L 4 R 2724/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 4126/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 2724/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 14. Juni 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem Kläger ein Anspruch auf große Witwerrente bereits ab 09. November 2007 zusteht.

Der am 1942 geborene Kläger und die bei der Beklagten versicherte M. C. (im Folgenden: die Versicherte), geboren am 1939, schlossen am 19. September 1991 vor dem Standesamt der Gemeinde E. die Ehe und führten zunächst den Familiennamen des Klägers als Ehenamen. Die Ehegatten schlossen einen Ehe- und Erbverzichtsvertrag, in dem sie gegenseitig auf ihr Erb- und Pflichtteilsrecht verzichteten. Am 27. Februar 1995 nahm die Versicherte gemäß § 1 Familiennamensrechtsgesetz (FamNamRG) wieder ihren Geburtsnamen an. Ca. Mitte 1995 trennten sich die Eheleute und lebten seither bei bestehender Ehe getrennt; der Kläger in H., die Versicherte zuletzt in einem Seniorenzentrum in K./Rheinland-Pfalz. Es bestand kein Kontakt. Sie bezog ab 01. April 1999 Altersrente von der Beklagten, er bezieht Altersrente von der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern mit einem monatlichen Zahlbetrag von EUR 227,97 ab 01. Juli 2011 sowie eine Rente aus der Türkei mit einem monatlichen Zahlbetrag von TRL 1.019,95 (= EUR 441,98) ab Juni 2011. Am 2007 verstarb sie.

Am 02. November 2010 beantragte der Kläger große Witwerrente. Die Beklagte führte Ermittlungen zum Familienstand durch, da die Ehe nicht im türkischen Eheregister eingetragen war, zum Bezug ausländischer Rente sowie der Höhe der Altersrente des Klägers und bewilligte ihm mit Bescheid vom 10. August 2011 große Witwerrente ab dem 01. November 2009 in Höhe eines monatlichen Zahlbetrags von EUR 547,55 sowie eine Nachzahlung von EUR 11.963,64. Der Kläger legte Widerspruch gegen den Rentenbeginn ein. Da seine Ehefrau am 09. November 2007 verstorben sei, müsse er ab diesem Zeitpunkt Rente erhalten. Er habe erst am 01. November 2010 durch Zufall vom Tod seiner Ehefrau erfahren. Er habe des Öfteren beim Bürgeramt ihre Adresse erfragt, ihm sei jedoch die Auskunft verweigert worden. Dies sei zu berücksichtigen. Der Anspruch bestehe aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, denn die Beklagte sei verpflichtet gewesen, ihn gemäß §§ 13 ff Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) auf die Zulässigkeit einer Antragstellung auf Gewährung von Witwerrente hinzuweisen. Der Versicherungsträger müsse alles tun, damit ein potentieller Leistungsempfänger seine Leistungen ordnungsgemäß erhalte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. November 2011 wies die bei der Beklagten gebildete Widerspruchsstelle den Widerspruch zurück. Gemäß § 99 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) würden Hinterbliebenenrenten längstens für 12 Monate vor dem Monat geleistet, in dem die Rente beantragt worden sei. Der Rentenversicherungsträger sei zwar gemäß § 115 Abs. 6 SGB VI verpflichtet, die Berechtigten in geeigneten Fällen von Amts wegen darauf hinzuweisen, dass sie auf Antrag eine bestimmte Leistung (Rente) bekommen könnten. Voraussetzung für den Hinweis sei jedoch, dass der Rentenversicherungsträger über entsprechende Daten verfüge, die bei ihm gespeichert und abrufbar seien. Werde - wie vorliegend - bei vorangegangener Zahlung einer Versichertenrente von der Witwe bzw. dem Witwer kein Antrag auf Vorschusszahlung für das Sterbevierteljahr gestellt, könne regelmäßig ein Hinweis nach § 115 Abs. 6 SGB VI nicht gegeben werden. Eine Vorverlegung des Rentenbeginns könne auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erfolgen, da die verspätete Antragstellung nicht auf ein Verschulden oder Mitverschulden des Versicherungsträgers zurückzuführen sei. Die Antragsfrist des § 99 Abs. 2 SGB VI sei keine Ausschlussfrist im Sinne von § 27 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), deren Nichteinhaltung zum Rechtsverlust führe, sondern nur zu einem späterem Wirksamwerden.

