 48.857,45 EUR verlangt. Die Forderung für die Kalenderjahre 2005 und 2006 betrug 9.315,82 EUR. Die Antragsgegnerin stützt die Nachforderung u.a. auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.12.2010 zur Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP).

Über diese Entscheidung informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Schreiben vom 22.12.2010. Darin heißt es auszugsweise:

"Da eine schriftliche Entscheidungsbegründung noch nicht vorliegt, lässt sich derzeit nicht mit letzter Sicherheit sagen, wie die Frage der Rückwirkung dieser Entscheidung auf Beitragsansprüche, die seit Januar 2006 fällig geworden sind, zu beantworten ist. Um Schaden von den Sozialversicherungen abzuwenden, sehen wir uns verpflichtet, hiermit fristwahrend die Ansprüche auf entgangene Sozialversicherungsbeiträge noch im Jahr 2010 geltend zu machen.

Sie sind daher verpflichtet, selbständig unverzüglich zu prüfen, welche Beitrags- und Meldepflichten im Nachgang zu diesem Urteil zu erfüllen sind."

Gegen den Nachforderungsbescheid vom 1.6.2012 legte die Antragsstellerin am 28.6.2012 Widerspruch eingelegt. Sie hat ferner mit Schriftsatz vom 19.7.2012 bei dem Sozialgericht (SG) Duisburg beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen, soweit die Antragsgegnerin Nachforderungen für Zeiten vor dem 1.1.2007 geltend macht. Die Beiträge seien insofern verjährt. Die Verlängerung der vierjährigen Regelverjährungsfrist auf 30 Jahre sei nicht eingetreten, denn selbst die schwächste Vorsatzform, der bedingte Vorsatz, sei nicht gegeben gewesen. Die Antragstellerin habe es nicht für möglich gehalten, Beiträge auch rückwirkend für die streitige Zeit zu schulden. Zwar sei sie durch das Schreiben der Antragsgegnerin "vom 28.12.2010" über deren Rechtsauffassung in Kenntnis gesetzt worden. Bereits auf den ersten Blick werde jedoch deutlich, dass die darin zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung der Antragsgegnerin jedenfalls in dieser Form nicht haltbar sei.

Das SG hat dem Begehren der Antragstellerin mit Beschluss vom 3.8.2012 entsprochen. Zwar bestünden im Rahmen der summarischen Prüfung keine überwiegenden Zweifel daran, dass die von der Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid geforderten weiteren Beiträge auf Grundlage des sog. Equal-Pay-Lohnes entstanden seien. Die vor dem 1.1.2007 entstandenen Beiträge seien jedoch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verjährt.

Gegen den ihr am 8.8.2012 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 15.8.2012 Beschwerde eingelegt. Die vor dem 1.1.2007 entstandenen Beitragsansprüche seien nicht verjährt. Denn die Arbeitgeber der Zeitarbeitsbranche hätten ihre ergänzende Zahlungs- und Beitragspflicht spätestens ab dem Zeitpunkt der Verkündung des CGZP-Beschluss des BAG vom 14.10.2010 für möglich gehalten müssen. Außerdem sei die Antragstellerin durch die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 22.12.2010, offensichtlich zugegangen am 28.12.2010, über die Entscheidung des BAG vom 14.10.2010 und die sich hieraus ergebenen versicherungs- und beitragsrechtlichen Konsequenzen hingewiesen worden. Spätestens ab Zugang des Schreibens habe die Antragstellerin ihre Verpflichtung zur Zahlung höherer Sozialversicherungsbeiträge für die Zeiten ab 1.12.2005 für möglich halten müssen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet.

1. Nach summarischer Prüfung geht auch der Senat davon aus, dass die Antragstellerin Beitragsansprüche auf Grundlage des sog. Equal-Pay-Lohnes schuldet. Der Senat macht sich insoweit die Ausführungen des SG zu eigen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und verweist im Übrigen auf seine inzwischen gefestigte Rechtsprechung (Beschlüsse v. 10.5.2012, L 8 R 164/12 B ER; v. 25.6.2012, L 8 R 282/12 B ER; v. 20.09.2012, L 8 R 630/12 B ER; jeweils juris).

