Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 19 AS 1046/11 WA
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 892/11
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei einem Streit über die Unwirksamkeit eines Vergleichs ist der Rechtsmittelstreitwert (Werts des Beschwerdegegenstands) nach dem Interesse an der Unwirksamkeit des Vergleichs zu bemessen. Es ist daher die Zahlungsverpflichtung aus dem Vergleich zu Grunde zu legen, nicht die vor dem Vergleichsabschluss strittige Zahlungsverpflichtung.
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
München vom 4. August 2011 wird als unzulässig verworfen.
II. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob ein Klageverfahren wegen einer Erstattung von Arbeitslosengeld II durch Vergleich beendet wurde.
Der 1959 geborene Kläger bezieht seit Mai 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Er ist selbständig als gesetzlicher Betreuer tätig.
Mit Bescheid vom 04.03.2008 wurde dem Kläger im Hinblick auf seine selbständige Tätigkeit vorläufig Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.02.2008 bis 31.07.2008 bewilligt. Mit Änderungsbescheid vom 17.05.2008 wurde die Erhöhung der Regelleistung zum 01.07.2008 berücksichtigt.
Mit Bescheid vom 22.01.2009 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die strittige Zeit endgültig Leistungen. Dabei wurde das Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit angerechnet. Vom Kläger wurde eine Erstattung in Höhe von 946,94 Euro gefordert.
Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2009 als unbegründet zurückgewiesen.
Der Kläger erhob am 16.11.2009 Klage zum Sozialgericht München (Az. S 19 AS 2690/09). In der öffentlichen Sitzung am 25.03.2011 legte die zuständige Richterin laut Protokoll die Berechnung des Einkommens dar. Daraufhin wurde folgender Vergleich geschlossen:
I. Die Beklagte verlangt vom Kläger lediglich die Erstattung von 927,54 EUR für den Zeitraum Februar 2008 bis Juli 2008.
II. Der Kläger nimmt das Angebot der Beklagten.
III. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass mit Abschluss dieses Vergleichs der Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt ist.
Der Vergleich wurde den Beteiligten vorgelesen und von diesen genehmigt. Das Protokoll ist von der vorsitzenden Richterin und dem Urkundsbeamten unterschrieben.
Am 14.04.2011 erhob der Kläger "Beschwerde gegen den vermeintlichen Vergleich" vom 25.03.2011. Seinem Wissen nach sei unter dem Aktenzeichen S 19 AS 2690/09 kein Vergleich geschlossen worden, sondern allein unter den zuvor verhandelten Aktenzeichen. Man habe über das Einkommen verhandelt. Es müsse sich aber um eine Verwechslung handeln. Möglicherweise sei der Abschluss eines Vergleichs auch seiner Aufmerksamkeit entgangen, weil ab dem Zeitpunkt ohne Rechtsbeistand gewesen sei und sich etwas überfordert gefühlt habe. Er könne sich auch nicht entsinnen, über die Folgen eines Vergleichs belehrt worden zu sein. Außerdem seien die grundsätzlichen Voraussetzungen eines Vergleichs, insbesondere § 53 Abs. 2 SGB X nicht gegeben.
Die Forderung der Beklagten gegen den Kläger belaufe sich nur auf 190,74 Euro. Dazu legte der Kläger eine eigene Einkommensberechnung vor. Die Beteiligten wurden zum Erlass eines Gerichtsbescheids angehört.
Mit Gerichtsbescheid vom 04.08.2011 stellte das Sozialgericht fest, dass der Rechtsstreit S 19 AS 2690/09 durch den Vergleich vom 25.03.2011 erledigt sei.
Bei einem Streit über die Unwirksamkeit eines Vergleiches müsse der ursprüngliche Rechtsstreit fortgeführt werden. Das Gericht, vor dem der Vergleich geschlossen worden ist, entscheide dann entweder dahin, dass die Beendigung des Rechtsstreits durch den Vergleich durch Endurteil festgestellt wird, oder, wenn die Beendigung verneint wird, in der Sache selbst (BSG, Urteil vom 28.11.2011, B 7 AL 26/02 R, Rn. 20). Es seien weder materiellrechtliche noch prozessrechtliche Gründe für eine Unwirksamkeit des Prozessvergleichs gegeben. Gegen den Gerichtsbescheid sei laut Rechtsmittelbelehrung die Berufung zulässig.
