Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 1376/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3513/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 13. Juli 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Klägerin begehrt die Neufeststellung ihres Grades der Behinderung (GdB) mit mehr als 70.
Die 1971 geborene Klägerin ist t. Staatsangehörige und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Auf ihren am 27.07.2004 erstmals gestellten Antrag stellte das Landratsamt H. mit Bescheid vom 22.03.2005 einen GdB von 70 wegen einer seelischen Krankheit fest.
Am 04.06.2008 beantragte die Klägerin die Neufeststellung ihrer Behinderungen mit der Begründung sie leide nunmehr an einem Bluthochdruck und an einer Unterfunktion der Schilddrüse. Der Beklagte fragte die behandelnde Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. W. , die angab, dass die Klägerin seit 2004 in ihrer hausärztlichen Behandlung sei, wegen einer chronisch paranoiden Psychose sei sie in ständiger psychiatrischer Mitbehandlung. Der Zustand sei derzeit unter Medikation stabil. Wegen einer latenten Schilddrüsenunterfunktion nehme sie Schilddrüsenhormone. Es bestehe seit Februar 2008 eine arterielle Hypertonie, die mit einem Beta-Blocker behandelt werde. Unter Therapie seien Werte von 127/79 mmHg, 140/97 mmHg und 113/79 mmHg gemessen worden. Dr. W. äußerte die Auffassung, dass die Klägerin chronisch überfordert und seelisch belastet sei. Nach dem Tod ihres Ehemannes im Jahr 2004 sei sie alleinerziehend mit 2 Kindern. Sie habe zeitweise halbtags im Altenpflegeheim gearbeitet, das habe sie nicht durchhalten können. Nach Reduzierung der täglichen Arbeitszeit auf dreimal 2½ Stunden pro Woche gehe es ihr wieder besser. Trotz einer derzeit insgesamt erfreulichen Entwicklung sei die Klägerin einer Arbeitsbelastung in Vollzeit nicht gewachsen.
Nach Anhörung des Ärztlichen Dienstes (E. S., 9.7.2008) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10.07.2008 eine Änderung der bisherigen Entscheidung ab. Die geltend gemachte Schilddrüsenerkrankung und der Bluthochdruck bedingten keinen GdB von wenigstens 10 und stellten deshalb keine Behinderung im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) dar. Dagegen erhob die Klägerin am 28.07.2008 Widerspruch, zu dessen Begründung sie vortrug, dass sie zwischenzeitlich auch an einem Diabetes mellitus leide. Dazu legte sie eine fachärztliche Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie E. H. vom 03.12.2008 vor, der eine seit über 10 Jahren bestehende schizophrenen Erkrankung mit akuten psychotischen Schüben bescheinigte, zwischenzeitlich habe sich ein ausgeprägtes Residualsyndrom entwickelt. Als verwitwete Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern sei sie bereits mit der Erziehung und der Versorgung deutlich an den Grenzen ihres Leistungsvermögens. Unter Stresseinfluss sei eine deutlich erhöhte Irritabilität zu verzeichnen. Sie benötige ihre 11 jährige Tochter zur Realitätskontrolle im Hinblick auf nächtliches Angsterleben incl. Wahrnehmungsstörung.
Der Beklagte befragte erneut Dr. W. , die mitteilte dass unter Medikation sowohl der Blutdruck als auch die latente Unterfunktion der Schilddrüse gut eingestellt seien. Die aktuellen Blutzuckerwerte seien bei eigenen Messungen leicht erhöht gewesen, der Langzeitwert HbA1c befinde sich bei mehrfachen Messungen im Normbereich.
Nach erneuter Anhörung des Ärztlichen Dienstes (Dr. B., 3.3.2009) wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.03.2009 den Widerspruch zurück.
