L 6 VS 1867/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 VS 2280/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VS 1867/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die in den AHP enthaltenen Erläuterungen zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen (Nr. 53 bis 143 AHP) sind weiter zu berücksichtigen, da die VG insoweit keine Regelungen getroffen haben.
2. Der Bericht der Radarkommission ist nicht als antizipiertes Sachverständigengutachten zu berücksichtigen, da er nur aufgrund eines akuten Handlungsbedarfs erstellt und nicht den aktuellen wisenschaftlichen Erkenntnissen angepasst wurde, so dass er auf Schlüssigkeit zu überprüfen ist.
3. Ein Nierenzellkarzom kann durch eine ionisierende Strahlung idR nicht verursacht werden, es zählt nicht zu den qualifizierten Erkrankungen.
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Januar 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung von Gesundheitsstörungen im Rahmen der Beschädigtenversorgung streitig.

Der 1969 geborene Kläger, der bis 1999 Diplom-Ökonomie studierte und seitdem als Controller, zuletzt in einen Pharmaunternehmen berufstätig ist, beantragte mit Schreiben vom 16.02.2004 Dienstbeschädigungsausgleich wegen einer 2003 diagnostizierten Nierenkrebserkrankung, die er auf eine Schädigung durch Radarstrahlung zurückführte. Nach dem von ihm vorgelegten Dienstausweis war er als Funkorter in einer mobilen Radarstation Mitglied der Nationalen Volksarmee (NVA) der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und in den Dienststellen Z. vom 01.09.1988 bis zum 17.02.1989 (Unteroffizierslehrgang), E. vom 17.02.1989 bis zum 19.08.1989 und Z. vom 19.08.1989 bis zum 24.08.1990 eingesetzt.

Der Kläger gab an, als (Ober-)Funkorter vom 17.02.1989 bis zum 24.08.1990 in der mobilen Aufklärungs-Leitstation (ALS) 1 S 91 verwendet gewesen zu sein und auch Instandsetzungs- und Kontrollarbeiten durchgeführt zu haben. Die ALS 1 S 91 bestand aus mehreren funktionalen Einheiten, wobei sich der Arbeitsplatz des Funkorters im Kampfraum rechts befand und die Sendeanlagen der einzelnen Radaranlagen im Radarturm waren (Bl. 64 V-Akte). Während die ALS in Gefechtsstellung gebracht worden sei, sei er mehrfach täglich bei laufendem Betrieb in geringem Abstand der Strahlung der Spiegel direkt ausgesetzt gewesen, da die ALS bereits zu diesem Zeitpunkt durch Fahrer oder Stationsleiter vorab für den Funkorter in Betrieb genommen worden sei. Ferner sei er der Strahlung bei Reparaturen an den technischen Modulen der ALS und in geschlossenen Gebäuden innerhalb eines faradayischen Käfigs bei Änderungen und Überprüfungen der Sendefrequenzen der ALS bei laufendem Betrieb der Strahlung ausgesetzt gewesen. Beim normalen Betrieb sei er nach der Herstellung der Gefechtsbereitschaft in der ALS circa 1 Meter (m) unterhalb der Antennenanlagen beziehungsweise der technischen Komponenten der Sende- und Empfangseinrichtungen tätig gewesen. Der Abstand zu den Bedienelementen beziehungsweise sonstigen technischen Einrichtungen sei aufgrund der beengten Verhältnisse und seiner Körpergröße von 2 m minimal gewesen. Das tägliche Betriebsregime habe mehrere Stunden beziehungsweise halb- oder ganztägig mit kurzen Pausen zum Austreten oder beim Stellungswechsel betragen. Die Sendeleistung schätze er auf 300 bis 500 Kilowatt (kW). Neben seiner Tätigkeit als (Ober-)Funkorter sei er aushilfsweise bei Reparaturen durch Techniker eingesetzt worden. Bei Reparaturen an den Sende- und Empfangsanlagen habe er dem Techniker durch Ausleuchten der Module, Halten der Schaltpläne und Reichen der Werkzeuge helfen müssen. Ebenso habe man dem Techniker wegen der Hochspannungseinrichtungen im Notfall durch Ausschalten der Systeme Hilfestellung leisten müssen. Wegen des Alters und der Störanfälligkeit der Anlagen sei es in unregelmäßigen Abständen zu solchen Reparaturen an geöffneten und eingeschalteten Stationen gekommen.

Der Kläger legte den vorläufigen Kurzarztbrief des Dr. K., Kreiskrankenhaus R., vom 10.11.2003 (Nierentumor rechts, Verdacht auf Nierenzellkarzinom, Verdacht auf beginnende Pyelonephritis rechts), den Operationsbericht des Prof. Dr. L., Klinik für Urologie des Klinikums der Stadt V.-Sch., vom 13.11.2003 (Nierentumor rechts, Tumornephrektomie rechts) und den Arztbrief des Dr. V., Direktor des Instituts für Pathologie des Klinikums der Stadt V.-Sch., vom 18.11.2003 (klarzelliges Karzinom der rechten Niere und Nebenniere; der Patient falle aus dem normalen Altersrahmen der Nierenkarzinome heraus) vor.

Die Wehrbereichsverwaltung Ost zog die Unterlagen des Instituts für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen - Abteilung I, insbesondere Befundberichte über eine am 21.07.1989 erfolgte operative Behandlung einer Exostose an der rechten Darmbeinschaufel, bei.

Ferner zog die Wehrbereichsverwaltung Ost den Bericht der Arbeitsgruppe zur Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar (AG Radar) zur ALS 1 S 91 vom 02.09.2003 samt Messberichte der Wehrtechnischen Dienststelle 81 zum Rundsuchradar (Magnetron MI 353 und MI 519) vom 24.02.1992 und 30.03.1992 bei. Darin ist ausgeführt, dass sich die Arbeitsplätze der Besatzung mit den Sichtgeräten und Steuerelementen für die einzelnen Radarkomponenten im Kampfraum des Fahrzeugs und die Sendeanlagen der einzelnen Radarkomponenten sich außerhalb des Kampfraumes im Radarturm befunden hätten. Die Sender hätten nur mit eingebautem und geschlossenem Modulator betrieben werden können. Es seien bei den Messungen maximale Hochspannungen von 10 Kilovolt (kV) am Sender des Zielbeleuchters (Klystron KU 723), von 25 kV am Sender des Folgeradars (Magnetron MI 314), von 32 kV am Sender des Suchradars 1 (Magnetron MI 353), von 32 kV am Sender des Suchradars 2 (Magnetron MI 519) und von 16 kV am Modulator der Sender der Suchradare 1 und 2 (Tetrode GMI 7) ermittelt worden. Bei den beiden Untersuchungen seien am Sender des Suchradars (Magnetron MI 353) maximale Ortsdosisleistungen von 2 Mikrosievert/Stunde (&956;Sv/h) (= 0,002 Milisievert/Stunde [mSv/h] = 0,000002 Sievert/Stunde [Sv/h]) am Messpunkt 1 und von 5 &956;Sv/h (= 0,005 mSv/h = 0,000005 Sv/h) am Messpunkt 2 gemessen und sei am Sender Zielbeleuchter und Folgeradar sowie an den Sichtgeräten keine Röntgenstörstrahlung festgestellt worden. In dem Bericht ist zusammengefasst ausgeführt, bei der ALS 1 S 91 sei Röntgenstörstrahlung nur am geöffneten Gerät festgestellt worden. Die Ortsdosisleistung habe maximal 5 &956;Sv/h (= 0,005 mSv/h = 0,000005 Sv/h) betragen. Diese Stelle sei nur mit den Händen zugänglich gewesen. Da sich an diesen Stellen weder Kontroll- noch Regelelemente befunden hätten, sei ein Zugriff mit den Händen nicht erforderlich gewesen. Da also dort kein Aufenthalt möglich und erforderlich gewesen sei, könne eine Gefährdung durch Röntgenstörstrahlung ausgeschlossen werden.

