L 1 KR 315/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 208 KR 1620/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 315/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. September 2011 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch in Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Krankengeld über den 13. April 2009 hinaus bis zum 12. Oktober 2010.

Die 1957 geborene Klägerin war Sachbearbeiterin bei der L B. Sie war ab dem 15. Oktober 2007 arbeitsunfähig erkrankt und erhielt ab dem 26. November 2007 von der BKK VBU Krankengeld. Seit dem 1. Januar 2008 ist sie versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Die Arbeitsunfähigkeit wurde durch ihren Hausarzt, den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. J, zunächst aufgrund der Diagnosen M 54.4 G (=Lumboischialgie) und M 54.2 G (=Zervikalneuralgie) attestiert.

Mit Bescheid vom 1. Oktober 2008 stellte die Beklagte fest, dass die für die Arbeitsunfähigkeit maßgebende Blockfrist am 15. Oktober 2007 begonnen habe und setzte das Ende der 78-wöchigen Berechtigungszeit für den Bezug des Krankengeldes (die sogenannte Aussteuerung) nach § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch V. Buch (SGB V) auf den Ablauf des 13. April 2009 fest, weil die Arbeitsunfähigkeit von Beginn an durch dieselbe Krankheit verursacht sei.

Am 12. Dezember 2008 bescheinigte Dr. J auf einem Auszahlungsschein, dass während der Arbeitsunfähigkeit keine Krankheiten hinzugetreten seien. Für die zuletzt verrichtete Tätigkeit bestehe Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 2. Januar 2009. Die Arbeitsunfähigkeit werde dann durch Besserung beendet sein. Unter dem 15. Dezember 2008 attestierte er Bettlägerigkeit. Arbeitsfähigkeit liege ab 3. Januar 2009 vor.

Am 5. Januar 2009 sowie am 23. Januar 2009 stellte er neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus gab dabei jeweils die Diagnosen M 53.3 G (Krankheiten der Sakrokokzygealregion, anderenorts nicht klassifiziert) und J 32.0 (Chronische Sinusitis maxillaris) an.

Am 13. Februar 2009 bescheinigt er Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Diagnose E.04.9 G (Nichttoxische Struma, nicht näher bezeichnet).

Auf Veranlassung der Beklagten erstellte deren sozialmedizinischer Dienst (SMD) unter dem 18. März 2009 eine Stellungnahme nach Aktenlage. Festgehalten wurden die Diagnosen eines Reizdarms (K 58.0G) sowie eines LWS-Syndroms (M 54.0 G). Seit langer Zeit bestünden bei der Klägerin Wirbelsäulenbeschwerden und aktuell seit drei Tagen eine Durchfallsymtomatik. In einem Telefonat mit dem Hausarzt an diesem Tage habe dieser mitgeteilt, dass bei der Klägerin eine Reizdarmsymtomatik und eine Wirbelsäulensymtomatik vorlägen. Der SDM gelangte zur Prognose einer Arbeitsfähigkeit ab dem 30. März 2009.

Auf Anfrage der Beklagten bescheinigte Dr. J unter dem 15. März 2009, dass die Arbeitsunfähigkeit bis zum 12. Februar 2009 aufgrund der Diagnosen M 53.3 und J 32.0, ab dem 12. Februar 2009 aufgrund der Diagnose E.04.9 getroffen worden seien.

Auf eine entsprechende Nachfrage teilte die Beklagte der Klägerin am 13. Mai 2009 die Höhe des bis längstens für den Zahlungsmonat April gezahlten Krankengeldes mit. Bei dieser bestünden seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit ununterbrochen Wirbelsäulenbeschwerden.

Die Klägerin erhielt ab 22. Mai 2009 von der Bundesagentur für Arbeit Leistungen (Arbeitslosengeld) gem. § 117 Sozialgesetzbuch III. Buch.