Dagegen erhob die Klägerin am 23.04.2009 Klage zum Sozialgericht Heilbronn, mit der sie die Feststellung eines GdB von 80 begehrte. Zur Begründung ihrer Klage wiederholte die Klägerin im Wesentlichen ihre Ausführungen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und verwies auf die dort vorgelegte Bescheinigung. Sie legte eine ärztliche Bescheinigung von Dr. Wa. vom 25.06.2009 vor, die darin mitteilte, das wieder Angstzustände verstärkt aufgetreten seien seit die Rente der Klägerin weggefallen sei. Der gesamte Allgemeinzustand habe sich wieder verschlechtert. Die Klägerin sei nicht in der Lage einer Arbeitstätigkeit nachzugehen.
Der Beklagte trat der Klage entgegen.
Das SG holte ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. He. vom 02.11.2009 ein. Er befragte die Klägerin ausführlich zu ihrem Tagesablauf. Die Klägerin klagte darüber, dass sie durchgehend keinen Elan mehr habe, sie müsse viel schlafen und sei nicht belastbar und habe deshalb Probleme den Alltag zu bewältigen. Die Strukturierung des Alltags klappe nicht. Bei der Arbeit habe sie erhebliche Konzentrationsprobleme und brauche viel Ruhephasen. Zeitdruck und Stress halte sie gar nicht aus. Es komme immer wieder zu akuten Schüben, die alle paar Wochen aufträten. Dann habe sie nachts Angst und denke, es laufe jemand in der Wohnung herum. Stimmen habe sie seit längerem nicht mehr gehört. Dr. He. stellte zum psychischen Befund fest, dass die Auffassung und Konzentration mit gewissen Fluktuationen insgesamt leicht reduziert seien. Im Zuge der anderthalbstündigen Untersuchung habe sich die Konzentrationsfähigkeit im Verlauf verschlechtert. Der formale Gedankengang war geordnet, Dr. He. konnte aktuell keine eindeutigen Wahninhalte feststellen. Eine neurologische Erkrankung lasse sich nicht nachweisen, der körperlich neurologische Befund sei regelrecht. Unter der laufenden neuroleptischen Behandlung träten immer wieder in gemilderter Form etwas vage paranoide Inhalte auf, die sich aktuell aber nicht nachweisen ließen. Es bestand ein leicht geminderter Antrieb. Die schizophrene Psychose sei insgesamt als mittelschwer zu bezeichnen. Sie sei deshalb mit einem GdB von 70 zu bewerten, der Gesamt-GdB betrage ebenfalls 70.
Die Klägerin führte dazu aus, dass sie bei der Untersuchung durch Dr. He. unter dem Eindruck und Einfluss der Medikamente gestanden habe. Das Gutachten berücksichtige die Wirkung der Medikamente nicht.
Mit Urteil vom 13.07.2011 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, das psychiatrische Leiden der Klägerin sei mit einem Einzel-GdB von 70 zu bewerten. Eine zusätzliche Begutachtung der Klägerin nach Absetzung der Medikamente sei nicht erforderlich, weil der Sachverständige die von ihr benannten Medikamente bei seiner Begutachtung berücksichtigt habe. Zudem gingen die Versorgungsmedizinischen Grundsätze davon aus, dass der durch Medikamente eingestellte Zustand bei der Bewertung des GdB Berücksichtigung finde. Die Schilddrüsenunterfunktion und das Bluthochdruckleiden bedingten einen Einzel-GdB von je 10, die aber nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB führten. Eine GdB-relevante Diabeteserkrankung sei nicht gegeben. Die Blutzuckerwerte seien lediglich leicht erhöht, der Langzeitwert sei bei Mehrfachmessung im Normbereich gewesen.
Gegen das ihr am 18.07.2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 17.08.2011 eingelegte Berufung der Klägerin, zu deren Begründung sie ausführt, sie leide an einer paranoiden Psychose und werde ständig medikamentiert. Sie sei auch in ständiger psychiatrischer Behandlung. Außerdem leide sie an einer latenten Schilddrüsenunterfunktion und an einer arteriellen Hypertonie. Aufgrund der schweren Erkrankung liege ein GdB von 80 vor. Zwischenzeitlich habe sich ihre Erkrankung nachteilig entwickelt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 13.07.2011 und den Bescheid der Beklagten vom 10.07.2008 sowie den Widerspruchsbescheid vom 20.03.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von 80 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf das angefochtene Urteil.
Der Senat hat zur Aufklärung des Sachverhalts aus den Akten des Sozialgerichts Heilbronn im Verfahren gegen die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg (S 14 R 854/09) eine sachverständige Zeugenaussage des Facharztes für Psychiatrie E. H. vom 14.12.2009 beigezogen. Er gab darin an, dass sich seit Juni 2008 ein Syndrom mit Antriebs- und Initiativdefiziten, Perseverationen, Konzentrations- und Merkfähigkeitsdefiziten im Alltag, ständigem Überforderungsgefühl, starkem Rückzugswunsch und -verhalten sowie klagsam-dysthym akzentuiertem affektiven Spektrum entwickelt habe. Es liege eine Zunahme von Alltagsproblemen und unter Stressbelastung wiederholte passagere Symptome vor. Es bestehe ein erhebliches schizophrenes Residualsyndrom. Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg erkannte eine teilweise Erwerbsminderung über den 31.10.2008 hinaus an.
Der Senat hat seinerseits den Facharzt für Psychiatrie E. H. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Er hat am 06.09.2012 mitgeteilt, die Klägerin klage über ein ständiges Überforderungs- und Insuffizienzerleben mit Reizbarkeit, Vergesslichkeit und erhöhten Fehlerquoten. In diesem Zusammenhang sei es sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich immer wieder zu Konflikten gekommen, die zu akuten Belastungsreaktionen mit notfallmäßiger Vorstellung in der Sprechstunde geführt hätten. Mehrfach habe die Klägerin über psychosenahe Symptome mit nächtlichen Ängsten, körperlichen Missempfindungen im Kopfbereich und Beziehungsgedanken geklagt. Es standen überwiegend dysthyme bis depressive Syndrome mit starkem Erschöpfungsgefühl, kognitiven Leistungsdefiziten und Perseverationen im Vordergrund. Auch spezifische produktiv-psychotische Symptome seien wiederholt festzustellen gewesen. Es sei diagnostisch von einer chronisch verlaufenden schizophrenen Psychose mit im Vordergrund stehendem Residualsyndrom auszugehen. Regelwidrige körperliche Zustände habe er nicht festgestellt. Die psychomentalen Funktionsbeeinträchtigungen seien im Behandlungsverlauf überwiegend leicht bis mittelgradig einzuschätzen. Im Rahmen wiederholter akuter Verschlechterungen hätten vorübergehend auch schwere Funktionsbeeinträchtigungen bestanden. Es leite sich daraus ein GdB von mindestens 50 ab.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf einen Band Schwerbehindertenakten des Beklagten, einen Band des Sozialgerichts Heilbronn sowie die beim Senat angefallenen Akten verwiesen.
II.
Gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann der Senat - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind mit richterlicher Verfügung vom 07.12.2012 auf die in Betracht kommende Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG sowie deren Voraussetzungen hingewiesen worden und haben Gelegenheit erhalten, zur Sache und zum beabsichtigten Verfahren Stellung zu nehmen.
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 10.07.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.03.2009 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 70. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Zur weiteren Begründung nimmt der Senat zunächst auf die Gründe dieses Urteils Bezug, denen er sich nach erneuter Überprüfung anschließt, § 153 Abs. 2 SGG.
Im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren führt er ergänzend aus: Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen – welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören – zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 – 9 RVs 15/96 – BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 – B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3 3870 § 4 Nr. 1).
Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 mwN). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, aaO, RdNr 30).