Sodann beauftragte die Wehrbereichsverwaltung Ost den Arbeits-, Sozial- und Umweltmediziner Dr. W., Ermächtigter Strahlenschutzarzt, mit der Erstellung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme und gab im Auftragsschreiben an, der Kläger sei von 1988 bis 1990 gegenüber einer Betriebsspannung der Radaranlagen von 32 kV ausgesetzt und exponierte Körperbereiche seien die Hände gewesen. Dr. W. führte in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 16.05.2004 aus, bei der Art des geltend gemachten Leidens sei gemäß der derzeit geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung unter Beachtung des "Berichtes der Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der NVA (Radarkommission)" vom 02.07.2003 (BdR) eine Verursachung durch ionisierende Strahlung wahrscheinlich. Da das geltend gemachte Nierenzellkarzinom nur dann durch die Einwirkung ionisierender Strahlung verursacht werden könne, wenn das Strahlenfeld auch die erkrankte Niere betroffen habe, vorliegend aber verwaltungsseitig von einer Einwirkung von Röntgenstörstrahlung beim Kläger lediglich im Bereich beider Hände ausgegangen werde, liege hier ein wahrscheinlicher Kausalzusammenhang nicht vor.

Mit Bescheid vom 20.07.2004 lehnte die Wehrbereichsverwaltung Ost die Anerkennung einer Dienstbeschädigung sowie einen Anspruch auf Gewährung eines Dienstbeschädigungsausgleichs ab. Sie führte zur Begründung aus, bei den Tätigkeiten an den Radaranlagen sei konstruktionsbedingt ausschließlich eine Exposition der Hände mit ionisierender Strahlung möglich gewesen. Die Anerkennung des geltend gemachten Nierenzellkarzinoms rechts als Diensterkrankung und somit die Gewährung eines Dienstbeschädigungsausgleichs sei folglich abzulehnen.

Hiergegen legte der Kläger am 26.07.2004 Widerspruch ein und führte zur Begründung seines Widerspruchs aus, eine begrenzte Teilkörperexposition der Hände, wie von der Wehrbereichsverwaltung Ost angenommen, könne ausgeschlossen werden. Wegen der über Stunden dauernden Tätigkeiten und Reparaturen an nicht abgeschirmten und zugleich in Betrieb befindlichen Anlagen bei einer Betriebsspannung von 32 kV habe die Röntgenstörstrahlung in sein Gewebe ungehindert eindringen können. Er habe sich bei den über Stunden dauernden Reparaturen mit der Niere auch innerhalb des Strahlenfeldes der Störstrahlung an nicht abgeschirmten Anlagen bei eingeschalteter Hochspannung bewegt. Dass nur eine Teilkörperexposition aufgetreten sei, die die Niere nicht betroffen habe, könne die Wehrbereichsverwaltung Ost nicht nachweisen. Ferner könne ein Nachweis, dass er eine Tätigkeit am offenen Gerät bei eingeschalteter Hochspannung nicht ausgeübt habe, nicht erbracht werden. Der Kläger führte ergänzend aus, bei Entfernungen der Abschirmungen an den Sende- und Empfangsanlagen seien gleichzeitig mehrere Module der Sende- und Empfangsanlagen freigelegt worden, da die Abschirmungen großflächig angebracht worden seien. Er sei dadurch ungehindert ionisierender Strahlung mehrerer Module der Sende- und Empfangsanlagen gleichzeitig ausgesetzt gewesen. Man habe sich bei der Arbeit an einem herausgezogenen Modul mit dem Körper seitlich, folglich auch mit dem Bereich der rechten Niere, zu den anderen nicht abgeschirmten Modulen der Sende- und Empfangsanlagen befunden. Der Abstand habe sich dabei auf wenige Zentimeter belaufen.

Auf Anfrage des Klägers gab die Wehrbereichsverwaltung Ost an, die der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. W. zu Grunde gelegten Daten, nämlich dass die Betriebsspannung der Radaranlagen 32 kV betragen habe und die Hände die exponierten Körperbereiche gewesen seien, beruhten auf den von der AG Radar erhobenen Daten.

Die AG Radar gab in ihrer Stellungnahme vom 23.03.2005 an, bei der Untersuchung der ALS 1 S 91 sei bei abgenommener Verkleidung der Sendeapparatur Röntgenstörstrahlung nur in einem lokal eng begrenzten Bereich im Inneren der Sendeapparatur festgestellt worden. Dieser Bereich sei, wenn überhaupt, nur mit den Händen erreichbar gewesen. An allen anderen Punkten in unmittelbarer Nähe der Sender, also an den Punkten, die auch für andere Körperteile außer den Händen zugänglich oder erreichbar gewesen seien, sei keine Röntgenstörstrahlung festgestellt worden. Eine Exposition anderer Körperteile außer den Händen sei also auch bei Einstell- und Reparaturarbeiten an den Sendern bei abgenommener Verkleidung nicht möglich gewesen. Der Arbeitsplatz des Klägers habe sich im Vorderteil des Fahrzeuges befunden. Durch die massiven Metallwände des Fahrzeuges sei er sowohl gegen Hochfrequenzstrahlung (HF-Strahlung) als auch Röntgenstörstrahlung abgeschirmt gewesen. Die vom Kläger beschriebenen herausziehbaren Einschübe habe es nur im Inneren des Fahrzeuges und nicht im Bereich der Sender gegeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.06.2005 wies die Wehrbereichsverwaltung Ost den Widerspruch zurück. Sie stützte sich dabei auf die nochmals erfolgte umfassende Arbeitsplatzanalyse. Danach sei zusammenfassend festzustellen, dass der Kläger während seines Dienstes bei der NVA einer gesundheitsgefährdenden ionisierenden Strahlung im Bereich der Nieren nicht ausgesetzt gewesen sei. Es könne auch weiterhin ausgeschlossen werden, dass HF-Strahlung für seine Erkrankung ursächlich gewesen sei. HF-Strahlung der Radaranlagen erzeuge beim Auftreten auf den menschlichen Körper unter Umständen eine spürbare Wärme. Gesundheitlich relevante Expositionen seien jedoch grundsätzlich nur im Rahmen eines Unfallgeschehens zu erwarten. Für ein solches Unfallgeschehen bestünden keinerlei Anhaltspunkte. Im Übrigen gelte für HF-Strahlung nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand als gesichert, dass von dieser Art der Strahlung nicht die Gefahr einer Krebserkrankung ausgehe, sondern selbst bei hochgradiger Exposition nur Schäden durch thermische Wirkung hervorgerufen werden könnten.

Hiergegen hat der Kläger am 11.07.2005 Klage beim Sozialgericht Reutlingen erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe auch am ungeöffneten Gerät gearbeitet, wobei er am ganzen Körper der Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Er habe etwa 10mal am geöffneten Gerät gearbeitet, wobei dies 3- bis 5mal länger als 12 Stunden (h) gedauert habe. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, auch wenn die Strahlung nur die Hände betroffen haben solle, sei dennoch aufgrund der Blutkreislaufverbindung zwischen Händen und Niere durchaus eine Schädigung der Niere möglich. Der Kläger hat ferner ausgeführt, die Anzahl der von der AG Radar durchgeführten Messungen belaufe sich nur auf 2, während sich die von der Radarkommission für eine repräsentative Stichprobe geforderte Anzahl valider Messungen auf über 20 belaufe. Die Anzahl der Messwerte könne daher nicht als zuverlässig und valide angesehen werden. Ebenso sei ein zeitnaher Nachweis nicht mehr möglich. Es existierten keine Hinweise auf die Höhe der Hochspannung, die bei den beiden Messungen an den Anoden der Magnetrons vorgelegen habe. Nur bei der zweiten Messung habe die Anodenspannung um 20 % höher gelegen als bei der ersten Messung. Die zwei Messungen seien nur an den Magnetrons durchgeführt worden. Messungen an den Modulatoren, an denen bekanntlich die höchsten Strahlenexpositionen vorherrschten und bislang gemessen worden seien, lägen nicht vor. An den in der ALS 1 S 91 existierenden Modulatoren GMI 7 seien laut dem Bericht der Radarkommission Werte bis zum 32.000fachen des laut Röntgenverordnung zulässigen Minimalwertes von 1 &956;Sv/h (0,001 mSv/h = 0,000001 Sv/h) der Ortsdosisleistung von Störstrahlern im Abstand von 0,1 m gemessen worden. Die Gefahr einer erhöhten Röntgenstörstrahlung durch diese Bauteile könne durch wissenschaftliche Quellen zusätzlich belegt werden. Auf Basis dieser unzureichenden Stichproben und Messwerte schließe die Beklagte, dass er nur einer Exposition durch ionisierende Strahlung an den Händen ausgesetzt gewesen sei. Der Nachweis einer Teilkörperexposition könne nicht gelingen, da bei ihm in der NVA keine Personendosimetrie erfolgt sei. Die wirklichen Umstände, die wesentliche Einflussfaktoren auf die Strahlenintensität durch ionisierende Strahlung darstellten, denen er bei geöffnetem Gerät ausgesetzt gewesen sei, seien nicht mehr reproduzierbar. Dies gelte auch für die exakte Höhe der ionisierenden Strahlung und die räumliche Ausbreitung dieser und damit den Grad der Wahrscheinlichkeit der Exposition der Niere.

