L 15 SF 10/12 B E

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 SF 992/10 E
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 10/12 B E
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
Der Gebührentatbestand Nr. 3103 VV RVG setzt in Bezug auf die im Verwaltungsverfahren oder Widerspruchsverfahren vorausgegangene Tätigkeit des im Gerichtsverfahren beigeordneten Anwalts nicht voraus, dass dem Anwalt aus dieser Tätigkeit tatsächlich ein Honorar zugeflossen ist.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 27. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Das Beschwerdeverfahren betrifft die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung nach §§ 45 ff. RVG.

Der Beschwerdeführer vertrat die damalige Klägerin in einem schwerbehindertenrechtlichen Klageverfahren vor dem Sozialgericht München (Aktenzeichen S 9 SB 208/10). Vorher war er bereits im Widerspruchsverfahren für diese tätig geworden; er hatte den Widerspruch eingelegt, danach hatte das Mandatsverhältnis sein Ende gefunden. Der Klägerin wurde für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und der Beschwerdeführer gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 121 ZPO beigeordnet. Als Vorschuss auf die im Rahmen der Prozesskostenhilfe zu leistenden Zahlungen setzte das Sozialgericht 226,10 EUR fest. Das Klageverfahren endete durch außergerichtlichen Vergleich; zu einem Termin kam es nicht.

Nach Beendigung des Klageverfahrens veranschlagte der Beschwerdeführer in seinem auf den 05.05.2011 datierten Kostenerstattungsantrag für die Verfahrensgebühr 250 EUR, wobei er als Rechtsgrundlage Nr. 3103 VV RVG angab. Weiter machte er eine Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG) in Höhe von 200 EUR sowie eine Einigungsgebühr (Nr. 1000, 1005, 1006 VV RVG) in Höhe von 190 EUR geltend. Unter dem Datum 13.05.2011 setzte die Urkundsbeamtin beim Sozialgericht München unter anderem eine Verfahrensgebühr von 170 EUR nach Nr. 3103 VV RVG sowie die vom Beschwerdeführer beantragte Einigungsgebühr fest. Eine Terminsgebühr erkannte es nicht zu. Zur Höhe der Verfahrensgebühr führte die Urkundsbeamtin zur Begründung aus, der Klagefall sei als durchschnittlich einzustufen. In Bezug auf die Nichtberücksichtigung einer Terminsgebühr machte die Urkundsbeamtin darauf aufmerksam, ein Termin habe nicht stattgefunden. Eine fiktive Terminsgebühr sei nicht angefallen, weil eine Erledigung im Gefolge eines außergerichtlichen Vergleichs keine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG auszulösen vermöge.

Zur Begründung der dagegen eingelegten Erinnerung hat der Beschwerdeführer vorgetragen - wobei die handschriftliche Äußerung nur sehr schwer lesbar ist -, es seien umfangreiche "Vorakten" bei der Klageerhebung zu berücksichtigen gewesen. Die Kostenrichterin beim Sozialgericht München hat mit Beschluss vom 27.12.2011 den von der Staatskasse neben dem geleisteten Vorschuss noch zu zahlenden Betrag auf 236,81 EUR festgesetzt und damit in vollem Umfang die Festsetzung der Urkundsbeamtin bestätigt. Die Verfahrensgebühr, so die Kostenrichterin zur Begründung, sei wegen der Vorbefassung des Beschwerdeführers im Widerspruchsverfahren nach Nr. 3103 VV RVG festzusetzen gewesen. Dass er für seine Tätigkeit im Widerspruchsverfahren tatsächlich keine Zahlungen erhalten habe, führe nicht dazu, dass der Betragsrahmen nach Nr. 3102 VV RVG heranzuziehen sei. § 15a RVG sei nicht einschlägig, weil es sich bei der Heranziehung des niedrigeren Betragsrahmens nach Nr. 3103 statt Nr. 3102 VV RVG nicht um eine Gebührenanrechnung handle. Nr. 3103 VV RVG sei bereits dann anzuwenden, wenn es wie hier zu einer entsprechenden Vortätigkeit gekommen sei. Der Ansatz der Mittelgebühr nach dem Betragsrahmen Nr. 3103 VV RVG sei gerechtfertigt, da es sich um einen Durchschnittsfall gehandelt habe. Im Übrigen hat die Kostenrichterin vollinhaltlich auf die Begründung der Urkundsbeamtin verwiesen.

Mit seiner am 30.12.2011 eingelegten Beschwerde begehrt der Beschwerdeführer die Festsetzung der Vergütung gemäß seinem Antrag vom 05.05.2011. Soweit seine - wiederum handschriftliche - Begründung lesbar ist, macht er erstens geltend, im Rahmen von Nr. 3104 VV RVG würde eine Erledigung nach außergerichtlichem Vergleich unstreitig eine Terminsgebühr auslösen. Außerdem habe es keine Tätigkeit von seiner Seite im Widerspruchsverfahren gegeben.

II.

Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG).

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Die Beschwerde ist auch fristgerecht eingelegt worden.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die dem Beschwerdeführer zustehende Vergütung richtig festgesetzt.

Der Streitgegenstand im Beschwerdeverfahren umfasst den Vergütungsanspruch des Beschwerdeführers in vollem Umfang. Denn die Kostenrichterin hat, wie es zum Beispiel § 4 JVEG gebietet, eigenständig und komplett über den Vergütungsanspruch entschieden. Der Beschwerdeführer hat seine Beschwerde dem Streitgegenstand nach auch nicht eingeschränkt, sondern vielmehr klar gestellt, er begehre die von ihm unter dem Datum 05.05.2011 angesetzte Vergütung. Nicht Streitgegenstand ist dagegen die mit Schriftsatz vom 19.03.2012 geltend gemachte "Geschäftsgebühr" geworden, die der Beschwerdeführer mit "Nr. 5400 VV" begründet hat. Unabhängig davon, dass das Vergütungsverzeichnis keine derartige Tarifstelle kennt, ist eine Geschäftsgebühr - der Beschwerdeführer meint wohl nach Nr. 2400 VV RVG - nicht Gegenstand des Festsetzungs- und Erinnerungsverfahrens gewesen. Somit versucht der Beschwerdeführer, eine der Klageänderung vergleichbare "Antragsänderung" zu erreichen. Da diese aber nicht sachdienlich ist, wird der Streitgegenstand durch sie nicht erweitert.

Der Beschwerdeführer rügt, das Sozialgericht habe zu Unrecht keine Terminsgebühr festgesetzt und sei bei der Verfahrensgebühr zu Unrecht von dem niedrigeren Betragsrahmen Nr. 3103 VV RVG - statt Nr. 3102 VV RVG - ausgegangen. Beides ist indes rechtens.

Im Hinblick auf die Terminsgebühr hat der vormalige Berichterstatter den Beschwerdeführer bereits umfassend mit Schriftsatz vom 15.03.2012 aufgeklärt. Bei Erledigung durch außergerichtlichen Vergleich fällt keine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG an. Der außergerichtliche Vergleich darf insoweit nicht einem angenommenen Anerkenntnis gleichgesetzt werden. Zur näheren Begründung wird vollumfänglich auf die Senatsbeschlüsse vom 22.11.2011 - L 15 SF 69/11 B E sowie vom 25.07.2012 - L 15 SF 145/10 B E verwiesen, wo auch verfassungsrechtliche Fragen erörtert worden sind. Eine weitere Begründung erscheint daneben entbehrlich.

Im Hinblick auf die Verfahrensgebühr, die der Beschwerdeführer nach dem Betragsrahmen Nr. 3102 VV RVG bemessen haben möchte, wird vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen der Kostenrichterin verwiesen. Ergänzend sei dazu angemerkt, dass § 15a Abs. 1 RVG keinerlei Regelung zu der hier interessierenden Frage trifft, ob der aus der Sicht des Beschwerdeführers günstigere Betragsrahmen nach Nr. 3102 VV RVG oder der nach Nr. 3103 VV RVG anzuwenden ist. Aus der Norm lassen sich auch keine mittelbaren

Folgerungen ziehen, die man zu Gunsten des Beschwerdeführers verwerten könnte. Man kommt nicht daran vorbei, dass es für die Einschlägigkeit des Betragsrahmens nicht darauf ankommt, ob im vorgerichtlichen Verfahren tatsächlich Einnahmen haben erzielt werden können; Nr. 3103 VV RVG knüpft vielmehr typisierend an die regelmäßige Faktizität an, dass der Anwalt bei einer Vorbefassung weniger Arbeitsaufwand hat. Eine derartige Vorbefassung hat hier vorgelegen. Anders als der Beschwerdeführer zuletzt behauptet hat, war er im Widerspruchsverfahren sehr wohl für die Klägerin tätig. Das Versorgungsamt A-Stadt (Frau E.) hat am 06.12.2012 telefonisch mitgeteilt, der Beschwerdeführer habe am 09.04.2009 ohne Begründung Widerspruch eingelegt. Am 15.04.2009 habe die Klägerin einen Verschlimmerungsantrag gestellt; sie hat damit noch während des laufenden Mandats quasi den Widerspruch "begründet". Am 06.05.2009, so Frau E. weiter, habe der Beschwerdeführer dann die Beendigung der Vertretung mitgeteilt. Diese Tätigkeit genügt, um die Gebühr nach Nr. 3103 VV RVG zur Entstehung kommen zu lassen.

Der Senat hat für die Unzufriedenheit des Beschwerdeführers durchaus Verständnis, weil dieser in dem Widerspruchsverfahren vermutlich nicht so intensiv tätig war, dass die Vorbefassung ihm das Klageverfahren wesentlich erleichtert hätte. Wenn es um die Bestimmung des einschlägigen Gebührentatbestands geht, darf aber nicht danach differenziert werden, in welcher Tiefe ein Anwalt im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren mit der Materie befasst war. Der Gesetzgeber hat mit Nr. 3103 VV RVG vielmehr eine zulässig typisierende Regelung getroffen. Verfassungsrechtlich ist nicht geboten, bei der Bemessung im Einzelfall die individuellen und konkreten Besonderheiten in größerem Maß zu berücksichtigen und für das Tatbestandsmerkmal von Nr. 3103 VV RVG "Tätigkeit im Verwaltungsverfahren" eine besondere Qualifizierung zu fordern.

Auch im Übrigen vermag der Senat keine Anhaltspunkte zu erkennen, die Entscheidung der Kostenrichterin könnte fehlerhaft sein.

Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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