Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 15 SB 6554/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 722/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden der Anerkenntnisteil- und Schlussgerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 31. Januar 2011 sowie der Bescheid des Beklagten vom 14. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. September 2009 in der Fassung des Ausführungsbescheids vom 16. Februar 2011 abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, beim Kläger den Grad der Behinderung mit 50 seit dem 25. Mai 2012 festzustellen. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger zwei Drittel seiner außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) streitig.
Der 1965 geborene Kläger ist t. Staatsangehöriger. Er ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis des Landratsamtes E ...
Der Kläger stellte am 28.01.2009 beim Landratsamt E. - Amt für besondere Hilfen - (LRA) einen Erstantrag nach § 69 SGB IX. An Gesundheitsstörungen machte er einen Diabetes mellitus, eine Polyneuropathie, einen Fersensporn sowie eine labile Hypertonie geltend.
Das LRA zog medizinische Unterlagen bei (Bericht des Kreisklinikums E. vom 03.07.2008 über eine Röntgenreizbestrahlung der Fersen; Bericht Dr. Pa. vom 04.06.2007, Diagnose: Grenzwertige Polyneuropathie, Fersenschmerz unklarer Ätiologie; Bericht des Orthopäden T. vom 04.10.2006, Diagnose: Senkspreizfuß beidseits, Reizzustand an der Plantaraponeurose links; Bericht Dr. Le. vom 12.11.2004, Diagnose: Innenohrschwerhörigkeit rechts; Bericht Dr. Bo. vom 20.10.2004, Diagnose: nicht kardial bedingte Thoraxbeschwerden, Diabetes mellitus Typ II; Tonaudiogramm Dr. R. vom 11.12.2008). Nach Auswertung der beigezogenen Unterlagen durch den ärztlichen Dienst schlug Dr. La. in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 09.04.2009 vor, beim Kläger wegen eines Diabetes mellitus (Teil-GdB 20) und einer Gebrauchseinschränkung beider Füße (Teil-GdB 10) den Gesamt-GdB mit 20 festzustellen.
Entsprechend der gutachtlichen Stellungnahme vom 09.04.2009 stellte das LRA beim Kläger mit Bescheid vom 14.04.2009 den GdB mit 20 seit dem 28.01.2009 fest.
Gegen den Bescheid vom 14.04.2009 legte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten am 14.05.2009 Widerspruch ein, mit dem Ziel, einen GdB von wenigstens 50 festzustellen. Das LRA holte die weitere gutachtliche Stellungnahme seines ärztlichen Dienstes, Dr. Schu. , vom 28.07.2009 ein, in der unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Schwerhörigkeit rechts mit einem Teil-GdB von 10 der Gesamt-GdB weiterhin mit 20 vorgeschlagen wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.09.2009 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, die beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen seien in vollem Umfang erfasst und unter Berücksichtigung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem GdB von 20 angemessen bewertet.
Hiergegen erhob der Kläger am 30.09.2009 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Er machte zur Begründung geltend, die Diabeteserkrankung sei mit einem GdB von 30 in Ansatz zu bringen, wie die Schädigung und die erhebliche Gebrauchseinschränkung beider Füße, die zu ständigen starken Schmerzen beim Gehen und beim Stehen führten. Das LRA habe völlig unberücksichtigt gelassen, dass er auf dem rechten Ohr zu 90 % hörgeschädigt sei.
Das SG hörte die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. F. , den Orthopäden Th. sowie die HNO-Ärztin Dr. R. schriftlich als sachverständige Zeugen an. Dr. R. teilte dem SG am 09.12.2009 mit, der Kläger habe sich am 11.12.2008 einmalig in ihrer Behandlung befunden und legte das Tonaudiogramm vom 11.12.2008 vor. Dr. F. teilte in ihrer Stellungnahme vom 10.12.2009 unter Vorlage des Entlassungsberichtes des Kreisklinikums E. vom 18.11.2009 die Befunde und Diagnosen mit. Den Schweregrad für den Diabetes erachtete sie als schwer und für Beinschmerzen infolge des schlecht einstellbaren Blutzuckers mit Verdacht auf eine diabetische Polyneuropathie als mittelschwer. Es komme zu häufigen Hyperglykämien, Hypoglykämien seien keine aufgetreten. Dr. F. schätzte den Gesamt-GdB auf 40 ein. Der Orthopäde Th. teilte in seiner Stellungnahme vom 11.01.2010 die erhobenen Befunde mit. Er teilte auf seinem Fachgebiet die Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes des LRA.
Der Beklagte unterbreitete dem Kläger zunächst ein Vergleichsangebot dahin, den GdB mit 30 sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit ab dem 01.10.2009 festzustellen und legte die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. B. vom 01.04.2010 vor, der für den Diabetes mellitus einem Teil-GdB von 30 und für die Gebrauchseinschränkung beider Füße einen Teil-GdB von 10 vorschlug. Dieses Vergleichsangebot lehnte der Kläger ab (Schriftsatz vom 17.05.2010) und legte ein Tonaudiogramm vom 28.10.2009 vor. Daraufhin erhöhte der Beklagte mit Schriftsatz vom 02.06.2010 unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Schwerhörigkeit rechts (Teil-GdB 15, aufgerundet 20) sein Vergleichsangebot dahin, den GdB mit 40 ab 01.10.2009 bei einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit festzustellen. Der Beklagte legte die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Wo. vom 28.05.2010 vor. Auch dieses erweiterte Vergleichsangebot nahm der Kläger nicht an, wie ein daraufhin vom Beklagten abgegebenes Teilanerkenntnis, da er weiterhin der Auffassung war, dass ihm zumindest ein GdB von 50 zustehe.
Mit Anerkenntnisteil- und Schlussgerichtsbescheid vom 31.01.2011 verurteilte das SG den Beklagten, gemäß seinem Teilanerkenntnis beim Kläger einen GdB von 40 seit 01.10.2009 festzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Das SG führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, beim Kläger könne ein höherer GdB als 40 nicht festgestellt werden. Die Schwerhörigkeit rechts sei mit einem GdB von 15 zu bewerten, der vom Beklagten auf einen vollen Zehnergrad von 20 aufgerundet worden sei. Der Diabetes mellitus sei mit einem GdB von 30 angemessen bewertet. Soweit Dr. F. einen GdB von 40 annehme, liege dem keine objektive Befundmitteilung zu Grunde. Der Fersensporn und eine Achillodynie seien mit einem GdB von 10 zu bewerten. Nach Würdigung aller Umstände komme beim Kläger kein höherer Gesamt-GdB als 40 in Betracht.
