S 2 KR 382/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Regensburg (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 KR 382/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2009 verurteilt, der Klägerin die Kosten in Höhe von 890,39 EUR für das tägliche Anlegen von Kompressionsverbänden an beiden Beinen in der Zeit vom 01.07.2007 bis zum 30.09.2007 zu erstatten.

II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte im Rahmen der häuslichen Krankenpflege die Kostenübernahme für das Anlegen von Kompressionsverbänden an beiden Beinen im Zeitraum vom 01.07.2007 bis 30.09.2007 zu tragen hat.

Die am 17.07.1969 geborene Klägerin ist im Rahmen der Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 ff. SGB XII in der L. Einrichtung, Haus N. in A-Stadt "untergebracht". Kostenträger dieser Unterbringung ist der Beigeladene. Tagsüber arbeitet die Klägerin in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Unter Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung von Dr. H. vom 27.02.2007 beantragte sie bei der Beklagten wegen Zustand nach Beinvenenthrombose und aufgrund dessen, dass sie keine Strümpfe vertrage, da sie eine Allergie bekomme, für die Zeit vom 28.02.2007 bis 31.03.2007 das Anlegen von Kompressionsverbänden einmal täglich im Rahmen der häuslichen Krankenpflege. Dies wurde ihr seitens der Beklagten mit Bescheiden vom 08.03.2007 und 15.03.2007 für die Zeit ab dem 28.02.2007 in Form von einmal täglichem Anlegen von Kompressionsverbänden bewilligt. Im Folgenden legte sie weitere vertragsärztliche Verordnungen für die Zeit vom 01.04.2007 bis zum 30.09.2007 vor.

Mit Schreiben vom 17.07.2007 wandte sich die Beklagte an den Beigeladenen mit der Frage, ob eine Kostentragung aufgrund der Unterbringung der Klägerin im Haus N. erfolge. Diesbezüglich ist die Beklagte am 27.07.2007 dergestalt informiert worden, dass für die Klägerin Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff SGB XII befristet bis zum 31.12.2007 bewilligt worden sei. Dementsprechend lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.08.2007 eine weitere häusliche Krankenpflege ab dem 01.07.2007 ab und meldete mit inhaltsgleichem Schreiben an den Beigeladenen einen Erstattungsanspruch ab dem 28.02.2007 an.

Mit Schreiben vom 18.09.2007 erhob die Klägerin dagegen Widerspruch, wobei sie zur Begründung durch ihren Betreuer vortragen ließ, dass durchaus ein Rechtsanspruch auf häusliche Krankenpflege in einer Einrichtung bestünde. Mit Schreiben vom 11.09.2007 wies der Beigeladene gegenüber der Beklagten den angemeldeten Erstattungsanspruch unter anderem mit der Begründung zurück, dass die Zuständigkeit des Beigeladenen nicht gegeben sei, da für den Beigeladenen als Wohnheimkostenträger die Gewährung von Leistungen der Krankenhilfe nach §§ 47 f. SGB XII auf die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt seien. Im Folgenden ist seitens des Beigeladenen in einem Schreiben an alle stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in der Oberpfalz vom 17.09.2008 ausgeführt worden, dass der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen mit Beschlüssen vom 17.01.2008 und 10.04.2008 die Verordnung von häuslicher Krankenpflege geändert habe, die nun zum 11.06.2008 in Kraft getreten sei und wonach häusliche Krankenpflege nicht in Einrichtungen verordnet werden könne, in die nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtung bestünde (z.B. Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen); diese Einschränkung gelte jedoch nicht für Einrichtungen der Behindertenhilfe, wo vielmehr eine Einzelprüfung seitens der Krankenkasse erforderlich sei, ob und inwieweit die häusliche Krankenpflege durch die Einrichtung selbst - beispielsweise durch dort beschäftigte geeignete Pflegekräfte - durchgeführt werden könne oder ob darüber hinaus ein Anspruch bestünde. Da der überwiegenden Anteil der Einrichtungen für Menschen mit Behinderung pädagogisch ausgerichtetes Personal beschäftige und insbesondere die für die Leistung der medizinischen Behandlungspflege zwingend erforderlichen Kräfte mit pflegerischer Ausbildung und Erfahrung fehlen würden, geht der Beigeladene davon aus, dass in aller Regel für die Bewohner der angeschriebenen Einrichtungen ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege bestehe. Mit Schreiben vom 01.10.2009 teilte die Beklagte dem Betreuer der Klägerin mit, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Kompressionsverbände nicht in einer eigenen Häuslichkeit gelebt habe, so dass die Voraussetzungen der häuslichen Krankenpflege nicht erfüllt seien; der Aufenthalt in einer Behinderteneinrichtung gelte nach wie vor nicht als geeigneter Ort im Sinne des § 37 SGB V, die Regelung des sonstigen geeigneten Ortes im Sinne der BSG- Rechtsprechung vom 21.11.2002 (Aktenzeichen B 3 KR 13/02 R) sei für die Unterbringung von Versicherten in einer vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen nicht anwendbar, weswegen eine Kostenübernahme des Anlegens von Kompressionsverbänden durch einen ambulanten Pflegedienst ab 01.07.2007 nicht möglich sei. Nachdem die Klägerin daraufhin durch ihren Betreuer mitteilte, dass sie ihren Widerspruch aufrecht erhalte, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2009 zurück.

Dagegen hat die Klägerin durch ihren Betreuer mit Schreiben vom 04.12.2009, beim Sozialgericht am gleichen Tag per Fax eingegangen, Klage erhoben. Zur Klagebegründung ist seitens der bevollmächtigten Rechtsanwältin vorgetragen worden, dass im streitigen Zeitraum 890,39 EUR für die streitige Leistung angefallen seien, wobei die diesbezüglichen Rechnungen vorgelegt worden sind (auf Bl. 21 bis 23 der Gerichtsakte wird insoweit Bezug genommen). Weiter ist vorgetragen worden, dass nach grundlegender Reformierung des § 37 SGB V zum 01.04.2007 durch den Gesetzgeber und die entsprechenden Beschlüsse zur Änderung der Richtlinie zur häuslichen Krankenpflege durch den Gemeinsamen Bundesausschuss das seitens der Beklagten zitierte Urteil des Bundessozialgerichts nicht mehr einschlägig sei; vielmehr seien die Einrichtungen der Behindertenhilfe bei den exemplarisch aufgezählten Einrichtungen, bei denen der Richtliniengeber davon ausgehe, dass ein solcher Anspruch bestünde, gerade nicht genannt; sie seien vielmehr aus der ursprünglichen Fassung der Richtlinie wieder herausgenommen worden, weil der Richtliniengeber erkannt habe, dass in diesen Einrichtungen die Versicherten eben keinen generellen Anspruch auf Behandlungspflege gegen den Einrichtungsträger haben, so dass in diesen Einrichtungen im Einzelfall zu prüfen sei, ob ein Anspruch gegen die gesetzliche Krankenversicherung bestünde, wobei ein Anspruch immer dann bestehe, wenn der durch seine Kostensätze die Einrichtung finanzierende Sozialhilfeträger in seiner Leistungsvereinbarung mit dem Einrichtungsträger keine umfassende Leistungspflicht im Hinblick auf die Behandlungspflege vereinbart habe und es um eine Behandlungspflegemaßnahme gehe, die von dem vorgehaltenen, vorwiegend pädagogisch ausgebildeten Personal nicht ohne weiteres erbracht werden könne. Bei dem Haus N., in dem die Klägerin lebe, handele es sich um eine Einrichtung, die nicht schwerpunktmäßig schwerstbehinderte Menschen betreue, so dass in dieser Einrichtung kein entsprechend fachlich versiertes Personal vorgehalten werde. Auch aus der Leistungsvereinbarung des Trägers der Einrichtung mit dem D. gehe hervor, dass dort lediglich Maßnahmen der Grundpflege vereinbart seien, im Bereich der medizinischen Behandlungspflege sich die Leistungspflichten des Heimträgers auf einfache Maßnahmen beschränken würden, die ohne medizinisch-pflegerische Fachkenntnisse erbracht werden könnten; das Anlegen von Kompressionsverbänden gehöre nicht in diese Kategorie von Maßnahmen, zu denen der Heimträger aufgrund der Leistungsvereinbarung verpflichtet wäre. In dem Zusammenhang hat die Klägerbevollmächtigte auch die genannte Leistungsvereinbarung übersandt (auf Bl. 26 ff der Gerichtsakte wird insoweit explizit Bezug genommen). Auf weitere Nachfrage seitens des Gerichts hat die Bevollmächtigte mit Schreiben vom 01.02.2010 den Heimvertrag übersandt (auf Bl. 74 ff der Gerichtsakte wird insoweit Bezug genommen), sowie ferner mitgeteilt, dass die Klägerin in der Einrichtung vollstationär (das heißt, dass sie dort auch übernachte) untergebracht sei, während sie tagsüber während der Arbeitszeiten aufgrund ihrer Tätigkeit in der Werkstatt für behinderte Menschen in Wernberg nicht in der Einrichtung sei; daneben würde sie über keine andere Wohnung verfügen, die Kosten für die Heimunterbringung würden durch den D. als überörtlichen Sozialhilfeträger im Rahmen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung übernommen, was bedeute, dass der Beigeladene das volle Heimentgelt an die Einrichtung bezahle und von der Klägerin entsprechende Kostenbeiträge nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen verlange. Auf weitere Nachfrage seitens des Gerichts, wer ab dem 01.10.2007 die Kosten für die begehrte Maßnahme trage, hat die Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 18.02.2010 mitgeteilt, dass es gelungen sei, Kompressionsstrümpfe aus einem Material ausfindig zu machen, gegen das die Klägerin nicht allergisch reagierte, so dass es gelungen sei, die Klägerin mit dem fachgerechten Umgang dieses Hilfsmittel so weit vertraut zu machen, dass ohne pflegerisches Fachpersonal eine fachgerechte Versorgung möglich sei, so dass die Beauftragung eines ambulanten Pflegedienstes ab dem 01.10.2007 nicht mehr erforderlich sei, da die Klägerin die Versorgung selbst übernehme. Nach einer mündlichen Verhandlung am 21.05.2010 hat die Klägerbevollmächtigte schriftsätzlich am 28.05.2010 vorgetragen, dass die streitigen Kosten in Höhe von 890,39 EUR von der Klägerin gezahlt worden seien.

