L 1 U 74/07

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 20 U 79/05
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 1 U 74/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Nach derzeitigem wissenschaftlichem Erkenntnisstand handelt es sich bei Non-Hodgkin-Lymphomen um Erkrankungen, die durch Benzoleinwirkungen verursacht werden können.
1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 26. Juni 2007 und der Bescheid der Beklagten vom 3. Feb-ruar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2005 aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Anerkennung des Non-Hodgkin-Lymphoms des Versicherten als Berufskrankheit der Nr. 1303 der Anlage 1 zur BKV Hinterbliebenenrente ab dem 1. Oktober 2002 zu gewähren. 3. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. 4. Die Beklagte trägt 4/5 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen. 5. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes aufgrund der Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 1303 (Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder Styrol) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung(BKV) [BK 1303] Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren hat.

Die Klägerin ist Witwe des im Jahre 1924 geborenen und am 27. Oktober 1984 verstorbenen - (im Folgenden: Versicherter). Der Versicherte war von April 1939 bis Juni 1942 als Lehrling und Geselle in der Flugzeug-Motoren¬schlosserei B. tätig und anschließend bis Mai 1945 bei der Wehrmacht als Kradmelder eingesetzt. Von Juni 1948 bis September 1949 war er im Rahmen der Luftbrücke Berlin auf dem Flugplatz L. für das Warten und Betanken von Flugzeugen zuständig. Von April 1953 bis August 1961 übte der Versicherte Tätigkeiten als Kfz.-Mechaniker bzw. Motorenschlosser aus. Danach arbeitete er bis April 1968 in L. an einer Tankstelle mit Betankungsservice, die er ab November 1961 als selbständiger Unternehmer führte. Von 1968 bis 1972 betrieb der Versicherte eine Autobahntankstelle mit Betankungsservice. Von Januar 1973 bis Oktober 1984 war er Pächter einer Tankstelle ohne Betankungsservice.

Am 14. Oktober 2002 teilte die Klägerin der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltung mit, dass der Versicherte 1984 an einem malignen Lymphom verstorben sei. Der Versicherte habe als Motorenschlosser gearbeitet und anschließend Tankstellen mit Betankungsservice betrieben. Es sei davon auszugehen, dass es bei den Tätigkeiten zu erheblichen Benzolbelastungen gekommen sei. Sie bat um Prüfung der Ursächlichkeit der Erkrankung des Versicherten durch die Benzolbelastung und beantragte die Gewährung einer Witwenrente.

Die Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltung leitete ein Berufskrankheitenfeststel-lungsverfahren ein und zog u.a. eine Auskunft des Lymphknotenre¬gisters der deutschen Gesellschaft für Pathologie im Institut für Hämatopathologie vom 19. Septem¬ber 2002 bei. Darin war ausgeführt, beim Versicherten seien im Knochenmark und in einem Lymphknoten ausgedehnte Infiltrate eines zentroblastisch/zentristischen B Zellen-Lymphoms (follikuläres B Zell-Lymphom) nachgewiesen worden. Dabei handele es sich um die häufigste Art der Non-Hodgkin-Lymphome.

Am 22. Januar 2003 gab die Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltung das Verfahren an die Beklagte ab. Diese holte darauf hin die Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 17. Februar 2003 ein, in der es hieß, der Versicherte sei von 1961 bis 1984 an verschiedenen Tankstellen tätig gewesen. Es habe sich um typische Tätigkeiten eines Tankwarts mit kleiner Reparaturwerkstatt gehandelt. Bei dieser Tätigkeit sei eine kumulative Benzoldosis von ca. 22 ppm-Jahren zu ermitteln. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Belastung niedriger gewesen sei, da insbesondere im Zeitraum von 1973 bis 1984 kein Betankungsservice vorhanden gewesen sei. In der Stellungnahme vom 4. März 2003 ermittelte der Präventionsdienst der Norddeutschen Metallberufsgenossenschaft für die Beschäftigungsverhältnisse vom 13. April 1953 bis 17. August 1961 im Zusammenhang mit der Tätigkeit als Fahrzeuginstandsetzer eine Benzolexposition von 8,3 ppm-Jahren. Mit Schreiben vom 23. September 2003 teilte der TAD der Berufsgenossenschaft Feinmechanik und Elektrotechnik der Beklagten mit, dass für den Zeitraum von 1939 bis 1942 mit hoher Wahrscheinlichkeit Umgang mit benzolhaltigen Kraftstoffen vorgelegen habe. Es lägen jedoch keine Erfahrungswerte vor, nach denen eine Beurteilung möglich sei.

Auf Veranlassung der Beklagten erstatteten Prof. Dr. Ba. (Facharzt für Innere Medizin, Arbeitsmedizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Umweltmedizin) und sein Mitarbeiter Dr. W. ein arbeitsmedizinisch-internistisches Gutachten (Eingang 2. Juni 2003). Darin gelangten sie zu der Auffassung, dass die bei dem Versicherten zum Tode führende Tumorerkrankung ursächlich auf eine langjährige Benzolbelastung als Flugzeugmotorenschlosser, Kraftfahrzeugmechaniker und Tankwart zurückzuführen sei. Durch den Kontakt mit Flugkraftstoff in den Jahren von 1939 bis 1942 sowie 1948 bis 1949 und auch durch den Einsatz von Benzol als gängiges Reinigungsmittel in den 40er und 50er Jahren im gewerblichen und vor allem handwerklichen Bereich sei von einer über die errechneten 30,3 ppm-Jahren hinausgehende, ganz erhebliche Benzolbelastung für einen zusätzlichen Zeitraum von gut 50 Monaten auszugehen. Die Landesgewerbeärztin Frau Wa. schloss sich in ihrer abschließenden Stellungnahme vom 3. Mai 2004 der Einschätzung von Prof. Ba. an und empfahl die Anerkennung einer BK 1303.

Mit Bescheid vom 3. Februar 2005 lehnte die Beklagte die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der zum Tode führenden Erkrankung des Versicherten und der versicherten Tätigkeit könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Ob eine Benzolexposition die Entstehung eines Non-Hodgkin-Lymphoms vom B Typ begründen könne, sei derzeit unter den medizinischen Wissenschaftlern strittig. Bei dieser Sachlage sei eine Anerkennung der Erkrankung als Berufskrankheit nicht möglich.

Die Beklagte wies den am 17. Februar 2005 eingelegten Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2005 als unbegründet zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 4. Mai 2005 bei dem Sozialgericht Lübeck Klage erhoben und sich zur Begründung auf ihr bisheriges Vorbringen bezogen. Ergänzend hat sie geltend gemacht, die Benzolbelastung ihres verstorbenen Ehemannes sei von der Beklagten zu niedrig angesetzt worden. Zum Beweis beantrage sie die Vernehmung des Herrn Wb. als Zeugen.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des TAD vom 14. Feb-ruar 2007 darauf hingewiesen, dass für den Zeitraum von 1961 bis 1984 von einer kumulativen Benzoldosis von 18,5 ppm-Jahren und nicht wie ursprünglich angenommen von ca. 22 ppm-Jahren auszugehen sei.

Das Sozialgericht hat das Gutachten des Dr. med. Dipl.-Chem. S. vom 12. April 2007 eingeholt, der darin ausführte, dass nach der derzeit herrschenden medizinisch wissenschaftlichen Auffassung nicht davon auszugehen sei, dass unter Berücksichtigung der gesicherten berufsbedingten Belastungen des Versicherten Benzol mit Wahrscheinlichkeit die wesentliche Ursache für die Non-Hodgkin-Lymphom-Erkrankung vom B Zell-Typ gewesen sei. Auch sei es nicht von entscheidender Relevanz, ob der Versicherte während seiner Lehrzeit von 1939 bis 1942 und während seiner Tätigkeit als Flugzeugwart und Betanker in den Jahren 1948/49 gegenüber Benzol exponiert gewesen sei.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. Juni 2007 im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Tod des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls eingetreten sei. Nach derzeit gesicherter wissenschaftlicher Lehrmeinung könne nicht davon ausgegangen werden, dass das beim Versicherten diagnostizierte Non-Hodgkin-Lymphom durch die Einwirkung von Benzol verursacht worden sei.

