Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 64 AL 3657/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 355/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist die Gewährung von Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis 28. Februar 2006 iHv 1.048,10 EUR.
Die 1964 geborene Klägerin war bis zur arbeitgeberseitigen Kündigung zum 28. Februar 2006 bei der Maurer- und Betonbau B Gesellschaft mit beschränkter Haftung (im Folgenden: MBB) als kaufmännische Angestellte versicherungspflichtig beschäftigt; eine Gehaltszahlung für Februar 2006 erfolgte nicht. Den am 3. Februar 2006 eingegangenen Antrag der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) B auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der MBB wies das Amtsgericht (AG) Charlottenburg mit Beschluss vom 4. August 2006 zurück (- 36m IN 575/06 -); auf das im Insolvenzverfahren erstellte Gutachten vom 13. Juni 2006 (Rechtsanwalt Voigt-Salus) wird Bezug genommen. Diese hatte der Beklagten mitgeteilt, dass die Betriebstätigkeit am 31. Januar 2006 eingestellt worden sei (Schreiben vom 10. März 2006).
Die Beklagte, die der Klägerin zunächst einen Vorschuss auf das zu erwartende Insg iHv 1.048,10 EUR bewilligt hatte (Bescheid vom 23. März 2006), lehnte mit Bescheiden vom 5. Juli 2007 die Gewährung von Insg ab und forderte die Erstattung des gezahlten Vorschusses. Maßgebendes Insolvenzereignis sei die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit am 1. Februar 2006, so dass der maßgebende Insg-Zeitraum vom 1. November 2005 bis 31. Januar 2006 laufe. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. September 2009).
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat im anschließenden Klageverfahren Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen M Ö (im Folgenden: Ö.), N T (im Folgenden: T.) und W W (im Folgenden: W.; letzter Geschäftsführer der MBB); auf die Sitzungsniederschrift vom 14. April 2011 wird Bezug genommen. Mit Urteil vom 20. Oktober 2011 hat das SG die auf Aufhebung der Bescheide vom 5. Juli 2007 und Gewährung von Insg für Februar 2006 iHv 1.048,10 EUR gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Ein Insg-Anspruch der Klägerin für Februar 2006 bestehe nicht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass die Betriebstätigkeit der MBB am 31. Januar 2006 vollständig eingestellt worden sei. Der Monat Februar 2006 werde daher vom maßgebenden Insg-Zeitraum nicht umfasst. Im Übrigen komme ein Insolvenzereignis der vollständigen Betriebseinstellung erst am 28. Februar 2006 schon deshalb nicht in Betracht, weil die AOK bereits am 3. Februar 2006 einen Insolvenzantrag gestellt habe.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor: Entgegen der Auffassung des SG sei die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit erst "Ende Februar 2006" erfolgt. Das SG habe die Aussage des Ö. falsch gewürdigt und auch nicht alle greifbaren Zeugen vernommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2011 und die Bescheide der Beklagten vom 5. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis 28. Februar 2006 Insolvenzgeld in Höhe von 1.048,10 EUR zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die Insg-Akte und die Betriebsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).
Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Insg für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis 28. Februar 2006 zu; das insoweit vorläufig gewährte Insg iHv 1.048,10 EUR hat sie nach § 186 Satz 4 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) zu erstatten.
Nach § 183 Abs. 1 SGB III in der hier anzuwendenden, seit 01. Januar 2002 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (Job-AQTIV-Gesetz) vom 10. Dezember 2001 (BGBl I S 3443) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insg, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, 2. Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder 3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Insolvenzereignis), für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.
Da ein Insolvenzereignis im Sinne des § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III (Eröffnung des Insolvenzverfahrens) liegt ersichtlich nicht vor. Ein Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III (Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse) hätte erst am 4. August 2006 mit dem entsprechenden Beschluss des AG eintreten können, wird vorliegend aber durch das zeitlich in jedem Fall früher eingetretene und damit maßgebende Insolvenzereignis gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III (vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland bei offensichtlicher Masselosigkeit und fehlendem Insolvenzantrag) gesperrt (vgl zur Sperrwirkung BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 3; BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 – B 11 AL 27/00 R – juris). Da bis zum Zeitpunkt der vollständigen Betriebseinstellung kein Insolvenzantrag gestellt worden sein darf, schließt der am 3. Februar 2006 von der AOK gestellte Insolvenzantrag das von der Klägerin geltend gemachte Insolvenzereignis für die Zeit ab 3. Februar 2006, mithin auch zum 1. März 2006 bzw zu "Ende Februar 2006", von vornherein aus (vgl BSG aaO). Allerdings wäre dann auf die spätere Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse mit Beschluss vom 4. August 2006 abzustellen.
Indes ist maßgebliches Insolvenzereignis nach den Feststellungen des Senats vorliegend die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit der MBB zum 1. Februar 2006.
Das hier einschlägige Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III hat als Auffangtatbestand drei Merkmale zum Inhalt, die kumulativ vorliegen müssen: die vollständige Aufgabe der Betriebstätigkeit im Inland, das Fehlen eines Eröffnungsantrages und den Umstand, dass ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt. Durch diese Regelung soll verhindert werden, dass Arbeitnehmer gezwungen werden, aussichtslose Anträge zu stellen und Vorschüsse zu leisten - jedenfalls dann, wenn die insolvenzrechtlich relevante Zahlungsunfähigkeit des Unternehmers offensichtlich ist (vgl LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. Dezember 2005 - L 28 AL 75/04 - juris - mwN).
Die vollständige Aufgabe der Betriebstätigkeit der MBB im Inland erfolgte nach Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens zum 1. Februar 2006, wie dies die MBB auch gegenüber der Beklagten bestätigt hat (vgl Schreiben vom10. März 2006). Der letzte Geschäftsführer W., den das SG als Zeugen vernommen hat, hat dies ausdrücklich bestätigt. Dessen Angaben stehen auch im Einklang mit den Feststellungen im Gutachten von Rechtsanwalt V-S vom 13. Juni 2006. Dass noch einzelne Abwicklungs- und Abrechnungsarbeiten nach dem 31. Januar 2006 erfolgt sind, wie dies die Klägerin unter Vorlage einer Rechnung der MBB vom 6. Februar 2006 und einer Kopie des Kassenbuches der MBB für Februar 2006 vorträgt, ändert hieran nichts (vgl hierzu BSG SozR 4100 § 141b Nr 19), zumal aus der Rechnung vom 6. Februar 2006 nicht ersichtlich ist, wann die dort berechneten Arbeiten konkret ausgeführt wurden. Aus den Positionen des Kassenbuchs erhellt gerade nicht, dass die MBB noch im Februar 2006 Bauarbeiten in wirtschaftlich nennenswertem Umfang erbrachte. Auch Gehaltszahlungen erfolgten nur noch für Januar 2006. Aus dem Vergleich des Kassenbuchs mit der Aufstellung über die angeblich weiter beschäftigten Arbeitnehmer ergibt sich im Übrigen, dass das Entgelt für Ö. iHv 82,50 EUR sich auf Januar (!) 2006 bezieht und das gesamte Monatsentgelt darstellt. Nicht nachvollziehbar ist ausweislich dieser geringen Entgelthöhe für den gesamten Monat Januar 2006 schon deshalb dessen Aussage beim SG, er habe bis zum 30. April 2006 bei der MBB "normal" gearbeitet, zumal er augenscheinlich auf "vielen" Baustellen gearbeitet haben will.
