Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 8 R 329/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 220/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 27. Mai 2011 wird aufgehoben und die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 07. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 2008 verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe erst ab dem 01. November 2006 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin 1/3 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ab welchem Zeitpunkt der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen ist.
Die am ... 1945 geborene Klägerin, die zuletzt als technische Zeichnerin (Elektrozeichnerin) tätig gewesen war, war seit dem 01. Februar 2005 arbeitslos. Sie führte vom 28. Februar 2006 bis 04. April 2006 eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme im Reha-Zentrum B. S. durch. Nach dem ärztlichen Entlassungsbericht der Einrichtung vom 03. April 2006 betrug ihr Leistungsvermögen in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als technische Zeichnerin unter 3 Stunden täglich und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 3 bis unter 6 Stunden täglich. Im Anschluss an die Maßnahme war die Klägerin arbeitsunfähig und erhielt Krankengeld von ihrer Krankenkasse.
Die beigeladene Krankenkasse forderte die Klägerin am 15./18. September 2006 auf, bis zum 06. Dezember 2006 einen weiteren Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation bei der Beklagten zu stellen und sandte ihr das Antragsformular mit ihrer Bestätigung vom 15. September 2006 zu. Diesen Antrag reichte die Klägerin über die Beigeladene bei der Beklagten ein, wo er am 14. November 2006 einging. Mit Bescheid vom 30. Januar 2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine weitere medizinische stationäre Rehabilitationsmaßnahme, die diese vom 22. Februar 2007 bis zum 18. April 2007 in der M.-Klinik B. K. durchführte. Nach dem ärztlichen Entlassungsbericht der Einrichtung vom 23. April 2007 betrug ihr Leistungsvermögen als Kabelplanzeichnerin und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter drei Stunden täglich.
Am 10. Juli 2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten auf deren Anregung hin eine Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Schreiben vom 06. August 2007 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihre Erwerbsfähigkeit seit dem 28. Februar 2006 auf Dauer voll eingeschränkt sei. Daraus ergäbe sich ein Rentenanspruch ab dem 01. März 2006. Sie könne jedoch auch ihren am 15. September 2006 gestellten zweiten Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation mit einem Rentenbeginn ab dem 01. September 2006 als maßgeblichen Antrag bestimmen. Daraufhin teilte die Klägerin mit, dass sie mit beiden Zeitpunkten nicht einverstanden sei, sich aber hilfsweise für den späteren Rentenbeginn entscheide. Der zweite Reha-Antrag sei erst im November 2006 an die Beklagte versandt worden. Nach ihrer Auffassung sei als Rentenbeginnzeitpunkt der 01. März 2007 anzusehen.
Mit Bescheid vom 07. November 2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01. September 2006 bis zum 30. April 2010 (Beginn der Regelaltersrente) nach einem am 28. Februar 2006 eingetretenen Leistungsfall. Dabei verminderte sie wegen vorzeitiger Inanspruchnahme (20 Monate) den Zugangsfaktor von 1,0 um 0,060 (20 x 0,003) auf 0,940. Den dagegen am 21. November 2007 eingelegten Widerspruch – mit dem die Klägerin insbesondere vortrug, der Leistungsfall der Erwerbsminderung sei am 28. Februar 2006 noch nicht eingetreten gewesen – wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 2008 zurück.
Daraufhin hat die Klägerin am 19. Mai 2008 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben. Sie sei von ihrer Krankenkasse zur Antragstellung verpflichtet worden und habe nur hilfsweise von ihrem Bestimmungsrecht Gebrauch gemacht. Nun müsse sie erhebliche Rentenabschläge in Kauf nehmen. Nach der ersten Rehabilitationsmaßnahme sei sie noch nicht erwerbsgemindert gewesen. Vielmehr könne der Leistungsfall frühestens mit Beginn der zweiten Rehabilitationsmaßnahme im Februar 2007 angenommen werden. – Das SG hat am 25. März 2009 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Dort hat die Vertreterin der Beklagten erklärt, diese sei – entsprechend einer Stellungnahme der beratenden Ärztin Frau Dr. K. im Verwaltungsverfahren – bereit, von einem Leistungsfall am 22. Februar 2007 auszugehen. Voraussetzung wäre allerdings, dass die Krankenversicherung der Klägerin bereit wäre, den an diese ausgezahlten Erstattungsbetrag für den Zeitraum vom 01. September 2006 bis zum 21. Februar 2007 zurückzuzahlen. – Mit Beschluss vom 05. Mai 2010 hat das SG die Krankenkasse der Klägerin, die B. G. D., zu diesem Verfahren beigeladen. Diese hat erklärt, dass auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der Rentenbeginn zum 01. September 2006 korrekt sei. Vor dem SG hat die Klägerin auch beantragt, die Beigeladene zu verurteilen, ihr Krankengeld in gesetzlicher Höhe bis zum 28. Februar 2007 zu zahlen.
Mit Urteil vom 27. Mai 2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Beginn der Rentenleistung sei von der Beklagten zutreffend auf den 01. September 2006 festgesetzt worden. Der am 15. September 2006 gestellte Rehabilitationsantrag habe gemäß § 116 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) als Antrag auf Rente gegolten. Denn die Klägerin sei bereits zu diesem Zeitpunkt vermindert erwerbsfähig gewesen. Die ihr gewährte stationäre Rehabilitationsmaßnahme sei nicht erfolgreich gewesen, weil sie die verminderte Erwerbsfähigkeit nicht verhindert habe. Anspruchsvoraussetzung sei die verminderte Erwerbsfähigkeit. Damit sei entgegen der Auffassung der Klägerin nicht die volle Erwerbsminderung gemeint. Auf das subjektive Empfinden der Klägerin komme es nicht an. Deren Dispositionsfähigkeit sei durch die Aufforderung der Beigeladenen, einen Rentenantrag zu stellen, eingeschränkt gewesen. Dabei habe es sich um einen Verwaltungsakt gehandelt, so dass die Klägerin ihren Antrag auch nicht mehr hätte zurücknehmen können. An die Einschränkung der Dispositionsfreiheit der Klägerin durch die Beigeladene sei die Beklagte gebunden. Eine Verurteilung der Beigeladenen zur Zahlung von Krankengeld sei nicht möglich, denn die beiden Ansprüche würden nicht in Wechselwirkung zueinander stehen.
Gegen das am 21. Juni 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11. Juli 2011 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Sie hält weiterhin einen Rentenbeginn zum 01. März 2007 auf der Grundlage eines Leistungsfalls am 22. Februar 2007 für zutreffend. Nach der ersten Reha-Maßnahme sei sie zwar arbeitsunfähig gewesen, es habe aber keine Minderung oder Aufhebung ihrer Erwerbsfähigkeit vorgelegen. Deshalb sei der Leistungsfall am 28. Februar 2006 noch nicht eingetreten gewesen. Das SG habe den Entlassungsbericht der Reha-Einrichtung kritiklos übernommen. Dessen Einschätzung sei aber nicht eindeutig, wie die Einlassung der Vertreterin der Beklagten im Erörterungstermin vom 25. März 2009 belege. Dort sei ein Leistungsfall für den 22. Februar 2007 unter der Voraussetzung angeboten worden, dass die Beigeladene den bereits ausgezahlten Erstattungsanspruch für den Zeitraum vom 01. September 2006 bis zum 21. Februar 2007 zurückzahle.
Die Klägerin beantragt:
1.
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 27. Mai 2011 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 07. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr erst ab dem 01. März 2007 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund eines Leistungsfalles vom 22. Februar 2007 nach den gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
2.
Die Beigeladene zu verurteilen, ihr Krankengeld in gesetzlicher Höhe bis zum 28. Februar 2007 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 27. Mai 2011 zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch in der Form und Frist des § 151 SGG eingelegte Berufung ist teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin im Sinne der §§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, als darin ein Rentenbeginn bereits ab dem 01. September 2006 statt ab dem 01. November 2006 festgesetzt wird. Allerdings hat die Klägerin keinen Anspruch auf einen Rentenbeginn erst ab dem 01. März 2007 (nachfolgend 1.). Ein Anspruch auf Krankengeld gegen die Beigeladene kann sie in diesem Verfahren nicht durchsetzen (nachfolgend 2.).
1.
Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid vom 07. November 2007 den Beginn der Zahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung an die Klägerin unzutreffend bereits auf den 01. September 2006 festgesetzt. Die für einen Zahlbeginn erforderlichen Voraussetzungen haben erst am 01. November 2006 vorgelegen. Die §§ 115 Abs. 1 Satz 1, 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI verlangen dafür einen Rentenantrag. Ein solcher lag mit dem am 15. September 2006 bei der Beigeladenen gestellten Antrag auf Bewilligung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zwar grundsätzlich vor. Die Beklagte hat dabei aber § 115 Abs. 4 SGB VI nicht beachtet.
a)
Nach § 116 Abs. 2 Ziff. 2 SGB VI gilt ein Antrag auf Bewilligung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation grundsätzlich als Antrag auf Rente, wenn die Versicherte vermindert erwerbsfähig ist und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht erfolgreich gewesen sind, weil sie die verminderte Erwerbsfähigkeit nicht verhindert haben. Diese Voraussetzungen liegen hier dem Grunde nach vor.
Die Klägerin war am 28. Februar 2006 (Beginn der ersten stationären Rehabilitationsmaßnahme) vermindert erwerbsfähig. Für den Begriff der verminderten Erwerbsfähigkeit gelten die §§ 43, 240 SGB VI (Kater in Kassler Kommentar, § 116 SGB VI, Rdnr. 4). Nach dem Ärztlichen Entlassungsbericht des Reha-Zentrums B. St. vom 03. April 2006 betrug das tägliche zeitliche Leistungsvermögen der Klägerin für ihren bisherigen Beruf als technische Zeichnerin unter 3 Stunden, während es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 3 bis unter 6 Stunden betrug. Auf der Grundlage der erhobenen ärztlichen Befunde ist diese Bewertung schlüssig. Denn bei der Aufnahmeuntersuchung kam es im Bereich des rechten Handgelenkes zu einer Dorsalflexion, die einen Faustschluss nicht mehr möglich machte. Damit einher ging eine deutliche Kraftminderung im Bereich der rechten Hand und eine Störung der Feinmotorik. Dies rechtfertigt die Aussage, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin im Beruf einer technischen Zeichnerin, der eine gute Einsetzbarkeit der rechten Hand bedingt, unter 3 Stunden täglich gesunken war. Auch der Schluss der Ärzte, dass eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch 3 bis unter 6 Stunden täglich möglich war, ist nachvollziehbar und begründet sich ebenfalls mit den erheblichen Einschränkungen im Bereich der rechten Hand und des Armes. Damit war die Klägerin zu diesem Zeitpunkt jedenfalls teilweise erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI. Demgegenüber kann die Einschätzung der Beratungsärztin der Beklagten Dr. K. in ihrer Stellungnahme vom 17. Oktober 2007 nicht überzeugen. Denn warum nunmehr das Leistungsvermögen der Klägerin erst mit Antritt der zweiten Reha-Maßnahme am 22. Februar 2007 aufgehoben gewesen sein soll, lässt sich der Stellungsnahme nicht entnehmen, und ist auch auf dem Hintergrund der vorliegenden weiteren medizinischen Stellungnahmen nicht nachvollziehbar.
Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im Zeitraum vom 28. Februar 2006 bis zum 04. April 2006 waren auch nicht erfolgreich, da die Klägerin aus der Einrichtung mit einem unveränderten Leistungsbild entlassen worden ist.
b)
Trotz der Regelung des § 116 Abs. 2 SGB VI bleibt die Dispositionsbefugnis der Versicherten grundsätzlich erhalten. Dies bedeutet, dass sie einen fiktiven Rentenantrag im Sinne dieser Vorschrift auch wieder zurücknehmen kann (Kater, a.a.O., Rdnr 8, mit weiteren Nachweisen). Diese Dispositionsbefugnis gilt aber nicht uneingeschränkt. Hat ein Träger der gesetzlichen Krankenversicherung eine Versicherte im Rahmen von § 51 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) aufgefordert, innerhalb von zehn Wochen einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu stellen, so handelt es sich dabei um einen Verwaltungsakt, der zu einer Einschränkung der Dispositionsfreiheit der Versicherten führt (BSG, Urteil vom 26. Juni 2008 – B 13 R 141/07 R –, Rdnr. 23, juris). Dies hat auch zur Folge, dass ein Versicherter einen fiktiven Rentenantrag im Sinne von § 116 Abs. 2 SGB VI nur mit Zustimmung der Krankenkasse zurücknehmen kann (BSG, a.a.O., Rdnr. 25).
An einer solchen Zustimmung der Beigeladenen fehlt es hier. Vielmehr hat diese in ihrem Schreiben vom 21. Juni 2010 deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der gewählte frühere Rentenbeginn für sie dem geltenden Recht entspricht.
Der im Falle der Klägerin zu wählende Rentenbeginn ist jedoch erst der 01. November 2006. Dies folgt aus § 115 Abs. 4 Satz 2 SGB VI. Danach gilt die Zustimmung der Versicherten zur Durchführung einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation als Antrag auf Durchführung einer solchen Maßnahme. Diese kann in einen Rentenantrag nach § 116 Abs. 2 SGB VI umgedeutet werden (Schmidt in Kreikebohm, SGB VI, 3. Auflage, § 115 Rdnr. 32). Dies hat zur Folge, dass ein Rentenantrag der Klägerin erst mit dem Eingang ihrer Zustimmung bei der Beklagten im November 2006 vorgelegen hat, und der Rentenbeginn deshalb auf den 01. November zu datieren ist.
2.
Einen Anspruch auf Krankengeld gegen die Beigeladene für den Zeitraum vom 01. September 2006 bis zum 22. Februar 2007 kann die Klägerin in diesem Verfahren nicht erfolgreich geltend machen. Denn ein beigeladener Versicherungsträger kann nicht zu einer Leistung verurteilt werden, die sich nach Anspruchsgrund und Rechtsfolgen von der ursprünglich mit der Klage geforderten Leistung wesentlich unterscheidet (BSG, Urteil vom 08. Mai 2007 – B 2 U 3/06 R –, zitiert nach juris). Dies ist im Verhältnis einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit einerseits und Krankengeld andererseits nach Auffassung des Senats der Fall. Für den Zeitraum ab dem 01. November 2006 scheitert dies auch daran, dass neben einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht gleichzeitig Krankengeld gem. § 44 SGB V beansprucht werden kann. Denn nach § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V endet für Versicherte, die eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehen, ein Anspruch auf Krankengeld von Beginn dieser Leistung an.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin 1/3 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ab welchem Zeitpunkt der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen ist.
Die am ... 1945 geborene Klägerin, die zuletzt als technische Zeichnerin (Elektrozeichnerin) tätig gewesen war, war seit dem 01. Februar 2005 arbeitslos. Sie führte vom 28. Februar 2006 bis 04. April 2006 eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme im Reha-Zentrum B. S. durch. Nach dem ärztlichen Entlassungsbericht der Einrichtung vom 03. April 2006 betrug ihr Leistungsvermögen in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als technische Zeichnerin unter 3 Stunden täglich und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 3 bis unter 6 Stunden täglich. Im Anschluss an die Maßnahme war die Klägerin arbeitsunfähig und erhielt Krankengeld von ihrer Krankenkasse.
Die beigeladene Krankenkasse forderte die Klägerin am 15./18. September 2006 auf, bis zum 06. Dezember 2006 einen weiteren Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation bei der Beklagten zu stellen und sandte ihr das Antragsformular mit ihrer Bestätigung vom 15. September 2006 zu. Diesen Antrag reichte die Klägerin über die Beigeladene bei der Beklagten ein, wo er am 14. November 2006 einging. Mit Bescheid vom 30. Januar 2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine weitere medizinische stationäre Rehabilitationsmaßnahme, die diese vom 22. Februar 2007 bis zum 18. April 2007 in der M.-Klinik B. K. durchführte. Nach dem ärztlichen Entlassungsbericht der Einrichtung vom 23. April 2007 betrug ihr Leistungsvermögen als Kabelplanzeichnerin und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter drei Stunden täglich.
Am 10. Juli 2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten auf deren Anregung hin eine Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Schreiben vom 06. August 2007 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihre Erwerbsfähigkeit seit dem 28. Februar 2006 auf Dauer voll eingeschränkt sei. Daraus ergäbe sich ein Rentenanspruch ab dem 01. März 2006. Sie könne jedoch auch ihren am 15. September 2006 gestellten zweiten Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation mit einem Rentenbeginn ab dem 01. September 2006 als maßgeblichen Antrag bestimmen. Daraufhin teilte die Klägerin mit, dass sie mit beiden Zeitpunkten nicht einverstanden sei, sich aber hilfsweise für den späteren Rentenbeginn entscheide. Der zweite Reha-Antrag sei erst im November 2006 an die Beklagte versandt worden. Nach ihrer Auffassung sei als Rentenbeginnzeitpunkt der 01. März 2007 anzusehen.
Mit Bescheid vom 07. November 2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01. September 2006 bis zum 30. April 2010 (Beginn der Regelaltersrente) nach einem am 28. Februar 2006 eingetretenen Leistungsfall. Dabei verminderte sie wegen vorzeitiger Inanspruchnahme (20 Monate) den Zugangsfaktor von 1,0 um 0,060 (20 x 0,003) auf 0,940. Den dagegen am 21. November 2007 eingelegten Widerspruch – mit dem die Klägerin insbesondere vortrug, der Leistungsfall der Erwerbsminderung sei am 28. Februar 2006 noch nicht eingetreten gewesen – wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 2008 zurück.
Daraufhin hat die Klägerin am 19. Mai 2008 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben. Sie sei von ihrer Krankenkasse zur Antragstellung verpflichtet worden und habe nur hilfsweise von ihrem Bestimmungsrecht Gebrauch gemacht. Nun müsse sie erhebliche Rentenabschläge in Kauf nehmen. Nach der ersten Rehabilitationsmaßnahme sei sie noch nicht erwerbsgemindert gewesen. Vielmehr könne der Leistungsfall frühestens mit Beginn der zweiten Rehabilitationsmaßnahme im Februar 2007 angenommen werden. – Das SG hat am 25. März 2009 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Dort hat die Vertreterin der Beklagten erklärt, diese sei – entsprechend einer Stellungnahme der beratenden Ärztin Frau Dr. K. im Verwaltungsverfahren – bereit, von einem Leistungsfall am 22. Februar 2007 auszugehen. Voraussetzung wäre allerdings, dass die Krankenversicherung der Klägerin bereit wäre, den an diese ausgezahlten Erstattungsbetrag für den Zeitraum vom 01. September 2006 bis zum 21. Februar 2007 zurückzuzahlen. – Mit Beschluss vom 05. Mai 2010 hat das SG die Krankenkasse der Klägerin, die B. G. D., zu diesem Verfahren beigeladen. Diese hat erklärt, dass auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der Rentenbeginn zum 01. September 2006 korrekt sei. Vor dem SG hat die Klägerin auch beantragt, die Beigeladene zu verurteilen, ihr Krankengeld in gesetzlicher Höhe bis zum 28. Februar 2007 zu zahlen.
Mit Urteil vom 27. Mai 2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Beginn der Rentenleistung sei von der Beklagten zutreffend auf den 01. September 2006 festgesetzt worden. Der am 15. September 2006 gestellte Rehabilitationsantrag habe gemäß § 116 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) als Antrag auf Rente gegolten. Denn die Klägerin sei bereits zu diesem Zeitpunkt vermindert erwerbsfähig gewesen. Die ihr gewährte stationäre Rehabilitationsmaßnahme sei nicht erfolgreich gewesen, weil sie die verminderte Erwerbsfähigkeit nicht verhindert habe. Anspruchsvoraussetzung sei die verminderte Erwerbsfähigkeit. Damit sei entgegen der Auffassung der Klägerin nicht die volle Erwerbsminderung gemeint. Auf das subjektive Empfinden der Klägerin komme es nicht an. Deren Dispositionsfähigkeit sei durch die Aufforderung der Beigeladenen, einen Rentenantrag zu stellen, eingeschränkt gewesen. Dabei habe es sich um einen Verwaltungsakt gehandelt, so dass die Klägerin ihren Antrag auch nicht mehr hätte zurücknehmen können. An die Einschränkung der Dispositionsfreiheit der Klägerin durch die Beigeladene sei die Beklagte gebunden. Eine Verurteilung der Beigeladenen zur Zahlung von Krankengeld sei nicht möglich, denn die beiden Ansprüche würden nicht in Wechselwirkung zueinander stehen.