Sie erhob mit Schreiben vom 27. Mai 2009 "Widerspruch gegen die Einstellung der Krankengeldzahlung". Sie sei ab 15. Oktober 2007 bis einschließlich 2. Januar 2009 wegen Wirbelsäulenbeschwerden krankgeschrieben gewesen. Seit dem 2. Januar 2009 bestehe die Wirbelsäulenerkrankung nicht mehr. Die Krankschreibung ab 5. Januar 2009 sei aufgrund einer Nasennebenhöhlenentzündung und Darmbeschwerden erfolgt. Entsprechendes attestierte ihr unter dem 4. Juni 2009 Dr. J.

Die Beklagte wies den Widerspruch "gegen den Bescheid vom 13. Mai 2009 über den Ablauf der 78-wöchigen Berechtigungszeit für den Bezug des Krankengeldes" mit Widerspruchsbescheid vom 10. September 2009 zurück. Der SMD sei in seiner Stellungnahme vom 13. März 2009 sowie in der ergänzenden vom 29. September 2009 zu dem Ergebnis gelangt, dass bei der Klägerin durchgehend bis zur Aussteuerung Wirbelsäulenbeschwerden vorgelegen hätten.

Hiergegen richtet sich zunächst beim Sozialgericht Berlin (SG) erhobene Klage der Klägerin. Ihr Hausarzt Dr. J habe dem SMD nicht telefonisch mitgeteilt, dass die weitere Arbeitsunfähigkeit nach dem 2. Januar 2009 wegen der Wirbelsäulenleiden bestanden habe.

Das SG hat Befundberichte eingeholt. Auf die Stellungnahme des Dr. J vom 7. August 2010 samt eingereichten Unterlagen, insbesondere den Ausdruck der bei ihm über die Klägerin gespeicherten Daten ("elektronische Karteikarte") wird ergänzend Bezug genommen.

Dr. J hat ferner unter dem 27. September 2010 ein "ärztliches Attest ( ) zur Vorlage beim Rechtsanwalt" verfasst. Die Klägerin sei bei ihm langfristig in ärztlicher Behandlung und sei "bis zum 2. Januar 2010 vom 12. Februar 2009" an wegen Hypertonie, Depression und einem Lendenwirbelsäulenschmerzsyndrom arbeitsunfähig geschrieben gewesen. Leider sei die Arbeitsunfähigkeit nicht so exakt beendet worden, sondern versehentlich der 12. Januar 2010 vermerkt worden. Am 5. Januar 2010 sei eine erneute Arbeitsunfähigkeit bei der Klägerin festgestellt worden wegen Hyperthyreose, Reizdarmsyndrom und Stuhlinkontinenz. Die anderen Diagnosen seien nicht zur Begründung der neuen Arbeitsunfähigkeit herangezogen worden, sondern nur die drei neuen Diagnosen. Es handele sich um zwei verschiedene, von einander unabhängige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.

