Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Potsdam (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
40
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 40 AS 1399/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Die Beklagte wird unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 23. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2012 verurteilt, die Zuziehung des Bevollmächtigten im Widerspruchsver-fahren W./ ... für notwendig zu erklären. 2. Die Beklagte hat der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfol-gung notwendigen Kosten zu erstatten. 3. Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine positive Zuziehungsentscheidung hinsichtlich des anwaltlichen Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren W./ ...
Die 1974 geborene Klägerin ist ursprünglich nigerianischer Staatsangehörigkeit. Sie ist An-alphabetin und der deutschen Sprache nicht mächtig. Mit Datum 29. November 2011 ver-sandte die Beklagte an die Klägerin eine Mahnung über einen offenen Betrag in Höhe von insgesamt 1.154,36 Euro und setzte darin auch Mahngebühren in Höhe von 6,05 Euro fest. Gleichzeitig forderte sie die Klägerin auf, den Betrag in Höhe von insgesamt 1.160,41 Euro innerhalb von einer Woche zu überweisen. Sollte die Zahlung ausbleiben, drohte die Be-klagte mit der zwangsweisen Einziehung der Forderung. Der Bescheid war hinsichtlich der Festsetzung der Mahngebühren mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung verse-hen.
Mit Schreiben vom 02. Dezember 2011 legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in ihrem Namen hinsichtlich der Festsetzung der Mahngebühren im Bescheid vom 29. No-vember 2011 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, die Mahnung sei in rechts-widriger Weise erfolgt, weil die Forderung nicht fällig sei. Gegen die der Mahnung zugrun-de gelegten Aufhebungs- und Erstattungsbescheide sei mit Widerspruch bzw. Klage vorge-gangen, so dass die aufschiebende Wirkung der Rechtsmittel zu beachten sei.
Mit Bescheid vom 23. Februar 2012 stornierte die Beklagte die Mahngebühr und half damit dem Widerspruch in vollem Umfang ab. Hinsichtlich der Kosten entschied sie, dass die im Widerspruchsverfahren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwen-dungen auf Antrag erstattet würden und dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten nicht als notwendig anerkannt werde im Sinne des § 63 Abs. 2 SGB X. Zur Begründung führte sie diesbezüglich aus, dass es der Klägerin zuzumuten gewesen sei, das Verfahren selbst zu führen. Streitgegenständlich sei die Erhebung einer Mahngebühr in Höhe von 6,05 Euro gewesen. Es sei insgesamt nicht um die rechtliche Würdigung eines komplexen oder schwierigen Sachverhalts gegangen. Der Klägerin sei es möglich und zumutbar gewesen, die Beklagte darauf hinzuweisen, dass die Forderung bestritten werde und gegen den Grund-lagenbescheid Klage erhoben worden sei. Die Rechtslage sei nicht schwierig, da es in der Rechtsprechung geklärt sei, dass eine Klage gegen einen Erstattungsbescheid grundsätzlich aufschiebende Wirkung habe und eine Einziehung der Erstattungsforderung einschließlich der Festsetzung von Mahngebühren bei Einlegung eines Rechtsbehelfs nicht rechtmäßig sei. Es sei der Klägerin auch schon deshalb zuzumuten gewesen, das Verfahren selbst zu führen, weil sich ein rechtsunkundiger, verständiger Bürger vom Bildungs- und Erkenntnisstand der Klägerin in einer solchen Angelegenheit eines Rechtsanwalts nicht bedient hätte. Auch im Hinblick auf das geringe wirtschaftliche Risiko habe von der Klägerin erwartet werden kön-nen, das Verfahren selbst zu führen.
Hiergegen hat die Klägerin am 01. März 2012 Widerspruch eingelegt. Sie verweist darauf, dass trotz ständiger Rechtsprechung und Kommentierung die aufschiebende Wirkung des gegen den der Mahnung zugrunde liegenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheid einge-legten Rechtsbehelfs außer Acht gelassen worden sei. Auch im Hinblick auf die Gesamtfor-derung in Höhe von 1.160,41 Euro habe sich das Einschalten anwaltlichen Beistands aufge-drängt. Gegen die gängige Praxis der Beklagten, ständig nicht vollstreckbare Forderungen anzumahnen und mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu drohen, könne sich der Bürger nicht ausreichend selbst wehren. Weiter verweist sie auf ein entsprechendes Urteil des Bay-rischen LSG vom 12. Mai 2010 (L 16 AS 829/09).