Am 06. Dezember 2011 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG). Zur Begründung trug er vor, er habe vom Tod seiner Ehefrau erst Kenntnis erlangt, als der Staat ihm gegenüber Unterhaltsansprüche geltend gemacht habe. Daher habe er mangels Kenntnis vom Todesfall den Antrag nicht früher stellen können. Es liege ein atypischer Fall vor, er dürfe nicht rechtlos stehen. Die Versicherte habe Rentenanwartschaften erworben, die ihm zugutekommen müssten. Die Weigerung der Beklagten sei rechtsmissbräuchlich. Sie hätte im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes gemäß § 20 SGB X bei dem Einwohnermeldeamt der Versicherten feststellen lassen können, wo er sich aufhalte. Die Mitverursachung eines solchen an sich gebotenen Handelns begründe eine Herstellung des vorzeitigen Rentenanspruchs. Er legte ein Schreiben des Amtsgerichts Diez vom 02. Dezember 2011 vor, in dem dieses mitteilt, dass nach dem Tode der Versicherten beim dortigen Nachlassgericht keine Nachlass-, Testamentseröffnungs-, Erbschein- oder Erbausschlagungsverfahren anhängig gemacht worden seien. Ein sicherungsbedürftiger Nachlass sei nicht vorhanden. In Rheinland-Pfalz würden keine Erben von Amts wegen ermittelt.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und bezog sich zur Begründung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Da der Kläger mit der Versicherten nicht in einem Haushalt gelebt habe und keinen Antrag beim Postrentendienst für das Sterbevierteljahr gestellt habe, habe sie (die Beklagte) erst aufgrund der Zahlungseinstellung der Altersrente durch den Postrentendienst erfahren, dass die Versicherte verstorben sei und erst mit der Antragstellung des Klägers, dass ein Witwer vorhanden sei.

Nach Anhörung der Beteiligten wies das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 14. Juni 2012 ab. Zur Begründung führte es aus, ein Rechtsanspruch auf große Witwerrente vor dem 01. November 2009 bestehe nicht. Da der Kläger den Rentenantrag am 02. November 2010 gestellt habe, sei ein Rentenbeginn vor dem 01. November 2009 rechtlich ausgeschlossen. Ein früherer Rentenbeginn könne auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erreicht werden. Dieser setze voraus, dass ein Sozialleistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung, verletzt habe, diese Pflichtverletzung ursächlich für einen Nachteil des Betroffenen sei und durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden könne. Nach § 115 Abs. 6 SGB VI müssten die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten könnten, wenn sie diese beantragten. Die Vorschrift sei eine besondere Ausprägung der in §§ 14, 15 SGB I geregelten allgemeinen Hinweis- und Auskunftspflichten der Sozialleistungsträger. § 3 der Richtlinien der Deutschen Rentenversicherung Bund, die aufgrund des § 155 Abs. 6 Satz 2 SGB VI ergangen seien, bestimme, dass Witwen und Witwer, deren Ehegatten die allgemeine Wartezeit erfüllt oder bis zu ihrem Tod eine Rente bezogen hätten, darauf hingewiesen werden müssten, dass sie Rente erhalten könnten, wenn sie diese beantragten. Diese Hinweispflicht könne aber nur dann verletzt sein, wenn der Beklagten die Daten bekannt seien (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 14. November 2002 - B 13 RJ 39/01 R - in juris). Dem zuständigen Sachbearbeiter hätte sich die naheliegende Gestaltungsmöglichkeit für den Kläger aufdrängen müssen. Aus ihrem Datenbestand habe die Beklagte aber nicht ohne weiteres erkennen können, dass der Kläger möglicherweise rentenberechtigter Witwer der Versicherten sei. Der Name des Klägers sei der Beklagten nicht bekannt gewesen. In ihrem Rentenantrag habe die Versicherte zwar angegeben, dass sie verheiratet sei, aber nicht, mit wem. Zudem sei der Kläger mit seinem eigenen Altersrentenbezug nicht im Versicherungsbestand der Beklagten, sondern der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern gewesen. Eine Ermittlungspflicht der Beklagten ohne Kenntnis des Namens des Klägers und dessen Wohnorts habe nicht bestanden. Nachdem kein Antrag auf Gewährung eines sogenannten Sterbevierteljahres gestellt worden sei, habe die Beklagte nicht davon ausgehen müssen, dass ein möglicherweise rentenberechtigter Ehemann vorhanden sei. Daher habe sie keine Beratungspflicht verletzt, der Kläger müsse nicht so gestellt werden, als hätte er den Antrag direkt nach dem Tod seiner Frau gestellt.