Gegen dieses am 22. Oktober 2007 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 22. November 2007 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangenen Berufung. Zur Begründung macht die Klägerin im Wesentlichen geltend: Nach den jüngsten Empfehlungen des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten" gemäß Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 1. September 2007 sei es gemäß den dort getroffenen Ausführungen auch aus epidemiologischer Sicht wahrscheinlich, dass das als gesichertes humankanzerogen eingestuftes Benzol ab einer arbeitsmedizinisch toxikologisch wesentlichen Dosis auch das Non-Hodgkin-Syndrom verursachen könne. Weder im Verwaltungsverfahren noch im sozialgerichtlichen Verfahren sei die Benzolbelastung des Versicherten annähernd zutreffend eruiert worden. So seien die Zeiten als Flugzeugmotorenschlosser in den Jahren 1939 bis 1942 sowie als Flugzeugbetanker in L. in den Jahren 1948/49 nur vage und unvollständig bewertet worden. Auch die Belastungen in der Zeit von 1968 bis 1972 sei unzulänglich ermittelt worden. Sowohl zu den tatsächlichen Arbeitsbedingungen in den Jahren 1968 bis 1972 als auch in den Jahren 1973 bis 1984 könne Herr Wb. Auskunft geben. Insofern werde auf die eidesstattliche Versicherung des Herrn Wb. vom 20. Februar 2008 verwiesen. Im Übrigen bestehe der Anspruch auf Witwenrente entgegen der Auffassung der Beklagten seit dem 1. Januar 1997. Der von der Beklagten geltend gemachten Einrede der Verjährung werde entgegengetreten, da die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sei die Beklagte daran gehindert, sich erst zehn Jahre nach Antragstellung auf die Verjährung zu berufen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 26. Juni 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 3. Februar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Anerkennung des Non-Hodgkin-Lymphoms des Versicherten als Berufskrankheit nach Nr. 1303 bzw. Nr. 1318 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) Hinterbliebenenrente ab dem 1. Januar 1997 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Darüber hinaus weist sie darauf hin, dass sich nach den Stellungnahmen des Technischen Aufsichtsdienstes vom 13. Mai 2008 und 18. Dezember 2008 für den Zeitraum außerhalb der Zuständigkeit der Beklagten (1939 bis 1961) eine Gesamtdosis von ca. 12 bis 15 ppm-Jahren ergebe. Mit der Belastung in dem Zuständigkeitsbereich der Beklagten von ca. 19 ppm-Jahren ergäbe sich zwar insgesamt eine Dosis von 31 bis 34 ppm-Jahre. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Berufskrankheit seien damit jedoch nicht erfüllt. Außerdem sei ein Anspruch der Klägerin bis zum 31. Dezember 1996 gemäß § 1546 RVO ausgeschlossen, da ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung erstmals am 14. Oktober 2002 von der Erkrankung des Versicherten erfahren habe. Deshalb sei das ab dem 1. Januar 1997 geltende Recht des Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch (SGB VII) anzuwenden. Hinsichtlich des Zeitraumes vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 1997 werde im Rahmen des pflichtgemäß ausgeübten Ermessens die Einrede der Verjährung erhoben. Bei der Ausübung des Ermessens sei berücksichtigt worden, dass ein Feststellungsverfahren erst im Jahr 2002 habe eingeleitet werden können, da zuvor keine Kenntnis von eventuellen Leistungsansprüchen der Klägerin bestanden habe. Gemäß § 69 Abs. 2 SGB IV bestehe die Verpflichtung zu einer sparsamen Haushaltsführung. Darüber hinaus verpflichtet Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zur Gleichbehandlung der Versicherten. Es lägen auch keine Anhaltspunkte vor, die gegen eine Einrede der Verjährung sprechen könnten. Insbesondere liege kein Behördenfehler vor, der einen Beginn des Feststellungsverfahrens vor dem Jahr 2002 verhindert habe.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts die schriftliche Auskunft des Wb. vom 24. April 2008 sowie das Gutachten von Prof. Dr. Dr. R. (Extraordinarius am Institut und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Facharzt für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin) vom 26. Mai 2009 nebst ergänzender Stellungnahme vom 17. Februar 2010 eingeholt. Dieser gelangte zu der Einschätzung, dass unter Berücksichtigung der zurzeit vorliegenden epidemiologischen, arbeitsmedizinisch toxikologischen und pathophysio¬logischen Kenntnisse die bei dem Versicherten festgestellte Gesundheitsstörung nicht mit Wahrscheinlichkeit allein oder wesentlich mitwirkend auf die beruflichen Tätigkeiten und die sich daraus ergebende Benzolexposition zurückgeführt werden könne. Auf Antrag der Klägerin hat der Senat gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Prof. Dr. Ba. (Ordinariat für Arbeitsmedizin der Universität Hamburg – Zentralinstitut für Arbeitsmedizin) das Gutachten vom 13. August 2009 sowie die ergänzende Stellungnahme vom 24. Juni 2010 eingeholt. Der Gutachter kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass der Versicherte 1984 an einem Non-Hodgkin-Lymphom verstorben und diese Erkrankung mit Wahrscheinlichkeit auf eine Benzolbelastung als Flugzeugmotorenschlosser, Kraftfahrzeugmechaniker und Tankwart mit einer kumulierten hohen Belastungsintensität von 7,3 Jahren bzw. 31 bis 34 ppm-Jahren zurückzuführen sei. Auf Antrag der Klägerin hat der Senat gemäß § 109 SGG das Gutachten des Facharztes für Arbeitsmedizin/Internist/Sozialmedizin/Umweltmedizin Prof. Dr. H. vom 23. November 2011 eingeholt, der zu der Auffassung gelangt ist, dass eine BK 1303 bzw. BK 1318 anzuerkennen sei.