Die Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2012 als unbe-gründet zurückgewiesen. Sie wiederholt und vertieft die Gründe der Ausgangsentscheidung und verweist zusätzlich darauf, dass ein Bemittelter in der Lage eines Unbemittelten im vor-liegenden Fall vernünftiger Weise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interes-sen nicht beauftragt haben würde. Darüber hinaus seien die relevanten Rechtsfragen, wie auch die Einordnung der Mahngebührenfestsetzung als Verwaltungsakt und die Zuständig-keit hierfür durch das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 26. Mai 2011 - B 14 AS 54/10 R - geklärt. Damit handele es sich nicht mehr um schwierige und ungeklärte Rechtsfragen.
Die Klägerin hat am 31. Mai 2012 Klage erhoben. Sie wiederholt und vertieft im Wesentli-chen die Begründung ihres Widerspruchs und führt ergänzend an, dass selbst mit den Be-hörden erfahrene Mandanten ihres Prozessbevollmächtigten ohne anwaltliche Hilfe auf-grund ihres eigenen Intervenierens bei der Beklagten nichts erreicht hätten.
Sie beantragt schriftsätzlich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Erörterungs-termin sinngemäß,
die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 23. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2012 zu erklären, dass die Zuziehung des anwaltlichen Bevollmächtigten im Widerspruchsverfah-ren W./ ... notwendig war.
Die Beklagt beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Begründung der angegriffenen Bescheide.
Im Erörterungstermin der Sach- und Rechtslage am 21. August 2012 wurden die Beteiligten zu einer beabsichtigten Entscheidung des Gerichts durch Gerichtsbescheid angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts des Vorbringens der Beteiligten im Üb-rigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten zum Verfahren W./ ..., W./ ... verwiesen, die - soweit maßgeblich - Gegenstand der Ent-scheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Beteiligten sind zuvor gehört worden.
Die vorliegend erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 SGG ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet. Die Ab-lehnung der Erklärung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren W./ ... durch die Beklagte ist rechtswidrig und die Klägerin dadurch beschwert (§ 54 Abs. 2 SGG).
Die Klägerin hat einen Anspruch auf die begehrte positive Hinzuziehungsentscheidung aus § 63 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).
Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckent-sprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Die Gebühren und Auslagen eines Rechts-anwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind nach § 63 Abs. 2 SGB X erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.
Die Beklagte hat dem Widerspruch der Klägerin gegen die Festsetzung der Mahngebühr in der Mahnung vom 29. November 2011 mit Bescheid vom 23. Februar 2012 durch die Stor-nierung der Mahngebühr abgeholfen, so dass der Widerspruch erfolgreich war. Die Auf-wendungen der Klägerin in Gestalt der Kosten ihres Rechtsanwalts waren auch im Sinne des § 63 Abs. 2 SGB X dem Grunde nach notwendig. Notwendig ist die Zuziehung nach höchst-richterlicher Rechtsprechung dann, wenn es einem Beteiligten nach seinen persönlichen Verhältnissen sowie wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfah-ren selbst zu führen (vgl. Bundesverfassungsgericht - BverfG -, Beschluss vom 11.05.2009 - 1 BvR 1517/08 - m. w. N.) bzw. dann, wenn der Beteiligte es für erforderlich halten durfte, im Vorverfahren durch einen Rechtsanwalt unterstützt zu werden (so genannte ex-ante Sicht) und dann einen Rechtsanwalt zugezogen hat (vgl. u. a. BSG, Beschluss vom 29.09.1999 - B 6 KA 30/99 B -). Abzustellen ist auf den Einzelfall, wobei entscheidend die individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten des Klägers sind. Die Notwendigkeit ist in der Regel zu bejahen, weil der Bürger nur in Ausnahmefällen in der Lage sein wird, seine Rech-te gegenüber der Verwaltung ausreichend zu wahren (vgl. auch Roos in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, München 2010, § 63 Rd.-Nr. 26 m. w. N.). Im Einzelfall ist dabei maßgeb-lich auf die rechtliche und tatsächliche Überschaubarkeit der Sache, die Bedeutung der Rechtssache für den Widerspruchsführer, die persönlichen Umstände des Widerspruchsfüh-rers sowie darauf abzustellen, ob sich die Begründetheit des Widerspruchs anhand von Tat-sachenfragen oder schwierigen Rechtsfragen entscheidet (vgl. auch VG Göttingen, Urteil vom 30.09.2004 - 2 A 54/03 -, zitiert nach juris.).