Gegen den über seinen Bevollmächtigten am 16. Juni 2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 26. Juni 2012 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, es sei der Beklagten bekannt gewesen, dass die Versicherte verheiratet gewesen sei. Es werde immer nach dem Personenstand gefragt. Wieso sein Name nicht bekannt gewesen sein soll, sei nicht nachvollziehbar. Wenn türkische Mitbürger Altersrenten bezögen, sei immer die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern zuständig. Selbstverständlich werde immer der Frage nachgegangen, ob rentenberechtige Eheleute vorhanden seien.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 14. Juni 2012 aufzuheben, den Bescheid vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2011 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm auch vom 09. November 2007 bis 31. Oktober 2009 große Witwerrente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf den angegriffenen Gerichtsbescheid und ihr bisheriges Vorbringen.

Die Berichterstatterin hat am 16. November 2012 einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt haben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 i.V.m. § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Sie ist statthaft, denn ein Ausschlussgrund gemäß § 144 SGG liegt nicht vor. Die Berufung betrifft gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr, nämlich die große Witwerrente vom 09. November 2007 bis 31. Oktober 2009.

II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angegriffene Bescheid vom 10. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Witwerrente für die Zeit vom 09. November 2007 bis 31. Oktober 2009.

1. Der Anspruch auf große Witwerrente folgt aus § 46 Abs. 2 SGB VI. Nach Satz 1 dieser Vorschrift haben Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwerrente, wenn sie 1. ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen, 2. das 47. Lebensjahr vollendet haben oder 3. erwerbsgemindert sind. Diese Voraussetzungen für die große Witwerrente sind gegeben, weil der Kläger das 47. Lebensjahr vollendet hat.

§ 99 Abs. 2 SGB VI regelt den Beginn der Hinterbliebenenrente. Danach wird eine Hinterbliebenenrente von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind (Satz 1). Sie wird vom Todestag an geleistet, wenn an den Versicherten eine Rente im Sterbemonat nicht zu leisten ist (Satz 2). Die Hinterbliebenenrente wird nicht für mehr als zwölf Kalendermonate vor dem Monat, in dem die Rente beantragt wird, geleistet (Satz 3). Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung werden gemäß § 19 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) i.V.m. § 115 Abs. 1 SGB VI grundsätzlich nur auf Antrag gewährt. Das Stammrecht auf Hinterbliebenenrente entsteht zwar kraft Gesetzes mit der Erfüllung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen. Das Einsetzen des monatlichen Zahlungsanspruchs ist indes von der Geltendmachung durch einen Antrag (§ 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI) abhängig (vgl. zu dieser Dogmatik: BSG, Urteil vom 18. Dezember 1986 - 4a RJ 73/85- in juris). Da der Kläger die Zahlung der Witwerrente erst im November 2010 beantragt hat, hat die Beklagte die Leistung zu Recht erst ab 01. November 2009 bewilligt. § 99 Abs. 2 SGB VI erweitert die dreimonatige Antragfrist des § 99 Abs. 1 SGB VI pauschal auf ein Jahr zugunsten von Hinterbliebenen, die aus Unkenntnis über den Tod die Antragsfrist nicht einhalten können (BSG, Urteil vom 06. Mai 2010 - B 13 R 44/09 R -; Bayerisches Landessozialgericht; Urteil vom 28. Juli 1999 - L 16 RJ 133/99 -; beide in juris; Kater in Kasseler Kommentar, Stand April 2012, § 99 SGB VI RdNr. 22), schließt aber gleichzeitig eine weitergehende rückwirkende Bewilligung materiell-rechtlich aus (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. Januar 2012 - L 18 (13) R 187/09 -; in juris).