2. Anders als in den vorgenannten Entscheidungen ist im vorliegenden Fall jedoch für den Zeitraum vor dem 1.1.2007 nicht überwiegend wahrscheinlich von Verjährung auszugehen. Denn es bestehen keine überwiegenden Zweifel, dass insoweit die Regelung des § 25 Abs. 1 Satz 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) eingreift, wonach Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge erst in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres verjähren, in dem sie fällig geworden sind.

a) Hierzu reicht es aus, dass der Vorsatz zur Vorenthaltung der Beiträge bis zum Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist eingetreten ist. Weiter genügt es, dass der Beitragsschuldner bedingt vorsätzlich gehandelt, er also seine Beitragspflicht lediglich für möglich gehalten und die Nichtabführung der Beiträge billigend in Kauf genommen hat. Diese Voraussetzungen müssen konkret festgestellt, d.h. anhand der Umstände des Einzelfalles und bezogen auf den Beitragsschuldner durch Sachverhaltsaufklärung individuell ermittelt werden. Die objektive Beweislast trifft im Zweifel den Versicherungsträger, der sich auf die für ihn günstige längere Verjährungsfrist beruft (BSG, Urteil.v. 30.3.2000, B 12 KR 14/99 R, SozR 3-2400 § 25 Nr. 7; Urteil v. 26.1.2005, B 12 KR 3/04 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 7; jeweils m.w.N.).

b) Nach diesen Grundsätzen bestehen gegenwärtig keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die für die Antragsstellerin handelnden Organe bzw. Bevollmächtigten vor Eintritt der Verjährung für die Ansprüche aus dem Zeitraum vom 1.12.2005 bis 31.12.2006 am 31.12.2010 ihre Beitragspflicht zumindest für möglich gehalten haben, wobei das entsprechende Wissen der Antragstellerin zuzurechnen ist.

Der Senat kann insoweit dahinstehen lassen, ob die betreffenden Personen bereits den Beschluss des BAG vom 14.12.2010 zur Kenntnis genommen und aus diesem die entsprechenden beitragsrechtlichen Schlüsse (für die Vergangenheit) gezogen haben. Insoweit hat die Antragsstellerin bisher keine individuellen Feststellungen getroffen.

Die Antragstellerin ist jedoch durch das Schreiben vom 22.12.2010 von der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin in Kenntnis gesetzt worden, dass aufgrund der Entscheidung des BAG möglicherweise rückwirkend für ab Januar 2006 Beiträge auf der Basis des "Equal-pay"-Lohnes fällig würden. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses Schreiben der Antragstellerin erst nach dem 31.12.2010 zugegangen ist.

Wenn die Antragstellerin nunmehr vorträgt, es werde bereits auf den ersten Blick deutlich, dass die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin nicht haltbar sei, so zeigt dies, dass sie die Information durch die Antragsgegnerin zur Kenntnis genommen und ihrem wesentlichen Inhalt nach richtig verstanden hat. Dementsprechend war ihr zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass die Antragsgegnerin eine rückwirkende Beitragspflicht für ab dem 1.1.2006 fällig gewordene Beiträge für möglich hielt. Wie bereits dargelegt, reicht die Kenntnis der Möglichkeit einer Beitragsverpflichtung für das Entstehen des bedingten Vorsatzes bereits aus. Wer jedoch im Bewusstsein der dahingehenden Rechtsauffassung einer für die Beurteilung seiner Beitragspflicht (z.B. nach §§ 28p Abs. 1 Satz 5, 28h Abs. 2 SGB IV) zuständigen Behörde keine Beiträge zahlt, kann sich gegenüber dem daraus abzuleitenden bedingten Vorsatz des Vorenthaltens von Beiträgen nicht darauf berufen, die Rechtsauffassung der Sozialverwaltung nicht geteilt zu haben (vgl. zu diesem Gedanken im Rahmen des Steuerrechts BFH, Urteil v. 16.1.2009, VII R 25/08, NJW 2009, 1998 [1999]).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren richtet sich nach § 197 a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Sie entspricht der ständigen Senatspraxis im einstweiligen Rechtsschutz von einem Viertel des Hauptsachestreitwertes auszugehen. Zugleich wird die Streitwertentscheidung des G vom 19.10.2012 wird von Amts wegen abgeändert (§ 63 Abs. 3 GKG). Es gibt keinerlei Anlass anzunehmen, dass das vorliegende Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes speziell für die Antragstellerin höhere Bedeutung hat, als dies im Allgemeinen der Fall ist und durch die von dem Senat regelhaft angesetzte Quote von einem Viertel zum Ausdruck gebracht wird.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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