Die Klägerin beantragt:

1. Der Bescheid der Beklagten vom 21.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 05.11.2009 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten in Höhe von 890,39 EUR für das tägliche Anliegen von Kompressionsverbänden an beiden Beinen in der Zeit vom 01.07.2007 bis 30.07.2007 zu erstatten.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags hat die Beklagte vorgetragen, dass der Gesetzgeber in seiner Begründung zur Änderung des § 37 SGB V ausgeführt habe, dass die Neuregelung durch eine vorsichtige Erweiterung des Begriffes bewirke, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung neue Wohnformen, Wohngemeinschaften und betreutes Wohnen hinsichtlich der Erbringung von häuslicher Krankenpflege gegenüber konventionellen Haushalt nicht benachteiligt werde. Ein geeigneter Ort für die Leistung häuslicher Krankenpflege durch die GKV sei jedenfalls dann nicht gegeben, wenn sich der Versicherte in einer Einrichtung befinde, in der nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung medizinischer Behandlungspflege durch die Einrichtung habe. Die Kostenübernahme für die medizinische Behandlungspflege sei auch vor Inkrafttreten des GKV-WSG in Zusammenhang mit der Unterbringung behinderter Menschen in vollstationären Einrichtungen für behinderte Menschen über die Sozialhilfeträger finanziert worden, so dass bezüglich des Anspruchs der Bewohner auf Finanzierung der medizinischen Behandlungspflege als Nebenleistung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gegenüber dem Sozialhilfeträger kein Zweifel bestünde, so dass eine Finanzierung durch die Beklagte nicht möglich sei.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 21.05.2010 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Das Gericht hat die Akte der Beklagten beigezogen, auf deren Inhalt sowie auf den Inhalt der streitgegenständlichen Gerichtsakte im Übrigen zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da die Beklagte zu Unrecht die Kostenübernahme für das Anliegen von Kompressionsverbänden einmal täglich im Zeitraum 01.07.2007 bis 30.09.2007 abgelehnt hat, so dass die Klägerin Anspruch auf Erstattung der von ihr bereits verauslagten Kosten für die diesbezügliche Maßnahme in Höhe von 890,39 EUR hat.

