S 20 SO 75/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 75/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt als Rechtsnachfolgerin der verstorbenen Heimbewohnerin JS von dem beklagten Sozialhilfeträger die Übernahme weiterer Kosten für die Heimpflege der JS in Höhe von 9.110,34 EUR.

Die 0000 geborene JS übertrug durch notariellen Vertrag vom 28.02.1997 ihrer Tochter V.P., die seit 1996 auch ihre Generalbevollmächtigte ist, den in ihrem Alleineigentum befindlichen Grundbesitz in Kaarst (Kreis Neuss). Als Gegenleistung übernahm die Tochter eine Darlehenshypothek von 25.000,00 DM, als "dauernde Last" die Verpflichtung, ihrer Mutter ab März 1997 monatlich 500,00 DM zu zahlen; der Betrag war jährlich an den Lebenshaltungsindex des Vorjahres anzupassen (Grundlage: 1991=100), die Verpflichtung, ihrer Mutter lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht zu gewähren.

Auf der Grundlage des Lebenshaltungsindex waren monatlich zu zahlen: 1997: 500,00 DM 1998: 509,50 DM 1999: 514,09 DM 2006: 290,29 EUR 2007: 295,23 EUR 2008: 301,72 EUR 2009: 309,86 EUR.

JS bezog eine Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und eine Werksrente im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung. Die Witwenrente betrug bis Juni 2007 monatlich netto 667,03 EUR und steigerte sich bis Juli 2009 auf 694,35 EUR. Die Werksrente betrug bis Juni 2008 monatlich netto 433,00 EUR, danach 464,00 EUR. Von 2001 bis Mai 2007 lebte JS im Haus in Kaarst. Ab 09.05.2007 wohnte sie in der Einrichtung der Klägerin, wo sie stationär gepflegt wurde, bis sie am 30.12.2009 verstarb. Für die Zeit der stationären Heimpflege erhielt JS von der Pflegeversicherung bis November 2009 Leistungen nach Pflegestufe I in Höhe von monatlich 1.023,00 EUR, für Dezember 2009 Leistungen nach Pflegestufe II in Höhe von 1.279,00 EUR. Vom Beklagten erhielt sie darüber hinaus Pflegewohngeld, das sich von ursprünglich 416,75 EUR auf zuletzt 676,36 EUR steigerte. Das Pflegegeld und das Pflegewohngeld wurden von der Pflegeversicherung bzw. vom Beklagten jeweils unmittelbar an die Klägerin gezahlt.

Am 12.06.2007 beantragte die Klägerin – allgemein, ohne Bezug auf einen konkreten Heimbewohner – die Förderung ihrer Aufwendungen für Investitionskosten für den Monat Mai 2007.

Am 25.07.2007 beantragte die Tochter der JS die Übernahme der ungedeckten Heimkosten für die Pflege ihrer Mutter aus Sozialhilfemitteln. Im Rahmen der Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse legte die Tochter Konto-, Einkommens- und Ausgabenbelege vor, u.a. den Notarvertrag vom 28.02.1997 über die Grundbesitzübertragung. In einem Schreiben vom 26.07.2007 erklärte die Tochter u.a., die "dauernde Last" erfolge durch monatliche Barauszahlung in Höhe von "jetzt 250,00 EUR"; in einem Schreiben vom 21.11.2007 erklärte sie, die Zahlung für die dauernde Last werde inzwischen in Höhe von 295,23 EUR geleistet bzw. überschritten.

Mit Schreiben vom 03.03.2008 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass die Heimbewohnerin monatlich Einnahmen aus Witwenrente, Werksrente und einer Leibrente (dauernde Last) in Höhe von insgesamt 1.398,84 EUR habe. Als die Klägerin am 04.04.2008 die Entscheidung über den Sozialhilfeantrag anmahnte, forderte der Beklagte die Tochter der Heimbewohnerin wiederholt auf, Unterlagen vorzulegen und Angaben zu machen, anderenfalls er beabsichtige, bei Nichtbeantwortung des Schreibens der Klägerin eine Kostenzusage zu erteilen. Dies teilte er auch unmittelbar mit Schreiben vom 26.05.2008 der Klägerin mit. Weil die Tochter jedoch mit Schreiben vom 18.05.2008 auf die Anfrage der Beklagten antwortete, kam es zu der angekündigten Kostenzusage des Beklagten gegenüber der Klägerin nicht.

