L 9 R 1016/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1016/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 17. März 1998 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Vormerkung von Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) ohne Kürzung der Entgeltpunkte (EP) um 40 % nach § 22 Abs. 4 FRG.

Die 1955 geborene Klägerin kam im April 1990 aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland. Sie ist im Besitz eines Vertriebenenausweises B. Ausweislich ihres am 11.5.1973 ausgestellten Arbeitsbuches war sie von August 1972 bis März 1990 in verschiedenen Fabriken als Arbeiterin beschäftigt.

Mit Bescheid vom 7.7.1997 stellte die Landesversicherungsanstalt (LVA) Württemberg, nunmehr Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg, die im beigefügten Versicherungsverlauf vom 7.7.1997 enthaltenen Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurücklagen, also die Zeiten bis 31.12.1990, als für die Beteiligten verbindlich fest, soweit sie nicht bereits früher festgestellt worden waren. Unter Vorbehalte und Erläuterungen führte die LVA Württemberg u.a. aus: "Für die nach dem Fremdrentengesetz anerkannten Zeiten werden 60 % der maßgebenden Entgeltpunkte berücksichtigt (Faktor 0,6). Dies gilt nicht für Ausbildungs-, Kindererziehungs- und Wehrdienstzeiten, für freiwillige Beiträge sowie für Zeiten nach dem deutsch-polnischen Rentenabkommen vom 9.10.1975 (DPRA)". Ein entsprechender Vermerk findet sich unter "Erläuterungen" am Ende des Versicherungsverlaufs vom 7.7.1997.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 7.8.1997 Widerspruch ein und wandte sich gegen die 5/6-Anrechnung sowie die Berücksichtigung der nach dem FRG anerkannten Zeiten zu 60 %.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.1997 (zur Post gegeben mit eingeschriebenem Brief am 27.10.1997) wies die LVA Württemberg den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 24.11.1997 Klage zum Sozialgericht (SG) Konstanz erhoben und sich gegen die Kürzung der EP für die nach dem FRG anerkannten Zeiten gewandt. Sie hat geltend gemacht, die Neuregelung des § 22 Abs. 4 FRG durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) vom 25.9.1996 sei verfassungswidrig. Sie verstoße gegen Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG sowie gegen Art. 14 GG.

Mit Urteil vom 17.3.1998 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Regelung des § 22 Abs. 4 FRG sei nicht verfassungswidrig. Ein Verstoß gegen Art. 14 GG liege nicht vor. Die Vorschrift führe zu keiner Kürzung bereits bezogener Renten; die Klägerin selbst beziehe derzeit nicht einmal eine Rente. Im Übrigen würden nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG Inhalt und Schranken des Eigentums durch Gesetz bestimmt, wobei der Gesetzgeber im Interesse der Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung einen weiten Gestaltungsspielraum habe. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liege nicht vor. Die genannte Bestimmung beinhalte keinen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 20.3.1998 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20.4.1998 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 9 RJ 1419/98) eingelegt und vorgetragen, den Ausführungen des SG sei entgegenzuhalten, dass bei Berücksichtigung der Zeiten zu 5/6 und bei zusätzlicher Multiplikation der EP mit dem Faktor 0,6 sie nur einen Rentenanspruch von 50 % im Vergleich zu Rentnern habe, die ihre Anwartschaften in der Bundesrepublik Deutschland erworben hätten. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sie in der streitigen Zeit keinerlei Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland eingezahlt habe, sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt. Eine Kürzung des Rentenanspruchs auf 50 % verstoße auch gegen Art. 14 GG, auf jeden Fall gegen Art. 3 GG. Die Klägerin hat angeregt, den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) – Az. 1 BvR 718/97 – auszusetzen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 17. März 1998 aufzuheben sowie den Bescheid vom 07. Juli 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 1997 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Entgeltpunkte für ihre nach dem Fremdrentengesetz zurückgelegten Beitragszeiten ohne Kürzung um 40 % zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 18.12.1998 hat das LSG im Hinblick auf beim Bundessozialgericht (BSG) anhängige Revisionen wegen Kürzung der EP um 40 % (B 5 RJ 24/98 R und B 5 RJ 26/98 R) das Ruhen des Verfahrens angeordnet.