Vorliegend war es der Klägerin schon aufgrund ihrer individuellen Fähigkeiten nicht zuzu-muten, das Verfahren alleine zu betreiben. Dies steht aufgrund der Tatsache, dass die Kläge-rin Analphabetin und der deutsche Sprache nicht mächtig ist sowie auch aufgrund des indi-viduellen Eindrucks, den das Gericht von der Klägerin in dem Erörterungstermin in einem vorangegangenen Parallelverfahren gewinnen konnte, zur Überzeugung des Gerichts fest. Weiterhin waren zu berücksichtigen, die Unübersichtlichkeit der Sache insgesamt, die sich bereits aus der auf der Rückseite der streitgegenständlichen Mahnung erfolgten Forderungs-aufstellung ergibt sowie die Tatsache, dass selbst im Bereich der Beklagten die aufschie-bende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen die ursprünglichen Bescheide regelmä-ßig nicht beachtet zu werden scheint. Die rechtlichen Gegebenheiten, die sämtlich höchst-richterlich geklärt werden mussten, sind selbst für einen "Normalbürger" nicht ohne weite-res zu übersehen. Vorliegend war es aufgrund der dargestellten individuellen Fähigkeiten der Klägerin erst recht notwendig, um die verfassungsrechtlich in Artikel 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verbürgte Rechtsschutzgleichheit und den Grundsatz der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten, nämlich einer rechtskundig vertretenen Behörde und der Klägerin, herzustellen notwendig, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen (vgl. zu allem auch: BVerfG, Beschluss vom 24.03.2011 - 1 BVR 1737/10 -, zitiert nach juris.). Unstatt-haft ist nach der oben zitierten Entscheidung insbesondere in Fällen wie diesem, eine aus-schließliche Beurteilung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko, worauf auch die Beklagte maßgeblich abstellt. Insoweit hält es das Bundesverfassungsgericht keinesfalls für fern liegend, dass auch ein Bemittelter verhältnismäßig hohe Rechtsanwaltskosten nicht scheut, wenn er mit einem Obsiegen und der Erstattung seiner Aufwendungen rechnet. So-weit die Beklagte der Klägerin die Fähigkeit zuweist, zutreffende eigene rechtliche Wertun-gen hinsichtlich der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen Erstat-tungsbescheide als auch hinsichtlich der Einordnung von Mahngebühren vorzunehmen, ist dies für das Gericht nicht nachvollziehbar. Vielmehr besteht vorliegend ein offensichtliches und grobes Ungleichgewicht zwischen der Behörde und der Klägerin hinsichtlich des Kenntnisstandes und der Fähigkeiten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 193 SGG.
Die Nichtzulassung der Berufung folgt aus § 105 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 in Verbin-dung mit § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 750,00 Euro nicht. Zulassungsgründe im Sinne des § 144 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich. Insbesondere erging die Entscheidung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Ein-zelfalls.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieser Gerichtsbescheid kann nur dann mit der Berufung angefochten werden, wenn sie nachträglich zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Berufung mit der Beschwerde angefochten werden.
Die Berufung ist zuzulassen, wenn
• die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
• der Gerichtsbescheid von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozi-algerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bun-desverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
• ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend ge-macht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides beim
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Försterweg 2-6
14482 Potsdam,
schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Ge-schäftsstelle einzulegen.
Die Beschwerdeschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei dem vorgenannten Gericht ein-gehen. Sie soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Anstelle der Beschwerde kann binnen eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides bei dem Sozialgericht Potsdam, Rubensstraße 8, 14467 Potsdam, schriftlich, in elektroni-scher Form oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle münd-liche Verhandlung beantragt werden. Wird ein solcher Antrag rechtzeitig gestellt, so gilt der Gerichtsbescheid als nicht ergangen; anderenfalls wirkt er wie ein Urteil. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Ver-handlung statt.
Die elektronische Form wird durch eine qualifizierte signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Brandenburg vom 14. Dezember 2006 (GVBl. II S. 558) idF vom 1. Oktober 2007 (GVBl. II S. 425) in die elektronische Poststelle des jeweiligen Gerichts zu übermitteln ist. Nähere Hinweise zu den Kommunikationswegen für den elektronischen Rechtsverkehr können unter der Inter-netadresse www.erv.brandenburg.de abgerufen werden.