In Ausführung des Gerichtsbescheids vom 31.01.2011 stellte das LRA mit Bescheid vom 16.02.2011 beim Kläger den GdB mit 40 seit dem 01.10.2009 fest. Weiter stellte das LRA mit diesem Bescheid auch das Vorliegen einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz seit dem 01.10.2009 fest und erteilte hierzu dem Kläger eine unbefristete Bescheinigung zur Vorlage an das Finanzamt (Schreiben vom 16.02.2011).
Gegen den Gerichtsbescheid vom 31.01.2011 hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten am 18.02.2011 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung ausgeführt, das SG habe seine Hörschädigung nicht angemessen gewürdigt. Auf dem rechten Ohr liege nach dem vorgelegten aktuellen Tonaudiogramm nahezu eine Taubheit vor, weshalb ein GdB von wenigstens 20 gerechtfertigt sei. Entsprechendes gelte für die Gebrauchseinschränkung beider Füße. Er habe massive Probleme beim Gehen und Stehen. Nicht nachvollziehbar sei, warum das SG die Einschätzung der Hausärztin ignoriere, die die Diabeteserkrankung mit einem GdB von 40 bewertet habe.
Der Kläger beantragt, den Anerkenntnisteil- und Schlussgerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 31. Januar 2011 sowie den Bescheid des Beklagten vom 14. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. September 2009 in der Fassung des Ausführungsbescheids vom 16. Februar 2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm den Grad der Behinderung mit wenigstens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend. Hinsichtlich des Diabetes mellitus betrage angesichts des maßgeblichen geschilderten Therapieaufwandes der GdB 30. Nach dem vorgelegten Tonaudiogramm bestehe ein prozentualer Hörverlust von 82 % rechts bei Normalhörigkeit links, was einem GdB von 15, zu Gunsten des Klägers aufgerundet auf 20, ergebe. Unter Berücksichtigung der Funktionsbeeinträchtigungen an beiden Füßen lasse sich ein höherer Gesamt-GdB nicht vertreten.
Der Senat hat Dr. F. schriftlich als sachverständige Zeugin angehört. Dr. F. hat in ihrer Stellungnahme vom 27.07.2011 mitgeteilt, der Kläger werde mit Metformin und Novorapid medikamentös therapiert. Die Therapie könne eine Hypoglykämie auslösen, die beim Kläger bisher noch nicht bekannt geworden sei. Der Kläger müsse eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen und sollte 2- bis 3-mal täglich messen. Er müsse 3 Insulininjektionen in vorgegebener Dosierung täglich selbst durchführen. Der Kläger sei durch die Diabeteserkrankung in der Lebensführung dadurch beeinträchtigt, dass er auf regelmäßiges Essen achten müsse, nicht mehr sämtliche Nahrungsmittel zu sich nehmen dürfe und seine gewohnte türkische Ernährung ändern müsse. Dr. F. hat die Erstdokumentation des Diabetes Typ II vom 25.02.2010 und vom 24.05.2011 sowie Verlaufsdokumentationen bis 17.12.2010 und ein Laborblatt mit Aufstellung der vom 19.10.2009 bis 02.05.2011 erhobenen Laborwerte vorgelegt.
Der Beklagte ist der Berufung unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Re. vom 04.11.2011 weiter entgegengetreten. Hinsichtlich der Diabeteserkrankung sei ein GdB von 30 weiterhin leidensgerecht.
Der Rechtsstreit ist durch den Berichterstatter in der nichtöffentlichen Sitzung am 27.04.2012 mit den Beteiligten erörtert worden. Der Kläger hat erklärt, sich derzeit in HNO-ärztlicher Behandlung zu befinden, die noch nicht abgeschlossen sei. Deswegen ist auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden. Auf die Niederschrift vom 27.04.2012 wird Bezug genommen.
Am 08.06.2012 hat der Kläger das Verfahren wieder angerufen. Er hat zusätzlich geltend gemacht, bestehende Schwindelattacken seien austherapiert. Der Kläger hat die ärztliche Bescheinigung des Dr. Be. vom 25.05.2012 und den augenärztlichen Untersuchungsbogen der Augen-Praxis-Klinik E. (ohne Datum) mit der Diagnose einer milden oder mäßigen diabetischen Retinopathie beider Augen vorgelegt.
Der Senat hat den HNO-Arzt Dr. Be. schriftlich als sachverständigen Zeugen angehört. Dr. Be. hat in seiner Stellungnahme vom 13.06.2012 den Behandlungsverlauf und die Diagnosen (Taubheit rechts, Innenohrschwerhörigkeit, Schwindel und Diabetes mellitus) unter Vorlage eines Tonaudiogramms vom 25.05.2012 und weiterer ärztlicher Befundberichte (insbesondere Entlassungsbericht der Kreiskliniken E. vom 06.04.2012, Diagnosen: Kreislaufdysregulation, kein Hinweis auf kardiale Genese) mitgeteilt. Wegen der Hörstörung schätzte Dr. Be. den GdB mit 20 ein.
Der Beklagte ist der Berufung unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Wo. vom 27.08.2012 weiter entgegen getreten. Es bestünden Bedenken, nach gegenwärtiger Lage der Akten den Diabetes mellitus mit einem höheren Teil-GdB als 30 zu bewerten. Das jetzt vorgelegte Tonaudiogramm vom 25.05.2012 ergebe einen prozentualen Hörverlust von 93 % rechts und 15 % links mit einem Teil-GdB von weiterhin 15 (aufzurunden auf 20). Die im Entlassungsbericht der Kreiskliniken E. vom 06.04.2012 beschriebene Kreislaufdysregulation begründe keine GdB-relevante Funktionseinschränkung für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten Dauer.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte und nach § 151 SGG auch insgesamt zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung des GdB mit 50 seit dem 25.05.2012. Insoweit war die angefochtene Entscheidung des SG abzuändern. Im Übrigen ist die Berufung jedoch nicht begründet.
Nicht (mehr zulässiger) Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist, ob beim Kläger eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz vorliegt, nachdem die Beklagte mit Ausführungsbescheid vom 16.12.2011 eine dahingehende Feststellung getroffen und dem Kläger hierüber eine unbefristete Bescheinigung für das Finanzamt erteilt hat. Dem entspricht auch der Berufungsantrag des Klägers.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1).
Seit 01.01.2009 ist an die Stelle im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (ständige Rechtsprechung des Senats).
Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).
Nach diesen Kriterien hat der Kläger Anspruch auf Feststellung des GdB mit 50 ab dem 25.05.2012 (tonaudiometrische Untersuchung durch Dr. Be. an diesem Tag).
Der Kläger ist der deutschen Sprache nicht mächtig, weshalb zur Bestimmung des Teil-GdB für die Hörstörung des Klägers ausnahmsweise kein Sprachaudiogramm, sondern ein Tonaudiogramm heranzuziehen ist. Nach dem von Dr. Be. bei seiner schriftlichen Anhörung als sachverständiger Zeuge seiner Stellungnahme vom 13.06.2012 beigefügten Tonaudiogramm vom 25.05.2012 besteht nach der nachvollziehbaren versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Wo. vom 27.08.2012 beim Kläger ein prozentualer Hörverlust für das rechte Ohr von 93 % und das linke Ohr von 15 %. Damit wird nach der Tabelle D zur Ermittlung des GdB aus den Schwerhörigkeitsgraden für beide Ohren (VG Teil B 5.2.4) der bei einem Hörverlust von 95 % rechts und 20 (bis 40) % links vorgesehene Teil-GdB von 30 vom Kläger nur knapp nicht erreicht. Vielmehr liegt die Hörstörung des Klägers näher an der mit einem GdB 20 bewerteten Hörstörung bei Taubheit (Hörverlust 100 %) auf dem einen Ohr und Normalhörigkeit (Hörverlust 0-20 %) auf dem anderen Ohr. Der Senat berücksichtigt hierbei, dass die sich aus der Tabelle D ergebenden Abstufungen teilweise GdB-Werte mit nichtlinearen Abständen ausweisen, was eine wertende Betrachtung gerade der im Grenzbereich des Bewertungsrahmens liegenden Hörstörung erfordert. Entgegen der Ansicht des Beklagten, der lediglich von einem auf 20 aufzurundenden Teil-GdB von 15 ausgeht (zuletzt versorgungsärztliche Stellungnahme Dr. Wo. vom 24.08.2012), erachtet der Senat deswegen einen Teil-GdB von 20 für das Gehörleiden des Klägers seit dem 25.05.2012 für durchaus angemessen. Dem entspricht auch die Bewertung des Dr. Be. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 13.06.2012, der wegen der Hörstörung des Klägers ebenfalls den Teil-GdB mit 20 eingeschätzt hat.
Weiter ist beim Kläger bei der Bildung des Gesamt-GdB (jedenfalls seit dem 25.05.2012) eine Diabeteserkrankung zu berücksichtigen, für die zur Überzeugung des Senats ein Teil-GdB von 40 angemessen ist.
Für die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) sind die GdB-Bewertungsgrundsätze durch die Zweite Verordnung zur Änderung der VersMedV (BGBl. 2010,928) mit Wirkung vom 22.07.2010 geändert worden. Danach gilt nach den VG Teil B 15.1 für die GdB-Bewertung eines Diabetes mellitus: Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdB rechtfertigt. Der GdB beträgt 0. Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB beträgt 20. Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB beträgt 30 bis 40. Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdB beträgt 50. Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdB-Werte bedingen.
Unter Zugrundelegung dieser Bewertungsgrundsätze ist die durch den Diabetes mellitus bedingte Teilhabebeeinträchtigung des Klägers (jedenfalls seit dem 25.05.2012) zur Überzeugung des Senats mit einem Teil-GdB von 40 zu bewerten. Der seit 1992 bestehende Diabetes mellitus Typ 2 wurde nach dem Entlassungsbericht der Kreiskliniken E. vom 18.11.2009 bis Oktober 2009 mit oralen Antidiabetika therapiert, wobei unbefriedigende Blutzucker-Werte (HbA1c-Wert 10,7 %) bestanden und die Einstellung des Blutzuckers wegen Schichtarbeit des Klägers (Nachtschicht) schwierig war. Im Rahmen der vom 26.10.2009 bis 04.11.2009 durchgeführten stationären Behandlung wurde beim Kläger nach dem Entlassungsbericht mit einer Insulinbehandlung (neben dem Medikament Metformin) begonnen, die nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. F. andauert. Diese Therapie kann nach den weiteren Angaben von Dr. F. eine Hypoglykämie auslösen. Dass beim Kläger eine Hypoglykämie eingetreten ist, ist Dr. F. allerdings nicht bekannt. Weiter muss der Kläger nicht nur einmal, sondern 2 bis 3-mal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers sowie 3-mal täglich Insulininjektionen in festen Einheiten selbst durchführen. Weiter ist nach den von Dr. F. vorgelegten Dokumentation/Verlaufsdokumentationen (betreffend den Zeitraum vom 25.02.2010 bis 24.05.2011) die Güte der Stoffwechseleinstellung nach dem HbA1c-Wert, der zwischen 7,7 % und 8,4 % schwankt, beeinträchtigt. Für eine unzureichende Stoffwechseleinstellung spricht zudem der vom Kläger mit Schriftsatz vom 06.06.2012 vorgelegte Augenfachärztliche Untersuchungsbogen der Augen-Praxis-Klinik E. (ohne Datum), wonach es beim Kläger zu einer milderen/mäßigen diabetischen Retinopathie beider Augen gekommen ist, sowie die Angaben von Dr. F. vom 10.12.2009 in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG, dass es beim Kläger zu häufigen Hyperglykämien komme. Weiter besteht nach den Angaben von Dr. F. vom 27.07.2011 beim Kläger eine Beeinträchtigung in der Lebensführung dadurch, dass er insbesondere auf regelmäßiges Essen achten muss, und zudem er nicht mehr sämtliche Nahrungsmittel zu sich nehmen kann, was sich, spürbar auswirkt, wie der Senat dem Entlassungsbericht der Kreiskliniken E. vom 18.11.2009 entnimmt.
Danach ist beim Kläger hinsichtlich seiner Diabeteserkrankung nach den oben dargestellten rechtlichen Bewertungsmaßstäben von einer stärkeren Teilhabebeeinträchtigung mit einem Teil-GdB-Rahmen von 30 bis 40 auszugehen. Dem entspricht auch der Bewertungsansatz des Beklagten seit dem Beginn der Insulin-Therapie ab Oktober 2009 (versorgungsärztliche Stellungnahmen Dr. B. vom 24.03.2010 und Dr. Wo. vom 27.05.2010). Anders als der Beklagte erachtet der Senat jedoch eine Ausschöpfung des Teil-GdB-Rahmens nach oben (GdB 40) vorliegend für angemessen. Die durch die Diabeteserkrankung bedingte Teilhabebeeinträchtigung des Klägers tendiert mehr zu einer ausgeprägten Teilhabebeeinträchtigung (Teil-GdB 50) als zu einer signifikanten Teilhabebeeinträchtigung (Teil-GdB 20), weshalb durch das Belassen des Teil-GdB im unteren Bewertungsrahmen (Teil-GdB 30) der Teilhabebeeinträchtigung des Klägers nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Hiervon geht auch Dr. F. in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 10.12.2009 an das SG aus, die wegen der Diabeteserkrankung den Teil-GdB ebenfalls auf 40 einschätzt. Den in der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Wo. vom 27.08.2012 geäußerten Bedenken gegen diese GdB-Bewertung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Dr. Wo. zeigt keine rechtliche und/oder medizinische Gesichtspunkte auf, die die geäußerten Bedenken plausibel machen. Insbesondere ist bei einer stärkeren Teilhabebeeinträchtigung, wie sie beim Kläger vorliegt, eine durch Blutzuckertagebuch nachgewiesene Dokumentation der Blutzuckerselbstmessungen nach den rechtlichen Bewertungsvorgaben der VG nicht zwingend vorgeschrieben. Die vom Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung insbesondere zur Notwendigkeit von einer (dokumentierten) Blutzuckerüberprüfung gemachten Ausführungen werden weder durch Dr. F. noch in der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Wo. vom 27.08.2012 bestätigt. Dr. F. hat vielmehr die Notwendigkeit von mehrfachen täglichen (dokumentierten) Blutzuckerüberprüfungen in der sachverständigen schriftlichen Zeugenaussage vom 27.07.2011 in Beantwortung der Beweisfragen bestätigt. Ein Bedürfnis solcher Überprüfungen legt auch die dargestellte unzureichende Stoffwechseleinstellung nahe. Dass der Kläger solche Überprüfungen nicht durchführt, hat Dr. F. nicht angegeben. Doch selbst wenn der Kläger insoweit keinen weiteren Therapieaufwand, obgleich er medizinisch notwendig wäre, betreibt, ist vor dem Hintergrund der oben dargelegten funktionellen Einschränkungen, insbesondere die durchgehend unzureichende Blutzuckereinstellung trotz 3mal täglicher Injektion mit beginnenden Augenhintergrundveränderungen, der GdB 40 gleichwohl gerechtfertigt. Der Senat sieht sich deshalb nicht gedrängt, hierzu weitere Ermittlungen anzustellen.
Nach den oben dargestellten Grundsätzen zur Bildung des Gesamt-GdB ist beim Kläger seit dem 25.05.2012 ausgehend von einem Teil-GdB von 40 für die Diabeteserkrankung und einem Teil-GdB von 20 für die Gehörschädigung der Gesamt-GdB mit 50 zu bilden.
Demgegenüber besteht beim Kläger in der Zeit vor dem 25.05.2012 ein Anspruch auf Feststellung des GdB mit 50 nicht zu. Dies selbst dann, wenn zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass für die Diabeteserkrankung auch vor dem Inkrafttreten der Zweiten Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 14.07.2010 am 22.07.2010 der Teil-GdB durchgängig mit 40 bewertet wird. Denn hinsichtlich der Gehörschädigung des Klägers ist vor dem 25.05.2012 von einem Teil-GdB von unter 20 auszugehen, der bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht erhöhend zu berücksichtigen ist. Nach dem vom Kläger mit Schriftsatz vom 17.05.2010 vorgelegten Tonaudiogramm vom 28.10.2009 besteht für das rechte Ohr ein Hörverlust von 82 % bei praktischer Normalhörigkeit des linken Ohres (Hörverlust 2 %), wie Dr. Wo. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.05.2010 nachvollziehbar ausgeführt hat. Damit wird nach der Tabelle D zur Ermittlung des GdB aus den Schwerhörigkeitsgraden für beide Ohren (VG Teil B 5.2.4) bei einem Hörverlust von 80 % rechts (und 0 bis 20 % links) der vorgesehene Teil-GdB von 10 vom Kläger nur knapp überschritten, weshalb nach den oben dargestellten Grundsätzen zur Bildung des Gesamt-GdB - entgegen der Ansicht des Klägers - noch nicht von einer wesentlichen (Gesamt-GdB-relevanten) Zunahme des Ausmaßes der Behinderung durch den auf dem rechten Ohr bestehenden Hörverlust bei praktischer Normalhörigkeit des linken Ohres ausgegangen werden kann.
Sonstige Gesundheitsstörungen, die eine dem Kläger günstigere Bewertung des Gesamt-GdB rechtfertigen, liegen nicht vor. Dies gilt insbesondere hinsichtlich einer Gebrauchseinschränkung beider Füße. Nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. Th. an das SG vom 11.01.2010 besteht beim Kläger eine typische Fersenspornerkrankung sowie ein Achillessehnenansatzschmerz (Achillodynie), bei normalen Bewegungsmaßen der Gelenke des oberen und unteren Sprunggelenkes und normaler Fußform. Damit liegen beim Kläger keine Funktionsbeeinträchtigung beider Füße vor, die nach den VG einen höheren Teil-GdB als 10 rechtfertigt. Dem entspricht auch die Bewertung des Dr. Th. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage, der die Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes auf orthopädischem Fachgebiet teilt und die Fußerkrankung des Klägers ebenfalls mit einem Teil-GdB von 10 bewertet. Vom Kläger geltend gemachte Beinschmerzen sind nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. F. vom 10.12.2009 Folge eines schlecht einstellbaren Blutzuckers und damit im Rahmen der Bewertung des Teil-GdB für die Diabeteserkrankung berücksichtigt. Auch sonst lässt sich den zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen nichts entnehmen, das hinsichtlich einer Gebrauchseinschränkung beider Füße des Klägers einen Teil-GdB von 20 rechtfertigt.
Entsprechendes gilt für eine im Entlassungsbericht der Kreiskliniken E. vom 06.04.2012 im Rahmen einer ambulanten Behandlung des Klägers am 06.04.2012 diagnostizierte Kreislaufdysregulation. Nach der (notärztlichen) Einlieferung des Klägers wegen einer plötzlich für ein paar Sekunden entstandenen allgemeinen Schwäche, Schwindel und Kraftlosigkeit im Verlauf der Arbeit (Nachtschicht) sind vom Kreiskrankenhaus E. dauerhafte Gesundheitsstörungen nicht festgestellt worden. Nach dem Entlassungsbericht war der Kläger vielmehr beschwerdefrei und während einer 2-stündigen Beobachtung unauffällig. Weiterhin bestehende Beschwerden oder eine Verschlimmerung sind nicht ersichtlich und werden vom Kläger auch nicht vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Eine Verpflichtung des Beklagten, außergerichtliche Kosten des Klägers erster Instanz zu erstatten, erachtet der Senat für nicht angemessen, nachdem der Beklagte im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens neuen ärztlichen Unterlagen durch sein Teilanerkenntnis unverzüglich Rechnung getragen hat. Der Grundsatz des Verbots der reformatio in peius gilt bei der Kostenentscheidung nicht (allgemeine Meinung; vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 193 RdNr. 16 mit Hinweis auf BSGE 62, 131, 136; vgl. auch BVerwGE 14, 171ff).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Der Beklagte hat dem Kläger zwei Drittel seiner außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) streitig.