Der Senat hat im April 2012 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung nach § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten. Diese sind Gegenstand der Berufungsverhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist im tenorierten Umfang begründet. Das Urteil des Sozialgerichts war aufzuheben, denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte hat der Klägerin Hinterbliebenenrente zu gewähren, da der Tod des Versicherten infolge der BK 1303 eingetreten ist.

Der geltend gemachte Anspruch beurteilt sich nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) und nicht nach den Vorschriften des am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen SGB VII. Dies ergibt sich aus § 212 SGB VII, wonach die Vorschriften dieses Gesetzes (nur) für Versicherungsfälle gelten, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten sind und soweit die nachfolgenden Vorschriften (insbesondere § 214 SGB VII) nicht etwas anderes bestimmen. Gemäß § 214 Abs. 3 SGB VII gelten die Vorschriften über Renten, Beihilfen, Abfindungen und Mehrleistungen auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII eingetreten sind, wenn diese Leistungen nach dem Inkrafttreten des Gesetzes erstmals festzusetzen sind. Leistungen sind zu dem Zeitpunkt "erstmals festzusetzen" im Sinne des § 214 Abs. 3 Satz 1 SGB VII, zu dem die Voraussetzungen des jeweiligen Anspruchs erfüllt sind und der Versicherte daher einen Anspruch auf Feststellung des Leistungsrechts hat. Hingegen ist unerheblich, ob und wann dieses Recht durch Verwaltungsakt festgesetzt wird (so BSG in dem Urteil vom 21. September 2010 – B 2 U 3/10 R –, m. w. N, zitiert nach juris).

Der geltend gemachte Anspruch auf Hinterbliebenenrente war vor Inkrafttreten des SGB VII erstmals festzusetzen, denn er entstand vorbehaltlich der weiteren Voraussetzungen mit dem Tod des Versicherten, hier am 27. Oktober 1984 (§ 589 RVO).

Gemäß § 590 RVO haben Hinterbliebene Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ § 548Abs. 1, 551 Abs. 1 Satz 1 RVO). Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Durch § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Die BK 1303 ist in die BKV aufgenommen worden und findet hier Anwendung. Dem steht nicht entgegen, dass Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und lymphatischen Systems durch Benzol durch die zweite Verordnung zur Änderung der BKV (BR-Drucks. 242/09) aus der BK 1303 herausgenommen und als "lex specialis" in BK 1318 bezeichnet worden sind. Denn die 2. Verordnung zur Änderung der BKV ist am 1. Juli 2009 in Kraft getreten und entfaltet daher erst ab diesem Tag Rechtswirkungen. Erst das Inkrafttreten einer Rechtsnorm gemäß Art 82 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG führt zur Wirksamkeit der Geltungsanordnung (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2008 - B 2 KN 1/08 -; BSG, Urteil vom 17. Mai 2011 - B 2 U 19/10 -, m.w.N.; jeweils zitiert nach juris).

Voraussetzungen für die Anerkennung und Entschädigung einer Listen- Berufskrankheit ist, dass die Verrichtung einer – grundsätzlich – versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität) und dass die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (BSG, Urteil vom 2. April 2009 - B 2 U 9/08 R -, zitiert nach juris). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkung" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen.

Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt hingegen die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 2. April 2009 – B 2 U 9/08 R –, zitiert nach juris; Becker in: Becker/Bur¬chardt/Krasney/Kroschinski, SGB VII, Juni 2011, § 9 Rdn. 73 ff.). Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs beziehungsweise Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Wenn es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen gibt, ist sozialrechtlich allein relevant, ob die Einwirkungen wesentlich waren. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere/n Ursache/n keine überragende Bedeutung hat/haben. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur diese Ursache/n "wesentlich" und damit Ursache/n im Sinne des Unfallversicherungsrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jede/s andere alltäglich vorkommende Ereignis oder Einwirkung zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSG, Urteil vom 9. Mai 2005 - B 2 U 1/05 R; BSG, Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R-; jeweils zitiert nach juris). Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf eine Entscheidung gestützt werden kann (BSG, Urteil vom 16. Februar 1971 - 1 RA 113/70 -, zitiert nach juris). Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 4/12, § 8 Rn. 10.2 m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass beim Versicherten die Voraussetzungen für das Vorliegen der BK 1303 gegeben waren und der Versicherte infolge der BK 1303 verstorben ist.

