L 1 U 3830/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 5 U 2222/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 3830/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 08.08.2012 und der Bescheid der Beklagten vom 23.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2011 aufgehoben.

2. Die Beklagte hat die außergerichtliche Kosten des Klägers in beiden Gerichtsinstanzen zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Verletztenrente im Streit. Der am 02.01.1975 geborene Kläger erlitt am 31.03.2008 als Motorrollerfahrer einen bei der Beklagten versicherten Unfall auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle als Bauhelfer. Der Kläger, der beim Fahren einen Schutzhelm trug, musste wegen der plötzlichen Fahrbahnüberquerung eines Müllwerkers scharf bremsen, wobei sein Motorroller ins Schleudern geriet und er auf die linke Körperseite stürzte.

Im Durchgangsarztbericht des Krankenhauses B. vom 31.03.2008 sind als Befunde angegeben: "Keine Kopfverletzung, keine Commotiozeichen. Am linken Handgelenk deutliche Schwellung sowie Fehlstellung nach volar bei intakter peripherer DMS [Durchblutung, Motorik und Sensibilität]. Beweglichkeit des Handgelenks schmerzbedingt aufgehoben. Druckschmerz über der ulnaren Handgelenkswurzel rechts, keine Prellmarke, intakte periphere DMS". Die Röntgenaufnahmen hätten eine dislozierte intraartikuläre distale Radiusfraktur links sowie Hinweise auf eine knöcherne Verletzung des Ellenbogens gezeigt. Im Klinikum am G. in H., wo der Kläger stationär vom 03.04.2008 bis zum 15.04.2008 behandelt wurde, wurde am 03.04.2008 die offene Einrichtung des erlittenen Unterarmbruchs links und eine Stabilisierung mit Schrauben, Kirschnerdraht und Anlage eines Fixateur extern vorgenommen. Am 10.04.2008 wurde das Metall entfernt und eine Stabilisierung mit langer volarer Platte und Kirschnerdraht vorgenommen, welche am 23.05.2008 entfernt wurde.

Eine am 11.08.2008 begonnene Arbeitserprobung brach der Kläger am 10.09.2008 ab. Dr. P. vom Krankenhaus B. berichtete am 11.09.2008 von einer etwa vermehrten Bewegungseinschränkung im linken Handgelenk mit einer Dorsalextension/-flexion 10/0/10, Pro- und Supination eingeschränkt, wonach eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vom Hundert (v. H.) verbleibe. In der Zeit vom 29.09. bis 31.10.2008 wurde in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. eine intensivierte Übungsbehandlung durchgeführt, an die sich die vorzeitige Metallentfernung sowie eine erweiterte ambulante Physiotherapie anschloss.

Das Heilverfahren wurde mit Bericht von Dr. K. von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik vom 09.02.2009 ohne Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit abgeschlossen. In Anbetracht der klinischen und röntgenologischen Situation bestehe ein vorübergehender medizinischer Endzustand. Die einzige verbleibende Therapieoption sei eine Handgelenksversteifung, welche der Kläger ablehne. Es seien berufshelferische Maßnahmen erforderlich, da der Kläger seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Maurer nicht mehr ausüben könne und inzwischen arbeitslos sei.

Im ersten Rentengutachten vom 06.03.2009 teilten die Dres. S.-F. und F. mit, dass als wesentliche Unfallfolgen eine Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit, der Daumenbeweglichkeit, der Unterarmdrehfähigkeit sowie eine Verkleinerung der Handspanne, eine Muskelmassenminderung am Ober- und Unterarm und Mittelhand und ein CRPS (komplexes regionales Schmerzsyndrom) Stadium III vorlägen. Die MdE betrage ab dem 09.02.2009 bis auf weiteres 20 v. H. Längerfristig sei eine Handgelenksversteifung nicht zu vermeiden.

Die Beklagte stellte die Zahlung von Verletztengeld mit Ablauf des 28.05.2009 ein und gewährte dem Kläger ab dem 29.05.2009 mit Bescheid vom 27.05.2009 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v. H. Als Folgen des Arbeitsunfalls wurden anerkannt: "Linker Arm: Bewegungseinschränkung bei der Unterarmdrehung im Handgelenk und Daumen, Schwellneigung sowie Arthrose im Bereich des Handgelenks, Muskelminderung im Bereich des Ober- und Unterarmes sowie der Mittelhand nach mit Stufenbildung fest verheiltem Bruch des Handgelenks und nachfolgendem komplexen regionalem Schmerzsyndrom".