Nach §§ 11 Abs. 1 Nr. 4, 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Gemäß § 2 Abs. 2 S.1 SGB V werden die Leistungen der Krankenkasse als Sach- oder Dienstleistungen erbracht. § 13 Abs. 1 SGB V bestimmt, dass eine Kostenerstattung nur zulässig ist, wenn es Vorschriften des SGB V oder des SGB IX vorsehen.

Nachdem keine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V gewählt wurde und auch sonst keine Kostenerstattungsregelung ersichtlich ist, die vorliegend Anwendung finden könnte, greift hier als einzig relevante Vorschrift § 13 Abs. 3 SGB V ein. Danach sind Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte, oder wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, soweit die Leistung notwendig war. Die Regelung ist auf die Erstattung schon verauslagter Kosten zugeschnitten (Kostenerstattungsanspruch) und entsprechend auf die Freistellung des Versicherten von einer ihm gegenüber bestehenden, aber noch nicht erfüllten Forderung eines Leistungsträgers anzuwenden (BSGE 80,181). Voraussetzung ist jedoch, dass der Versicherte sich die Leistung selbst (das heißt privat) beschafft hat, was bedeutet, dass er weiß, dass er die vertragsärztliche Versorgung und das Sachleistungsprinzip verlässt. Wollte er dagegen lediglich eine Kassenleistung in Anspruch nehmen (mit anderen Worten das Sachleistungsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verlassen), ist § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V nicht anwendbar (BSG, Urteil vom 09.10.2001, Az.: B 1 KR 6/01 R).

Nach § 13 Abs. 3 S. 1 Alternative zwei SGB V kommt es zudem darauf an, ob zwischen der Ablehnung durch die Krankenkasse und dem eingeschlagenen Beschaffungsweg ein ursächlicher Zusammenhang besteht (BSG, Urteil vom 18.01.1996 SozR 3-2500 § 13 Nr. 10). Die Kosten dürfen daher erst nach Ablehnung durch die Krankenkasse entstanden sein.

Vorliegend wollte die Klägerin das Sachleistungsprinzip nicht verlassen, wie sich auch daran zeigt, dass sie sich seit dem 27.02.2007 vertragsärztliche Verordnung hat aus ausstellen lassen, wobei die entsprechend begehrte Leistung auch ab dem Zeitraum 28.02.2007 bis zum 30.06.2007 bewilligt worden ist. Erst mit Bescheid vom 21.08.2007 hat die Beklagte der Klägerin gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass für den Zeitraum 01.07.2007 bis 30.09.2007 keine Kostenübernahme mehr folgen könne. Die im Rahmen des §§ 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative, 2 SGB V geforderte Kausalität steht daher nicht entgegen

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 i.V.m. § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V in der seit dem 01.04.2007 geltenden Fassung erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist; der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 SGB XI zu berücksichtigen ist. § 10 WVO bleibt unberührt. Der Anspruch nach Satz 1 besteht über die dort genannten Fälle hinaus ausnahmsweise auch für solche Versicherte in zugelassenen Pflegeeinrichtungen im Sinne des § 43 SGB XI, die auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, einen besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege haben. Die Satzung kann dabei Dauer und Umfang der Grundpflege und der hauswirtschaftliche Versorgung nach Satz 3 bestimmen. Leistungen nach den Sätzen 3 bis 5 sind nach Eintritt von Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI nicht zulässig. Versicherte, die nicht auf Dauer in Einrichtungen nach § 71 Abs. 2 oder 4 SGB XI aufgenommen sind, erhalten Leistungen nach Satz 1 und den Sätzen 3 bis 5 auch dann, wenn ihr Haushalt nicht mehr besteht und ihnen nur zur Durchführung der Behandlungspflege vorübergehender Aufenthalt in einer Einrichtung oder in einer anderen geeigneten Unterkunft zur Verfügung gestellt wird. § 37 Abs. 3 SGB V bestimmt weiter, dass der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur besteht , soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann. Kann die Krankenkasse keine Kraft für die häusliche Krankenpflege stellen oder besteht Grund, davon abzusehen, sind den Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten (§ 37 Abs. 4 SGB V). Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, leisten als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 3 ergebenden Betrag, begrenzt auf die für die ersten 28 Kalendertage der Leistungsinanspruchnahme je Kalenderjahr anfallenden Kosten an die Krankenkasse (§ 37 Abs. 5 SGB V). Gemäß § 37 Abs. 6 SGB V legt der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 fest, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach den Absätzen 1 und 2 auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können. Er bestimmt darüber hinaus das Nähere über Art und Inhalt der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen nach Absatz 2 Satz 1.

