Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 35 KR 861/09
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 83/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Beiträgen zur Sozialversicherung.
Die Klägerin ist eine Tochterfirma der deutschen Reederei S. und beschäftigt sich u.a. damit, Seeleute (überwiegend ausländischer Staatsangehörigkeit) für Einsätze auf unter deutscher Flagge fahrenden Schiffen der Reederei S. anzuheuern. In der Vergangenheit war zwischen der insoweit als Einzugsstelle zuständigen Seekrankenkasse als Rechtsvorgängerin der Beklagten und anderen Tochterfirmen der Reederei S. verschiedentlich streitig, ob die von ausländischen Tochterfirmen angeheuerten Seeleute nach deutschem Recht sozialversicherungspflichtig waren und wen die Zahlungspflicht als Arbeitgeber traf. Die im Oktober 1991 gestellten Anträge zweier anderer Tochterfirmen der Reederei S. auf Beitragserstattung blieben ohne Erfolg (Senatsurteile vom 20.4.2005, L 1 KR 16/04, und vom 30.7.2008, L 1 KR 76/05).
Die Klägerin stellte nach eigenen Angaben der Reederei S. in der Zeit zwischen Januar 1977 und April 1982 mehrere b. und i. Staatsangehörige als Funker zur Verfügung sowie in der Zeit von August 1980 bis November 1982 mehrere p. Staatsangehörige als Seeleute und entrichtete hierfür Sozialversicherungsbeiträge (auch zur gesetzlichen Unfallversicherung) an die See-Krankenkasse. Jedenfalls hinsichtlich der p. Seeleute erklärte die See-Krankenkasse in diesem Zusammenhang, sie habe Kenntnis davon, dass die Klägerin die Beiträge nur unter Vorbehalt zahle, und sei bereit, die für die Zeit ab dem 1. Mai 1980 entrichteten Beiträge zu erstatten, wenn in dem Beitragsstreitverfahren zwischen der Reederei S. und der Beklagten "rechtskräftig entschieden werden sollte, dass die von ihnen für die Reederei beschafften Besatzungsmitglieder nicht nach deutschen Rechtsvorschriften sozialversichert sind." Auf die Erhebung der Verjährungseinrede werde verzichtet.
Zwei mit Schreiben vom 10. Oktober 1991 gestellte Erstattungsanträge (jeweils gesondert für die b. und i. Funker sowie für die p. Seeleute) lehnte die Beklagte mit zwei Bescheiden vom 9. September 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1999 ab. Sie führte aus, es gelte deutsches Sozialversicherungsrecht. Die Beschäftigungsverhältnisse hätten – da die Klägerin ohne die erforderliche Genehmigung Arbeitnehmerüberlassung betrieben habe – zwischen den Arbeitnehmern und der Reederei S. bestanden, jedoch hafte die Klägerin insoweit für die Beiträge. Schließlich seien etwaige Erstattungsansprüche verjährt.
Hiergegen hat die Klägerin am 16. März 1999 Klage erhoben. In der Niederschrift über einen Termin zur Erörterung des Rechtsstreits am 20. September 2002 heißt es hierzu, die Beteiligten schlössen einen Vergleich, wonach die Beklagte der Klägerin einen Betrag von 14.120,- DM (umzurechnen in Euro) sowie ein Zwölftel der notwendigen außergerichtlichen Kosten erstatte und die Klägerin die Klage im Übrigen zurücknehme. Weiter heißt es in der Sitzungsniederschrift, den Beteiligten werde das Recht eingeräumt, den Vergleich längstens bis zum 31. März 2003 (Eingang bei Gericht) zu widerrufen. Ein Vermerk in der Niederschrift, wonach dieser Vergleich von den erschienenen Vertretern der Beteiligten genehmigt worden sei, fehlt. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 23. Juni 2003 um Fortgang des Verfahrens ersucht hatte, hat sich die Beklagte darauf berufen, sie habe mit Schreiben vom 28. März 2003 den Widerruf erklärt. Das Schreiben sei am selben Tag als einfacher Brief sowie per Fax versandt worden. Ein Sendebericht existiere nicht, jedoch ein Vermerk der Sachbearbeiterin (die eine entsprechende eidesstattliche Erklärung abgegeben hat). Zudem hat die Beklagte einen an sie adressierten Schriftsatz der Klägerin vom 31. März 2003 vorgelegt, in dem es heißt, ihr werde der an das Gericht adressierte Widerruf der Klägerin zur Kenntnis übermittelt. Die Klägerin hat demgegenüber die Auffassung vertreten, der Vergleich sei nicht wirksam widerrufen worden. Ihr ist daraufhin eine vollstreckbare Ausfertigung der Niederschrift vom 20. September 2002 erteilt worden.