Mit Schreiben vom 10.3.2011 hat die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern, die im Wege der Funktionsnachfolge an die Stelle der bisherigen Beklagten, der LVA Württemberg bzw. Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg, getreten ist, das ruhende Verfahren wieder angerufen. Sie hat ausgeführt, das BVerfG habe mit Beschluss vom 13.6.2006 entschieden, dass die durch das WFG vom 25.9.1996 eingeführte Regelung in § 22 Abs. 4 FRG mit dem GG vereinbar sei. Es habe jedoch das Fehlen einer Übergangsregelung für rentennahe Jahrgänge beanstandet, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der BRD vor dem 1.1.1991 genommen hätten und deshalb nach der bis zur Verkündung des WFG geltenden Rechtslage eine ungeschmälerte Rente aus Zeiten nach dem FRG hätten beanspruchen können. Daraufhin sei durch das am 30.4.2007 verkündete RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz Art. 6 § 4c FANG zum 1.10.1996 um einen Absatz 2 ergänzt worden. Danach sei für die genannten Berechtigten für die Zeit vom 1.10.1996 bis 30.6.2000 ein Zuschlag an persönlichen EP vorgesehen worden. Für die Zeit des Rentenbezugs ab 1.7.2000 werde der Zuschlag nicht mehr gezahlt. Da die Klägerin noch keine Rente beziehe, komme schon aus diesem Grunde die Berechnung eines Zuschlages nach Art. 6 § 4c Abs. 2 FANG nicht in Betracht.

Der Senat hat von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg den Bescheid vom 7.7.1997 und von der Beklagten die Vormerkungsbescheide vom 25.9.2009 und 7.2.2011 beigezogen.

Die Klägerin hat auch nach Kenntnis der Ausführungen eine Entscheidung begehrt. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Vormerkung der nach dem FRG zurückgelegten Beitragszeiten ohne Kürzung nach § 22 Abs. 4 FRG hat.

Nach § 149 Abs. 5 Satz 1 SGB VI stellt der Versicherungsträger, nachdem er das Versicherungskonto geklärt oder der Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten nach Versendung des Versicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest. Der sog. Vormerkungsbescheid trifft auf der Grundlage des bei seinem Erlass geltenden Rechts Feststellungen über Tatbestände einer rentenversicherungsrechtlich relevanten Vorleistung, die grundsätzlich in den späteren Rentenbescheid und damit in den Rentenwert eingehen. Er schafft Klarheit über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen von Zeiten rentenversicherungsrechtlicher Relevanz. Durch den Vormerkungsbescheid werden die Tatbestände rentenrechtlicher Zeiten für die jeweiligen Bezugsmonate verbindlich festgestellt, mit der Folge, dass diese im Leistungsfall grundsätzlich zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 18.5.2006 - B 4 RA 40/05 - in Juris). Nicht hingegen ist Gegenstand eines Vormerkungsbescheides, worauf in dem Vormerkungsbescheid vom 7.7.1997 und auch in der dieser zu Grunde liegenden Ermächtigungsnorm des § 149 Abs. 5 S. 3 SGB VI hingewiesen wird, die abschließende Entscheidung über die Anrechnung und Bewertung dieser Zeiten (vgl. BSG, Urteil vom 30.3.2004 - B 4 RA 36/02 RSozR 4-2600 § 149 Nr. 1 und in Juris).

Vorliegend bestehen schon Zweifel, ob überhaupt ein Rechtsschutzinteresse an einer Klage gegen den Bescheid vom 7.7.1997 in Verbindung mit dem Versicherungsverlauf vom 7.7.1997 besteht. Denn bei den Vermerken unter "Vorbehalte und Erläuterungen" sowie unter "Erläuterungen" zu der Kürzung von EP für den nach dem FRG anerkannten Zeiten um 60 % handelt es sich um keine Feststellung von Tatbeständen rentenversicherungsrechtlicher Relevanz im Sinne des § 149 Abs. 5 S. 1 SGB VI, sondern allenfalls um einen Bewertungsfaktor, der erst bei der Entscheidung über die Rentengewährung relevant wird (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 30.7.2009 – L 6 R 120/09 – in Juris). Verbindlich festgestellt wird im Vormerkungsbescheid nämlich der Rechtscharakter der vorgemerkten Zeit als auch deren zeitlicher Umfang, nicht hingegen die abschließende Entscheidung über die Anrechnung und Bewertung dieser Zeiten (BSG, Urteil vom 30.3.2004, a.a.O.). Die Multiplikation der EP mit dem Faktor 0,6 betrifft jedoch weder Rechtscharakter noch zeitlichen Umfang der streitigen Zeiten, sondern einen reinen Bewertungsfaktor, über dessen Anwendung erst bei der Entscheidung über die Rentengewährung zu befinden ist. In dem Bescheid vom 7.7.1997 wurden auch keine EP ermittelt. Eine einer Bindungswirkung zugängliche Feststellung von EP ist in diesem Bescheid ebenfalls nicht enthalten.