Auch von einer "offensichtlichen" iS einer "anscheinenden" (vgl BSG, Urteil vom 23. November 1981 – 10/8b RAr 6/80 = SozR 4100 § 141b Nr. 21 = BSGE 53, 1-4) Masseunzulänglichkeit am 1. Februar 2006 ist auszugehen. Masselosigkeit liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens im Sinne von § 26 Abs. 1 Satz 1 Insolvenzordnung zu decken. Sie muss vor oder gleichzeitig mit der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit eintreten. Zur Frage der "Offensichtlichkeit" ist darauf abzustellen, ob sich für einen unvoreingenommenen objektiven Betrachter aus äußeren Tatsachen der Eindruck (und insofern der Anschein) ergibt, dass ein Insolvenzverfahren mangels Masse nicht in Betracht kommen wird. Nur so ist eine dem Zweck des Insg entsprechende Bewilligungspraxis möglich: Dem Arbeitnehmer soll möglichst schnell die seinen Lebensunterhalt sichernde Leistung - gegebenenfalls durch Vorschuss gemäß § 186 SGB III - bewilligt werden. Zweifel an der Masseunzulänglichkeit berechtigen die Beklagte daher nicht dazu, einen Antrag auf Insg abzulehnen. Dies steht im Einklang mit dem Umstand, dass die Beklagte nicht geschädigt ist, wenn sich später herausstellen sollte, dass die Masse entgegen ihrer Annahme tatsächlich dennoch zulänglich war. Die Beklagte wird insoweit durch die des § 187 Satz 1 SGB III geschützt: Die Ansprüche der Arbeitnehmer auf Arbeitsentgelt, die einen Anspruch auf Insg begründen, gehen mit dem Antrag auf Insg auf sie über. Sie kann dann entscheiden, ob sie im Wege der Einzelvollstreckung oder des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgeht, um sich für ihre Leistung schadlos zu halten (vgl zum Ganzen BSG, Urteil vom 23. November 1981 - 10/8 b RAr 6/80 -; Urteil vom 22. September 1993 - 10 RAr 9/91 - SozR 3-4100 § 141 b Nr. 7 S. 32 Urteil vom 4. März 1999 - B 11/10 AL 3/98 R - juris Rn. 14). Mithin meint das Tatbestandsmerkmal der Offensichtlichkeit der Masselosigkeit keinen gesteigerten Grad an Evidenz und Richtigkeit - etwa im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit -, sondern in der am Schutzzweck orientierten Auslegung des Bundessozialgerichts (BSG), die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, gerade (nur) einen abgeschwächten Maßstab der Wahrscheinlichkeit. Es muss sich lediglich aufgrund äußerer, tatsächlicher Umstände für den Dritten der plausible Anschein der Masselosigkeit ergeben. Dazu reicht es regelmäßig aus, ist aber auch erforderlich, dass der Arbeitgeber die Lohnzahlungen unter Hinweis auf seine Zahlungsunfähigkeit einstellt bzw verweigert, die betriebliche Tätigkeit vollständig beendet ist und ein Insolvenzantrag nicht gestellt worden ist.
Der Arbeitgeber der Klägerin hat die ausgebliebene Gehaltszahlung an die Klägerin mit seiner "Insolvenz" begründet (vgl Schreiben vom 6. März 2006). Auch die Ermittlungen im Insolvenzverfahren haben schließlich ergeben, dass bereits am 1. Februar 2006 tatsächlich Masseunzulänglichkeit vorlag.
Ausgehend vom danach allein maßgeblichen Insolvenzereignis (1. Februar 2006) bildet die Zeit vom 1. November 2005 bis 31. Januar 2006, die letzten drei vorausgehenden Monate des Arbeitsverhältnisses zwischen der Klägerin und der MBB, den von § 183 Abs. 1 SGB III umschriebenen Insg-Zeitraum. Für diesen Zeitraum hat die Klägerin aber keine Ansprüche auf Arbeitsentgelt mehr, so dass ein Insg-Anspruch nicht besteht.
Das vorläufig gemäß § 186 Satz 1 SGB III gewährte Insg für Februar 2006 ist zu erstatten, ohne dass es einer Aufhebung des Vorschussbescheides vom 23. März 2006 bedurfte. Dieser Bescheid hat sich durch den – endgültigen – Ablehnungsbescheid vom 5. Juli 2007 erledigt (vgl BSG, Urteil vom 9. Mai 1996 – 7 RAr 36/95 – juris). Die Erstattungspflicht folgt aus § 186 Satz 4 SGB III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist die Gewährung von Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis 28. Februar 2006 iHv 1.048,10 EUR.
Die 1964 geborene Klägerin war bis zur arbeitgeberseitigen Kündigung zum 28. Februar 2006 bei der Maurer- und Betonbau B Gesellschaft mit beschränkter Haftung (im Folgenden: MBB) als kaufmännische Angestellte versicherungspflichtig beschäftigt; eine Gehaltszahlung für Februar 2006 erfolgte nicht. Den am 3. Februar 2006 eingegangenen Antrag der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) B auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der MBB wies das Amtsgericht (AG) Charlottenburg mit Beschluss vom 4. August 2006 zurück (- 36m IN 575/06 -); auf das im Insolvenzverfahren erstellte Gutachten vom 13. Juni 2006 (Rechtsanwalt Voigt-Salus) wird Bezug genommen. Diese hatte der Beklagten mitgeteilt, dass die Betriebstätigkeit am 31. Januar 2006 eingestellt worden sei (Schreiben vom 10. März 2006).
Die Beklagte, die der Klägerin zunächst einen Vorschuss auf das zu erwartende Insg iHv 1.048,10 EUR bewilligt hatte (Bescheid vom 23. März 2006), lehnte mit Bescheiden vom 5. Juli 2007 die Gewährung von Insg ab und forderte die Erstattung des gezahlten Vorschusses. Maßgebendes Insolvenzereignis sei die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit am 1. Februar 2006, so dass der maßgebende Insg-Zeitraum vom 1. November 2005 bis 31. Januar 2006 laufe. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. September 2009).
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat im anschließenden Klageverfahren Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen M Ö (im Folgenden: Ö.), N T (im Folgenden: T.) und W W (im Folgenden: W.; letzter Geschäftsführer der MBB); auf die Sitzungsniederschrift vom 14. April 2011 wird Bezug genommen. Mit Urteil vom 20. Oktober 2011 hat das SG die auf Aufhebung der Bescheide vom 5. Juli 2007 und Gewährung von Insg für Februar 2006 iHv 1.048,10 EUR gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Ein Insg-Anspruch der Klägerin für Februar 2006 bestehe nicht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass die Betriebstätigkeit der MBB am 31. Januar 2006 vollständig eingestellt worden sei. Der Monat Februar 2006 werde daher vom maßgebenden Insg-Zeitraum nicht umfasst. Im Übrigen komme ein Insolvenzereignis der vollständigen Betriebseinstellung erst am 28. Februar 2006 schon deshalb nicht in Betracht, weil die AOK bereits am 3. Februar 2006 einen Insolvenzantrag gestellt habe.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor: Entgegen der Auffassung des SG sei die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit erst "Ende Februar 2006" erfolgt. Das SG habe die Aussage des Ö. falsch gewürdigt und auch nicht alle greifbaren Zeugen vernommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2011 und die Bescheide der Beklagten vom 5. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis 28. Februar 2006 Insolvenzgeld in Höhe von 1.048,10 EUR zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die Insg-Akte und die Betriebsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).
Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Insg für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis 28. Februar 2006 zu; das insoweit vorläufig gewährte Insg iHv 1.048,10 EUR hat sie nach § 186 Satz 4 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) zu erstatten.
Nach § 183 Abs. 1 SGB III in der hier anzuwendenden, seit 01. Januar 2002 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (Job-AQTIV-Gesetz) vom 10. Dezember 2001 (BGBl I S 3443) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insg, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, 2. Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder 3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Insolvenzereignis), für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.
