L 5 KR 1100/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 3523/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 1100/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 09.02.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Einsetzung von Implantaten im Oberkiefer sowie für die prothetische Versorgung des Ober- und Unterkiefers in Höhe von 13.013,37 EUR hat.

Die 1954 geborene Klägerin leidet nach eigenen Angaben seit ihrer Kindheit unter einer starken Kieferkammatrophie (Gewebeschwund mit Knochenrückgang im Kiefer) sowie einer Mikrognathie (Fehlbildung des Gesichtsschädels) des Oberkiefers. Schon in der Kindheit mussten ihr deswegen Zähne gezogen werden und musste sie eine Zahnspange tragen. Zuletzt wurden bei der Klägerin am 03. bzw. 11.11.2008 neun Unterkieferzähne und sieben Zähne im Oberkiefer gezogen. Erhaltungswürdig waren lediglich im Unterkiefer die Zähne 33, 43 und 44.

Nachdem am 12.01.2009 eine Abformung beider Kieferhälften erstellt und chirurgische Bohrführungsschablonen gefertigt worden waren, legte die Klägerin unter dem 26.03.2009 der Beklagten Behandlungs- sowie Heil- und Kostenpläne des Zahnarztes Dr. St. vor und beantragte eine Begutachtung. Dr. St. teilte der Beklagten hierzu ergänzend mit Schreiben vom 14.04.2009 mit, bei der Klägerin sei eine konventionelle prothetische Versorgung mit einer Totalprothese im Oberkiefer nicht möglich. Durch eine extreme Alveolarkamm-Atrophie sei ein Halt nicht gewährleistet. Nur durch eine implantatgestützte Stegversorgung könne eine dauerhafte prothetische Restauration erfolgen und eine weitere Atrophie eingeschränkt werden.

Zahnarzt Dr. D. bestätigte in seinem im Auftrag der Beklagten erstellten Gutachten vom 20.05.2009 den Befund einer starken Kieferkammatrophie und Mikrognathie des Oberkiefers. Eine konventionelle Versorgung mittels einer neuen Totalprothese sei aufgrund der Kieferkammatrophie sowie der ungünstigen Okklusion nicht Erfolg versprechend. Die Implantatversorgung erscheine als einzige Möglichkeit, der Klägerin mittelfristig eine vernünftige Nahrungsaufnahme zu gewährleisten. Eine seltene Ausnahmeindikation im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 9 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) liege nicht vor. Allerdings bestehe die Möglichkeit der Bezuschussung einer neuen Totalprothese im Oberkiefer, da es sich um eine starke Kieferkammatrophie handele.

Mit Bescheid vom 09.06.2009 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme der geplanten Implantatversorgung ab. Es liege weder eine Ausnahmeindikation vor noch sei eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate unmöglich. Bei der Klägerin bestehe gleichwohl die Möglichkeit einer neuen Totalprothese im Oberkiefer.

Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch und machte geltend, eine vernünftige Nahrungsaufnahme sei nach Auffassung des Gutachters Dr. D. nur bei einer Implantatversorgung möglich. Sie leide unter erschwerter Nahrungsaufnahme und habe deswegen vermehrt gesundheitliche Probleme. Sie leide unter Mangelernährung, eine Totalprothese habe ihres Erachtens lediglich kosmetische Funktion.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2009 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Ablehnung der Implantatversorgung zurück. Eine Ausnahmeindikation im Sinne der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses liege nicht vor. Außerdem sei bei ihr eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht unmöglich.

Hiergegen erhob die Klägerin am 28.10.2009 Klage bei dem Sozialgericht (SG) Reutlingen. Die Beklagte lasse ihre Probleme bei der Nahrungsaufnahme unberücksichtigt. Wegen unzureichender Haftung der bisherigen Totalprothese im Oberkiefer und der Interimsprothese im Unterkiefer könne sie nur weiche oder flüssige Nahrung aufnehmen, was bei ihr bereits zu Mangelerscheinungen geführt habe. Sie gerate dadurch auch in ein soziales Abseits. Ihre angeborene Kieferkammatrophie mit Mikrognathie sei vergleichbar einer angeborenen Fehlbildung des Kiefers, so dass sie wegen der Schwere der Fehlbildung Anspruch auf implantologische Leistungen habe. Die Beklagte lege insoweit die Ausnahmeindikationen zu eng aus. Jedenfalls weise der Ausnahmekatalog des Gemeinsamen Bundesausschusses Lücken auf, die nicht hingenommen werden könnten und verfassungskonform im Wege einer Härtefallregelung zu schließen seien. Der Gutachter Dr. D. habe bestätigt, dass ohne Implantate eine vernünftige Nahrungsaufnahme nicht gewährleistet sei. Ihr werde damit die einzige erfolgversprechende Behandlung verweigert.

Die Heilbehandlung habe sie inzwischen durchführen lassen. Für die Oberkieferimplantate und die prothetische Versorgung im Oberkiefer seien ihr Behandlungskosten in Höhe von 13.013,37 EUR in Rechnung gestellt worden. Hinsichtlich der Versorgung des Unterkiefers habe sie sich mit einer Teleskopversorgung abgefunden, da im Unterkiefer noch Zähne vorhanden gewesen seien und deswegen noch eine gewisse Stabilität habe erreicht werden können. Ergänzend legte sie Rechnungen des Zahnarztes Dr. St. vom 30.11.2009 und 21.12.2009 über zahnärztliche Behandlungen zwischen dem 12.1.2009 und dem 16.12.2009 über insgesamt 13.013,37 EUR vor.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat an ihrer bisherigen Rechtsauffassung festgehalten. Atrophien seien nach der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf B 1 KR 47/00 und B 1 KR 5/00) keine Ausnahmeindikation für implantologische Leistungen. Auch sei eine Teleskopversorgung im Unterkiefer möglich Am 1.7.2009 sei für die Klägerin der vertragliche Heil- und Kostenplan für die im Oberkiefer geplante Suprakonstruktion im Rahmen der Festzuschüsse in Höhe von 263,83 EUR genehmigt worden. Die Eingliederung des Zahnersatzes sei am 16.12.2009 erfolgt. Am 15.01.2010 sei der genehmigte Festzuschuss von 263,83 EUR der Versicherten direkt erstattet worden. Eine darüber hinausgehende Kostenbeteiligung der Beklagten scheide aus.

Das SG befragte ergänzend den behandelnden Zahnarzt Dr. St. als sachverständigen Zeugen. Dieser teilte unter dem 30.12.2010 mit, zu Beginn der Behandlung sei die Extraktion aller Zähne im Oberkiefer und (mit Ausnahme von drei erhaltungswürdigen Zähnen) auch aller Zähne im Unterkiefer erfolgt. Am 29.06.2009 seien vier Implantate im Oberkiefer inseriert worden. Danach sei das obere Provisorium weichbleibend unterfüttert worden, danach die anderen Provisorien. Am 16.12.2009 seien die neuen Prothesen definitiv eingesetzt worden. Die Klägerin komme mit der Neuversorgung sehr gut zurecht und könne auch wieder richtig kauen.

Mit Gerichtsbescheid vom 09.02.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Anspruch der Versicherten auf Krankenbehandlung umfasse gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB V auch die Tätigkeiten des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig seien. Nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V zählten jedoch nicht zur zahnärztlichen Behandlung implantologische Leistungen, es sei denn, es lägen seltene vom Gemeinsamen Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen der medizinischen Gesamtbehandlung erbringe. Besonders schwere Fälle lägen danach bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers hätten und bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen vor. Die Voraussetzung einer Ausnahmeindikation für die Versorgung mit Zahnimplantaten im Sinne dieser Vorschrift lägen bei der Klägerin nicht vor. Dies stehe aufgrund der übereinstimmenden Darlegungen des Gutachters Dr. D. sowie des behandelnden Zahnarztes Dr. St. fest. Hinzu komme, dass die Rechtsprechung die Einbeziehung von Atrophien in die Ausnahmeindikationen für implantologische Leistungen abgelehnt habe. Eine über den Wortlaut hinausgehende, den Anwendungsbereich erweiternde Auslegung der festgelegten Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle werde von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Hinweis auf BSG Urt. v. 23.05.2007 - B 1 KR 27/07 B und v. 13.07.2004 - B 1 KR 37/02 R) ausgeschlossen. Insoweit bestehe auch keine im Wege der Auslegung zu schließende Regelungslücke. Mangels rechtlicher Relevanz brauche nicht darauf eingegangen zu werden, inwieweit die Problematik einer konventionellen prothetischen Versorgung ohne Implantate auch durch die vorangegangenen Extraktionen der noch vorhandenen Zähne mit verursacht worden sei. Auch im Hinblick darauf erscheine eine weitere verfassungsrechtliche Problematisierung nicht veranlasst. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug genommen.

Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 14.03.2011 übersandten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 16.03.2011 Berufung eingelegt. Sie vertieft und wiederholt ihr Vorbringen aus erster Instanz und vertritt die Auffassung, die allmähliche Rückbildung des zahnlosen Kieferknochens im Sinne einer Atrophie entspreche einer angeborenen Fehlbildung. Folge man dieser Auslegung nicht, so liege jedenfalls eine planwidrige Regelungslücke des Gesetzes vor, die unter Berücksichtigung der Grundrechte zu schließen sei. Die Rechtsprechung des BSG könne nicht überzeugen, weil sie die ausreichende und zweckmäßige zahnärztliche Versorgung auf allerschwerste Fälle reduziere. Der Begriff der angeborenen Fehlbildung entspreche im vorliegenden Fall durchaus der allmählichen Rückbildung des zahnlosen Kieferknochens im Sinne einer Atrophie. Die Unterscheidung zwischen einem natürlichen Vorgang bei jedem Zahnverlust und der angeborenen Fehlbildung erscheine rein willkürlich.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 09.02.2011 und den Bescheid der Beklagten vom 09.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.10.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die durch die Einsetzung von vier Implantaten sowie die Versorgung mit Zahnersatz im Zeitraum vom 12.01.2009 bis zum 16.12.2009 entstandenen Heilbehandlungskosten in Höhe von 12.749,54 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG im Ergebnis und in der Begründung für zutreffend und nimmt auf ihre bisherigen Ausführungen in erster Instanz Bezug.

Der Senat hat den behandelnden Zahnarzt Dr. St. hinsichtlich seiner Behandlungstätigkeit vor dem 01.01.2009 als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser gab in seiner schriftlichen Aussage vom 24.07.2011 an, bei der Erstuntersuchung am 03.11.2008 habe er lediglich im Unterkiefer drei erhaltungswürdige Zähne vorgefunden. Die neun anderen Zähne des Unterkiefers und sieben Zähne im Oberkiefer habe er gezogen. Danach sei es zu einem weiteren Knochenrückgang gekommen.

Beide Beteiligte haben im Erörterungstermin vom 31.08.2011 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zu gerichtlichem Protokoll erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für Implantate und den implantatgestützten Zahnersatz im Oberkiefer. Das SG hat die Klage gegen die entsprechenden Ablehnungsbescheide der Beklagten zu Recht abgewiesen.

Als einzige Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch kommt vorliegend § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V in Betracht. Die Norm bestimmt: Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Beklagte hat die beantragte Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt, denn der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Er setzt voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung vgl. etwa BSG Urteil vom 27.03.2007 - B 1 KR 25/06 R m. w. N.). Daran fehlt es. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Einsetzung von Implantaten im Oberkiefer. Dementsprechend entfällt auch der Anspruch auf Ersatz des implantatgestützten Zahnersatzes.

Zum Anspruch auf Krankenbehandlung zählt gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V auch die zahnärztliche Behandlung. Sie umfasst nach § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB V die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Allerdings hat der Gesetzgeber in § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V implantologische Leistungen von der zahnärztlichen Leistungspflicht ausgeschlossen, es sei denn, es lägen seltene, vom Gemeinsamen Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat diesen gesetzlichen Regelungsauftrag in Abschnitt 7 der Behandlungsrichtlinien für Zahnärzte (hier maßgebend in der Fassung vom 14.8.2007 - BAnZ 185 v. 2.10.2007, S. 7673) umgesetzt. Besonders schwere Fälle im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V sind danach größere Kiefer- oder Gesichtsdefekte, die ihre Ursache in Tumoroperationen, in Entzündungen des Kiefers, in Operationen in Folge von großen Zysten, in Operationen in Folge von Osteopathien, in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers oder in Unfällen haben, ferner bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung sowie bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen. Voraussetzung für die Übernahme implantologischer Leistungen und der dazugehörigen Suprakonstruktionen ist somit das Vorliegen eines besonders schweren Falles, die gleichzeitig bestehende Unmöglichkeit einer konventionellen prothetischen Versorgung ohne Implantation und die Erbringung der Implantation im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung. An allen drei Voraussetzungen fehlt es vorliegend. Zum einen ist dem Gutachten des Sachverständigen Dr. D. vom 20.05.2009 zu entnehmen, dass eine konventionelle Versorgung mittels einer Totalprothese im Oberkiefer möglich ist, zumal er zum Ende seines Gutachtens ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass insoweit eine Bezuschussungsmöglichkeit besteht. Darüber hinaus sind die hier in Rede stehenden Implantate nicht im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung gesetzt worden. Das gesetzlich vorgeschriebene Erfordernis einer medizinischen Gesamtbehandlung schließt nach BSG v. 19.6.2001 - B 1 KR 23/00 - Juris Rn 18) von vornherein Fallgestaltungen aus, in denen das Ziel der implantologischen Behandlung nicht über die reine Versorgung mit Zahnersatz zur Wiederherstellung der Kaufähigkeit hinaus reicht, wie das bei der Klägerin der Fall ist.