Der Kläger hat am 05.09.2011 "Beschwerde" gegen den Gerichtsbescheid eingelegt. Es wurde deshalb zunächst eine Nichtzulassungsbeschwerde eingetragen (L 7 AS 714/11 NZB). Der zuständige Richter teilte dem Kläger daraufhin mit, dass laut Rechtsmittelbelehrung die Berufung der zulässige Rechtsbehelf sei. Der Kläger erklärte daraufhin, dass er Berufung gegen den Gerichtsbescheid erhoben habe.
Er beantrage, die Nichtigkeit des Vergleichsvertrags festzustellen. Die Forderung der Beklagten betrage lediglich 190,74 Euro. Die dem "vermeintlichen Vergleich" zu Grunde liegende Berechnung sei fehlerhaft. Der Vergleich beinhalte nicht ein gegenseitiges Nachgeben nach § 54 SGB X, sondern gehe erheblich zu seinen Lasten. Außerdem sei ein Vergleichsvertrag gemäß § 53 SGB X nicht zulässig, weil die Leistungserbringung nicht im Ermessen der Behörde stehe.
Der Kläger ist mit Schreiben vom 11.10.2012 daraufhingewiesen worden, dass nach genauer Überprüfung die Berufung entgegen der Rechtsmittelbelehrung im Gerichtsbescheid nicht zulässig sei und er erklären müsse, die Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) umzuwandeln. Sonst müsse die Berufung als unzulässig verworfen werden. Eine Erklärung ist hierzu nicht eingegangen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid vom 04.08.2011 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 22.01.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.10.2009 zu verurteilen, für die Zeit von 01.02.2008 bis 31.07.2008 um insgesamt 736,80 Euro höhere endgültige Leistungen festzusetzen und die Erstattung auf 190,74 Euro zu beschränken.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Sozialgerichts und die Akte des Berufungsgerichts verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist als unzulässig zu verwerfen (§ 158 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Der Wert des Beschwerdegegenstands (künftig Beschwer) ergibt sich aus der Differenz zwischen der Verpflichtung aus dem Vergleich (Erstattung von 927,54 Euro) und dem Berufungsbegehren (Erstattung nur in Höhe von 190,74 Euro). Mit 736,80 Euro liegt die Beschwer nicht über 750,- Euro. Die Berufung ist nicht statthaft und damit unzulässig.
Eine Umdeutung der Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde kommt nicht in Betracht, weil der Kläger sich zum letzten Hinweisschreiben des Gerichts nicht geäußert hat und die Nichtzulassungsbeschwerde nur einen eingeschränkten Prüfungsumfang hat (vgl. § 145, 144 Abs. 2 SGG).
Nach § 144 Abs. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung im Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die auf eine Geldleistung gerichtet ist, 750,- Euro nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.
Hier ist lediglich ein Leistungszeitraum von sechs Monaten strittig (von 01.02.2008 bis 31.07.2008). Die falsche Rechtsmittelbelehrung im Gerichtsbescheid vom 04.08.2011 ist kein Berufungszulassung nach § 144 Abs. 2 SGG, weil eine derartige Zulassung in der Entscheidung selbst ausdrücklich erfolgen muss (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, § 144 Rn. 40). Es kommt deshalb darauf an, ob die Beschwer 750,- Euro übersteigt.
Bei der Anfechtung eines Vergleichs wird teilweise davon ausgegangen, dass die Beschwer ausgehend vom Wert des ursprünglichen Klageantrags zu ermitteln ist (Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, Zivilprozessordnung, 70. Auflage 2012, Anhang zu § 3, Stichwort Vergleich). Dann wäre die Berufung mit einer Beschwer von 756,80 Euro zulässig, weil ursprünglich eine Erstattung von 947,54 Euro gefordert wurde und der Kläger nur 190,74 Euro erstatten will. Für diesen Ansatz spricht, dass eine erfolgreiche Anfechtung eines Vergleichs diesen beseitigen würde und die ursprünglichen Ansprüche aus dem strittigen Bescheid wieder aufleben würden. Das Sozialgericht hat demzufolge mit seiner Feststellung, dass das ursprüngliche Verfahren durch wirksamen Vergleich beendet wurde, auch die Rückversetzung des Rechtsstreits zu den ursprünglich strittigen Ansprüchen abgelehnt.
Diese Ansicht kann aber nicht überzeugen. Die Beschwer für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels bemisst sich danach, was das Sozialgericht dem Rechtsmittelführer versagt hat und was von diesem mit seinen Berufungsanträgen weiterverfolgt wird (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 144 Rn. 14). Es geht um das Interesse des Rechtsmittelführers an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung (Herget in Zöller, Zivilprozessordnung, 28. Auflage 2010, § 3 Rn. 4). Ausgangspunkt ist demnach das Ergebnis des Klageverfahrens, nicht die hypothetischen Folgen der Anfechtung. Soweit der Kläger durch den Vergleichsabschluss einen Teilerfolg errungen hat, ist eben dies das Ergebnis des Klageverfahrens, das die zuvor bestehende Beschwer gemindert hat. Diese Rechtsauffassung stimmt auch mit § 202 SGG i.V.m. § 4 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) überein, wonach für die Wertberechnung auf den Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels abzustellen ist - also auf das Ergebnis des Klageverfahrens.
Maßgebend für die Zulässigkeit der Berufung ist bei einer Anfechtung des Vergleichs demnach allein das Interesse des Klägers an der Unwirksamkeit des Vergleichs (BGH, Beschluss vom 14.02.2007, XII ZB 52/03).
Dieses Interesse besteht hier in der Differenz des durch Vergleich festgelegten Erstattungsbetrags und dem vom Kläger für richtig gehaltenen Erstattungsbetrag. Soweit im ursprünglichen Klageverfahren neben der Erstattung die endgültige Festsetzung der Leistung strittig war, besteht wirtschaftliche Identität und ein Additionsverbot (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 144 Rn. 18).
Der Beschluss des BGH vom 08.02.2007, V ZR 160/06, widerspricht dem nur scheinbar. Entgegen dem dortigen Orientierungssatz, wonach bei einer Vergleichsanfechtung grundsätzlich der Wert der ursprünglich gestellten Anträge maßgeblich sein soll, wurde in der Entscheidung selbst auf das Ziel der Anfechtung abgestellt. Bei einem Teilerfolg durch den Vergleich komme es darauf an, was der Rechtsmittelführer darüber hinaus begeht.
Die Berufung ist im Ergebnis unzulässig und zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und der Erwägung, das der Kläger mit seiner Berufung erfolglos blieb.
Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Eine Entscheidung des BSG zur Bemessung des Werts des Beschwerdegegenstands bei einer Anfechtung eines Vergleichs ist nicht bekannt.
Der Kläger wird auf die Möglichkeit hingewiesen, ggf. parallel zur Revision, zeitnah eine Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen und wegen der versäumten Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erhalten. Nach § 67 SGG kann jemand, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhalten. Dieser Antrag ist zusammen mit der versäumten Rechtshandlung (hier der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde) binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Diese Monatsfrist beginnt ab Zugang dieses Urteils.
München vom 4. August 2011 wird als unzulässig verworfen.
II. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob ein Klageverfahren wegen einer Erstattung von Arbeitslosengeld II durch Vergleich beendet wurde.
Der 1959 geborene Kläger bezieht seit Mai 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Er ist selbständig als gesetzlicher Betreuer tätig.
Mit Bescheid vom 04.03.2008 wurde dem Kläger im Hinblick auf seine selbständige Tätigkeit vorläufig Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.02.2008 bis 31.07.2008 bewilligt. Mit Änderungsbescheid vom 17.05.2008 wurde die Erhöhung der Regelleistung zum 01.07.2008 berücksichtigt.
Mit Bescheid vom 22.01.2009 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die strittige Zeit endgültig Leistungen. Dabei wurde das Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit angerechnet. Vom Kläger wurde eine Erstattung in Höhe von 946,94 Euro gefordert.
Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2009 als unbegründet zurückgewiesen.
Der Kläger erhob am 16.11.2009 Klage zum Sozialgericht München (Az. S 19 AS 2690/09). In der öffentlichen Sitzung am 25.03.2011 legte die zuständige Richterin laut Protokoll die Berechnung des Einkommens dar. Daraufhin wurde folgender Vergleich geschlossen:
I. Die Beklagte verlangt vom Kläger lediglich die Erstattung von 927,54 EUR für den Zeitraum Februar 2008 bis Juli 2008.
II. Der Kläger nimmt das Angebot der Beklagten.
III. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass mit Abschluss dieses Vergleichs der Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt ist.
Der Vergleich wurde den Beteiligten vorgelesen und von diesen genehmigt. Das Protokoll ist von der vorsitzenden Richterin und dem Urkundsbeamten unterschrieben.