Der Kläger hat einen Auszug aus dem BdR, den Bericht des Prof. Dr. H. vom 19.03.2004 (die Exposition gegen Röntgenstörstrahlen bei "Radararbeit" könne für die Entstehung von Haut- und Hodentumoren in Analogie zu Expositionen im Niedrigdosisbereich als eine Schädigung dem Grunde nach gewertet werden), das Werk "Mechanismen der Tumorentstehung" von Z. vom 27.02.2005 und das russische Werk "Röntgenstrahlung von Elektrovakuumgeräten" von K. und J. in deutscher Übersetzung vorgelegt.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 05.12.2008 das Land Baden-Württemberg - Landesversorgungsamt - zum Rechtsstreit beigeladen.

Das Sozialgericht hat über die Praktische Ärztin Dr. P., den Allgemeinmediziner Dr. H.-P. und den Hämatologen, Onkologen und Internisten Dr. M. diverse ärztliche Unterlagen beigezogen.

Nachdem das Sozialgericht zunächst gegenüber dem Kläger schriftlich und sodann im Rahmen des Erörterungstermins vom 28.01.2009, an dem nur der Kläger und der Beigeladene teilgenommen hatten, mitgeteilt hatte, dass es sich eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid vorbehalte, und Einwendungen gegen eine sofortige Entscheidung des Sozialgerichts nicht erhoben worden waren, hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 28.01.2009 den Bescheid der Beklagten vom 20.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.06.2005 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Gesundheitsstörung "Nierenverlust als Folge von Nierenzellkarzinom rechts" als Dienstbeschädigung anzuerkennen sowie dem Kläger Beschädigtenversorgung in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Es hat zur Begründung ausgeführt, es sei hinreichend nachgewiesen, dass der Kläger während seiner wehrdienstlichen Tätigkeiten beim Einsatz als Gruppenführer/(Ober-)Funkorter auf der ALS 1 S 91 in gesundheitsgefährdendem Umfang einer ionisierenden Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Es stütze sich dabei neben den glaubwürdigen Schilderungen des Klägers bezüglich Art und Umfang seiner wehrdienstlichen Tätigkeit vor allem auf den als antizipiertes Sachverständigengutachten zu wertenden BdR. Die im BdR genannten Voraussetzungen für eine Anerkennung seien erfüllt. Beim Kläger sei ein Tumor der rechten Niere festgestellt worden. Zwischen der Strahlenexposition und dem Ausbruch der qualifizierten Krankheit liege mit circa 13 Jahren eine versorgungsmedizinisch hinreichende Latenzzeit. Es gebe keine spezifischen Anhaltspunkte dafür, dass für das Auftreten der Krebserkrankung bei dem noch verhältnismäßig jungen Kläger schädigungsunabhängige Risiken eine besondere ursächliche Bedeutung haben könnten.

Auch die weiteren nach dem BdR geforderten Anerkennungsvoraussetzungen bezüglich der sogenannten Phase 1 seien erfüllt. Deren Zeitraum erstrecke sich für die NVA-Geräte bis zum Ende der NVA, da für die NVA-Geräte auch nach Kenntnis der Bundeswehr hinreichende repräsentative Messungen der Ortsdosisleistung nicht vorhanden seien. Nach Sinn und Zweck des BdR, gerade für die Betroffenen in Phase 1 wegen der nicht vorhandenen zuverlässigen Ortsdosisleistungsmessungen eine Entschädigung dann vorzusehen, wenn von einer relevanten Exposition im Zusammenhang mit der Arbeit an Radaranlagen auszugehen sei, sei auch nach Auffassung des Gerichts dieses Kriterium dann erfüllt, wenn bei den wehrdienstlichen Verrichtungen an Radaranlagen in ausreichendem Umfang von einer solchen Strahlenexposition auszugehen sei. Ein Vollbeweis der Art und des Umfangs der Strahlenexposition sei jedoch nicht zu fordern.

Als qualifizierend seien demnach jedenfalls in Phase 1 Arbeiten als Techniker/Mechaniker oder Bediener (Operator) an Radaranlagen anzusehen, aber auch (nicht nur gelegentliche) unterstützende Tätigkeiten für den Techniker. Der Kläger habe im Laufe des Verfahrens wie auch bei seiner Anhörung im Erörterungstermin substantiiert vorgetragen, Radartechniker bei den regelmäßig technisch notwendigen Wartungseinstellarbeiten wie auch beim Aufspüren und Beseitigen technischer Fehler und Defekte auch am geöffneten und laufenden Radargerät unterstützt zu haben. Dabei sei der Kläger durchaus auch am offenen Gerät tätig gewesen. Gemäß den Empfehlungen der Radarkommission sei hiernach davon auszugehen, dass der Kläger zumindest zeitweilig bei unterstützenden Arbeiten am offenen Gerät ausreichend hohen Ortsdosen von ionisierender Störstrahlung ausgesetzt gewesen sei, die mit Wahrscheinlichkeit die Nierenkrebserkrankung zur Folge gehabt habe.

Der Nachweis einer allenfalls stattgefundenen Teilkörperexposition der Hände, die die Niere nicht betroffen habe, sei vorliegend nicht erbracht. Die Beklagte könne sich diesbezüglich nicht auf die an der ALS 1 S 91 bezüglich einer Gefährdung des Personals durch Röntgenstörstrahlung durchgeführten Messungen und die dabei erzielten Messergebnisse berufen. Das Gericht schließe sich auch insoweit der - den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand wiedergebenden - Einschätzung der Radarkommission an, wonach die ihr vorgelegten Unterlagen bezüglich Anzahl und Qualität der durchgeführten und dokumentierten Messungen in Phase 1 sowohl bei der Bundeswehr als auch bei der NVA ein in weiten Teilen unbefriedigendes Bild zeigten, die nur geringe Zahl von Messwerten nicht den statistischen Mindestanforderungen entsprächen, die Messprotokolle in mancherlei Hinsicht nicht den heutigen Ansprüchen genügten und die vorliegenden Messwerte daher nur bedingt für eine statistische Analyse zum Zwecke der Bestimmung von Ersatzdosen geeignet seien, dass sie nach Anzahl und Qualität viele Fragen offen ließen und sich außerdem viele Parameter zur Auslegung und zum Betrieb der Röhren heute nicht mehr rekonstruieren ließen, obwohl ihr Einfluss auf die Messwerte erheblich sei. Diese Probleme gälten für die Bundeswehr und in noch viel stärkerem Maße für die NVA. Nach Auffassung des Gerichts müsse deshalb zugunsten des Klägers die Einschätzung der Radarkommission Platz greifen, dass eine Übertragung der Ergebnisse späterer Messungen als auch aktuelle Messwerte auf frühere Expositionszeiträume regelmäßig nicht möglich sei, da eine Vielzahl von Einflussfaktoren nicht mehr rekonstruierbar sei, wobei sich für die NVA-Geräte dieser Zeitraum bis zum Ende der NVA erstrecke und für die NVA-Geräte hinreichend repräsentative Messungen der Ortsdosisleistung und der personendosimetrischen Überwachung nicht vorhanden seien. Für das Gericht bleibe diese Interpretation der vorliegenden Messergebnisse durch den BdR, dem die Bedeutung eines antizipierten Sachverständigengutachtens zukomme, weiterhin verbindlich, nachdem dazu neue, etwa auf zuverlässigeren Messungen beruhende Erkenntnisse nicht ersichtlich seien. Nach alledem lägen die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Dienstbeschädigung vor.

Gegen den ihr am 14.04.2009 zugestellten Gerichtsbescheid des Sozialgerichts hat die Beklagte am 23.04.2009 Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung ausgeführt, dass nur am geöffneten Sender des Suchradars eine Röntgenstörstrahlung feststellbar gewesen sei. An den anderen Sendern und an den im Kampfraum befindlichen Sichtgeräten, dem eigentlichen Arbeitsplatz des Klägers, sei keine Röntgenstörstrahlung festgestellt worden. Diese Aussagen beruhten auf zwei Messberichten, die durchgeführt worden seien, um eine weitere Nutzung der Geräte bei der Bundeswehr zu prüfen. Daher sei davon auszugehen, dass die Messungen aus diesem Grunde mit entsprechender Sorgfalt durchgeführt worden seien. Dementsprechend laute die Stellungnahme der AG Radar, dass an den vermessenen Geräten keinerlei technische Veränderungen durchgeführt worden seien und somit vergleichbare Verhältnisse zur Dienstzeit des Klägers hinsichtlich der Röntgenstörstrahlung vorgelegen hätten. Das Ergebnis beider Messungen sei gewesen, dass Röntgenstörstrahlung nur räumlich eng begrenzt am Magnetron im Inneren des Sendeschrankes, an einer Stelle, die man, wenn überhaupt nur mit den Händen erreichen könne, aufgetreten sei. Unter Zugrundelegung des zeitlichen Ansatzes des Klägers für seine Aushilfstätigkeiten am geöffneten Sender von 5mal 12 h sowie 5mal 6 h und der höchsten gemessenen Röntgenstörstrahlung von 5 &956;Sv/h (= 0,005 mSv/h = 0,000005 Sv/h) ergebe sich daraus bei sehr großzügiger Rechnung zugunsten des Klägers eine Ortsdosisleistung von ungefähr 450 &956;Sv/h (= 0,45 mSv/h = 0,00045 Sv/h) im Bereich der Hände. Ferner habe das Sozialgericht verkannt, dass eine Tumorerkrankung der Nieren in Tabelle 9-1 des BdR überhaupt nicht genannt werde. Im Merkblatt zur Berufskrankheit nach Nr. 2402 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) werde im Anhang 2 die Strahlenempfindlichkeit einzelner Organe und Gewebe in Hinsicht auf die Verursachung maligner Erkrankungen genannt. Dabei werde die Empfindlichkeit der Niere als niedrig bewertet. Selbst wenn man zugunsten des Klägers davon ausginge, dass er die Dosis von 450 &956;Sv/h (= 0,45 mSv/h = 0,00045 Sv/h) im Bereich der Niere empfangen hätte, was nicht der Fall sei, wäre die Verursachungswahrscheinlichkeit bei weitem nicht erreicht. Um die erforderliche Strahlendosis von 0,75 Sv (= 750 mSv = 750.000 &956;Sv) zu erreichen, hätte der Kläger über 17 Jahre lang (Berechnung: 750.000 &956;Sv: 5 &956;Sv/h = 150.000 h; 150.000 h: 24 h = 6.250 Tage; 6250 Tage: 365 Tage = 17,12 Jahre) 24 Stunden am Tag seine Niere direkt an das Magnetron halten müssen. Des Weiteren habe die Radarkommission selbst festgestellt, dass in der Regel überhaupt nur Teilkörperexpositionen auftreten könnten. Darüber hinaus beträfen die Ausführungen der Radarkommission zu unbefriedigenden Messwerten vor allen Dingen solche aus früheren Jahren vor 1976.

Die Beklagte hat den ihrer beim Sozialgericht abgegebenen Klageerwiderung zu Grunde gelegenen Bericht der AG Radar vom 20.06.2006 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, es seien 2 Messungen im Jahr 1992 an der ALS 1 S 91 durchgeführt worden. Da diese Messungen vergleichbare Ergebnisse erbracht hätten, habe dies für die Beurteilung notwendiger Maßnahmen zur Gewährung des Strahlenschutzes genügt. Da es hier nicht darauf ankomme und es auch nicht Ziel des Verfahrens sei, eine exakte Ersatzdosis für den Kläger zu ermitteln, würden 20 Messungen nicht benötigt. Nach dem Messergebnis sei Röntgenstörstrahlung nur räumlich eng begrenzt am Magnetron im Inneren des Sendeschrankes, an einer Stelle, die man, wenn überhaupt nur mit den Händen erreichen könne, aufgetreten. Zur Verdeutlichung der Größenordnung der Intensität der festgestellten Röntgenstörstrahlung ist ausgeführt worden, dass erst nach 200 Stunden im Jahr der heute gültige Grenzwert für die zulässige Exposition der allgemeinen Bevölkerung gegen Röntgenstrahlung erreicht werde, wenn man vom maximalen gemessenen Wert ausgehe und unterstelle, dass man den gesamten Körper an diese Stelle bringen könne und die Röntgenstörstrahlung nicht nur räumlich sehr begrenzt auftrete, sondern den gesamten Körper erreichen könne. Diesen Zeitansatz habe der Kläger nicht erreicht. Es ist ferner dargelegt worden, dass am Modulator keine Röntgenstörstrahlung festgestellt worden, ein Betrieb des Modulators nur im eingebauten Zustand möglich gewesen und der Modulator mit einer Schutzvorrichtung versehen gewesen sei.

Ferner hat die Beklagte in anderen Rechtsstreitigkeiten eingeholte Gutachten des Strahlenbiologen M. (die Niere gehöre zu den gering empfindlichen Organen, wenn es um eine Tumorauslösung durch ionisierende Strahlung gehe; vermutlich sei eine höhere Dosis als 0,75 Sv [= 750 mSv = 750.000 &956;SV] beziehungsweise 1,25 Sv [= 1.125 mSv = 1.125.000 &956;SV] notwendig, um eine 50%ige Verursachungswahrscheinlichkeit von Röntgenstrahlen für Nierentumore zu erzielen) vorgelegt.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Januar 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für tragfähig.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist begründet.

Der Senat hat angesichts der Verfahrensdauer und aus prozessökonomischen Gründen von einer möglichen Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht im Rahmen seines Ermessens abgesehen, obwohl das rechtliche Gehör der Beklagten aufgrund der nicht erfolgten und zwingend vorgesehenen Anhörung der Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid verletzt wurde und diese auch nicht in der Ankündigung vom 29.01.2009 ("Gerichtsbescheid folgt") zu sehen ist, zumal der Gerichtsbescheid zu diesem Zeitpunkt bereits ergangen war (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Aufl. 2012, § 105 Rdnr. 10 ff.) Darüber hinaus lagen aus Sicht des Senats auch die engen Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht vor, da die Rechtssache Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufwies, weil die Beurteilung von Gesundheitsstörungen bei Strahlenschäden zu den anspruchsvollsten Thematiken des Sozialen Entschädigungsrechts zählt.

Die Gesundheitsstörung "Nierenverlust als Folge von Nierenzellkarzinom rechts" stellt keine Dienstbeschädigung dar. Der Kläger hat somit keinen Anspruch auf Dienstbeschädigtenausgleich. Der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Rechtsgrundlage ist § 1 Gesetz über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet (DbAG).

Anspruch auf einen Dienstbeschädigungsausgleich haben danach vom 01.03.2002 an Personen, die Ansprüche auf Dienstbeschädigungsvoll- oder -teilrenten (Dienstbeschädigungsrenten) aus einem Sonderversorgungssystem nach Anlage 2 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) nach dem ab dem 01.08.1991 geltenden Recht hatten oder auf Grund der Regelungen für die Sonderversorgungssysteme oder nach dem AAÜG wegen des Zusammentreffens mit anderen Leistungen oder wegen der Überführung in die gesetzliche Rentenversicherung nicht mehr hatten (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 DbAG) oder die Ansprüche im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 DbAG nach dem ab dem 01.08.1991 geltenden Recht nicht mehr hatten, weil sie vor dem 19.05.1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegt haben (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 DbAG). Wurde am 28.02.2002 eine Dienstbeschädigungsrente nicht gezahlt, wird der Dienstbeschädigungsausgleich auf Antrag gezahlt (§ 1 Abs. 1 Satz 2 DbAG). Personen, die einem Sonderversorgungssystem angehört und einen vor dessen Schließung verursachten Körper- oder Gesundheitsschaden erlitten haben, haben Anspruch auf Dienstbeschädigungsausgleich, wenn der anspruchsbegründende Zustand nach Schließung des Sonderversorgungssystems eingetreten ist (§ 1 Abs. 2 DbAG). Vorliegend kommt allenfalls ein Anspruch nach § 1 Abs. 2 DbAG in Betracht.

Für den Zeitraum vor dem 03.10.1990 gelten die für die NVA-Soldaten der DDR einschlägigen Versorgungsregelungen. Denn Bundesrecht trat im Beitrittsgebiet mit der Maßgabe in Kraft, dass das Soldatenversorgungsgesetz (SVG) unter anderem nicht auf Soldaten Anwendung findet, die aus einem Wehrdienstverhältnis der ehemaligen NVA ausgeschieden sind (Anlage I, Kapitel XIX, Sachgebiet B, Abschnitt III, Nr. 5 b Einigungsvertrag; juris).

Mithin ist anwendbar die Ordnung Nr. 005/9/003 des Ministers für Nationale Verteidigung über die soziale Versorgung der Angehörigen der NVA vom 01.09.1982 (VersO-NVA, abgedruckt in Aichberger II Nr. 230). Als Dienstbeschädigung sind Körper- oder Gesundheitsschäden von Armeeangehörigen anzuerkennen, deren Entstehung oder Verschlimmerung mit der Dienstausübung bei der NVA im ursächlichen Zusammenhang steht (Teil I, Soziale Versorgung, Anerkennung von Dienstbeschädigungen, Nr. 1 Abs. 1 VersO-NVA). Eine Dienstbeschädigung ist unter anderem anzuerkennen bei Erkrankungen, die durch dienstliche Verrichtungen entstanden sind oder sich verschlimmert haben (Teil I, Soziale Versorgung, Anerkennung von Dienstbeschädigungen, Nr. 1 Abs. 1 Nr. 2 d VersO-NVA). Erkrankungen sind grundsätzlich nur als Dienstbeschädigung anzuerkennen, wenn die Entstehungs- oder Verschlimmerungsursachen auf die Dienstausübung oder die dem Dienst in der NVA spezifischen Verhältnisse und Besonderheiten zurückzuführen sind (Teil I, Soziale Versorgung, Anerkennung von Dienstbeschädigungen, Nr. 6 VersO-NVA). Als Dienstbeschädigung können insbesondere alle in der Liste für Berufskrankheiten aufgeführten Erkrankungen anerkannt werden (Teil I, Soziale Versorgung, Anerkennung von Dienstbeschädigungen, Nr. 7 a VersO-NVA). Voraussetzung für die Anerkennung eines Körper- oder Gesundheitsschadens als Dienstbeschädigung ist die Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs der Entstehung oder maßgeblichen Verschlimmerung des Leidens mit der Dienstausübung in der NVA (Teil I, Soziale Versorgung, Anerkennung von Dienstbeschädigungen, Nr. 10 Abs. 1 Satz 1 VersO-NVA). Die Anerkennung einer Dienstbeschädigung hat nur zu erfolgen, wenn der Zusammenhang erwiesen oder zumindest wahrscheinlich ist (Teil I, Soziale Versorgung, Anerkennung von Dienstbeschädigungen, Nr. 10 Abs. 1 Satz 2 VersO-NVA). Die Möglichkeit eines Zusammenhangs ist für die Anerkennung einer Dienstbeschädigung nicht ausreichend (Teil I, Soziale Versorgung, Anerkennung von Dienstbeschädigungen, Nr. 10 Abs. 1 Satz 3 VersO-NVA).

Ferner zieht der Senat auch zur Beurteilung von Dienstbeschädigungsfolgen die seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89) "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX) 2008" (AHP) getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) heran. Die in den AHP enthaltenen Erläuterungen zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen (Nr. 53 bis 143 AHP) sind dessen ungeachtet weiter zu berücksichtigen, da die VG insoweit keine Regelungen getroffen haben.

Danach gelten die folgenden Grundsätze: Als Schädigungsfolge wird im Sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (Teil A Nr. 1 a VG). Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze ist die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (Teil C Nr. 1 b Satz 1 VG). Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, sind sie versorgungsrechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen (und wie Ursachen zu werten), wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind (Teil C Nr. 1 b Satz 2 VG). Kommt einem der Umstände gegenüber dem anderen eine überragende Bedeutung zu, ist dieser Umstand allein Ursache im Sinne des Versorgungsrechts (Teil C Nr. 1 b Satz 3 VG). Die Ursache braucht nicht zeitlich eng begrenzt zu sein. Es können auch dauernde oder wiederkehrende kleinere äußere Einwirkungen in ihrer Gesamtheit eine Gesundheitsstörung verursachen (Teil C Nr. 1 c VG). Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (Teil C Nr. 2 a VG). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (Teil C Nr. 2 b VG). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang. Die verbleibende Gesundheitsstörung ist die Schädigungsfolge (Teil C Nr. 2 c VG). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder (Teil C Nr. 2 d Sätze 1 und 2 VG). Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (Teil C Nr. 3 a Satz 1 VG). Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (Teil C Nr. 3 a Satz 2 VG). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (Teil C Nr. 3 b Satz 1 VG). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2 VG).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann die Gesundheitsstörung "Nierenverlust als Folge von Nierenzellkarzinom rechts" nicht als Dienstbeschädigung festgestellt werden.

Für unfallunabhängige Krankheiten beziehungsweise Gesundheitsstörungen bestimmt sich der versorgungsrechtlich geschützte Bereich nach § 1 DbAG in Verbindung mit Teil I, Soziale Versorgung, Anerkennung von Dienstbeschädigungen, Nr. 1, 6, 7 und 10 VersO-NVA nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen Unfallversicherung, es sei denn, es handelt sich um besondere außerordentliche Belastungen, die typischerweise nur unter den Bedingungen des Wehrdienstes beziehungsweise Krieges auftreten. Die Anerkennung einer durch allmähliche Einwirkungen des Wehrdienstes beziehungsweise wehrdiensteigentümliche Verhältnisse verursachten Erkrankung als Dienstbeschädigung kam in der DDR nach § 2 Abs. 1 Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten (BerufskrVO, abgedruckt in Aichberger II Nr. 255) in Verbindung mit der Ersten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten (1. DB z. BerufskrVO, abgedruckt in Aichberger II Nr. 256) und kommt im Bundesgebiet nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) in Verbindung mit der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) in Betracht, wenn die Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt ist, nach § 2 Abs. 2 BerufskrVO oder § 9 Abs. 2 SGB VII als Berufskrankheit anerkannt werden könnte oder die angeschuldigten wehrdiensttypischen Belastungen auf kriegsähnliche Belastungen zurückgehen, wie sie in Zivilberufen typischerweise nicht vorkommen (Urteile des Senats vom 15.12.2011 - L 6 VS 4157/10 und L 6 VS 5431/08, nachgehend BSG, Beschluss vom 25.06.2012 - B 9 V 7/12 B - und vorausgehend 02.10.2008 - B 9 VS 3/08 B; Urteile des Senats vom 11.12.2008 - L 6 VS 535/07 und vom 16.07.2008 - L 6 VS 2599/06; BSG, Beschluss vom 11.10.1994 - 9 BV 55/94; BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 25/92).