Im zweiten Rentengutachten vom 12.01.2011 teilten Prof. Dr. G. und Dr. A. mit, dass als Folgen des Unfalles vom 31.03.2008 noch eine Bewegungseinschränkung im Bereich des linken Handgelenkes (50-0-60 handrückenw./hohlhandw. bei 70-0-80 rechts, 10-0-10 speichenw./ellenw. bei 20-0-10 rechts), eine Verkleinerung der Handspanne und eine Muskelminderung am linken Ober- und Unterarm vorliege, woraus eine MdE von 10 v. H. resultiere. Der Kläger hatte auch bei der Untersuchung für diese Begutachtung über große Schmerzen im linken Handgelenk und hieraus resultierende Probleme im Alltag berichtet, die jedoch in der Beurteilung der MdE durch die Gutachter keine ausdrückliche Erwähnung mehr finden.

Der Beratungsarzt Dr. S. sah aufgrund der Befunde des Gutachtens insgesamt eine MdE um 15 v.H., eine MdE von wenigstens 20 v.H. liege aber nicht vor (mit Hinweis auf Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, S. 544).

Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 01.03.2011 zu einer beabsichtigten "Entziehung" der Rente zum 31.03.2011 an. Der Kläger widersprach einer Entziehung der Rente mit der Begründung, dass das zweite Rentengutachten inhaltlich unzutreffend sei. Er habe sehr starke Schmerzen im linken Handgelenk, die nur mit Schmerzmitteln auszuhalten seien, und mindestens 60 % weniger Kraft als in der rechten Hand. Seinen Beruf als angelernter Maurer und auch die Tätigkeit im Stahlbau bei der S. GmbH könne er nicht mehr ausüben. Er sei nur noch als Gärtner mit entsprechenden Einbußen bei der Vergütung einsatzfähig. Das zweite Rentengutachten sei unvollständig, da bezüglich der fehlenden Kraft im linken Handgelenk bzw. in der linken Hand keinerlei Untersuchungen vorgenommen worden seien und auch die Handbeweglichkeit nicht überprüft worden sei.

Die Beklagte "entzog" die bisherige Rente mit Ablauf des Monats März 2011 durch Bescheid vom 23.03.2011. Die noch bestehenden Folgen des Versicherungsunfalles (linker Arm: endgradige Bewegungseinschränkung im Handgelenk, geringe Muskelminderung im Bereich des Ober- und Unterarms, verminderte Handspanne sowie belastungsabhängige Beschwerden nach dystrophisch, operativ versorgtem Handgelenksbruch mit beginnender Radiocarpalarthrose bei zwischenzeitlicher Metallentfernung) minderten die Erwerbsfähigkeit nicht mehr im rentenberechtigendem Grade.

Der Kläger begründete seinen Widerspruch damit, dass sich bei einer ordnungsgemäßen Untersuchung sogar eine MdE von mehr als 20 v. H. herausgestellt hätte. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2011 zurück, wobei sie auf das zweite Rentengutachten verwies.

Der Kläger hat deswegen am 16.06.2011 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Im Widerspruchsverfahren sei keine Auseinandersetzung mit seinen Argumenten erfolgt. Insbesondere die erheblich herabgesetzte Kraft in seiner linken Hand als auch die Einnahme von Schmerzmitteln seien nicht berücksichtigt worden.

Im Auftrag des SG hat der Handchirurg Prof. Dr. H. zusammen mit der Chirurgin C. am 21.12.2011 ein Gutachten erstellt, in dem folgende Gesundheitsstörungen als Folgen des Wegeunfalles festgehalten wurden: "Knöchern durchbauter Bruch der körperfernen Speiche mit Gelenkbeteiligung nach Entfernung des Metallimplantates, Schmerzen in Ruhe als auch bei Belastung des linken Handgelenkes mit leichtgradiger Bewegungseinschränkung, posttraumatische Verschleißbildung des linken Handgelenks zwischen Speiche, Kahnbein und Mondbein, Missempfindungen und Gefühlsminderung im Bereich des körperfernen speichenseitigen Unterarmes links, Kraftgradminderung der linken Hand bei Grobgriff von 20 % und beim Spitzgriff von 40 %". Die verbleibende MdE betrage 10 v. H.