Vielmehr lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 24.02.2009 den Sozialhilfeantrag ab. Zur Begründung legte er dar, dass der Sozialhilfebedarf ab Juli 2007 monatlich 2.788,66 EUR, ab April 2008 monatlich 2.829,06 EUR betrage. Nach Abzug von Pflegegeld und Pflegewohngeld verbleibe ab Juli 2007 ein monatlicher Bedarf von 1.348,85 EUR bzw. ab April 2008 ein solcher von 1.355,34 EUR. Dieser Restbedarf werde von dem Einkommen, das die Klägerin aus der Witwenrente, der Werksrente und der Leibrente habe, nämlich ab Juli 2007 monatlich 1.338,84 EUR und ab April 2008 1.405,33 EUR, überstiegen, sei also gedeckt. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 30.12.2009 verstarb die Heimbewohnerin JS.

Am 05.05.2010 beantragte die Klägerin die Aufhebung bzw. Abänderung des Ablehnungsbescheides vom 24.02.2009 mit der Begründung, seit August 2010 lägen neue Tatsachen zur Vermögens- und Einkommenslage der ehemaligen Heimbewohnerin JS vor, die bis dahin nicht bekannt gewesen seien. Die Klägerin behauptete u.a., ein Anspruch auf Leibrentenzahlung habe nicht ermittelt werden können; eine entsprechende monatliche Zahlung sei nicht erfolgt. Die Klägerin bezifferte ihre noch offene Forderung nach dem Tod der Heimbewohnerin mit 19.172,71 EUR. Sie behauptet, die Einnahmen der Heimbewohnerin hätten nicht ausgereicht, die Kosten zu decken. Die Klägerin vertrat die Auffassung, die Kostenzusageabsichtserklärung des Beklagten vom 26.05.2008 stelle unter Berücksichtigung des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R – eine "befreiende Schuldübernahme" mit der Folge dar, dass die Heimbewohnerin JS von ihrer Verpflichtung zur Zahlung des Heimentgelts gegenüber der Einrichtung in voller Höhe frei geworden sei, während seitens des Beklagten eine bedarfsdeckende Übernahmeverpflichtung der Einrichtung gegenüber bestehe.

Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Rücknahme des Bescheides vom 24.02.2009 gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab mit dem Hinweis, er habe bei Erlass des Bescheides das Recht richtig angewandt und sei nicht von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Das vom BSG festgelegte Prinzip eines Schuldbeitritts bedeute, dass erst mit der Erteilung eines Bewilligungsbescheides gegenüber den Leistungsberechtigten ein eigener unmittelbarer Zahlungsanspruch der Einrichtung entstehe. Die Folgen des Schuldbeitritts träten also erst ein, wenn unstreitig sei, dass die nachfragende Person einen Anspruch auf Leistungen habe und dieser Anspruch durch Erlass eines Bewilligungsbescheides festgestellt worden sei. Im vorliegenden Fall sei aber eben nicht festgestellt worden, dass die nachfragende Person, die Heimbewohnerin JS, Anspruch auf Leistungen nach der Sozialhilfe habe. Der Bescheid vom 24.02.2009 sei rechtlich nicht zu beanstanden, weil die Heimbewohnerin im entscheidungserheblichen Zeitraum ausreichendes, einsetzbares Einkommen zur Finanzierung der Heimpflegekosten gehabt habe.