Zanetti
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine positive Zuziehungsentscheidung hinsichtlich des anwaltlichen Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren W./ ...
Die 1974 geborene Klägerin ist ursprünglich nigerianischer Staatsangehörigkeit. Sie ist An-alphabetin und der deutschen Sprache nicht mächtig. Mit Datum 29. November 2011 ver-sandte die Beklagte an die Klägerin eine Mahnung über einen offenen Betrag in Höhe von insgesamt 1.154,36 Euro und setzte darin auch Mahngebühren in Höhe von 6,05 Euro fest. Gleichzeitig forderte sie die Klägerin auf, den Betrag in Höhe von insgesamt 1.160,41 Euro innerhalb von einer Woche zu überweisen. Sollte die Zahlung ausbleiben, drohte die Be-klagte mit der zwangsweisen Einziehung der Forderung. Der Bescheid war hinsichtlich der Festsetzung der Mahngebühren mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung verse-hen.
Mit Schreiben vom 02. Dezember 2011 legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in ihrem Namen hinsichtlich der Festsetzung der Mahngebühren im Bescheid vom 29. No-vember 2011 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, die Mahnung sei in rechts-widriger Weise erfolgt, weil die Forderung nicht fällig sei. Gegen die der Mahnung zugrun-de gelegten Aufhebungs- und Erstattungsbescheide sei mit Widerspruch bzw. Klage vorge-gangen, so dass die aufschiebende Wirkung der Rechtsmittel zu beachten sei.
Mit Bescheid vom 23. Februar 2012 stornierte die Beklagte die Mahngebühr und half damit dem Widerspruch in vollem Umfang ab. Hinsichtlich der Kosten entschied sie, dass die im Widerspruchsverfahren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwen-dungen auf Antrag erstattet würden und dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten nicht als notwendig anerkannt werde im Sinne des § 63 Abs. 2 SGB X. Zur Begründung führte sie diesbezüglich aus, dass es der Klägerin zuzumuten gewesen sei, das Verfahren selbst zu führen. Streitgegenständlich sei die Erhebung einer Mahngebühr in Höhe von 6,05 Euro gewesen. Es sei insgesamt nicht um die rechtliche Würdigung eines komplexen oder schwierigen Sachverhalts gegangen. Der Klägerin sei es möglich und zumutbar gewesen, die Beklagte darauf hinzuweisen, dass die Forderung bestritten werde und gegen den Grund-lagenbescheid Klage erhoben worden sei. Die Rechtslage sei nicht schwierig, da es in der Rechtsprechung geklärt sei, dass eine Klage gegen einen Erstattungsbescheid grundsätzlich aufschiebende Wirkung habe und eine Einziehung der Erstattungsforderung einschließlich der Festsetzung von Mahngebühren bei Einlegung eines Rechtsbehelfs nicht rechtmäßig sei. Es sei der Klägerin auch schon deshalb zuzumuten gewesen, das Verfahren selbst zu führen, weil sich ein rechtsunkundiger, verständiger Bürger vom Bildungs- und Erkenntnisstand der Klägerin in einer solchen Angelegenheit eines Rechtsanwalts nicht bedient hätte. Auch im Hinblick auf das geringe wirtschaftliche Risiko habe von der Klägerin erwartet werden kön-nen, das Verfahren selbst zu führen.
Hiergegen hat die Klägerin am 01. März 2012 Widerspruch eingelegt. Sie verweist darauf, dass trotz ständiger Rechtsprechung und Kommentierung die aufschiebende Wirkung des gegen den der Mahnung zugrunde liegenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheid einge-legten Rechtsbehelfs außer Acht gelassen worden sei. Auch im Hinblick auf die Gesamtfor-derung in Höhe von 1.160,41 Euro habe sich das Einschalten anwaltlichen Beistands aufge-drängt. Gegen die gängige Praxis der Beklagten, ständig nicht vollstreckbare Forderungen anzumahnen und mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu drohen, könne sich der Bürger nicht ausreichend selbst wehren. Weiter verweist sie auf ein entsprechendes Urteil des Bay-rischen LSG vom 12. Mai 2010 (L 16 AS 829/09).
