L 8 AS 727/12 B KO

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 14 SF 199/12 E
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AS 727/12 B KO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Das Sozialgericht entscheidet über Erinnerungen gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nach § 197 Abs. 2 SGG endgültig. Eine Beschwerde zum Landessozialgericht ist nicht statthaft.

2. Die Rechtsbehelfe des RVG (§ 56 Abs. 3, § 33 Abs. 3 und 4 RVG) finden im Sozialgerichtsprozess auf die
Kostenfestsetzung im Verhältnis der Beteiligten untereinander keine Anwendung. § 197 Abs. 2 SGG ist
abschließend.
I. Der Antrag auf Vorabentscheidung nach § 17a Gerichtsverfassungsgesetz wird abgelehnt. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

II. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 18. Juli 2012 wird verworfen.

III. Diese Entscheidung ergeht kostenfrei.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz (SG) vom 18.07.2012, mit dem es die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten vom 15.12.2011 über die vom Antragsgegner im Verfahren S 14 AS 53/11 zu erstattenden notwendigen außergerichtlichen Kosten zurückgewiesen hat. Die Rechtsmittelbelehrung des Beschlusses vom 18.07.2012 lautet: "Diese Entscheidung ist endgültig (§ 197 Abs. 2 SGG)."

Die Antragstellerin hat gegen den ihr am 24.07.2012 zugestellten Beschluss am 03.08.2012 beim SG Beschwerde erhoben. Zugleich hat sie Vorabentscheidung nach § 17a Abs. 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) über die Zulässigkeit der Beschwerde beantragt sowie in dem Schriftsatz Anhörungsrüge und hilfsweise Gegenvorstellung erhoben. Es sei vorab auszusprechen, dass die im beschrittenen Rechtsweg eingelegte Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) zulässig sei. Der Anwendungsbereich der §§ 17ff. GVG sei weit zu fassen und gelte auch, wenn Zweifel bestünden, ob für eine Sache überhaupt gerichtlicher Rechtsschutz gegeben sei. Nach dem Wortlaut des § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei die Beschwerde gegen Entscheidungen des Kostenrichters auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Dieser besage nur, dass der Kostenrichter über die Erinnerung endgültig entscheide. Daher ergebe sich ein Beschwerdeausschluss weder aus § 197 Abs. 2 SGG noch aus § 172 SGG. Ferner beantragt die Antragstellerin, die Rechtsfragen, ob bei einer unstreitig erledigten erfolgreichen Untätigkeitsklage ein fiktive Terminsgebühr anfalle, ob bei einer Untätigkeitsklage eine Verfahrensgebühr nach Nummer 3102 Vergütungsverzeichnis (VV) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) oder nach Nummer 3103 VV RVG anfalle sowie ob bei angenommenem Anerkenntnis im Untätigkeitsklageverfahren eine Gebühr nach Nummer 1006 VV RVG (Erledigungsgebühr) entstehe, jeweils nach Art. 100 Grundgesetz (GG) dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorzulegen.

Die Akten des Kostenfestsetzungsverfahrens einschließlich des Erinnerungsverfahrens haben dem Senat vorgelegen.

II.

Der Antrag gemäß § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG vorab die Zulässigkeit der Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 18.07.2012 festzustellen, ist unzulässig.

Nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG hat das Gericht vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt. Die vom Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin hier begehrte Entscheidung über die Zulässigkeit der Beschwerde ist bereits vom Anwendungsbereich der Norm nicht erfasst. Der Anwendungsbereich der §§ 17 bis 17b GVG ist auf die Frage des Rechtsweges beschränkt. Dabei ist Rechtsweg im prozessualen Sinne dahingehend zu verstehen, welche der einzelnen Gerichtsbarkeiten nach den für sie maßgeblichen gesetzlichen Regelungen für eine Streitigkeit zuständig und zur Entscheidung berufen ist (Kissel/Mayer, GVG, 6 Aufl. 2010, § 17 RdNr. 3a). Der im Kostenfestsetzungsverfahren eröffnete Rechtsweg ist freilich nicht klärungsbedürftig und wird auch vom Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin nicht in Frage gestellt. Die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit für das Kostenfestsetzungsverfahren als Annex zum Hauptsacheverfahren folgt dem Hauptsacherechtsweg und wird von § 197 SGG selbstverständlich vorausgesetzt.

Die §§ 17 bis 17b GVG gelten dagegen nicht innerhalb des Rechtsweges und insbesondere nicht für das Verhältnis zwischen den Gerichten verschiedener Instanzen (vgl. Kisel/Mayer, GVG, § 17 RdNr. 5). Rechtsmittelverfahren als solche stellen keinen eigenständigen Rechtsweg im Sinne der §§ 13 ff. GVG dar. Vielmehr erfasst der prozessrechtliche Begriff des Rechtswegs nur die einzelnen Zweige der Gerichtsbarkeit, die Art. 92, 95 GG vorsehen (Hüßtege, in Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 33. Auflage 2012, § 13 GVG RdNr. 4).

Auch das vom Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin ins Feld geführte Argument, wonach die §§ 17ff. GVG auch dann gelten sollen, wenn Zweifel bestehe, ob überhaupt gerichtlicher Rechtsschutz gegeben ist, greift in der streitigen Konstellation von vornherein nicht. Denn der verfassungsrechtlich von Art. 19 Abs. 4 GG geforderten Rechtsweggarantie ist mit der Eröffnung des Erinnerungsverfahren gemäß § 178 Satz 1, § 197 Abs. 2 SGG gegen die Kostenfestsetzung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ausreichend Rechnung getragen. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet keinen Instanzenzug (Sachs, in: ders. GG, 6. Aufl. 2011, Art. 19 RdNr. 120 m. w. N.).

Auch das Bundessozialgericht (BSG) hat in dem Beschluss vom 29.08.2012 – B 4 RS 84/12 B – keine Anhaltspunkte für die auch in dem dortigen Verfahren vom hiesigen Prozessbevollmächtigten gewünschte erweiternde Auslegung des § 17a GVG auf die Frage der Statthaftigkeit der Beschwerde gesehen (a.a.O. RdNr. 7).

Die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung ist nicht zuzulassen. Gründe des § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG liegen nicht vor.

III.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 18.07.2012 ist unzulässig. Gegen Entscheidungen des SG über Erinnerungen gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Urkundsbeamten ist die Beschwerde nicht statthaft.

§ 172 Abs. 1 SGG eröffnet die Beschwerde gegen Beschlüsse des SG nur, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist. Eine solche spezialgesetzliche Regelung trifft freilich § 197 Abs. 2 SGG. Die Vorschrift lautet: "Gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet." Hiermit ist bestimmt, dass keine Beschwerde zum LSG statthaft ist (allg. Meinung; Sächsisches LSG, Beschluss vom 30.08.2006 – L 6 B 183/06 AL-KO – unveröffentlicht; Beschlüsse vom 13.07.2012 – L 6 AS 558/12 B KO, L 6 AS 560/12 B KO, L 6 AS 564/12 B KO, L 6 AS 568/12 B KO – unveröffentlicht; LSG Essen, Beschluss vom 13.07.2009 – L 7 B 2/09 SB – Juris RdNr. 4; Beschluss vom 21.09.2007 – L 19 B 112/07 AS – Juris RdNr. 7; LSG Saarbrücken, Beschluss vom 29.01.2009 – L 1 B 16/08 R – Juris RdNr. 7; Thüringer LSG, Beschluss vom 18.02.2008 – L 6 B 3/08 SF – Juris RdNr. 14; LSG Berlin, Beschluss vom 14.10.2003 – L 5 B 14/02 – Juris RdNr. 16, Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 197 RdNr. 10; Groß, in: Lüdtke, SGG, 3. Aufl. 2009, § 197 RdNr. 12; Breitkreuz, in: Breitkreuz/Fichte, 2008, § 197 RdNr. 6; Straßfeldt, in: Jansen, SGG, 4. Aufl. 2012, § 197 RdNr. 14; Hintz/Lowe, SGG, 2012, § 197 RdNr. 19; Münker, in: Henning, SGG, § 197 RdNr. 14, 19). Die Meinung des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin, wonach die Vorschrift den Ausschluss nicht ausdrücklich regele, teilt der Senat nicht. Bereits nach seinem Wortsinn wird "endgültig" in der deutschen Sprache gleichbedeutend mit "von letzter, abschließender Gültigkeit, unumstößlich, definitiv" verstanden (vgl. Der Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 5. Aufl. 2003). Dennoch die Statthaftigkeit einer Beschwerde zum LSG in das Wort "endgültig" hinein zu interpretieren, dürfte bereits den Wortsinn als äußerste Auslegungsgrenze überschreiten. Grundsätzlich bildet § 197 Abs. 2 SGG eine Spezialregelung, die dem Rechtsschutzsystem des § 172 SGG und der § 56 Abs. 3, § 33 Abs. 3 und 4 RVG (analog) vorgeht (LSG Essen, a. a. O. RdNr. 9f.; Breitkreuz, a. a. O. RdNr. 19). Auch aus historischer und systematischer Sicht ist keine, auch keine außerordentliche, Beschwerde mehr statthaft. Spätestens seit Einführung der Anhörungsrüge durch den parlamentarischen Gesetzgeber (vgl. § 178a SGG) mit Wirkung zum 01.05 2005 ist ein solcher gesetzlich nicht vorgesehener Rechtsbehelf unstatthaft, weil er mit dem Gebot der Rechtsmittelklarheit nicht vereinbar ist (vgl. BVerfG, Plenarbeschluss vom 30.04.2003 – 1 PBvU 1/02 – Juris RdNr. 68ff. = BVerfGE 107, 395, 416; Beschluss vom 16.012007 – 1 BvR 2803/06 – Juris RdNr. 5; BSG, Beschluss vom 07.04.2005 – B 1 KR 5/04 – Juris RdNr. 5; Leitherer, a. a. O., 172 RdNr. 8 m. w. N.).

Über die beantragte Vorlage der verschiedenen gebührenrechtlichen Rechtsfragen an das BVerfG bedarf es keiner Entscheidung. Abgesehen davon, dass die aufgeworfenen Rechtsfragen von vornherein keinen zulässigen Vorlagegegenstand im Sinne von Art. 100 Abs. 1 GG bilden können, fehlt es wegen der Unzulässigkeit der Beschwerde auch an ihrer Entscheidungserheblichkeit.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

IV.

Über die von der Antragstellerin zugleich erhobene Anhörungsrüge (§ 178a SGG) sowie die hilfsweise erhobene Gegenvorstellung hat das LSG nicht zu befinden. Adressat dieser (außerordentlichen) Rechtsbehelfe ist der "iudex a quo", also das SG. Vor diesem Hintergrund geht der Senat zu Gunsten der Antragstellerin davon aus, dass sie sich insoweit auch an das SG gewandt hat. Der Beschwerdeschriftsatz, der zugleich die Anhörungsrüge und hilfsweise Gegenvorstellung erhob, war insgesamt an das SG adressiert.

Dr. Wahl Schanzenbach Salomo
Rechtskraft
Aus
Saved