Der Kläger ist durch seinen Bevollmächtigten den Ausführungen des Gerichtsgutachtens entgegengetreten, da erneut die erheblichen Schmerzen nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Gerade durch die Schmerzen sei eine weitergehende Bewegung des Handgelenkes nicht möglich. Außerdem sei nicht berücksichtigt worden, dass der Kläger das Handgelenk bei angespannten Muskeln nicht nach unten bewegen könne. Schließlich fehle ein Hinweis darauf, dass sich aufgrund der Gewebeentnahme an der verletzten Stelle eine "Art Loch" im Körpergewebe befinde, mit der Folge, dass dem Kläger bei anstrengenden Tätigkeiten mit der linken Hand die Stütze fehle.

Auf Aufforderung des SG haben die Gutachter am 02.02.2012 ergänzend zu den Einwendungen des Klägers Stellung genommen. Aus der Anamnese des Klägers ergebe sich keine regelmäßige Einnahme von Schmerzmedikamenten. Bei dem lediglich bedarfsweise angenommenen Präparat Voltaren handelt es sich um ein nicht steroidales Antirheumatikum, welches zur Schmerztherapie bei der Behandlung leichtgradiger Schmerzen eingesetzt werde. Zum anderen liege, was bereits in dem Gutachten beschrieben worden sei, eine leichtgradige Bewegungseinschränkung des linken Handgelenkes in sämtlichen Bewegungsrichtungen vor. Beim Kläger zeige sich indes im Zeitraum von annähernd vier Jahren nach dem Unfall keinerlei klinisches Anzeichen für eine schmerzbedingte Schonung der oberen Extremität. Dementsprechend könne nicht von einer fehlenden Miteinbeziehung schmerzbedingter Leistungseinschränkungen des Klägers gesprochen werden. Die Frage, welche sich auf eine fehlende Beweglichkeit des Handgelenks bei angespannten Muskeln nach unten beziehe, verwundere. Die beschriebene Bewegung des Klägers sei physiologisch (normal). Auch beim Gesunden könne das Handgelenk bei vollem Faustschluss nicht in vollem Umfang bewegt werden. Entgegen der Darstellung des Klägers sei auch eine Gewebeentnahme nicht erfolgt.

Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 08.08.2012 abgewiesen, wobei es insbesondere auf das Gutachten von Prof. Dr. H. und Frau C. vom 21.12.2011 abgestellt hat. Das SG hob hervor, dass es für die Bemessung der MdE in erster Linie nicht auf eine bestimmte Diagnose, sondern die daraus resultierende Funktionseinschränkung ankomme. Nach den diesbezüglichen Feststellungen von Prof. Dr. H. sei gemäß der einschlägigen Literatur und den dort veröffentlichten MdE-Erfahrungssätzen die Einschätzung der MdE um 10 v. H. plausibel (mit Hinweis auf Schönberger/Mertens/Valentin, a.a.O. S. 544). So werde für einen Speichenbruch mit Achsenabknickung und Einschränkung der Handgelenksbewegungen um insgesamt 40 Grad eine MdE um 10 v. H. in Ansatz gebracht. Gerade die Untersuchung der Beweglichkeit des linken Handgelenks nach der sogenannten Neutral-0-Methode habe jedoch keine erheblichen Abweichungen von den Normalwerten ergeben. Soweit der Kläger vortragen lasse, dass er unter erheblichen Schmerzen leide, sei zunächst zu beachten, dass die MdE-Erfahrungssätze die "normalen" Schmerzen bereits berücksichtigten. Dafür, dass der Kläger unter derartig erheblichen Schmerzen leide, welche eine höhere Bewertung der MdE rechtfertigen könnten, fehlten objektive Anhaltspunkte. Prof. Dr. H. habe keine klinischen Anzeichen für eine Schonung gefunden, die jedoch bei Vorliegen der geklagten starken Schmerzen anzunehmen wäre. Es seien weder ein Muskelschwund, eine Verminderung der Beschwielung, Nagelveränderungen noch Einschränkungen der Trophik oder auch knöcherne Veränderungen im Sinne einer Inaktivitätsosteoporose oder Verminderung des knöchernen Mineralsatzgehaltes festgestellt worden. Schließlich nehme der Kläger auch nach seinen Angaben lediglich Voltaren ein, wobei es sich um ein Medikament zur Behandlung leichtgradiger Schmerzen handele. Da auch ein Stützrententatbestand (mit Hinweis auf § 56 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - SGB VII) nicht vorliege, bestehe kein Anspruch mehr auf die Gewährung einer Rente.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben am 06.09.2012 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Sie berufen sich weiterhin im Wesentlichen auf ihr bisheriges Vorbringen und widersprechen der Behauptung des Gutachters Prof. Dr. H., dass dem Kläger kein Gewebe entnommen worden sei. Auch seien die Schmerzen des Klägers weiterhin nicht ausreichend berücksichtigt worden. Dies gelte auch für die eingeschränkte Beweglichkeit des Handgelenks des Klägers und die fehlende Kraft.

Der Klägers beantragt, teils sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn und den Bescheid der Beklagten vom 23.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte beruft sich auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Gerichtsbescheids. Insbesondere habe das SG auch zu Recht entschieden, dass die "normalen" Schmerzen bereits berücksichtigt seien und beispielsweise eine schmerzbedingte Bewegungseinschränkung ebenso wie erfahrungsgemäße Begleitschmerzen einer körperlichen Funktionseinschränkung mit Einschlüssen (mit Hinweis auf Schönberger/Mertens/Valentin, a.a.O., S. 221).

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten sowie die Akten des SG und des LSG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat auch über den 31.03.2011 hinaus wegen seines Wegeunfalls Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. Eine die Gewährung einer Verletztenrente rechtfertigende MdE um wenigstens 20 v.H. liegt aufgrund des Unfalles vom 31.03.2008 weiterhin vor.

Nach § 26 Abs. 1 SGB VII haben Versicherte Anspruch auf Entschädigungsleistungen u. a. in Form von Heilbehandlung (§ 27 SGB VII) oder Geldleistungen (Verletztengeld § 45 SGB VII und Rente § 56 SGB VII ). Insbesondere nach § 56 Abs. 1 SGB VII erhalten Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, eine Rente. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente; die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern, § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB VII.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 SGB VII). Erforderlich ist, dass sowohl ein kausaler Zusammenhang zwischen der in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung und dem Unfall als auch zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden besteht. Diese so genannte doppelte Kausalität wird nach herkömmlicher Dogmatik bezeichnet als die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität. Für beide Bereiche der Kausalität gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung sowie der Beweismaßstab der - überwiegenden - Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R - , SozR 4-2700 § 8 Nr. 12).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSGE 1, 174, 178; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22). Für die Bewertung einer unfallbedingten MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die BK-Folgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urteil vom 26.06.1985 - 2 RU 60/84 -, in: SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N.; BSG, Urteil vom 19.12.2000 - B 2 U 49/99 R -, in: HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Folgen des Unfalls beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Beschluss vom 22.08.1989, - 2 BU 101/89 -, in: HVBG-Info 1989 S. 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.

Da die Rentenbewilligung der Beklagten zunächst vorläufig erfolgte, war es für die Einstellung der Rente nach § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII binnen der vorliegend gewahrten Dreijahresfrist nicht erforderlich, dass eine Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers eingetreten ist. Allerdings erfordern die funktionellen Beeinträchtigungen des Klägers aufgrund des Unfalles vom 31.03.2008 auch unabhängig hiervon weiterhin die Annahme einer MdE um 20 v.H.