Die Analogie mit dem Recht der Berufskrankheiten erklärt sich daraus, dass Krankheiten regelmäßig nicht auf ein einzelnes äußeres Ereignis zurückgeführt werden können, sondern sich aufgrund vielfältiger Einflüsse entwickeln. Als Mitursachen kommen persönliche Lebensweise, Erbanlagen, Störungen während der Entwicklungsphase, private Unfälle, Umwelteinflüsse und anderes in Frage. Ob eine Krankheit auf bestimmte Einwirkungen zurückzuführen ist, denen ein Wehrpflichtiger oder Wehrdienstleistender ausgesetzt war, ist daher in der Regel nicht allein mit Hilfe medizinischer Sachverständiger im Einzelfall feststellbar. Vielmehr kann nur nach statistischen Grundsätzen festgestellt werden, ob die Erkrankungsgefahr durch solche Einflüsse erhöht worden ist. Wegen der Vielfalt möglicher Ursachen und der nicht uneingeschränkten Leistungsfähigkeit auch der medizinischen Wissenschaft kann dies nur allgemein entschieden werden. Eine solche allgemeine Antwort hat der Gesetzgeber für das Gebiet des Berufskrankheitenrechts im Beitritssgebiet mit der 1. DB z. BerufskrVO und im Bundesgebiet mit der BKV gegeben. Darin sind die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen im Bereich der Berufskrankheiten eingeflossen, wonach bestimmte Tätigkeiten im Arbeitsleben in auffallender Weise mit Erkrankungen verbunden sind (Urteil des Senats vom 15.12.2011 - L 6 VS 4157/10; Bayerisches LSG, Urteil vom 27.06.2006 - L 15 VS 12/98; BSG, Urteil vom 26.02.1992 - 9a RV 4/91).

Für die vom Kläger geltend gemachten Strahlenschäden waren im Beitrittsgebiet die Berufskrankheiten Nr. 51 der Anlage zur 1. DB z. BerufskrVO ("Berufskrankheiten durch ionisierende Strahlung") sowie Nr. 92 der Anlage zur 1. DB z. BerufskrVO ("Bösartige Neubildungen oder ihre Vorstufen durch ionisierende Strahlung") und ist im Bundesgebiet die Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV ("Erkrankungen durch ionisierende Strahlen") einschlägig.

Die Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV setzt, wie sich aus dem Anhang 3 zum Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zu Nr. 2402 Anlage 1 zur BKV ergibt, den Nachweis einer entsprechenden Strahlendosis voraus. Es wird davon ausgegangen, dass eine Zusammenhangswahrscheinlichkeit nicht erreicht wird, wenn die Dosis im relevanten Organ unter 50 mSv (= 50.000 &956;Sv = 0,05 Sv) liegt (Mehrtens/Brandenburg, Die BKV, M 2402, S. 14 und 18). Eine erhöhte Einwirkung ionisierender Strahlen liegt vor, wenn die Strahlung in einer Menge auf den menschlichen Körper eingewirkt hat, welche die zulässige Strahlendosis nach der Strahlenschutzverordnung (SSVO) und/oder der Röntgenverordnung (RöV) überschreitet. Nach § 56 Satz 1 SSVO beträgt der Grenzwert für die Summe der in allen Kalenderjahren ermittelten effektiven Dosen beruflich strahlenexponierter Personen 400 mSv (= 0,4 Sv = 400.000 &956;Sv). Nach § 31a Abs. 1 Satz 1 RöV darf für beruflich strahlenexponierte Personen die effektive Dosis den Grenzwert von 20 mSv (= 0,02 Sv = 20.000 &956;Sv) im Kalenderjahr nicht überschreiten. Ferner ist zu berücksichtigen, dass nach Nr. 122 Abs. 6 AHP die ursächliche Bedeutung von ionisierenden Strahlen oder von Strahlen radioaktiver Substanzen bei akuten Leukämien, myelodysplastischen Syndromen und chronischen myeloischen Leukämien bei einer Knochenmarkdosis von mindestens 0,2 Sv (= 200 mSv = 200.000 &956;Sv) hinreichend geklärt ist. Zu beachten ist auch, dass epidemiologische Studien zeigen, dass eine statistisch signifikante und damit zahlenmäßig bestimmbare Erhöhung bösartiger Erkrankungen im Allgemeinen erst im Dosisbereich von einigen Zehntel bis 100 mSv (= 0,1 Sv = 100.000 &956;Sv) eintritt (Hessisches LSG, Urteil vom 29.04.2009 - L 4 VS 1/05 unter Hinweis auf die Unterrichtung durch die Bundesregierung, Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahr 2006 [BT-Drucksache, 16/6835, S. 60]).

An sich müsste vorliegend eine Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV - und nichts anderes kann nach Ansicht des Senats für die Berufskrankheiten Nr. 51 und Nr. 92 der Anlage zur 1. DB z. BerufskrVO gelten - und damit auch die Feststellung einer Dienstbeschädigung bereits hier als gescheitert angesehen werden, da eine konkrete gesundheitsgefährdende Strahlenbelastung des Klägers nicht nachgewiesen ist.

Fest steht lediglich, dass der Kläger vom 01.09.1988 bis zum 24.08.1990, also circa 24 Monate, als (Ober-)Funkorter an der ALS 1 S 91 eingesetzt war und nach seinen Angaben etwa 10mal am geöffneten Gerät, dabei 3- bis 5mal länger als 12 h, gearbeitet hat. Ferner steht nach dem Bericht der AG Radar vom 02.09.2003 und den Messberichten der Wehrtechnischen Dienststelle 81 vom 24.02.1992 und 30.03.1992 fest, dass die Sender nur mit eingebautem und geschlossenem Modulator betrieben werden konnten und bei geöffnetem Gerät am Sender des Suchradars (Magnetron MI 353) maximale Ortsdosisleistungen von 2 &956;Sv/h (= 0,002 mSv/h = 0,000002 Sv/h) sowie 5 &956;Sv/h (= 0,005 mSv/h = 0,000005 Sv/h) gemessen worden sind und am Sender Zielbeleuchter und Folgeradar sowie an den Sichtgeräten keine Röntgenstörstrahlung festgestellt worden ist. Daraus ergibt sich nach den Berichten der AG Radar vom 23.03.2005 und 20.06.2006 und den schlüssigen Berechnungen der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung für die Tätigkeit des Klägers als (Ober-)Funkorter an der ALS 1 S 91 aufgrund dessen, dass er sich dabei durch massive Metallwände abgeschirmt im Fahrzeug aufhielt und darüber hinaus der Betrieb nur im geschlossenen Gerät erfolgte, keine Strahlenbelastung und für die Tätigkeit des Klägers als Helfer der Techniker/Mechaniker eine Strahlenbelastung von (5mal 12 h + 5mal 6 h =) 90 h x 5 &956;Sv/h (= 0,005 mSv = 0,000005 Sv) = 450 &956;Sv (= 0,45 mSv = 0,00045 Sv). Mit dieser als nachgewiesen betrachtbaren Strahlenbelastung von 0,45 mSv erreicht der Kläger aber bei weitem nicht die im Anhang 3 zum Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zu Nr. 2402 Anlage 1 zur BKV mit 50 mSv, in § 56 Satz 1 SSVO mit 400 mSv in allen Kalenderjahren und in § 31a Abs. 1 Satz 1 RöV mit 20 mSv im Kalenderjahr beschriebenen Grenzwerte.

Da die Situation, dass potentielle Strahlenopfer nicht zu entschädigen wären, weil sie die objektive Beweislast für die Schädigung tragen, unbefriedigend ist und dies umso mehr gilt, da gerade für die länger zurückliegenden Zeiten mangels entsprechender Schutzvorschriften von einem erhöhten Strahlenrisiko ausgegangen werden kann (BdR, 2.3.2.2, S. 31), wurde auf Anregung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages die Radarkommission als Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der NVA eingesetzt, um die früheren Arbeitsplatzverhältnisse aufzuklären, eine Expertise zu Belastungswerten abzugeben, neue wissenschaftliche Erkenntnisse aufzubereiten, den gegenwärtigen wissenschaftlichen Sachstand festzustellen und die versorgungsmedizinischen Aspekte von Strahlenschäden zu untersuchen (BdR, 1., S. 1). Im BdR werden gerade für den Zeitraum, für den keine ausreichende Datenlage hinsichtlich der Strahlenbelastung vorliegt, Empfehlungen abgegeben, in welchen Fällen eine Schädigung anerkannt werden sollte. Im BdR werden dabei bei sogenannten qualifizierenden Krankheiten (BdR, 4.1, S. VIII) und qualifizierenden Tätigkeiten (BdR, 9.3.3, S. 138) Anerkennungsempfehlungen abgegeben und dadurch die Beweissituation für die Antragsteller verbessert. So hat die Radarkommission für die als qualifizierend anzusehenden Arbeiten als Techniker/Mechaniker oder Bediener (Operator) an Radaranlagen unter bestimmten Voraussetzungen eine Anerkennung empfohlen (BdR, 9.3.1, S. 135). Allerdings darf der BdR nicht so verstanden werden, dass beim Vorliegen einer qualifizierenden Krankheit oder einer qualifizierenden Tätigkeit stets eine Anerkennung auszusprechen wäre. Nach Überzeugung des Senats sollen die Empfehlungen des BdR allein über den fehlenden Nachweis einer ausreichenden Strahlenexposition "hinweg helfen". Der BdR ersetzt nicht die gleichwohl hinsichtlich der übrigen Anspruchsvoraussetzungen notwendige Einzelfallprüfung. So wird auch im BdR betont, im Einzelfall sei zu berücksichtigen, dass andere Noxen und/oder bestehende Gesundheitsrisiken Ursache der Erkrankung sein könnten (BdR, 7.2, S. 110). Ferner werden im BdR Diagnosen, Zustände oder Beschwerdeäußerungen aufgezählt, die wegen fehlender wissenschaftlicher Grundlagen als nicht strahlenbedingt anzusehen sind (Urteile des Senats vom 15.12.2011 - L 6 VS 4157/10 und L 6 VS 5431/08 sowie vom 16.07.2008 - L 6 VS 2599/06).

Obwohl der BdR auf dem Wissen und den Erkenntnissen von 17 Experten beruht, sieht der Senat darin kein antizipiertes Sachverständigengutachten, dessen Ergebnisse nunmehr weitgehend unkritisch zu übernehmen wären. Neben der auf wissenschaftlicher Grundlage erfolgten Erstellung durch ein Fachgremium setzt die Anerkennung als antizipiertes Sachverständigengutachten voraus, dass es immer wiederkehrend angewandt und von Gutachtern, Verwaltungsbehörden, Versicherungsträgern, Gerichten sowie Betroffenen anerkannt und akzeptiert wird. In der Regel geht dem eine jahrzehntelange Entwicklung voraus und ist eine große Zahl heranzuziehender Fälle betroffen (Urteile des Senats vom 15.12.2011 - L 6 VS 4157/10 und L 6 VS 5431/08 - sowie vom 16.07.2008 - L 6 VS 2599/06 - unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 02.05.2001 - B 2 U 24/00 R). Der BdR wurde nicht aufgrund einer jahrzehntelangen Entwicklung, sondern aufgrund eines akuten Handlungsbedarfs - eher als Momentaufnahme - erstellt. Im Hintergrund standen circa 1.750 Antragsverfahren wegen Strahlenschäden (BdR, 7.1, S. 106), so dass hier - zum Beispiel verglichen mit dem Anwendungsbereich des "Königsteiner Merkblatts" zur Bewertung von Hörverlusten - von keinem zahlenmäßig großen Anwendungsbereich ausgegangen werden kann. Gegen die Charakterisierung als antizipiertes Sachverständigengutachten spricht im Übrigen, dass der BdR - wiederum zum Beispiel anders als das Königsteiner Merkblatt - nicht fortgeschrieben und auch nicht den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst wird. Zwar wurde der BdR vereinzelt (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 13.02.2008 - L 5 VS 11/05; SG Landshut, Urteil vom 05.12.2007 - S 12 VS 12/02) zumindest teilweise als antizipiertes Sachverständigengutachten gewertet, eine breite Auseinandersetzung und Akzeptanz in der Rechtsprechung ist für den Senat jedoch nicht ersichtlich. Soweit bekannt, wird der BdR auch nicht von den Behörden als antizipiertes Sachverständigengutachten gesehen. Bei dem BdR handelt es sich vielmehr um eine gutachtliche Äußerung, die neben anderen wissenschaftlichen Meinungsäußerungen steht. Er nimmt aufgrund der zahlreich beteiligten Experten sicher eine herausragende Stellung ein. Wie jedes andere Gutachten ist er jedoch auf seine Schlüssigkeit und auf die Überzeugungskraft im Vergleich zu anderen Meinungen zu überprüfen (Urteile des Senats vom 15.12.2011 - L 6 VS 4157/10 sowie L 6 VS 5431/08 - sowie vom 16.07.2008 - L 6 VS 2599/06).

Doch selbst unter Berücksichtigung des BdR kann der Senat die Tumorerkrankung des Klägers nicht als Dienstbeschädigung feststellen.

Nach dem BdR sollen Personen, die während der Phase 1 an anderen Radargeräten, als dem SGR-103 tätig gewesen sind, anerkannt werden, wenn sie als Techniker/Mechaniker oder Bediener (Operator) tätig waren (BdR, 9.3.1, Phase 1, a, S. 135), eine Tumorlokalisation in den Bereichen Augenlinse, Blase, Dickdarm, Haut, Knochenoberfläche, Leber, Lunge, Magen, Schilddrüse, Speiseröhre, Testes (Hoden) oder Thymus vorliegt (BdR, 9.3.1, Phase 1, b, S. 135; BdR, 9.3.1, Phase 1, Tabelle 9-1, S. 136), nicht zeitnah nachgewiesen ist, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten konnten, die das erkrankte Organ nicht betrafen (BdR, 9.3.1, Phase 1, c, S. 136), und nicht nachgewiesen werden kann, dass konstruktionsbedingt eine Tätigkeit am offenen Gerät bei eingeschalteter Hochspannung in der Nähe des abgeschirmten Störstrahlers nicht möglich war und am abgeschirmten Gerät auftretende Ortsdosisleistungen einen Wert von 5 &956;Sv/h nicht überschreiten konnten (BdR, 9.3.1, Phase 1, e, S. 136). Ferner werden nach dem BdR Störgeräte, für die keine oder nur eine geringe Zahl von Messungen der Ortsdosisleistung vorliegt und keine Aussagen über Expositionen getroffen werden können, der Phase 1 zugeordnet und wird im BdR für Radargeräte, die bei der NVA eingesetzt wurden, ein analoges Vorgehen empfohlen und diesbezüglich ausgeführt, im Ergebnis seien die NVA-Geräte generell der Phase 1 zuzuordnen, da weder Hinweise auf systematische Untersuchungen der von ihnen ausgehenden Röntgenstörstrahlung noch auf die Durchführung entsprechender Schutzmaßnahmen vorlägen (BdR, 9.1.1, S. III und 131).

Beim Kläger fehlt es bereits am Nachweis einer qualifizierenden Tätigkeit als Techniker/Mechaniker oder Bediener (Operator) an Radaranlagen. Er war nach seinem vorgelegten Dienstausweis nur als Funkorter eingesetzt, d. h. wurde an einem Arbeitsplatz im Kampfraum räumlich getrennt von der Sendeanlage im Radarturm verwendet. Für seine Behauptung, er habe die Sende- und Empfangsanlagen gewartet und sei dabei ständiger Strahlung ausgesetzt, fehlt es daher auch in Anbetracht seines damaligen Lebensalters und der mangelnden Qualifizierung hierfür, an jeglichem Nachweis.

Gegen eine Zuordnung der ALS 1 S 91 zur Phase 1 spricht schon, dass im Falle des Klägers ausreichende Messungen der Ortsdosisleistung vorliegen und deshalb ausnahmsweise eine Aussage über die Exposition getroffen werden kann. Zwar trifft es zu, dass statt der im BdR, 9.3.1, d, S. 136 für erforderlich erachteten 20 Messungen lediglich die beiden Messungen vom 24.02.1992 und 30.03.1992 aktenkundig sind. Da der zeitliche Abstand dieser beiden Messungen zu dem vom Kläger bis zum 24.08.1990 verrichteten Wehrdienst lediglich rund 18 Monate betragen hat und eine technische Veränderung an der ALS 1 S 91 in dieser Zwischenzeit nicht vorgenommen worden ist, mithin vergleichbare Verhältnisse zur Dienstzeit des Klägers hinsichtlich der Röntgenstörstrahlung vorlagen, bedarf es aber weiterer Messungen nicht. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass sich die im BdR geforderten 20 Messungen auf Geräte beziehen, die in der Phase 1, also bis zum Jahr 1976, eingesetzt worden sind. Ferner hat der Senat dabei berücksichtigt, dass nach den nicht in Zweifel zu ziehenden Angaben der Beklagten die beiden Messungen im Jahr 1992 durchgeführt worden sind, um eine weitere Nutzung der Geräte bei der Bundeswehr zu prüfen, so dass daher davon auszugehen ist, dass diese Messungen entsprechend sorgfältig durchgeführt worden sind.

Dessen ungeachtet ist die betroffene Niere kein Organ, das als Lokalisation einer maximalen Betriebsspannung durch Röntgenstörstrahlung verursacht in Frage kommt. Denn eine Tumorlokalisation in den im BdR, 9.3.1, Phase 1, b, S. 135; BdR, 9.3.1, Phase 1, Tabelle 9-1, S. 136 genannten Bereichen Augenlinse, Blase, Dickdarm, Haut, Knochenoberfläche, Leber, Lunge, Magen, Schilddrüse, Speiseröhre, Testes (Hoden) oder Thymus liegt beim Kläger nicht vor. Vielmehr ist er im Jahr 2003 an einem Nierentumor erkrankt. Dass Nierentumore in dieser Tabelle nicht aufgeführt sind, korrespondiert auch mit der Einschätzung des Strahlenbiologen M. in den von der Beklagten vorgelegten Gutachten, wonach die Niere zu den für eine Tumorauslösung durch ionisierende Strahlung gering empfindlichen Organen gehört, und mit Anhang 3 zum Merkblatt zur Berufskrankheit nach Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV, in dem die Strahlenempfindlichkeit der Niere als niedrig bewertet wird.

Ferner hat die Beklagte zur Überzeugung des Senats zeitnah im Sinne des BdR, 9.3.1, Phase 1, c, S. 136 nachgewiesen, dass vorliegend nur Teilkörperexpositionen auftreten konnten, die das erkrankte Organ nicht betrafen. Dies ergibt sich aus den überzeugenden Berichten der AG Radar vom 02.09.2003 und 23.03.2005, in denen unter anderem dargelegt worden ist, dass bei der ALS 1S91 die Stelle, an der die maximale Ortsdosisleistung von 2 &956;Sv/h und 5 &956;Sv/h betragen hat, nur mit den Händen zugänglich gewesen ist und gar, da sich an diesen Stellen weder Kontroll- noch Regelelemente befunden haben, ein Zugriff mit den Händen nicht erforderlich gewesen ist.

Im Übrigen hat die Beklagte nach BdR, 9.3.1, Phase 1, e, S. 136 nachgewiesen, dass konstruktionsbedingt eine Tätigkeit am offenen Gerät bei eingeschalteter Hochspannung in der Nähe des abgeschirmten Störstrahlers nicht möglich war und am abgeschirmten Gerät auftretende Ortsdosisleistungen einen Wert von 5 &956;Sv/h nicht überschreiten konnten. Zutreffend hat die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung dargelegt, dass eine Röntgenstörstrahlung nur am geöffneten Sender der Suchradare, nicht aber an den anderen Sendern Zielbeleuchter und Folgeradar oder an den im Kampfraum befindlichen Sichtgeräten, an denen der Kläger tätig war, festgestellt worden ist. Dies ergibt sich aus dem Bericht der AG Radar vom 02.09.2003 und den beigefügten Messberichten der Wehrtechnischen Dienststelle 81 vom 24.02.1992 und 30.03.1992. Bei diesen Untersuchungen sind maximale Ortsdosisleistungen am Suchradar (Magnetron MI 353) von 2 &956;Sv/h und 5 &956;Sv/h gemessen und am Sender Zielbeleuchter und Folgeradar sowie an den Sichtgeräten keine Röntgenstörstrahlung festgestellt worden.

Ferner ergeben sich aus dem Akteninhalt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger im Rahmen seines Wehrdienstes einer HF-Strahlung ausgesetzt war. Darauf kommt es aber vorliegend ohnehin nicht an, da nach dem BdR nur Katarakte als eine auf HF-Strahlung zurückzuführende qualifizierende Krankheit anzusehen sind (BdR, 7.2, S. 108; BdR, 9.2, S. 134 und BdR, 9.3.3, S. 138), der Kläger aber an einer solchen Erkrankung nicht leidet. Dabei folgt der Senat der unfallmedizinischen Literatur, die bestätigt, dass zur Verursachung von Tumorerkrankungen vor allem beim Betrieb von Radaranlagen derzeit keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse im Sinne des § 9 SGB VII vorliegen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S. 1207; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 14.09.2010 - L 2 VS 11/10).

Nach alledem kann die Erkrankung des Klägers auch nicht unter Berücksichtigung der Anerkennungsempfehlungen im BdR und einer damit verbundenen Beweiserleichterung auf seine Wehrdiensttätigkeit zurückgeführt werden.

Auch greifen zu Gunsten des Klägers nicht die Grundsätze für eine Umkehr. der Beweislast. Der Eintritt einer Beweislastumkehr kann ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn eine planmäßige Unklarheit wie bei einer Beweisvereitelung, beispielsweise wenn einzelne beweiserhebliche Tatsachen im Staatsinteresse geheim gehalten werden müssen, vorliegt (BSG, Urteil vom 26.02.1992 - 9a RV 4/91). Zwar wird im BdR darauf hingewiesen, dass in der Phase 1 trotz grundsätzlich vorhandener Kenntnis von Röntgenstörstrahlung leistungsfähiger Radarsender nicht in größerem Umfang Messungen der Ortsdosisleistung und darauf basierend Abschätzungen möglicher Arbeitsplatzexpositionen vorgenommen wurden. Erst nach alarmierenden Messungen an einem in der Marine eingesetzten Radargerät wurden in der Phase 2 bei steigendem Problembewusstsein nach und nach systematische Messungen durchgeführt. Aufgrund dieser systematischen Messungen kann nach dem BdR in Phase 3 vom Bestehen eines adäquaten Strahlenschutzes ausgegangen werden (BdR, 9.1.1, S. 130 und 131). Aus dieser Beschreibung kann sicher im Nachhinein auf Unzulänglichkeiten im Umgang mit Strahlenquellen geschlossen werden. Von einer planmäßig herbeigeführten Unklarheit kann jedoch nicht ausgegangen werden. Dem BdR können auch keine Hinweise entnommen werden, dass Messergebnisse geheim gehalten werden. Eine Beweislastumkehr kommt daher nicht in Betracht (Urteile des Senats vom 15.12.2011 - L 6 VS 4157/10 - und vom 16.07.2008 - L 6 VS 2599/06).

Ein Versorgungsanspruch kommt auch unter dem Gesichtspunkt der so genannten Kannversorgung, so sie denn vorliegend in analoger Anwendung des § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG überhaupt in Frage käme, nicht in Betracht. Denn vorliegend ist die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nicht nur deshalb nicht gegeben, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, sondern sie scheitert bereits daran, dass im Hinblick auf die geltend gemachte Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung weder eine ausreichende Strahlenexposition nachgewiesen noch eine qualifizierende Tätigkeit im Sinne des BdR anzunehmen ist. Ferner liegen im Hinblick auf die geltend gemachte Exposition gegenüber HF-Strahlung keine nachvollziehbaren wissenschaftlichen Lehrmeinungen und Erkenntnisse vor, die für einen generellen, in der Regel durch statistische Erhebungen untermauerten Zusammenhang zwischen einer solchen Strahlung und der festgestellten Erkrankung des Klägers sprechen.

Nach alledem war der Gerichtsbescheid aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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