Der Versicherte hat in dem Zeitraum von 1939 bis 1984 versicherte Tätigkeiten im Sinne von § 539 RVO ausgeübt. Er war während dieser Tätigkeiten auch in erheblichem Maß schädigenden Einwirkungen durch Benzol ausgesetzt. Zwar ist eine genaue Quantifizierung der Dauer und Höhe der Exposition nicht möglich, da keine die Benzolbelastung nachweisenden Messungen vorliegen. Auch sind die zur damaligen Zeit bestehenden Arbeitsbedingungen nicht mehr rekonstruierbar. Die arbeitstechnischen Ermittlungen der Beklagten haben jedoch ergeben, dass der Versicherte von 1939 bis Juni 1942 einer kumulativen Benzoldosis von ca. 1- bis 4 ppm-Jahren, von Juni 1948 bis September 1949 von ca. 2,5 ppm-Jahren, vom 13. April 1953 bis 17. August 1961 von 8,3 ppm-Jahren sowie von November 1961 bis 1984 von ca. 18,5 ppm-Jahren und damit einer Gesamtbelastung von 31 bis 34 ppm-Jahren ausgesetzt war. Der Senat hat keine Bedenken, seiner Entscheidung die von der Beklagten gewonnenen Erkenntnisse zugrunde zu legen. Die Berechnungen sind aufgrund sorgfältiger Ermittlungen und unter Berücksichtigung der damals aktuellen Anwendungshinweise zur retrospektiven Beurteilung der Benzolexpositionen durchgeführt worden. Auch verfügen die Mitarbeiter der technischen Aufsichtsdienste in der Regel über hohe Sachkunde, so dass der Senat unter Einbeziehung aller Unwägbarkeiten davon ausgeht, dass jedenfalls eine Benzolbelastung von 31 bis 34 ppm-Jahren bestanden hat.

Der Versicherte ist an einem centroblastisch-centrocytischen Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) erkrankt und diese Erkrankung hat zum Tod des Versicherten geführt. Beim NHL han¬delt es sich um mali¬gne klo¬nale Neo¬pla¬sien, die von den B- oder (sel¬te¬ner) T-Lym¬pho¬zy¬ten des lym¬pha¬ti¬schen Gewe¬bes aus¬ge¬hen. Typi¬scher¬weise tre¬ten erheb¬li¬che Schwel¬lun¬gen von Lymph¬kno¬ten oder Lymph¬kno¬ten¬pa¬ke¬ten (Lym¬phome) auf, es kön¬nen aber auch dif¬fuse lym¬pha¬ti¬sche Aus¬brei¬tun¬gen in inne¬ren Orga¬nen (z. B. Magen) oder in der Haut vor¬kom¬men. Einige NHL haben ein leuk¬ämi¬sches Erschei¬nungs¬bild und mani¬fes¬tie¬ren sich dement¬spre¬chend im Blut¬bild und im Kno-chen¬mark.

Das NHL ist auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich durch die Benzolexposition verursacht worden.

Benzolexpositionen wirken toxisch auf das blutbildende Knochenmark. Die Folge ist eine Verminderung der Zahl der weißen Blutzellen (Leukozyten), der roten Blutzellen (Erythrozyten) und der Blutplättchen (Thrombozyten) einzeln und in Kombination. Neuere Untersuchungen an benzolexponierten Beschäftigten haben gezeigt, dass diese Knochenmarksdepression bereits bei Einatmung von Benzolkonzentrationen unterhalb 1 ml pro m 3 (unter 1 ppm) stattfindet. Dabei reagieren die weißen Blutzellen am empfindlichsten auf Benzol. Infolge der Wirkung auf weiße Blutzellen, insbesondere Lymphozyten, ist Benzol auch immuntoxisch. Grundsätzlich können durch eine berufliche Benzolexposition neben der toxischen Knochenmarksdepression alle malignen Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems, so auch das NHL, hervorgerufen werden, (vgl. Schönberger/Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S. 944 m. w. N.). Die hin¬rei-chende Wahr¬schein¬lich¬keit für eine Ursäch¬lich¬keit berufs¬be¬ding¬ter Schad¬stof¬f¬ex¬po¬si-tio¬nen wird ins¬be¬son¬dere ange¬nom¬men, wenn die schä¬di¬gen¬den beruf¬li¬chen Ein¬wir-kun¬gen in einer bestimm¬ten Dosis/Wir¬kungs¬be¬zie¬hung ste¬hen (Erlen¬käm¬per, ASU 1998, 394, 396). Dosis ist die¬je¬nige Menge eines Stof¬fes (oder einer Noxe), die inner¬halb einer bestimm¬ten Zeit zur Ein¬wir¬kung (Expo¬si¬tion) kommt (Woi¬to¬witz, Med-Sach 1998, 105, 107; Mehrtens/Brandenburg, BKV, 2/11, § 9, Rn. 26.2). Dies gilt jedoch nicht für die Non-Hodgkin-Lymphome, da die gegenwärtige epidemiologische Datenlage keine präzise Beschreibung des Dosis-Wirkungszusammenhangs zulässt. Insofern ist für die Beurteilung der Kausalität eine Einzelfallbetrachtung der Expositionsbedingungen vorzunehmen. Einzubeziehen sind dabei die Intensität der Schadstoffeinwirkungen sowie die individuellen Expositionsbedingungen wie z.B. besonders intensiver Hautkontakt mit Benzol oder benzolhaltigen Gemischen, besondere Expositionsintensität im jugendlichen Alter und unzulängliche Arbeitsschutzbedingungen (Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., M 1318, S. 8, Wissenschaftliche Begründung zur Berufskrankheit Nummer 1318 "Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol, "Bek. des BMAS vom 1. September 2007 – IVa 4-45222 –GMBl 49-51/2007, S. 974 ff.,). Um den Ursachenzusammenhang überhaupt bejahen zu können, ist eine extreme Belastungsintensität über einen Zeitraum von in der Regel zwei bis fünf Jahren oder eine hohe Belastungsintensität von in der Regel sechs und mehr Jahren erforderlich. Mit einer extremen Belastungsintensität ist z. B. der offene Umschlag von Otto-Kraftstoffen (Kfz-Benzin) auf Tankwagen (schichtbezogen) oder das Reinigen von Gegenständen mit Otto-Kraftstoff (tätigkeitsbezogen bis 1985) verbunden. Als hochbelastend (hohe Belastungsintensität) sind Arbeiten im Kraftfahrzeughandwerk an Vergasern oder autokraftstoffführenden Teilen (tätigkeitsbezogen) anzusehen (Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., M 1318, S. 15).

Nach diesen Maßstäben überwiegen bei Abwägung aller Umstände die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren.

Nach den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. Ba. war der Versicherte während seiner Tätigkeit als Kraftfahrzeugmechaniker von 1953 bis 1961 einer hohen Belastungsintensität während zwei Stunden arbeitstäglich und damit einer kumulierten Belastungsintensität von 2,1 Jahren ausgesetzt. Auch die Tätigkeit während der Berliner Luftbrücke von Juni 1948 bis September 1949 war sechs Stunden arbeitstäglich - entsprechend einer kumulierten Belastungsintensität von einem Jahr - mit einer hohen Benzolbelastung verbunden. Bei der Tätigkeit als Tankwart mit Tankservice von 1961 bis 1969 hat die Betankung der Fahrzeuge nach den glaubhaften schriftlichen Bekundungen des Zeugen Wb. ca. zwei Drittel der wöchentlich ca. 60 stündigen Arbeitszeit ausgemacht. Damit war der Versicherte zumindest zur Hälfte dieser Tätigkeit einer hohen Belastungsintensität entsprechend einer kumulierten Belastungsintensität von 4,2 Jahren - ausgesetzt. Während der übrigen Arbeitszeit lag die Einwirkung im mittleren Bereich. Da der Versicherte von 1970 bis 1984 eine Tankstelle ohne Betankungsservice betrieben hat, ist für diesen Zeitraum allenfalls eine mittlere Belastungsintensität anzunehmen. Unberücksichtigt bleibt, in welchem Umfang der Versicherte von April 1939 bis Juni 1942 als Lehrling bzw. Geselle in der Flugzeug-Motorenschlosserei Benzoleinwirkungen ausgesetzt war, da über diesen Zeitraum keine verwertbaren Erkenntnisse vorliegen. Insgesamt war jedenfalls eine kumuliert hohe Belastungsintensität von mindestens 7,3 Jahren gegeben. Hinzukommt, dass der Versicherte einer besonders langen Expositionsdauer von mehr als 35 Jahre Jahren sowie einer erheblichen Benzolbelastung in jungen Jahren während der Ausbildung zum Flugzeugmechaniker ausgesetzt war. Darüber hinaus geht der Senat davon aus, dass bis in die 1970iger Jahre aufgrund unzulänglicher Arbeitsschutzbedingungen und vorherrschender Sorglosigkeit ein intensiver Hautkontakt mit Benzol oder benzolhaltigen Gemischen stattgefunden hat. Hinweise darauf, dass beim Versicherten konkurrierende Faktoren wie z.B. Viruserkrankungen, eine Behandlung mit Zytostatika oder außerberufliche toxische Einwirkungen vorgelegen haben, finden sich weder in den Akten und werden auch nicht von der Beklagten geltend gemacht.

Der Senat stützt sich bei den medizinischen Feststellungen auf die gutachterlichen Ausführungen von Prof. Dr. Ba. und Prof. Dr. Z. an der Richtigkeit dieser Einschätzung ergeben sich auch nicht daraus, dass Prof. Dr. Dr. R. in seinem Gutachten vom 26. Mai 2009 sowie seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17. Februar 2010 zu dem Ergebnis gelangt ist, dass auch unter Berücksichtigung der neuesten wissenschaftlich-epidemiologischen Literatur einschließlich umfangreicher Meta-Analysen konstatiert werden müsse, dass valide und konsistente Assoziationen zwischen beruflicher Benzolexposition und dem Auftreten von NHL nicht nachweisbar seien. Diese Einschätzung steht im Widerspruch zum aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also, von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 – 2 B U 20/04 R –, zitiert nach juris). Dabei können einschlägige Publikationen, beispielsweise die Merkblätter des zuständigen Bundesministeriums und die wissenschaftliche Begründung des ärztlichen Sachverständigenbeirats, Sektion Berufskrankheiten, zu der betreffenden Berufskrankheit oder Konsensusempfehlungen der mit der Fragestellung befassten Fachmediziner herangezogen werden, sofern sie zeitnah erstellt oder aktualisiert worden sind und sich auf dem neuesten Stand befinden (BSG, Urteil vom 27. Juni 2006, B 2 U 13/05 R, zitiert nach juris).

Prof. Dr. Ba. und Prof. Dr. H. haben überzeugend dargelegt, dass in der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mittlerweile die Entstehung von NHL durch Benzoleinwirkung anerkannt ist. Der ärztliche Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist in seiner wissenschaftlichen Begründung für die Berufskrankheit "Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und lymphatischen Systems durch Benzol" (Bekanntmachung des BMAS vom 1. September 2007, GMBl 2007, Nr. 49 bis 51, Seite 974 bis 1015) zusammenfassend zu der Auffassung gelangt, dass eine arbeitsbedingte Benzolexposition in der Lage sei, sowohl nicht maligne als auch maligne Erkrankungen des Blut- und Lymphsystems zu verursachen. Prof. Dr. Ba. und Prof. Dr. H. haben zutreffend darauf hingewiesen, dass die Begrenztheit der epidemiologischen Datenlage im Rahmen der wissenschaftlichen Begründung berücksichtigt worden ist. Der Sachverständigenbeirat hat ausdrücklich festgestellt, dass die Ableitung eines präzisen Dosis-Grenzwertes für Benzol nicht möglich sei und sich für eine einzelfallbezogene Beurteilung "ungeachtet der unzureichenden epidemiologischen Erkenntnislage" ausgesprochen. Außerdem führt Prof. Dr. Ba. zu Recht aus, dass insbesondere die von Prof. Dr. Dr. R. zitierte Arbeit der Autoren Steinmaus et al. eher einen Zusammenhang zwischen Benzolbelastung und NHL bestätige. So sei ein statistisch signifikantes relatives Risiko von 2,1 (95 % Konfidenzintervall 1,1 - 4,0) ermittelt worden, wenn Studien ausgeschlossen worden seien, die vermutlich Nichtexponierte einschlossen bzw. solche Untersuchungen keinen Eingang in die Metaanalyse gefunden hätten, in denen die Daten zur Exposition ausschließlich auf den subjektiven Angaben der Beschäftigten beruht hätten. In der neueren Literatur fänden sich darüber hinaus weitere Arbeiten, die einen Zusammenhang zwischen Benzolbelastung und NHL nahelegten bzw. einen solchen annehmen ließen. So habe Mehlmann 2006 geschlussfolgert, dass nach zahlreich durchgesehenen Studien ein Zusammenhang zwischen NHL und Benzol bzw. Benzol enthaltenden Lösungsmitteln begründet sei. Wang et al. hätten 2009 über einen Zusammenhang zwischen Benzolbelastung und der Häufigkeit von B-Zell-Lymphonen, einer häufigen Untergruppe der NHL, berichtet. Auch der Einwand von Prof. Dr. Dr. R., gegen einen konkreten Ursachenzusammenhang spreche, dass die Erkrankung beim Versicherten erst nach einer Latenzzeit von 40 Jahren aufgetreten sei, ist nicht geeignet, den Ursachenzusammenhang in Zweifel zu ziehen. Soweit Prof. Dr. R. diesbezüglich eine Veröffentlichung von Finkelstein aus dem Jahr 2000 zitiert, ist darauf hinzuweisen, dass sich die Feststellungen von Finkelstein auf akute Leukämien und nicht auf Non-Hodgkin-Lymphome bezieht. Da insbesondere die niedrig malignen Non-Hodgkin-Lymphome eine sehr allmähliche Krankheitsentwicklung zeigen, ist auch von einer deutlich längeren Latenzzeit auszugehen ist. Darauf hat der Sachverständigenbeirat in seiner wissenschaftlichen Begründung ausdrücklich hingewiesen.