Der rein orthopädisch-chirurgische Befund rechtfertigt nach den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen eine MdE von jedenfalls 10 v.H., wozu insoweit auf das Gutachten des Handchirurgen Prof. Dr. H. und der Chirurgin C. vom 21.12.2011 Bezug genommen wird. Danach liegen ein knöchern durchbauter Bruch der körperfernen Speiche mit Gelenkbeteiligung nach Entfernung des Metallimplantates, Schmerzen in Ruhe als auch bei Belastung des linken Handgelenkes mit leichtgradiger Bewegungseinschränkung, eine posttraumatische Verschleißbildung des linken Handgelenks zwischen Speiche, Kahnbein und Mondbein, Missempfindungen und eine Gefühlsminderung im Bereich des körperfernen speichenseitigen Unterarmes links, sowie eine Kraftgradminderung der linken Hand bei Grobgriff von 20% und beim Spitzgriff von 40% vor. Als Ansatzpunkt für eine MdE-Beurteilung um 10 v. H. erscheint insoweit zunächst die Begründung des SG mit dem Hinweis auf Schönberger/Mertens/Valentin, a.a.O. S. 544 plausibel, wo für einen Speichenbruch mit Achsenabknickung und Einschränkung der Handgelenksbewegungen um insgesamt 40 Grad eine MdE um 10 v. H. in Ansatz gebracht wird.

Zweifel an der Beschränkung der Unfallfolgen auf eine MdE um lediglich 10 v.H. resultieren jedoch bereits daraus, dass die von den Gutachtern festgestellte Kraftgradminderung und der fortschreitende Verschleiß des Handgelenks - mit bereits in Aussicht gestellter, später erforderlicher Handgelenksversteifung - hierin nicht ausreichend berücksichtigt scheinen. Schließlich sah auch der Beratungsarzt Dr. S. aufgrund der Befunde des zweiten Rentengutachten vom 12.01.2011 durch Prof. Dr. G. und Dr. A. insgesamt eine MdE um 15 v.H., als gerechtfertigt an, was er mit einem Hinweis auf die Fundstelle in Schönberger/Mertens/Valentin, a.a.O. S. 544 begründete.

Soweit der Klägerbevollmächtigte darauf hinweist, dass die Schmerzen des Klägers in dem angegriffenen Bescheid der Beklagten nicht ausreichend berücksichtigt seien, greift dieser Einwand im Ergebnis auch durch. Zwar sind die üblicherweise mit bestimmten Verletzungsfolgen einhergehenden Schmerzen in den genannten MdE-Erfahrungswerten bereits mitberücksichtigt (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O. S. 216 ff., 221 ff.; vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 05.07.2010 - L 1 U 4216/09 -). Eine über dieses "übliche Maß" hinausgehende Schmerzhaftigkeit, welche eine höhere MdE-Bewertung stützen könnte, ist im Falle des Klägers jedoch bereits von der Beklagten mit Bestandskraft festgestellt worden. Denn in dem Bescheid vom 27.05.2009 ist ein komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS) als Unfallfolge anerkannt worden, was für die Beklagte als über die üblicherweise mit den vorliegenden Verletzungen einhergehende Feststellung von Schmerzen weiterhin bindend ist.

Schon 1957 hat das Bundessozialgericht entschieden, dass Unfallversicherungsträger, die eine bestimmte Gesundheitsstörung als Folge eines Versicherungsfalls anerkennen, an diese Feststellung auch bei der Gewährung einer Dauerrente gebunden sind (BSG vom 29.03.1957 - 2 RU 129/55 - BSGE 5, 96.). Diese Bindungswirkung gilt selbst dann, wenn sich später die dem Anerkenntnis zugrunde liegende ärztliche Beurteilung als unrichtig erweist (BSG vom 29.01.1971 - 2 RU 161/68 - juris). Die durch die Vorschriften über die vorläufige Entschädigung eingeräumte Freiheit zur Änderung der MdE bezieht sich nicht auf die übrigen Feststellungen im Bescheid, mit dem eine Rente als vorläufige Entschädigung gewährt wird. An diese Feststellungen ist der Unfallversicherungsträger gemäß § 77 SGG gebunden und kann sie nur unter den allgemein für Verwaltungsakte mit Dauerwirkung geltenden Voraussetzungen (§§ 44 f., 48 SGB X) zurücknehmen (BSG vom 30.10.1962 - 2 RU 225/59 - BSGE 18, 84; Padé in jurisPK-SGB VII, § 62 Rn. 15).