Mit Urteil vom 30. September 2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Krankengeldzahlungen über den 13. April 2009 hinaus scheitere jedenfalls am Ablauf der sogenannten 78-Wochen-Frist nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Diese Leistungsdauer verlängere sich auch nicht, wenn während der Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit hinzutrete. Die Klägerin sei seit dem 15. Oktober 2007 aufgrund einer Wirbelsäulenerkrankung arbeitsunfähig gewesen. Während dieser seien weitere Krankheiten hinzugetreten, welche die Leistungsdauer nicht verlängert hätten. Das Gesetz stelle nämlich die hinzutretenden Krankheiten hinsichtlich der Rechtsfolge der Leistungsbegrenzung dem Fall "derselben Krankheit" rechtlich gleich. Das Hinzutreten einer weiteren Krankheit zu einer fortbestehenden und fortlaufenden Arbeitsunfähigkeit verursachenden Krankheit führe weder zu Entstehung eines gänzlich neuen Krankengeldanspruchs noch bewirke es die Verlängerung der schon in Ansehung der ersten Krankheit maßgeblichen begrenzten Leistungsdauer. Auf diese Weise solle sichergestellt werden, dass die gesetzliche Höchstbezugsdauer bei Arbeitsunfähigkeit sowohl bei identischen Krankheiten als auch bei unterschiedlichen und wechselnden Krankheitsbildern nicht überschritten werde. Ein Hinzutreten während der Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V liege deshalb auch dann vor, wenn zeitgleich mit dem Vorliegen oder Wiedervorliegen einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden ersten Erkrankung unabhängig von dieser Krankheit zugleich eine weitere Krankheit die Arbeitsunfähigkeit bedinge. Es reiche insoweit aus, dass die Krankheiten zumindest an einem Tag zeitgleich nebeneinander bestünden hätten (Bezugnahme auf Bundessozialgericht –BSG-, Urteil vom 21. Juni 2011 – B 1 KR 15/10 R –). Hier sei es unstreitig, dass die Klägerin zumindest bis zum 2. Januar 2009 aufgrund einer Wirbelsäulenerkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Diese Wirbelsäulenerkrankung habe aber auch noch über den 5. Januar 2009 hinaus bestanden, wie sich den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und dem Befundbericht des behandelnden Hausarztes Dr. J ergebe. Dieser habe der Klägerin für den Zeitraum vom 16. Dezember 2008 bis zum 5. Januar 2009 noch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen der Wirbelsäulenerkrankung ausgestellt. Am 5. Januar 2009 sowie am 23. Januar 2009 habe er auf den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als Grund für die Arbeitsunfähigkeit weiterhin u. a. eine die Wirbelsäule betreffende Diagnose angegeben. Es läge nach Auffassung der Kammer dieselbe Krankheit vor, auch wenn einmal M 54.4 und ab 5. Januar 2009 M 53.3 diagnostiziert worden sei. Die Krankheiten der Wirbelsäule seien nach der ICD-10 Kodierung den Ziffern M40 bis M 54 zugeteilt. Solche Krankheiten könnten nicht aufgrund ihres Auftretens an unterschiedlichen Abschnitten der Wirbelsäule als unterschiedliche Erkrankungen gewertet werden. Insbesondere wenn zunächst die Lendenwirbelsäule und sodann das Steißbein betroffen seien, sei eine Abgrenzung im Sinne der Annahme einer neuen Erkrankung nicht sachgerecht. Soweit Dr. J im Attest vom 4. Juli 2009 bescheinigt habe, dass ab dem 3. Januar 2009 keine Wirbelsäulenbeschwerden mehr bestanden hätten, sei dies nicht überzeugend. Auch abgesehen davon, dass der SMD in seiner Begutachtung vom 18. März 2009 noch ein LWS-Syndrom festgestellt habe, ergebe sich gleiches auch direkt aus den zu diesem Zeitpunkt erstellten Unterlagen des Behandelns des Dr. J. Dieser habe die Klägerin noch zweimal aufgrund von Wirbelsäulenproblemen krankgeschrieben. Dass dies ausschließlich versehentlich erfolgt sei, sei bei einer zweimaligen Krankschreibung aufgrund dieser Diagnose nicht überzeugend. Auch enthalte dessen elektronische Karteikarte für den 5. Januar 2009 entsprechende Einträge Das SG halte die zeitnah getätigten Aufzeichnungen für glaubhafter. Dass sich der Behandler der rechtlichen Bedeutung einer neuen Erkrankung für den Krankengeldanspruch durchaus bekannt gewesen sei, ergebe sich aus einer Aufzeichnung zwei Jahre früher unter dem 10. Januar 2007. An diesem Tage habe er "benötigt Medikamente, Bericht an das Sozialgericht Berlin, ihre Sachbearbeiterin hat die Kranschreibung zu der anderen dazugerechnet, Krankengeld wird zum 7. oder 9.02. auslaufen, F. andere Diagnose" festgehalten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin.