Auch besteht keine der genannten Ausnahmeindikationen. Da der Anspruch der Versicherten auf seltene Ausnahmeindikationen beschränkt bleiben soll, kann er im Übrigen nicht schon in all denjenigen Fällen bestehen, in denen Implantate medizinisch geboten sind; vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen, die eine außergewöhnliche Situation begründen. Das ist nach der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 19.6.2001 - B 1 KR 23/00 R - Juris Rn 18) bei Kieferatrophien schon deshalb nicht der Fall, weil sie bei jedem größeren Zahnverlust auftreten, also in der Praxis außerordentlich häufig sind. Unter einer Atrophie ist die allmähliche Rückbildung des zahnlosen Kieferknochens zu verstehen. Hierbei handelt es sich um einen natürlichen Vorgang bei jedem Zahnverlust. Die Erstattungsübernahmeverpflichtung für Implantate aufgrund aufgetretener Kieferatrophien hätte also zur Folge, dass in zahlreichen Situationen Implantate gezahlt werden müssten, was der Zielrichtung der Ermächtigung in § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V, den Anspruch auf seltene Ausnahmeindikationen zu beschränken, zuwider laufen würde (so BSG Urteil vom 19.06.2001 - &61506; 1 KR 4/00 R).

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann die bei ihr vorliegende Kieferkammatrophie auch nicht den schweren Fällen zugerechnet werden. Nach Auffassung des BSG sprechen für die einschränkende Auslegung somit neben dem Wortlaut die in der Gesetzesbegründung herangezogenen Fallbeispiele, aber auch der Umstand, dass im Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsverfahren der Gemeinsame Bundesausschuss an den Gesetzgeber appelliert hat, den Anwendungsbereich der Zahnbehandlungsrichtlinien zu erweitern, um Patienten mit schweren und schwersten Kieferatrophien Anspruch auf Zuschuss zum Zahnersatz zu ermöglichen. Andererseits wurde während des Gesetzgebungsverfahrens befürchtet, dass Atrophiefälle in die Ausnahmeregelung aufgenommen würden. Aus diesen Umständen hat das Bundessozialgericht den Schluss gezogen (vgl. BSG Urteil vom 19.06.2001 - B 1 KR 4/00 R sowie BSG vom 19.06.2001 - B 1 KR 23/00 R), dass der Gesetzgeber den Ausschluss von Atrophien aus der Implantatversorgung bewusst in Kauf genommen hat. Das BSG hat daraus weiterhin geschlossen, dass für die Annahme einer durch Analogie zu schließenden Regelungslücke deswegen kein Raum ist. Es hat unter Berufung auf die besagten Quellen es auch ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber bei der Fassung der Ausnahmevorschriften gerade die Kieferatrophie als den Hauptanwendungsfall einer implantologischen Versorgung übersehen haben könnte. Daraus folgt zugleich, dass - wie im Falle der Klägerin - eine mit konventionellem Zahnersatz nicht befriedigend zu versorgende Kieferatrophie nicht zu den zwingend notwendigen Ausnahmen zu rechnen ist.

Die Nichteinbeziehung der Kieferatrophien in die Auflistung der Ausnahmeregelungen des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V durch den GBA verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht. Welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung des Versicherten zugeordnet werden, unterliegt aus verfassungsrechtlicher Sicht einem weiten gesetzgeberischen Ermessen, denn ein Gebot zu Sozialversicherungsleistungen in einem bestimmten sachlichen Umfang lässt sich dem Grundgesetz nicht entnehmen (BSG vom 19.06.2001 - B 1 KR 4/00 R juris Umdruck Rdnr. 23 m. w. N.). Einen Verstoß gegen den als alleinigen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab in Betracht kommenden allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) hat das BSG verneint. Denn in den Fällen, in denen die Implantatversorgung übernommen wird, reicht die Behandlung über die reine Versorgung mit Zahnersatz hinaus, wie sich aus dem Erfordernis der medizinischen Gesamtbehandlung ergibt. Demgegenüber durfte der Gesetzgeber die Fälle, in denen die implantologische Versorgung allein der Ermöglichung konventionellen Zahnersatzes dient - wie bei der Klägerin - von der Versorgung ausnehmen. Die Rechtsprechung des BSG, dass § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V und die darauf beruhenden Richtlinien verfassungsrechtlichen Anforderungen auch in den Fällen entsprechen, in denen die gesetzlich ausgeschlossene Art der Zahnersatzversorgung als einzig medizinisch sinnvolle Leistung in Betracht kommt, ist vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 09.01.2006 - 1 BvR 2344/05 ausdrücklich bestätigt worden.

Nach alle dem bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der ablehnenden Entscheidung der Beklagten. Dies hat das SG zu Recht erkannt, weswegen die Berufung keinen Erfolg haben konnte.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen angesichts der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht vor. Die Rechtssache hat deswegen keine grundsätzliche Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
Saved