Vorliegend kommt eine Zuzahlung der Versicherten gemäß § 37 Abs. 5 SGB V (in der damaligen Fassung) nicht in Betracht, da die Klägerin bereits seit dem 28.02.2007 die begehrten Leistung der häuslichen Krankenpflege (und damit über 28 Kalendertage hinaus) erhält. Auch eine im Haushalt geeignete Person ist nicht vorhanden, so dass dies einem Leistungsanspruch nicht entgegensteht. Einzig fraglich und zwischen den Beteiligten streitig ist daher, ob der Aufenthalt der Klägerin im Heim N. in A-Stadt einen geeigneten Ort (ggf. eine betreute Wohnform) im oben genannten Sinne darstellt. Das Gericht teilt insoweit nicht die Auffassung der Beklagten, dass Behinderteneinrichtungen grundsätzlich keinen geeigneten Ort in dem Sinne darstellen. Insoweit folgte das Gericht der Auffassung der Klägerin und der Beigeladenen, dass im jeweiligen Einzelfall zu prüfen ist, ob die behinderte Person einen Anspruch gegen die jeweilige Einrichtung hat, oder ob ein solcher nicht besteht. Vorliegend ist das Gericht aufgrund der seitens der Klägerbevollmächtigten überreichten Leistungsvereinbarung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin keinen solchen Anspruch gegen die Behinderteneinrichtung hat. In dem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber § 37 Abs. 2 SGB V mit Wirkung zum 01.04.2007 neu gefasst hat. Die bis zum 01.04.2007 geltende Fassung sah vor, dass Versicherte "in ihrem Haushalt oder ihrer Familie" als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege erhalten, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Durch die Einfügung zum 01.04.2007 "oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen " hat der Gesetzgeber damit eine (wie die Beklagte zu Recht ausführt) vorsichtige Erweiterung des Haushaltsbegriffs vorgenommen, um in der gesetzlichen Krankenversicherung neue Wohnform, Wohngemeinschaften und betreutes Wohnen hinsichtlich der Erbringung von häuslicher Krankenpflege gegenüber konventionellen Haushalten nicht zu benachteiligen (siehe Bundestagsdrucksache 16/3100 S. 104 zu Nummer 22 (§ 37)). Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, dass häusliche Krankenpflege nicht nur in konventionellen Haushalten geleistet werden soll, sondern gerade auch in solchen neuen Wohnformen. In der Gesetzesbegründung hat der Gesetzgeber weiter ausgeführt, dass ein geeigneter Ort jedenfalls dann nicht gegeben sei, wenn sich der Versicherte in einer Einrichtung befinde, in der er nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung medizinischer Behandlungspflege durch die Einrichtung habe. Um die notwendige Flexibilität bei der Bestimmung der geeigneten Erbringungsorte zu wahren, werde auf eine gesetzliche Festlegung verzichtet und die Definition dem Gemeinsamen Bundesausschuss übertragen. Von dieser Befugnis gemäß § 37 Abs. 6 SGB V in Verbindung mit § 92 SGB V hat der Gemeinsame Bundesausschuss Gebrauch gemacht und mit Beschluss vom 17.01.2008 die Vorgaben durch das GKV-WSG umgesetzt und die Häusliche Krankenpflege- Richtlinien dahingehend erweitert, dass "Anspruch auf häusliche Krankenpflege auch an sonstigen geeigneten Orten besteht, an denen sich der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält und an denen - die verordnete Maßnahme zuverlässig durchgeführt werden kann und - für die Erbringung der einzelnen Maßnahmen geeignete räumliche Verhältnisse vorliegen (z. B. im Hinblick auf hygienische Voraussetzungen, Wahrung der Intimsphäre, Beleuchtung), wenn die Leistung aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthaltes an diesem Ort notwendig ist. Orte im Sinne des Satzes 2 können insbesondere Schulen, Kindergärten, betreute Wohnformen oder Arbeitsstätten sein". "Für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen, in denen nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtungen besteht (z. B. Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen oder grundsätzlich auch in Behinderteneinrichtungen), kann häusliche Krankenpflege nicht verordnet werden". Wie die Klägerin zu Recht ausführt, ergibt sich aus den Beratungsunterlagen des GBA zum oben genannten Beschluss, dass zunächst in der beispielhaften Aufzählung auch die Behinderteneinrichtungen als solche Einrichtungen, in denen grundsätzlich Anspruch auf medizinische Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht, genannt worden sind. Durch weiteren Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschuss vom 10.04.2008 ist dann die o.g. Formulierung "oder grundsätzlich auch in Behinderteneinrichtungen" gestrichen worden, so dass die Häusliche Krankenpflegerichtlinien nunmehr lauten: "für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen, in denen nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtungen besteht (z.B. Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen), kann häusliche Krankenpflege nicht verordnet werden. Ob ein solcher Anspruch besteht, ist im Einzelfall durch die Krankenkassen zu prüfen." Die Tatsache, dass die oben genannten Beschlüsse erst zeitlich nach dem hier streitigen Zeitraum (01.07.2007 bis 30.09.2007) erlassen worden sind, steht der Anwendung des § 37 SGB V in der ab dem 01.04.2007 geltenden Fassung nicht entgegen. Danach sollte nach dem Willen des Gesetzgebers (siehe oben) eine vorsichtige Erweiterung des Haushaltsbegriffs dergestalt vorgenommen werden, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung neue Wohnform, Wohngemeinschaften und betreutes Wohnen hinsichtlich der Erbringung von häuslicher Krankenpflege gegenüber konventionellen Haushalten nicht benachteiligt werden.

Wie sich aber aus der Leistungsvereinbarung ergibt, handelt es sich bei dem Heim N., in dem die Klägerin wohnt - nach Auffassung der erkennenden Kammer - um eine betreute Wohnform in oben genannten Sinne. Das Heim N. ist ein kleines Heim, das mit 12 Plätzen in Appartements ausgestattet ist (siehe den entsprechenden Internetauftritt der L. Einrichtung). Danach ist Besonderheit dieser Wohnform das gemeindeintegrierte Wohnen durch dezentrale Wohnformen wie Einzelappartments, Zwei-Zimmer-Wohnungen und Häuser mit Gruppenaufteilungen bis maximal 5 Personen. In einer solchen Wohnform lebt die Klägerin, wobei sie tagsüber - wie ein normaler Arbeitnehmer - einer Arbeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen in Wernberg nachgeht. Behinderte Menschen erhalten dabei - gemäß Leistungsvereinbarung - Unterstützung von pädagogisch ausgebildetem Personal je nach ihrem persönlichen Hilfebedarf. So ist zum Beispiel im Bereich Mahlzeiten/Verpflegung ein unterschiedlicher Hilfebedarf, zum Beispiel: "bei Selbstverpflegung zur Verfügung Stellung des entsprechenden Sachkostenanteils", wie auch "Betreuung beim Zubereiten beziehungsweise Aufbereiten (der (teilweise) gelieferten Mahlzeiten)" vorgesehen. Als Aufnahmebedingungen in die Einrichtung ist unter anderem das "Vorhandensein eines lebenspraktische Mindestniveaus (vor allem hinsichtlich der individuellen Basisversorgung)" vorgesehen. Ferner stellt eine "hohe Pflegebedürftigkeit" ein Ausschlusskriterium dar. Wie sich aus der gesamten Leistungsvereinbarung ergibt, erhalten die Bewohner entsprechend ihrer individuellen Bedürfnisse Hilfestellungen bei den einzelnen Verrichtungen, wobei dieser (auch im Bereich der Körperpflege, Toilettenbenutzung, Aufstehen, Zubettgehen, Baden, Duschen, An- und Ausziehen) vom pädagogischen Personal geleistet wird. Auch das Ausführen ärztlicher, therapeutischer Verordnungen, wozu z.B. Einnahme von Medikamenten, Einreibungen, Inhalieren, Durchführung von Körperübungen und Gymnastik und Begleitung zu Therapien gehört, wird vom pädagogischen Personal durchgeführt. Als spezielle Pflege ist Dekubitusprophylaxe, Abführen, Umgang mit Hilfsmitteln, Versorgung von Bagatellwunden, medizinische Bäder, spezielle Hautpflege, Blutdruckmessen, Blutzuckermessen und Versorgung bei geringfügigen akuten Erkrankungen (Erkältung) durch pädagogisches Personal vorgesehen. Aus dieser Leistungsvereinbarung ergibt sich daher für das Gericht, dass die Einrichtung, in der die Klägerin wohnt, überwiegend pädagogisches Personal vorhält deren Aufgabe es ist, den Bewohnern bei den Verrichtungen des alltäglichen Lebens Unterstützung zu bieten, da