L 5 R 527/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 2334/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 527/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 12.12.2011 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Zahlung von Übergangsgeld für den 24. und 25.07.2007.

Der 1968 geborene Kläger war seit dem 30.08.2006 arbeitsunfähig. Bis zum 10.01.2007 bezog er Krankengeld. Vom 11.01.2007 bis zum 23.07.2007 erhielt er Arbeitslosengeld I. Mit Bescheid vom 29.03.2007 bewilligte die Beklagte Maßnahmen zur Berufsfindung/Arbeitserprobung in K-L (internatsmäßige Unterbringung). Für die Zeit vom 13.06.2007 bis 25.07.2007 nahm der Kläger an der Maßnahme teil. Er wurde als arbeitsunfähig entlassen.

Mit Bescheid vom 26.11.2007, der keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Berufsfindung/Arbeitserprobung nicht zu den Leistungen nach § 33 Abs. 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) gehöre. Übergangsgeld werde nach § 45 Abs. 3 SGB IX für den Zeitraum gewährt, in dem die berufliche Eignung abgeklärt, eine Arbeitserprobung durchgeführt werde und der Versicherte wegen der Teilnahme kein oder geringes Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erziele. Bezieher einer Entgeltersatzleistung anderer Leistungsträger hätten keinen Anspruch auf Übergangsgeld. Dieses gelte auch für das Arbeitslosengeld II. Ab dem 24.07.2007 habe der Kläger einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II, sodass ein Anspruch auf Übergangsgeld für die Zeit vom 24.07.2007 bis 25.07.2007 nicht bestehe.

Der Kläger legte am 20.02.2008 Widerspruch gegen den Bescheid vom 26.11.2007 ein. Dieser wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 28.05.2008 als unbegründet zurückgewiesen.

Der Kläger hat sein Begehren, Übergangsgeld für den 24. und 25.07.2007 zu erhalten, weiterverfolgt, am 30.06.2008 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben.

Mit Urteil vom 12.12.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. In der Rechtsmittelbelehrung heißt es: "Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden".

Gegen dieses ihm am 02.01.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 02.02.2012 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt.

Der Senat hat den Kläger darauf hingewiesen, dass der für die Statthaftigkeit der Berufung erforderliche Betrag hier nicht erreicht werde. Das Sozialgericht habe die Berufung weder in dem Tenor noch in den Gründen zugelassen. Dementsprechend sei die Rechtsmittelbelehrung unzutreffend und das statthafte Rechtsmittel nicht die Berufung, sondern die Nichtzulassungsbeschwerde. Der Senat könne nach § 158 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung auch ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zurückweisen, wenn sie nicht statthaft ist. Diese Verfahrensweise sei auf Grund des derzeitigen Sach- und Streitstandes beabsichtigt.

Der Kläger hat hierzu vorgetragen, seines Erachtens sei der Rechtsbehelf aufgrund der Rechtsmittelbelehrung zulässig, auch wenn die Rechtsmittelbelehrung falsch wäre. Nach dem prozessualen Meistbegünstigungsgebot müsse die Rechtsbehelfsbelehrung dahingehend ausgelegt werden, dass ein Rechtsmittel auf jeden Fall eingelegt werden könne, die Auslegung entspreche also der Zulassung der Berufung. Der vorliegende Rechtsstreit habe über den eigentlichen Streitgegenstand hinaus weitreichende Folgen für weitergehende Ansprüche. Von der Bewilligung des Übergangsgeldes für die beiden benannten Tage hänge es nämlich ab, ob der Kläger anschließend Krankengeld erhalte, dies sei ihm versagt worden. Auch diesbezüglich sei ein Rechtsstreit anhängig. Er verweise auf das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27.10.2011 - S 11 KR 254/10 -. Aus dem Urteil ergebe sich, dass dann, wenn für die zwei streitgegenständlichen Tage Übergangsgeld bewilligt würde, auch die Voraussetzungen für einen anschließenden Krankengeldbezug vorliegen würden, nämlich für die Zeit vom 24.07.2007 bis zum 30.01.2008 in Höhe von EUR 40,50 kalendertäglich. Es müsse davon ausgegangen werden, dass das Sozialgericht im Hinblick darauf die Berufung als das richtige Rechtsmittel erachtet habe. Er gebe zu bedenken, dass die Rechtsbehelfsbelehrung ohne weiteres auch als Zulassung der Berufung im Sinne des § 144 1 SGG aufgefasst werden könne.

Mit Verfügung vom 10.10.2012 wurde der Kläger-Vertreter darauf hingewiesen, dass es bei dem Hinweis vom 03.07.2012 verbleibe. Bei einer Klage auf Gewährung einer Geldleistung sei der Wert des Beschwerdegegenstandes im Berufungsverfahren (§ 144 Abs. 1 SGG) lediglich nach dem Geldbetrag zu berechnen, um den unmittelbar gestritten werde. Rechtliche oder wirtschaftliche Folgewirkungen der Entscheidung über den eingeklagten Anspruch blieben außer Ansatz (BSG, Beschluss vom 06.02.1997 - 14/10 BKg 14/96 -‚ veröffentlicht in Juris mit Nachweis). Dementsprechend sei hier allein das begehrte Übergangsgeld für 2 Tage maßgeblich. Die Rechtsmittelbelehrung sei damit falsch und die eingelegte Berufung bereits unstatthaft. Im Berufungsverfahren erscheine die weitere Rechtsverfolgung dementsprechend missbräuchlich. Er wurde insoweit auf § 192 SGG hingewiesen.