2. Der Kläger ist auch nicht so zu stellen, als hätte er die Rente bereits früher beantragt. Er hat keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Der Kläger kann einen früheren Rentenbeginn nicht aufgrund der Regelungen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X beanspruchen. Zwar kommt eine Wiedereinsetzung grundsätzlich auch bei Versäumung einer Frist des materiellen Sozialrechts in Frage (BSG, Urteil vom 06. Mai 2010 - B 13 R 44/09 R -; BSG, Urteil vom 21. Mai 1996 - 12 RK 43/95 -; BSG, Urteil vom 22. Oktober 1996 - 13 RJ 23/95 - alle in juris). Damit korrespondiert, dass die "Fristverlängerung" auf ein Jahr in § 99 Abs. 2 SGB VI ausschließlich der Unkenntnis einer Tatsache (Tod des Versicherten) Rechnung trägt. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde die ursprüngliche Fassung des § 98 des Entwurfs zum Rentenreformgesetz 1992 - E-RRG 1992 - (BT-Drucks. 11/4124, S. 39) geändert, weil in einer Vielzahl von Fällen insbesondere Kinder aus den früheren Ehen des Verstorbenen auf längere Zeit nichts vom Tod des Versicherten erfahren. Deshalb wurde für die Hinterbliebenenrente die Frist auf 12 Monate verlängert (BT Drucks. 11/5530, S. 45; Kater in Kasseler Kommentar, Stand April 2012, § 99 SGB VI, RdNr. 14). Nach dem Zweck der Bestimmung des § 99 Abs. 2 Satz 3 SGB VI soll also die 12 Monatsfrist die Hinterbliebenen vor Verlust von Rentenansprüchen in den Fällen schützen, in denen aus Unkenntnis über den Tod des Versicherten oder über das Bestehen des Rentenanspruchs erst innerhalb der verlängerten Frist ein Rentenantrag gestellt werden kann. Diese Frist von einem Jahr entspricht auch der Höchstdauer, nach der bei unverschuldetem Versäumnis einer Frist auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X nicht mehr möglich ist (vgl. Kater in Kasseler Kommentar, Stand April 2012, § 99 SGB VI RdNr. 22).