Das Sozialgericht hat die inzwischen unter einem neuen Aktenzeichen geführte Klage durch Urteil vom 8. Juli 2010 abgewiesen, wobei es sich hinsichtlich des Hauptantrags den Erwägungen des Senats in seinen Urteilen vom 20. April 2005 und vom 30. Juli 2008 angeschlossen hat. Auch im Hilfsantrag auf Zahlung vom 7.219,44 Euro aus dem Vergleich vom 20. September 2002 sei die Klage unbegründet, denn es sei der Klägerin aus Gründen von Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches) verwehrt, sich auf "die Bestandskraft" dieses Vergleichs zu berufen. Die Klägerin selbst sei ausweislich ihres Schriftsatzes vom 23. Juni 2003 davon ausgegangen, den Vergleich widerrufen zu haben. Auch in einem Erörterungstermin im Verfahren S 28 KR 165/99 habe sie Entsprechendes bekundet. Die Klägerin habe auch nicht bestritten, am 31. März 2003 einen Widerrufsschriftsatz an die Beklagte gesandt zu haben.
Die Klägerin hat am 12. Oktober 2010 Berufung gegen das ihr am 13. September 2010 zugestellte Urteil eingelegt: Sie begehre in erster Linie die Vollstreckung aus dem Vergleich vom 20. September 2002, der nicht wirksam widerrufen worden sei. Hilfsweise begehre sie die Zahlung 7.219,44 Euro aus einem materiell-rechtlichen Vergleich, weiter hilfsweise begehre sie die Aufhebung der Bescheide und die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung von Beiträgen i.H.v. 90.713,36 Euro. Der Vergleich habe weiterhin Bestand. Die Klägerin habe keinen Widerruf erklärt, denn ihr Prozessbevollmächtigter habe keinen entsprechenden Schriftsatz an das Gericht abgesandt. Ein Widerruf der Beklagten sei nicht zur Prozessakte des Gerichts gelangt; auch habe die Beklagte nicht alles getan, um den Vergleich zu beseitigen. Zum weiteren Hilfsantrag führt die Klägerin aus, das Urteil des Sozialgerichts sei mangels Beiladung der betroffenen Arbeitnehmer verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Auch habe das Sozialgericht bei der Beklagten nachfragen müssen, ob diese zwischenzeitlich von den aktuellen Anschriften der Arbeitnehmer Kenntnis habe. Es sei auch nicht der Versuch unternommen worden, die erforderlichen Daten über die P. Agency zu ermitteln. Weiterhin sei nicht einzusehen, weswegen p. Seeleute, die auf ein unter deutscher Flagge fahrendes Schiff entsandt würden, nach deutschem Recht versicherungspflichtig sein sollten. Die Ausführungen des Sozialgerichts zur Konzernzugehörigkeit der Klägerin seien nicht verständlich. Auch sei insbesondere die Heranziehung zu Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung rechtswidrig, da keiner der betroffenen p. Arbeitnehmer eine Arbeitserlaubnis nach deutschem Recht erhalten könne. Rechtswidrig sei auch die Zugrundelegung einer Durchschnittsheuer anstelle der tatsächlichen Heuer.