Die Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2012 als unbe-gründet zurückgewiesen. Sie wiederholt und vertieft die Gründe der Ausgangsentscheidung und verweist zusätzlich darauf, dass ein Bemittelter in der Lage eines Unbemittelten im vor-liegenden Fall vernünftiger Weise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interes-sen nicht beauftragt haben würde. Darüber hinaus seien die relevanten Rechtsfragen, wie auch die Einordnung der Mahngebührenfestsetzung als Verwaltungsakt und die Zuständig-keit hierfür durch das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 26. Mai 2011 - B 14 AS 54/10 R - geklärt. Damit handele es sich nicht mehr um schwierige und ungeklärte Rechtsfragen.
Die Klägerin hat am 31. Mai 2012 Klage erhoben. Sie wiederholt und vertieft im Wesentli-chen die Begründung ihres Widerspruchs und führt ergänzend an, dass selbst mit den Be-hörden erfahrene Mandanten ihres Prozessbevollmächtigten ohne anwaltliche Hilfe auf-grund ihres eigenen Intervenierens bei der Beklagten nichts erreicht hätten.
Sie beantragt schriftsätzlich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Erörterungs-termin sinngemäß,
die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 23. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2012 zu erklären, dass die Zuziehung des anwaltlichen Bevollmächtigten im Widerspruchsverfah-ren W./ ... notwendig war.
Die Beklagt beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Begründung der angegriffenen Bescheide.
Im Erörterungstermin der Sach- und Rechtslage am 21. August 2012 wurden die Beteiligten zu einer beabsichtigten Entscheidung des Gerichts durch Gerichtsbescheid angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts des Vorbringens der Beteiligten im Üb-rigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten zum Verfahren W./ ..., W./ ... verwiesen, die - soweit maßgeblich - Gegenstand der Ent-scheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Beteiligten sind zuvor gehört worden.
Die vorliegend erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 SGG ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet. Die Ab-lehnung der Erklärung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren W./ ... durch die Beklagte ist rechtswidrig und die Klägerin dadurch beschwert (§ 54 Abs. 2 SGG).
Die Klägerin hat einen Anspruch auf die begehrte positive Hinzuziehungsentscheidung aus § 63 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).
Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckent-sprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Die Gebühren und Auslagen eines Rechts-anwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind nach § 63 Abs. 2 SGB X erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.
Die Beklagte hat dem Widerspruch der Klägerin gegen die Festsetzung der Mahngebühr in der Mahnung vom 29. November 2011 mit Bescheid vom 23. Februar 2012 durch die Stor-nierung der Mahngebühr abgeholfen, so dass der Widerspruch erfolgreich war. Die Auf-wendungen der Klägerin in Gestalt der Kosten ihres Rechtsanwalts waren auch im Sinne des § 63 Abs. 2 SGB X dem Grunde nach notwendig. Notwendig ist die Zuziehung nach höchst-richterlicher Rechtsprechung dann, wenn es einem Beteiligten nach seinen persönlichen Verhältnissen sowie wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfah-ren selbst zu führen (vgl. Bundesverfassungsgericht - BverfG -, Beschluss vom 11.05.2009 - 1 BvR 1517/08 - m. w. N.) bzw. dann, wenn der Beteiligte es für erforderlich halten durfte, im Vorverfahren durch einen Rechtsanwalt unterstützt zu werden (so genannte ex-ante Sicht) und dann einen Rechtsanwalt zugezogen hat (vgl. u. a. BSG, Beschluss vom 29.09.1999 - B 6 KA 30/99 B -). Abzustellen ist auf den Einzelfall, wobei entscheidend die individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten des Klägers sind. Die Notwendigkeit ist in der Regel zu bejahen, weil der Bürger nur in Ausnahmefällen in der Lage sein wird, seine Rech-te gegenüber der Verwaltung ausreichend zu wahren (vgl. auch Roos in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, München 2010, § 63 Rd.-Nr. 26 m. w. N.). Im Einzelfall ist dabei maßgeb-lich auf die rechtliche und tatsächliche Überschaubarkeit der Sache, die Bedeutung der Rechtssache für den Widerspruchsführer, die persönlichen Umstände des Widerspruchsfüh-rers sowie darauf abzustellen, ob sich die Begründetheit des Widerspruchs anhand von Tat-sachenfragen oder schwierigen Rechtsfragen entscheidet (vgl. auch VG Göttingen, Urteil vom 30.09.2004 - 2 A 54/03 -, zitiert nach juris.).