Es kann jedoch dahinstehen, ob § 27 SGB X anwendbar ist, weil § 99 SGB VI insoweit eine lex specialis darstellt (offengelassen auch BSG, Urteil vom 06. Mai 2010 - B 13 R 44/09 R - in juris). Jedenfalls würde § 27 SGB X keine längere Wiedereinsetzung gewähren (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 28. Juli 1999 - L 16 RJ 133/99 - m. w. N. in juris). Aus der Begründung des E-RRG 1992 und aus der Formulierung des Abs. 2 Satz 3 wird die Schlussfolgerung gezogen, dass in Fällen, in denen der Antrag auf Witwen-, Witwer- oder Waisenrente später als innerhalb der einjährigen "Beginnsfrist" gestellt wird, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 Abs. 5 SGB X unzulässig ist. Denn nach § 27 Abs. 5 SGB X ist die Wiedereinsetzung unzulässig, wenn sich aus einer Rechtsvorschrift ergibt, dass sie ausgeschlossen ist. § 99 Abs. 2 Satz 3 SGB VI ist somit als Bestimmung in diesem Sinne zu verstehen, auch wenn die Regelung des § 27 Abs. 5 SGB X in § 99 SGB VI nicht wörtlich erwähnt ist. Der Ausschluss von § 27 Abs. 5 SGB X gilt nicht nur, wenn die Rechtsvorschrift die Wiedereinsetzung ausdrücklich ausschließt, sondern auch dann, wenn sich dies aus ihrem Sinn und Zweck ergibt, was durch Auslegung zu ermitteln ist (Mutschler in Kasseler Kommentar, Stand April 2012, § 27 SGB X, RdNr. 3 und 4). Für die frühere Vorschrift des Rentenbeginns bei Hinterbliebenenrente, § 1290 Reichsversicherungsordnung (RVO), und für andere Vorschriften, die den Beginn einer laufenden Leistung bestimmen, wurde davon ausgegangen, dass der Zeitpunkt des Leistungsantrags maßgebend sein soll, weil er zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Entstehung der Einzelansprüche gehört und deshalb eine Wiedereinsetzung mit dem Ziel einer Vorverlegung des Leistungsbeginns nicht in Betracht kommt sowie weil sich der Antrag und die an ihn gebundenen materiell-rechtlichen Wirkungen nicht in die Vergangenheit zurückverlegen lassen. Der Antrag war in diesen Fällen nicht im eigentlichen Sinne fristgebunden und könnte jederzeit gestellt werden, seine Wirkung allerdings war grundsätzlich auf Gegenwart und Zukunft beschränkt. Das BSG (Urteil vom 25.10.1988 - 12 RK 22/87 - in juris) hat bei der Auslegung, ob für die betreffende Frist eine Wiedereinsetzung schlechthin ausgeschlossen ist, auf den Zweck der Frist abgestellt und ausgeführt, dass dies so auszulegen sei wie bei der früheren Rechtsprechung zur Gewährung von Nachsicht bei Versäumung materieller Fristen. Dort war außer auf die Verschuldensfreiheit beim Säumigen eine Abwägung seiner Interessen mit denen der Verwaltung gefordert und insoweit vor allem zu berücksichtigen, ob bei dem Säumigen erhebliche langfristig wirksame Interessen auf dem Spiel stehen. Bei dieser Interessenabwägung kann der Senat nicht feststellen, dass es für den Kläger um langfristige wirksame Interessen geht, vielmehr betrifft die abzulehnende Wiedereinsetzung nur den Anspruch in der Vergangenheit, wobei durch die ausdrückliche Regelung in § 99 Abs. 2 SGB VI eine Rückwirkung für 12 Kalendermonate bereits positiv rechtlich ausgesprochen wird. Die Interessenabwägung führt daher nicht dazu, dass entgegen dem Wortlaut der Bestimmung eine Wiedereinsetzung nach § 27 Abs. 3 SGB X zu erfolgen hat (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 28. Juli 1999 - L 16 RJ 133/99 -; in juris).

3. Der Kläger ist auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte er den Antrag auf Zahlung einer Witwerrente früher gestellt.

Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruchs setzt eine zurechenbare Pflichtverletzung eines Sozialleistungsträgers und einen hierdurch beim Betroffenen hervorgerufenen rechtlichen Nachteil auf dem Gebiet des Sozialrechts voraus; als Rechtsfolge ist der Zustand herzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde, wobei dies nur durch eine zulässige Amtshandlung geschehen darf (z.B. BSG, Urteil vom 02. Februar 2006 - B 10 EG 9/05 R -; BSG, Urteil vom 11. März 2004 - B 13 RJ 16/03 R -; BSG, Urteil vom 19. November 2009 - B 13 R 5/09 R - jeweils in juris). Für einen solchen Anspruch fehlt es bereits an einem rechtswidrigen Verhalten, nämlich einer Pflichtverletzung der Beklagten oder einer ihr zurechenbaren Pflichtverletzung eines anderen Leistungsträgers.

a) Die Beklagte hat dadurch, dass sie den Kläger zu keinem Zeitpunkt auf die Beantragung einer Witwerrente hingewiesen hat, keine (allgemeine) Hinweispflicht i. S. v. § 115 Abs. 6 SGB VI verletzt.

Nach § 115 Abs. 6 SGB VI sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen (Satz 1). In Richtlinien der Deutschen Rentenversicherung Bund kann bestimmt werden, unter welchen Voraussetzungen solche Hinweise erfolgen sollen (Satz 2). § 115 Abs. 6 SGB VI regelt als Spezialvorschrift zu § 14 SGB I eine generelle Hinweispflicht für Fallgestaltungen, in denen Berechtigte eine Leistung nur (rechtzeitig) erhalten können, wenn sie diese beantragen. Sinn und Zweck des § 115 Abs. 6 SGB VI ist es, die nicht ausreichend informierten Versicherten von Nachteilen aus dem Antragsprinzip zu bewahren (BSG, Urteil vom 14. November 2002 - B 13 RJ 39/01 R - in juris). Die Hinweispflicht setzt voraus, dass der Leistungsträger aufgrund der ihm bekannten (gespeicherten bzw. archivierten) Daten erkennen kann, dass alle Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind, und für die Bewilligung nur (noch) der Antrag des Berechtigten fehlt und dass die Adressaten derartiger Hinweise aufgrund des beim Rentenversicherungsträger gespeicherten und aufgrund allgemeiner Kriterien abrufbaren Datenbestands bestimmbar sind (BSG, Urteil vom 22. Oktober 1996 - 13 RJ 23/95 -; BSG, Urteil vom 09. Dezember 1997 - 8 RKn 1/97 -; BSG, Urteil vom 14. November 2002 - B 13 RJ 39/01 R -; jeweils in juris), es also keiner Nachfrage beim Adressaten oder an anderer Stelle bedarf, um den Beratungsbedarf zu erkennen (BSG, Urteil vom 25. Mai 2000 - B 10 LW 16/99 R -; BSG, Urteil vom 01. September 1999 - B 13 RJ 73/98 -; jeweils in juris; vgl. auch Abs. 2 der Präambel der "Richtlinien der Deutschen Rentenversicherung Bund gemäß § 115 Abs. 6 Satz 2 SGB VI"). Dies war vorliegend zu keinem Zeitpunkt vor der Antragstellung im November 2010 der Fall. Denn die Beklagte wusste nicht von der Existenz des Klägers als Ehemann der Versicherten, sondern hat von ihm erst durch die Antragstellung erfahren. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Beklagten aufgrund ihrer Angaben im Rentenantrag lediglich bekannt, dass die Versicherte - jedenfalls zum Zeitpunkt der Antragstellung - verheiratet war, der Antrag enthielt aber keinerlei Angaben zur Person des Ehemannes. Die Beklagte konnte ihrem Datenbestand nicht entnehmen, um welchen Versicherten es sich bei dem Ehemann der Versicherten handelte, ob die Ehe zum Zeitpunkt des Todesfalls überhaupt noch bestand, bei welchem Leistungsträger er versichert war und ob Ansprüche auf Witwerrente bestanden. Da sie nicht wissen konnte, dass der Kläger türkischer Staatsangehöriger ist, geht auch der Vortrag, diese seien immer bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern versichert, fehl. Veranlassung zu Nachforschungen bestand gerade nicht.

b) Es bestand auch keine Verpflichtung zu einer Anlass- oder Spontanberatung des Klägers nach §§ 14f SGB I. Eine Pflicht zur Anlass- oder Spontanberatung kommt bei Fallgestaltungen in Betracht, bei denen eine wirtschaftlich günstige Gestaltungsmöglichkeit offenkundig in Betracht kommt (BSG, Urteil vom 26. Oktober 1994 - 11 RAr 5/94 -; BSG, Urteil vom 05. August 1999 - B 7 AL 38/98 R -; BSG, Urteil vom 08. Oktober 1998 - B 8 KN 1/97 U R -; jeweils in juris). Beides setzt allerdings die Kenntnis der Person des zu Beratenden denklogisch voraus, die wie zuvor dargelegt fehlte.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

IV. Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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