Durch die später ergangenen Bescheide der Beklagten vom 25.9.2009 und 7.2.2011, die keinen Hinweis auf die Kürzung gemäß § 22 Abs. 4 FRG enthalten, wird der Bescheid vom 7.7.1997 nicht gemäß § 96 SGG ersetzt, da diese nur Regelungen für Zeiten treffen, soweit sie nicht früher festgestellt worden sind. Die hier streitigen Zeiten sind jedoch schon durch den angefochtenen Bescheid vom 7.7.1997 festgestellt. Aus den später ergangenen Bescheiden ist auch nicht zu entnehmen, dass keine Multiplikation mit dem Faktor 0,6 gemäß § 22 Abs. 4 FRG zu erfolgen hat (Bayerisches LSG, Urteil vom 30.7.2009, aaO).

Aber selbst wenn man ein Rechtsschutzinteresse an der Klärung der Frage, ob die nach dem FRG anerkannten EP mit dem Faktor 0,6 zu multiplizieren sind, bejaht, hat die Berufung keinen Erfolg.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 22 Abs. 4 FRG hat der Senat nicht, zumal das BVerfG mit Beschluss vom 13.6.2006 – 1 BvL 9/00 u.a. – SozR 4-5050 § 22 Nr. 5, BVerfGE 116, 96 ff. und in Juris) die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung festgestellt hat. Dabei hat es erklärt, dass die durch das FRG begründeten Rentenanwartschaften nicht dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG unterliegen, wenn ihnen ausschließlich Beitrags- und Beschäftigungszeiten zu Grunde liegen, die in den Herkunftsgebieten erbracht oder zurückgelegt worden sind. Hierzu hat es ausgeführt, da es das FRG selber sei, das einen vermögenswerten Rechtsanspruch erst gewähre, der von Art. 14 GG geschützt sein soll, könne er dieses Grundrecht nicht verletzen. Für die Anerkennung einer sozialversicherungsrechtlichen Rechtsposition als Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG sei das Erfordernis der an einen Versicherungsträger in der BRD erbrachten Eigenleistung unverzichtbar. Die in den Herkunftsgebieten erbrachten oder zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten begründeten keine derartige Eigenleistung, da deren Wertschöpfung nicht innerhalb der zur Leistung verpflichteten Solidargemeinschaft erfolge und ihr auch nicht zugute gekommen sei. Darüber hinaus hat das BVerfG dargelegt, dass die durch § 22 Abs. 4 FRG in der Fassung des WFG vom 25.9.1996 erfolgte Absenkung der auf dem FRG-Gesetzen beruhenden EP auch dann nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden sei, wenn die Rentenanwartschaften, die auf rentenrechtlichen Zeiten sowohl in den Herkunftsgebieten als auch in der Bundesrepublik Deutschland beruhen, als Gesamtrechtsposition insgesamt dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG zu unterstellen wären. Der Gesetzgeber habe sich im Rahmen seiner Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums gehalten. Der in der gesetzlichen Regelung liegende Eingriff in die Rechtsposition der nach dem FRG Berechtigten sei durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. § 22 Abs. 4 FRG entspreche bei einer Prüfung am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da die Regelung zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich gewesen sei. Auch eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG hat das BVerfG verneint, da die ungleiche Behandlung derjenigen Personen, die aufgrund des § 22 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 6 § 4c FANG (1996) einen Abschlag von 40 % ihrer EP hätten hinnehmen müssen, hinreichend gerechtfertigt sei. Eine Diskriminierung und damit eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 GG liege nicht vor, weil die Regelung an unterschiedliche Versicherungsbiografien anknüpfe, und nicht an die in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale.

Die aufgrund der Entscheidung des BVerfG getroffene Übergangsregelung des Art. 6 § 4c Abs. 2 FANG (2007), die die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt (vgl. BSG, Urteil vom 20.10.2010 – B 13 R 90/09 R – in Juris) und die einen Zuschlag für rentennahe Jahrgänge für die Zeit vom 1.10.1996 bis 30.6.2000 vorsieht, ist auf die Klägerin nicht anwendbar, da sie bisher noch keine Rente bezieht und insbesondere nicht bis zum 30.6.2000 bezogen hat.

Nach alledem ist das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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