Die Klägerin beantragt
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. Juli 2010 aufzuheben und festzustellen, dass der Rechtsstreit durch wirksamen Prozessvergleich vom 20. September 2009 beendet worden ist, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 7.219,44 Euro zu zahlen, weiter hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 9. September 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1999 zu verurteilen, an die Klägerin 90.713,36 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
Die Beigeladenen
haben keine Anträge gestellt.
Der Senat hat am 1. November 2012 über die Berufung mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte, die Verwaltungsakte der Beklagten und die weiteren ausweislich der Sitzungsniederschrift beigezogenen und zum Gegenstand der Verhandlung gemachten Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist statthaft und insgesamt zulässig, jedoch im Hauptantrag und beiden Hilfsanträgen unbegründet.
Die Berufung ist im Hauptantrag unbegründet. Das Klageverfahren vor dem Sozialgericht ist nicht durch einen wirksamen gerichtlichen Vergleich vom 20. September 2002 beendet worden. Ein sog. Prozessvergleich mit nicht nur materiell-rechtlicher, sondern auch prozessbeendender Wirkung ist nicht wirksam geschlossen worden, denn in der Sitzungsniederschrift vom 20. September 2002 ist entgegen § 122 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 162 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht vermerkt, dass der Vergleich vorgelesen (oder von einem Tonträger abgespielt) und von den anwesenden Beteiligtenvertretern genehmigt worden wäre. Zwar gilt grundsätzlich, dass ein Verstoß gegen § 162 Abs. 1 ZPO für sich betrachtet nicht zur Unwirksamkeit der festgestellten Prozesshandlung führt (vgl. BGH, Urteil vom 18.6.1999, V ZR 40/98, BGHZ 142, 84; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6.1.2005, L 6 P 60/03, juris). An den Abschluss eines Prozessvergleichs stellt § 101 Abs. 1 SGG jedoch strengere Voraussetzungen, denn dort ist ausdrücklich die Rede davon, dass die Beteiligten, um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, einen Vergleich zur Niederschrift des Gerichts schließen können. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 28.11.2002, B 7 AL 26/02 R, juris, m.w.N. aus der eigenen Rspr. sowie der des BGH) setzt dies zwingend voraus, dass die sich sachlich deckenden Erklärungen der Beteiligten in die Sitzungsniederschrift aufgenommen wenden und in der Niederschrift vermerkt ist, dass der Vergleich vorgelesen oder zur Durchsicht vorgelegt und genehmigt worden ist. Selbst ein Vermerk, der Vergleich sei laut diktiert und genehmigt worden, reicht hierfür nicht aus (BSG, a.a.O.). Auch ist unbeachtlich, ob die Beteiligten und das Gericht übereinstimmend vom Abschluss eines Prozessvergleichs ausgegangen sind, denn dies vermag die fehlende Protokollierung nicht zu ersetzen.
Der Niederschrift über den Erörterungstermin am 20. September 2002 lassen sich auch keine wirksamen übereinstimmenden Erledigungserklärungen (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO) entnehmen. Als (rein prozessrechtliche) Erledigungserklärungen betrachtet, stellten sich die Willenserklärungen der Beteiligten wegen des zugleich erklärten Widerrufsvorbehalts als aufschiebend bedingt dar. Ebenso wie nach dem eigentlich beabsichtigten Prozessvergleich mit Widerrufsvorbehalt die Rechtshängigkeit der Klage erst nach fruchtlosem Ablauf der Widerrufsfrist entfallen wäre, hätten übereinstimmende Erledigungserklärungen ihre Wirkung nur unter dieser Voraussetzung entfalten können. Da sich somit die Aufnahme eines Widerrufsvorbehalts in den Vergleich als Aufnahme einer aufschiebenden Bedingung in die etwaigen Erledigungserklärungen auswirkte, waren diese unwirksam, denn übereinstimmende Erledigungserklärungen sind als Prozesshandlungen bedingungsfeindlich.
