L 18 U 137/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 U 5050/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 137/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 381/12 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen der Anerkennung eines Bandscheibenschadens bei einem Sturz aus 4 Metern Höhe als Unfallfolgen.
I. Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.11.2009 wird aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid vom 15.08.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2006 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles vom 30.04.2005.

In einer Unfallanzeige vom 23.06.2005 gab der 1970 geborene Kläger an, am 30.04.2005 hätten im Rahmen einer Windbruchaufarbeitung Bäume angehängt werden müssen. Er habe eine Leiter an einen Baum gestellt, um einen anderen anzuhängen. Beim Besteigen sei die Leiter weggekippt und er sei ca. vier Meter herabgefallen. Darauf habe er einen stechenden Schmerz im Rücken verspürt.

Die Uniklinik W. interpretierte am 26.07.2005 eine Computertomographie der Lendenwirbelsäule vom 30.05.2005 dahingehend, dass ein Bandscheibenvorfall L4/5 links mediolateral nach kaudal sequestiert bestehe. Der Kläger habe angegeben, seit Jahren bestünden Lumbagobeschwerden.

Mit Bescheid vom 15.08.2005 verneinte die Beklagte das Vorliegen eines Arbeitsunfalles. Die jetzt geklagten Beschwerden seien nicht auf das Ereignis vom 30.04.2005 zurückzuführen, sondern auf unfallunabhängige Erkrankungen. Das Ereignis vom 30.04.2005 sei eine Gelegenheitsursache. Zuvor hatte Dr. P., Chirurg, für die Beklagte festgestellt, ein traumatischer Bandscheibenvorfall sei ein Ereignis, welches sofort zum Arzt führe. Die Unfallanzeige sei erst Monate nach dem Ereignis erfolgt.

Der behandelnde Sportarzt Dr. F. gab im Befund vom 01.12.2005 an, vor dem Unfall hätten beim Kläger keinerlei Auffälligkeiten im Bereich des Rückens, insbesondere keine länger andauernden Beschwerden oder neurologischen Auffälligkeiten bestanden. Der Bandscheibenvorfall sei am 01.06.2005 operiert worden.

Der Unfallchirurg Prof. Dr. K. erstattete unter dem 17.05.2006 ein Gutachten für die Beklagte. Hierbei gab der Kläger zum Unfall an, er habe an einem Baum ein Seil befestigen wollen, sei dabei von der Leiter weggerutscht und aus vier Metern heruntergefallen. Die Verwaltung forderte den Operationsbericht des Universitätsklinikums W. vom 01.06.2005 und ein neurologisches Gutachten des Reha-Krankenhauses U. vom 18.05.2006 an. Gegenüber der Oberärztin Dr. S. gab der Kläger an, er habe vor ca. 20 Jahren vorübergehend unter Rückenschmerzen gelitten. Einzelheiten seien nicht mehr erinnerlich. Diese seien jedoch zu keinem Zeitpunkt massiv gewesen, auch sei er deswegen nie krankgeschrieben gewesen. Nach einem Arbeitsunfall im Jahr 1993 sei er an der rechten Schulter verletzt worden. Dr. S. sah im Vergleich zum Entlassungsbericht der Universitätsklinik W. vom 08.06.2005 eine deutliche Besserung der Beschwerden. Ein kausaler Zusammenhang zu dem Unfallereignis vom 30.04.2005 erscheine aufgrund des zeitlichen Zusammenhanges der angegebenen Beschwerden prinzipiell möglich. Die abschließende Beurteilung solle unter Berücksichtigung der Bildgebungsbefunde durch Prof. Dr. K. erfolgen. Vom 22.06.2005 bis 20.07.2005 hielt sich der Kläger in der F.-Klinik zu einer Reha-Behandlung auf. Prof. Dr. K. nahm am 14.08.2006 abschließend Stellung. Im Ergebnis bejahte er einen Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Bandscheibenschaden.

Dr. P. stellte für die Beklagte unter dem 06.09.2006 heraus, dass das chirurgische Gutachten die eigentliche Zusammenhangsfrage offen gelassen habe. Aus einer prinzipiellen Möglichkeit eines Zusammenhanges könne kein ursächlicher Zusammenhang gemacht werden. Selbst bei Anerkenntnis wäre ab 01.01.2006 allenfalls eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 v.H. anzusetzen.

Im ablehnenden Widerspruchsbescheid vom 21.09.2006 führte die Beklagte u.a. aus:
Es fehle hier an einem versicherungsrechtlich wesentlichen Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Körperschaden. Dieser Zusammenhang sei nämlich nur dann gegeben, wenn der Unfall eine wesentliche Bedingung für den Eintritt des Körperschadens gewesen sei. Dies sei hier nicht der Fall, da das Ereignis vom 30.04.2005 nicht geeignet gewesen sei, als wesentlich mitwirkende Ursache den festgestellten Bandscheibenvorfall L4/5 hervorzurufen. Gegen einen ursächlichen Zusammenhang spreche vor allem, dass beim Kläger bereits seit Jahren Lumbagobeschwerden bestünden und erst ca. 4 Wochen nach dem Ereignis vom 30.04.2005 erstmals ärztliche Hilfe in Anspruch genommen worden sei. Auch vom behandelnden Hausarzt sei erstmals am 20.06.2005 ein Unfallereignis erwähnt worden. Bandscheibenvorfälle als Unfallfolge würden stets mit begleitenden zumindest minimalen knöchernen oder Bandverletzungen erscheinen. Solche Begleitverletzungen hätten jedoch nicht festgestellt werden können.

Am 23.10.2006 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben.

Das SG hat Dr. S. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dort hat der Kläger unter dem 27.06.2007 angegeben, im Wald sei die Leiter weggerutscht, dabei sei er aus einer Höhe von vier Metern heruntergefallen. Er sei mit den Füßen aufgekommen, mehr im Fersenbereich, und sei dann nach hinten gefallen. Es habe einen warmen Stich im Rücken gegeben und er habe die Arbeiten beendet. Vier Wochen später sei er dann zum Arzt gegangen. In der Zwischenzeit habe er weitergearbeitet als Elektroinstallateur auf Montage. In den letzten Jahren habe er keine Wirbelsäulenbeschwerden gehabt. Anfang der 20er (Lebensjahre) habe er schon mal wegen Rückbeschwerden Ärzte aufgesucht. Dr. S. ist in seinem Gutachten vom 27.06.2007 zu dem Ergebnis gekommen, für einen Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Bandscheibenschaden als Unfallfolge sprächen keine Argumente. Der derzeitige Befund beschränke sich auf eine endgradige schmerzhafte Bewegungsstörung in der unteren Wirbelsäule mit Gefühlsabschwächung am linken Oberschenkel. Ohne Berücksichtigung der Ursache der Erkrankung betrage die MdE für den Wirbelsäulenschaden 10 v.H.

Nach einer Untersuchung des Klägers haben Dres. K. und S. unter dem 14.01.2008 ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattet. Gegenüber den ärztlichen Sachverständigen hat der Kläger angegeben, er habe am 30.04.2005 ein Seil an einen Baum befestigen wollen und sei aus vier Meter Höhe von der Leiter gestürzt. Er habe sofort einen stechenden Schmerz im unteren Rückenbereich verspürt und sei zwei Stunden regungslos liegen geblieben. Nach zwei Stunden habe ihn sein Vater nach Hause gebracht. Aufgrund progredienter Schmerzen sei dann am 28.05.2005 die Vorstellung im Krankenhaus A-Stadt erfolgt. Die Gutachter führen aus, eindeutig sei die Beurteilung bei einer schweren Gewalteinwirkung von außen, die mit Stauchungen und Verbiegungen der Wirbelsäule einhergehe. Bei einem Sturz aus vier Meter Höhe sei nicht nur von einem isolierten Kompressionsmechanismus, sondern von einem Gewalttrauma mit multidirektionaler Krafteinwirkung (auch Verdrehtrauma) auszugehen. Der Sturz habe auch zu einem sofortigen heftigen Schmerzsyndrom geführt.

Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. B. schloss sich der Beurteilung des ärztlichen Sachverständigen Dr. S. an. Insbesondere erscheine es ihm nicht plausibel, wie der Versicherte die körperlich anspruchsvolle Tätigkeit eines Elektroinstallateurs auf Montage nach stattgehabtem traumatischen Bandscheibenvorfall noch mehrere Wochen habe fortsetzen können.

Die Klägerseite hat einen Bericht des Krankenhauses A-Stadt vom 27.06.1988 mit der Diagnose eines Morbus Scheuermann übersandt.

Auf Anordnung des Gerichtes hat der Orthopäde Prof. Dr. L. ein weiteres Gutachten nach § 106 SGG erstattet. Der Kläger schilderte den Unfall dem ärztlichen Sachverständigen gegenüber ähnlich wie gegenüber Dr. S ... Ergänzend gab er an, er habe 14 Tage lang in seiner Firma leichte Arbeiten verrichtet. Prof. Dr. L. ging davon aus, dass es bei dem Ereignis vom 30.04.2005 zu einer Prellung der Lendenwirbelsäule gekommen sei. Die Umstände sprächen gegen einen ursächlichen Zusammenhang des Ereignisses mit dem Bandscheibenschaden.

Das SG hat sodann Dr. B. mit einer "abschließenden Beurteilung" beauftragt (Gutachten nach § 106 SGG vom 26.09.2008). Gegenüber der ärztlichen Sachverständigen hat der Kläger angegeben, er habe niemals Beschwerden an der Wirbelsäule gehabt. Er sei diesbezüglich auch niemals arbeitsunfähig gewesen und habe keinerlei Arztbesuche gehabt. Die Beschwerden an der Wirbelsäule hätten erst nach dem Sturzereignis vom 30.04.2005 angefangen. Ergänzend hat der Kläger angegeben, der Unfalltag sei ein Samstag gewesen, er sei liegen geblieben und habe den Rücken mit Wärme und auch Kälte behandelt. Am Montag habe er trotz Beschwerden wieder seine Tätigkeit als Elektroinstallateur aufgenommen. Man habe versucht, ihm leichte Arbeiten zukommen zu lassen. Er habe sich immer wieder zwischenzeitlich mit Wärme behandelt und ausgeruht. Er habe auch Voltarentabletten genommen. Letztendlich habe er drei bis vier Wochen nach dem Unfallereignis feststellen müssen, dass es so nicht weitergehen könne. Nach der Bandscheibenoperation habe sich eine wesentliche Befundbesserung eingestellt. Die ärztliche Sachverständige geht davon aus, dass es durch den Vorfall vom 30.04.2005 zu einer Verletzung beider Füße und des Rückens gekommen sei. Zusammenfassend könne bei dem vorliegenden Unfallereignis eher erwartet werden, dass eine knöcherne Verletzung eintrete, als dass ein Faserring isoliert um eine Bandscheibe zerreiße. Mit großer Wahrscheinlichkeit sei eine Bandscheibenvorwölbung im Segment L4/5 bereits vorbestehend gewesen, wobei nicht gesagt werden könne, in welchem Ausmaß. Eine knöcherne Begleitverletzung sei sicher mittels CT ausgeschlossen worden.

Der Kläger hat noch ein freies privatärztliches Gutachten des behandelnden Arztes Dr. F. vom 01.11.2009 vorgelegt. Dr. F. hat erhebliche Zweifel am Bestehen eines Vorschadens geäußert. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit habe das Ereignis vom 30.04.2005 einen traumatischen Bandscheibenvorfall hervorgerufen.

In der mündlichen Verhandlung vom 25.11.2009 vor dem SG hat der Vertreter der Beklagten das Vorliegen eines landwirtschaftlichen Arbeitsunfalles vom 30.04.2005 anerkannt.

Mit Urteil vom 25.11.2009 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Bescheids verurteilt, als Unfallfolge einen traumatischen Bandscheibenvorfall linksseitig L4/5 anzuerkennen und Verletztenrente vom 30.04.2005 bis 31.12.2005 nach einer MdE von 100 v.H., bis 12.04.2006 nach einer MdE von 20 v.H. und danach nach einer MdE von 10 v.H. "anzuerkennen". Der beim Kläger festgestellte Bandscheibenschaden sei zumindest maßgeblich auf das Unfallereignis vom 30.04.2005 zurückzuführen. Insoweit reicht die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhanges aus. Das heißt, es müsse mehr für als gegen diese Einschätzung sprechen. Zunächst sei festzuhalten, dass der Vertreter der Beklagten im Termin am 25.11.2009 zumindest dem Gegenstand nach das Vorliegen eines landwirtschaftlichen Arbeitsunfalles vom 30.04.2005 anerkannt habe. Es sei festzuhalten, dass beim Kläger vor dem Unfallereignis, dem 30.04.2005, eine einschlägige Vorbelastung im Bereich der Wirbelsäule vorgelegen habe. So habe die ärztliche Sachverständige Dr. B. zu Recht aus den Unfallakten der Bau-BG einschlägige Befunde aufgedeckt. Der Kläger leide seit mehreren Monaten unter ständig vorhanden Kreuzschmerzen. Diagnose: Morbus Bechterev (24.09.1992 Dr. G.). Im Anschluss an das Gutachten des Dr. S. vom 19.11.2007 gehe nun die Kammer davon aus, dass der Leiterunfall vom 30.04.2005 geeignet gewesen sei, eine Bandscheibenschädigung hervorzurufen und dass für diesen Zusammenhang eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegeben sei. Dr. S. berufe sich insoweit auf die neueste medizinische Literatur unter Ablehnung der bisherigen medizinischen Lehrmeinung. Auch wenn insoweit eine Abwägung nicht vorgenommen und lediglich der zeitliche Zusammenhang herausgestellt worden sei. Demgegenüber würden die ärztlichen Sachverständigen Dr. S., Prof. Dr. L. und Dr. B. für die Bejahung eines Ursachenzusammenhanges eine knöcherne Verletzung der Wirbelsäule fordern. Diese sei jedoch, wie Dr. B. überzeugend angibt, nach der CT-Aufnahme im Krankenhaus W. ausgeschlossen. Der Kläger habe auch nicht unmittelbar nach der Verletzung ärztliche Hilfe in Anspruch genommen, er sei vielmehr einige Wochen seiner Berufstätigkeit als Betriebselektriker nachgegangen. Auch könne ein Drehmechanismus, wie von der herkömmlichen medizinischen Meinung über die Auslösung eines Bandscheibenvorfalles durch ein Trauma verlangt werde, nicht aufgezeigt werden. Diese klassische Lehrmeinung zum Zusammenhang eines Bandscheibenschadens mit einem Trauma ist überdies auch in der Kriegsopferversorgung seit Jahrzehnten unbestritten. Gleichwohl sei die Kammer der Ansicht, dass wegen des zeitlichen Zusammenhanges zwischen dem Unfall und dem Auftreten der Bandscheibenschädigung nach neuester Lehrmeinung im Anschluss an die Einstufung des Dr. S. von einem maßgeblichen Zusammenhang auszugehen sei. Im Anschluss an das Privatgutachten des behandelnden Hausarztes sei ab dem Unfalltag Rente zu gewähren.

Hiergegen hat die Beklagte Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Der Senat hat ein Gutachten des Orthopäden Dr. E. eingeholt. Dieser führt in seinem Gutachten vom 01.11.2010 aus, beim Kläger lägen keine anhaltenden, durch den Arbeitsunfall vom 30.04.2005 allein oder wesentlich mitverursachten Gesundheitsstörungen vor, auch nicht im Sinne einer vorübergehenden oder dauernden Verschlimmerung. Zwar läge ein ausreichend schwerer Unfall vor, der zur Zerreißung einer Bandscheibenhülle führen könne. Beim Kläger sei der Bandscheibenschaden aber in einem Element gefunden worden, das typischerweise bei degenerativen Bandscheibenleiden betroffen sei. Es bestünden nach der Aktenlage deutliche Zweifel, dass eine sofortige, heftige Schmerzsymptomatik eingesetzt habe. Ein relevanter Vorschaden habe nicht belegt, ein Morbus Bechterew habe nicht bestätigt werden können. Begleitende Knochen- und Bandläsionen seien nicht gefunden worden. Auch intraoperativ hätten keine Hinweise auf entsprechende Begleitverletzungen bestanden.

Am 15.02.2012 ist der Vater des Klägers als Zeuge einvernommen worden.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.11.2009 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 15.08.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2006 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.11.2009 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch ansonsten zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Berufung ist auch begründet, da das SG die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil vom 25.11.2009 zu Unrecht verurteilt hat, den Bandscheibenvorfall L4/L5 als Unfallfolge anzuerkennen. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Gewährung einer Rente noch auf weitere Leistungen aus dem von der Beklagten am 25.11.2009 als Arbeitsunfall anerkannten Unfall vom 30.04.2005. Der Unfall hat beim Kläger keine bleibenden Folgen hinterlassen.
Die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles und gegebenenfalls die Entschädigung durch Zahlung einer Verletztenrente setzt voraus, dass die Gesundheitsstörung Folge eines Versicherungsfalles, d.h. eines Arbeitsunfalles, ist. Der Arbeitsunfall muss also wesentlich an der Entstehung der Gesundheitsstörung mitgewirkt haben. Davon ist auszugehen, wenn er neben anderen Bedingungen bei wertender Betrachtung diejenige ist, die wegen ihrer besonderen qualitativen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen hat (Theorie der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urteil vom 28.06.1988, BSGE 63, 277). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. neben dem Arbeitsunfall auch die Gesundheitsstörung, mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (Vollbeweis). Ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch darf keinen Zweifel mehr haben (BSG, Urteil vom 27.03.1958, BSGE 7, 103, 106). Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Gesundheitsschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie Folgeschäden (haftungsausfüllende Kausalität) ist demgegenüber hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend.

Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen, muss absolut mehr für als gegen die jeweilige Tatsache spreche (BSG, Urteil vom 08.08.2001, B 9 U 23/01 R juris Rn 4). Es muss sich also unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, das ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG, Urteil vom 08.08.2001, B 9 U 23/01 R juris Rn 4 mwN). Was die hinreichende Wahrscheinlichkeit betrifft, sind die diesbezüglichen Anforderungen grundsätzlich höher als diejenigen an die Glaubhaftmachung (BSG, Urteil vom 08.08.2001, B 9 U 23/01 R juris Rn 4). In Abgrenzung zu der hier maßgeblichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit wird unter überwiegender Wahrscheinlichkeit die gute Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, verstanden, wobei gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Das Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit ist durch seine Relativität gekennzeichnet. In diesem Sinne wird auch für die Glaubhaftmachung im Sinne eines Beweismaßes - nach soweit ersichtlich allgemeiner Auffassung - überwiegende Wahrscheinlichkeit gefordert (BSG, Urteil vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B juris Rn 5; zum BVG BSG, Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R juris Rn 116, BSGE 45, 1, 9 f ; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. A 2012 § 86 b Rn 16b; zur VwGO Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, Rn 316 m.w.N.; Burkholz, Der Untersuchungsgrundsatz im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren, Seite 67 ff; Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand 5/10, § 123 Rn 94; Eyermann/Happ, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 123 Rn 51; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 123 Rn 23. Zum Zivilrecht BGH vom 11.09.2003, IX ZB 37/03 juris Rn 8 = BGHZ 156, 139; vom 15.06.1994, IV ZB 6/94 = NJW 1994, 2898). Der sogenannte Vollbeweis ist auf der anderen Seite erst erfüllt, wenn eine Tatsache in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung, die bei an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben ist, zu begründen (vgl. BSG, Urteil vom 29.03.1963, 2 RU 75/61 = BSGE 19, 52; BSG, Urteil vom 22.09.1977, 10 RV 15/77 = BSGE 45, 1; vom 01.08.1978, 7 RAr 37/77; vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R = Breithaupt 2000, 390 f.; BSG, Urteil vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B = Breithaupt 2001, 967 und Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 128 Rn 3b mwN) zu begründen.
Ein im dargestellten Sinne mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegender Zusammenhang zwischen dem Ereignis vom 30.04.2005 und dem beim Kläger am 30.05.2005 diagnostizierten Bandscheibenvorfall ist nicht gegeben.

Ein traumatischer Bandscheibenvorfall L4/L5 ist nicht als weitere Unfallfolge anzuerkennen. Vielmehr hat sich der Senat aufgrund der Gutachten der Dr. S., Prof. Dr. L. und Prof. Dr. B./Dr. B. sowie des vom Senat beauftragten Dr. E. davon überzeugt, dass das Ereignis eine Gelegenheitsursache und damit nicht eine rechtlich wesentliche Ursache für den nachgewiesenen Bandscheibenvorfall darstellt.

Eine sogenannte Gelegenheitsursache liegt vor, wenn unfallunabhängige Faktoren bei vernünftiger, lebensnaher Betrachtung die tatsächlich und auch rechtlich allein wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens darstellen. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache bzw. das Ereignis als solches, also Art und Ausmaß der Einwirkung, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihrer Krankengeschichte (BSG, Urteil vom 30.01.2007, B 2 U 8/06 R).

Der Unfall vom 30.04.2005 war in diesem Sinne allenfalls Gelegenheitsursache für den vier Wochen später diagnostizierten Bandscheibenschaden. Diese Überzeugung gewinnt der Senat aus den Ausführungen der vom SG gehörten gerichtlichen Sachverständigen Dr. S., Prof. Dr. L. und Prof. Dr. B./Dr. B. sowie des vom Senat beauftragten Dr. E ... Die Sachverständigen haben im Wesentlichen übereinstimmend den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zur Genese eines traumatischen Bandscheibenvorfalls wie folgt beschrieben: Es muss ein Unfallereignis stattgefunden haben, das schwer genug war, um Rissbildungen der Bandscheibe zu verursachen und einen Ablauf aufweist, dessen Mechanik die Entstehung der Rissbildungen erklärt. Im Anschluss an den Unfall muss eine schmerzhafte Funktionsstörung an der Wirbelsäule vorhanden sein, während für die Zeit vor dem Unfall Beschwerdefreiheit gegeben sein musste. Zudem sollten klinische Symptome auftreten, die für einen hinteren Bandscheibenvorfall sprechen. Da die Belastungsgrenzen der Lendenwirbelkörper kleiner ist als die Belastungsgrenze der Lendenbandscheiben, kommt es bei axialen Belastungen zuerst zu einer Verletzung der knöchernen Strukturen, bevor es zu einer Verletzung der Bandscheiben kommt, wie Prof. Dr. L. ausführt. Anderes kann nur gelten, wenn der Diskus degenerativ vorgeschädigt ist. Als geeigneter Unfallmechanismus für einen isolierten Bandscheibenvorfall ohne knöcherne oder ligamentäre Begleitverletzungen kommt dabei nur ein Drehsturz mit Beschleunigung in Frage, wie er etwa bei einem Sturz aus einem fahrenden Auto denkbar ist, wie Dr. S. erläutert. Nur bei einem solchen Sturz können nämlich Scherbelastungen auftreten, die allerdings in der unteren LWS-Etage kaum denkbar sind, wie Prof. Dr. L. erklärt.

Vorliegend können bei einem Sturz von einer Leiter aus einigen Metern Höhe zwar Kräfte auftreten, die die geeignet sind, einen Bandscheibenschaden herbeizuführen. Ein Unfallmechanismus, der zu einer Scherbewegung geführt haben könnte, steht indes nicht mit dem zu fordernden Überzeugungsgrad fest. Eine solche Scherbewegung wäre aber nach den oben dargelegten Grundsätzen notwendig gewesen, da sich beim Kläger keine Begleitverletzung an den Wirbelsäulenknochen oder an den Bändern gefunden haben, wie alle Gutachter übereinstimmend ausführen. Der Unfallhergang ist nicht mehr vollständig aufklärbar. Zur Überzeugung des Senats steht aufgrund der Schilderung des Klägers fest, dass er aus etwa vier Metern Höhe abgestürzt, mit den Füßen aufgekommen und nach hinten umgefallen ist. Entsprechende Angaben hat der Kläger mehreren Gutachtern gegenüber gemacht; ihnen kommt daher ein hoher Beweiswert zu. Dass es sich um einen Drehsturz gehandelt hat, lässt sich hingegen nicht feststellen. Der Kläger selbst führt insofern lediglich aus, ein Drehsturz sei nicht ausgeschlossen. Diesem erst im Berufungsverfahren gemachten Vorbehalt des Klägers kommt im Übrigen nur ein sehr geringer Beweiswert zu, weil er unter dem Eindruck der gutachterlichen Ausführungen bezüglich eines geeigneten Unfallmechanismus erfolgte. Der Kläger hatte nämlich bei keinem der ihn zuvor befragenden Gutachter einen entsprechenden Vorbehalt gemacht. Zudem konnte sein vom Senat als Zeuge gehörter Vater auch keinen Unfallhergang bestätigen, der die Kriterien eines Drehsturzes erfüllt. Der Vater meint zwar, der Kläger sei auf der Seite aufgekommen, kann dies aber nicht hundertprozentig bestätigen. Er habe nebenbei andere Arbeiten erledigt, als der Sturz vor sich ging. Dies zeigt, dass es sich bei den Angaben des Vaters bezüglich des Vorliegens eines Drehsturzes lediglich um Vermutungen handelt. Der Senat kann sich damit nicht mit dem nötigen Wahrscheinlichkeitsgrad die Überzeugung bilden, dass der Kläger "auf die Seite gefallen" ist. Darüber hinaus stellt auch ein Fallen auf die Seite noch keinen Drehsturz dar, bei dem Scherkräfte auftreten können, wie sie für eine isolierte Bandscheibenverletzung nötig sind.

Gegen das Vorliegen eines unfallbedingten Bandscheibenschadens spricht ferner, dass der Kläger nach dem Unfall kein verletzungskonformes Verhalten gezeigt hat, worauf die SG-Gutachter Dr. S., Prof. Dr. L. und Prof. Dr. B./Dr. B. sowie der vom Senat beauftragte Dr. E. übereinstimmend hingewiesen haben. Es bestehen ferner erhebliche Zweifel, dass die vom Kläger vorgetragenen sofortigen stechenden Schmerzen im unteren Rückenbereich tatsächlich so stark waren, wie er behauptet. Zum Einen hat er gegenüber seinem Vater nach dessen Aussage einen Schmerz auf der Seite (und nicht am Rücken) angegeben, zum Anderen konnte er am Unfalltag (Freitag) noch ein erhebliches Stück durch den Wald laufen und auch seine Arbeit nach dem Wochenende wieder aufnehmen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Kläger auch schwere Arbeiten verrichten konnte. Die Arbeitsaufnahme allein spricht schon gegen einen am 30.04.2005 erlittenen traumatischen Bandscheibenvorfall. Darüber hinaus hat der Kläger zunächst keine Schmerzausstrahlung in die Beine berichtet, worauf Prof. Dr. L. verweist. Auch motorische oder sensible Ausfälle oder Lähmungen sind zunächst nicht aufgetreten, ein Arzt wurde nicht aufgesucht. Es fehlt damit an eindeutigen Hinweisen auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem erst am 30.05.2005 festgestellten Bandscheibenprolaps. Bei dieser Sachlage bestehen erhebliche Zweifel an einer traumatischen Ursache dieses Bandscheibenschadens, so dass sich der Senat nicht die notwendige hinreichende Überzeugung von der Unfallkausalität bilden konnte.

Soweit die nach § 109 SGG vom SG angehörten Gutachter PD Dr. K./PD Dr. S. zu einem anderen Ergebnis gelangen, gehen diese bereits ohne überzeugende Begründung von einem geeigneten Unfallereignis aus und machen auch keine Ausführungen dazu, warum es sich um ein sofort immobilisierendes Schmerzsyndrom beim Kläger gehandelt haben sollte, obwohl dieser kurze Zeit nach dem Unfall in der Lage war, eine längere Strecke durch den Wald zu laufen, und auch seine Arbeit drei Tage später wieder aufnehmen konnte. Die gutachterlichen Schlussfolgerungen sind daher nicht nachvollziehbar.

Auf die Berufung der Beklagten ist das stattgebende Urteil des SG vom 25.11.2009 daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass der Kläger mit seinem Begehren keinen Erfolg hatte.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved