L 4 R 4671/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 4309/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 4671/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist ein Überprüfungsantrag betreffend einen Aufhebungsbescheid, mit dem die Beklagte die ursprüngliche Rentenbewilligung aufgehoben und eine niedrigere neu festgesetzt hat.

Der Kläger, deutscher Staatsangehöriger, ist am 27. Dezember 1948 in Russland geboren. Er absolvierte eine Fachschulausbildung in der ehemaligen UdSSR und reiste am 03. Januar 1991 aus Kasachstan in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seit dem 01. Januar 2008 war er bei der N. GmbH (im Folgenden: N. GmbH) in B. als Maschinenbediener versicherungspflichtig beschäftigt. Am 17. Dezember 2003 schlossen der Kläger und die N. GmbH eine Vereinbarung über die Fortführung des Beschäftigungsverhältnisses ab dem 01. April 2004 als Altersteilzeitarbeitsverhältnis mit einer Arbeitsphase vom 01. Januar 2004 bis zum 30. Juni 2006 und einer Freistellungsphase vom 01. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2008.

Am 11. September 2008 beantragte der Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Im Antragsvordruck strich der Kläger die Einwilligung zur gesonderten Meldung und Hochrechnung nach § 194 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Der Verwaltungsvorgang enthält folgenden Vermerk vom 10. November 2008:

"Um den Vers. finanziell sicherzustellen, wird der Bx vorab erteilt. Der Vers. wünscht keine Hochrechnung des EG über den 30.9.2008 hinaus."

Mit Bescheid vom 11. November 2008 bewilligte die Beklagte ab dem 01. Januar 2009 Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe eines monatlichen Zahlbetrags von EUR 744,35. Der Berechnung lagen zusätzliche Entgeltpunkte (4,7288 Punkte) als Mindestentgeltpunkte bei geringem Arbeitsentgelt nach § 262 SGB VI für Pflichtbeitragszeiten bis 31. Dezember 1991 zu Grunde, weil sich aus dem Durchschnitt aller vollwertigen Pflichtbeiträge ein Durchschnitt von weniger als 0,0625 Entgeltpunkten ergab und die Entgeltpunkte deshalb pro Beitragsmonat auf 0,0625 Entgeltpunkte anzuheben waren. Die vollwertigen Pflichtbeitragszeiten ergaben beim Kläger 27,7230 Entgeltpunkte: 445 Monate = 0,0623 Punkte. Die Summe der Entgeltpunkte für alle Beitragszeiten belief sich auf 27,8577, nach der Erhöhung um die zusätzlichen Entgeltpunkte für 450 Monate Beitragszeit auf 32,5865. Bei der Berechnung der Rente waren Pflichtbeitragszeiten für die Zeit vom 01. Oktober bis 31. Dezember 2008 nicht berücksichtigt. Der Bescheid enthält auf Seite 2 folgenden Hinweis:

"- Hinsichtlich der Zeit vom 01. Oktober 2008 bis 31. Dezember 2008 haben wir, entsprechend Ihrem Wunsch im Rentenantrag keine Hochrechnung der bereits gemeldeten Entgelte bis 30. September 2008 veranlasst. Sobald die Meldung des tatsächlichen Entgelts bzw. die Jahresmeldung 2008 vorliegt, erhalten Sie einen weiteren Bescheid. Sollte sich bei der Neufeststellung der Rente ein niedrigerer Zahlbetrag ergeben, behalten wir uns vor, den Rentenbescheid zu korrigieren und überzahlte Beträge gem. § 50 Sozialgesetzbuch X zurückzufordern.-"

Nachdem die N. GmbH einen Nachweis über die Pflichtbeitragszeit aus Altersteilzeitarbeit vom 01. Oktober 2008 bis 31. Dezember 2008 erteilt hatte, berechnete die Beklagte im Versicherungsverlauf vom 17. März 2009 die Entgeltpunkte unter Berücksichtigung einer Pflichtbeitragszeit vom 01. Oktober bis 31. Dezember 2008 mit einem Entgelt von EUR 8.370,00 (= 0,2782 Entgeltpunkte) neu. Bei 28,0012 Entgeltpunkten für 448 Monate vollwertige Pflichtbeitragszeiten ergab sich ein Durchschnitt von 0,0629 Punkten. Zusätzliche Entgeltpunkte wurden daher nicht ermittelt. Die Summe der Entgeltpunkte für 453 Monate Beitragszeit belief sich auf 28,1359.

Mit Anhörungsschreiben vom 24. März 2009 teilte die Beklagte dem Kläger mit, es sei beabsichtigt, den Bescheid vom 11. November 2008 hinsichtlich der Rentenhöhe gemäß § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen und die Rente ab diesem Zeitpunkt nur noch in Höhe von EUR 642,95 netto zu zahlen. Da der Kläger einer Hochrechnung der maßgebenden Einnahmen für den Zeitraum 01. Oktober 2008 bis 31. Dezember 2008 in seinem Rentenantrag nicht zugestimmt habe, seien bei der Rentenberechnung lediglich die von der N.-GmbH gemeldeten Entgelte aus der Altersteilzeitbeschäftigung bis zum 30. September 2008 berücksichtigt worden. Inzwischen sei nach maschineller Übermittlung der maßgebenden beitragspflichtigen Einnahmen für die Zeit vom 01. Oktober 2008 bis 31. Dezember 2008 die Altersrente neu berechnet worden. Da diese zusätzlichen Beitragszeiten die Summe der Entgeltpunkte seiner Beitragszeiten von bisher 27,8577 Entgeltpunkte auf nunmehr 28,1359 Entgeltpunkte erhöhten, seien keine zusätzlichen Entgeltpunkte zu berücksichtigen. Nach § 45 SGB X dürfe ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsalt auch nach Unanfechtbarkeit mit Wirkung für die Vergangenheit oder für die Zukunft zurückgenommen werden, es sei denn, der Begünstigte habe auf seinen Bestand vertraut und dieses Vertrauen sei unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme schutzwürdig, was bei Verbrauch der Leistungen oder bei Vermögensdispositionen, die nicht oder nur mit erheblichen Nachteilen rückgängig zu machen seien, der Fall sei. Davon werde angesichts der kurzen Dauer des Rentenbezugs nicht ausgegangen. Im Rahmen der Ermessensausübung halte sie die beabsichtigte Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft für gerechtfertigt, denn der Rentenversicherungsträger müsse bei seiner Ermessensausübung beachten, dass die sachgerechte Verwendung der Mittel der Versichertengemeinschaft Vorrang vor dem persönlichen Interesse des Klägers habe und die ordnungsgemäße Rentengewährung den Gleichbehandlungsgrundsatz wahre. Der Kläger äußerte sich innerhalb der eingeräumten Frist von drei Wochen nicht.

Mit Bescheid vom 21. April 2009, der eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, stellte die Beklagte die Rente unter Berücksichtigung der Pflichtbeitragszeit vom 01. Oktober 2008 bis 31. Dezember 2008 neu fest. Sie nahm den Bescheid vom 11. November 2008 hinsichtlich der Rentenhöhe für die Zukunft (ab 01. Mai 2009) zurück und setzte den Leistungsbetrag in Höhe von netto EUR 642,95 fest. Begründung und Ermessenserwägungen entsprechen denen aus dem Anhörungsschreiben. Der Kläger legte keinen Widerspruch ein.

Am 18. März 2010 beantragte der Kläger die Überprüfung der Aufstellung der rentenrechtlichen Zeiten sowie die Neuberechnung der Altersrente. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Berücksichtigung weiterer Beitragszeiten zu einer geringeren Rente führe. Dies sei vom Gesetzgeber nicht gewollt und könne nicht Folge des § 262 SGB VI sein, der doch den sozialen Ausgleich bezwecke. Er habe auf die Höhe der zunächst festgesetzten Rente vertraut und seine Lebensplanung darauf eingerichtet. Die Herabsetzung um über EUR 100,- treffe ihn schwer und sei nunmehr unzumutbar. Bei der erstmaligen Festsetzung sei der Beklagten bekannt gewesen, dass Beitragszeiten unberücksichtigt geblieben seien. Dennoch sei er nicht darauf hingewiesen worden, dass es sich bei dem Bescheid vom 11. November 2008 um eine vorläufige Rentenberechnung handele und es zu einer Herabsetzung der Altersrente kommen könne. Daher sei sein Vertrauen auf die Endgültigkeit der Festsetzung besonders schutzwürdig, die Bescheidrücknahme unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft.

Mit Bescheid vom 30. März 2010 wies die Beklagte den Überprüfungsantrag zurück. Zur Begründung führte sie aus, dem Bescheid vom 11. November 2008 seien Mindestentgeltpunkte bei geringem Arbeitsentgelt zugrunde gelegt worden, da der Durchschnittswert 0,0623 Punkte betragen habe. Der Gesetzgeber habe die Anhebung auf höchstens 0,0625 Punkte begrenzt. Nach Übermittlung der Entgelte für die Zeit vom 01. Oktober bis 31. Dezember 2008 habe sich ein Durchschnittswert von 0,0629 ergeben, sodass zusätzliche Entgeltpunkte nicht mehr hätten zugrunde gelegt werden dürfen. Der Bescheid vom 11. November 2008 weise auf die Vorläufigkeit und die Möglichkeit der Rückforderung hin.

Mit Schreiben vom 09. April 2010 erhob der Kläger Widerspruch. Dieser wurde zunächst nicht begründet. Auf Anfrage der Beklagten vom 14. Mai 2010, ob der Kläger eine Vermögensdisposition getroffen habe, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen könne, trug der Kläger mit Schreiben vom 28. Mai 2010 vor, er habe Anfang Februar 2009 ein privates Darlehen aufgenommen und am 03. Februar 2009 ein Kraftfahrzeug zum Kaufpreis von EUR 12.300,- erworben. Bei Kalkulation seiner ratenweisen Rückzahlungsverpflichtung sei er von einem Zahlbetrag der Rente von EUR 744,35 ausgegangen. Diese Vermögensdisposition könne er nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen, weil das Fahrzeug von einem markengebundenen Fachhändler erworben worden sei und der Kaufpreis um mehrere Tausend Euro vom Verkaufspreis abweiche. Die Rückveräußerung sei daher mit erheblichen finanziellen Einbußen verbunden. Zudem könne eine Neufeststellung nur aufgrund veränderter Umstände im Zusammenhang mit der Jahresabrechnung 2008 erfolgen. Die Neufestsetzung sei jedoch fast vier Monate nach der Jahresabrechnung erfolgt. Damit habe er nicht rechnen müssen. Der Kläger legte den Kaufvertrag vom 03. Februar 2009, Fahrzeugschein und Fahrzeugbrief, aber keinen Darlehensvertrag vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 2010 wies der bei der Beklagten eingerichtete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Zur Begründung wiederholte er die bisherigen Ausführungen. Ergänzend führte er aus, dass der Erwerb eines Autos keine Vermögensdisposition darstelle, die nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig gemacht werden könne, weil dieses ohne unzumutbare Nachteile wieder veräußert werden könne.

Mit seiner an das Sozialgericht Karlsruhe (SG) gerichteten Klage vom 14. Oktober 2010 verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung trug er vor, die Beklagte habe den Überprüfungsantrag zu Unrecht abgelehnt. Die Beklagte habe bei der Rücknahme des Rentenbescheides vom 11. November 2008 und Neuberechnung der Rente das Recht unrichtig angewandt. Die Neufestsetzung weise offensichtliche Fehler auf. Im Übrigen wiederholte der Kläger sein bisheriges Vorbringen.

Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid entgegen.

Mit Urteil vom 20. Juli 2011 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der Bescheid vom 30. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2010 sei rechtmäßig, der Bescheid vom 21. April 2009 sei nicht aufzuheben gewesen. Rechtsgrundlage sei § 45 SGB X. Dessen Voraussetzungen lägen vor, denn der Bescheid vom 11. November 2008 sei rechtswidrig gewesen, weil zu Unrecht die Entgeltpunkte gemäß § 262 SGB VI erhöht worden seien. Unter Berücksichtigung der Beitragszeiten vom 01. Oktober bis 31. Dezember 2008 habe der Kläger einen Durchschnittswert von 0,0625 Entgeltpunkten erzielt, weshalb kein Anlass für eine Erhöhung durch zusätzliche Entgeltpunkte gegeben gewesen sei. Vertrauensschutz stehe der Rücknahme nicht entgegen, denn der Kläger habe gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt. Der Kläger sei in dem Bescheid vom 11. November 208 darauf aufmerksam gemacht worden, dass ein weiterer Bescheid ergehen werde, sobald die Meldung des Entgelts für den noch nicht berücksichtigten Zeitraum vorliege. Die Beklagte habe auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich ein niedrigerer Zahlbetrag ergeben könne. Daher stellten vor der endgültigen Festsetzung der Rentenhöhe getätigte Anschaffungen des Klägers keine schutzwürdige Vermögensdisposition dar. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht. § 262 SGB VI sei als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Zweck der Vorschrift sei ein Ausgleich für Versicherte, die über einen langen Zeitraum nur ein geringes Arbeitseinkommen bezogen hätten. Dieses Ausgleichs habe es für den Kläger nach Berücksichtigung aller Beitragszeiten nicht bedurft. Die Ermessensausübung lasse keine Fehler erkennen.

Gegen das über seinen Bevollmächtigten am 19. September 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19. Oktober 2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt er sein bisheriges Vorbringen und trägt weiter vor, es bestünden erhebliche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der starren Grenze von weniger als 0,0625 Entgeltpunkten in § 262 SGB VI. Dieses alles verstoße gegen das Gleichheitsgebot. Es sei widersinnig, dass er aufgrund von drei Monaten zusätzlicher Beitragsleistung 13,5 % weniger Rente erhalte. Vielmehr müsse unterhalb eines bestimmten Entgeltpunktedurchschnitt linear aufgestockt werden und diese Aufstockung müsse sanft auslaufen. Der Kläger hat nach Aufforderung seitens des Senats den Darlehensvertrag vom 05. Februar 2009 vorgelegt. Danach hat er am selben Tag einen Betrag von EUR 10.000,00 erhalten, der in monatlichen Raten von EUR 200,00 bis EUR 300,00 zurückzuzahlen ist. Er hat hierzu vorgetragen, sein Vertrauen auf den ursprünglichen Bescheid sei schutzwürdig, weil eine Beratung seitens der Beklagten nicht erfolgt sei. Angesichts der monatlichen Rente von EUR 642,95 sei er unabhängig davon, ob er EUR 200,00 oder EUR 300,00 zurückzahle, auf soziale Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) angewiesen. Eine rechtzeitige und korrekte Beratung hätte ihm die Möglichkeit gegeben, eine niedrigere Rente zu vermeiden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. Juli 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 30. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 21. April 2009 zurückzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und bezieht sich im Übrigen auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach §§ 124 Abs. 2, 153 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Sie ist statthaft, weil sie gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

II. Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 30. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2010, mit dem die Beklagte die Rücknahme des Aufhebungsbescheides vom 21. April 2009 abgelehnt hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, weil der Bescheid vom 21. April 2009 rechtmäßig ist.

1. Rechtsgrundlage für die teilweise Rücknahme des Bescheids vom 11. November 2008 durch den Bescheid vom 21. April 2009 ist § 45 SGB X und nicht § 48 SGB X.

Die Anwendungsbereiche der §§ 45 und 48 SGB X grenzen sich nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes, der aufgehoben werden soll, ab. § 45 SGB X findet Anwendung, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war und deswegen zurückgenommen werden soll; dagegen kommt eine Aufhebung nach § 48 SGB X in Betracht, wenn nach Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung eine wesentliche Änderung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eingetreten ist. Erlassen ist ein Verwaltungsakt in dem Zeitpunkt, in dem er dem Adressaten bekanntgegeben und damit wirksam wurde (zum Ganzen z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 16. Dezember 2008, B 4 AS 48/07 R, in juris, m. w. N.;).

Der Bescheid vom 11. November 2008 war bei seinem Erlass rechtswidrig. Soweit die Beklagte im Bescheid vom 11. November 2008 bei der Berechnung der Rente rentenrechtliche Zeiten bis 30. September 2008 berücksichtigte, entspricht die Berechnung der Höhe der Rente zwar den gesetzlichen Bestimmungen. Der Bescheid vom 11. November 2008 war bei seinem Erlass jedoch rechtswidrig, weil er nicht alle vom Kläger zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten berücksichtigte. Die Pflichtbeitragszeit vom 01. Oktober bis 31. Dezember 2008 fehlte.

a) Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt (begünstigender Verwaltungsakt), der rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Der Bescheid vom 11. November 2008 ist ein begünstigender Verwaltungsakt. Denn er gewährt dem Kläger eine (höhere) Altersrente.

Nach § 45 Abs. 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (Satz 1). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Satz 2). Auf Vertrauen kann sich nach Satz 3 der Vorschrift der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

b) Der Kläger hat keine Vermögensdisposition getroffen, die er nicht oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Der Kauf des Pkws ist angesichts des Kaufpreises von EUR 12.300,00 auch bei einer Altersrente mit dem anfänglichen monatlichen Zahlbetrag von EUR 744,35 nicht allein mit den Rentenzahlungen zu leisten. Im Übrigen kann der PKW jederzeit verkauft werden, falls er nicht mehr finanziert werden könnte.

Hinsichtlich des Darlehensvertrages besteht eine Verpflichtung zur Rückzahlung im Bereich von EUR 200,00 bis EUR 300,00. Der Kläger kann den vereinbarten geringeren Betrag zurückzahlen.

c) Die Voraussetzungen eines Ausschlusses von Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1 und 2 SGB X liegen nicht vor. Insbesondere hat der Kläger keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben im Rentenantrag gemacht. Vielmehr wollte er ausdrücklich nicht die Hochrechnung der voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahmen für die letzten drei Monate vor Rentenbeginn, hier Oktober bis Dezember 2008.

d) Die Voraussetzungen eines Ausschlusses von Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X wegen Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes oder grob fahrlässiger Unkenntnis liegen vor. Aufgrund seiner Angaben im Rentenantrag wusste der Kläger, dass bei der Berechnung der Rente im Bescheid vom 11. November 2008 die Pflichtbeitragszeiten von Oktober bis Dezember 2008 nicht berücksichtigt waren. Denn er schloss ausdrücklich die Hochrechnung der Entgelte für diesen Zeitraum aus. Bereits deshalb musste mit einer neuen Berechnung der Rente rechnen. Die Beklagte wies ihn zudem im Bescheid vom 11. November 2008 auch nochmals ausdrücklich darauf hin, dass für die Monate Oktober bis Dezember 2008 entsprechend seinem Wunsch keine Hochrechnung der bis 30. September 2008 gemeldeten Entgelte erfolgte und nach Vorliegen der tatsächlichen Entgelte bzw. der Jahresmeldung 2008 ein weiterer Bescheid ergehen werde. Die Beklagte behielt sich für den Fall eines niedrigeren Zahlbetrages ausdrücklich vor, den Rentenbescheid zu korrigieren und überzahlte Beträge zurückzufordern. Auch aus dem dem Bescheid vom 11. November 2008 beigefügten Versicherungsverlauf (Anl. 2) ist dies ohne weiteres erkennbar, denn die Aufstellung der rentenrechtlichen Zeiten endet mit dem 30. September 2008.

e) Die Beklagte hat das ihr eingeräumte Ermessen im Bescheid vom 21. April 2009 ausreichend ausgeübt. Nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG ist ein Verwaltungsakt auch dann rechtswidrig, wenn die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt war, nach ihrem Ermessen zu handeln, jedoch die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Ermessen ist im Bereich des § 45 SGB X immer auszuüben, nicht nur in "atypischen Fällen" wie bei der Soll-Verpflichtung zur Aufhebung eines Bescheids nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X (vgl. Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 45 RdNr. 79 m.w.N.). Nur Umstände zugunsten des Begünstigten, die ebenso schwer wiegen wie das ihm konkret vorzuwerfende Verhalten, können die Behörde dazu veranlassen, von der an sich zulässigen Rücknahme des Verwaltungsaktes ganz oder teilweise abzusehen. Gegen eine (vollständige) Rücknahme kann z.B. ein besonders grobes Verschulden der Behörde sprechen, etwa wegen fehlerhafter oder undeutlicher Fragestellungen. Auch die wirtschaftliche Situation des Begünstigten ist zu berücksichtigen, die Rücknahme kann ermessensfehlerhaft sein, wenn sie für ihn - auch unter Berücksichtigung der Ansprüche auf Stundung (§ 76 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - SGB IV -) und Ratenzahlung - eine unbillige Härte darstellt (zu allem vgl. Schütze, a.a.O., RdNr. 90 m.w.N.).

Die Beklagte hat erkannt, dass sie für die teilweise Rücknahme des Bescheids vom 11. November 2008 Ermessen auszuüben hat. Sie hat im Bescheid vom 21. April 2009 ausdrücklich ausgeführt, auch im Rahmen ihres Ermessens halte sie die Rücknahme des Bescheids lediglich mit Wirkung für die Zukunft für gerechtfertigt. Sie hat die Rücknahme für die Zukunft damit begründet, der Rentenversicherungsträger habe zu beachten, dass die sachgerechte Verwendung der Mittel der Versichertengemeinschaft Vorrang vor den persönlichen Interessen des Klägers habe und die ordnungsgemäße Rentengewährung zur Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 3 Grundgesetz (GG) beitrage.

Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Sie ist grundsätzlich gehalten, nur die Leistungen zu zahlen, die den Versicherten nach den gesetzlichen Vorschriften zustehen. Der Kläger selbst hat vor Erlass des Bescheides vom 21. April 2009 keine Tatsachen vorgetragen, die die Beklagte in ihre Ermessenserwägungen hätte einstellen müssen, denn er hat sich auf die Anhörung nicht geäußert.

Von Amts wegen hätte die Beklagte bei der Ausübung des Ermessens allenfalls berücksichtigen müssen, wenn durch ein fehlerhaftes Verhalten ihrerseits die rechtswidrige Bewilligung erfolgte. Insoweit könnte eine erhöhte Beratungspflicht der Beklagten im Zusammenhang mit der vom Kläger gewünschten Berechnung der Altersrente zunächst ohne die Pflichtbeitragszeit von Oktober bis Dezember 2008 bestanden haben. Die Berechnungen der Rente mit oder ohne Hochrechnung der letzten drei Monate Pflichtbeitragszeiten vor dem Rentenbeginn war problematisch, da sie zu unterschiedlichen Ergebnissen führte. Die Beklagte musste daher vor dem Erlass des Rentenbescheids prüfen, welche Auswirkungen die jeweiligen möglichen Vorgehensweisen haben und den Versicherten entsprechend darauf hinweisen. Es gilt insoweit das gleiche wie bei den Fällen, in denen die Berechnung der Rente aufgrund der Hochrechnung der voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahmen nach § 194 Abs. 1 SGB VI erfolgt.

Allerdings ist das Unterbleiben dieser gesonderten Beratung im vorliegenden Fall nicht kausal für die dem Kläger zu zahlende geringere Rente. Denn die Beklagte hätte den Kläger allenfalls darauf hinweisen können, die Entscheidung über den Rentenantrag hinauszuschieben, bis die N. GmbH die Entgelte für die Monate Oktober bis Dezember 2008 meldete und erst danach zu entscheiden. In diesem Fall wäre von vornherein der niedrigere monatliche Zahlbetrag der Altersrente festgesetzt worden. Der Kläger hatte auch keine Möglichkeit, bei entsprechender Beratung die zusätzlichen Beitragszeiten für Oktober bis Dezember 2008 zu vermeiden, denn er befand sich nach Ziff. III 23., VI 1.c. der Altersteilzeitvereinbarung vom 17. Dezember 2003 in der Freistellungsphase, während der unabhängig von der Arbeitsfähigkeit der Durchschnittswert der Entgeltbestandteile der Arbeitsphase zu zahlen waren. Das Entgelt für die Freistellungsphase, auch die Zeit von Oktober bis Dezember 2008, war vom Kläger durch seine Arbeitsleistung während der Arbeitsphase bereits verdient, so dass Änderungen während der Freistellungsphase sich nicht ausgewirkt hätten.

Aus diesem Grund liegen auch die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht vor. Denn Voraussetzung für das Eingreifen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist u.a., dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers insbesondere zu Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 SGB I) und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 28. September 2010 - B 1 KR 31/09 R - in juris).

2. Der Bescheid vom 21. April 2009 ist nicht aus anderen Gründen rechtswidrig. Insbesondere entspricht die Berechnung der Altersrente des Klägers den gesetzlichen Bestimmungen. Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden (§ 64 SGB VI). Die Höhe der Rente richtet sich vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§ 63 Abs. 3 SGB VI). Das in den einzelnen Kalenderjahren durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen wird in Entgeltpunkte umgerechnet (§ 63 Abs. 2 Satz 1 SGB VI), und zwar nach Maßgabe des § 70 SGB VI, bei vom Rentenversicherungsträger nach § 194 SGB VI errechneten Einnahmen nach Maßgabe des § 70 Abs. 4 SGB VI.

a) Die Voraussetzungen des § 262 SGB VI liegen nicht vor. Danach wird die Summe der Entgeltpunkte für Beitragszeiten erhöht, wenn mindestens 35 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten vorhanden sind und sich aus den Kalendermonaten mit vollwertigen Pflichtbeitragszeiten ein Durchschnittswert von weniger als 0,0625 Entgeltpunkten ergibt. Die Vorschrift regelt die Mindestbewertung von Pflichtbeitragszeiten und soll einen sozialen Ausgleich für Versicherte schaffen, die über einen längeren Zeitraum hinweg nur geringes Arbeitseinkommen bezogen haben (Polster in Kasseler Kommentar, Stand 01. April 2012, RdNr. 2 zu § 262 SGB VI). Beim Kläger ergaben aber alle vollwertigen Pflichtbeitragszeiten von 448 Monaten mit 28,0012 Entgeltpunkten, im Ergebnis 0,0625 Entgeltpunkte. Für den Senat besteht kein Zweifel daran, dass bei der Ermittlung der Entgeltpunkte bei Anwendung dieser Vorschriften stets der tatsächliche Versicherungsverlauf des Betroffenen zu Grunde zu legen ist. Die Anwendung einer "Rosinentheorie" dergestalt, dass (indirekte) nachteilige Auswirkungen bestimmter rentenrechtlicher Zeiten durch deren Verschweigen ausgeblendet werden, um dadurch einen höheren Rentenanspruch zu realisieren, kommt nicht in Betracht (vgl. Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Oktober 2012, L 10 R 2361/12, nicht veröffentlicht).

b) Die Regelung verstößt nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 GG. Ein Verstoß gegen die gesetzgeberische Intention ist nicht erkennbar, ebenso wenig ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Kläger sieht die Ungleichbehandlung darin, dass bei der Mindestbewertung nach § 262 SGB VI alle vollwertigen Beitragszeiten zu berücksichtigen sind, auch wenn dies zu einer niedrigeren Rente führt als bei Außerachtlassung von Beitragszeiten und Anwendung des § 262 SGB VI. Dies begegnet jedoch keinen Bedenken. Bei der Privilegierung von Zeiten mit geringem Verdienst ist es nicht willkürlich, dass der Gesetzgeber eine Grenze zieht. Der Kläger vergleicht hier letztlich unterschiedliche Versicherungsverläufe, die angesichts der Komplexität der sozialen Ausgleichsmechanismen nicht vereinfachend gleichgesetzt werden können. Im Rahmen der dem Gesetzgeber zustehenden Typisierung und Pauschalisierung (allgemein dazu s. u.a. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts [BVerfG] vom 06. Juli 2010, 2 BvL 13/09 in juris) stellt es keinen verfassungsrelevanten Verstoß dar, wenn sich verschiedene Ausgleichsmechanismen nicht zwingend rentensteigernd ergänzen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Oktober 2012, L 10 R 2361/12, nicht veröffentlicht).

3. Die für die Rücknahme maßgeblichen Fristen nach § 45 Abs. 3, Abs. 4 SGB X sind eingehalten.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

IV. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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