Der 1965 geborene Kläger ist t. Staatsangehöriger. Er ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis des Landratsamtes E ...
Der Kläger stellte am 28.01.2009 beim Landratsamt E. - Amt für besondere Hilfen - (LRA) einen Erstantrag nach § 69 SGB IX. An Gesundheitsstörungen machte er einen Diabetes mellitus, eine Polyneuropathie, einen Fersensporn sowie eine labile Hypertonie geltend.
Das LRA zog medizinische Unterlagen bei (Bericht des Kreisklinikums E. vom 03.07.2008 über eine Röntgenreizbestrahlung der Fersen; Bericht Dr. Pa. vom 04.06.2007, Diagnose: Grenzwertige Polyneuropathie, Fersenschmerz unklarer Ätiologie; Bericht des Orthopäden T. vom 04.10.2006, Diagnose: Senkspreizfuß beidseits, Reizzustand an der Plantaraponeurose links; Bericht Dr. Le. vom 12.11.2004, Diagnose: Innenohrschwerhörigkeit rechts; Bericht Dr. Bo. vom 20.10.2004, Diagnose: nicht kardial bedingte Thoraxbeschwerden, Diabetes mellitus Typ II; Tonaudiogramm Dr. R. vom 11.12.2008). Nach Auswertung der beigezogenen Unterlagen durch den ärztlichen Dienst schlug Dr. La. in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 09.04.2009 vor, beim Kläger wegen eines Diabetes mellitus (Teil-GdB 20) und einer Gebrauchseinschränkung beider Füße (Teil-GdB 10) den Gesamt-GdB mit 20 festzustellen.
Entsprechend der gutachtlichen Stellungnahme vom 09.04.2009 stellte das LRA beim Kläger mit Bescheid vom 14.04.2009 den GdB mit 20 seit dem 28.01.2009 fest.
Gegen den Bescheid vom 14.04.2009 legte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten am 14.05.2009 Widerspruch ein, mit dem Ziel, einen GdB von wenigstens 50 festzustellen. Das LRA holte die weitere gutachtliche Stellungnahme seines ärztlichen Dienstes, Dr. Schu. , vom 28.07.2009 ein, in der unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Schwerhörigkeit rechts mit einem Teil-GdB von 10 der Gesamt-GdB weiterhin mit 20 vorgeschlagen wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.09.2009 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, die beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen seien in vollem Umfang erfasst und unter Berücksichtigung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem GdB von 20 angemessen bewertet.
Hiergegen erhob der Kläger am 30.09.2009 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Er machte zur Begründung geltend, die Diabeteserkrankung sei mit einem GdB von 30 in Ansatz zu bringen, wie die Schädigung und die erhebliche Gebrauchseinschränkung beider Füße, die zu ständigen starken Schmerzen beim Gehen und beim Stehen führten. Das LRA habe völlig unberücksichtigt gelassen, dass er auf dem rechten Ohr zu 90 % hörgeschädigt sei.
Das SG hörte die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. F. , den Orthopäden Th. sowie die HNO-Ärztin Dr. R. schriftlich als sachverständige Zeugen an. Dr. R. teilte dem SG am 09.12.2009 mit, der Kläger habe sich am 11.12.2008 einmalig in ihrer Behandlung befunden und legte das Tonaudiogramm vom 11.12.2008 vor. Dr. F. teilte in ihrer Stellungnahme vom 10.12.2009 unter Vorlage des Entlassungsberichtes des Kreisklinikums E. vom 18.11.2009 die Befunde und Diagnosen mit. Den Schweregrad für den Diabetes erachtete sie als schwer und für Beinschmerzen infolge des schlecht einstellbaren Blutzuckers mit Verdacht auf eine diabetische Polyneuropathie als mittelschwer. Es komme zu häufigen Hyperglykämien, Hypoglykämien seien keine aufgetreten. Dr. F. schätzte den Gesamt-GdB auf 40 ein. Der Orthopäde Th. teilte in seiner Stellungnahme vom 11.01.2010 die erhobenen Befunde mit. Er teilte auf seinem Fachgebiet die Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes des LRA.
Der Beklagte unterbreitete dem Kläger zunächst ein Vergleichsangebot dahin, den GdB mit 30 sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit ab dem 01.10.2009 festzustellen und legte die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. B. vom 01.04.2010 vor, der für den Diabetes mellitus einem Teil-GdB von 30 und für die Gebrauchseinschränkung beider Füße einen Teil-GdB von 10 vorschlug. Dieses Vergleichsangebot lehnte der Kläger ab (Schriftsatz vom 17.05.2010) und legte ein Tonaudiogramm vom 28.10.2009 vor. Daraufhin erhöhte der Beklagte mit Schriftsatz vom 02.06.2010 unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Schwerhörigkeit rechts (Teil-GdB 15, aufgerundet 20) sein Vergleichsangebot dahin, den GdB mit 40 ab 01.10.2009 bei einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit festzustellen. Der Beklagte legte die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Wo. vom 28.05.2010 vor. Auch dieses erweiterte Vergleichsangebot nahm der Kläger nicht an, wie ein daraufhin vom Beklagten abgegebenes Teilanerkenntnis, da er weiterhin der Auffassung war, dass ihm zumindest ein GdB von 50 zustehe.
Mit Anerkenntnisteil- und Schlussgerichtsbescheid vom 31.01.2011 verurteilte das SG den Beklagten, gemäß seinem Teilanerkenntnis beim Kläger einen GdB von 40 seit 01.10.2009 festzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Das SG führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, beim Kläger könne ein höherer GdB als 40 nicht festgestellt werden. Die Schwerhörigkeit rechts sei mit einem GdB von 15 zu bewerten, der vom Beklagten auf einen vollen Zehnergrad von 20 aufgerundet worden sei. Der Diabetes mellitus sei mit einem GdB von 30 angemessen bewertet. Soweit Dr. F. einen GdB von 40 annehme, liege dem keine objektive Befundmitteilung zu Grunde. Der Fersensporn und eine Achillodynie seien mit einem GdB von 10 zu bewerten. Nach Würdigung aller Umstände komme beim Kläger kein höherer Gesamt-GdB als 40 in Betracht.
In Ausführung des Gerichtsbescheids vom 31.01.2011 stellte das LRA mit Bescheid vom 16.02.2011 beim Kläger den GdB mit 40 seit dem 01.10.2009 fest. Weiter stellte das LRA mit diesem Bescheid auch das Vorliegen einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz seit dem 01.10.2009 fest und erteilte hierzu dem Kläger eine unbefristete Bescheinigung zur Vorlage an das Finanzamt (Schreiben vom 16.02.2011).