Nachdem der Kläger-Vertreter erklärt hat, dass ihn die Hinweise, dass die Rechtsbehelfsbelehrung unbeachtlich sein solle, noch nicht überzeugten, hat ihm die Berichterstatterin mit Verfügung vom 18.12.2012 mitgeteilt, dass es bei den Hinweisen vom 03.07.2012 und vom 10.10.2012 bleibe.

Der Kläger hat am 05.12.2012 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 12.12.2011 eingelegt und ausdrücklich erklärt, das er auch an der Berufung weiter festhalte. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung hat der Senat mit Beschluss vom heutigen Tage zurückgewiesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 12.12.2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.05.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für den 24. und 25.07.2007 Übergangsgeld zu gewähren.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt und sich zur Berufung nicht geäußert. Das tägliche Übergangsgeld (gemeint wohl Krankengeld) in der Zeit bis 10.1.2007 habe 40,50 EUR betragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Berufungsakte, Gerichtsakte des SG sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat verwirft die Berufung des Klägers gemäß § 158 Satz 2 SGG durch Beschluss als unzulässig, weil sie nicht statthaft ist. Gründe für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sind vom Kläger nicht vorgetragen worden und drängen sich bei der vorliegenden Sach- und Rechtslage nicht auf.

Die Berufung ist bereits unstatthaft.

Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt.

Weder das Sozialgericht noch der Senat hat die Berufung gegen die angegriffene Entscheidung zugelassen. Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen. Eine Zulassungsentscheidung enthält der Tenor des Urteils nicht. Eine solche lässt sich auch den Gründen nicht entnehmen. Damit ist die Rechtsmittelbelehrung falsch. Durch eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung tritt die Bindungswirkung des § 144 Abs. 3 SGG nicht ein, sondern nur durch Berufungszulassung in der Urteilsformel; ausnahmsweise auch durch eine eindeutig ausgesprochene Zulassung in den Entscheidungsgründen (BSG, Beschluss vom 02.06.2004 - B 7 AL 10/04 B -, veröffentlicht in Juris m.N.). Der Senat hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung am heutigen Tage - unanfechtbar - zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdegegenstands der auf höheres Übergangsgeld gerichteten Klage übersteigt auch nicht 750,00 EUR. Bei einer Klage auf Gewährung einer Geldleistung ist der Wert des Beschwerdegegenstandes im Berufungsverfahren (§ 144 Abs. 1 SGG) lediglich nach dem Geldbetrag zu berechnen, um den unmittelbar gestritten wird. Rechtliche oder wirtschaftliche Folgewirkungen der Entscheidung über den eingeklagten Anspruch bleiben außer Ansatz (BSG, Beschluss vom 06.02.1997 - 14/10 BKg 14/96 -, veröffentlicht in Juris mit Nachweis). Dementsprechend war hier allein das für zwei Tage begehrte Übergangsgeld maßgeblich. Damit wird hier ein Rechtsstreit - im Wege einer unstatthaften Berufung - wegen 81,- EUR geführt. Dieser Betrag erreicht den maßgeblichen Wert von mehr als 750 EUR nicht. Der Meistbegünstigungsgrundsatz findet hier keine Anwendung. Er besagt lediglich, dass Prozessparteien dadurch, dass das Gericht seine Entscheidung in einer falschen Form erlässt, keinen Rechtsnachteil erleiden. Ihnen steht deshalb sowohl das Rechtsmittel zu, das nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft ist, als auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form erlassenen Entscheidung zulässig wäre. Der Schutzgedanke der Meistbegünstigung soll die beschwerte Partei vor Nachteilen schützen, die auf der unrichtigen Entscheidungsform beruhen. Auch dieser Grundsatz führt allerdings nicht dazu, dass das Rechtsmittelgericht auf dem vom erstinstanzlichen Gericht eingeschlagenen falschen Weg weitergehen müsste; vielmehr hat das Rechtsmittelgericht das Verfahren so weiter zu betreiben, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 09.02.1993 - 12 RK 75/92 -, veröffentlicht in Juris). Hier hat das SG über die Klage aber in der zutreffenden Form durch Urteil entschieden, so dass der Grundsatz der Meistbegünstigung nicht greift.

Es liegt allein ein Fall der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung vor, deren Folgen in § 66 Abs. 2 SGG geregelt sind. Danach läuft in Fällen wie diesem für die Einlegung des richtigen Rechtsmittels die Jahresfrist.

Die Umdeutung einer eingelegten Berufung in das Rechtsmittel einer Nichtzulassungsbeschwerde scheidet demgegenüber nach der Rechtsprechung des BSG aus. Dies gilt selbst dann, wenn der Rechtsmittelführer nicht rechtskundig vertreten ist, weil das Rechtsmittel der Berufung und das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde eine unterschiedliche Zielrichtung haben (BSG, Urteil vom 20.05.2003 - B 1 KR 25/01 - und Beschluss vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/11 B -, jeweils veröffentlicht in Juris m.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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