Den dagegen am 13.07.2011 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 12.01.2012 als unbegründet zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 02.02.2012 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, sie habe gegenüber dem Beklagten nicht nur als Rechtsnachfolgerin der Heimbewohnerin JS gemäß § 19 Abs. 6 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) einen Anspruch auf die Sozialhilfe, die dieser zugestanden habe, sondern überdies einen eigenen materiell-rechtlichen Anspruch auf "Bruttoerstattung" ihrer "Sachleistungsaufwendungen"; für diesen Anspruch stützt sich die Klägerin auf das Urteil des BSG vom 28.10.2008 (B 8 SO 22/07 R). Sodann ist die Klägerin der Auffassung, die ihr gegenüber im Schreiben des Beklagten vom 26.05.2008 abgegebene "Kostenzusageabsichtserklärung" könne nur im Sinne eines "deklaratorischen Schuldanerkenntnisses" im Sinne der BSG-Rechtsprechung verstanden werden; darin liege eine "befreiende Schuldübernahme" mit der Folge, dass die Heimbewohnerin von ihrer Verpflichtung zur Zahlung des Heimentgelts gegenüber der klagenden Einrichtung frei geworden sei und seitens des Beklagten eine Übernahmeverpflichtung gegenüber der Einrichtung bestehe. Auch meint die Klägerin, die Zahlungspflicht des Beklagten bestehe nicht erst ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Sozialhilfeantrags (25.07.2007), sondern ab dem Eingang des Investitionskostenförderungsantrags am selben Tag bei dem Beklagten (12.06.2007), da bereits hierdurch Kenntnis von einem etwaigen Hilfebedarf erlangt worden sei. Die Klägerin ist der Auffassung, sie habe Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftig gewordenen Bescheides vom 24.02.2009 nach § 44 SGB X. Zwar habe zum Zeitpunkt dieses Überprüfungsantrags keine gegenwärtige Notlage bestanden; jedoch habe der Beklagte die Sozialhilfeleistungen seinerzeit rechtswidrig abgelehnt, und in der Folgezeit sei der Hilfebedarf durch Dritte – nämlich die Einrichtung – gedeckt worden; dies rechtfertige die Anwendung der Vorschrift des § 44 SGB X. Für diese Auffassung stützt sich die Klägerin auf das Urteil des BSG vom 29.09.2009 (B 8 SO 16/08 R). Schließlich ist die Klägerin der Auffassung, der Beklagte sei bei der Ablehnungsentscheidung vom 24.02.2009 von einem falschen Sachverhalt ausgegangen; sie behauptet, die notariell vereinbarte "dauernde Last" sei der Heimbewohnerin nie gewährt worden; auch die Witwen- und die Werksrente seien nicht durchgängig gezahlt worden. Die Klägerin hat die nach Abzug von Pflegegeld und Pflegewohngeld und den getätigten Zahlungen der Heimbewohnerin JS ungedeckt gebliebenen Heimkosten für Juli 2007 bis Dezember 2009 aufgelistet und mit 12.218,53 EUR beziffert. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ihre Forderung auf den Betrag reduziert, der sich aus den Monatsbeträgen für die "dauernde Last" von Juli 2007 bis Dezember 2009 ergibt.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 14.06.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.01.2012 sowie des Bescheides vom 24.02.2009 zu verurteilen, ihr 9.110,34 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, entgegen der Behauptung der Klägerin habe der Heimbewohnerin JS sowohl der Witwenrente als auch die Werksrente als auch die Zahlung aus der "dauernden Last" zur Verfügung gestanden; die zuletzt genannte Zahlung habe die Tochter mit Schreiben vom 21.11.2007 ausdrücklich bestätigt. Der Beklagte ist der Auffassung, die dem BSG-Urteil vom 28.10.2008 zugrunde liegende Fallgestaltung sei mit der vorliegenden nicht vergleichbar; im Fall der Heimbewohnerin JS sei gerade kein Leistungsanspruch nach dem SGB XII festgestellt worden. Diese Ablehnungsentscheidung sei auch rechtmäßig gewesen, weil JS über ausreichendes einsetzbares Einkommen verfügt habe. Offenbar habe es die Klägerin jahrelang versäumt die Heimbewohnerin zur Zahlung ihres Eigenanteils aufzufordern. Der Anspruch nach § 19 Abs. 6 SGB XII gehe im Übrigen nicht weiter als der Anspruch, den die Heimbewohnerin gehabt hätte. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Kenntniserlangung von einem Hilfebedarf der Heimbewohnerin meint der Beklagte, das Telefax der Klägerin vom 12.06.2007 trage einer Kenntniserlangung bezüglich eines konkreten Hilfebedarfs gem. § 18 SGB XII nicht Rechnung.