Auch kann dem erstinstanzlich gehörten Dr. S. nicht darin gefolgt werden, dass sich bei Konzentrationen unter 40 ppm-Jahren auf epidemiologischer Ebene ein Sachzusammenhang nicht nachweisen lasse. Dagegen sprechen die Erkenntnisse, die der ärztliche Sachverständigenbeirat in seiner wissenschaftlichen Begründung insbesondere in den Tabellen 5,6 und 7 (Seite 999 bis 1001 der Begründung) dargelegt hat. Nach den Ausführungen von Prof. H. ergibt sich daraus, dass im Expositionsbereich unterhalb 40 ppm-Jahre das Risiko für hämolymphatische Tumore (insbesondere für Non-Hodgkin-Lymphome) bereits mehr als verdoppelt sei; in der umfangreichsten Studie, der Chinakohorte (HAYES et al. 1997) sei das Risiko für Non-Hodgkin-Lymphome bereits auf mehr als das Dreifache erhöht. Zusammenfassend bieten die gutachterlichen Feststellungen von Prof. Dr. Dr. R. und Dr. S. keine substanziellen bzw. stichhaltigen Argumente gegen das Vorliegen der BK 1303. Darüber hinaus ist es nicht Aufgabe eines sozialgerichtlichen Verfahrens, die Richtigkeit medizinischer Auffassungen zu überprüfen. Dies ist Aufgabe der fachwissenschaftlichen Diskussion. Ermittlungen, ob eine anerkannte herrschende Meinung in der medizinischen Wissenschaft noch besteht, sind erst dann veranlasst, wenn ernsthafte Zweifel daran nachvollziehbar dargelegt sind. Auch der Hinweis von Prof. Dr. Dr. R., dass Prof. Dr. Ba. als Mitglied des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA gutachterlich evtl. nicht ganz unbefangen und unvoreingenommen sein könne, lässt keinen Zweifel an der Fachkompetenz und Unabhängigkeit von Prof. Dr. Ba. aufkommen. Prof. Dr. Ba. hat sich sorgfältig und kritisch mit den von Prof. Dr. Dr. R. vorgebrachten Argumenten auseinandergesetzt und die für ein ursächlichen Zusammenhang sprechenden Aspekte detailliert und für den Senat nachvollziehbar erläutert. Prof. Dr. Ba. hat – ebenso wie Prof. Dr. H. - aufgezeigt, dass es derzeit keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse dafür gibt, dass die vom Sachverständigenbeirat abgegebene Empfehlung unzutreffend sein könnte. Auch der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 22. De¬zember 2011 eingereichte Aufsatz von Ulm, Morfeld (Benzol und Non-Hodgkin-Lymphome - Erkenntnisse aus epidemiologischer Sicht -) lässt auf keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse schließen, die zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen könnten. Die Autoren schlussfolgern zwar, dass die Mehrzahl der aktualisierten Meta-Analysen auf keinen Zusammenhang zwischen Benzolexposition und NHL hinweisen würden. Aufgrund der aktualisierten epidemiologischen Daten und Auswertungen sei die 2007 abgegebene Empfehlung des ärztlichen Sachverständigenbeirats, Non-Hodgkin-Lymphome in Verbindung mit einer Benzolexposition als offizielle Berufskrankheit zu akzeptieren, kritisch zu hinterfragen und neu zu diskutieren. Daraus lässt sich jedoch herleiten, dass sich bezüglich der Verursachung von NHL durch Benzoleinwirkung der Erkenntnisstand der herrschenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft geändert hat.

Damit ist der Tod des Versicherten infolge der BK 1303 eingetreten und die Klägerin hat einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente.

Die Berufung war jedoch insoweit zurückzuweisen, als die Klägerin Leistungen ab dem 1. Januar 1997 geltend macht. Es besteht nur ein Anspruch ab dem 1. Ok¬tober 2002.

Gemäß §§ 1546, 1548 RVO war der Anspruch auf Entschädigung für die Hinterbliebenen, wenn er nicht von Amts wegen festgestellt war, spätestens zwei Jahre nach dem Tode des Verletzten bei dem Versicherungsträger anzumelden; wurde der Anspruch später angemeldet, so begannen die Leistungen mit dem 1. des Antragsmonats, es sei denn, dass die verspätete Anmeldung durch Verhältnisse begründet war, die außerhalb des Willens des Antragstellers lagen.

Die Klägerin hat den Antrag auf Hinterbliebenenrente am 14. Oktober 2002 gestellt. Anhaltspunkte dafür, dass die verspätete Anmeldung durch Verhältnisse begründet war, die außerhalb ihres Willens lagen, sind nicht ersichtlich. Demgemäß besteht der Anspruch auf Hinterbliebenenrente erst ab dem 1. Oktober 2002.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat der Senat die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

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Rechtskraft
Aus
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