L 6 R 372/12

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 8 R 21/11
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 R 372/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 17. Janu-ar 2012 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen Er-werbsminderung hat.

Bezüglich des Sachverhalts wird nach § 136 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen. Ergänzend wird hierzu ausgeführt:

Mit Urteil vom 17. Januar 2012 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen und zur Be-gründung u.a. ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Er-werbsminderung bei Berufsunfähigkeit, weil sie jedenfalls zumutbar auf die Tätigkeit als Ge-sundheits- oder Krankenpflegerin im Betriebsärztlichen Dienst eines Unternehmens oder ei-ner öffentlichen Verwaltung verweisbar ist. Dies ergebe sich unter Berücksichtigung der Tä-tigkeitsbeschreibung in der Verwaltungsakte (Blatt 161) aus dem fachorthopädisch-schmerztherapeutischen Gutachten des Dr. M. vom 21. September 2011. Danach könne die Klägerin noch leichte und mittelschwere Tätigkeiten unter Beachtung von Einschränkungen ausüben. Die von dem Sachverständigen beschriebenen qualitativen Einschränkungen hinder-ten sie nicht an einer Ausübung der Tätigkeit als Gesundheits- und Krankenpflegerin im Be-triebsärztlichen Dienst oder einer öffentlichen Verwaltung, die überwiegend Büro- und Ver-waltungsarbeiten beinhalte. Da sie nicht berufsunfähig sei, sei sie auch nicht voll oder teil-weise erwerbsgemindert im Sinne von § 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Im Berufungsverfahren trägt die Klägerin vor, der Sachverständige habe festgestellt, dass sie die im Widerspruchsbescheid benannten Verweisungstätigkeiten als Krankenschwester in einer Rehabilitationsklinik nicht mehr ausüben könne. Die Benennung der Verweisungstätig-keit als Gesundheits- und Krankenpflegerin im Betriebsärztlichen Dienst eines Unternehmens oder einer öffentlichen Verwaltung sei für sie überraschend gewesen. Die Möglichkeit der Ausübung einer solchen Tätigkeit habe durch einen Sachverständigen begutachtet werden müssen. Sie sehe sich hierzu nicht in der Lage.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 17. Januar 2012 aufzuheben und die Be-klagte unter Aufhebung des Bescheids vom 8. Juni 2009 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheids vom 13. Dezember 2010 zu verurteilen, ihr ab dem 1. April 2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminde-rung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewäh-ren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen im Widerspruchs- und Klageverfahren sowie die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils. Sie überreicht eine Stellung-nahme des berufskundlichen Beraters F. vom 16. April 2012 unter Bezugnahme auf Besuchs-berichte zu berufskundlichen Ermittlungen bei der S. AG, der V. AG, der B. M. Werke AG und der B. P. AG. Die Aufgaben und Tätigkeiten einer Gesundheits- und Krankenpflegerin im Betriebsärztlichen Dienst eines Unternehmens oder einer öffentlichen Verwaltung bestün-den in der Abwicklung aller Büro- und Verwaltungsarbeiten wie dem Führen und Überwa-chen der Patientendatei, Terminkoordinierungen, Organisation und Durchführung von ar-beitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen (zum Beispiel Hörtest, Sehtest, Ruhe- und Be-lastungs-EKG, Ergometrie und Audiometrie, Laboruntersuchungen), in der Beratung der Mit-arbeiter zu Präventionen, in der Durchführung von Erste-Hilfe-Maßnahmen, in der betriebli-chen Rehabilitation und Wiedereingliederung, in allgemeinen Hygieneaufgaben und der Qua-litätskontrolle der verwendeten Materialien und Geräte. Es handele es sich um körperlich leichte Arbeiten im Wechsel von Sitzen, Gehen und Stehen, ohne Zwangshaltungen, ohne Heben und Tragen von Lasten, ohne Schichtarbeit, ohne häufiges Bücken, ohne Tätigkeiten mit Absturzgefahr oder auf Leitern und Gerüsten, ohne Akkordarbeit sowie ohne ungeschütz-ten Einfluss von Nässe, Kälte und Zugluft. Die Anforderungen an die Umstellungs- und An-passungsfähigkeit reichten nicht über das Ausbildungsniveau der Klägerin hinaus. Besondere nervliche Belastung und besonderer Zeitdruck träten bei dieser Tätigkeit nicht auf.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme des Dr. M. vom 6. September 2012 zu der Fra-ge, ob die Klägerin die benannte Verweisungstätigkeit ausüben kann, eingeholt.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhand-lung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet; sie hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Zur Begründung wird nach § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzli-chen Urteils Bezug genommen. Ergänzend wird im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Klägerin ausgeführt, dass Dr. M. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 6. September 2012 ausdrücklich bestätigt hat, dass die Klägerin eine Tätigkeit als Gesundheits- und Kran-kenpflegerin im Betriebsärztlichen Dienst eines Unternehmens oder einer öffentlichen Ver-waltung ausüben kann. Anhaltspunkte dafür, dass sie mit den durch Dr. M. festgestellten qua-litativen Einschränkungen des Restleistungsvermögens eine solche Tätigkeit nicht ausüben kann, sind auch nach ihrem Vortrag im Berufungsverfahren nicht ersichtlich. Soweit der Sachverständige in seinem Gutachten die Möglichkeit der Ausübung der in der Verwaltungs-akte der Beklagten (Blatt 161) beschriebenen Verweisungstätigkeit verneint hat, bezieht er sich offensichtlich nur auf die dort auf der Vorderseite beschriebene Tätigkeit als Gesund-heits- und Krankenpflegerin in Krankenhäusern, Heimen, medizinischen Rehabilitationsein-richtungen oder auch in häuslicher Umgebung. Diese Tätigkeit wird dort als mittelschwere, zeitweise auch schwere Arbeit im Wechsel von ständigem Gehen, Stehen und zeitweisem Sitzen beschrieben, während die Tätigkeit als Gesundheits- und Krankenpflegerin im Be-triebsärztlichen Dienst eines Unternehmens oder einer öffentlichen Verwaltung auf der Rück-seite eine leichte Arbeit im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen (überwiegend im Sitzen) ist. Die Möglichkeit der Ausübung von leichten und mittelschweren Tätigkeiten hat der Sachverständige in seinem Gutachten ausdrücklich festgestellt.