Eine Rücknahme des Bescheides vom 27.05.2009 durch den Bescheid vom 23.03.2011 - konkludent im Hinblick durch die nicht mehr erfolgte Benennung des CRPS als Unfallfolge - wegen anfänglicher Unrichtigkeit nach der Vorschrift des § 45 Abs. 1 SGB X wäre nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig gewesen, zu denen auch die Ausübung von Ermessen gehört hätte. Eine Ausübung von Ermessen ist aber nicht erfolgt. Eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 SGB X aufgrund einer Änderung der Verhältnisse, also eines Wegfalls des CRPS, scheitert vorliegend daran, dass es an ausreichenden Feststellungen zum Wegfall dieses Krankheitsbildes fehlt. Im ersten Rentengutachten vom 06.03.2009 teilten die Dres. S.-F. und F. als wesentliche Unfallfolge unter anderem ein CRPS mit (Stadium III), was sie mit der Aussage verbanden, dass die MdE nach dem Unfall mindestens für die Dauer von drei Jahren mit 20 v.H. anzunehmen sei; längerfristig sei eine Handgelenksversteifung nicht zu vermeiden. Diese Einschätzung der MdE wurde auch von Dr. P. in seiner Stellungnahme vom 10.09.2008 geteilt. Bei der Begutachtung zum zweiten Rentengutachten vom 12.01.2011 teilten Prof. Dr. G. und Dr. A. zwar wesentliche Schmerzen des Klägers bei der Untersuchung mit, die von den Ärzten bei der Bewertung der MdE jedoch keine Erwähnung mehr finden.

Auch bei der Begutachtung für das vom SG angeforderte Gerichtsgutachten hat der Kläger starke Schmerzen und die Einnahme von Schmerzmitteln angegeben, ohne dass die Gutachter Prof. Dr. H. und die Chirurgin C. indes hierauf bei der MdE-Bewertung näher eingegangen wären. Zwar findet sich die Mitteilung auf S. 11 oben des Gutachtens, dass ein Hinweis auf ein CRPS nicht gefunden worden sei. Zugleich teilten die Gutachter aber auch als gesicherte Diagnose mit, dass beim Kläger von Schmerzen in Ruhe als auch bei Belastung des linken Handgelenks vorliegen. Das Fehlen von Schonungszeichen allein erachtet der Senat angesichts der Tatsache, dass der Kläger regelmäßig Schmerzmittel einnimmt, nicht als ausreichenden Nachweis für den Wegfall des CRPS oder gar wesentlicher Schmerzen insgesamt. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 02.02.2012 haben die beiden Gerichtsgutachter behauptet, der Kläger nehme nur bedarfsweise Schmerzmittel, während er jedoch ausweislich S. 4 des Gutachtens vom 21.12.2011 jeden Arbeitstag und damit regelmäßig Schmerzmittel (Voltaren) einnimmt. Der Senat sieht auch diese Diskrepanz als Nachweis dafür an, dass in dem für das SG erstellten Gutachten die Schmerzsymptomatik des Klägers nicht ausreichend in die Bewertung der MdE eingeflossen ist. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger seit dem Unfall durchgängig über erhebliche Schmerzen an der linken Hand - auch im Ruhezustand - geklagt hat und ihm von keinem der gehörten Ärzte eine Aggravation der Beschwerden vorgeworfen worden ist, hält der Senat das weitere Vorhandensein unüblicher Schmerzen für erwiesen und insoweit im Rahmen der Gesamtbewertung eine MdE um 20 v.H. insgesamt für angemessen.

Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass die ursprünglich vorläufige Rentengewährung nach einer MdE um 20 v.H. mit der vorliegenden Aufhebung des angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 23.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2011 aufgrund der Vorschrift des § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VII zur Dauerrentenbewilligung wird.

Der Senat lässt daher auch offen, ob nach dem Bericht von Dr. K. von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik vom 09.02.2009 (Abschluss des Heilverfahrens wegen medizinischen Endzustands ohne Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit) eine vorläufige Bewilligung der Rente um eine MdE von 20 v.H. überhaupt noch zulässig war und nicht bereits zum damaligen Zeitpunkt eine Rente auf unbestimmte Zeit hätte bewilligt werden müssen (BSG vom 16.03.2010 - B 2 U 2/09 R - BSGE 106, 43, juris-Rn. 25).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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