Vorliegend war es der Klägerin schon aufgrund ihrer individuellen Fähigkeiten nicht zuzu-muten, das Verfahren alleine zu betreiben. Dies steht aufgrund der Tatsache, dass die Kläge-rin Analphabetin und der deutsche Sprache nicht mächtig ist sowie auch aufgrund des indi-viduellen Eindrucks, den das Gericht von der Klägerin in dem Erörterungstermin in einem vorangegangenen Parallelverfahren gewinnen konnte, zur Überzeugung des Gerichts fest. Weiterhin waren zu berücksichtigen, die Unübersichtlichkeit der Sache insgesamt, die sich bereits aus der auf der Rückseite der streitgegenständlichen Mahnung erfolgten Forderungs-aufstellung ergibt sowie die Tatsache, dass selbst im Bereich der Beklagten die aufschie-bende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen die ursprünglichen Bescheide regelmä-ßig nicht beachtet zu werden scheint. Die rechtlichen Gegebenheiten, die sämtlich höchst-richterlich geklärt werden mussten, sind selbst für einen "Normalbürger" nicht ohne weite-res zu übersehen. Vorliegend war es aufgrund der dargestellten individuellen Fähigkeiten der Klägerin erst recht notwendig, um die verfassungsrechtlich in Artikel 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verbürgte Rechtsschutzgleichheit und den Grundsatz der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten, nämlich einer rechtskundig vertretenen Behörde und der Klägerin, herzustellen notwendig, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen (vgl. zu allem auch: BVerfG, Beschluss vom 24.03.2011 - 1 BVR 1737/10 -, zitiert nach juris.). Unstatt-haft ist nach der oben zitierten Entscheidung insbesondere in Fällen wie diesem, eine aus-schließliche Beurteilung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko, worauf auch die Beklagte maßgeblich abstellt. Insoweit hält es das Bundesverfassungsgericht keinesfalls für fern liegend, dass auch ein Bemittelter verhältnismäßig hohe Rechtsanwaltskosten nicht scheut, wenn er mit einem Obsiegen und der Erstattung seiner Aufwendungen rechnet. So-weit die Beklagte der Klägerin die Fähigkeit zuweist, zutreffende eigene rechtliche Wertun-gen hinsichtlich der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen Erstat-tungsbescheide als auch hinsichtlich der Einordnung von Mahngebühren vorzunehmen, ist dies für das Gericht nicht nachvollziehbar. Vielmehr besteht vorliegend ein offensichtliches und grobes Ungleichgewicht zwischen der Behörde und der Klägerin hinsichtlich des Kenntnisstandes und der Fähigkeiten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 193 SGG.
Die Nichtzulassung der Berufung folgt aus § 105 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 in Verbin-dung mit § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 750,00 Euro nicht. Zulassungsgründe im Sinne des § 144 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich. Insbesondere erging die Entscheidung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Ein-zelfalls.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieser Gerichtsbescheid kann nur dann mit der Berufung angefochten werden, wenn sie nachträglich zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Berufung mit der Beschwerde angefochten werden.
Die Berufung ist zuzulassen, wenn
• die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
• der Gerichtsbescheid von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozi-algerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bun-desverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
• ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend ge-macht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides beim
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Försterweg 2-6
14482 Potsdam,
schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Ge-schäftsstelle einzulegen.
Die Beschwerdeschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei dem vorgenannten Gericht ein-gehen. Sie soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Anstelle der Beschwerde kann binnen eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides bei dem Sozialgericht Potsdam, Rubensstraße 8, 14467 Potsdam, schriftlich, in elektroni-scher Form oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle münd-liche Verhandlung beantragt werden. Wird ein solcher Antrag rechtzeitig gestellt, so gilt der Gerichtsbescheid als nicht ergangen; anderenfalls wirkt er wie ein Urteil. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Ver-handlung statt.
Die elektronische Form wird durch eine qualifizierte signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Brandenburg vom 14. Dezember 2006 (GVBl. II S. 558) idF vom 1. Oktober 2007 (GVBl. II S. 425) in die elektronische Poststelle des jeweiligen Gerichts zu übermitteln ist. Nähere Hinweise zu den Kommunikationswegen für den elektronischen Rechtsverkehr können unter der Inter-netadresse www.erv.brandenburg.de abgerufen werden.
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