Am 14.04.2011 erhob der Kläger "Beschwerde gegen den vermeintlichen Vergleich" vom 25.03.2011. Seinem Wissen nach sei unter dem Aktenzeichen S 19 AS 2690/09 kein Vergleich geschlossen worden, sondern allein unter den zuvor verhandelten Aktenzeichen. Man habe über das Einkommen verhandelt. Es müsse sich aber um eine Verwechslung handeln. Möglicherweise sei der Abschluss eines Vergleichs auch seiner Aufmerksamkeit entgangen, weil ab dem Zeitpunkt ohne Rechtsbeistand gewesen sei und sich etwas überfordert gefühlt habe. Er könne sich auch nicht entsinnen, über die Folgen eines Vergleichs belehrt worden zu sein. Außerdem seien die grundsätzlichen Voraussetzungen eines Vergleichs, insbesondere § 53 Abs. 2 SGB X nicht gegeben.
Die Forderung der Beklagten gegen den Kläger belaufe sich nur auf 190,74 Euro. Dazu legte der Kläger eine eigene Einkommensberechnung vor. Die Beteiligten wurden zum Erlass eines Gerichtsbescheids angehört.
Mit Gerichtsbescheid vom 04.08.2011 stellte das Sozialgericht fest, dass der Rechtsstreit S 19 AS 2690/09 durch den Vergleich vom 25.03.2011 erledigt sei.
Bei einem Streit über die Unwirksamkeit eines Vergleiches müsse der ursprüngliche Rechtsstreit fortgeführt werden. Das Gericht, vor dem der Vergleich geschlossen worden ist, entscheide dann entweder dahin, dass die Beendigung des Rechtsstreits durch den Vergleich durch Endurteil festgestellt wird, oder, wenn die Beendigung verneint wird, in der Sache selbst (BSG, Urteil vom 28.11.2011, B 7 AL 26/02 R, Rn. 20). Es seien weder materiellrechtliche noch prozessrechtliche Gründe für eine Unwirksamkeit des Prozessvergleichs gegeben. Gegen den Gerichtsbescheid sei laut Rechtsmittelbelehrung die Berufung zulässig.
Der Kläger hat am 05.09.2011 "Beschwerde" gegen den Gerichtsbescheid eingelegt. Es wurde deshalb zunächst eine Nichtzulassungsbeschwerde eingetragen (L 7 AS 714/11 NZB). Der zuständige Richter teilte dem Kläger daraufhin mit, dass laut Rechtsmittelbelehrung die Berufung der zulässige Rechtsbehelf sei. Der Kläger erklärte daraufhin, dass er Berufung gegen den Gerichtsbescheid erhoben habe.
Er beantrage, die Nichtigkeit des Vergleichsvertrags festzustellen. Die Forderung der Beklagten betrage lediglich 190,74 Euro. Die dem "vermeintlichen Vergleich" zu Grunde liegende Berechnung sei fehlerhaft. Der Vergleich beinhalte nicht ein gegenseitiges Nachgeben nach § 54 SGB X, sondern gehe erheblich zu seinen Lasten. Außerdem sei ein Vergleichsvertrag gemäß § 53 SGB X nicht zulässig, weil die Leistungserbringung nicht im Ermessen der Behörde stehe.
Der Kläger ist mit Schreiben vom 11.10.2012 daraufhingewiesen worden, dass nach genauer Überprüfung die Berufung entgegen der Rechtsmittelbelehrung im Gerichtsbescheid nicht zulässig sei und er erklären müsse, die Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) umzuwandeln. Sonst müsse die Berufung als unzulässig verworfen werden. Eine Erklärung ist hierzu nicht eingegangen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid vom 04.08.2011 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 22.01.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.10.2009 zu verurteilen, für die Zeit von 01.02.2008 bis 31.07.2008 um insgesamt 736,80 Euro höhere endgültige Leistungen festzusetzen und die Erstattung auf 190,74 Euro zu beschränken.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Sozialgerichts und die Akte des Berufungsgerichts verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist als unzulässig zu verwerfen (§ 158 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Der Wert des Beschwerdegegenstands (künftig Beschwer) ergibt sich aus der Differenz zwischen der Verpflichtung aus dem Vergleich (Erstattung von 927,54 Euro) und dem Berufungsbegehren (Erstattung nur in Höhe von 190,74 Euro). Mit 736,80 Euro liegt die Beschwer nicht über 750,- Euro. Die Berufung ist nicht statthaft und damit unzulässig.
Eine Umdeutung der Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde kommt nicht in Betracht, weil der Kläger sich zum letzten Hinweisschreiben des Gerichts nicht geäußert hat und die Nichtzulassungsbeschwerde nur einen eingeschränkten Prüfungsumfang hat (vgl. § 145, 144 Abs. 2 SGG).