In dem auf Zahlung aus dem Vergleich vom 20. September 2002 gerichteten Hilfsantrag ist die Berufung ebenfalls unbegründet. Hierbei kann im Ergebnis dahinstehen, ob besagter Vergleich nicht nur als Prozessvergleich, sondern auch als rein materiell-rechtlicher Vertrag zwischen den Beteiligten unwirksam ist (zur Möglichkeit einer entsprechenden Reduzierung eines wegen Formmängeln nichtigen Prozessvergleichs BGH, Urteil vom 24.10.1984, IVb ZR 35/83, NJW 1985, 1962). Denn einen wirksam geschlossenen rein materiell-rechtlichen Vergleich hätten die Beteiligten jedenfalls durch ihre im März 2003 untereinander abgegebenen Willenserklärungen wirksam widerrufen. Das im Erörterungstermin vereinbarte Widerrufsrecht wäre bei einer Reduzierung des Vergleichs auf einen rein materiell-rechtlichen Vertrag bestehen geblieben. Zugleich hätte der Widerruf angesichts dessen aber nicht mehr gegenüber dem Gericht erfolgen müssen, sondern auch unter den Beteiligten erklärt werden können. Letzteres ist ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Schriftverkehrs aus März 2003 geschehen. Auch wenn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die an das Gericht adressierte Widerrufserklärung nicht an das Gericht abgesandt haben sollte (wie er in einem späteren Verfahrensstadium vorgetragen hat), so hat er sie doch rechtzeitig an die Beklagte übersandt und bereits auf diese Weise einen Widerruf erklärt. Schließlich könnte sich die Klägerin auch aus Gründen von Treu und Glauben nicht auf einen rein materiell-rechtlichen Vergleich berufen. Den diesbezüglichen Ausführungen des Sozialgerichts hat der Senat nichts mehr hinzuzufügen.
Auch in dem auf Rückzahlung der gesamten Beiträge zur Sozialversicherung gerichteten Hilfsantrag ist die Berufung unbegründet. Zunächst steht einem Erstattungsanspruch der Klägerin jedenfalls hinsichtlich der wegen Beschäftigung der b. und i. Funker gezahlten Beiträge bereits Verjährung entgegen. Nach § 27 Abs. 2 Satz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) verjährt der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Die Vorschrift gilt nach Art. II § 15 des Gesetzes vom 23. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3845) auch für die vor dem Inkrafttreten des SGB IV (am 1.7.1977) fällig gewordenen, noch nicht verjährten Erstattungsansprüche. Dass die vierjährige Frist aus § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV hinsichtlich der in den Jahren 1977 bis 1982 gezahlten Beiträge bei Stellung der Erstattungsanträge im Oktober 1991 verstrichen war, bedarf keiner näheren Darlegungen. Keiner näheren Erörterung bedarf es auch, ob das Gericht die Verjährung nur dann zu beachten hat, wenn der Versicherungsträger sich ausdrücklich hierauf beruft, denn die Beklagte hat dies in den Ausgangsbescheiden, im Widerspruchsbescheid und auch in der Klageerwiderung ausdrücklich getan. Sie war auch nicht daran gehindert, sich auf Verjährung zu berufen (genauer gesagt: die Erstattungsanträge u.a. unter Verweis auf Verjährung abzulehnen). Weder hat sie auf diese Möglichkeit verzichtet, noch in anderer Hinsicht treuwidrig gehandelt.
Soweit Ansprüche auf Beitragserstattung nicht bereits verjährt sind, bestehen sie jedenfalls aus Gründen des materiellen Rechts nicht. Der Senat verweist an dieser Stelle zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine Urteile vom 20. April 2005 (L 1 KR 16/04) und 30. Juli 2008 (L 1 KR 76/05). Das Vorbringen der Klägerin lässt nichts erkennen, was für ein Abweichen von dieser Rechtsprechung sprechen könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG in der bis zum 2. Januar 2002 geltenden Fassung, die im vorliegenden Fall gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes weiterhin Anwendung finden. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Beiträgen zur Sozialversicherung.
Die Klägerin ist eine Tochterfirma der deutschen Reederei S. und beschäftigt sich u.a. damit, Seeleute (überwiegend ausländischer Staatsangehörigkeit) für Einsätze auf unter deutscher Flagge fahrenden Schiffen der Reederei S. anzuheuern. In der Vergangenheit war zwischen der insoweit als Einzugsstelle zuständigen Seekrankenkasse als Rechtsvorgängerin der Beklagten und anderen Tochterfirmen der Reederei S. verschiedentlich streitig, ob die von ausländischen Tochterfirmen angeheuerten Seeleute nach deutschem Recht sozialversicherungspflichtig waren und wen die Zahlungspflicht als Arbeitgeber traf. Die im Oktober 1991 gestellten Anträge zweier anderer Tochterfirmen der Reederei S. auf Beitragserstattung blieben ohne Erfolg (Senatsurteile vom 20.4.2005, L 1 KR 16/04, und vom 30.7.2008, L 1 KR 76/05).
Die Klägerin stellte nach eigenen Angaben der Reederei S. in der Zeit zwischen Januar 1977 und April 1982 mehrere b. und i. Staatsangehörige als Funker zur Verfügung sowie in der Zeit von August 1980 bis November 1982 mehrere p. Staatsangehörige als Seeleute und entrichtete hierfür Sozialversicherungsbeiträge (auch zur gesetzlichen Unfallversicherung) an die See-Krankenkasse. Jedenfalls hinsichtlich der p. Seeleute erklärte die See-Krankenkasse in diesem Zusammenhang, sie habe Kenntnis davon, dass die Klägerin die Beiträge nur unter Vorbehalt zahle, und sei bereit, die für die Zeit ab dem 1. Mai 1980 entrichteten Beiträge zu erstatten, wenn in dem Beitragsstreitverfahren zwischen der Reederei S. und der Beklagten "rechtskräftig entschieden werden sollte, dass die von ihnen für die Reederei beschafften Besatzungsmitglieder nicht nach deutschen Rechtsvorschriften sozialversichert sind." Auf die Erhebung der Verjährungseinrede werde verzichtet.
Zwei mit Schreiben vom 10. Oktober 1991 gestellte Erstattungsanträge (jeweils gesondert für die b. und i. Funker sowie für die p. Seeleute) lehnte die Beklagte mit zwei Bescheiden vom 9. September 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1999 ab. Sie führte aus, es gelte deutsches Sozialversicherungsrecht. Die Beschäftigungsverhältnisse hätten – da die Klägerin ohne die erforderliche Genehmigung Arbeitnehmerüberlassung betrieben habe – zwischen den Arbeitnehmern und der Reederei S. bestanden, jedoch hafte die Klägerin insoweit für die Beiträge. Schließlich seien etwaige Erstattungsansprüche verjährt.
Hiergegen hat die Klägerin am 16. März 1999 Klage erhoben. In der Niederschrift über einen Termin zur Erörterung des Rechtsstreits am 20. September 2002 heißt es hierzu, die Beteiligten schlössen einen Vergleich, wonach die Beklagte der Klägerin einen Betrag von 14.120,- DM (umzurechnen in Euro) sowie ein Zwölftel der notwendigen außergerichtlichen Kosten erstatte und die Klägerin die Klage im Übrigen zurücknehme. Weiter heißt es in der Sitzungsniederschrift, den Beteiligten werde das Recht eingeräumt, den Vergleich längstens bis zum 31. März 2003 (Eingang bei Gericht) zu widerrufen. Ein Vermerk in der Niederschrift, wonach dieser Vergleich von den erschienenen Vertretern der Beteiligten genehmigt worden sei, fehlt. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 23. Juni 2003 um Fortgang des Verfahrens ersucht hatte, hat sich die Beklagte darauf berufen, sie habe mit Schreiben vom 28. März 2003 den Widerruf erklärt. Das Schreiben sei am selben Tag als einfacher Brief sowie per Fax versandt worden. Ein Sendebericht existiere nicht, jedoch ein Vermerk der Sachbearbeiterin (die eine entsprechende eidesstattliche Erklärung abgegeben hat). Zudem hat die Beklagte einen an sie adressierten Schriftsatz der Klägerin vom 31. März 2003 vorgelegt, in dem es heißt, ihr werde der an das Gericht adressierte Widerruf der Klägerin zur Kenntnis übermittelt. Die Klägerin hat demgegenüber die Auffassung vertreten, der Vergleich sei nicht wirksam widerrufen worden. Ihr ist daraufhin eine vollstreckbare Ausfertigung der Niederschrift vom 20. September 2002 erteilt worden.
Das Sozialgericht hat die inzwischen unter einem neuen Aktenzeichen geführte Klage durch Urteil vom 8. Juli 2010 abgewiesen, wobei es sich hinsichtlich des Hauptantrags den Erwägungen des Senats in seinen Urteilen vom 20. April 2005 und vom 30. Juli 2008 angeschlossen hat. Auch im Hilfsantrag auf Zahlung vom 7.219,44 Euro aus dem Vergleich vom 20. September 2002 sei die Klage unbegründet, denn es sei der Klägerin aus Gründen von Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches) verwehrt, sich auf "die Bestandskraft" dieses Vergleichs zu berufen. Die Klägerin selbst sei ausweislich ihres Schriftsatzes vom 23. Juni 2003 davon ausgegangen, den Vergleich widerrufen zu haben. Auch in einem Erörterungstermin im Verfahren S 28 KR 165/99 habe sie Entsprechendes bekundet. Die Klägerin habe auch nicht bestritten, am 31. März 2003 einen Widerrufsschriftsatz an die Beklagte gesandt zu haben.
Die Klägerin hat am 12. Oktober 2010 Berufung gegen das ihr am 13. September 2010 zugestellte Urteil eingelegt: Sie begehre in erster Linie die Vollstreckung aus dem Vergleich vom 20. September 2002, der nicht wirksam widerrufen worden sei. Hilfsweise begehre sie die Zahlung 7.219,44 Euro aus einem materiell-rechtlichen Vergleich, weiter hilfsweise begehre sie die Aufhebung der Bescheide und die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung von Beiträgen i.H.v. 90.713,36 Euro. Der Vergleich habe weiterhin Bestand. Die Klägerin habe keinen Widerruf erklärt, denn ihr Prozessbevollmächtigter habe keinen entsprechenden Schriftsatz an das Gericht abgesandt. Ein Widerruf der Beklagten sei nicht zur Prozessakte des Gerichts gelangt; auch habe die Beklagte nicht alles getan, um den Vergleich zu beseitigen. Zum weiteren Hilfsantrag führt die Klägerin aus, das Urteil des Sozialgerichts sei mangels Beiladung der betroffenen Arbeitnehmer verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Auch habe das Sozialgericht bei der Beklagten nachfragen müssen, ob diese zwischenzeitlich von den aktuellen Anschriften der Arbeitnehmer Kenntnis habe. Es sei auch nicht der Versuch unternommen worden, die erforderlichen Daten über die P. Agency zu ermitteln. Weiterhin sei nicht einzusehen, weswegen p. Seeleute, die auf ein unter deutscher Flagge fahrendes Schiff entsandt würden, nach deutschem Recht versicherungspflichtig sein sollten. Die Ausführungen des Sozialgerichts zur Konzernzugehörigkeit der Klägerin seien nicht verständlich. Auch sei insbesondere die Heranziehung zu Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung rechtswidrig, da keiner der betroffenen p. Arbeitnehmer eine Arbeitserlaubnis nach deutschem Recht erhalten könne. Rechtswidrig sei auch die Zugrundelegung einer Durchschnittsheuer anstelle der tatsächlichen Heuer.