Gegen den Gerichtsbescheid vom 31.01.2011 hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten am 18.02.2011 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung ausgeführt, das SG habe seine Hörschädigung nicht angemessen gewürdigt. Auf dem rechten Ohr liege nach dem vorgelegten aktuellen Tonaudiogramm nahezu eine Taubheit vor, weshalb ein GdB von wenigstens 20 gerechtfertigt sei. Entsprechendes gelte für die Gebrauchseinschränkung beider Füße. Er habe massive Probleme beim Gehen und Stehen. Nicht nachvollziehbar sei, warum das SG die Einschätzung der Hausärztin ignoriere, die die Diabeteserkrankung mit einem GdB von 40 bewertet habe.
Der Kläger beantragt, den Anerkenntnisteil- und Schlussgerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 31. Januar 2011 sowie den Bescheid des Beklagten vom 14. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. September 2009 in der Fassung des Ausführungsbescheids vom 16. Februar 2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm den Grad der Behinderung mit wenigstens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend. Hinsichtlich des Diabetes mellitus betrage angesichts des maßgeblichen geschilderten Therapieaufwandes der GdB 30. Nach dem vorgelegten Tonaudiogramm bestehe ein prozentualer Hörverlust von 82 % rechts bei Normalhörigkeit links, was einem GdB von 15, zu Gunsten des Klägers aufgerundet auf 20, ergebe. Unter Berücksichtigung der Funktionsbeeinträchtigungen an beiden Füßen lasse sich ein höherer Gesamt-GdB nicht vertreten.
Der Senat hat Dr. F. schriftlich als sachverständige Zeugin angehört. Dr. F. hat in ihrer Stellungnahme vom 27.07.2011 mitgeteilt, der Kläger werde mit Metformin und Novorapid medikamentös therapiert. Die Therapie könne eine Hypoglykämie auslösen, die beim Kläger bisher noch nicht bekannt geworden sei. Der Kläger müsse eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen und sollte 2- bis 3-mal täglich messen. Er müsse 3 Insulininjektionen in vorgegebener Dosierung täglich selbst durchführen. Der Kläger sei durch die Diabeteserkrankung in der Lebensführung dadurch beeinträchtigt, dass er auf regelmäßiges Essen achten müsse, nicht mehr sämtliche Nahrungsmittel zu sich nehmen dürfe und seine gewohnte türkische Ernährung ändern müsse. Dr. F. hat die Erstdokumentation des Diabetes Typ II vom 25.02.2010 und vom 24.05.2011 sowie Verlaufsdokumentationen bis 17.12.2010 und ein Laborblatt mit Aufstellung der vom 19.10.2009 bis 02.05.2011 erhobenen Laborwerte vorgelegt.
Der Beklagte ist der Berufung unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Re. vom 04.11.2011 weiter entgegengetreten. Hinsichtlich der Diabeteserkrankung sei ein GdB von 30 weiterhin leidensgerecht.
Der Rechtsstreit ist durch den Berichterstatter in der nichtöffentlichen Sitzung am 27.04.2012 mit den Beteiligten erörtert worden. Der Kläger hat erklärt, sich derzeit in HNO-ärztlicher Behandlung zu befinden, die noch nicht abgeschlossen sei. Deswegen ist auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden. Auf die Niederschrift vom 27.04.2012 wird Bezug genommen.
Am 08.06.2012 hat der Kläger das Verfahren wieder angerufen. Er hat zusätzlich geltend gemacht, bestehende Schwindelattacken seien austherapiert. Der Kläger hat die ärztliche Bescheinigung des Dr. Be. vom 25.05.2012 und den augenärztlichen Untersuchungsbogen der Augen-Praxis-Klinik E. (ohne Datum) mit der Diagnose einer milden oder mäßigen diabetischen Retinopathie beider Augen vorgelegt.
Der Senat hat den HNO-Arzt Dr. Be. schriftlich als sachverständigen Zeugen angehört. Dr. Be. hat in seiner Stellungnahme vom 13.06.2012 den Behandlungsverlauf und die Diagnosen (Taubheit rechts, Innenohrschwerhörigkeit, Schwindel und Diabetes mellitus) unter Vorlage eines Tonaudiogramms vom 25.05.2012 und weiterer ärztlicher Befundberichte (insbesondere Entlassungsbericht der Kreiskliniken E. vom 06.04.2012, Diagnosen: Kreislaufdysregulation, kein Hinweis auf kardiale Genese) mitgeteilt. Wegen der Hörstörung schätzte Dr. Be. den GdB mit 20 ein.
Der Beklagte ist der Berufung unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Wo. vom 27.08.2012 weiter entgegen getreten. Es bestünden Bedenken, nach gegenwärtiger Lage der Akten den Diabetes mellitus mit einem höheren Teil-GdB als 30 zu bewerten. Das jetzt vorgelegte Tonaudiogramm vom 25.05.2012 ergebe einen prozentualen Hörverlust von 93 % rechts und 15 % links mit einem Teil-GdB von weiterhin 15 (aufzurunden auf 20). Die im Entlassungsbericht der Kreiskliniken E. vom 06.04.2012 beschriebene Kreislaufdysregulation begründe keine GdB-relevante Funktionseinschränkung für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten Dauer.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte und nach § 151 SGG auch insgesamt zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung des GdB mit 50 seit dem 25.05.2012. Insoweit war die angefochtene Entscheidung des SG abzuändern. Im Übrigen ist die Berufung jedoch nicht begründet.
Nicht (mehr zulässiger) Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist, ob beim Kläger eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz vorliegt, nachdem die Beklagte mit Ausführungsbescheid vom 16.12.2011 eine dahingehende Feststellung getroffen und dem Kläger hierüber eine unbefristete Bescheinigung für das Finanzamt erteilt hat. Dem entspricht auch der Berufungsantrag des Klägers.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1).
Seit 01.01.2009 ist an die Stelle im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (ständige Rechtsprechung des Senats).
Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).
Nach diesen Kriterien hat der Kläger Anspruch auf Feststellung des GdB mit 50 ab dem 25.05.2012 (tonaudiometrische Untersuchung durch Dr. Be. an diesem Tag).
Der Kläger ist der deutschen Sprache nicht mächtig, weshalb zur Bestimmung des Teil-GdB für die Hörstörung des Klägers ausnahmsweise kein Sprachaudiogramm, sondern ein Tonaudiogramm heranzuziehen ist. Nach dem von Dr. Be. bei seiner schriftlichen Anhörung als sachverständiger Zeuge seiner Stellungnahme vom 13.06.2012 beigefügten Tonaudiogramm vom 25.05.2012 besteht nach der nachvollziehbaren versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Wo. vom 27.08.2012 beim Kläger ein prozentualer Hörverlust für das rechte Ohr von 93 % und das linke Ohr von 15 %. Damit wird nach der Tabelle D zur Ermittlung des GdB aus den Schwerhörigkeitsgraden für beide Ohren (VG Teil B 5.2.4) der bei einem Hörverlust von 95 % rechts und 20 (bis 40) % links vorgesehene Teil-GdB von 30 vom Kläger nur knapp nicht erreicht. Vielmehr liegt die Hörstörung des Klägers näher an der mit einem GdB 20 bewerteten Hörstörung bei Taubheit (Hörverlust 100 %) auf dem einen Ohr und Normalhörigkeit (Hörverlust 0-20 %) auf dem anderen Ohr. Der Senat berücksichtigt hierbei, dass die sich aus der Tabelle D ergebenden Abstufungen teilweise GdB-Werte mit nichtlinearen Abständen ausweisen, was eine wertende Betrachtung gerade der im Grenzbereich des Bewertungsrahmens liegenden Hörstörung erfordert. Entgegen der Ansicht des Beklagten, der lediglich von einem auf 20 aufzurundenden Teil-GdB von 15 ausgeht (zuletzt versorgungsärztliche Stellungnahme Dr. Wo. vom 24.08.2012), erachtet der Senat deswegen einen Teil-GdB von 20 für das Gehörleiden des Klägers seit dem 25.05.2012 für durchaus angemessen. Dem entspricht auch die Bewertung des Dr. Be. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 13.06.2012, der wegen der Hörstörung des Klägers ebenfalls den Teil-GdB mit 20 eingeschätzt hat.
Weiter ist beim Kläger bei der Bildung des Gesamt-GdB (jedenfalls seit dem 25.05.2012) eine Diabeteserkrankung zu berücksichtigen, für die zur Überzeugung des Senats ein Teil-GdB von 40 angemessen ist.
Für die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) sind die GdB-Bewertungsgrundsätze durch die Zweite Verordnung zur Änderung der VersMedV (BGBl. 2010,928) mit Wirkung vom 22.07.2010 geändert worden. Danach gilt nach den VG Teil B 15.1 für die GdB-Bewertung eines Diabetes mellitus: Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdB rechtfertigt. Der GdB beträgt 0. Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB beträgt 20. Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB beträgt 30 bis 40. Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdB beträgt 50. Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdB-Werte bedingen.
Unter Zugrundelegung dieser Bewertungsgrundsätze ist die durch den Diabetes mellitus bedingte Teilhabebeeinträchtigung des Klägers (jedenfalls seit dem 25.05.2012) zur Überzeugung des Senats mit einem Teil-GdB von 40 zu bewerten. Der seit 1992 bestehende Diabetes mellitus Typ 2 wurde nach dem Entlassungsbericht der Kreiskliniken E. vom 18.11.2009 bis Oktober 2009 mit oralen Antidiabetika therapiert, wobei unbefriedigende Blutzucker-Werte (HbA1c-Wert 10,7 %) bestanden und die Einstellung des Blutzuckers wegen Schichtarbeit des Klägers (Nachtschicht) schwierig war. Im Rahmen der vom 26.10.2009 bis 04.11.2009 durchgeführten stationären Behandlung wurde beim Kläger nach dem Entlassungsbericht mit einer Insulinbehandlung (neben dem Medikament Metformin) begonnen, die nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. F. andauert. Diese Therapie kann nach den weiteren Angaben von Dr. F. eine Hypoglykämie auslösen. Dass beim Kläger eine Hypoglykämie eingetreten ist, ist Dr. F. allerdings nicht bekannt. Weiter muss der Kläger nicht nur einmal, sondern 2 bis 3-mal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers sowie 3-mal täglich Insulininjektionen in festen Einheiten selbst durchführen. Weiter ist nach den von Dr. F. vorgelegten Dokumentation/Verlaufsdokumentationen (betreffend den Zeitraum vom 25.02.2010 bis 24.05.2011) die Güte der Stoffwechseleinstellung nach dem HbA1c-Wert, der zwischen 7,7 % und 8,4 % schwankt, beeinträchtigt. Für eine unzureichende Stoffwechseleinstellung spricht zudem der vom Kläger mit Schriftsatz vom 06.06.2012 vorgelegte Augenfachärztliche Untersuchungsbogen der Augen-Praxis-Klinik E. (ohne Datum), wonach es beim Kläger zu einer milderen/mäßigen diabetischen Retinopathie beider Augen gekommen ist, sowie die Angaben von Dr. F. vom 10.12.2009 in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG, dass es beim Kläger zu häufigen Hyperglykämien komme. Weiter besteht nach den Angaben von Dr. F. vom 27.07.2011 beim Kläger eine Beeinträchtigung in der Lebensführung dadurch, dass er insbesondere auf regelmäßiges Essen achten muss, und zudem er nicht mehr sämtliche Nahrungsmittel zu sich nehmen kann, was sich, spürbar auswirkt, wie der Senat dem Entlassungsbericht der Kreiskliniken E. vom 18.11.2009 entnimmt.