Auf Anfrage des Gerichts haben Auskunft erteilt die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund über die Höhe der tatsächlichen Rentenzahlungen an die Heimbewohnerin von April 2007 bis Dezember 2009, die Firma L. W. C. GmbH & Co KG über die Höhe und tatsächliche Zahlung der Werksrente von Mai 2007 bis Dezember 2009, die Tochter V.P. über den tatsächlichen Eingang dieser Rentenzahlungen durch Vorlage von Kontoauszügen, soweit sie sich nicht bereits in der Verwaltungsakte des Beklagten befinden. Desweiteren hat das Gericht Beweis erhoben über die Einkommens- und Vermögenslage der Heimbewohnerin JS von 2007 bis 2009 und insbesondere die Umstände der Erfüllung der im Notarvertrag 1997 eingegangenen Verpflichtung einer "dauernden Last" durch Vernehmung der Tochter der Heimbewohnerin JS, V.P., als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die genannten Unterlagen und die Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 29.01.2013 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen, die Heimbewohnerin JS betreffende Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 14.06.2011 und den Widerspruchsbescheid vom 12.01.2012 nicht im Sinne des § 44 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGG) beschwert, da diese nicht rechtswidrig sind. Zu Recht hat der Beklagte eine Rücknahme des gegenüber der verstorbenen Heimbewohnerin JS noch zu deren Lebzeiten ergangenen bestandskräftigen Bescheides vom 24.02.2009 gem. § 44 SGB X abgelehnt.

Als Rechtsgrundlage eines möglichen Anspruchs der Klägerin auf Sozialleistungen, die im Bedarfsfall der verstorbenen Heimbewohnerin zugestanden hätten, kommt § 19 Abs. 6 i.V.m. §§ 27b, 61 SGB XII in Betracht. Nach § 19 Abs. 6 SGB XII steht der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld, soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tod demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat. Die Klägerin hat im Sinne dieser Norm Pflege geleistet. Denn sie hat die Heimbewohnerin JS vom Tag ihrer Aufnahme in der Einrichtung (09.05.2007) bis zu deren Tod (30.12.2009) stationär untergebracht und gepflegt.

Ein möglicher Anspruch der Heimbewohnerin auf Sozialhilfe bestand allerdings nur vom 25.07.2007 bis 30.12.2009. Denn nach § 18 SGB XII setzt Sozialhilfe ein, sobald der Träger der Sozialhilfe Kenntnis von dem Hilfefall erlangt. Dies war im Fall der Heimbewohnerin JS erstmals mit Eingang des Sozialhilfeantrags am 25.07.2007 der Fall. Zwar hatte die Klägerin zuvor schon am 12.06.2007 einen Antrag an den Beklagten gefaxt. Dieser war jedoch allgemein auf die Förderung der Aufwendungen für Investitionskosten gerichtet und wies keinen konkreten Bezug zu der Heimbewohnerin JS auf. Kenntnis von einem eventuellen Hilfebedarf der JS konnte der Beklagten durch diesen Fax-Antrag nicht erlagen und hat ihn auch nicht erlangt.

Ein nach § 19 Abs. 6 SGB XII übergegangener Anspruch ist nach Höhe und Umfang begrenzt auf die Leistungen, die Pflegeheimbewohnern sozialhilferechtlich zugestanden hätten. Allerdings hat der Beklagte über den seinerzeit geltend gemachten Anspruch der Heimbewohnerin JS bereits durch Verwaltungsakt entschieden; er hat durch Bescheid vom 24.02.2009 jeglichen Sozialhilfebedarf verneint und dementsprechend den Sozialhilfeantrag der Heimbewohnerin abgelehnt. Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden.

Ob diese Bestandskraft nach § 44 SGB X rückwirkend korrigiert werden kann, misst sich einerseits an den Voraussetzungen nach Abs. 1 dieser Norm, andererseits sind aber auch die Besonderheiten des Sozialhilferechts dafür bestimmend, ob gegebenenfalls Sozialleistungen nach Maßgabe von § 44 Abs. 4 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit bis zu vier Jahren vor dem Überprüfungsantrag (vgl. § 44 Abs. 4 Satz 1 und 3 SGB X) beansprucht werden können. Zwar ist auch im Bereich des SGB XII eine rückwirkende Korrektur bestandskräftiger rechtswidriger Leistungsablehnungen über § 44 SGB X grundsätzlich möglich; im Bereich der Sozialhilfe ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Sozialhilfe nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage dient (so genanntes Gegenwärtigkeitsprinzip) und nicht als nachträgliche Geldleistung ausgestaltet ist (BSG, Urteil vom 29.09.2009 – B 8 SO 16/08 R – m.w.N.). Deshalb müssen Sozialhilfeleistungen nach der ständigen Rechtsprechung zum Sozialhilferecht für einen zurückliegenden Zeitraum auch nur dann erbracht werden, wenn die Notlage im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfeleistung noch besteht, sie also den Bedarf des Hilfebedürftigen noch decken kann. Dies setzt nicht nur einen punktuellen Bedarf, sondern auch aktuelle Bedürftigkeit des Hilfesuchenden voraus. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz "keine Hilfe für die Vergangenheit" kommt jedoch insbesondere nach rechtswidriger Ablehnung der Hilfegewährung und zwischenzeitlicher Bedarfsdeckung im Wege der Selbsthilfe oder Hilfe Dritter in Betracht, wenn der Hilfesuchende innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Rechtsbehelf eingelegt und im Rechtsbehelfsverfahren die Hilfegewährung selbst erstreiten muss (BSG, a.a.O., unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts). Die Einklagbarkeit abgelehnter Sozialhilfe wäre nämlich uneffektiv, wenn der Träger der Sozialhilfe durch unberechtigtes Bestreiten des Anspruchs den Beginn der Sozialhilfeleistung auf Jahre hinausschieben oder gar dem mit dem bekanntgewordenen Bedarf entstandenen Anspruch vereiteln könnte. Aus Billigkeitsgründen ist deshalb in diesem Fall auch bei (inzwischen) fehlender gegenwärtiger Bedürftigkeit der Garantie effektiven Rechtschutzes Vorrang zu geben; Sozialhilfe ist dann auch für die Vergangenheit zu gewähren (BSG a.a.O.).

Bei der Anwendung der Zugunstenregelung des § 44 SGB X muss jedoch der Vorrang des effektiven Rechtschutzes gegenüber den im Rahmen des § 44 Abs. 4 SGB X aufgezeigten Besonderheiten des Sozialhilferechts regelmäßig zurücktreten. Denn der Garantie des effektiven Rechtschutzes ist schon dadurch Rechnung getragen, dass der Hilfesuchende nach Erlass des Bescheides die Möglichkeit hatte, Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, oder sich gegen den Bescheid gewährt hat und im anschließenden Rechtbehelfs- bzw. Klageverfahren unterlegen war. § 44 SGB X dient nur der materiellen Gerechtigkeit zugunsten des Bürgers auf Kosten der Bindungswirkung von zu seinen Ungunsten ergangenen Verwaltungsakten. Das Gebot der materiellen Gerechtigkeit verlangt unter den genannten sozialhilferechtlichen Aspekten gerade nicht, dem (früher einmal) Hilfebedürftigen eine Leistung zu gewähren, der er nicht (mehr) bedarf. Ausnahme sind nur in Einzelfällen denkbar, in denen es schlechthin unbillig wäre, wenn der Sozialhilfeträger wegen (zwischenzeitlichen) Bedarfswegfalls die Rücknahme der rechtswidrigen Ablehnung bzw. die Zahlung zu Unrecht vorenthaltener Sozialhilfe verweigern dürfte (BSG, a.a.O.).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die Heimbewohnerin JS hat nach Erlass des Ablehnungsbescheides vom 24.02.2009 von den Rechtsbehelfsmöglichkeiten (Widerspruch, ggf. Klage) keinen Gebrauch gemacht. Auch die Klägerin als Trägerin der Einrichtung, in der die Heimbewohnerin untergebracht war, hat – soweit ersichtlich – keinen Einfluss auf die Heimbewohnerin genommen, den Bescheid anzufechten, obwohl sie in das Antragsverfahren eingebunden war. Spätestens nach dem Schreiben des Beklagten vom 03.03.2008 war die Klägerin auch über die Einkommensverhältnisse der Heimbewohnerin informiert. Sie hätte also die Zahlung der nach Abzug vom Pflegegeld und Pflegewohngeld noch ungedeckt gebliebenen Heimkosten von der Heimbewohnerin bzw. deren Generalbevollmächtigten in vollem Umfang einfordern können und müssen. Warum sie nicht spätestens ab dem Zeitpunkt, als die von der Klägerin selbst eingeforderte Entscheidung des Beklagten vom 24.02.2009 vorlag, ihre Ansprüche aus dem Heimvertrag gegenüber der Heimbewohnerin mit dem notwendigen Einsatz verfolgt hat, erschließt sich der Kammer nicht. Das Gebot der materiellen Gerechtigkeit verlangt nicht, der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der verstorbenen (früher einmal) möglicherweise hilfebedürftigen Heimbewohnerin eine Leistung zu gewähren, der diese aktuell nicht (mehr) bedarf. Wenn es der Heimträger unterlässt seine Forderungen gegenüber seinen Schuldnern zeitnah durchzusetzen und nicht zuletzt dadurch die Durchsetzbarkeit seiner Ansprüche gegenüber Heimbewohnern nach deren Ableben erschwert, ist es nicht unbillig, dass der Sozialhilfeträger die Rücknahme einer Sozialhilfe ablehnenden Entscheidung, die bestandskräftig geworden ist, ablehnt, selbst wenn die Sozialhilfe seinerzeit zu Unrecht verweigert worden wäre. In solchen Fällen bedarf der Grundsatz "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" keiner Ausnahme, da es aktuell am Hilfebedarf des einstmals hilfesuchenden Heimbewohners fehlt.