Zur Begründung hat sie ihr Vorbringen wiederholt. Am Wochenende 3./4. Januar 2009 sei sie arbeitsfähig gewesen. Dr. J müsse angehört werden.

Sie beantragt sinngemäß,

unter Abänderung des Urteils vom 30. September 2011 den Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Krankengeld i. H. v. kalendertäglich 55,23 EUR brutto für die Zeit vom 14. April 2009 bis zum 12. Oktober 2010 nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz zurückzuweisen. Der Senat hält sie einstimmig für unbegründet. Er hält auch eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, mit Verfügung vom 15. Mai 2012 (ausgefertigt am 23. Mai 2012) hingewiesen worden.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, welcher sich der Senat anschließt und auf die zur Vermeidung bloßer Wiederholungen gem. § 153 Abs. 3 SGG verwiesen wird.

Ergänzend ist nur noch auszuführen, dass das SG zutreffend von einer durchgehenden Wirbelsäulenerkrankung ausgegangen ist, unabhängig darauf, ob sich die Diagnosen auf den Lendenwirbelbereich oder das Steißbein gezogen haben.

Beschwerden in mehreren Wirbelsäulenabschnitten stellen nämlich ein einheitliches Grundleiden da und sind deshalb dieselbe Erkrankung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V (so bereits BSG, Urteil vom 12.10.1988 – 3/8 RK 28/87 Juris-Randnr. 12f zur Vorgängervorschrift § 183 Reichsversicherungsordnung).

Auch der hiesige Senat hält es ferner für ausgeschlossen, dass eine Unterbrechung des Leidens exakt zwischen dem 2. Januar 2009 und dem 5. Januar 2009 eingetreten ist. Bei den von der Klägerin eingereichten Bescheinigungen, die erst nach Rechtshängigkeit ausgestellt wurde, handelt es sich auch seiner Sicht um nachträgliche Einschätzungen, denen gegenüber den zeitnah getätigten Bescheinigungen und Feststellungen kein entscheidendes Gewicht zu kommt. Eine Zeugenvernehmung erscheint deshalb nicht geboten.

Hinzukommt aber, dass die 78-Wochen-Frist selbst dann im April 2009 ausgelaufen wäre, wenn unterstellt wird, dass die Wirbelsäulenerkrankung temporär ausgeheilt gewesen sein sollte.

Die am 5. Januar 2009 diagnostizierte Reizdarmsymptomatik ist nämlich nicht neu aufgetreten. Wie sich aus den Unterlagen des Dr. Janata ergibt, leidet die Klägerin zumindest seit dem Jahr 2006 an dieser Erkrankung. Nach den Unterlagen des Dr. J litt die Klägerin bereits am 12. Dezember 2008 und am 15. Dezember 2008, ferner am 29. Dezember 2008 unter Darmbeschwerden.

Der Ausschluss weiteren Krankengeldes aufgrund der Aussteuerung betrifft aufgrund § 48 Abs. 1 S. 2 SGB V den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum, da die Klägerin auch nach ihren eigenen Angaben seit 5. Januar 2009 wieder ununterbrochen arbeitsunfähig gewesen ist.

Ob ein Krankengeldanspruch außerdem ganz oder teilweise an etwa fehlenden Bescheinigungen scheitert, kann auch der Senat dahingestellt sein lassen.

Da die Beklagte somit in der Sache zu Recht von einer Aussteuerung im April 2009 ausgegangen ist, kann auch offen bleiben, ob ihr Schreiben vom 13. Mai 2009 ein Verwaltungsakt darstellt oder ob sie nicht mit Widerspruchsbescheid vom 10. September 2009 über den Widerspruch der Klägerin ("gegen die Einstellung der Krankengeldzahlung") gegen den Bescheid vom 1. Oktober 2008 entschieden hat.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG. Die Entscheidung entspricht dem Ergebnis in der Sache. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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