Danach ist beim Kläger hinsichtlich seiner Diabeteserkrankung nach den oben dargestellten rechtlichen Bewertungsmaßstäben von einer stärkeren Teilhabebeeinträchtigung mit einem Teil-GdB-Rahmen von 30 bis 40 auszugehen. Dem entspricht auch der Bewertungsansatz des Beklagten seit dem Beginn der Insulin-Therapie ab Oktober 2009 (versorgungsärztliche Stellungnahmen Dr. B. vom 24.03.2010 und Dr. Wo. vom 27.05.2010). Anders als der Beklagte erachtet der Senat jedoch eine Ausschöpfung des Teil-GdB-Rahmens nach oben (GdB 40) vorliegend für angemessen. Die durch die Diabeteserkrankung bedingte Teilhabebeeinträchtigung des Klägers tendiert mehr zu einer ausgeprägten Teilhabebeeinträchtigung (Teil-GdB 50) als zu einer signifikanten Teilhabebeeinträchtigung (Teil-GdB 20), weshalb durch das Belassen des Teil-GdB im unteren Bewertungsrahmen (Teil-GdB 30) der Teilhabebeeinträchtigung des Klägers nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Hiervon geht auch Dr. F. in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 10.12.2009 an das SG aus, die wegen der Diabeteserkrankung den Teil-GdB ebenfalls auf 40 einschätzt. Den in der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Wo. vom 27.08.2012 geäußerten Bedenken gegen diese GdB-Bewertung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Dr. Wo. zeigt keine rechtliche und/oder medizinische Gesichtspunkte auf, die die geäußerten Bedenken plausibel machen. Insbesondere ist bei einer stärkeren Teilhabebeeinträchtigung, wie sie beim Kläger vorliegt, eine durch Blutzuckertagebuch nachgewiesene Dokumentation der Blutzuckerselbstmessungen nach den rechtlichen Bewertungsvorgaben der VG nicht zwingend vorgeschrieben. Die vom Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung insbesondere zur Notwendigkeit von einer (dokumentierten) Blutzuckerüberprüfung gemachten Ausführungen werden weder durch Dr. F. noch in der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Wo. vom 27.08.2012 bestätigt. Dr. F. hat vielmehr die Notwendigkeit von mehrfachen täglichen (dokumentierten) Blutzuckerüberprüfungen in der sachverständigen schriftlichen Zeugenaussage vom 27.07.2011 in Beantwortung der Beweisfragen bestätigt. Ein Bedürfnis solcher Überprüfungen legt auch die dargestellte unzureichende Stoffwechseleinstellung nahe. Dass der Kläger solche Überprüfungen nicht durchführt, hat Dr. F. nicht angegeben. Doch selbst wenn der Kläger insoweit keinen weiteren Therapieaufwand, obgleich er medizinisch notwendig wäre, betreibt, ist vor dem Hintergrund der oben dargelegten funktionellen Einschränkungen, insbesondere die durchgehend unzureichende Blutzuckereinstellung trotz 3mal täglicher Injektion mit beginnenden Augenhintergrundveränderungen, der GdB 40 gleichwohl gerechtfertigt. Der Senat sieht sich deshalb nicht gedrängt, hierzu weitere Ermittlungen anzustellen.
Nach den oben dargestellten Grundsätzen zur Bildung des Gesamt-GdB ist beim Kläger seit dem 25.05.2012 ausgehend von einem Teil-GdB von 40 für die Diabeteserkrankung und einem Teil-GdB von 20 für die Gehörschädigung der Gesamt-GdB mit 50 zu bilden.
Demgegenüber besteht beim Kläger in der Zeit vor dem 25.05.2012 ein Anspruch auf Feststellung des GdB mit 50 nicht zu. Dies selbst dann, wenn zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass für die Diabeteserkrankung auch vor dem Inkrafttreten der Zweiten Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 14.07.2010 am 22.07.2010 der Teil-GdB durchgängig mit 40 bewertet wird. Denn hinsichtlich der Gehörschädigung des Klägers ist vor dem 25.05.2012 von einem Teil-GdB von unter 20 auszugehen, der bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht erhöhend zu berücksichtigen ist. Nach dem vom Kläger mit Schriftsatz vom 17.05.2010 vorgelegten Tonaudiogramm vom 28.10.2009 besteht für das rechte Ohr ein Hörverlust von 82 % bei praktischer Normalhörigkeit des linken Ohres (Hörverlust 2 %), wie Dr. Wo. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.05.2010 nachvollziehbar ausgeführt hat. Damit wird nach der Tabelle D zur Ermittlung des GdB aus den Schwerhörigkeitsgraden für beide Ohren (VG Teil B 5.2.4) bei einem Hörverlust von 80 % rechts (und 0 bis 20 % links) der vorgesehene Teil-GdB von 10 vom Kläger nur knapp überschritten, weshalb nach den oben dargestellten Grundsätzen zur Bildung des Gesamt-GdB - entgegen der Ansicht des Klägers - noch nicht von einer wesentlichen (Gesamt-GdB-relevanten) Zunahme des Ausmaßes der Behinderung durch den auf dem rechten Ohr bestehenden Hörverlust bei praktischer Normalhörigkeit des linken Ohres ausgegangen werden kann.
Sonstige Gesundheitsstörungen, die eine dem Kläger günstigere Bewertung des Gesamt-GdB rechtfertigen, liegen nicht vor. Dies gilt insbesondere hinsichtlich einer Gebrauchseinschränkung beider Füße. Nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. Th. an das SG vom 11.01.2010 besteht beim Kläger eine typische Fersenspornerkrankung sowie ein Achillessehnenansatzschmerz (Achillodynie), bei normalen Bewegungsmaßen der Gelenke des oberen und unteren Sprunggelenkes und normaler Fußform. Damit liegen beim Kläger keine Funktionsbeeinträchtigung beider Füße vor, die nach den VG einen höheren Teil-GdB als 10 rechtfertigt. Dem entspricht auch die Bewertung des Dr. Th. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage, der die Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes auf orthopädischem Fachgebiet teilt und die Fußerkrankung des Klägers ebenfalls mit einem Teil-GdB von 10 bewertet. Vom Kläger geltend gemachte Beinschmerzen sind nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. F. vom 10.12.2009 Folge eines schlecht einstellbaren Blutzuckers und damit im Rahmen der Bewertung des Teil-GdB für die Diabeteserkrankung berücksichtigt. Auch sonst lässt sich den zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen nichts entnehmen, das hinsichtlich einer Gebrauchseinschränkung beider Füße des Klägers einen Teil-GdB von 20 rechtfertigt.
Entsprechendes gilt für eine im Entlassungsbericht der Kreiskliniken E. vom 06.04.2012 im Rahmen einer ambulanten Behandlung des Klägers am 06.04.2012 diagnostizierte Kreislaufdysregulation. Nach der (notärztlichen) Einlieferung des Klägers wegen einer plötzlich für ein paar Sekunden entstandenen allgemeinen Schwäche, Schwindel und Kraftlosigkeit im Verlauf der Arbeit (Nachtschicht) sind vom Kreiskrankenhaus E. dauerhafte Gesundheitsstörungen nicht festgestellt worden. Nach dem Entlassungsbericht war der Kläger vielmehr beschwerdefrei und während einer 2-stündigen Beobachtung unauffällig. Weiterhin bestehende Beschwerden oder eine Verschlimmerung sind nicht ersichtlich und werden vom Kläger auch nicht vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Eine Verpflichtung des Beklagten, außergerichtliche Kosten des Klägers erster Instanz zu erstatten, erachtet der Senat für nicht angemessen, nachdem der Beklagte im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens neuen ärztlichen Unterlagen durch sein Teilanerkenntnis unverzüglich Rechnung getragen hat. Der Grundsatz des Verbots der reformatio in peius gilt bei der Kostenentscheidung nicht (allgemeine Meinung; vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 193 RdNr. 16 mit Hinweis auf BSGE 62, 131, 136; vgl. auch BVerwGE 14, 171ff).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved