L 9 SO 151/12 B ER

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 15 SO 20/12
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 151/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 19. Juli 2012 geändert und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insgesamt abgelehnt. Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. &8195;

Gründe:

Die von dem Antragsgegner am 20. August 2012 erhobene Beschwerde gegen den ihm am 23. Juli 2012 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 19. Juli 2012 mit dem sinngemäßen Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 19. Juli 2012 zu ändern und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insgesamt abzulehnen,

hat Erfolg.

In dem angegriffenen Beschluss hat das Sozialgericht Schleswig die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Rechtsgrundlagen für das Begehren des Antragstellers zutreffend aufgeführt. Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf diese Ausführungen Bezug genommen.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht aber den Antragsgegner verpflichtet, den Antragsteller von Forderungen des Ambulanten Pflegedienstes "Ambulante Pflege A gGmbH" oder eines anderen beauftragten Pflegedienstes für Pflegeleistungen freizuhalten, die dem Antragsteller zusätzlich zu seiner Betreuung in der stationären Unterbringung "Wohnstätte U " erbracht werden.

Das Sozialgericht verweist zwar zutreffend darauf, dass der Antragsgegner im Rahmen des Sachleistungsbeschaffungsprinzips (Bundessozialgericht, Urteil vom 28. Oktober 2008 – B 8 SO 22/07 R –; Urteil vom 2. Februar 2010 – B 8 SO 20/08 R –) verpflichtet sei, dem Antragsteller die notwendigen Eingliederungshilfemaßnahmen zu gewähren. Zu Unrecht schließt es daraus aber, dass der Antragsgegner sich nicht auf die mit dem Einrichtungsträger abgeschlossene Leistungsvereinbarung zur Abgeltung des umfassenden Pflegebedarfs des Antragstellers berufen könne, denn der gesetzliche Sachleistungsanspruch des Antragstellers gegenüber dem Antragsgegner könne dadurch nicht inhaltlich begrenzt werden. Kosten für weitere notwendige Leistungen, um den erforderlichen Bedarf des Antragstellers zu decken, müssten daher zusätzlich seitens des Antragsgegners gezahlt werden. Das gelte hier für die ambulante Versorgung, insbesondere zur Darm- und Blasenentleerung.

Das Sozialgericht berücksichtigt dabei nicht, dass die oben angeführten Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) gerade zum Gegenstand haben, dass die in einer Einrichtung erbrachte vollstationäre Eingliederungshilfe von dem Sozialhilfeträger als Sachleistung in Form der Sachleistungsverschaffung erbracht wird.

Im Rahmen des Gewährleistungsverantwortungsmodells (BSG, Urteil vom 2. Februar 2010 – B 8 SO 20/08 R –, recherchiert bei juris, Rdn. 20) tragen die Sozialhilfeträger die Verantwortung für die Versorgungsinfrastruktur und nehmen diese durch Abschluss von Verträgen nach §§ 75 ff. Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII), wahr. Dem Hilfebedürftigen gegenüber besteht die Leistungsverpflichtung in der Übernahme der Heimkosten in Form eines Schuldbeitritts durch den für die Leistung zuständigen Sozialhilfeträger. Der Sozialleistungsträger kommt seiner Verpflichtung zur erforderlichen Sachleistung dadurch nach, dass er unter Berücksichtigung der Leistungsvereinbarungen von Heimträgern die geeignete Einrichtung auswählt und diese Einrichtung den notwendigen Bedarf des Betroffenen deckt. Für die Bedarfsdeckung zahlt der Sozialhilfeträger die Kosten an die Einrichtung. Diese Konstruktion beinhaltet gerade nicht, dass darüber hinausgehende Leistungen von dem Sozialhilfeträger zu übernehmen sind. Vielmehr hat er bei der Auswahl einer geeigneten Einrichtung darauf zu achten, ob diese den gesamten Bedarf des Betroffenen decken kann. Nur dann handelt es sich um eine geeignete Einrichtung, für die er auch die Kosten übernehmen kann. Kann der Bedarf in einer Einrichtung nicht gedeckt werden, handelt es sich um eine nicht geeignete Heimunterbringung mit der Folge, dass für nicht geeignete Maßnahmen grundsätzlich keine Kosten getragen werden können. Der Sozialhilfeträger hat somit anhand der Leistungsvereinbarung zu überprüfen, ob der gesamte Bedarf eines Betroffenen abgedeckt ist. Nur dadurch kommt er seiner Verpflichtung, die für den Betroffenen erforderliche Sachleistung zu erbringen, nach. Dabei hat er darauf zu achten, ob die für den Betroffenen notwendigen Maßnahmen von dem Leistungsspektrum der Vereinbarung umfasst werden, damit die von ihm geschuldeten Sachleistungen im Rahmen der Konzeption der Einrichtung auch tatsächlich erbracht werden können(vgl. Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. November 2011 – L 10 KR 32/11 B ER –).