Da ein Insolvenzereignis im Sinne des § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III (Eröffnung des Insolvenzverfahrens) liegt ersichtlich nicht vor. Ein Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III (Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse) hätte erst am 4. August 2006 mit dem entsprechenden Beschluss des AG eintreten können, wird vorliegend aber durch das zeitlich in jedem Fall früher eingetretene und damit maßgebende Insolvenzereignis gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III (vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland bei offensichtlicher Masselosigkeit und fehlendem Insolvenzantrag) gesperrt (vgl zur Sperrwirkung BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 3; BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 – B 11 AL 27/00 R – juris). Da bis zum Zeitpunkt der vollständigen Betriebseinstellung kein Insolvenzantrag gestellt worden sein darf, schließt der am 3. Februar 2006 von der AOK gestellte Insolvenzantrag das von der Klägerin geltend gemachte Insolvenzereignis für die Zeit ab 3. Februar 2006, mithin auch zum 1. März 2006 bzw zu "Ende Februar 2006", von vornherein aus (vgl BSG aaO). Allerdings wäre dann auf die spätere Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse mit Beschluss vom 4. August 2006 abzustellen.
Indes ist maßgebliches Insolvenzereignis nach den Feststellungen des Senats vorliegend die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit der MBB zum 1. Februar 2006.
Das hier einschlägige Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III hat als Auffangtatbestand drei Merkmale zum Inhalt, die kumulativ vorliegen müssen: die vollständige Aufgabe der Betriebstätigkeit im Inland, das Fehlen eines Eröffnungsantrages und den Umstand, dass ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt. Durch diese Regelung soll verhindert werden, dass Arbeitnehmer gezwungen werden, aussichtslose Anträge zu stellen und Vorschüsse zu leisten - jedenfalls dann, wenn die insolvenzrechtlich relevante Zahlungsunfähigkeit des Unternehmers offensichtlich ist (vgl LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. Dezember 2005 - L 28 AL 75/04 - juris - mwN).
Die vollständige Aufgabe der Betriebstätigkeit der MBB im Inland erfolgte nach Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens zum 1. Februar 2006, wie dies die MBB auch gegenüber der Beklagten bestätigt hat (vgl Schreiben vom10. März 2006). Der letzte Geschäftsführer W., den das SG als Zeugen vernommen hat, hat dies ausdrücklich bestätigt. Dessen Angaben stehen auch im Einklang mit den Feststellungen im Gutachten von Rechtsanwalt V-S vom 13. Juni 2006. Dass noch einzelne Abwicklungs- und Abrechnungsarbeiten nach dem 31. Januar 2006 erfolgt sind, wie dies die Klägerin unter Vorlage einer Rechnung der MBB vom 6. Februar 2006 und einer Kopie des Kassenbuches der MBB für Februar 2006 vorträgt, ändert hieran nichts (vgl hierzu BSG SozR 4100 § 141b Nr 19), zumal aus der Rechnung vom 6. Februar 2006 nicht ersichtlich ist, wann die dort berechneten Arbeiten konkret ausgeführt wurden. Aus den Positionen des Kassenbuchs erhellt gerade nicht, dass die MBB noch im Februar 2006 Bauarbeiten in wirtschaftlich nennenswertem Umfang erbrachte. Auch Gehaltszahlungen erfolgten nur noch für Januar 2006. Aus dem Vergleich des Kassenbuchs mit der Aufstellung über die angeblich weiter beschäftigten Arbeitnehmer ergibt sich im Übrigen, dass das Entgelt für Ö. iHv 82,50 EUR sich auf Januar (!) 2006 bezieht und das gesamte Monatsentgelt darstellt. Nicht nachvollziehbar ist ausweislich dieser geringen Entgelthöhe für den gesamten Monat Januar 2006 schon deshalb dessen Aussage beim SG, er habe bis zum 30. April 2006 bei der MBB "normal" gearbeitet, zumal er augenscheinlich auf "vielen" Baustellen gearbeitet haben will.
Auch von einer "offensichtlichen" iS einer "anscheinenden" (vgl BSG, Urteil vom 23. November 1981 – 10/8b RAr 6/80 = SozR 4100 § 141b Nr. 21 = BSGE 53, 1-4) Masseunzulänglichkeit am 1. Februar 2006 ist auszugehen. Masselosigkeit liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens im Sinne von § 26 Abs. 1 Satz 1 Insolvenzordnung zu decken. Sie muss vor oder gleichzeitig mit der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit eintreten. Zur Frage der "Offensichtlichkeit" ist darauf abzustellen, ob sich für einen unvoreingenommenen objektiven Betrachter aus äußeren Tatsachen der Eindruck (und insofern der Anschein) ergibt, dass ein Insolvenzverfahren mangels Masse nicht in Betracht kommen wird. Nur so ist eine dem Zweck des Insg entsprechende Bewilligungspraxis möglich: Dem Arbeitnehmer soll möglichst schnell die seinen Lebensunterhalt sichernde Leistung - gegebenenfalls durch Vorschuss gemäß § 186 SGB III - bewilligt werden. Zweifel an der Masseunzulänglichkeit berechtigen die Beklagte daher nicht dazu, einen Antrag auf Insg abzulehnen. Dies steht im Einklang mit dem Umstand, dass die Beklagte nicht geschädigt ist, wenn sich später herausstellen sollte, dass die Masse entgegen ihrer Annahme tatsächlich dennoch zulänglich war. Die Beklagte wird insoweit durch die des § 187 Satz 1 SGB III geschützt: Die Ansprüche der Arbeitnehmer auf Arbeitsentgelt, die einen Anspruch auf Insg begründen, gehen mit dem Antrag auf Insg auf sie über. Sie kann dann entscheiden, ob sie im Wege der Einzelvollstreckung oder des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgeht, um sich für ihre Leistung schadlos zu halten (vgl zum Ganzen BSG, Urteil vom 23. November 1981 - 10/8 b RAr 6/80 -; Urteil vom 22. September 1993 - 10 RAr 9/91 - SozR 3-4100 § 141 b Nr. 7 S. 32 Urteil vom 4. März 1999 - B 11/10 AL 3/98 R - juris Rn. 14). Mithin meint das Tatbestandsmerkmal der Offensichtlichkeit der Masselosigkeit keinen gesteigerten Grad an Evidenz und Richtigkeit - etwa im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit -, sondern in der am Schutzzweck orientierten Auslegung des Bundessozialgerichts (BSG), die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, gerade (nur) einen abgeschwächten Maßstab der Wahrscheinlichkeit. Es muss sich lediglich aufgrund äußerer, tatsächlicher Umstände für den Dritten der plausible Anschein der Masselosigkeit ergeben. Dazu reicht es regelmäßig aus, ist aber auch erforderlich, dass der Arbeitgeber die Lohnzahlungen unter Hinweis auf seine Zahlungsunfähigkeit einstellt bzw verweigert, die betriebliche Tätigkeit vollständig beendet ist und ein Insolvenzantrag nicht gestellt worden ist.
Der Arbeitgeber der Klägerin hat die ausgebliebene Gehaltszahlung an die Klägerin mit seiner "Insolvenz" begründet (vgl Schreiben vom 6. März 2006). Auch die Ermittlungen im Insolvenzverfahren haben schließlich ergeben, dass bereits am 1. Februar 2006 tatsächlich Masseunzulänglichkeit vorlag.
Ausgehend vom danach allein maßgeblichen Insolvenzereignis (1. Februar 2006) bildet die Zeit vom 1. November 2005 bis 31. Januar 2006, die letzten drei vorausgehenden Monate des Arbeitsverhältnisses zwischen der Klägerin und der MBB, den von § 183 Abs. 1 SGB III umschriebenen Insg-Zeitraum. Für diesen Zeitraum hat die Klägerin aber keine Ansprüche auf Arbeitsentgelt mehr, so dass ein Insg-Anspruch nicht besteht.
Das vorläufig gemäß § 186 Satz 1 SGB III gewährte Insg für Februar 2006 ist zu erstatten, ohne dass es einer Aufhebung des Vorschussbescheides vom 23. März 2006 bedurfte. Dieser Bescheid hat sich durch den – endgültigen – Ablehnungsbescheid vom 5. Juli 2007 erledigt (vgl BSG, Urteil vom 9. Mai 1996 – 7 RAr 36/95 – juris). Die Erstattungspflicht folgt aus § 186 Satz 4 SGB III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
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