Im Hinblick auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten der Internistin Bret-schneider vom 7. April 2009 wurde die dortige Einschätzung eines Restleistungsvermögens der Klägerin von drei bis unter sechs Stunden - wohl auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt - durch die Sachverständigen Dr. R., Dr. M. und Dr. M. nicht bestätigt. Schon die fachfremde Diagnose Depression wird durch die Gutachterin nicht ausreichend begründet. Zur Begrün-dung der Leistungseinschätzung gibt sie überdies lediglich an, die Klägerin habe sich nach einer Damekrebsoperation 2006 noch nicht ausreichend regeneriert und leide unter chroni-schen Schmerz- und Schlafstörungen; hinsichtlich ihrer beruflichen Tätigkeit und der tägli-chen Fahrtstrecke zu Arbeit sei sie überfordert. Dies ist keine nachvollziehbare und schlüssige Begründung. Auch ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen für andere Tätigkeiten lediglich ein Leistungsvermögen von unter sechs Stunden täglich bestehen soll. Soweit die Gutachterin die Einschränkung des Leistungsvermögens allgemein mit den eigenen Schmerzangaben be-gründet, existiert zudem keine Validierung (vgl. Senatsurteil vom 24. April 2012 - Az.: L 6 R 1227/11) der subjektiven Eigenangaben durch kritische Zusammenschau von Exploration, Untersuchungsbefunden, Verhaltensbeobachtung und Aktenlage (vgl. Widder "Schmerzsyn-drome" in Widder/Gaidzig, Begutachtung in der Neurologie, 2. Auflage 2011, S. 389). Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Gutachterin nicht mit der Problematik der Schmerzbe-gutachtung vertraut ist und nicht über die erforderlichen fachübergreifenden Erfahrungen in Diagnostik und Schmerzbeurteilungen (vgl. Leitlinie für die Begutachtung von Schmerzen, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 030/102, Entwicklungsstufe 2k; 2. Spezielle Aspekte der Be-gutachtung von Schmerzen, Interdisziplinärer Charakter) verfügt. Das Gutachten ist insofern in sich nicht schlüssig und inhaltlich nicht verwertbar. Zu Recht weist der Sachverständige Dr. M. in seinem Gutachten darauf hin, dass die Einschätzung des Restleistungsvermögens überdies widersprüchlich ist, weil sowohl für die Tätigkeit einer Krankenschwester als auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt ein Leistungsvermögen von über drei Stunden täglich bes-tätigt wird.

Unwesentlich ist, ob der Klägerin mit dem festgestellten Leistungsvermögen eine entspre-chende Tätigkeit als Gesundheits- und Krankenpflegerin im Betriebsärztlichen Dienst oder in einer öffentlichen Verwaltung vermittelt werden kann. Das Risiko, einen entsprechenden Ar-beitsplatz zu finden, trägt nicht die Beklagte, sondern die Arbeitslosenversicherung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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