Diesem Ziel dient auch § 55 SGB XII, der gewährleistet, dass ein Hilfebedürftiger in einer stationären Einrichtung umfassend betreut wird. Nach Satz 1 dieser Vorschrift umfasst die Leistung in einer vollstationären Einrichtung der Eingliederungshilfe auch Pflegeleistungen. Dadurch soll ein Einrichtungswechsel vermieden werden, sobald Pflegeleistungen zu der gewährten Betreuung zusätzlich erforderlich werden. Daher wird der Kostenträger bei der Auswahl einer Einrichtung darauf zu achten haben, dass ein absehbarer Pflegebedarf nicht alsbald einen Wechsel der Einrichtung notwendig macht. Die ausgesuchte Einrichtung muss somit auch in der Lage sein, Pflegeleistungen mit abzudecken.

Hier kommt der Antragsgegner seiner Verpflichtung zur Sachleistungsverschaffung für den Antragsteller dadurch nach, dass er die Kosten für die Unterbringung des Antragstellers in der "Wohnstätte U " übernimmt. Nach der Leistungsvereinbarung von November 2009 ist diese Einrichtung auch geeignet, sämtliche Bedarfe des Antragstellers zu befriedigen. Gemäß § 2 Abs. 2 der Leistungsvereinbarung (LV) stellt die stationäre Unterbringung eine ganzheitliche Hilfe dar und orientiert sich an der individuellen Situation des hilfebedürftigen Menschen. Nach Abs. 2 gehört dazu auch ein Pflegeangebot. Nach § 5 Abs. 3 LV werden im Rahmen der vereinbarten Eingliederungshilfeleistungen und in den Grenzen des § 55 SGB XII pflegerische Leistungen entsprechend dem Bedarf des Leistungsberechtigten erbracht. Somit ist gewährleistet, dass neben der Betreuung im Rahmen der Eingliederungshilfe auch Pflege geleistet werden kann. Hierzu ist die Einrichtung auch in der Lage, denn nach § 7a LV sind als Personal Krankenpfleger/Krankenschwestern vorzuhalten und für besonders betreuungsbedürftige/pflegebedürftige Menschen ist ein Betreuungsschlüssel von 1: 5 vereinbart. Dementsprechend ist der U nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand – noch – die geeignete Einrichtung. Sie ist von ihrer Konzeption her dazu in der Lage, auch pflegerischen Bedarf abzudecken.

Das wird von der Einrichtung auch grundsätzlich nicht bestritten. Hier ist es offenbar so, dass dann, wenn es personell möglich ist, der Antragsteller umfassend betreut wird einschließlich der Darm- und Blasenentleerung. Wegen des Gewichts des Antragstellers kann das aber wohl nicht durchgeführt werden, wenn weibliche Pflegekräfte die Betreuung übernehmen, weil diese nicht in der Lage sind, den Antragsteller in erforderlichem Maße zu bewegen.

In dem Hilfeplan vom 9. November 2011 für den Zeitraum von November 2011 bis Oktober 2012 ist im Einzelnen aufgeführt, dass der Antragsteller im Rahmen der Eingliederungshilfe in der "Wohnstätte U " offenbar gut betreut wird. Darin ist allerdings auch festgehalten, dass ein ambulanter Pflegedienst für folgende Leistungen in Anspruch genommen wird: Wechseln der Wundverbände, Setzen von Thrombosespritzen, Dekubituspflege, Körperpflege. Grund dafür sei nach den Angaben der Einrichtung, dass dafür kein geschultes Personal zur Verfügung stehe. Insoweit ist allerdings darauf zu verweisen, dass es sich insoweit um Pflegeaufwand handelt, der – insbesondere weil eine Krankenschwester bzw. ein Krankenpfleger laut Leistungsvereinbarung zur Verfügung stehen müsste – von dem Personal zu leisten ist. Ein zusätzlicher Bedarf besteht offenbar für Körperausscheidungen am Nachmittag bzw. in der Nacht, wenn nicht der Bezugsbetreuer, Herr W , anwesend ist und Mitarbeiterinnen Dienst tun, die bei Toilettengängen dem Antragsteller nicht ausreichend helfen können. Hier handelt es sich offenbar darum, dass je nach Dienstplan keine ausreichende Hilfe bei Toilettengängen anwesend ist. Auch das ist ein Problem, das die Einrichtung zu lösen und zu organisieren hat. Dass diese Aufgaben von der Einrichtung nicht ausreichend bewältigt werden, obwohl sie dazu laut der LV verpflichtet ist, kann nicht zu Lasten des Antragsgegners gehen.

Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg auf den Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. August 2010 (Az.: L 8 SO 4/10 B ER) berufen. In dieser Entscheidung ist – worauf die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers zutreffend hinweist – ausgeführt, dass Sozialleistungsträger zur vorläufigen Erstattung der Kosten verpflichtet seien, wenn Leistungen der Behandlungspflege auf andere Weise, z. B. von einem ambulanten Pflegedienst, erbracht würden. Dabei handelt es sich zum einen um Behandlungspflege, die von den hier notwendigen Pflegeleistungen abweicht, und um eine vorläufige Erstattung der Kosten. Diese Entscheidung sagt nichts darüber, wer tatsächlich Kostenträger ist. Zum anderen hat ebenfalls das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 22. November 2011 – L 10 KR 32/11 B ER –) entschieden, dass eine Einrichtung verpflichtet ist, die Maßnahmen zu erbringen, die von ihrem Leistungsspektrum umfasst werden und die sie im Rahmen ihrer Konzeption schuldet und die bereits mit dem Heimentgelt vergütet werden. Dann kommt eine darüber hinausgehende Pflege nicht in Betracht. In dieser Entscheidung, der der Senat sich anschließt, ist auch aufgeführt, dass kein Widerspruch zu der oben angeführten Entscheidung des 8. Senats des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalts (Beschluss vom 26. August 2010 – L 8 SO 4/10 B ER –) vorliegt, weil es sich dort um Behandlungspflege gehandelt hat.

Der Antragsteller kann sich auch nicht auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 1. September 2005 (Az.: B 3 KR 19/04 R) berufen. Darin hat das BSG angemerkt, dass Sozialhilfeträger verpflichtet seien, die mit der medizinischen Behandlungspflege verbundenen Kosten eines ambulanten Pflegedienstes zu übernehmen. Insoweit handelt es sich aber wiederum – anders als hier – um medizinische Behandlungspflege und im Übrigen ging das BSG davon aus, dass kein geeignetes Pflegepersonal zur Verfügung stehe. Hier hat die Einrichtung aber Pflegefachkräfte vorzuhalten, wie oben ausgeführt ist.

Die Einrichtung wird damit, ihre Aufgaben aus der LV zu erfüllen, auch nicht übermäßig belastet, denn gemäß § 55 Satz 2 SGB XII ist sie berechtigt, gegenüber dem Antragsgegner anzuzeigen, wenn sie feststellt, dass ein behinderter Mensch so pflegebedürftig ist, dass die Pflege in der Einrichtung nicht mehr sichergestellt werden kann. Dann müssen der Sozialhilfeträger, die zuständige Pflegekasse und der Einrichtungsträger vereinbaren, dass die Leistung in einer anderen Einrichtung erbracht wird. Eine derartige Anzeige ist aber noch nicht erfolgt. Solange das nicht der Fall ist, hat die Einrichtung für die umfassende Betreuung und Pflege des Antragstellers zu sorgen.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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Rechtskraft
Aus
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