Nach § 144 Abs. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung im Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die auf eine Geldleistung gerichtet ist, 750,- Euro nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.
Hier ist lediglich ein Leistungszeitraum von sechs Monaten strittig (von 01.02.2008 bis 31.07.2008). Die falsche Rechtsmittelbelehrung im Gerichtsbescheid vom 04.08.2011 ist kein Berufungszulassung nach § 144 Abs. 2 SGG, weil eine derartige Zulassung in der Entscheidung selbst ausdrücklich erfolgen muss (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, § 144 Rn. 40). Es kommt deshalb darauf an, ob die Beschwer 750,- Euro übersteigt.
Bei der Anfechtung eines Vergleichs wird teilweise davon ausgegangen, dass die Beschwer ausgehend vom Wert des ursprünglichen Klageantrags zu ermitteln ist (Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, Zivilprozessordnung, 70. Auflage 2012, Anhang zu § 3, Stichwort Vergleich). Dann wäre die Berufung mit einer Beschwer von 756,80 Euro zulässig, weil ursprünglich eine Erstattung von 947,54 Euro gefordert wurde und der Kläger nur 190,74 Euro erstatten will. Für diesen Ansatz spricht, dass eine erfolgreiche Anfechtung eines Vergleichs diesen beseitigen würde und die ursprünglichen Ansprüche aus dem strittigen Bescheid wieder aufleben würden. Das Sozialgericht hat demzufolge mit seiner Feststellung, dass das ursprüngliche Verfahren durch wirksamen Vergleich beendet wurde, auch die Rückversetzung des Rechtsstreits zu den ursprünglich strittigen Ansprüchen abgelehnt.
Diese Ansicht kann aber nicht überzeugen. Die Beschwer für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels bemisst sich danach, was das Sozialgericht dem Rechtsmittelführer versagt hat und was von diesem mit seinen Berufungsanträgen weiterverfolgt wird (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 144 Rn. 14). Es geht um das Interesse des Rechtsmittelführers an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung (Herget in Zöller, Zivilprozessordnung, 28. Auflage 2010, § 3 Rn. 4). Ausgangspunkt ist demnach das Ergebnis des Klageverfahrens, nicht die hypothetischen Folgen der Anfechtung. Soweit der Kläger durch den Vergleichsabschluss einen Teilerfolg errungen hat, ist eben dies das Ergebnis des Klageverfahrens, das die zuvor bestehende Beschwer gemindert hat. Diese Rechtsauffassung stimmt auch mit § 202 SGG i.V.m. § 4 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) überein, wonach für die Wertberechnung auf den Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels abzustellen ist - also auf das Ergebnis des Klageverfahrens.
Maßgebend für die Zulässigkeit der Berufung ist bei einer Anfechtung des Vergleichs demnach allein das Interesse des Klägers an der Unwirksamkeit des Vergleichs (BGH, Beschluss vom 14.02.2007, XII ZB 52/03).
Dieses Interesse besteht hier in der Differenz des durch Vergleich festgelegten Erstattungsbetrags und dem vom Kläger für richtig gehaltenen Erstattungsbetrag. Soweit im ursprünglichen Klageverfahren neben der Erstattung die endgültige Festsetzung der Leistung strittig war, besteht wirtschaftliche Identität und ein Additionsverbot (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 144 Rn. 18).
Der Beschluss des BGH vom 08.02.2007, V ZR 160/06, widerspricht dem nur scheinbar. Entgegen dem dortigen Orientierungssatz, wonach bei einer Vergleichsanfechtung grundsätzlich der Wert der ursprünglich gestellten Anträge maßgeblich sein soll, wurde in der Entscheidung selbst auf das Ziel der Anfechtung abgestellt. Bei einem Teilerfolg durch den Vergleich komme es darauf an, was der Rechtsmittelführer darüber hinaus begeht.
Die Berufung ist im Ergebnis unzulässig und zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und der Erwägung, das der Kläger mit seiner Berufung erfolglos blieb.
Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Eine Entscheidung des BSG zur Bemessung des Werts des Beschwerdegegenstands bei einer Anfechtung eines Vergleichs ist nicht bekannt.
Der Kläger wird auf die Möglichkeit hingewiesen, ggf. parallel zur Revision, zeitnah eine Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen und wegen der versäumten Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erhalten. Nach § 67 SGG kann jemand, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhalten. Dieser Antrag ist zusammen mit der versäumten Rechtshandlung (hier der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde) binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Diese Monatsfrist beginnt ab Zugang dieses Urteils.
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
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