Die Klägerin beantragt
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. Juli 2010 aufzuheben und festzustellen, dass der Rechtsstreit durch wirksamen Prozessvergleich vom 20. September 2009 beendet worden ist, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 7.219,44 Euro zu zahlen, weiter hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 9. September 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1999 zu verurteilen, an die Klägerin 90.713,36 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
Die Beigeladenen
haben keine Anträge gestellt.
Der Senat hat am 1. November 2012 über die Berufung mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte, die Verwaltungsakte der Beklagten und die weiteren ausweislich der Sitzungsniederschrift beigezogenen und zum Gegenstand der Verhandlung gemachten Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist statthaft und insgesamt zulässig, jedoch im Hauptantrag und beiden Hilfsanträgen unbegründet.
Die Berufung ist im Hauptantrag unbegründet. Das Klageverfahren vor dem Sozialgericht ist nicht durch einen wirksamen gerichtlichen Vergleich vom 20. September 2002 beendet worden. Ein sog. Prozessvergleich mit nicht nur materiell-rechtlicher, sondern auch prozessbeendender Wirkung ist nicht wirksam geschlossen worden, denn in der Sitzungsniederschrift vom 20. September 2002 ist entgegen § 122 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 162 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht vermerkt, dass der Vergleich vorgelesen (oder von einem Tonträger abgespielt) und von den anwesenden Beteiligtenvertretern genehmigt worden wäre. Zwar gilt grundsätzlich, dass ein Verstoß gegen § 162 Abs. 1 ZPO für sich betrachtet nicht zur Unwirksamkeit der festgestellten Prozesshandlung führt (vgl. BGH, Urteil vom 18.6.1999, V ZR 40/98, BGHZ 142, 84; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6.1.2005, L 6 P 60/03, juris). An den Abschluss eines Prozessvergleichs stellt § 101 Abs. 1 SGG jedoch strengere Voraussetzungen, denn dort ist ausdrücklich die Rede davon, dass die Beteiligten, um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, einen Vergleich zur Niederschrift des Gerichts schließen können. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 28.11.2002, B 7 AL 26/02 R, juris, m.w.N. aus der eigenen Rspr. sowie der des BGH) setzt dies zwingend voraus, dass die sich sachlich deckenden Erklärungen der Beteiligten in die Sitzungsniederschrift aufgenommen wenden und in der Niederschrift vermerkt ist, dass der Vergleich vorgelesen oder zur Durchsicht vorgelegt und genehmigt worden ist. Selbst ein Vermerk, der Vergleich sei laut diktiert und genehmigt worden, reicht hierfür nicht aus (BSG, a.a.O.). Auch ist unbeachtlich, ob die Beteiligten und das Gericht übereinstimmend vom Abschluss eines Prozessvergleichs ausgegangen sind, denn dies vermag die fehlende Protokollierung nicht zu ersetzen.
Der Niederschrift über den Erörterungstermin am 20. September 2002 lassen sich auch keine wirksamen übereinstimmenden Erledigungserklärungen (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO) entnehmen. Als (rein prozessrechtliche) Erledigungserklärungen betrachtet, stellten sich die Willenserklärungen der Beteiligten wegen des zugleich erklärten Widerrufsvorbehalts als aufschiebend bedingt dar. Ebenso wie nach dem eigentlich beabsichtigten Prozessvergleich mit Widerrufsvorbehalt die Rechtshängigkeit der Klage erst nach fruchtlosem Ablauf der Widerrufsfrist entfallen wäre, hätten übereinstimmende Erledigungserklärungen ihre Wirkung nur unter dieser Voraussetzung entfalten können. Da sich somit die Aufnahme eines Widerrufsvorbehalts in den Vergleich als Aufnahme einer aufschiebenden Bedingung in die etwaigen Erledigungserklärungen auswirkte, waren diese unwirksam, denn übereinstimmende Erledigungserklärungen sind als Prozesshandlungen bedingungsfeindlich.
