L 8 R 650/12 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 7 R 267/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 650/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 9.7.2012 wird geändert. Der Streitwert für das Klageverfahren wird auf 28.656,03 Euro festgesetzt. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Beteiligten haben in der Hauptsache im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) darüber gestritten, ob die Beigeladene als Buchhalterin in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zum klagenden Unternehmen steht. Das Sozialgericht (SG) hat den Streitwert auf 14.328,02 Euro festgesetzt (Beschluss v. 9.7.2012). Es ist dabei von den Bruttovergütungen ausgegangen, die die Klägerin der Beigeladenen in den Jahren 2008 bis 2010 gezahlt hat (71.640,08 Euro) und hat den Arbeitgeberanteil, den hiervon zu zahlenden fiktiven Gesamtsozialversicherungsbeiträgen pauschaliert auf 20 % angesetzt und auf diese Weise den Streitwert errechnet.

Gegen diesen Beschluss hat die Beklagte Beschwerde erhoben. Sie trägt vor: Es bestünden keine Anhaltspunkte, den Streitwert nach § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) festzusetzen. Bei der Statusfeststellung gehe es nicht um die Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen, sondern um eine abstrakte Feststellung über das grundsätzliche Vorliegen von Versicherungspflicht. Stelle man auf die Höhe der mutmaßlichen Beitragsforderung ab, so wären im Streitverfahren weitere nicht erforderliche Ermittlungen zur Beitragshöhe erforderlich, die aber im Rahmen der Streitwertfestsetzung gerade nicht stattfinden dürften. Solche Ermittlungen seien zudem fehleranfällig. Die Höhe des Streitwertes werde praktisch in das Ermessen des Auftraggebers gestellt. Im Rahmen der Willkürfreiheit gerichtlicher Entscheidungen dürfe das Gericht bei der Streitwertfestsetzung keine Schätzungen vornehmen. Mit ihrer Rechtsauffassung stehe sie, die Beklagte, im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), das in mehreren Entscheidungen den Streitwert bei Statusfeststellungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt habe, sowie einer Vielzahl obergerichtlicher Entscheidungen.

Die Beklagte beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 9.7.2012 zu ändern und den Streitwert für das Klageverfahren auf 5.000 Euro festzusetzen.

Die Klägerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den Beschluss des SG für richtig.

Der beteiligte Bezirksrevisor hat angeregt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Der Senat entscheidet über die Beschwerde in der Besetzung mit drei Berufsrichtern (vgl. bereits Senat, Beschluss v. 31.8.2009, L 8 B 11/09 R, juris).

Die zulässige Beschwerde der Beklagten ist unbegründet. Im Rahmen der dem Beschwerdegericht zustehenden Befugnisse ist der Streitwert für das Klageverfahren über den vom SG festgesetzten Streitwert hinaus auf 28.656,03 Euro festzusetzen.

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist der Streitwert, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Nur wenn der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts, d.h. die Feststellung der Bedeutung der Sache für den Kläger, keine genügenden Anhaltspunkte bietet, ist ein Streitwert von 5.000 EUR anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG).

1. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass bei einem Statusfeststellungsverfahren gemäß § 7a SGB IV das Interesse des klagenden (möglichen) Arbeitgebers in der Regel im Wesentlichen darin besteht, eine Beitragsbelastung zu vermeiden (Senat, Beschluss v. 14.12.2009, L 8 B 21/09 R; Beschluss v. 14.5.2012, L 8 R 158/12 B; jeweils juris). Er schließt sich damit der Rechtsprechung des zuvor für Statusfeststellungsverfahren zuständigen 16. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen an (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 6.11.2007, L 16 B 3/07 R, Breith 2008, 77 ff.; Beschluss v. 27.1.2009, L 16 B 13/08 R, juris).

2. Die Rechtsprechung des erkennenden Senates steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bayerischen LSG (Beschluss v. 12.9.2011, L 5 KR 122/10 B; juris) und des Sächsischen LSG (Beschluss v. 9.6.2008, L 1 B 351/07 KR, juris). Sie entspricht darüber hinaus dem Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit 2009 (C. VI. 2.2.). Streitwertkataloge enthalten zwar keine normativen Festsetzungen. Sie sind aber grundsätzlich ein geeigneter Maßstab, eine an den Kriterien von Willkürfreiheit und Gleichmäßigkeit orientierte Streitwertfestsetzung zu gewährleisten (vgl. zur Berücksichtigung des Streitwertkatalogs etwa BSG, Beschluss v. 29.8.2011, B 6 KA 18/11 R, SozR 4-1500 § 86a Nr. 2).

