L 5 AS 188/12 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 16 AS 196/12
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 188/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 16. März 2012 wird aufgehoben. Dem Kläger wird zur Durchführung des erstinstanzlichen Verfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin G., M., bewilligt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger, der vom Beklagten laufend Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) bezieht, begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung eines sozialgerichtlichen Klageverfahrens. Darin begehrt er in der Sache im Wege einer am 18. Januar 2012 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Untätigkeitsklage die Verurteilung des Beklagten, über seinen am 31. Dezember 2010 gestellten Antrag auf Überprüfung der ab 1. Januar 2006 ergangenen Bescheide zu entscheiden.

Der Beklagte hat im erstinstanzlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 23. März 2012 angegeben, über den Überprüfungsantrag bereits mit dem Schriftsatz beiliegenden Bescheid vom 24. Mai 2011 eine Entscheidung getroffen worden. Der Bescheid ist ausweislich eines Postausgangsvermerks am 25. Mai 2011 zur Post gegeben worden.

Den zugleich mit der Klageerhebung unter Beifügung der notwendigen Unterlagen gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 16. März 2012 abgelehnt. Die Klage habe keine hinreichende auf Sicht auf Erfolg, da bereits mehr als ein halbes Jahr vor Erhebung der Klage der begehrte Bescheid erlassen worden sei. Es hat in seiner Rechtsmittelbelehrung darauf hingewiesen, dass der Beschluss unanfechtbar sei, da der Wert des Streitgegenstandes aufgrund des mangelnden Vortrages des Klägers nicht feststellbar sei. Gegen den Beschluss hat der Kläger am 11. April 2012 unter anderem Beschwerde eingelegt. Die Bekanntgabe des Bescheides vom 24. Mai 2011 sei erstmals mit den gerichtlichen Schreiben vom 23. März 2012 erfolgt. Zuvor hätten weder er noch sein damaliger Prozessbevollmächtigter, der H. e.V., den Bescheid erhalten.

Der Beklagte hat Gelegenheit erhalten, zur Beschwerde Stellung zu nehmen. Er hat hiervon jedoch keinen Gebrauch gemacht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.

II.

Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft nach §§ 172 Abs. 3 Nr. 2, 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten die Vorschriften der ZPO über die Prozesskostenhilfe entsprechend. Die Verweisung bezieht sich auf alle in dem Buch 1, Abschnitt 2, Titel 7 der ZPO enthaltenen Vorschriften über die Prozesskostenhilfe, soweit das SGG nicht ausdrücklich - etwa in § 73a Abs. 1 Satz 2 SGG - etwas anderes regelt. Die Beschwerde ist nach diesen Regelungen bei einem Wert des Beschwerdegegenstandes von über 750,00 EUR oder bei Vorliegen eines Streites über laufende Leistungen von über einem Jahr zulässig, wenn Prozesskostenhilfe (auch) wegen mangelnder Erfolgsaussicht abgelehnt worden ist. Dies folgt aus § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz ZPO (vgl. dazu ausführlich den Beschluss des erkennenden Senats vom 20. Februar 2009, L 5 B 305/08 AS und L 5 B 304/08 AS).

Die Klage betrifft zwar keinen Anspruch auf laufende Leistungen von über einem Jahr, da § 41 SGB II (der Bewilligungsabschnitt) eine zeitliche Zäsur schafft, die die Dauer des Leistungsbezuges auf sechs bzw. zwölf Monate begrenzt (vgl. BSG, Beschluss vom 22. Juli 2010. B 4 AS 77/10 B, Rn. 7, Juris). Eine Grundlage für die Berechnung des Wertes des Beschwerdegegenstandes ist nicht gegeben, da der Kläger im Überprüfungsantrag sein Begehren nicht näher konkretisiert hatte. Dies allerdings führt, entgegen der Ansicht des Sozialgerichts, unter Berücksichtigung des Umstandes, dass im sozialgerichtlichen Verfahren der Ausschluss der Berufung und der Beschwerde die Ausnahme bilden, nicht zu einem Ausschluss der Beschwerde zulasten des Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 2011, B 5 R 54/10 R, Rn. 15, Juris).

Nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO ist auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, soweit der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dabei hat der Antragsteller gemäß § 115 ZPO für die Prozessführung sein Einkommen und Vermögen einzusetzen, soweit ihm dies nicht aufgrund der dort genannten Tatbestände unzumutbar ist.

Als hinreichend sind die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels einzuschätzen, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gewiss, eine Erfolgschance jedoch nicht unwahrscheinlich ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. März 1990, 1 BvR 94/88, NJW 1991, S. 413 f.). Prozesskostenhilfe kommt hingegen nicht in Betracht, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BSG, Urteil vom 17. Februar 1998, B 13 RJ 83/97 R, SozR 3-1500 § 62 Nr. 19).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist dem Kläger zur Durchführung des erstinstanzlichen Verfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Die Klage hatte zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (Zeitpunkt der Klageerhebung; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschlüsse vom 17. August 2010, L 5 AS 72/10 B und vom 17. Dezember 2009, L 5 AS 338/09 B, Juris) (noch) hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Eine Untätigkeitsklage ist nach § 88 SGG zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist (hier sechs Monate nach Antragstellung) sachlich nicht beschieden hat. Ein Verwaltungsakt ist nach § 37 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) erlassen, wenn er dem Empfänger bekannt gegeben worden ist. Ein schriftlicher Verwaltungsakt gilt bei Übermittlung mit der Post nach § 37 Abs. 2 SGB X am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Diese Zugangsfiktion gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang und seinen Zeitpunkt nachzuweisen. In diesem Sinne aber bestehen schon dann "Zweifel", wenn der Adressat, wie hier der Kläger, den Zugang schlicht bestreitet (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 2007, B 13 R 4/06 R, Rn. 20, Juris). Zum Zeitpunkt der Klageerhebung musste das Sozialgericht davon ausgehen, dass der Bescheid dem Kläger noch nicht bekannt gegeben war. Eine Untätigkeitsklage wäre sonst nicht verständlich. In ihr liegt der Vortrag, keinen Bescheid erhalten zu haben, mithin das konkludente Bestreiten des Zugangs eines solchen. Sie war mithin zulässig, denn sie ist über ein Jahr nach Antragstellung (31. Dezember 2010) und damit nach der der Behörde zum Erlass eines Verwaltungsaktes gegebenen Frist von sechs Monaten erhoben worden. Ob der Beklagte einen zureichenden Grund für die (vermeintliche) Fristversäumung hatte, konnte dahinstehen, da dieser nicht Prozessvoraussetzung ist. Die nachträgliche Bekanntgabe des Bescheides durch den Schriftsatz des Beklagten vom 23. März 2012 hindert die Annahme einer Erfolgsaussicht zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht. Nachträglich eintretende "Verschlechterungen" der Prozessaussichten sind unerheblich.

Da auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung einer Prozesskostenhilfe vorliegen, war der Beschwerde statt zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 127 Abs. 4 ZPO.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved