L 1 P 8/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 P 8/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 P 8/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung.

Die 1932 geborene Klägerin lebt in I., ist als Rentnerin in Deutschland gesetzlich krankenversichert und bei der Beklagten pflegeversichert. Im Februar 2010 beantragte sie die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung und führte aus, sie sei geh- und stehbehindert und habe Krebs mit unbekanntem Primärtumor. Sie habe nur eine Rente in Höhe von EUR 600,- und müsse oft hungern.

Der von der Beklagten beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) B. führte nach einem Hausbesuch bei der Klägerin in seinem Gutachten vom 9. Juni 2010 aus, die Klägerin bewohne ein möbliertes 2-Zimmer-Appartement im ersten Stock einer Hotelanlage. Sie könne die Stufen ohne Hilfsmittel selbständig bewältigen. Einmal pro Woche werde die Wohnung im Wege einer Serviceleistung gereinigt, die im Mietpreis enthalten sei. Die geistig rege und deutlich jünger wirkende Klägerin sei gepflegt und adrett. Nach eigenen Angaben mache sie täglich Yogaübungen, unternehme kleine Ausflüge mit dem Fahrrad und schwimme im Meer. Zweimal im Monat fahre sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Praxis des Hausartzes. Sie kaufe selbständig ein, koche und spüle. Die Wäsche bringe sie in eine Wäscherei. Es bestehe somit weder im Bereich der Grundpflege noch im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung ein Hilfebedarf.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Leistungen bei Pflegebedürftigkeit daraufhin mit Bescheid vom 22. Juni 2010 ab. Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch führte die Klägerin aus, sie fahre nicht zweimal im Monat zum Arzt, sondern ins Krankenhaus. Sie benötige dringend Krankengymnastik, habe aber kein Geld dafür. Sie habe nur eine 1-Zimmer-Wohnung im 1. Stock, da sie kein Geld für einen Umzug in eine Parterre-Wohnung habe. Sie benötige dringend Hilfe im Bereich der Geh- und Stehbehinderung und eine Beförderung zu Ärzten und ins Krankenhaus, da ihr dafür das Geld fehle. Sie habe ständig Schmerzen im ganzen Körper, könne sich besondere Schmerzmittel aber nicht leisten.

Der MDK N. kam sodann in einem Gutachten nach Aktenlage vom 9. Juli 2010 zu dem Ergebnis, dass an der Vorbegutachtung festzuhalten sei. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin daraufhin durch Widerspruchsbescheid vom 16. November 2010 zurück.

Mit ihrer dagegen erhobenen Klage hat die Klägerin erneut vorgetragen, sie sei geh- und stehbehindert, habe Krebs bei unbekanntem Primärtumor und einen Grad der Behinderung von 100. Nach Abzug der Miete müsse sie von EUR 150,- monatlich leben. Im gerichtlichen Pflegefragebogen hat sie angegeben, Hilfe beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sowie bei der hauswirtschaftlichen Versorgung zu benötigen und sich gerade beim Umzug in eine Parterre-Wohnung zu befinden.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 30. Mai 2011 – der Klägerin zugestellt am 17. Juni 2011 – abgewiesen, da die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung nicht erfüllt seien. Die Klägerin benötige nicht wöchentlich im Tagesdurchschnitt mehr als 45 Minuten Hilfen bei mindestens zwei der gesetzlich abschließend aufgezählten Verrichtungen der Grundpflege. Vielmehr bestehe schon nach ihren eigenen Angaben nur ein Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sowie bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen. Weder die Schwere ihrer Erkrankungen noch ihre wirtschaftliche Lage erlaubten insoweit eine abweichende Beurteilung.

Die Klägerin hat dagegen am 6. Juli 2011 Berufung eingelegt und wiederholt ihr bisheriges Vorbringen. Ergänzend trägt sie vor, sie sei ganz allein und es werde lediglich einmal in der Woche geputzt und Betten bezogen. Sie benötige dringend Unterstützung bei verschiedenen Haushaltsdingen. Sie brauche das Pflegegeld unbedingt, da ihr nach Abzug der Miete kaum Geld zum Leben bleibe. Sie hat außerdem zwei ärztliche Atteste aus I. vom 30. Juni 2011 und 28. September 2011 vorgelegt, in denen die Diagnosen "Depression – Angstsyndrom mit paranoiden Merkmalen" sowie "Arthrose in mehreren Körperregionen" bescheinigt werden.

Die Klägerin beantragt nach ihrem Vorbringen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 30. Mai 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und trägt vor, die Klägerin verkenne, dass die soziale Pflegeversicherung nicht jeglichen krankheits- oder behinderungsbedingten Hilfebedarf abdecke.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, da die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung hat.

Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung haben nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI) Personen, die pflegebedürftig sind. Pflegebedürftig sind gemäß § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen. Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen in diesem Sinne sind:

1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- und Blasenentleerung, 2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, 3. im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Sehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung, 4. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen (§ 14 Abs. 4 SGB XI).

Gemäß § 15 Abs. 1 SGB XI sind pflegebedürftige Personen einer der Pflegestufen I bis III zuzuordnen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Dabei muss der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen, wobei auf die Grundpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 – 3 SGB XI) mehr als 45 Minuten entfallen müssen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI).

Wie das Sozialgericht zu Recht ausgeführt hat, sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, denn die Klägerin benötigt wöchentlich im Tagesdurchschnitt nicht mehr als 45 Minuten Hilfen bei mindestens zwei Verrichtungen im Bereich der Grundpflege. Dies ergibt sich sowohl aus dem Gutachten des MDK vom 9. Juni 2010, in dem jeglicher Hilfebedarf verneint wurde, als auch aus den eigenen Angaben der Klägerin, die im gerichtlichen Pflegefragebogen lediglich einen Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sowie im Bereich der Hauswirtschaft aufgeführt hat. Zutreffend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass – unabhängig davon, ob dieser Hilfebedarf tatsächlich besteht – hierdurch ein Anspruch auf Pflegeleistungen nicht ausgelöst werden kann, da nur eine Verrichtung aus dem Bereich der Grundpflege betroffen ist, während gesetzliche Anspruchsvoraussetzung ein Hilfebedarf bei zwei Verrichtungen der Grundpflege ist.

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren keine Umstände vorgebracht, die zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten. Sie hat weiterhin die Feststellungen des MDK in tatsächlicher Hinsicht nicht angegriffen und keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass bei weiteren Verrichtungen im Bereich der Grundpflege ein Hilfebedarf gegeben sein könnte. Soweit sie sich erneut und unter Vorlage von ärztlichen Attesten auf die Schwere ihrer Erkrankungen, ihren Grad der Behinderung sowie ihre finanzielle Lage bezieht, hat bereits das Sozialgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass sich allein daraus kein Anspruch auf Pflegeleistungen ergeben kann, da hierfür nur der aus einer Krankheit oder Behinderung resultierende individuelle Pflegebedarf maßgebend ist (BSG, Urteil vom 09.07.1998 – B 3 P 10/98 B – Juris). Soweit sie geltend macht, Hilfe in Haushaltsdingen zu benötigen, vermag ihr auch dies nicht zum Erfolg zu verhelfen, denn allein ein hauswirtschaftlicher Bedarf kann einen Anspruch auf Pflegeleistungen nicht begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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