Nach diesen Kriterien sind die Beschwerden der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet mit einem GdB von jedenfalls nicht mehr als 70 zu bewerten. Nach Nr. 3.7 Teil B VG, der im Wesentlichen Nr. 26.3 AHP entspricht, wird ein schizophrener Residualzustand mit Konzentrationsstörung, Kontaktschwäche, Vitalitätseinbuße und affektiver Nivellierung bei geringen und einzelnen Restsymptomen ohne soziale Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 10 bis 20, bei leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 30 bis 40 und bei mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 50 bis 70 bewertet. Erst bei schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten wird ein GdB von 80 bis 100 angenommen. Die Klägerin leidet nach den beiden Zeugenaussagen des Psychiaters H. an einem ständigen Überforderungs- und Insuffizienzerleben mit Reizbarkeit, Vergesslichkeit und erhöhten Fehlerquoten. Im Zusammenhang damit kommt es im privaten und beruflichen Bereich zu Konflikten, die zu akuten Belastungsreaktionen mit Vorstellung in seiner Sprechstunde führen. Sie hat auch psychosenahe Symptome mit nächtlichen Ängsten und körperlichen Missempfindungen im Kopfbereich sowie Beziehungsgedanken. Es kommt zu dysthymen bis depressiven Syndromen bei starkem Erschöpfungsgefühl kognitiven Leistungsdefiziten und Perseverationen. Diese Symptome ordnet Hr. H. als Psychose mit im Vordergrund stehendem Residualsyndrom ein. Die Klägerin ist insofern gerade noch in der Lage sich um ihre zwei Kinder zu kümmern, nimmt dazu aber Unterstützung durch ihre Mutter in Anspruch. Einen Freundeskreis kann sie nicht aufrecht erhalten. Wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat, sind diese Beschwerden in Übereinstimmung mit der überzeugenden Einschätzung des Psychiaters H. unter die mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einzuordnen, für die ein höherer GdB als der bereits anerkannte GdB von 70 nicht zuerkannt werden kann. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sich gegenüber den dem Bescheid vom 22.03.2005 zugrundeliegenden Verhältnissen insofern wesentliche Verschlechterungen im Gesundheitszustand der Klägerin ergeben haben. Auch die Tatsache, dass die Klägerin einer dauernden medikamentösen Behandlung durch Medikamente bedarf, führt nicht zu einer höheren Bewertung, denn der Bedarf an Medikamenten ist typischerweise mit einem Residualsyndrom mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten verbunden und durch den Verordnungsgeber in dem GdB von 50-70 bereits berücksichtigt. Eine zusätzliche Berücksichtigung würde zu einer Doppelbewertung führen.
Die Beschwerden von Seiten des Bluthochdrucks bedingen keinen GdB von mindestens 10. Nach Nr. 9.3 Teil B VG (Nr. 26.9 AHP) wird eine Hypertonie leichter Form ohne oder mit geringen Leistungsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 0 bis 10 bewertet. Eine mittelschwere Form mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades bedingt einen GdB von 20 bis 40. Bei der Klägerin liegt ein Bluthochdruck vor, der unter Medikation nach den Angaben der behandelnden Hausärztin im Normbereich liegt. Ein GdB von mindestens 10 ergibt sich daraus nicht.
Auch das Schilddrüsenleiden der Klägerin bedingt keinen GdB von 10. Die behandelnde Hausärztin hat insofern lediglich eine latente Schilddrüsenunterfunktion angegeben. Diese wird mit Medikamenten erfolgreich behandelt. Ein GdB von wenigstens 10 ergibt sich daraus nach Nr. 15.6 Teil B VG (Nr. 26.15 AHP) nicht.
Wie das SG zutreffend ausgeführt hat ist eine GdB-relevante Diabeteserkrankung ebenfalls nicht gegeben, denn bisher sind nur vereinzelt Blutzuckererhöhungen in der Selbstmessung aufgetreten, der Langzeitblutzucker ist im Normbereich.
Der für das psychiatrische Leiden festzustellende GdB von 70 bildet deshalb gleichzeitig den Gesamt-GdB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Klägerin begehrt die Neufeststellung ihres Grades der Behinderung (GdB) mit mehr als 70.
Die 1971 geborene Klägerin ist t. Staatsangehörige und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Auf ihren am 27.07.2004 erstmals gestellten Antrag stellte das Landratsamt H. mit Bescheid vom 22.03.2005 einen GdB von 70 wegen einer seelischen Krankheit fest.
Am 04.06.2008 beantragte die Klägerin die Neufeststellung ihrer Behinderungen mit der Begründung sie leide nunmehr an einem Bluthochdruck und an einer Unterfunktion der Schilddrüse. Der Beklagte fragte die behandelnde Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. W. , die angab, dass die Klägerin seit 2004 in ihrer hausärztlichen Behandlung sei, wegen einer chronisch paranoiden Psychose sei sie in ständiger psychiatrischer Mitbehandlung. Der Zustand sei derzeit unter Medikation stabil. Wegen einer latenten Schilddrüsenunterfunktion nehme sie Schilddrüsenhormone. Es bestehe seit Februar 2008 eine arterielle Hypertonie, die mit einem Beta-Blocker behandelt werde. Unter Therapie seien Werte von 127/79 mmHg, 140/97 mmHg und 113/79 mmHg gemessen worden. Dr. W. äußerte die Auffassung, dass die Klägerin chronisch überfordert und seelisch belastet sei. Nach dem Tod ihres Ehemannes im Jahr 2004 sei sie alleinerziehend mit 2 Kindern. Sie habe zeitweise halbtags im Altenpflegeheim gearbeitet, das habe sie nicht durchhalten können. Nach Reduzierung der täglichen Arbeitszeit auf dreimal 2½ Stunden pro Woche gehe es ihr wieder besser. Trotz einer derzeit insgesamt erfreulichen Entwicklung sei die Klägerin einer Arbeitsbelastung in Vollzeit nicht gewachsen.
Nach Anhörung des Ärztlichen Dienstes (E. S., 9.7.2008) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10.07.2008 eine Änderung der bisherigen Entscheidung ab. Die geltend gemachte Schilddrüsenerkrankung und der Bluthochdruck bedingten keinen GdB von wenigstens 10 und stellten deshalb keine Behinderung im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) dar. Dagegen erhob die Klägerin am 28.07.2008 Widerspruch, zu dessen Begründung sie vortrug, dass sie zwischenzeitlich auch an einem Diabetes mellitus leide. Dazu legte sie eine fachärztliche Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie E. H. vom 03.12.2008 vor, der eine seit über 10 Jahren bestehende schizophrenen Erkrankung mit akuten psychotischen Schüben bescheinigte, zwischenzeitlich habe sich ein ausgeprägtes Residualsyndrom entwickelt. Als verwitwete Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern sei sie bereits mit der Erziehung und der Versorgung deutlich an den Grenzen ihres Leistungsvermögens. Unter Stresseinfluss sei eine deutlich erhöhte Irritabilität zu verzeichnen. Sie benötige ihre 11 jährige Tochter zur Realitätskontrolle im Hinblick auf nächtliches Angsterleben incl. Wahrnehmungsstörung.
Der Beklagte befragte erneut Dr. W. , die mitteilte dass unter Medikation sowohl der Blutdruck als auch die latente Unterfunktion der Schilddrüse gut eingestellt seien. Die aktuellen Blutzuckerwerte seien bei eigenen Messungen leicht erhöht gewesen, der Langzeitwert HbA1c befinde sich bei mehrfachen Messungen im Normbereich.
Nach erneuter Anhörung des Ärztlichen Dienstes (Dr. B., 3.3.2009) wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.03.2009 den Widerspruch zurück.
Dagegen erhob die Klägerin am 23.04.2009 Klage zum Sozialgericht Heilbronn, mit der sie die Feststellung eines GdB von 80 begehrte. Zur Begründung ihrer Klage wiederholte die Klägerin im Wesentlichen ihre Ausführungen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und verwies auf die dort vorgelegte Bescheinigung. Sie legte eine ärztliche Bescheinigung von Dr. Wa. vom 25.06.2009 vor, die darin mitteilte, das wieder Angstzustände verstärkt aufgetreten seien seit die Rente der Klägerin weggefallen sei. Der gesamte Allgemeinzustand habe sich wieder verschlechtert. Die Klägerin sei nicht in der Lage einer Arbeitstätigkeit nachzugehen.
Der Beklagte trat der Klage entgegen.
Das SG holte ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. He. vom 02.11.2009 ein. Er befragte die Klägerin ausführlich zu ihrem Tagesablauf. Die Klägerin klagte darüber, dass sie durchgehend keinen Elan mehr habe, sie müsse viel schlafen und sei nicht belastbar und habe deshalb Probleme den Alltag zu bewältigen. Die Strukturierung des Alltags klappe nicht. Bei der Arbeit habe sie erhebliche Konzentrationsprobleme und brauche viel Ruhephasen. Zeitdruck und Stress halte sie gar nicht aus. Es komme immer wieder zu akuten Schüben, die alle paar Wochen aufträten. Dann habe sie nachts Angst und denke, es laufe jemand in der Wohnung herum. Stimmen habe sie seit längerem nicht mehr gehört. Dr. He. stellte zum psychischen Befund fest, dass die Auffassung und Konzentration mit gewissen Fluktuationen insgesamt leicht reduziert seien. Im Zuge der anderthalbstündigen Untersuchung habe sich die Konzentrationsfähigkeit im Verlauf verschlechtert. Der formale Gedankengang war geordnet, Dr. He. konnte aktuell keine eindeutigen Wahninhalte feststellen. Eine neurologische Erkrankung lasse sich nicht nachweisen, der körperlich neurologische Befund sei regelrecht. Unter der laufenden neuroleptischen Behandlung träten immer wieder in gemilderter Form etwas vage paranoide Inhalte auf, die sich aktuell aber nicht nachweisen ließen. Es bestand ein leicht geminderter Antrieb. Die schizophrene Psychose sei insgesamt als mittelschwer zu bezeichnen. Sie sei deshalb mit einem GdB von 70 zu bewerten, der Gesamt-GdB betrage ebenfalls 70.
Die Klägerin führte dazu aus, dass sie bei der Untersuchung durch Dr. He. unter dem Eindruck und Einfluss der Medikamente gestanden habe. Das Gutachten berücksichtige die Wirkung der Medikamente nicht.
Mit Urteil vom 13.07.2011 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, das psychiatrische Leiden der Klägerin sei mit einem Einzel-GdB von 70 zu bewerten. Eine zusätzliche Begutachtung der Klägerin nach Absetzung der Medikamente sei nicht erforderlich, weil der Sachverständige die von ihr benannten Medikamente bei seiner Begutachtung berücksichtigt habe. Zudem gingen die Versorgungsmedizinischen Grundsätze davon aus, dass der durch Medikamente eingestellte Zustand bei der Bewertung des GdB Berücksichtigung finde. Die Schilddrüsenunterfunktion und das Bluthochdruckleiden bedingten einen Einzel-GdB von je 10, die aber nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB führten. Eine GdB-relevante Diabeteserkrankung sei nicht gegeben. Die Blutzuckerwerte seien lediglich leicht erhöht, der Langzeitwert sei bei Mehrfachmessung im Normbereich gewesen.
Gegen das ihr am 18.07.2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 17.08.2011 eingelegte Berufung der Klägerin, zu deren Begründung sie ausführt, sie leide an einer paranoiden Psychose und werde ständig medikamentiert. Sie sei auch in ständiger psychiatrischer Behandlung. Außerdem leide sie an einer latenten Schilddrüsenunterfunktion und an einer arteriellen Hypertonie. Aufgrund der schweren Erkrankung liege ein GdB von 80 vor. Zwischenzeitlich habe sich ihre Erkrankung nachteilig entwickelt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 13.07.2011 und den Bescheid der Beklagten vom 10.07.2008 sowie den Widerspruchsbescheid vom 20.03.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von 80 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf das angefochtene Urteil.
Der Senat hat zur Aufklärung des Sachverhalts aus den Akten des Sozialgerichts Heilbronn im Verfahren gegen die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg (S 14 R 854/09) eine sachverständige Zeugenaussage des Facharztes für Psychiatrie E. H. vom 14.12.2009 beigezogen. Er gab darin an, dass sich seit Juni 2008 ein Syndrom mit Antriebs- und Initiativdefiziten, Perseverationen, Konzentrations- und Merkfähigkeitsdefiziten im Alltag, ständigem Überforderungsgefühl, starkem Rückzugswunsch und -verhalten sowie klagsam-dysthym akzentuiertem affektiven Spektrum entwickelt habe. Es liege eine Zunahme von Alltagsproblemen und unter Stressbelastung wiederholte passagere Symptome vor. Es bestehe ein erhebliches schizophrenes Residualsyndrom. Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg erkannte eine teilweise Erwerbsminderung über den 31.10.2008 hinaus an.
Der Senat hat seinerseits den Facharzt für Psychiatrie E. H. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Er hat am 06.09.2012 mitgeteilt, die Klägerin klage über ein ständiges Überforderungs- und Insuffizienzerleben mit Reizbarkeit, Vergesslichkeit und erhöhten Fehlerquoten. In diesem Zusammenhang sei es sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich immer wieder zu Konflikten gekommen, die zu akuten Belastungsreaktionen mit notfallmäßiger Vorstellung in der Sprechstunde geführt hätten. Mehrfach habe die Klägerin über psychosenahe Symptome mit nächtlichen Ängsten, körperlichen Missempfindungen im Kopfbereich und Beziehungsgedanken geklagt. Es standen überwiegend dysthyme bis depressive Syndrome mit starkem Erschöpfungsgefühl, kognitiven Leistungsdefiziten und Perseverationen im Vordergrund. Auch spezifische produktiv-psychotische Symptome seien wiederholt festzustellen gewesen. Es sei diagnostisch von einer chronisch verlaufenden schizophrenen Psychose mit im Vordergrund stehendem Residualsyndrom auszugehen. Regelwidrige körperliche Zustände habe er nicht festgestellt. Die psychomentalen Funktionsbeeinträchtigungen seien im Behandlungsverlauf überwiegend leicht bis mittelgradig einzuschätzen. Im Rahmen wiederholter akuter Verschlechterungen hätten vorübergehend auch schwere Funktionsbeeinträchtigungen bestanden. Es leite sich daraus ein GdB von mindestens 50 ab.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf einen Band Schwerbehindertenakten des Beklagten, einen Band des Sozialgerichts Heilbronn sowie die beim Senat angefallenen Akten verwiesen.
II.
Gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann der Senat - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind mit richterlicher Verfügung vom 07.12.2012 auf die in Betracht kommende Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG sowie deren Voraussetzungen hingewiesen worden und haben Gelegenheit erhalten, zur Sache und zum beabsichtigten Verfahren Stellung zu nehmen.
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 10.07.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.03.2009 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 70. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Zur weiteren Begründung nimmt der Senat zunächst auf die Gründe dieses Urteils Bezug, denen er sich nach erneuter Überprüfung anschließt, § 153 Abs. 2 SGG.
Im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren führt er ergänzend aus: Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen – welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören – zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 – 9 RVs 15/96 – BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 – B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3 3870 § 4 Nr. 1).
Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 mwN). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, aaO, RdNr 30).
Nach diesen Kriterien sind die Beschwerden der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet mit einem GdB von jedenfalls nicht mehr als 70 zu bewerten. Nach Nr. 3.7 Teil B VG, der im Wesentlichen Nr. 26.3 AHP entspricht, wird ein schizophrener Residualzustand mit Konzentrationsstörung, Kontaktschwäche, Vitalitätseinbuße und affektiver Nivellierung bei geringen und einzelnen Restsymptomen ohne soziale Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 10 bis 20, bei leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 30 bis 40 und bei mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 50 bis 70 bewertet. Erst bei schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten wird ein GdB von 80 bis 100 angenommen. Die Klägerin leidet nach den beiden Zeugenaussagen des Psychiaters H. an einem ständigen Überforderungs- und Insuffizienzerleben mit Reizbarkeit, Vergesslichkeit und erhöhten Fehlerquoten. Im Zusammenhang damit kommt es im privaten und beruflichen Bereich zu Konflikten, die zu akuten Belastungsreaktionen mit Vorstellung in seiner Sprechstunde führen. Sie hat auch psychosenahe Symptome mit nächtlichen Ängsten und körperlichen Missempfindungen im Kopfbereich sowie Beziehungsgedanken. Es kommt zu dysthymen bis depressiven Syndromen bei starkem Erschöpfungsgefühl kognitiven Leistungsdefiziten und Perseverationen. Diese Symptome ordnet Hr. H. als Psychose mit im Vordergrund stehendem Residualsyndrom ein. Die Klägerin ist insofern gerade noch in der Lage sich um ihre zwei Kinder zu kümmern, nimmt dazu aber Unterstützung durch ihre Mutter in Anspruch. Einen Freundeskreis kann sie nicht aufrecht erhalten. Wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat, sind diese Beschwerden in Übereinstimmung mit der überzeugenden Einschätzung des Psychiaters H. unter die mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einzuordnen, für die ein höherer GdB als der bereits anerkannte GdB von 70 nicht zuerkannt werden kann. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sich gegenüber den dem Bescheid vom 22.03.2005 zugrundeliegenden Verhältnissen insofern wesentliche Verschlechterungen im Gesundheitszustand der Klägerin ergeben haben. Auch die Tatsache, dass die Klägerin einer dauernden medikamentösen Behandlung durch Medikamente bedarf, führt nicht zu einer höheren Bewertung, denn der Bedarf an Medikamenten ist typischerweise mit einem Residualsyndrom mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten verbunden und durch den Verordnungsgeber in dem GdB von 50-70 bereits berücksichtigt. Eine zusätzliche Berücksichtigung würde zu einer Doppelbewertung führen.
Die Beschwerden von Seiten des Bluthochdrucks bedingen keinen GdB von mindestens 10. Nach Nr. 9.3 Teil B VG (Nr. 26.9 AHP) wird eine Hypertonie leichter Form ohne oder mit geringen Leistungsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 0 bis 10 bewertet. Eine mittelschwere Form mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades bedingt einen GdB von 20 bis 40. Bei der Klägerin liegt ein Bluthochdruck vor, der unter Medikation nach den Angaben der behandelnden Hausärztin im Normbereich liegt. Ein GdB von mindestens 10 ergibt sich daraus nicht.
Auch das Schilddrüsenleiden der Klägerin bedingt keinen GdB von 10. Die behandelnde Hausärztin hat insofern lediglich eine latente Schilddrüsenunterfunktion angegeben. Diese wird mit Medikamenten erfolgreich behandelt. Ein GdB von wenigstens 10 ergibt sich daraus nach Nr. 15.6 Teil B VG (Nr. 26.15 AHP) nicht.
Wie das SG zutreffend ausgeführt hat ist eine GdB-relevante Diabeteserkrankung ebenfalls nicht gegeben, denn bisher sind nur vereinzelt Blutzuckererhöhungen in der Selbstmessung aufgetreten, der Langzeitblutzucker ist im Normbereich.
Der für das psychiatrische Leiden festzustellende GdB von 70 bildet deshalb gleichzeitig den Gesamt-GdB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
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