diese keine selbstständige Haushalte führen könnten. Dementsprechend handelt es sich aus Sicht des Gerichts um eine sog. betreute Wohnform, die vom Gesetzgeber in § 37 Abs. 2 SGB V erfasst ist. Behandlungspflegerische Maßnahmen (wie in Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtung, Hospizen und Pflegeheimen) werden weder durch diese Einrichtung tatsächlich erbracht noch ist es gemäß Leistungsvereinbarung und dem Aufbau derartiger Heime mit 12 Plätzen in Appartements vorgesehen, dass solche Maßnahmen dort erbracht werden sollen. Vielmehr ist es Zweck solcher Heime, Menschen, die keine eigenständige Haushaltsführung leisten können, im Rahmen einer betreuten Wohnform (und diesbezüglich im Wege der Eingliederungshilfe) Unterstützung zum Leben zu leisten, wobei nicht aus den Augen verloren werden soll, dass die Aufnahme in einer derartigen Einrichtung dazu dient, dem Betroffenen wieder eine eigenständige Haushaltsführung zu ermöglichen. Dies ist auch dadurch zum Ausdruck gebracht worden, dass Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff SGB XII für die Klägerin nur befristet bis zum 31.12 2007 gewährt worden sind, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass dies keine Dauerleistung darstellen soll, sondern gewährt werden soll, um den Betroffenen wieder an eine eigenständige Haushaltsführung heranzuführen. Dementsprechend ist es nicht sachgerecht, die Kosten für häusliche Krankenpflege in derartigen betreuten Wohnformen von den Krankenkassen auf die Sozialhilfeträger zu verlagern. Die hiesige Kammer vertritt damit die gleiche Auffassung wie das Landessozialgericht Hamburg (Beschluss vom 12.11.2009 (Aktenzeichen L 1 B 202/09 ER KR) in einem vergleichbaren Fall). Die seitens der Beklagten zitierte Entscheidung des 2. Kammer des Sozialgerichts Regensburg (S 2 KR 374/09 ER) in einem vergleichbaren Fall steht nicht entgegen, da dort eine Regelung im Rahmen des Eilverfahrens aufgrund (lediglich) summarischer Prüfung getroffen worden ist. Soweit sich die Beklagte dort auf das Urteil des BSG vom 01.09.2005 (Aktenzeichen B 3 KR 19/04 ER) berufen hat, ist auszuführen, dass diese Entscheidung vor der Änderung des § 37 Abs. 2 SGB V ergangen ist, so dass sie für den vorliegenden Fall keine Anwendung finden kann; darüber hinaus scheiterte im genannten Verfahren der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor allem am mangelnden Vorliegen eines Anordnungsgrundes (mangelnde Eilbedürftigkeit).

Die Klage ist daher in vollem Umfang begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
Rechtskraft
Aus
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