Doch selbst wenn hier der Klägerin das grundsätzliche Recht zustünde, im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X Sozialhilfeleistungen für die Vergangenheit geltend zu machen, wäre ein solcher Anspruch unbegründet, da die Voraussetzungen für eine Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 24.02.2009 nicht erfüllt sind.

Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass der Heimbewohnerin JS die Geldleistung, zu der sich die Tochter im notariellen Vertrag vom 28.02.1997 als "dauernde Last" verpflichtet hatte, nicht in der gleichen Weise als Geldeinkommen zur Verfügung stand wie die Witwen- und die Werksrente. Nach den Angaben der Zeugin P. hat sie die "dauernde Last" zeitweilig nicht in der vereinbarten Höhe und auch nicht nur in Geld, sondern teilweise in Naturalien gezahlt. Davon konnte der Beklagte aber bei Erlass des Bescheides vom 24.02.2009 nicht ausgehen. Damals hatte die Zeugin P. nämlich – zuletzt im Schreiben vom 21.11.2007 – unzweideutig erklärt, dass die "dauernde Last", die sie im dem genannten Schreiben nicht unrichtig als "Leibrente" bezeichnete, in der vom Beklagten anhand von Preisindextabellen errechneten aktuellen Höhe von (damals) 295,23 EUR von ihr "seit Heimantritt bereits geleistet bzw. überschritten" und dass "die monatliche Rente in Höhe von 1.103,61 EUR direkt an die Klägerin überwiesen" werde. Auf diesen Angaben der Generalbevollmächtigten der Heimbewohnerin beruhte der Bescheid vom 24.02.2009, durch den Sozialhilfe versagt wurde mit der Begründung, dass das Einkommen den nach Abzug von Pflegegeld (PG) und Pflegewohngeld (PGW) verbleibenden Heimkostenrestbedarf überstieg. Dass die Entscheidung vom 24.02.2009 auf der Grundlage der damaligen Daten und Angaben richtig war, zeigt die nachstehende Gegenüberstellung der – nach der eigenen Auflistung der Klägerin – ungedeckt gebliebenen Heimkosten (nach Abzug von PG und PGW) und des Einkommens der Heimbewohnerin aus Witwenrente, Werksrente und "dauernder Last" für die Monate Juli 2007 bis Dezember 2009:

Monat Heimkosten nach Abzug von PG und PWG Einkommen Witwenrente Werksrente dauernde Last Gesamt 7/2007 1.348,85 EUR 670,61 EUR 433,00 EUR 295,23 EUR 1.398,84 EUR 8/2007 1.348,85 EUR 670,61 EUR 433,00 EUR 295,23 EUR 1.398,84 EUR 9/2007 1.348,85 EUR 670,61 EUR 433,00 EUR 295,23 EUR 1.398,84 EUR 10/2007 1.348,85 EUR 670,61 EUR 433,00 EUR 295,23 EUR 1.398,84 EUR 11/2007 1.348,85 EUR 670,61 EUR 433,00 EUR 295,23 EUR 1.398,84 EUR 12/2007 1.348,85 EUR 670,61 EUR 433,00 EUR 295,23 EUR 1.398,84 EUR 1/2008 1.348,85 EUR 670,61 EUR 433,00 EUR 301,72 EUR 1.405,33 EUR 2/2008 1.348,85 EUR 670,61 EUR 433,00 EUR 301,72 EUR 1.405,33 EUR 3/2008 1.348,85 EUR 670,61 EUR 433,00 EUR 301,72 EUR 1.405,33 EUR 4/2008 1.348,85 EUR 670,61 EUR 433,00 EUR 301,72 EUR 1.405,33 EUR 5/2008 1.335,34 EUR 670,61 EUR 433,00 EUR 301,72 EUR 1.405,33 EUR 6/2008 1.335,34 EUR 670,61 EUR 433,00 EUR 301,72 EUR 1.405,33 EUR 7/2008 1.356,42 EUR 676,13 EUR 464,00 EUR 301,72 EUR 1.441,85 EUR 8/2008 1.356,42 EUR 676,13 EUR 464,00 EUR 301,72 EUR 1.441,85 EUR 9/2008 1.356,42 EUR 676,13 EUR 464,00 EUR 301,72 EUR 1.441,85 EUR 10/2008 1.356,42 EUR 676,13 EUR 464,00 EUR 301,72 EUR 1.441,85 EUR 11/2008 1.356,42 EUR 676,13 EUR 464,00 EUR 301,72 EUR 1.441,85 EUR 12/2008 1.356,42 EUR 676,13 EUR 464,00 EUR 301,72 EUR 1.441,85 EUR 1/2009 1.392,16 EUR 675,76 EUR 464,00 EUR 309,86 EUR 1.449,62 EUR 2/2009 1.392,16 EUR 675,76 EUR 464,00 EUR 309,86 EUR 1.449,62 EUR 3/2009 1.392,16 EUR 675,76 EUR 464,00 EUR 309,86 EUR 1.449,62 EUR 4/2009 1.392,16 EUR 675,76 EUR 464,00 EUR 309,86 EUR 1.449,62 EUR 5/2009 1.392,16 EUR 675,76 EUR 464,00 EUR 309,86 EUR 1.449,62 EUR 6/2009 1.157,97 EUR 675,76 EUR 464,00 EUR 309,86 EUR 1.449,62 EUR 7/2009 1.410,06 EUR 694,35 EUR 464,00 EUR 309,86 EUR 1.468,21 EUR 8/2009 1.410,06 EUR 694,35 EUR 464,00 EUR 309,86 EUR 1.468,21 EUR 9/2009 1.410,06 EUR 694,35 EUR 464,00 EUR 309,86 EUR 1.468,21 EUR 10/2009 1.410,06 EUR 694,35 EUR 464,00 EUR 309,86 EUR 1.468,21 EUR 11/2009 1.410,06 EUR 694,35 EUR 464,00 EUR 309,86 EUR 1.468,21 EUR 12/2009 1.455,83 EUR 694,35 EUR 464,00 EUR 309,86 EUR 1.468,21 EUR

Summen 40.922,95 EUR 20.324,76 EUR 13.548,00 EUR 9.110,34 EUR 42.983,10 EUR

Wenn aber – wie die Klägerin meint – die damaligen Angaben der Generalbevollmächtigten der Heimbewohnerin, die diese sich als "Betroffene" zurechnen lassen muss, zu den Einkommen aus der "dauernden Last" unrichtig waren, steht auch dieser Umstand, wie sich aus § 44 Abs. 1 Satz 3 SGB X ergibt, einer Rücknahme der Entscheidung vom 24.02.2009 entgegen, da dieser u.a. gerade auch auf diesen Angaben beruhte.

In diesem Zusammenhang muss auch berücksichtigt werden, dass der Anspruch der Heimbewohnerin gegenüber ihrer Tochter aus deren Verpflichtung einer "dauernden Last", soweit er nicht erfüllt wurde, als Vermögenswert anzusehen war; dieses Vermögen aber wäre ebenfalls zur Vermeidung von Sozialhilfe einzusetzen gewesen (vgl. § 90 Abs. 1 SGB XII); ein Härtegrund, der dem Einsatz dieses Vermögens gem. § 90 Abs. 3 SGB XII entgegengestanden hätte, war und ist nicht ersichtlich.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung der noch nicht gezahlten Heimkosten auch nicht aus einem der Klägerin gegenüber wirksamen "abstrakten Schuldanerkenntnis" oder einer "befreienden Schuldübernahme" des Beklagten zu. Soweit sich die Klägerin hierzu auf das Urteil des BSG vom 28.10.2008 (B 8 SO 22/07 R) beruft, verkennt sie Inhalt, Bedeutung und Tragweite dieser Entscheidung. Das BSG hat darin festgestellt, dass in der von einer Sozialhilfe erklärten Übernahme der Heimunterbringungskosten ein Schuldbeitritt (kumulative Schuldbernahme) bei fortbestehender Verpflichtung des Heimbewohners liegt. Dabei tritt der Sozialhilfeträger als Gesamtschuldner "in Höhe der bewilligten Leistung" an die Seite des Sozialhilfeempfängers. Das BSG hat zugleich klargestellt, dass eine befreiende Schuldübernahme (vgl. §§ 414 f. BGB) mit der Folge, dass der betroffene Heimbewohner von seiner Verpflichtung zur Zahlung des Heimentgelt gegenüber der Einrichtung in Höhe des übernommenen Betrages frei wird, nicht angenommen werden kann.

Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an einer Erklärung des Beklagten, die Kosten der Unterbringung der Heimbewohnerin JS ganz oder teilweise übernehmen zu wollen. Im Gegenteil: der Beklagte hat eine Kostenübernahme vollständig abgelehnt. Mangels einer (positiven) Kostenübernahmeerklärung kann deshalb auch kein Schuldbeitritt des Beklagten erfolgt sein. Und selbst wenn eine Kostenübernahmeerklärung und damit verbunden ein Schuldbeitritt erfolgt wäre, hätte dies – entgegen der Auffassung der Klägerin – keinen Anspruch auf vollständige "Bruttoerstattung" ihrer Aufwendungen begründet. Denn der Träger einer stationären Pflegeeinrichtung kann gegenüber dem Sozialhilfeträger aus dem im Rahmen des sozialrechtlichen Dreieckverhältnisses erfolgten Schuldbeitritt die Zahlung eines Heimentgelts nur in Höhe der dem Sozialhilfeempfänger bewilligten Leistung beanspruchen (so: BSG, Urteil vom 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R; LSG Rheinland-Pfalz, Urteile vom 25.11.2010 – L 1 SO 8/10 – und vom 18.02.2011 – L 1 SO 33/09). Wie dargelegt, hat der Beklagte jedoch keine Kostenübernahmeerklärung abgegeben und keine Sozialhilfeleistung bewilligt, vielmehr solche abgelehnt. Eine Kostenübernahmeerklärung des Beklagten kann – entgegen der Auffassung der Klägerin – auch nicht in dem an diese gerichteten Schreiben vom 26.05.2008 gesehen werden. Darin hatte der Beklagte die Klägerin lediglich darüber informiert, dass er auf schriftliche an die Tochter der Heimbewohnerin gerichtete Anfragen bisher keine Antwort erhalten und er der Tochter eine weitere Frist bis zum 31.05.2008 gesetzt habe. Sodann heißt es in dem Schreiben: "Ich beabsichtige bei Nichtbeantwortung meines Schreibens bis zum genannten Termin Ihnen Kostenzusagen zu erteilen." Das Schreiben des Beklagten an die Klägerin vom 26.05.2008 beinhaltete nicht mehr als eine Absichtserklärung, bei Eintritt bestimmter Bedingungen eine Kostenzusage gegenüber der Klägerin zu erteilen. Diese Absicht wurde jedoch nicht realisiert, da die Tochter der Heimbewohnerin mit Schreiben vom 18.05.2008 die Anfrage des Beklagten beantwortete, woraufhin es dann zu dem Ablehnungsbescheid vom 24.02.2009 kam.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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