Soweit die Beklagte demgegenüber vorträgt, die Rechtsprechung des Senats stehe in Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung, ist dies unzutreffend. Zwar hat das BSG wegen des Fehlens von Anhaltspunkten für einen konkrete Streitwertbemessung in Statusfeststellungsverfahren den Streitwert auf 5.000 Euro festgesetzt (BSG, Urteil v. 11.3.2009, B 12 R 11/07 R, SozR 4-2400 § 7a Nr. 2; Urteil v. 4.6.2009, B 12 R 6/08 R, USK 2009-72; Beschluss v. 5.3.2010, B 12 R 8/09 R, juris). Wo hinreichende Anhaltspunkte aber bestanden, hat das BSG - insoweit im Anschluss an die Rechtsauffassung des 16. Senats des LSG Nordrhein-Westfalen, die vom erkennenden Senat geteilt wird - den Streitwert an der zu vermeidenden Beitragsbelastung orientiert (BSG, Urteil v. 28.9.2011, B 12 R 17/09 R, USK 2011-125).

3. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Das Verfahren auf Statusfeststellung nach § 7a SGB IV ist vom Gesetzgeber gerade eingeführt worden, um zu klären, ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, und damit spätere unzumutbare Beitragsnachforderungen zu vermeiden (vgl. BT-Drs. 14/1855, S. 6 unter A.). Es dient also dem Schutz der Auftraggeber vor Beitragsnachforderungen (vgl. Pietrek in jurisPK-SGB IV § 7a Rdnr. 3 m.w.N.). Damit ist die "Bedeutung der Sache" im Sinne von § 52 Abs. 1 GKG bereits durch den Gesetzeszweck unmittelbar bestimmt. Der unmittelbare Bezug zwischen dem Statusfeststellungsverfahren und dem Beitragsinteresse des Auftraggebers kommt gerade auch in § 7a Abs. 6 SGB IV zum Ausdruck, wonach der Eintritt der Versicherungspflicht und die Fälligkeit des Gesamtsozialversicherungsbeitrags unter den dort geregelten Voraussetzungen erst mit Bekanntgabe des Feststellungsbescheides bzw. seiner Unanfechtbarkeit eintritt.

4. Die dagegen von der Beklagten, zum Teil unter Hinweis auf entsprechende obergerichtliche Entscheidungen vorgetragenen Argumente sind nicht überzeugend. Bei der Bemessung des Streitwerts ist nach § 61 Satz 1 GKG von den Angaben des Antragstellers auszugehen. Danach sind zwar keine eigenen Ermittlungen des Gerichts zur Streitwertfeststellung durchzuführen. Soweit die Angaben des Antragstellers (oder eines Dritten, die sich der Antragsteller - wie hier - zu Eigen macht) jedoch ausreichen, die Bedeutung der Sache zu bestimmen, besteht für einen Rückgriff auf den sog. Auffangstreitwert kein Raum. Dabei begegnet es auch keinen Bedenken, den Streitwert ggf. aufgrund konkret vorhandener Anhaltspunkte zu schätzen (vgl. nur BGH, Beschluss v. 6.12.2001, VII ZR 420/00, NJW 2002, 684).

5. Der Senat geht damit für die Festsetzung des Streitwerts in Statusfeststellungsverfahren im Regelfall davon aus, dass das Interesse des möglichen Arbeitgebers an der Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen auf 20 % bzw. 40 % des Arbeitsentgelts zu schätzen, je nachdem, ob bzw. inwieweit er in der Lage ist, den Arbeitnehmeranteil im Wege des Beitragsabzugs (§ 28g SGB IV) einzubehalten. Der maßgebliche Zeitraum richtet sich bei längerfristigen Arbeitsbeziehungen in der Regel nach deren (absehbarer) Dauer, allerdings begrenzt auf einen Zeitraum von drei Jahren (Rechtsgedanke des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG).

6. Im vorliegenden Fall liegt der vom SG zu Recht herangezogene Zeitraum von 2008 bis 2010 vor Klageerhebung. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Klägerin noch einen Beitragsabzug vornehmen könnte. Ihr maßgebliches Interesse an einer Beitragsvermeidung ist daher mit 40 % der an die Beigeladene gezahlten Bruttovergütungen anzusetzen. Da das Verbot der reformatio in peius im Rechtsmittelverfahren wegen § 63 Abs. 3 GKG für die Streitwertfestsetzung nicht gilt (vgl. Senat, Beschluss v. 24.3.2011, L 8 R 1107/10 B, juris, m.w.N.), konnte der Senat den Streitwert höher festsetzen als erstinstanzlich geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved