Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 6 KR 180/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiederherstellung der Empfängnisfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung liegen auch dann vor, wenn die Versicherte gegen ihren Willen oder ohne ihr Wissen sterilisiert worden war.
Der Bescheid vom 30.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2009 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Kosten für die Refertilisierung der Klägerin zu übernehmen.
Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine Refertilisierung.
Die Klägerin, geboren 1980, war bis zum xx.xx.2009 mit Herrn C verheiratet. Die Klägerin ist marokkanische Staatsangehörige. Sie hatte im Jahre 1997, damals 17-jährig, Herrn C in Marokko geheiratet und war nach Deutschland gezogen, ohne der deutschen Sprache mächtig zu sein. In Deutschland lebte sie mit ihrem Ehemann und dessen Eltern in einer 4-Zimmer Wohnung in X-Stadt. Sie war über ihren Ehemann bei der Beklagten familienkrankenversichert. Ende 1997 wurde sie erstmals schwanger. Im Juli 1998 wurde dann der gemeinsame Sohn E geboren. Die Klägerin ging in den Jahren nach ihrer Ankunft in Deutschland keiner geregelten Arbeit nach, sondern kümmerte sich um den Haushalt der Familie E sowie um ihren Sohn. Ende 2003 wurde sie dann erneut schwanger und brachte den gemeinsamen zweiten Sohn F im Juli 2004 zur Welt. Im Januar 2007 flüchtete die Klägerin mit Ihrem Sohn F nach einem Streit mit der Schwiegermutter aus der gemeinsamen Wohnung und hielt sich in der Folgezeit zunächst in einem Frauenhaus in Y-Stadt und anschließend in einem Frauenhaus in B-Stadt auf. In der Folgezeit führte sie familien- sowie sorgerechtliche Auseinandersetzungen vor dem Familiengericht. Am 03.12.2004 wurde die Klägerin in der Tagesklinik QQ. in Q-Stadt von Herrn Dr. D mittels einer Operation sterilisiert, indem beide Eileiter durch Strom über eine Strecke von 2cm verklebt wurden. Dieser Operation vorausgegangen waren Untersuchungen bei der Frauenärztin der Klägerin Dr. G sowie ein Aufklärungsgespräch bei Herrn Dr. D. Da die Klägerin kein deutsch verstand, dolmetschten jeweils Familienangehörige. Die Klägerin wirft ihrem damaligen Ehemann sowie auch dessen Schwester vor, nichts von der durchgeführten Sterilisation gewusst zu haben, bzw. diese nicht gewollt zu haben, sondern anlässlich der Aufklärungs- und Beratungsgespräche sowohl bei Dr. G als auch bei Dr. D durch fehlerhafte Übersetzung über das tatsächliche Geschehen bei der bevorstehenden Operation getäuscht worden zu sein. Aufgrund dieser Vorwürfe hat ein Strafprozess wegen schwerer Körperverletzung nach § 223 Abs. 1, § 226 Abs. 1 Nr. 1, 4. Alternative StGB sowohl gegen ihren damaligen Ehemann sowie dessen Schwester unter dem Aktenzeichen 5/27 KLs (46/09) vor dem Landgericht Frankfurt am Main stattgefunden. Beide Angeklagten wurden mit rechtskräftigem Urteil vom 27.09.2010 frei gesprochen nach dem Grundsatz "in dubio pro reo". Zum Ablauf der Geschehnisse anlässlich der erfolgten Sterilisation werden die Feststellungen aus dem Strafurteil wiedergegeben:
"Zu der Sterilisation im Dezember 2004 hat die Nebenklägerin gegenüber der Kammer erklärt, dass die Sterilisation im Dezember 2004 ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen vorgenommen worden sei. Hintergrund sei gewesen, dass ihr Ehemann, der Angeklagte, keine Kinder mehr gewollt habe. Aus ihrer Sicht sei im November 2004 anlässlich des Frauenarzttermins bei der Zeugin Dr. G über den Einsatz einer Spirale gesprochen worden und die Überweisung an Dr. D sei im Hinblick auf den Einsatz einer Spirale erfolgt. Aufgrund absichtlich fehlerhafter Dolmetschertätigkeit des Angeklagten sei es ihr verborgen geblieben, dass bei der Zeugin Dr. G bereits über eine Sterilisation gesprochen worden sei und die Überweisung in die Tagesklinik zu dem Zeugen Dr. D zu dem Zwecke erfolgte, eine Sterilisation bei ihr vorzunehmen. Auch anlässlich der Besprechungen bei Dr. D habe der Angeklagte absichtlich fehlerhaft übersetzt, so dass sie ihre Einwilligung zur Sterilisation in dem Glauben unterschrieben habe, ihr werde eine Spirale eingesetzt. Von der Sterilisation habe sie erst im Februar 2007 nach ihrer Flucht aus dem Hause E im Frauenhaus in B-Stadt erfahren. Mitarbeiter des Frauenhauses hätten ihr mit Unterstützung ihrer Rechtsanwältin den Operationsbericht des Zeugen Dr. D vom 03.12.2004 besorgt und sie von der daraus hervorgehenden Sterilisation in Kenntnis gesetzt. Zwar habe ihre Mutter sie in einem Telefonat nach der Operation im Dezember 2004 darauf aufmerksam gemacht, dass für den Einsatz einer Spirale keine Operation notwendig sei, jedoch habe sie dem Angeklagten zu dieser Zeit noch vertraut und habe sich nicht vorstellen können, dass tatsächlich ohne ihr Wissen eine Sterilisation bei ihr vorgenommen worden sein könnte. 2008 sei die Sterilisation auch nochmals von einem Arzt im Rahmen einer Untersuchung festgestellt worden. Diese Aussage steht inhaltlich in Übereinstimmung mit der Aussage der Nebenklägerin im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung, die von der Vernehmungsbeamtin H in der Hauptverhandlung dargestellt wurde.
Zu den Gesprächen mit der Nebenklägerin im Vorfeld der Sterilisation hat die Zeugin Dr. G gegenüber der Kammer erklärt, dass die Nebenklägerin im Oktober 2004 zur Nachuntersuchung bei ihr gewesen sei. Bei diesem Termin sei mit der Nebenklägerin über verschiedene Möglichkeiten der Verhütung gesprochen worden. Es sei über die Pille, die Spirale und weitere Verhütungsmöglichkeiten gesprochen worden, nicht aber primär über eine Sterilisation. Die Angeklagte I habe gedolmetscht. Im November 2004 sei die Nebenklägerin nochmals bei ihr gewesen und habe nunmehr den Wunsch zur Sterilisation geäußert. Bei diesem Gespräch sei der Ehemann der Nebenklägerin, der Angeklagte, als Dolmetscher anwesend gewesen. Sie habe der Nebenklägerin wegen des jungen Alters (24 Jahre) von einer Sterilisation abgeraten, aber letztlich aufgrund des ausdrücklichen Wunsches der Nebenklägerin doch eine Überweisung veranlasst. Hinsichtlich der Übersetzungssituation bei den Gesprächen erklärte die Zeugin Dr. G gegenüber der Kammer, dass sie keine konkreten Erinnerungen an diese habe. Üblicherweise jedoch erkläre sie gegenüber der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländern Sachverhalte immer abschnittweise und lasse dies dann übersetzen. Auch verwende sie regelmäßig bildhafte Darstellungen zur Veranschaulichung und Erklärung. So zeige sie bei einer Sterilisation z. B. wie die Eileiter genau verklebt würden. Bei der Spirale erkläre sie über die verschiedenen Varianten der Spiralen auf und über deren Vor- und Nachteile. Bei der Spirale kläre sie die Patientin auch in der Regel darüber auf, dass diese vor Ort bei ihr eingesetzt werden könne. Bei den Gesprächen mit ausländischen Patienten spreche sie immer die Patienten selbst direkt an, auch wenn diese kein Deutsch verstünden und lasse übersetzen. Sie achte dabei darauf, ob die Patienten ihre Erklärungen verstünden oder irritiert reagierten. Hinsichtlich der Nebenklägerin sei ihr insoweit nichts Ungewöhnliches in Erinnerung. Der Zeuge Dr. D erklärte zu der Sterilisation im Dezember 2004 gegenüber der Kammer, dass die Nebenklägerin mit einer Überweisung ihrer Frauenärztin, der Zeugin Dr. G, zu ihm gekommen sei. Auf der Überweisung sei der ausdrückliche Wunsch der Nebenklägerin zur Sterilisation vermerkt gewesen. Es habe zunächst einen Termin gegeben zur Besprechung der Operation und dann den Termin der Operation selbst. Der Ehemann der Nebenklägerin habe gedolmetscht. Bei dem ersten Termin am 30.11.2004 sei zunächst eine Anamnese der Nebenklägerin erfolgt. Er habe sie nach der Familie, Krankheiten, Voroperationen etc. gefragt. In der Folge habe er die Nebenklägerin anhand eines Aufklärungsbogens über die 9 IG Operation aufgeklärt. Er habe Einzelheiten der Operation der Nebenklägerin erklärt und ihr anhand bildhafter Darstellungen die Operation erläutert und sie auch über Risiken der Sterilisation aufgeklärt. Auch über die Möglichkeit der Rückgängigmachung und der Sicherheit der Sterilisation sei mit der Nebenklägerin gesprochen worden. Auch habe er auf dem Schaubild des von der Nebenklägerin unterschriebenen Aufklärungsbogens über die Sterilisation Einzeichnungen vorgenommen, um den Vorgang der Sterilisation zu veranschaulichen. Insbesondere habe er die Eileiterverklebung kenntlich gemacht. Die Aufklärung sei derart erfolgt, dass seine Erläuterungen immer Satz für Satz vom Angeklagten übersetzt worden seien. Wenn er der Nebenklägerin eine Frage gestellt habe, habe der Ehemann diese übersetzt, die Nebenklägerin habe geantwortet und der Ehemann habe wiederum übersetzt und die Antwort an ihn weitergegeben. Die Nebenklägerin und ihr Ehemann hätten bei der Besprechung direkt nebeneinander vor ihm gesessen. Der Ehemann der Nebenklägerin habe auf seine Fragen nie selbständig geantwortet, sondern Antworten der Nebenklägerin jeweils übersetzt. Er habe zu keinem Zeitpunkt den Eindruck gehabt, dass die Nebenklägerin etwas nicht verstanden habe oder in irgendeiner Weise irritiert gewesen sei. Alles sei Satz für Satz vom Ehemann der Nebenklägerin übersetzt worden. Auch als die Nebenklägerin das Schaubild zur Sterilisation gesehen habe, habe es keine Reaktion der Nebenklägerin gegeben, die etwaige Zweifel hätten bei ihm aufkommen lassen können. Er habe auch nicht den Eindruck gehabt, dass der Ehemann etwas nicht oder falsch übersetzt habe oder dass irgendetwas nicht stimme. Ansonsten hätte er die Nebenklägerin weggeschickt. Bei geringsten Zweifeln würde er grundsätzlich von einer Sterilisation absehen, da es sich um einen sehr erheblichen Eingriff handele. Auch habe er die Nebenklägerin nochmals am Tage der Operation gefragt, ob weiterhin der Wunsch der Sterilisation bestehe. Dieses Gespräch vor der Operation sei im Arztzimmer erfolgt. Die Frage sei direkt an die Nebenklägerin erfolgt. Ihr Ehemann habe übersetzt. Die Nebenklägerin habe auf die Frage geantwortet, dass sie weiterhin eine Sterilisation wünsche. Er sei insoweit sehr sorgfältig und schicke Frauen bei dem geringsten Zweifel an dem Wunsch nach einer Sterilisation eher wieder nach Hause, als dass er eine Operation vornehme.
Er habe an den Altersangaben des Ehemanns hinsichtlich der Nebenklägerin keine Zweifel gehabt. Dieser habe erklärt, seine Ehefrau sei - abweichend von ihrem offiziell eingetragenen Geburtsdatum 10.05.1980 - tatsächlich bereits 33 Jahre alt und die Abweichung in den Altersangaben sei dem Umstand geschuldet, dass seine Ehefrau Marokkanerin sei und ihr Alter bei der Einreise verringert worden sei. Der Zeuge Dr. D erläuterte hierzu, dass nach seinen Erfahrungen das Alter bei ausländischen Patienten, insbesondere Ausländern aus der Türkei oder Marokko, häufig unklar sei. Im Übrigen sähen nach seinen Erfahrungen insbesondere Marokkanerinnen oft jünger aus als sie sind. Eine Altersuntergrenze für die Vornahme einer Sterilisation gebe es nicht. Er habe mit der Nebenklägerin auch über alternative Verhütungsmöglichkeiten, wie Pille und Spirale, gesprochen. Das Gespräch mit der Nebenklägerin sei zu jedem Zeitpunkt unauffällig verlaufen. Die Zeugin J erklärte hinsichtlich der Sterilisation der Nebenklägerin, dass diese keine Kinder mehr gewollt und sich daher eine Sterilisation gewünscht habe. Sie sei mit der Nebenklägerin seinerzeit sehr gut befreundet gewesen und die Nebenklägerin habe sich ihr anvertraut. Die Nebenklägerin habe ihr gegenüber geäußert nach der Geburt des zweiten Sohnes F keine weiteren Kinder mehr zu wollen. Sie habe mit ihr kurze Zeit nach der Geburt von F daher über den Wunsch einer Sterilisation gesprochen. Die Nebenklägerin habe ihr später auch erzählt, dass sie die Sterilisation habe vornehmen lassen. Die Nebenklägerin habe die Sterilisation nach ihrem Eindruck nicht bereut. Sie selbst habe sich der Nebenklägerin mit eigenen Problemen nicht anvertraut. Sie und die Nebenklägerin seien jedoch gut befreundet gewesen. Vor dem Hintergrund der Aussagen der Zeugen Dr. G, Dr. D und J hat die Kammer die Aussagen der Nebenklägerin gewürdigt. Für den Wahrheitsgehalt der Aussagen sprach dabei nach Auffassung der Kammer, dass die Nebenklägerin seinerzeit die deutsche Sprache allenfalls bruchstückhaft verstand und kein Deutsch sprach, sie mithin den Gesprächen mit der Zeugin Dr. G und mit dem Zeugen Dr. D selbst nicht folgen konnte, sondern auf die Übersetzung des Angeklagten angewiesen war. Es bestand mithin grundsätzlich die Gelegenheit für den Angeklagten, die Nebenklägerin durch falsche Übersetzung über die Sterilisation im Unklaren zu lassen. Für den Wahrheitsgehalt der Aussage der Nebenklägerin spricht ferner auch das von dem Angeklagten gegenüber dem Zeugen Dr. D angegebene höhere Alter der Nebenklägerin. Hätte der Angeklagte die Nebenklägerin im Unklaren über die Sterilisation lassen wollen, hätte er auch ein Motiv gehabt, den Zeugen Dr. D über das Alter der Nebenklägerin zu täuschen. Denn damit hätte er etwaige Zweifel des Zeugen Dr. D an dem Sterilisationswunsch der Nebenklägerin ausräumen können, da ein solcher Wunsch von einer 33-jährigen Patientin deutlich häufiger geäußert werden dürfte als von einer 24-jährigen Patientin. Die Aussage der Zeugin J zum Wissen und Wollen der Nebenklägerin im Bezug auf die Sterilisation ist nach Überzeugung der Kammer nicht glaubhaft. Die Zeugin J vermochte so gut wie keine Angaben zu dem persönlichen Verhältnis mit der Nebenklägerin zu machen. Auch konnte sie nicht konkret erklären, wann und wo die Nebenklägerin mit ihr über die Sterilisation gesprochen habe. Die Zeugin räumte zudem ein, dass sie sich der Nebenklägerin selbst in keiner Weise anvertraut habe. Die Kammer geht daher davon aus, dass die Zeugin J gelogen hat und keine enge Freundin der Nebenklägerin war und mit ihr nicht über den Wunsch einer Sterilisation gesprochen hat. Aus dieser Aussage waren mithin keine Erkenntnisse zu erlangen. Gegen den Wahrheitsgehalt der Aussage der Nebenklägerin sprachen die Aussagen der Zeugen Dr. G und Dr. D, die angegeben haben, es sei anlässlich der Besprechung mit der Nebenklägerin stets Satz für Satz übersetzt worden, die Nebenklägerin sei immer direkt angesprochen worden, die Sterilisation sei der Nebenklägerin auch anhand eines Schaubildes im einzelnen erklärt worden und man hätte - ungeachtet der mit Blick auf die Schwere des Eingriffs besonderen Aufmerksamkeit ihrerseits - zu keinem Zeitpunkt feststellen können, dass der Angeklagte etwas falsch übersetzt oder die Nebenklägerin nicht um den Gegenstand der geplanten Operation - d. h. der Sterilisation - gewusst hätte. Die Kammer hat keinen Anlass an der Glaubhaftigkeit der Aussagen sowie der Glaubwürdigkeit der Zeugen Dr. G und Dr. D zu zweifeln. Gegen den Wahrheitsgehalt der Aussage der Nebenklägerin spricht ferner, dass sie selbst erklärt hat, dass ihre Mutter sie bereits kurz nach der Sterilisation im Rahmen eines Telefonates darauf aufmerksam gemacht hätte, dass für den Einsatz einer Spirale keine Operation notwendig sei. Die Nebenklägerin nahm dies jedoch nicht zum Anlass, der Sache nachzugehen. Dies ist aus Sicht der Kammer nicht nachzuvollziehen, will die Nebenklägerin tatsächlich vorher nicht von der Sterilisation gewusst haben. Auch vermag die Kammer insoweit nicht nachzuvollziehen, dass die Nebenklägerin erst im Jahr 2008 - also etwa ein Jahr nach der von ihr behaupteten Kenntnis der Sterilisation - zu einem Arzt gegangen ist, um die bei ihr vorgenommene Sterilisation ärztlich verifizieren zu lassen. Wäre die Sterilisation tatsächlich seinerzeit ohne ihr Wissen und Wollen vorgenommen worden, wäre zu erwarten gewesen, dass die Nebenklägerin nach Kenntnis von der Sterilisation sehr zeitnah einen Gynäkologen aufgesucht hätte, um die Information aus dem Operationsbericht des Zeugen Dr. D zu verifizieren und auch die Möglichkeit der Rückgängigmachung der Sterilisation zu eruieren. Darüber hinaus war zu berücksichtigen, dass die Strafanzeige der Nebenklägerin erst erhoben wurde, als sie von ihrem Ehemann familienrechtlich bezüglich des Sorgerechts in Anspruch genommen und ihrerseits wegen Vernachlässigung der Kinder angezeigt worden war. Trotz der zunächst vorliegenden Indizien - konstante Angaben der Nebenklägerin im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung und ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung über ihrer Unkenntnis der bei ihr vorgenommenen Sterilisation -, die für eine Verurteilung des Angeklagten sprachen, konnte die Kammer damit im Ergebnis nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" das angeklagte Geschehen nicht mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit feststellen. Die gemäß dem Protokoll der Hauptverhandlung erhobenen Beweise sind nach alledem nicht geeignet, den Vorwurf der schweren Körperverletzung nach den §§ 223 Abs. 1, 226 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 4 StGB aus tatsächlichen Gründen tragen zu können."
Die Klägerin ließ mit Schreiben vom 12.11.2008 durch ihren behandelnden Arzt, Herrn Dr. K, Universitätsklinikum ZR. und B-Stadt GmbH, bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Refertilisierung beantragen. Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme mit Bescheid vom 30.12.2008 ab, da für den Eingriff keine medizinische Indikation vorliege. Mit Schreiben vom 15.01.2009 erläuterte die Beklagte Herrn Dr. K die Gründe für Ihre Entscheidung. Es läge keine krankhafte Unfruchtbarkeit vor. Vielmehr sei der Zustand auf Wunsch der Patientin herbeigeführt worden. Der Eingriff sei gerade im Einvernehmen mit der Klägerin erfolgt. Die Begleitumstände, die zu dieser Situation geführt hätten, seien als tragisch anzusehen. Auch hätte sie Verständnis für die Situation der Klägerin. Leider seien ihr durch die Regelungen des SGB V jedoch die Hände gebunden. Gegen den Bescheid vom 30.12.2008 legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie legte unter Beifügung des Protokolls ihrer polizeilichen Vernehmung sowie weitere Unterlagen aus dem geführten Strafverfahren erneut dar, dass ihre Sterilisation nicht freiwillig erfolgt sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2009 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der durch Sterilisation bewusst herbeigeführte Zustand der Unfruchtbarkeit keine Krankheit im Sinne des SGB V darstelle, woraus folgend die Refertilisierung keine medizinisch notwenige Heilbehandlung darstelle. Die Unfruchtbarkeit resultiere objektiv gesehen – wenn sie auch von der Klägerin ungewollt sein möge – nicht aus einem regelwidrigen krankhaften Zustand, sondern aus der erfolgten Sterilisation, in die die Klägerin zumindest nach außen erkennbar durch ihre Unterschrift eingewilligt habe. So habe auch das BSG entschieden. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage vom 30.07.2009. Das Klageverfahren ist zunächst ruhend gestellt worden, um den Ausgang des Strafverfahrens gegen den ehemaligen Ehemann der Klägerin abzuwarten. Das Verfahren wurde dann ab dem 08.12.2010 fortgeführt. Die Klägerin trägt vor, dass im Strafverfahren Zweifel geblieben seien, die dazu geführt hätten, dass ihr ehemaliger Ehemann freigesprochen worden sei. Es sei gerade der Grundsatz "in dubio pro reo" zum Tragen gekommen. Der zuständige Vorsitzende habe im Rahmen des Strafverfahrens erklärt, dass ein fader Nachgeschmack bleibe, dass die Kammer aber aufgrund der Widersprüche, die aufgetreten seien, nicht anders könne, als den Angeklagten frei zu sprechen. Die Klägerin trägt weiter vor, dass der im Strafverfahren geltende Grundsatz in "in dubio pro reo" im sozialgerichtlichen Verfahren keine Geltung beanspruche. Auch wenn in dem Strafverfahren die Kammer diesen Grundsatz folgend das angeklagte Geschehen nicht mit einer zu Verurteilung ausreichenden Sicherheit habe feststellen können, sei die Klägerin gegen ihren erklärten Willen, ohne dass sie von der Tragweite der Operation gewusst habe, sterilisiert worden.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 30.12.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für eine Refertilisierung der Klägerin zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf die Gründe des Widerspruchbescheides.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakten, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Bescheid vom 30.12.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Kostenübernahme für die Refertilisierungsmaßnahme. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 27 SGB V, wonach Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung haben, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zuerkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschweren zu lindern (Abs. 1 Satz 1). Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verloren gegangen war (Abs. 1, Satz 4). Zur Überzeugung des Gerichts erfüllt die Klägerin im vorliegenden Fall die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiederherstellung der Empfängnisfähigkeit. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht dem Anspruch der Klägerin die gesetzgeberische Entscheidung in § 27 Abs. 1 Satz 4 SGB V nicht entgegen. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass nach dem Wortlaut der Vorschrift diese ausschließlich an den Zustand der Unfruchtbarkeit als Krankheit anknüpft. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift wird man jedoch davon ausgehen müssen, dass nur bei freiwilliger Sterilisation keine Krankheit im Sinne der Vorschrift vorliegt (in diesem Sinne auch Kraftberger, in: LPK- SGB V, § 27 Rn. 112). So hat auch das Bundessozialgericht (BSG) die Kostenübernahme einer Refertilisierung nur für den Fall ausgeschlossen, dass der Zustand der Unfruchtbarkeit bewusst und gewollt herbeigeführt worden war (BSG zum früheren Rechtszustand, Urteil vom 11.10.1988, 3/8 RK 20/87). Im Anschluss an BSGE 59, 119 führt das BSG aus, dass eine durch freiwillige Sterilisierung herbeigeführte Unfruchtbarkeit von der Rechtsgemeinschaft und regelmäßig auch von den Betroffenen nicht als krankhaft angesehen werde, weder im Sinne eines Leidens noch im Sinne psychophysischer Normabweichung. Der Gesetzgeber habe die Sterilisation im gesetzlichen Rahmen legalisiert und wer sie vornehmen lasse, wolle sich damit nicht in die Situation des Kranken begeben, sondern habe die für ihn anstehende Güterabwägung bewusst und gewollt in der Absicht künftiger Lebensgestaltung in dieser Weise vorgenommen. Genau dies trifft jedoch auf die Klägerin im vorliegenden Verfahren nicht zu. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass selbst wenn die Klägerin gewusst haben sollte, dass bei ihr eine Sterilisation durchgeführt wird, woran das Gericht nach den Feststellungen des Strafurteils erhebliche Zweifel hat, kann jedoch keinesfalls davon ausgegangen werden, dass sie diese Entscheidung auch gewollt hat. Vielmehr ist nach den glaubhaften Schilderungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, die sich auch mit den Schilderungen währende der polizeilichen Vernehmung sowie den Feststellungen des Strafurteils decken, sowie insgesamt aus dem Akteninhalt zu entnehmen, dass es der Klägerin unter den damaligen Lebensumständen nicht möglich gewesen ist, einen eigenen Willen zu haben bzw. diesen auch durchzusetzen. Das Gericht geht hinsichtlich dieser Sachverhaltswürdigung von den folgenden Feststellungen aus: Die Klägerin ist in Marokko aufgewachsen und hat dort keine Schule besucht. Sie konnte weder lesen noch schreiben. Nach dem Umzug nach Deutschland stand sie im Haushalt der Schwiegereltern unter erheblichem familiären Druck, der von einer traditionellen Erwartungshaltung an die Rolle der Ehefrau und einem traditionellen Frauenbild geprägt war. Sie durfte nicht alleine das Haus verlassen und war aufgrund der fehlenden Deutschkenntnisse nicht in der Lage, sich selber verständlich zu machen. Das Gericht geht auch davon aus, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit Handgreiflichkeiten stattgefunden haben. Das Gericht hält die Schilderung der Klägerin sowohl im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung, als auch im Strafverfahren, als auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung, dass Sie von mehreren Familienmitgliedern immer wieder geschlagen worden ist, für absolut glaubhaft. Die geschilderten Ereignisse fügen sich schlüssig in die geschilderten Lebensumstände ein. Die Klägerin hat auch sehr nachvollziehbar dargelegt, dass sie in einer angstbesetzten Atmosphäre und Abhängigkeit gelebt hat, in der sie keine andere Option hatte, als den anderen Familienangehörigen zu vertrauen. Das Gericht folgt der Klägerin ausdrücklich auch in der Einschätzung, dass der Freispruch ihres ehemaligen Ehemannes nach dem Grundsatz " in dubio pro reo" keinerlei Folgewirkungen für das sozialgerichtliche Verfahren hat. Im Strafprozess gelten insoweit andere Maßstäbe. Da Zweifel an der Täterschaft des ehemaligen Ehemanns der Klägerin verblieben, musste ihn die Strafkammer nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" freisprechen. Im Sozialgerichtsverfahren gilt demgegenüber, dass die Tatbestandvoraussetzungen zur Überzeugung des Gerichts hinreichend wahrscheinlich sein müssen. Mit dieser hinreichenden Wahrscheinlichkeit geht das Gericht nach den geschilderten Umständen davon aus, dass die Klägerin den Zustand der Unfruchtbarkeit gerade nicht bewusst und gewollt herbeigeführt hat. Selbst wenn sie gewusst hätte, um was es geht, die Sterilisation aber nicht gewollt hätte, hätte sie sich mit diesem Anliegen in ihrer familiären Umgebung nicht durchsetzen können. Insofern erscheint der Fall vergleichbar mit einer schicksalhaften Unfruchtbarkeit, für die nach dem oben dargelegten Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorgaben, die Solidargemeinschaft grundsätzlich eintrittspflichtig ist.
Aus diesen Gründen musste die Klage Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgte der Entscheidung in der Hauptsache.
Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine Refertilisierung.
Die Klägerin, geboren 1980, war bis zum xx.xx.2009 mit Herrn C verheiratet. Die Klägerin ist marokkanische Staatsangehörige. Sie hatte im Jahre 1997, damals 17-jährig, Herrn C in Marokko geheiratet und war nach Deutschland gezogen, ohne der deutschen Sprache mächtig zu sein. In Deutschland lebte sie mit ihrem Ehemann und dessen Eltern in einer 4-Zimmer Wohnung in X-Stadt. Sie war über ihren Ehemann bei der Beklagten familienkrankenversichert. Ende 1997 wurde sie erstmals schwanger. Im Juli 1998 wurde dann der gemeinsame Sohn E geboren. Die Klägerin ging in den Jahren nach ihrer Ankunft in Deutschland keiner geregelten Arbeit nach, sondern kümmerte sich um den Haushalt der Familie E sowie um ihren Sohn. Ende 2003 wurde sie dann erneut schwanger und brachte den gemeinsamen zweiten Sohn F im Juli 2004 zur Welt. Im Januar 2007 flüchtete die Klägerin mit Ihrem Sohn F nach einem Streit mit der Schwiegermutter aus der gemeinsamen Wohnung und hielt sich in der Folgezeit zunächst in einem Frauenhaus in Y-Stadt und anschließend in einem Frauenhaus in B-Stadt auf. In der Folgezeit führte sie familien- sowie sorgerechtliche Auseinandersetzungen vor dem Familiengericht. Am 03.12.2004 wurde die Klägerin in der Tagesklinik QQ. in Q-Stadt von Herrn Dr. D mittels einer Operation sterilisiert, indem beide Eileiter durch Strom über eine Strecke von 2cm verklebt wurden. Dieser Operation vorausgegangen waren Untersuchungen bei der Frauenärztin der Klägerin Dr. G sowie ein Aufklärungsgespräch bei Herrn Dr. D. Da die Klägerin kein deutsch verstand, dolmetschten jeweils Familienangehörige. Die Klägerin wirft ihrem damaligen Ehemann sowie auch dessen Schwester vor, nichts von der durchgeführten Sterilisation gewusst zu haben, bzw. diese nicht gewollt zu haben, sondern anlässlich der Aufklärungs- und Beratungsgespräche sowohl bei Dr. G als auch bei Dr. D durch fehlerhafte Übersetzung über das tatsächliche Geschehen bei der bevorstehenden Operation getäuscht worden zu sein. Aufgrund dieser Vorwürfe hat ein Strafprozess wegen schwerer Körperverletzung nach § 223 Abs. 1, § 226 Abs. 1 Nr. 1, 4. Alternative StGB sowohl gegen ihren damaligen Ehemann sowie dessen Schwester unter dem Aktenzeichen 5/27 KLs (46/09) vor dem Landgericht Frankfurt am Main stattgefunden. Beide Angeklagten wurden mit rechtskräftigem Urteil vom 27.09.2010 frei gesprochen nach dem Grundsatz "in dubio pro reo". Zum Ablauf der Geschehnisse anlässlich der erfolgten Sterilisation werden die Feststellungen aus dem Strafurteil wiedergegeben:
"Zu der Sterilisation im Dezember 2004 hat die Nebenklägerin gegenüber der Kammer erklärt, dass die Sterilisation im Dezember 2004 ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen vorgenommen worden sei. Hintergrund sei gewesen, dass ihr Ehemann, der Angeklagte, keine Kinder mehr gewollt habe. Aus ihrer Sicht sei im November 2004 anlässlich des Frauenarzttermins bei der Zeugin Dr. G über den Einsatz einer Spirale gesprochen worden und die Überweisung an Dr. D sei im Hinblick auf den Einsatz einer Spirale erfolgt. Aufgrund absichtlich fehlerhafter Dolmetschertätigkeit des Angeklagten sei es ihr verborgen geblieben, dass bei der Zeugin Dr. G bereits über eine Sterilisation gesprochen worden sei und die Überweisung in die Tagesklinik zu dem Zeugen Dr. D zu dem Zwecke erfolgte, eine Sterilisation bei ihr vorzunehmen. Auch anlässlich der Besprechungen bei Dr. D habe der Angeklagte absichtlich fehlerhaft übersetzt, so dass sie ihre Einwilligung zur Sterilisation in dem Glauben unterschrieben habe, ihr werde eine Spirale eingesetzt. Von der Sterilisation habe sie erst im Februar 2007 nach ihrer Flucht aus dem Hause E im Frauenhaus in B-Stadt erfahren. Mitarbeiter des Frauenhauses hätten ihr mit Unterstützung ihrer Rechtsanwältin den Operationsbericht des Zeugen Dr. D vom 03.12.2004 besorgt und sie von der daraus hervorgehenden Sterilisation in Kenntnis gesetzt. Zwar habe ihre Mutter sie in einem Telefonat nach der Operation im Dezember 2004 darauf aufmerksam gemacht, dass für den Einsatz einer Spirale keine Operation notwendig sei, jedoch habe sie dem Angeklagten zu dieser Zeit noch vertraut und habe sich nicht vorstellen können, dass tatsächlich ohne ihr Wissen eine Sterilisation bei ihr vorgenommen worden sein könnte. 2008 sei die Sterilisation auch nochmals von einem Arzt im Rahmen einer Untersuchung festgestellt worden. Diese Aussage steht inhaltlich in Übereinstimmung mit der Aussage der Nebenklägerin im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung, die von der Vernehmungsbeamtin H in der Hauptverhandlung dargestellt wurde.
Zu den Gesprächen mit der Nebenklägerin im Vorfeld der Sterilisation hat die Zeugin Dr. G gegenüber der Kammer erklärt, dass die Nebenklägerin im Oktober 2004 zur Nachuntersuchung bei ihr gewesen sei. Bei diesem Termin sei mit der Nebenklägerin über verschiedene Möglichkeiten der Verhütung gesprochen worden. Es sei über die Pille, die Spirale und weitere Verhütungsmöglichkeiten gesprochen worden, nicht aber primär über eine Sterilisation. Die Angeklagte I habe gedolmetscht. Im November 2004 sei die Nebenklägerin nochmals bei ihr gewesen und habe nunmehr den Wunsch zur Sterilisation geäußert. Bei diesem Gespräch sei der Ehemann der Nebenklägerin, der Angeklagte, als Dolmetscher anwesend gewesen. Sie habe der Nebenklägerin wegen des jungen Alters (24 Jahre) von einer Sterilisation abgeraten, aber letztlich aufgrund des ausdrücklichen Wunsches der Nebenklägerin doch eine Überweisung veranlasst. Hinsichtlich der Übersetzungssituation bei den Gesprächen erklärte die Zeugin Dr. G gegenüber der Kammer, dass sie keine konkreten Erinnerungen an diese habe. Üblicherweise jedoch erkläre sie gegenüber der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländern Sachverhalte immer abschnittweise und lasse dies dann übersetzen. Auch verwende sie regelmäßig bildhafte Darstellungen zur Veranschaulichung und Erklärung. So zeige sie bei einer Sterilisation z. B. wie die Eileiter genau verklebt würden. Bei der Spirale erkläre sie über die verschiedenen Varianten der Spiralen auf und über deren Vor- und Nachteile. Bei der Spirale kläre sie die Patientin auch in der Regel darüber auf, dass diese vor Ort bei ihr eingesetzt werden könne. Bei den Gesprächen mit ausländischen Patienten spreche sie immer die Patienten selbst direkt an, auch wenn diese kein Deutsch verstünden und lasse übersetzen. Sie achte dabei darauf, ob die Patienten ihre Erklärungen verstünden oder irritiert reagierten. Hinsichtlich der Nebenklägerin sei ihr insoweit nichts Ungewöhnliches in Erinnerung. Der Zeuge Dr. D erklärte zu der Sterilisation im Dezember 2004 gegenüber der Kammer, dass die Nebenklägerin mit einer Überweisung ihrer Frauenärztin, der Zeugin Dr. G, zu ihm gekommen sei. Auf der Überweisung sei der ausdrückliche Wunsch der Nebenklägerin zur Sterilisation vermerkt gewesen. Es habe zunächst einen Termin gegeben zur Besprechung der Operation und dann den Termin der Operation selbst. Der Ehemann der Nebenklägerin habe gedolmetscht. Bei dem ersten Termin am 30.11.2004 sei zunächst eine Anamnese der Nebenklägerin erfolgt. Er habe sie nach der Familie, Krankheiten, Voroperationen etc. gefragt. In der Folge habe er die Nebenklägerin anhand eines Aufklärungsbogens über die 9 IG Operation aufgeklärt. Er habe Einzelheiten der Operation der Nebenklägerin erklärt und ihr anhand bildhafter Darstellungen die Operation erläutert und sie auch über Risiken der Sterilisation aufgeklärt. Auch über die Möglichkeit der Rückgängigmachung und der Sicherheit der Sterilisation sei mit der Nebenklägerin gesprochen worden. Auch habe er auf dem Schaubild des von der Nebenklägerin unterschriebenen Aufklärungsbogens über die Sterilisation Einzeichnungen vorgenommen, um den Vorgang der Sterilisation zu veranschaulichen. Insbesondere habe er die Eileiterverklebung kenntlich gemacht. Die Aufklärung sei derart erfolgt, dass seine Erläuterungen immer Satz für Satz vom Angeklagten übersetzt worden seien. Wenn er der Nebenklägerin eine Frage gestellt habe, habe der Ehemann diese übersetzt, die Nebenklägerin habe geantwortet und der Ehemann habe wiederum übersetzt und die Antwort an ihn weitergegeben. Die Nebenklägerin und ihr Ehemann hätten bei der Besprechung direkt nebeneinander vor ihm gesessen. Der Ehemann der Nebenklägerin habe auf seine Fragen nie selbständig geantwortet, sondern Antworten der Nebenklägerin jeweils übersetzt. Er habe zu keinem Zeitpunkt den Eindruck gehabt, dass die Nebenklägerin etwas nicht verstanden habe oder in irgendeiner Weise irritiert gewesen sei. Alles sei Satz für Satz vom Ehemann der Nebenklägerin übersetzt worden. Auch als die Nebenklägerin das Schaubild zur Sterilisation gesehen habe, habe es keine Reaktion der Nebenklägerin gegeben, die etwaige Zweifel hätten bei ihm aufkommen lassen können. Er habe auch nicht den Eindruck gehabt, dass der Ehemann etwas nicht oder falsch übersetzt habe oder dass irgendetwas nicht stimme. Ansonsten hätte er die Nebenklägerin weggeschickt. Bei geringsten Zweifeln würde er grundsätzlich von einer Sterilisation absehen, da es sich um einen sehr erheblichen Eingriff handele. Auch habe er die Nebenklägerin nochmals am Tage der Operation gefragt, ob weiterhin der Wunsch der Sterilisation bestehe. Dieses Gespräch vor der Operation sei im Arztzimmer erfolgt. Die Frage sei direkt an die Nebenklägerin erfolgt. Ihr Ehemann habe übersetzt. Die Nebenklägerin habe auf die Frage geantwortet, dass sie weiterhin eine Sterilisation wünsche. Er sei insoweit sehr sorgfältig und schicke Frauen bei dem geringsten Zweifel an dem Wunsch nach einer Sterilisation eher wieder nach Hause, als dass er eine Operation vornehme.
Er habe an den Altersangaben des Ehemanns hinsichtlich der Nebenklägerin keine Zweifel gehabt. Dieser habe erklärt, seine Ehefrau sei - abweichend von ihrem offiziell eingetragenen Geburtsdatum 10.05.1980 - tatsächlich bereits 33 Jahre alt und die Abweichung in den Altersangaben sei dem Umstand geschuldet, dass seine Ehefrau Marokkanerin sei und ihr Alter bei der Einreise verringert worden sei. Der Zeuge Dr. D erläuterte hierzu, dass nach seinen Erfahrungen das Alter bei ausländischen Patienten, insbesondere Ausländern aus der Türkei oder Marokko, häufig unklar sei. Im Übrigen sähen nach seinen Erfahrungen insbesondere Marokkanerinnen oft jünger aus als sie sind. Eine Altersuntergrenze für die Vornahme einer Sterilisation gebe es nicht. Er habe mit der Nebenklägerin auch über alternative Verhütungsmöglichkeiten, wie Pille und Spirale, gesprochen. Das Gespräch mit der Nebenklägerin sei zu jedem Zeitpunkt unauffällig verlaufen. Die Zeugin J erklärte hinsichtlich der Sterilisation der Nebenklägerin, dass diese keine Kinder mehr gewollt und sich daher eine Sterilisation gewünscht habe. Sie sei mit der Nebenklägerin seinerzeit sehr gut befreundet gewesen und die Nebenklägerin habe sich ihr anvertraut. Die Nebenklägerin habe ihr gegenüber geäußert nach der Geburt des zweiten Sohnes F keine weiteren Kinder mehr zu wollen. Sie habe mit ihr kurze Zeit nach der Geburt von F daher über den Wunsch einer Sterilisation gesprochen. Die Nebenklägerin habe ihr später auch erzählt, dass sie die Sterilisation habe vornehmen lassen. Die Nebenklägerin habe die Sterilisation nach ihrem Eindruck nicht bereut. Sie selbst habe sich der Nebenklägerin mit eigenen Problemen nicht anvertraut. Sie und die Nebenklägerin seien jedoch gut befreundet gewesen. Vor dem Hintergrund der Aussagen der Zeugen Dr. G, Dr. D und J hat die Kammer die Aussagen der Nebenklägerin gewürdigt. Für den Wahrheitsgehalt der Aussagen sprach dabei nach Auffassung der Kammer, dass die Nebenklägerin seinerzeit die deutsche Sprache allenfalls bruchstückhaft verstand und kein Deutsch sprach, sie mithin den Gesprächen mit der Zeugin Dr. G und mit dem Zeugen Dr. D selbst nicht folgen konnte, sondern auf die Übersetzung des Angeklagten angewiesen war. Es bestand mithin grundsätzlich die Gelegenheit für den Angeklagten, die Nebenklägerin durch falsche Übersetzung über die Sterilisation im Unklaren zu lassen. Für den Wahrheitsgehalt der Aussage der Nebenklägerin spricht ferner auch das von dem Angeklagten gegenüber dem Zeugen Dr. D angegebene höhere Alter der Nebenklägerin. Hätte der Angeklagte die Nebenklägerin im Unklaren über die Sterilisation lassen wollen, hätte er auch ein Motiv gehabt, den Zeugen Dr. D über das Alter der Nebenklägerin zu täuschen. Denn damit hätte er etwaige Zweifel des Zeugen Dr. D an dem Sterilisationswunsch der Nebenklägerin ausräumen können, da ein solcher Wunsch von einer 33-jährigen Patientin deutlich häufiger geäußert werden dürfte als von einer 24-jährigen Patientin. Die Aussage der Zeugin J zum Wissen und Wollen der Nebenklägerin im Bezug auf die Sterilisation ist nach Überzeugung der Kammer nicht glaubhaft. Die Zeugin J vermochte so gut wie keine Angaben zu dem persönlichen Verhältnis mit der Nebenklägerin zu machen. Auch konnte sie nicht konkret erklären, wann und wo die Nebenklägerin mit ihr über die Sterilisation gesprochen habe. Die Zeugin räumte zudem ein, dass sie sich der Nebenklägerin selbst in keiner Weise anvertraut habe. Die Kammer geht daher davon aus, dass die Zeugin J gelogen hat und keine enge Freundin der Nebenklägerin war und mit ihr nicht über den Wunsch einer Sterilisation gesprochen hat. Aus dieser Aussage waren mithin keine Erkenntnisse zu erlangen. Gegen den Wahrheitsgehalt der Aussage der Nebenklägerin sprachen die Aussagen der Zeugen Dr. G und Dr. D, die angegeben haben, es sei anlässlich der Besprechung mit der Nebenklägerin stets Satz für Satz übersetzt worden, die Nebenklägerin sei immer direkt angesprochen worden, die Sterilisation sei der Nebenklägerin auch anhand eines Schaubildes im einzelnen erklärt worden und man hätte - ungeachtet der mit Blick auf die Schwere des Eingriffs besonderen Aufmerksamkeit ihrerseits - zu keinem Zeitpunkt feststellen können, dass der Angeklagte etwas falsch übersetzt oder die Nebenklägerin nicht um den Gegenstand der geplanten Operation - d. h. der Sterilisation - gewusst hätte. Die Kammer hat keinen Anlass an der Glaubhaftigkeit der Aussagen sowie der Glaubwürdigkeit der Zeugen Dr. G und Dr. D zu zweifeln. Gegen den Wahrheitsgehalt der Aussage der Nebenklägerin spricht ferner, dass sie selbst erklärt hat, dass ihre Mutter sie bereits kurz nach der Sterilisation im Rahmen eines Telefonates darauf aufmerksam gemacht hätte, dass für den Einsatz einer Spirale keine Operation notwendig sei. Die Nebenklägerin nahm dies jedoch nicht zum Anlass, der Sache nachzugehen. Dies ist aus Sicht der Kammer nicht nachzuvollziehen, will die Nebenklägerin tatsächlich vorher nicht von der Sterilisation gewusst haben. Auch vermag die Kammer insoweit nicht nachzuvollziehen, dass die Nebenklägerin erst im Jahr 2008 - also etwa ein Jahr nach der von ihr behaupteten Kenntnis der Sterilisation - zu einem Arzt gegangen ist, um die bei ihr vorgenommene Sterilisation ärztlich verifizieren zu lassen. Wäre die Sterilisation tatsächlich seinerzeit ohne ihr Wissen und Wollen vorgenommen worden, wäre zu erwarten gewesen, dass die Nebenklägerin nach Kenntnis von der Sterilisation sehr zeitnah einen Gynäkologen aufgesucht hätte, um die Information aus dem Operationsbericht des Zeugen Dr. D zu verifizieren und auch die Möglichkeit der Rückgängigmachung der Sterilisation zu eruieren. Darüber hinaus war zu berücksichtigen, dass die Strafanzeige der Nebenklägerin erst erhoben wurde, als sie von ihrem Ehemann familienrechtlich bezüglich des Sorgerechts in Anspruch genommen und ihrerseits wegen Vernachlässigung der Kinder angezeigt worden war. Trotz der zunächst vorliegenden Indizien - konstante Angaben der Nebenklägerin im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung und ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung über ihrer Unkenntnis der bei ihr vorgenommenen Sterilisation -, die für eine Verurteilung des Angeklagten sprachen, konnte die Kammer damit im Ergebnis nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" das angeklagte Geschehen nicht mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit feststellen. Die gemäß dem Protokoll der Hauptverhandlung erhobenen Beweise sind nach alledem nicht geeignet, den Vorwurf der schweren Körperverletzung nach den §§ 223 Abs. 1, 226 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 4 StGB aus tatsächlichen Gründen tragen zu können."
Die Klägerin ließ mit Schreiben vom 12.11.2008 durch ihren behandelnden Arzt, Herrn Dr. K, Universitätsklinikum ZR. und B-Stadt GmbH, bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Refertilisierung beantragen. Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme mit Bescheid vom 30.12.2008 ab, da für den Eingriff keine medizinische Indikation vorliege. Mit Schreiben vom 15.01.2009 erläuterte die Beklagte Herrn Dr. K die Gründe für Ihre Entscheidung. Es läge keine krankhafte Unfruchtbarkeit vor. Vielmehr sei der Zustand auf Wunsch der Patientin herbeigeführt worden. Der Eingriff sei gerade im Einvernehmen mit der Klägerin erfolgt. Die Begleitumstände, die zu dieser Situation geführt hätten, seien als tragisch anzusehen. Auch hätte sie Verständnis für die Situation der Klägerin. Leider seien ihr durch die Regelungen des SGB V jedoch die Hände gebunden. Gegen den Bescheid vom 30.12.2008 legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie legte unter Beifügung des Protokolls ihrer polizeilichen Vernehmung sowie weitere Unterlagen aus dem geführten Strafverfahren erneut dar, dass ihre Sterilisation nicht freiwillig erfolgt sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2009 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der durch Sterilisation bewusst herbeigeführte Zustand der Unfruchtbarkeit keine Krankheit im Sinne des SGB V darstelle, woraus folgend die Refertilisierung keine medizinisch notwenige Heilbehandlung darstelle. Die Unfruchtbarkeit resultiere objektiv gesehen – wenn sie auch von der Klägerin ungewollt sein möge – nicht aus einem regelwidrigen krankhaften Zustand, sondern aus der erfolgten Sterilisation, in die die Klägerin zumindest nach außen erkennbar durch ihre Unterschrift eingewilligt habe. So habe auch das BSG entschieden. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage vom 30.07.2009. Das Klageverfahren ist zunächst ruhend gestellt worden, um den Ausgang des Strafverfahrens gegen den ehemaligen Ehemann der Klägerin abzuwarten. Das Verfahren wurde dann ab dem 08.12.2010 fortgeführt. Die Klägerin trägt vor, dass im Strafverfahren Zweifel geblieben seien, die dazu geführt hätten, dass ihr ehemaliger Ehemann freigesprochen worden sei. Es sei gerade der Grundsatz "in dubio pro reo" zum Tragen gekommen. Der zuständige Vorsitzende habe im Rahmen des Strafverfahrens erklärt, dass ein fader Nachgeschmack bleibe, dass die Kammer aber aufgrund der Widersprüche, die aufgetreten seien, nicht anders könne, als den Angeklagten frei zu sprechen. Die Klägerin trägt weiter vor, dass der im Strafverfahren geltende Grundsatz in "in dubio pro reo" im sozialgerichtlichen Verfahren keine Geltung beanspruche. Auch wenn in dem Strafverfahren die Kammer diesen Grundsatz folgend das angeklagte Geschehen nicht mit einer zu Verurteilung ausreichenden Sicherheit habe feststellen können, sei die Klägerin gegen ihren erklärten Willen, ohne dass sie von der Tragweite der Operation gewusst habe, sterilisiert worden.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 30.12.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für eine Refertilisierung der Klägerin zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf die Gründe des Widerspruchbescheides.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakten, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Bescheid vom 30.12.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Kostenübernahme für die Refertilisierungsmaßnahme. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 27 SGB V, wonach Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung haben, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zuerkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschweren zu lindern (Abs. 1 Satz 1). Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verloren gegangen war (Abs. 1, Satz 4). Zur Überzeugung des Gerichts erfüllt die Klägerin im vorliegenden Fall die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiederherstellung der Empfängnisfähigkeit. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht dem Anspruch der Klägerin die gesetzgeberische Entscheidung in § 27 Abs. 1 Satz 4 SGB V nicht entgegen. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass nach dem Wortlaut der Vorschrift diese ausschließlich an den Zustand der Unfruchtbarkeit als Krankheit anknüpft. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift wird man jedoch davon ausgehen müssen, dass nur bei freiwilliger Sterilisation keine Krankheit im Sinne der Vorschrift vorliegt (in diesem Sinne auch Kraftberger, in: LPK- SGB V, § 27 Rn. 112). So hat auch das Bundessozialgericht (BSG) die Kostenübernahme einer Refertilisierung nur für den Fall ausgeschlossen, dass der Zustand der Unfruchtbarkeit bewusst und gewollt herbeigeführt worden war (BSG zum früheren Rechtszustand, Urteil vom 11.10.1988, 3/8 RK 20/87). Im Anschluss an BSGE 59, 119 führt das BSG aus, dass eine durch freiwillige Sterilisierung herbeigeführte Unfruchtbarkeit von der Rechtsgemeinschaft und regelmäßig auch von den Betroffenen nicht als krankhaft angesehen werde, weder im Sinne eines Leidens noch im Sinne psychophysischer Normabweichung. Der Gesetzgeber habe die Sterilisation im gesetzlichen Rahmen legalisiert und wer sie vornehmen lasse, wolle sich damit nicht in die Situation des Kranken begeben, sondern habe die für ihn anstehende Güterabwägung bewusst und gewollt in der Absicht künftiger Lebensgestaltung in dieser Weise vorgenommen. Genau dies trifft jedoch auf die Klägerin im vorliegenden Verfahren nicht zu. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass selbst wenn die Klägerin gewusst haben sollte, dass bei ihr eine Sterilisation durchgeführt wird, woran das Gericht nach den Feststellungen des Strafurteils erhebliche Zweifel hat, kann jedoch keinesfalls davon ausgegangen werden, dass sie diese Entscheidung auch gewollt hat. Vielmehr ist nach den glaubhaften Schilderungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, die sich auch mit den Schilderungen währende der polizeilichen Vernehmung sowie den Feststellungen des Strafurteils decken, sowie insgesamt aus dem Akteninhalt zu entnehmen, dass es der Klägerin unter den damaligen Lebensumständen nicht möglich gewesen ist, einen eigenen Willen zu haben bzw. diesen auch durchzusetzen. Das Gericht geht hinsichtlich dieser Sachverhaltswürdigung von den folgenden Feststellungen aus: Die Klägerin ist in Marokko aufgewachsen und hat dort keine Schule besucht. Sie konnte weder lesen noch schreiben. Nach dem Umzug nach Deutschland stand sie im Haushalt der Schwiegereltern unter erheblichem familiären Druck, der von einer traditionellen Erwartungshaltung an die Rolle der Ehefrau und einem traditionellen Frauenbild geprägt war. Sie durfte nicht alleine das Haus verlassen und war aufgrund der fehlenden Deutschkenntnisse nicht in der Lage, sich selber verständlich zu machen. Das Gericht geht auch davon aus, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit Handgreiflichkeiten stattgefunden haben. Das Gericht hält die Schilderung der Klägerin sowohl im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung, als auch im Strafverfahren, als auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung, dass Sie von mehreren Familienmitgliedern immer wieder geschlagen worden ist, für absolut glaubhaft. Die geschilderten Ereignisse fügen sich schlüssig in die geschilderten Lebensumstände ein. Die Klägerin hat auch sehr nachvollziehbar dargelegt, dass sie in einer angstbesetzten Atmosphäre und Abhängigkeit gelebt hat, in der sie keine andere Option hatte, als den anderen Familienangehörigen zu vertrauen. Das Gericht folgt der Klägerin ausdrücklich auch in der Einschätzung, dass der Freispruch ihres ehemaligen Ehemannes nach dem Grundsatz " in dubio pro reo" keinerlei Folgewirkungen für das sozialgerichtliche Verfahren hat. Im Strafprozess gelten insoweit andere Maßstäbe. Da Zweifel an der Täterschaft des ehemaligen Ehemanns der Klägerin verblieben, musste ihn die Strafkammer nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" freisprechen. Im Sozialgerichtsverfahren gilt demgegenüber, dass die Tatbestandvoraussetzungen zur Überzeugung des Gerichts hinreichend wahrscheinlich sein müssen. Mit dieser hinreichenden Wahrscheinlichkeit geht das Gericht nach den geschilderten Umständen davon aus, dass die Klägerin den Zustand der Unfruchtbarkeit gerade nicht bewusst und gewollt herbeigeführt hat. Selbst wenn sie gewusst hätte, um was es geht, die Sterilisation aber nicht gewollt hätte, hätte sie sich mit diesem Anliegen in ihrer familiären Umgebung nicht durchsetzen können. Insofern erscheint der Fall vergleichbar mit einer schicksalhaften Unfruchtbarkeit, für die nach dem oben dargelegten Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorgaben, die Solidargemeinschaft grundsätzlich eintrittspflichtig ist.
Aus diesen Gründen musste die Klage Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgte der Entscheidung in der Hauptsache.
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