In dem auf Zahlung aus dem Vergleich vom 20. September 2002 gerichteten Hilfsantrag ist die Berufung ebenfalls unbegründet. Hierbei kann im Ergebnis dahinstehen, ob besagter Vergleich nicht nur als Prozessvergleich, sondern auch als rein materiell-rechtlicher Vertrag zwischen den Beteiligten unwirksam ist (zur Möglichkeit einer entsprechenden Reduzierung eines wegen Formmängeln nichtigen Prozessvergleichs BGH, Urteil vom 24.10.1984, IVb ZR 35/83, NJW 1985, 1962). Denn einen wirksam geschlossenen rein materiell-rechtlichen Vergleich hätten die Beteiligten jedenfalls durch ihre im März 2003 untereinander abgegebenen Willenserklärungen wirksam widerrufen. Das im Erörterungstermin vereinbarte Widerrufsrecht wäre bei einer Reduzierung des Vergleichs auf einen rein materiell-rechtlichen Vertrag bestehen geblieben. Zugleich hätte der Widerruf angesichts dessen aber nicht mehr gegenüber dem Gericht erfolgen müssen, sondern auch unter den Beteiligten erklärt werden können. Letzteres ist ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Schriftverkehrs aus März 2003 geschehen. Auch wenn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die an das Gericht adressierte Widerrufserklärung nicht an das Gericht abgesandt haben sollte (wie er in einem späteren Verfahrensstadium vorgetragen hat), so hat er sie doch rechtzeitig an die Beklagte übersandt und bereits auf diese Weise einen Widerruf erklärt. Schließlich könnte sich die Klägerin auch aus Gründen von Treu und Glauben nicht auf einen rein materiell-rechtlichen Vergleich berufen. Den diesbezüglichen Ausführungen des Sozialgerichts hat der Senat nichts mehr hinzuzufügen.
Auch in dem auf Rückzahlung der gesamten Beiträge zur Sozialversicherung gerichteten Hilfsantrag ist die Berufung unbegründet. Zunächst steht einem Erstattungsanspruch der Klägerin jedenfalls hinsichtlich der wegen Beschäftigung der b. und i. Funker gezahlten Beiträge bereits Verjährung entgegen. Nach § 27 Abs. 2 Satz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) verjährt der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Die Vorschrift gilt nach Art. II § 15 des Gesetzes vom 23. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3845) auch für die vor dem Inkrafttreten des SGB IV (am 1.7.1977) fällig gewordenen, noch nicht verjährten Erstattungsansprüche. Dass die vierjährige Frist aus § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV hinsichtlich der in den Jahren 1977 bis 1982 gezahlten Beiträge bei Stellung der Erstattungsanträge im Oktober 1991 verstrichen war, bedarf keiner näheren Darlegungen. Keiner näheren Erörterung bedarf es auch, ob das Gericht die Verjährung nur dann zu beachten hat, wenn der Versicherungsträger sich ausdrücklich hierauf beruft, denn die Beklagte hat dies in den Ausgangsbescheiden, im Widerspruchsbescheid und auch in der Klageerwiderung ausdrücklich getan. Sie war auch nicht daran gehindert, sich auf Verjährung zu berufen (genauer gesagt: die Erstattungsanträge u.a. unter Verweis auf Verjährung abzulehnen). Weder hat sie auf diese Möglichkeit verzichtet, noch in anderer Hinsicht treuwidrig gehandelt.
Soweit Ansprüche auf Beitragserstattung nicht bereits verjährt sind, bestehen sie jedenfalls aus Gründen des materiellen Rechts nicht. Der Senat verweist an dieser Stelle zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine Urteile vom 20. April 2005 (L 1 KR 16/04) und 30. Juli 2008 (L 1 KR 76/05). Das Vorbringen der Klägerin lässt nichts erkennen, was für ein Abweichen von dieser Rechtsprechung sprechen könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG in der bis zum 2. Januar 2002 geltenden Fassung, die im vorliegenden Fall gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes weiterhin Anwendung finden. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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