L 1 KR 50/11 KL

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 50/11 KL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Verstoß allein gegen die haushaltsrechtliche Ausschreibungspflicht rechtfertigt nicht die aufsichtsrechtliche Anordnung, den unter diesem Verstoß geschlossenen Vertrag umgehend zu kündigen.
Der Bescheid der Beklagten vom 14. März 2011 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist die Rechtmäßigkeit eines aufsichtsrechtlichen Verpflichtungsbescheides.

Die klagende SECURVITA BKK ist eine bundesunmittelbare und für Betriebsfremde geöffnete Betriebskrankenkasse mit Sitz in H ... Sie geht als Betriebskrankenkasse zurück auf die S. Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte mbH (im Folgenden: S. GmbH), die Teil der 1984 von Herrn T.M. gegründeten Unternehmensgruppe S. ist. Die S. GmbH, deren Alleingesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer T.M. war und ist, ist das Satzungs- bzw. Trägerunternehmen der 1996 gegründeten Klägerin, deren Verwaltungsratsvorsitzender T.M. auch war und ist. Mit der S. GmbH schloss die Klägerin eine Reihe von Verträge; fünf davon sind Streitgegenstand in den Senatsverfahren L 1 KR 47/11 KL bis L 1 KR 51/11 KL.

Im Jahr 1994 meldete T.M. das Zeichen "S.", im Jahr 1997 die S. GmbH die – graphisch veränderte – Marke "S." und im Jahr 2002 die S. GmbH die – erneut graphisch veränderte – Marke "S." beim Deutschen Patentamt an und wurden Zeichen und Marken jeweils eingetragen. Mit Schreiben vom 17. Dezember 1996 erklärte T.M. als Geschäftsführer der S. GmbH und der S. Versicherungsmakler GmbH gegenüber der Beklagten, dass die Klägerin – vereinigte SECURVITA BKK – auf Dauer und unwiderruflich das Recht zur Nutzung des Namens "S." erhalte.

Die Klägerin schloss am 1. Juli 1999 mit der S. GmbH einen Vertrag über die Bereitstellung und Pflege eines Internet-Servers zwecks Hosting der Domain "www. S ...de" für die Klägerin durch die S. GmbH (im Folgenden: Vertrag "Internet-Server"). Die Preise betrugen ohne Mehrwertsteuer: - Einrichtungspauschale (einmalig) 150 DM, - Basis-Bereitstellungsgebühr (monatlich) 120 DM, - Festplattenspeicher (je 10 MB monatlich) 20 DM, - Datentransfervolumen je angefangene 100 MB 25 DM, - Aktualisierung der Web-Seiten (je Arbeitsstunde). 75 DM.

Nach Angaben der Klägerin wandte sie im Jahr 2010 einen Betrag in Höhe von 34.015 EUR für die Durchführung dieses Vertrags auf; im Jahr 2011 seien keine Kosten entstanden, für das Jahr 2012 seien keine geplant. Nach Auskunft der Klägerin würden die Leistungen des Vertrags aber nach wie vor in Anspruch genommen, Zahlungsansprüche seien von der S. GmbH seit 2011 bis heute jedoch nicht mehr geltend gemacht worden.

Die Aufsichtsprüfung der Beklagten bei der Klägerin, inwieweit – in diesem und in anderen Fällen – bei der Auftragsvergabe an die S. GmbH den vergaberechtlichen Bestimmungen entsprochen wurde, endete mit der Feststellung einer Rechtsverletzung durch Verstoß gegen das Vergaberecht und mündete in die Einleitung aufsichtsrechtlicher Maßnahmen nach § 89 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) hinsichtlich der fünf in den Senatsverfahren L 1 KR 47/11 KL bis L 1 KR 51/11 KL streitbefangenen Verträge mit dem Ziel, die Behebung der Rechtsverletzung durch umgehende Beendigung der unter Verstoß gegen das Vergaberecht zustande gekommenen Verträge zu erreichen.

Mit aufsichtsrechtlichem Beratungsschreiben der Beklagten nach § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV vom 16. November 2010 wies diese die Klägerin darauf hin, dass sie bei der Auftragsvergabe den vergaberechtlichen Bestimmungen nicht Rechnung getragen und damit das Recht verletzt habe. Die Beklagte forderte die Klägerin auf, den rechtswidrigen Zustand durch umgehende Beendigung des Vertrags zu beseitigen und die Beklagte über alle künftigen Verträge mit der S. GmbH vor Vertragsabschluss zu informieren. Die Klägerin erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 3. Dezember 2010.

Mit Antwortschreiben vom 3. Dezember 2010 nahm die Klägerin – zu diesem Beratungsschreiben und zu den in den weiteren vier parallel gelagerten Aufsichtsprüfungen – Stellung. Sie zeigte sich zunächst verwundert, dass der Vertrag zum wiederholten Male zum Gegenstand einer aufsichtsrechtlichen Beratung gemacht werde, obwohl anlässlich früherer Prüfungen nach § 274 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) die Angelegenheit von der Beklagten als erledigt angesehen worden sei. Von einer Aufhebung des Vertrags sei keine Rede gewesen. Sodann vertrat die Klägerin die Auffassung, eine Ausschreibungspflicht nach der Verordnung über das Haushaltswesen in der Sozialversicherung (SVHV) habe nicht bestanden. Einer Ausschreibungspflicht nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SVHV stünden schon markenrechtliche Gründe entgegen, nach denen die Klägerin sich bei der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen an die Vorgabe halten müsse, das Recht an der Marke S. nicht an Dritte zur Nutzung oder Verwendung zu übertragen. Der S. GmbH komme insoweit ein Alleinstellungsmerkmal zu. Schließlich wäre – bei Unterstellung eines Rechtsverstoßes – die von der Beklagten geforderte umgehende Beendigung des geschlossenen Vertrags unverhältnismäßig. Denn diese würde eine Vertragsverletzung darstellen und zu Schadenersatzansprüchen der S. GmbH führen. Dies müsse in die Wahl eines verhältnismäßigen Aufsichtsmittels einbezogen werden. Bei Annahme eines Rechtsverstoßes käme allenfalls in Betracht, von einer Vertragsverlängerung zum nächstmöglichen Zeitpunkt abzusehen.

Durch Verpflichtungsbescheid vom 14. März 2011 verfügte die Beklagte unter Berufung auf § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV:

"Die SECURVITA BKK wird verpflichtet, den Vertrag zwischen der SECURVITA BKK und der S. Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte mbH 1. Juli 1999 hinsichtlich der Bereitstellung und Pflege eines Internet-Servers zum Hosting der Domain "www. S.-bkk.de" umgehend, spätestens zum 1. August 2011, zu beenden."

Die Beklagte vertrat die Auffassung, es liege ein Rechtsverstoß vor, der ein aufsichtsrechtliches Einschreiten nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV zur Folge habe. Zunächst stehe dem Verpflichtungsbescheid nicht der Einwand entgegen, dass der Vertrag bereits durch die Aufsicht geprüft worden sei. Denn dieser Einwand verkenne die unterschiedlichen Zielsetzungen der Prüfung nach § 88 SGB IV und nach § 274 SGB V. Auch sei der streitbefangene Vertrag noch nicht einmal Gegenstand einer Prüfung nach § 274 SGB V gewesen. Der Vertrag sei nach § 22 Abs. 1 SVHV öffentlich auszuschreiben gewesen. Denn es seien keine Umstände bekannt noch ersichtlich, die ein Abweichen von der Beachtung der Soll-Vorschrift erlaubt haben würden. Dem Primat der öffentlichen Ausschreibung habe die Klägerin bei der Vergabe der IT-Dienstleistungen nicht Rechnung getragen. Zudem habe sie die Direktvergabe noch nicht einmal in einem Vergabevermerk begründet. Hierin liege auch ein Verstoß gegen ihre Dokumentationspflicht. Die nachträgliche Begründung sei haltlos. Ein Alleinstellungsmerkmal der S. GmbH aufgrund eines Ausschließlichkeitsrechts sei nicht erkennbar. Denn aufgrund eines solchen Rechts dürfte nur ein einziges Unternehmen in der Lage sein, den Auftrag auszuführen. Dies sei hier nicht der Fall. Für die Bereitstellung und Pflege eines Internet-Servers sowie für Aktualisierungsdienste von Web-Seiten gebe es einen Markt.

Komme ein Versicherungsträger der vorhergehenden Beratung nach § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV über die Behebung einer Rechtsverletzung innerhalb einer angemessenen Frist nicht nach, könne ihn die Aufsichtsbehörde nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV verpflichten, die Rechtsverletzung zu beheben. Von einem aufsichtsrechtlichen Einschreiten könne hier auch unter Berücksichtigung des Opportunitätsgrundsatzes nicht abgesehen werden. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bleibe gewahrt. Die Auftragsvergabe sei nicht haushaltsrechtskonform gewesen und dieser Rechtsverstoß dauere an. Erst mit der Beendigung des Vertrags, zu der die Klägerin durch diesen Bescheid verpflichtet werde, werde der rechtswidrige Zustand beseitigt. Durch den Verpflichtungsbescheid werde unter Beachtung des Gebots der Geeignetheit der angestrebte Erfolg gefördert. Der Bescheid sei zugleich erforderlich und angemessen. Die Beseitigung der Rechtsverletzung lasse sich nicht durch ein milderes Mittel erreichen. Die öffentlichen Belange seien in erheblichem Maße verletzt und das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes gehe dem Interesse der Klägerin am Fortbestand des Vertrags vor. Denn zum einen sei die Klägerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts verpflichtet, sich bei Vertragsabschlüssen innerhalb des rechtlich vorgegebenen Rahmens zu halten. Zum anderen drohe durch das Andauern eines in vergaberechtswidriger Weise zustande gekommenen Vertrags ein nicht unerheblicher Schaden. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Vorsitzende des Verwaltungsrates der Klägerin zugleich Gesellschafter-Geschäftsführer des durch den Vertrag begünstigten Unternehmens sei. Wegen des Verstoßes gegen die Grundprinzipien der öffentlichen Auftragsvergabe sowie der hier gegebenen Interessenkollision des T.M. infolge seiner Doppelfunktion sei ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden zulasten der Klägerin nicht auszuschließen und ein Ansehens- und Vertrauensverlust zulasten des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung zu besorgen, wenn der unter Verstoß gegen rechtliche Vorgaben zur öffentlichen Ausschreibung zustande gekommene Vertrag nicht beendet werde. Lediglich von einer Verlängerung zum nächstmöglichen Zeitpunkt abzusehen, greife zu kurz. Es handele sich um einen unbefristeten Vertrag. Der rechtswidrige Zustand würde damit auf Dauer fortwähren. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der S. GmbH bei einer Beendigung des Vertrags – spätestens zum 1. August 2011 – Schadenersatzansprüche gegenüber der Klägerin zustünden. Mit der Einräumung einer Übergangsfrist bis zum 1. August 2011 werde dem Verhältnismäßigkeitsprinzip insoweit Rechnung getragen, als die Klägerin hierdurch bei anhaltendem Beschaffungsinteresse die Möglichkeit erlange, ein Vergabeverfahren entsprechend den haushaltsrechtlichen Bestimmungen durchzuführen.

Gegen diesen Verpflichtungsbescheid hat die Klägerin am 12. April 2011 Klage erhoben und sodann zunächst vorgetragen, die Verpflichtung, den Vertrag umgehend, spätestens bis zum 1. August 2011, zu beenden, sei mittlerweile auf etwas Unmögliches gerichtet, da sie dieser Verpflichtung schon wegen Zeitablaufs nicht mehr nachkommen könne. Es spreche viel dafür, dass sich das Verfahren zwischenzeitlich erledigt habe. Von ihr könne nur etwas verlangt werden, zu dem sie auch in der Lage sei. Da die im Tenor des Bescheides seinem Wortlaut nach eindeutig festgelegte Frist aber verstrichen sei, gehe die Verpflichtung ins Leere.

Unabhängig hiervon sei der Verpflichtungsbescheid rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Der Vertrag "Internet-Server" verstoße nicht gegen § 22 Abs. 1 Satz 1 SVHV. Es lägen besondere Umstände vor, die es erlaubten, von einer Ausschreibung abzusehen. Aus den markenrechtlichen Vorgaben ergebe sich, dass sie wegen des Alleinstellungsmerkmals der S. GmbH bei der Vergabe von Dienstleistungen diese nicht ausschreiben müsse. Die Anwendung von § 22 Abs. 1 Satz 1 SVHV scheide damit aus. Der vergaberechtliche Schwellenwert habe 1999 rund 400.000 DM betragen. Er sei nie erreicht worden. Auch eine Pflicht zur öffentlichen Ausschreibung nach den Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) habe deshalb nie bestanden. Soweit die Beklagte ihren Bescheid auch auf das Unterlassen eines Vergabevermerks gestützt habe, sei dies nicht nachvollziehbar. Denn ein Vergabevermerk setze zwangsläufig ein durchgeführtes Vergabeverfahren voraus, ein solches habe aber nicht stattgefunden. Zudem sei ein Vergabevermerk auch entbehrlich gewesen, weil die Leistung schon nicht hätte ausgeschrieben werden müssen.

Außerdem sei die Aufsichtsmaßnahme unverhältnismäßig. Der Vertrag gelte auf unbestimmte Zeit und sehe eine Kündigung zwischen dem 16. März 2011 (Eingang des Verpflichtungsbescheides) und dem 1. August 2011 (Zeitpunkt, zu dem der Vertrag hätte beendet werden sollen) nicht vor. Die Klägerin sei daher unverändert an den Vertrag gebunden. Dessen einseitige Beendigung stelle eine Vertragsverletzung dar, die zu Schadenersatzansprüchen der anderen Vertragspartei führe.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 14. März 2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat im Wesentlichen erwidert, entgegen der Auffassung der Klägerin habe sich der Verpflichtungsbescheid nicht erledigt. Eine Erledigung des Verpflichtungsbescheides könne nicht dadurch bewirkt werden, dass der angeordneten Verpflichtung nicht fristgemäß nachgekommen werde. Gründe für ein Alleinstellungsmerkmal, welche aus markenrechtlichen Gründen eine Direktvergabe an die S. GmbH rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Das Nutzungsrecht an der Marke "S." habe nichts mit einer Pflicht, Verträge nur mit der S. GmbH abzuschließen, zu tun. Auch der fehlende Vergabevermerk stelle einen Rechtsverstoß dar. Gerade weil nach Auffassung der Klägerin die Leistung nicht habe ausgeschrieben werden müssen, komme dem Vergabevermerk eine besondere Bedeutung zu. Es gehöre zu einer ordnungsgemäßen Dokumentation insbesondere die Begründung für eine Abweichung vom Grundsatz einer Ausschreibung. Diesem Erfordernis habe die Klägerin nicht Rechnung getragen. Eine Beendigung des Vertrags sei auch nicht mit Blick auf eventuelle Schadenersatzansprüche der S. GmbH unzumutbar. Schadenersatzansprüche seien nicht erkennbar. Auf unbestimmte Zeit geschlossene Verträge könnten durch Kündigung mit Wirkung für die Zukunft beendet werden. Im Übrigen habe die Beklagte es der Klägerin freigestellt, auf welchem Weg sie eine Beendigung des Vertrags herbeiführe. Es komme auch ein Auflösungsvertrag in Betracht.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Akte der Beklagten sowie der ausweislich der Sitzungsniederschrift beigezogenen Akten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage vor dem Landessozialgericht ist statthaft und form- und fristgerecht erhoben. Es handelt sich um eine Aufsichtsangelegenheit (§ 29 Abs. 2 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG); das Landessozialgericht ist erstinstanzlich zuständig. Die Anfechtung des Verpflichtungsbescheides ist als Aufsichtsklage nach § 54 Abs. 3 SGG zulässig. Danach kann eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, dass die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite. Dies ist hier der Fall, denn die Klägerin bestreitet die Rechtmäßigkeit des Verpflichtungsbescheides. Der vorherigen Durchführung eines Vorverfahrens bedurfte es nicht (§ 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGG).

Die Aufsichtsklage ist auch begründet.

Zwar ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht bereits eine Erledigung des Verpflichtungsbescheides durch Zeitablauf eingetreten. Dem Bescheid ist bei sachgerechter Auslegung von Verfügungssatz und Begründung nach wie vor die Anordnung zu entnehmen, den streitbefangenen Vertrag umgehend zu beenden. Ersichtlich hängt diese Verpflichtung in ihrem Bestand nicht von der im Verfügungssatz des Bescheides auch formulierten Frist für ihre Erfüllung ab. Es ist auch nicht etwa unbestimmt, was nach Ablauf der Frist von der Klägerin verlangt wird: Sie soll den Vertrag schlicht umgehend beenden.

Rechtsgrundlage des Verpflichtungsbescheides ist § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. § 89 Abs. 1 SGB IV, der die Aufsichtsmittel regelt, sieht ein gestuftes Verfahren vor. Satz 1 regelt die aufsichtsrechtliche Beratung: Wird durch das Handeln oder Unterlassen eines Versicherungsträgers das Recht verletzt, soll die Aufsichtsbehörde zunächst beratend darauf hinwirken, dass der Versicherungsträger die Rechtsverletzung behebt. Satz 2 regelt hieran anschließend die aufsichtsrechtliche Verpflichtung: Kommt der Versicherungsträger dem innerhalb angemessener Frist nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde den Versicherungsträger verpflichten, die Rechtsverletzung zu beheben. Satz 3 bis 5 regeln die Durchsetzung der Verpflichtung im Wege des Verwaltungszwangs.

Eine vorherige Beratung im Sinne des § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat hier stattgefunden. Die Beratung muss sich an das Organ des Versicherungsträgers richten, welches die angenommene Rechtsverletzung zu verantworten hat (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 40). Dieses ist hier zu Recht der Vorstand, weil dieser die Krankenkasse verwaltet und sie gerichtlich und außergerichtlich vertritt (§ 35a Abs. 1 Satz 1 SGB IV).

Die Beratung erfordert eine Darlegung der dem Versicherungsträger möglichen Maßnahmen, mit welchen er in rechtlich zulässiger Weise die nach Meinung der Aufsichtsbehörde vorliegende Rechtsverletzung beheben kann (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 43). Aus ihrer Verpflichtung zu kooperativem Verhalten gegenüber dem Versicherungsträger als Selbstverwaltungskörperschaft folgt, dass die Aufsichtsbehörde im Zusammenwirken mit dem Versicherungsträger und nicht gegen ihn nach einer sachgerechten und dem Gesetz entsprechenden Lösung etwaiger Rechtskonflikte suchen muss (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 47). Allerdings besteht angesichts der grundsätzlichen Beschränkung auf eine Rechtsaufsicht keine Verpflichtung der Aufsichtsbehörde zu einer fachlich versierten Beratung (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 48).

Hier hat sich die Beratung durch die Beklagte auf nur eine Maßnahme beschränkt. Doch ist dies an dieser Stelle nicht zu beanstanden; denn wenn die Beklagte den Rechtsverstoß im Vertragsschluss unter Verstoß gegen das Haushaltsrecht sieht, ist die Beendigung des Vertrags das im Beratungsverfahren anzukündigende Aufsichtsmittel der Wahl zur Beendigung eines angenommenen nach wie vor haushaltsrechtswidrigen Zustands.

Der im aufsichtsrechtlichen Beratungsschreiben der Beklagten vom 16. November 2010 ausgesprochenen Aufforderung, den im Schreiben dargestellten und nach Meinung der Beklagten rechtswidrigen Zustand durch umgehende Beendigung des Vertrages zu beseitigen, kam die Klägerin nicht nach. Zwar lässt sich durchaus zweifeln, ob ihr die Beklagte hierfür eine angemessene Frist gesetzt hatte, innerhalb der die Klägerin der Aufforderung nicht nachkam. Doch verband die Beklagte die Aufforderung zur umgehenden Beendigung des Vertrags damit, sie sehe der Mitteilung des Veranlassten bis zum 3. Dezember 2010 entgegen. Und die Klägerin machte mit ihrem Antwortschreiben vom 3. Dezember 2010 deutlich, dass sie der Aufforderung nicht nachkommen werde. Eines weitergehenden Schutzes durch eine angemessene Fristbestimmung schon im Beratungsverfahren bedurfte sie danach nicht, zumal die Beklagte den an die Beratung anschließenden Verpflichtungsbescheid erst am 14. März 2011 erließ.

Der Verpflichtungsbescheid nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV setzt eine Rechtsverletzung durch ein Handeln oder Unterlassen der Klägerin voraus. Der Begriff des Rechts zielt hier auf die Beachtung von Gesetz und sonstigem Recht, das für die Versicherungsträger maßgebend ist (§ 87 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Eine Rechtsverletzung liegt dann vor, wenn der Versicherungsträger gegen zwingende Vorschriften in für ihn maßgeblichen Gesetzen oder sonstigem Recht verstoßen hat, diese also falsch angewandt oder nicht beachtet hat (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 17).

Diese Rechtsverletzung liegt hier in der vertraglichen Vergabe der Dienstleistung Internet-Server an die S. GmbH ohne öffentliche Ausschreibung nach § 22 Abs. 1 SVHV. Das Vergaberecht nach dem GWB kam hier dagegen auch nach Auffassung der Beklagten schon deshalb nicht zur Anwendung, weil der Schwellenwert nicht überschritten war. Im Streit sind daher vorliegend allein die Rechtsfolgen einer Verletzung der Ausschreibungspflicht nach Haushaltsrecht.

Diese Rechtsverletzung liegt in der Tat vor, denn der Vertrag war 1999 nicht ausgeschrieben worden. Die haushaltsrechtliche Ausschreibungspflicht ist in § 22 Abs. 1 SVHV geregelt, der sich an § 55 der Bundeshaushaltsordnung (BHO) anlehnt. Sie findet insbesondere bei Verträgen unterhalb der Schwellenwerte Anwendung (vgl. Pache, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 2011, § 55 BHO Rn. 103; vgl. insoweit auch Brandts/Wirth/Held, Haushaltsrecht der Sozialversicherung, § 22 SVHV Rn. 1a, 31).

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SVHV soll (nunmehr: muss, geändert durch 1. SVHV-ÄndV vom 30. Oktober 2000) dem Abschluss von Verträgen über Lieferungen und Leistungen mit Ausnahme der Verträge, die der Erbringung gesetzlicher oder satzungsmäßiger Versicherungsleistungen dienen, eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen. Hiervon kann nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SVHV abgesehen werden, sofern die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände dies rechtfertigen. Diese haushaltsrechtliche Ausschreibungspflicht findet danach insbesondere auf Lieferungen und Leistungen Anwendung, die für den Verwaltungsapparat der gesetzlichen Krankenkassen erforderlich sind. Hierzu zählen Beschaffungsvorgänge hinsichtlich Büroausstattung, EDV, Bau- und Sanierungsaufträge hinsichtlich der Verwaltungsgebäude sowie sonstige im Zusammenhang mit der Verwaltung erforderlich werdende Beschaffungsvorgänge (Boldt, NJW 2005, 3757). Die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände lassen eine Ausnahme annehmen, wenn die Eigenart des auszuschreibenden Leistungsgegenstandes keine Ausschreibung zuließe (Kunze/Kreikebohm, NZS 2003, 5, 11).

Am Vorliegen einer hiernach bestehenden Ausschreibungspflicht lässt sich vorliegend nicht zweifeln. Die Dienstleistung "Internet-Server" dient nicht der Erbringung gesetzlicher oder satzungsmäßiger Versicherungsleistungen. Vielmehr handelt es sich einen verwaltungsbezogenen Beschaffungsvorgang. Atypische Umstände, um von der Soll-Vorgabe des § 22 Abs. 1 Satz 1 SVHV abzuweichen, oder besondere Umstände im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 2 SVHV liegen nicht vor. Sie liegen entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht im Markenrecht. Denn die Dienstleistung des Hosting der Internet-Domain der Klägerin kann jeder geeignete Dritte erbringen, ohne damit zugleich die Marke der S. GmbH verletzen zu müssen.

Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die haushaltsrechtliche Ausschreibungspflicht nach § 22 Abs. 1 SVHV ist aber grundsätzlich weder die Unwirksamkeit des unter diesem Verstoß geschlossenen Vertrags noch die Eröffnung der Rechtsmacht der Aufsichtsbehörde, die Beendigung des Vertrags durchzusetzen.

Wird die Pflicht zur Ausschreibung aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SVHV vom Auftraggeber nicht beachtet und ein Auftrag freihändig vergeben, obwohl die Voraussetzungen für eine nur ausnahmsweise zulässige freihändige Vergabe nicht vorliegen, oder wird das Vergabeverfahren in sonstiger Weise nicht ordnungsgemäß geführt, so hat dies keine direkten Auswirkungen, insbesondere ist der zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer geschlossene Vertrag grundsätzlich wirksam. Eine Nichtigkeit des Vertrags kommt nur ausnahmsweise in Betracht, denn eine explizit die Vertragsnichtigkeitsfolge für solche Fälle herbeiführende Regelung existiert nicht (vgl. Pache, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 2011, § 55 BHO Rn. 119). Eine § 101b GWB vergleichbare allgemeine Regelung, nach der – unter den dort näher geregelten Voraussetzungen – Verstöße gegen das Vergaberecht zur Unwirksamkeit vergaberechtswidrig geschlossener Verträge führen können, enthält § 22 SVHV und enthalten auch im Übrigen die SVHV und das SGB IV für Verstöße gegen das Haushaltsrecht nicht. Auch das GWB kennt die Unwirksamkeitsregelung in dieser Form im Übrigen erst seit dem 24. April 2009.

Zwar kann sich ausnahmsweise eine Nichtigkeit aus allgemein zivilrechtlichen Vorschriften ergeben. Denkbar ist ein Verstoß gegen ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), etwa gegen Art. 108 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union für den ausnahmsweisen Fall einer Beihilfe. Die haushaltsrechtliche Vorschrift zur Ausschreibungspflicht selbst stellt aber kein Verbotsgesetz dar. Schließlich ist im Einzelfall eine Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB denkbar, wenn Auftraggeber und Auftragnehmer kollusiv zusammenwirken und das haushaltsrechtliche Vergaberecht bewusst missachtet wird (vgl. Pache, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 2011, § 55 BHO Rn. 120). Allenfalls an Letzteres ließe sich hier denken. Doch fehlen hinreichende tatsächliche Anknüpfungspunkte dafür, dass die Klägerin und die S. GmbH sich zur Missachtung der haushaltsrechtlichen Ausschreibungspflicht zusammengeschlossen haben. Die Beklagte hat entsprechende Tatsachen auch nicht in ihrem Verpflichtungsbescheid aufgeführt. Sicher wollte die Klägerin den Vertrag nur mit der S. GmbH schließen. Dies allein begründet aber noch kein kollusives Verhalten derart, dass es die Nichtigkeitsfolge des § 138 Abs. 1 BGB begründen könnte. Der Vertrag ist also wirksam.

Ein Verstoß nur gegen die haushaltsrechtliche Ausschreibungspflicht, der den unter diesem Verstoß zustande gekommenen Vertrag in seiner Wirksamkeit unberührt lässt, rechtfertigt aber eine aufsichtsrechtliche Verpflichtung, diesen Vertrag umgehend zu beenden, nicht. Das Aufsichtsrecht soll zwar zur Behebung von Rechtsverletzungen dienen. Die eigentliche Rechtsverletzung durch die vor Jahren erfolgte freihändige Vergabe kann aber nicht mehr behoben werden. Und die "Behebung" durch Beendigung des Vertrags hat eine deutlich überschießende Tendenz, jedenfalls dann, wenn rechtlich im Übrigen gegen den Vertrag nichts zu erinnern ist. So aber liegt es hier, denn dass der Vertrag nach seinem Inhalt rechtlich keinen Bestand haben könnte, drängt sich weder auf noch findet sich dazu etwas in den Ausführungen der Beklagten. Es kommt daher insoweit die Verpflichtung der Klägerin zur Vertragsbeendigung als mögliche aufsichtsrechtliche Rechtsfolge nicht in Betracht.

Ermessensgesichtspunkte kämen hinzu. Da es sich bei der aufsichtsrechtlichen Verpflichtung zur Behebung einer Rechtsverletzung um eine Ermessensentscheidung handelt, müssen sowohl das Entschließungsermessen als auch das Auswahlermessen durch die Beklagte rechtmäßig ausgeübt worden sein (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 89 Rn. 61 f.).

Die Beklagte hat sich entschlossen, die Klägerin zur umgehenden Beendigung des bereits 1999 geschlossenen Vertrags zu verpflichten. Die Aufsichtsbehörde ist aber bei schon länger zurückliegenden Rechtsverstößen nicht unbedingt zum Einschreiten verpflichtet (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 87 Rn. 32, § 89 Rn. 64). Sie hat bei der Wahrnehmung ihrer Befugnisse den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (Engelhard, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 87 Rn. 35). Hier liegt es so, dass der Verpflichtungsbescheid unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft ist. Er verletzt das Gebot aufsichtsrechtlicher Zurückhaltung. Denn in den Blick zu nehmen ist zum einen, dass der Vertragsschluss und mit ihm die vorangegangene Rechtsverletzung durch freihändige Vergabe mit dem Jahr 1999 lange zurückliegen. Inhaltliche Einwände gegen den Vertrag hat die Beklagte zum anderen nicht geltend gemacht. Mit der unbedingten Verpflichtung der Klägerin zur umgehenden Vertragsbeendigung hat die Beklagte dennoch die denkbar strengste aufsichtsrechtliche Verpflichtung gewählt. Auf den Verstoß gegen die haushaltsrechtliche Ausschreibungspflicht lässt sich die Verpflichtungsanordnung der Beklagten mithin auch deshalb nicht stützen.

Offen kann bleiben, ob für die Klägerin eine Pflicht zur Dokumentation, dass und warum kein Ausschreibungsverfahren durchgeführt worden ist, bestanden hat. Denn allein ein Verstoß gegen eine Dokumentationspflicht rechtfertigte ohnehin nicht die aufsichtsrechtlich verfügte Verpflichtung zur Vertragsbeendigung. Dies wäre offenkundig unverhältnismäßig.

Soweit schließlich der Bescheid der Beklagten seinen eigentlichen Anlass weniger in der Durchsetzung des Haushaltsrechts als in der besonderen – und durchaus auch unguten – Gemengelage hat, die das Verhältnis zwischen der Klägerin und der S. GmbH prägt und die in den verschiedenen Rollen des T.M. ihren Ausdruck findet, rechtfertigt auch diese Gesamtschau nicht den hier angefochtenen einzelnen Verpflichtungsbescheid.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung. Die Befreiung der Beklagten von der Tragung von Gerichtskosten folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes.

Die Revision war zulassen.
Rechtskraft
Aus
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