L 7 KA 68/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 71 KA 632/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 68/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Macht ein Vertragsarzt mit seinem Widerspruch geltend, dass er seine Rechtsschutzmöglichkeiten ohne eine nachvollziehbare Berechnung des seinem Regelleistungsvolumen zu Grunde gelegten Fallwertes beschnitten sehe, ist die Kassenärztliche Vereinigung zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet, das diesbezügliche Zahlenwerk offen zu legen. Dieses Zahlenwerk unterliegt keinem irgendwie gearteten Geheimhaltungsschutz.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 5.000.- EUR festgesetzt.

Gründe:

I. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Bescheid vom 19. Dezember 2008 die Höhe seines Regelleistungsvolumens für das Quartal I/09 mit und gab hierbei als eines von mehreren Berechnungselementen auch die Höhe des Fallwerts für die Arztgruppe des Klägers an. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger u.a. geltend, er habe keine Möglichkeit, die Richtigkeit des Bescheids zu überprüfen, insbesondere weil nicht erkennbar sei, wie der Fallwert für die Fachgruppe zustanden gekommen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück, ohne die Ermittlung des für die Arztgruppe des Klägers maßgebenden Fallwertes näher zu erläutern. Im Klageverfahren übersandte die Beklagte am 18. April 2011 eine Übersicht, der die Berechnung des die Arztgruppe des Klägers betreffenden Fallwertes, ausgehend von der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung für das Quartal I/09, zu entnehmen war. Das Sozialgericht verurteilte die Beklagten wegen nicht ausreichender Begründung der angefochtenen Verwaltungsakte zur Neubescheidung, weil die Angaben, die ein Vertragsarzt benötige, um seine Rechte wahrnehmen zu können (Berechnung von Fallwert und Fallzahl), nicht enthalten seien. Im Berufungsverfahren legte die Beklagte schließlich auf Veranlassung des Senats eine weitere Berechnung vor, in der die Abzugsposten, die zur Ermittlung des sektorspezifischen RLV-Volumens aus dem vorläufigen RLV-Volumen maßgeblich waren, nicht nur – wie in der Übersicht vom 18. April 2011 – benannt, sondern auch betragsmäßig untersetzt waren. Daraufhin erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt.

II. Gehört – wie im vorliegenden Fall – in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 Sozialgerichtsgesetz (SGG) genannten Personen, werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben; die §§ 184 bis 195 SGG finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sind entsprechend anzuwenden (§ 197 a Abs. 1 S. 1 SGG).

Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht außer in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO – diese Vorschrift betrifft die hier nicht einschlägige Fortsetzungsfeststellungklage – nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluss; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen (§ 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO).

Billigem Ermessen entspricht es, die Beklagte vollständig mit den Kosten des Verfahrens zu belasten, denn sie hat die Klageerhebung durch eine unzureichende Begründung des Widerspruchsbescheides veranlasst. Rechtsgrundlage hierfür ist § 155 Abs. 4 VwGO, demzufolge Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden können. Diese Sondervorschrift geht allen anderen Kostenregelungen vor und ist daher bei jeder Kostenentscheidung zu berücksichtigen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer Sozialgerichtsgesetz, 10.A., § 197a Rd. 18 m.w.N.). Hierbei kann sich das Verschulden auch auf das vorprozessuale Verhalten eines Beteiligten beziehen, z.B. die ungenügende Begründung eines Verwaltungsaktes (Olbertz, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, § 155 Rd. 26; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, § 155 Rd. 20; Hartung, in: Beck’scher Online-Kommentar VwGO, Stand: 1. Juli 2012, § 155 Rd. 12, jeweils mit weiteren Nachweisen). Der Beklagten die Kosten aufzuerlegen kommt nur bei übereinstimmender Erledigungserklärungen, sondern auch bei deren Obsiegen (BVerwGE 60, 245; 80, 178) in Betracht.

Hieran gemessen hat die Beklagte den angefochtenen Widerspruchsbescheid – nur in dessen Gestalt ist der ursprüngliche Verwaltungsakt Gegenstand des Rechtsstreits (§ 95 SGG) – unzureichend begründet. Zwar ist sie nicht gehalten, jeden Bescheid, durch den einem Vertragsarzt sein Regelleistungsvolumen mitgeteilt wird, so zu gestalten, dass die konkrete Ermittlung des Fallwertes für das betroffene Quartal daraus ersichtlich wird. Macht jedoch ein Vertragsarzt mit seinem Widerspruch geltend, dass er seine Rechtsschutzmöglichkeiten ohne eine nachvollziehbare Berechnung des jeweils zu Grunde gelegten Fallwertes beschnitten sehe, ist die Beklagte zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet, das diesbezügliche Zahlenwerk offen zu legen. Entgegen einer möglicherweise bei der Beklagten bestehenden Ansicht unterliegt dieses Zahlenwerk, das lediglich die normativ vorgegebenen Berechnungsschritte umsetzt, keinem irgendwie gearteten Geheimhaltungsschutz. Der Vertragsarzt muss daher, wenn er die Mitteilung des Zahlenwerks in dem hier von der Beklagten letztlich gegebenen Umfang begehrt, kein besonderes Interesse hierfür darlegen. Ob etwas anderes gilt, wenn ein Vertragsarzt über das im vorliegenden Fall von der Beklagten offen gelegte Zahlenwerk hinaus z.B. eine weitere Aufschlüsselung bzw. Herleitung einzelner Abzugsposten verlangt, muss hier nicht entschieden werden.

Die Entscheidung über den Streitwert ergibt sich aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 47, § 52 Abs. 1 und 2, § 63 Abs. 2 GKG.

Diese Entscheidung kann gem. § 177 SGG nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
Saved