Gegen das am 21. Juni 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11. Juli 2011 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Sie hält weiterhin einen Rentenbeginn zum 01. März 2007 auf der Grundlage eines Leistungsfalls am 22. Februar 2007 für zutreffend. Nach der ersten Reha-Maßnahme sei sie zwar arbeitsunfähig gewesen, es habe aber keine Minderung oder Aufhebung ihrer Erwerbsfähigkeit vorgelegen. Deshalb sei der Leistungsfall am 28. Februar 2006 noch nicht eingetreten gewesen. Das SG habe den Entlassungsbericht der Reha-Einrichtung kritiklos übernommen. Dessen Einschätzung sei aber nicht eindeutig, wie die Einlassung der Vertreterin der Beklagten im Erörterungstermin vom 25. März 2009 belege. Dort sei ein Leistungsfall für den 22. Februar 2007 unter der Voraussetzung angeboten worden, dass die Beigeladene den bereits ausgezahlten Erstattungsanspruch für den Zeitraum vom 01. September 2006 bis zum 21. Februar 2007 zurückzahle.
Die Klägerin beantragt:
1.
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 27. Mai 2011 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 07. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr erst ab dem 01. März 2007 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund eines Leistungsfalles vom 22. Februar 2007 nach den gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
2.
Die Beigeladene zu verurteilen, ihr Krankengeld in gesetzlicher Höhe bis zum 28. Februar 2007 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 27. Mai 2011 zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch in der Form und Frist des § 151 SGG eingelegte Berufung ist teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin im Sinne der §§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, als darin ein Rentenbeginn bereits ab dem 01. September 2006 statt ab dem 01. November 2006 festgesetzt wird. Allerdings hat die Klägerin keinen Anspruch auf einen Rentenbeginn erst ab dem 01. März 2007 (nachfolgend 1.). Ein Anspruch auf Krankengeld gegen die Beigeladene kann sie in diesem Verfahren nicht durchsetzen (nachfolgend 2.).
1.
Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid vom 07. November 2007 den Beginn der Zahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung an die Klägerin unzutreffend bereits auf den 01. September 2006 festgesetzt. Die für einen Zahlbeginn erforderlichen Voraussetzungen haben erst am 01. November 2006 vorgelegen. Die §§ 115 Abs. 1 Satz 1, 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI verlangen dafür einen Rentenantrag. Ein solcher lag mit dem am 15. September 2006 bei der Beigeladenen gestellten Antrag auf Bewilligung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zwar grundsätzlich vor. Die Beklagte hat dabei aber § 115 Abs. 4 SGB VI nicht beachtet.
a)
Nach § 116 Abs. 2 Ziff. 2 SGB VI gilt ein Antrag auf Bewilligung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation grundsätzlich als Antrag auf Rente, wenn die Versicherte vermindert erwerbsfähig ist und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht erfolgreich gewesen sind, weil sie die verminderte Erwerbsfähigkeit nicht verhindert haben. Diese Voraussetzungen liegen hier dem Grunde nach vor.
Die Klägerin war am 28. Februar 2006 (Beginn der ersten stationären Rehabilitationsmaßnahme) vermindert erwerbsfähig. Für den Begriff der verminderten Erwerbsfähigkeit gelten die §§ 43, 240 SGB VI (Kater in Kassler Kommentar, § 116 SGB VI, Rdnr. 4). Nach dem Ärztlichen Entlassungsbericht des Reha-Zentrums B. St. vom 03. April 2006 betrug das tägliche zeitliche Leistungsvermögen der Klägerin für ihren bisherigen Beruf als technische Zeichnerin unter 3 Stunden, während es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 3 bis unter 6 Stunden betrug. Auf der Grundlage der erhobenen ärztlichen Befunde ist diese Bewertung schlüssig. Denn bei der Aufnahmeuntersuchung kam es im Bereich des rechten Handgelenkes zu einer Dorsalflexion, die einen Faustschluss nicht mehr möglich machte. Damit einher ging eine deutliche Kraftminderung im Bereich der rechten Hand und eine Störung der Feinmotorik. Dies rechtfertigt die Aussage, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin im Beruf einer technischen Zeichnerin, der eine gute Einsetzbarkeit der rechten Hand bedingt, unter 3 Stunden täglich gesunken war. Auch der Schluss der Ärzte, dass eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch 3 bis unter 6 Stunden täglich möglich war, ist nachvollziehbar und begründet sich ebenfalls mit den erheblichen Einschränkungen im Bereich der rechten Hand und des Armes. Damit war die Klägerin zu diesem Zeitpunkt jedenfalls teilweise erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI. Demgegenüber kann die Einschätzung der Beratungsärztin der Beklagten Dr. K. in ihrer Stellungnahme vom 17. Oktober 2007 nicht überzeugen. Denn warum nunmehr das Leistungsvermögen der Klägerin erst mit Antritt der zweiten Reha-Maßnahme am 22. Februar 2007 aufgehoben gewesen sein soll, lässt sich der Stellungsnahme nicht entnehmen, und ist auch auf dem Hintergrund der vorliegenden weiteren medizinischen Stellungnahmen nicht nachvollziehbar.
Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im Zeitraum vom 28. Februar 2006 bis zum 04. April 2006 waren auch nicht erfolgreich, da die Klägerin aus der Einrichtung mit einem unveränderten Leistungsbild entlassen worden ist.
b)
Trotz der Regelung des § 116 Abs. 2 SGB VI bleibt die Dispositionsbefugnis der Versicherten grundsätzlich erhalten. Dies bedeutet, dass sie einen fiktiven Rentenantrag im Sinne dieser Vorschrift auch wieder zurücknehmen kann (Kater, a.a.O., Rdnr 8, mit weiteren Nachweisen). Diese Dispositionsbefugnis gilt aber nicht uneingeschränkt. Hat ein Träger der gesetzlichen Krankenversicherung eine Versicherte im Rahmen von § 51 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) aufgefordert, innerhalb von zehn Wochen einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu stellen, so handelt es sich dabei um einen Verwaltungsakt, der zu einer Einschränkung der Dispositionsfreiheit der Versicherten führt (BSG, Urteil vom 26. Juni 2008 – B 13 R 141/07 R –, Rdnr. 23, juris). Dies hat auch zur Folge, dass ein Versicherter einen fiktiven Rentenantrag im Sinne von § 116 Abs. 2 SGB VI nur mit Zustimmung der Krankenkasse zurücknehmen kann (BSG, a.a.O., Rdnr. 25).
An einer solchen Zustimmung der Beigeladenen fehlt es hier. Vielmehr hat diese in ihrem Schreiben vom 21. Juni 2010 deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der gewählte frühere Rentenbeginn für sie dem geltenden Recht entspricht.
Der im Falle der Klägerin zu wählende Rentenbeginn ist jedoch erst der 01. November 2006. Dies folgt aus § 115 Abs. 4 Satz 2 SGB VI. Danach gilt die Zustimmung der Versicherten zur Durchführung einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation als Antrag auf Durchführung einer solchen Maßnahme. Diese kann in einen Rentenantrag nach § 116 Abs. 2 SGB VI umgedeutet werden (Schmidt in Kreikebohm, SGB VI, 3. Auflage, § 115 Rdnr. 32). Dies hat zur Folge, dass ein Rentenantrag der Klägerin erst mit dem Eingang ihrer Zustimmung bei der Beklagten im November 2006 vorgelegen hat, und der Rentenbeginn deshalb auf den 01. November zu datieren ist.
2.
Einen Anspruch auf Krankengeld gegen die Beigeladene für den Zeitraum vom 01. September 2006 bis zum 22. Februar 2007 kann die Klägerin in diesem Verfahren nicht erfolgreich geltend machen. Denn ein beigeladener Versicherungsträger kann nicht zu einer Leistung verurteilt werden, die sich nach Anspruchsgrund und Rechtsfolgen von der ursprünglich mit der Klage geforderten Leistung wesentlich unterscheidet (BSG, Urteil vom 08. Mai 2007 – B 2 U 3/06 R –, zitiert nach juris). Dies ist im Verhältnis einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit einerseits und Krankengeld andererseits nach Auffassung des Senats der Fall. Für den Zeitraum ab dem 01. November 2006 scheitert dies auch daran, dass neben einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht gleichzeitig Krankengeld gem. § 44 SGB V beansprucht werden kann. Denn nach § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V endet für Versicherte, die eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehen, ein Anspruch auf Krankengeld von Beginn dieser Leistung an.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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